Meine Reise um die Welt – Zweite Abteilung

Dreizehntes Kapitel.

Dreizehntes Kapitel.

Runzeln sollten nur die zurückgebliebenen Spuren des Lachens sein.

Querkopf Wilsons Kalender.

In einem der Tempel von Benares sahen wir einen frommen Mann, der auf seltsame Weise »schaffte, daß er selig würde«. Er hatte einen ungeheuern Klumpen Lehm neben sich liegen und knetete daraus winzige Götter, kaum größer als eine Erbse; in jeden steckte er ein Reiskorn, vermutlich an Stelle des Lingams. Die Arbeit ging ihm bei der großen Uebung, die er hatte, sehr schnell von der Hand; täglich verfertigte er zweitausend solche Götter und warf sie dann in den heiligen Gangesstrom. Für dies fromme Werk wurde ihm hohe Anerkennung von allen Gläubigen zu teil – und viele Kupfermünzen. So hatte er ein sicheres Einkommen auf Erden und erwarb sich zugleich einen Ehrenplatz im Jenseits.

Von der Flußseite gesehen, gewährt Benares einen herrlichen Anblick. Drei Meilen weit sind die hohen Felsenufer von oben bis hinunter zum Wasserspiegel mit lauter prachtvollen und malerischen Bauwerken besetzt; der Fels selbst ist ganz verschwunden, Tempel, Hallen, Paläste wechseln miteinander in bunter Reihe und viele breite Treppen aus Marmorquadern führen zum Fluß hinab. Ueberall ist Leben und Bewegung; in alle Farben des Regenbogens gekleidet, strömt die Menge die Stufen herauf und hinunter, oder drängt sich auf den langgestreckten Terrassen am Uferrand, wie ein großer wandelnder Blumengarten.

Alle jene Prachtbauten sind Werke der Frömmigkeit. Die Paläste gehören eingeborenen Fürsten, deren Heimat meist fern von Benares ist. Doch kommen sie von Zeit zu Zeit zur heiligen Stadt, um sich Seele und Leib durch den Anblick ihres angebeteten Ganges und ein Bad in seinen Fluten zu erquicken. Auch die schönen Treppen sind fromme Stiftungen, so gut wie die zahllosen, reich geschmückten kleinen Tempel, durch deren Errichtung sich die wohlhabenden Hindus irdisches Ansehen und die Hoffnung auf künftige Belohnung erwerben. Ein reicher Christ, der bedeutende Summen für religiöse Zwecke verwendet, ist eine Seltenheit; aber unter den Hindus lebt niemand, der seiner Religion nicht die größten Geldopfer brächte. Auch bei uns gibt der Arme etwas für die Kirche aus, behält jedoch noch das Nötigste zu seinem Lebensunterhalt zurück. Der arme Inder bringt sich dagegen täglich für seine Religion an den Bettelstab. Trotz seiner vielen frommen Spenden bleibt dem reichen Hindu noch immer genug an weltlichen Gütern übrig und er erntet obendrein hohen Ruhm; aber der arme Hindu ist wirklich zu bemitleiden: er gibt alles hin, was er hat, und es trägt ihm doch keine Ehre ein.

Wir machten zwei- bis dreimal die gebräuchliche Fahrt flußaufwärts und abwärts, wobei wir auf dem Deck der großen Arche, die mit Rudern fortbewegt wird, unter einem Zeltdach auf Stühlen saßen. Ich hätte noch vielmals so hin- und herfahren können und zwar mit stets gesteigertem Interesse und Genuß, denn je öfter man die Paläste und Tempel sieht, um so mehr bewundert man sie, was ja bei dergleichen Prachtgebäuden der Fall ist. Auch den Badenden hätte ich gern noch länger zugeschaut; es war ein Vergnügen zu sehen, wie geschickt sie aus ihren Kleidern hinaus und wieder hereinschlüpften ohne zuviel von ihrer bronzefarbenen Haut zu zeigen; ihr frommes Gebärdenspiel und die andächtige Art, wie sie die Gebetskügelchen durch die Finger gleiten ließen, wäre mir nicht zum Ueberdruß geworden.

Nur eins konnte ich kaum noch mit ansehen, nämlich wie sie sich den Mund mit dem scheußlichen Wasser ausspülten und es tranken. An einer Stelle, wo wir eine Weile anlegten, ergoß sich ein stinkender Strom aus einem Abzugskanal und machte das Wasser rings umher trübe und schmutzig; auch ein angeschwemmter Leichnam kreiste darin und tauchte auf und nieder. Zehn Schritte unterhalb aber, standen Männer, Frauen und hübsche junge Mädchen bis an die Brust im Wasser, schöpften es in der hohlen Hand und tranken. Ja, der Glaube kann Wunder wirken, davon erhielt ich hier den Beweis. Die Leute tranken das greuliche Zeug nicht etwa um ihren Durst zu löschen, sondern um Seele und Leib inwendig zu läutern. Nach ihrer Lehre macht das Gangeswasser augenblicklich alles was es berührt vollkommen rein. Deshalb nahmen sie weder an dem Schmutz des Abzugskanals noch an der Leiche den geringsten Anstoß; das heilige Wasser hatte sie ja berührt, sie waren so rein wie frisch gefallener Schnee und konnten niemand besudeln. Jener Anblick wird mir ewig unvergeßlich sein – aber sehr gegen meinen Willen.

Noch ein Wort über das schmutzige Gangeswasser, das doch alles zu reinigen vermag: Als wir mehrere Wochen später nach Agra kamen, hatte sich dort gerade ein Wunder zugetragen – den Gelehrten war eine große wissenschaftliche Entdeckung geglückt. Durch dieselbe wurde festgestellt, daß das von uns vielgeschmähte Gangeswasser wirklich das mächtigste Reinigungsmittel der Welt ist. Eine bedeutende Errungenschaft der modernen Naturkunde! Man hatte sich schon längst darüber verwundert, daß die Cholera zwar in Benares häufig wütet, sich jedoch nie über den Stadtbezirk hinaus verbreitet. Mr. Henkin, ein von der Regierung zu Agra angestellter Naturforscher, beschloß das Wasser zu untersuchen. Er ging nach Benares und schöpfte Wasser am Ausfluß der Abzugskanäle in der Nähe der Badetreppen. Die Probe ergab, daß ein Kubikzentimeter dieses Wassers Millionen von Cholerabazillen enthielt; nach Ablauf von sechs Stunden waren sie alle tot. Nun zog Henkin einen schwimmenden Leichnam ans Land; in dem Wasser, das von diesem abtropfte, wimmelte es von Cholerakeimen, aber nach sechs Stunden lebte kein einziger mehr. Auch sämtliche Bazillen, die Henkin in großer Menge in das Gangeswasser brachte, starben unfehlbar innerhalb sechs Stunden. Er wiederholte denselben Versuch mehrmals mit reinem Wasser, das gänzlich bakterienfrei war. Sobald er Cholerakeime hineinbrachte, vermehrten sie sich massenhaft, und nach sechs Stunden lebten viele Millionen darin.

Jahrhunderte lang sind die Hindus fest überzeugt gewesen, daß das Gangeswasser nicht nur vollkommen rein ist und durch nichts beschmutzt werden kann, sondern auch unfehlbar alles läutert, was damit in Berührung kommt. Weil sie das auch heutigen Tages noch glauben, trinken sie es und baden darin, ohne sich um schwimmende Leichen oder den scheinbaren Schmutz zu kümmern. Durch die Wissenschaft belehrt, werden wir die Hindus jetzt wohl kaum noch deswegen verspotten dürfen, wie wir es seit vielen Generationen getan haben. Wie mögen sie wohl vor grauen Jahren hinter das Geheimnis des Wassers gekommen sein? Hatten sie vielleicht schon damals Bakteriologen? – Wir wissen es nicht. Nur soviel wissen wir, daß sie bereits eine Zivilisation besaßen, als wir noch tief in der Barbarei steckten.

Doch jetzt möchte ich von etwas anderem reden, nämlich von dem Verbrennungsplatz der Leichen. Fakirs pflegt man nicht zu verbrennen; sie bekommen, dank ihrer Heiligkeit, auch ohnedies im Jenseits einen guten Platz, wenn man sie den Wellen des geweihten Stromes übergibt. Wir sahen, wie man einen solchen frommen Bettler bis in die Mitte des Ganges ruderte und dort über Bord warf. Er war zwischen zwei großen Steinplatten festgeklemmt.

Eine halbe Stunde lag unser Boot am Verbrennungsghat und wir sahen neun Leichen von den Flammen verzehren. Dann hatte ich ganz genug. Das Trauergefolge begleitet die Bahre durch die Stadt und bis hinab zum Ghat; dort überlassen die Träger den Toten mehreren Eingeborenen aus einer niederen Kaste, ›Doms‹ genannt, und die Trauernden begeben sich auf den Heimweg. Ich hörte kein Schluchzen, sah keine Tränen, der Abschied ging ruhig vor sich. Alle Ausbrüche von Kummer und Schmerz werden offenbar in häuslicher Zurückgezogenheit abgemacht. Die toten Frauen bringt man in einer roten, die Männer in einer weißen Umhüllung. Man legt sie am Uferrand ins Wasser, während der Holzstoß bereitet wird.

Der erste Tote, welchen die ›Doms‹ auswickelten um ihn zu waschen, war ein wohlgenährter, stark gebauter, schöner alter Herr gewesen, dem man keine Krankheit ansah. Aus trockenem Holz wurde ein Haufen lose zusammengeschichtet, der Leichnam darauf gelegt und mit brennbaren Stoffen bedeckt. Dann begann ein nackter heiliger Mann, der etwas abseits auf einer Erhöhung saß, mit großem Nachdruck zu reden und zu schreien. Der Lärm dauerte eine ganze Weile und stellte vermutlich die Leichenpredigt vor. Einer der Leidtragenden war zurückgeblieben, als sich die andern entfernten, nämlich der Sohn des Verstorbenen, ein hübscher, brauner etwa zwölfjähriger Knabe mit ernster, gefaßter Miene. Er war in ein weißes, wallendes Gewand gekleidet und hatte die Pflicht, seinen Vater zu verbrennen. Man gab ihm eine Fackel in die Hand, und während er siebenmal langsam um den Holzstoß schritt, predigte der nackte Schwarze auf der Anhöhe noch lauter und ungestümer als zuvor. Als der Knabe den siebenten Rundgang beendet hatte, berührte er mit der Fackel zuerst seines Vaters Haupt und dann die Füße. Helle Flammen sprangen scharf knisternd empor, und der Knabe zog sich zurück. Der Hindu wünscht sich keine Tochter, weil ihre Hochzeit unerschwingliche Kosten verursacht, er wünscht sich einen Sohn, um einst im Tode auf ehrenvolle Art aus der Welt scheiden zu können. Und eine größere Ehre gibt es nicht für den Vater, als wenn ihm sein Sohn den Scheiterhaufen anzündet. Wer keinen Sohn hat, ist übel daran und sehr beklagenswert. Im Hinblick auf die Unsicherheit des menschlichen Lebens heiratet der Hindu schon als Knabe, um einen Sohn zu bekommen, der ihm nach dem Tode den letzten Dienst erweisen soll. Wird ihm kein Sohn geboren, so nimmt er einen Knaben an Kindesstatt an. Das genügt für alle Zwecke.

Unterdessen nahm die Verbrennung jenes Leichnams und einiger andern ihren Fortgang. Es war ein grausiges Geschäft. Die Heizer blieben dabei nicht müßig; sie liefen flink umher, schürten das Feuer mit langen Stäben und warfen von Zeit zu Zeit mehr Holz hinein; auch hoben sie oft Schädel und Knochen in die Höhe, um sie zu zerschlagen und wieder in die Flammen zu stoßen, damit sie rascher von der Glut verzehrt würden. Ein widerwärtiger Anblick! Für die Hinterbliebenen hätte er unerträglich sein müssen. Mein Verlangen, die Leichenverbrennung zu sehen, war ohnenhin nicht groß gewesen und wurde bald gänzlich gestillt. Aus Gesundheitsrücksichten wäre es zwar ratsam, die Feuerbestattung allgemein einzuführen, aber diese Form derselben wirkt höchst abstoßend und ist durchaus nicht empfehlenswert.

Natürlich gilt das Feuer für heilig und muß bezahlt werden. Gewöhnliches Feuer ist verboten, weil es kein Geld einbrächte. Man sagte mir, daß eine einzige Person – vermutlich ein Priester – das Monopol besitzt, alles heilige Feuer zu liefern, für das er einen beliebigen Preis fordern kann. Mancher Leidtragende hat für eine Feuerbestattung schon tausend Rupien entrichtet. Von Indien aus ins Paradies zu kommen ist wirklich ein sehr kostspieliges Ding; man muß jede einzelne Kleinigkeit, die dazu gehört, teuer bezahlen, um die Priester zu mästen.

In der Nähe des Verbrennungsplatzes stehen ein paar altersgraue Steine aus der Zeit, als die Sutti noch gestattet war. Ein Mann und eine Frau, die Hand in Hand miteinander gehen, sind roh in den Stein geschnitten, der die Stelle bezeichnet, wo die Witwe ehemals den Feuertod erlitten hat. Mr. Parker sagt auch, daß sich die Witwen noch heutigen Tages verbrennen lassen würden, wenn die englische Regierung es nicht strengstens untersagte. Jede Familie, die auf einen der kleinen Denksteine zeigen und sagen kann: »Hier hat sich unsre Ahnfrau verbrannt!« wird von allen beneidet.

Ein seltsames Volk, diese Hindus! Alles Leben ist ihnen heilig, nur das des Menschen nicht. Selbst das Ungeziefer verschonen sie, und der fromme Dschain setzt sich auf keinen Stuhl, ohne ihn vorher abzuwischen, um ja auch nicht das winzigste Insekt zu töten. Es betrübt ihn, daß er Wasser trinken muß, weil der Inhalt seines Magens vielleicht den Mikroben nicht zuträglich sein könnte. Und doch ist Indien die Heimat der Thugs und der Sutti. Es wird unsereinem schwer, das zusammen zu reimen.

Wir gingen auch zu dem Tempel der Thug-Göttin Bhowanee oder Kali oder Durga – sie trägt alle diese Namen und noch viele andere. Sie ist die einzige Gottheit, der etwas Lebendiges geopfert wird; man schlachtet ihr Ziegenböcke. Affen wären billiger und sind überreichlich vorhanden. Da sie heilige Tiere sind, benehmen sie sich sehr unbescheiden und klettern überall herum, wo sie wollen. Der Tempel und die Vorhalle sind mit wunderschönen steinernen Ornamenten geschmückt, desto häßlicher ist das Götzenbild. Es ist wirklich kein Vergnügen Bhowanee anzusehen; sie hat ein Gesicht von Silber mit einer heraushängenden, hochrot angemalten, geschwollenen Zunge und trägt ein Halsband von Totenschädeln.

Ueberhaupt sind die zahllosen Götzenbilder in Benares alle roh, häßlich und mißgestaltet. Die ganze Stadt ist voll davon; sie ängstigen einen nachts im Traum, und nirgends hat man Ruhe vor ihnen. Kann man ihren Anblick in den Tempeln nicht länger ertragen und geht zum Strom hinaus, so findet man dort riesengroße, mit bunten Farben bemalte Götzen nebeneinander am Ufer hingestreckt, und wo irgend noch Raum ist, steht ein Lingam. Schwerlich hat Wischnu vorausgesehen, was aus seiner Stadt werden würde, sonst hätte er sie Götzenheim oder Lingamburg genannt.

Nie höchsten Türme von Benares sind die beiden schlanken, weißen Minarets auf der Moschee des Aurengzib, die einem überall zuerst ins Auge fallen. Die Aussicht von oben ist wundervoll, doch wurde sie mir ganz durch einen großen, grauen Affen verdorben, der auf dem Dach der Moschee die wildesten Sprünge machte. Es ist kaum zu glauben, wie unvernünftig ein solches Tier ist! Der Affe schwang sich über dem gähnenden Abgrund durch den leeren Raum bis zu irgendeinem steinernen Vorsprung, der viel zu weit entfernt für ihn war, so daß er ihn nur mit knapper Not erreichte und sich mit den Zähnen festhalten mußte. Mich machte das so nervös, daß ich immer nur nach dem Affen hinsah und die Aussicht ganz darüber vergaß. So oft er einen seiner tollkühnen Sätze ins Blaue hineintat, verging mir der Atem; wenn er nach einem Anhalt griff, klammerte ich mich selbst aus Mitgefühl krampfhaft fest und schnappte nach Luft, während er sich ganz gleichgültig und unbekümmert stellte. Wohl ein Dutzendmal kam er nur gerade noch mit dem Leben davon und beunruhigte mich dermaßen, daß ich ihn am liebsten auf der Stelle totgeschossen hatte; doch ging mich die Sache im Grunde ja gar nichts an.

Die Aussicht möchte ich allen Fremden aufs dringendste empfehlen, was man davon genießt ist prachtvoll. Ganz Benares, der Fluß und die Gegend ringsum liegen ausgebreitet vor unsern Blicken da. Wenn nur der Affe nicht wäre! – Mein Rat ist also: nehmt eine Flinte mit und seht euch die Aussicht an!

Der nächste Anblick, der sich uns bot, war weniger aufregend: Ein Eingeborener malte ein Bild auf Wasser – eine mir ganz neue Kunstleistung. Der Mann streute verschiedenfarbigen feinen Staub auf die Oberfläche eines Wasserbeckens und daraus entwickelte sich allmählich ein hübsches, zartes Gemälde, das durch einen Hauch wieder zerstört werden konnte. Es kam mir vor wie ein Gleichnis und Sinnbild, welches die Unbeständigkeit alles Irdischen predigt. Nach meinem vielen Umherstöbern unter den verfallenen Tempeln, die auf Ruinen standen, welche wiederum auf den Trümmern und Ruinen früherer Zeitalter erbaut gewesen waren, lag mir der Gedanke nahe, daß alle die gewaltigen Steinbauten in ihrer Art ganz ebenso vergänglich sind, wie Bilder, die man auf Wasser malt.

In Benares ist es auch gewesen, wo der kühne Generalgouverneur von Ostindien, Warren Hastings, im Jahre 1781 mit knapper Not einer großen Gefahr entging. Mit einer Handvoll eingeborener Soldaten und drei jungen englischen Offizieren hatte er den Rajah Cheit Singh in seiner eigenen Festung gefangen genommen, weil dieser sich weigerte, eine Geldstrafe von 500 000 Pfund Sterling zu bezahlen, die Hastings im Namen der Ostindischen Kompagnie über ihn verhängt hatte. So fest war damals seine Herrschaft in Indien begründet und so zuversichtlich rechneten die Engländer auf die oft erprobte Unterwürfigkeit des indischen Volkes, daß sie bei dem Zug in das entlegene Fürstentum, wo sie von aller Hilfe abgeschnitten waren, nur leere Kanonen mitnahmen und ihren Pulvervorrat zurückließen. Durch einen Zufall ward dies jedoch verraten, und nun brach ein Aufstand los, bei dem die drei Engländer samt den hilflosen Sepoys erschlagen wurden. Hastings selbst entkam im Dunkel der Nacht glücklich aus Benares. Vor Ablauf eines Monats kehrte er jedoch mit genügenden Streitkräften zurück, stellte Ruhe und Ordnung wieder her, entthronte den Rajah und gab dem Fürstentum einen andern Herrscher.

In eine so kritische Lage hat sich Hastings nie wieder gebracht. Er war ein hochbegabter Mann, und wenn auch an seinem Namen mancher Flecken haftet, den nichts zu tilgen vermag, so läßt sich doch nicht bestreiten, daß er das indische Reich für England gerettet hat. Einen bessern Dienst hätte er aber zugleich auch der indischen Nation nicht leisten können, welche seit Jahrtausenden unter dem Druck einer erbarmungslosen Tyrannei geschmachtet hatte.

Vierzehntes Kapitel.

Vierzehntes Kapitel.

Es zeugt von Mangel an Ehrfurcht, wenn man den Gott anderer Menschen mißachtet.

Querkopf Wilsons Kalender.

In Benares besuchte ich auch einen lebendigen Gott; es war der zweite, den ich zu sehen bekam. Von allen großen und kleinen Weltwundern, die mir je vorgekommen sind – und ich habe, so viel ich weiß, fast alle besichtigt – hat mir, glaube ich, nichts einen so überwältigenden Eindruck gemacht wie diese beiden Götter. Eine Erklärung hierfür zu finden fällt mir nicht schwer: Wenn wir etwas ein Wunder nennen, so tun wir das in der Regel nicht, weil es uns außergewöhnlich erscheint, sondern weil andere Leute etwas Besonderes darin sehen. Fast alle Wunder bekommen wir erst aus zweiter Hand. Ist ein Ding berühmt, so brennen wir vor Verlangen danach und wenn wir es sehen, erfüllt es stets unsere Erwartung. Der Anblick eines Gegenstandes, welcher in den Herzen einer großen Menschenzahl Begeisterung und Ehrfurcht entzündet oder ihre Liebe und Bewunderung weckt, gewährt uns einen Genuß, den wir mehr als alles andere schätzen. Wir fühlen uns hoch beglückt und dauernd bereichert, wir möchten die Erinnerung daran um keinen Preis hergeben.

Wie manche Sehenswürdigkeit der Welt haben wir von tausend Schriftstellern unser Lebenlang mit Entzücken preisen hören! Wir pilgern um den Erdball, sind von ihrem Anblick berauscht und halten die Gefühle, welche uns überwältigen, für unsere eigenen, während wir nur von der Blume eines Weines trunken sind, der andern Leuten gehört. Aber alle Erdenherrlichkeit, die wir staunend erblicken, ist doch nichts im Vergleich zu einer Person, die lebt, atmet, redet, und von vielen Millionen Menschen in frommem, aufrichtigem, unerschütterlichem Glauben für einen Gott gehalten und in Demut angebetet wird.

Als ich den Gott sah, war er sechzig Jahre alt. Er heißt Sri 108 Swami Bhaskarananda Saraswati; doch ist das nur eine Form seines Namens, eine Abkürzung, wie man sie etwa im Gespräch mit ihm wählen würde. Wollte man ihm einen Brief schreiben, so würde es sich schon aus Höflichkeit empfehlen, eine längere Anrede zu gebrauchen; nicht etwa den ganzen Namen, aber wenigstens so viel davon:

Sri 108 Matparamahansaparivraiakacharyaswamibhaskaranandasaraswati.

Hochwohlgeboren auf der Adresse hinzuzufügen ist unnötig. Das Wort Sri, mit dem der ganze Schwall beginnt, ist an sich schon ein Ehrentitel. ›108‹ gibt, glaube ich, die Zahl seiner übrigen Namen an. Da auch Wischnu 108 Namen hat, die er nur bei besonderen Gelegenheiten braucht, wird es wohl eine beliebte Sitte im Orden der Götter sein, sich solchen Extravorrat anzulegen. Aber auch ohne die 108 andern ist der abgekürzte Name schon ein recht hübsches Besitztum; er besteht aus 58 Buchstaben, wenn ich mich nicht verzählt habe. Dagegen können selbst die längsten deutschen Wörter nicht aufkommen und sind ein für allemal vom Wettbewerb ausgeschlossen.

Sri 108 S. B. Saraswati hat erreicht, was die Hindus den ›Zustand der Vollendung‹ nennen. Andere Hindus gelangen dazu nur durch zahllose Seelenwanderungen, bei welchen sie wieder und immer wieder in den verschiedensten Gestalten auf Erden geboren werden. Das ist eine langwierige Arbeit, die oft Jahrhunderte oder Jahrtausende in Anspruch nimmt, und bei der man allerlei Gefahr läuft. Man kann zum Beispiel, wie bereits erwähnt, das Unglück haben, einmal auf dem falschen Ufer des Ganges zu sterben und als Esel wieder zur Welt zu kommen, so daß man einen ganz neuen Anlauf nehmen und viele Entwicklungsstufen nochmals durchmachen muß. Von alledem ist Sri 108 S. B. S., als er zur Vollendung hindurchdrang, auf immer erlöst worden. Er nimmt nicht länger teil an dem Wesen dieser Welt; alles Irdische ist von ihm ausgeschieden, er ist vollkommen heilig und rein. Ja, er gehört überhaupt nicht mehr der Erde an, sondern steht ihr fremd gegenüber, ihre Schmerzen, Kümmernisse und Sorgen erreichen ihn nicht. Seine Heiligkeit kann durch nichts mehr entweiht, seine Reinheit durch nichts befleckt werden. Wenn er stirbt geht er zum Nirwana ein, wird in das Wesen der höchsten Gottheit mit aufgenommen und hat Frieden in Ewigkeit.

Die heiligen Schriften der Inder lehren, wie man zu diesem Zustand emporklimmen kann, aber es kommt höchstens einmal in tausend Jahren vor, daß ein Prüfungskandidat ihn wirklich erreicht. Sri 108 hat sämtliche vorgeschriebene Stufen von Anfang bis zu Ende durchgemacht, und ihm bleibt nun nichts mehr zu tun übrig, als zu warten, bis er aus dieser Welt abberufen wird, von welcher sein Los getrennt ist und die ihm nichts mehr zu bieten hat. In der ersten Stufe war er ein Schüler und erwarb Kenntnis der heiligen Bücher. In der zweiten wurde er Bürger, Hausvorstand, Gatte und Vater. Dann nahm er, wie geboten ist, auf immer Abschied von seiner Familie und wanderte fort. Er zog in eine ferne Wüste und brachte die vorschriftsmäßige Zeit als Einsiedler zu. Darauf wurde er zunächst Bettler, »wie es die Schrift befiehlt«; er durchwanderte Indien und nährte sich von den Gaben der Mildtätigkeit. Vor einem Vierteljahrhundert erreichte er die höchste Reinheit, welche keines Gewandes bedarf, denn Nacktheit ist ihr Symbol. Er legte daher das Lendentuch ab, dessen er sich zuvor bedient hatte. Jetzt könnte er sich nach Belieben wieder damit gürten, denn ihn kann nichts mehr beflecken – für gewöhnlich verschmäht er es jedoch.

Ich glaube, das sind noch nicht alle Stufen, aber die andern fallen mir gerade nicht ein; jedenfalls hat er sie durchgemacht. Während seiner langen Prüfungszeit hörte er nicht auf, sich in frommer Weisheit zu vervollkommnen und Erklärungen der heiligen Bücher zu schreiben. Auch in religiöse Betrachtungen über Brahma hat er sich versenkt und das tut er noch.

In ganz Indien wird sein Bildnis aus weißem Marmor verkauft; er bewohnt ein gutes Haus in Benares, das von einem schönen, großen Garten umgeben und eingerichtet ist, wie es seinem hohen Range zukommt. Auf der Straße kann er sich natürlich nicht blicken lassen. Für Götter wäre es in allen Ländern mit Unbequemlichkeiten verbunden, wenn sie frei umhergingen. Wollte jemand, den wir als Gott anerkennen und verehren, durch unsere Stadt spazieren und man erführe an welchem Tage, so würden alle Geschäfte stillstehen und der Verkehr ins Stocken geraten.

Das Wohnhaus des Gottes ist zwar behaglich, aber doch in Anbetracht der Umstände sehr bescheiden. Er brauchte nur den Wunsch zu äußern, so würden ihm seine Anhänger mit Freuden einen Palast bauen. Manchmal empfängt er die Gläubigen einen Augenblick, spricht ihnen Trost zu und gibt ihnen seinen Segen; darauf küssen sie ihm die Füße und gehen beglückt von dannen. Da er ein Gott ist, legt er auf Rang und Stand keinen Wert, vor ihm sind alle Menschen gleich. Er empfängt wen er will oder verweigert seinen Anblick. Manchmal läßt er einen Fürsten vor und schickt den Bettler fort; ein andermal empfängt er den Bettler, und der Fürst muß seiner Wege gehen. Doch nimmt er überhaupt nur wenige Besucher irgendwelcher Klasse an, da er die Zeit für seine Betrachtungen zu Rate halten muß. Mr. Parker, den Missionar, würde er, glaube ich, jederzeit empfangen, weil er ihm leid tut. Er selbst tut aber Mr. Parker ebenso leid, und dies Mitgefühl ist gewiß ein Segen für alle beide.

Bei unserer Ankunft mußten wir noch eine Weile im Garten herumstehen; die Aussichten waren nicht sehr günstig, denn Sri 108 S. B. S. hatte an diesem Tage alle Maharajas fortgeschickt und nur den gemeinen Pöbel empfangen; da wir nun weder das eine noch das andere waren, ließ sich nicht voraussagen, was wir zu erwarten hatten. Bald erschien jedoch ein Diener und sagte, es wäre schon recht, der Gott würde kommen.

Ja, er kam wirklich und ich habe ihn gesehen, diesen Gegenstand der Anbetung für Millionen. Mich durchbebte ein nie gekanntes Gefühl – ich wollte, es strömte mir noch durch die Adern. Und doch war er für mich kein Gott, sondern nur ein Schaustück. Der heilige Schauer, der mich durchzitterte, war nicht mein eigener; ich empfing ihn aus zweiter Hand von den unsichtbaren Millionen seiner Anbeter. Durch die Berührung mit ihrem Gott war ich in elektrische Verbindung mit ihrer Riesenbatterie geraten und bekam die ganze Ladung auf einmal zu fühlen.

Sri 108 S. B. S. war groß und hager. Sein scharfgeschnittenes Gesicht hatte einen ungewöhnlich durchgeistigten Ausdruck und er sah mich mit dem tiefen Blick seiner Augen gütig an. Er schien viel älter als seine Jahre, aber das mochte wohl von seinen Studien und Betrachtungen, dem Fasten und Beten und dem harten Leben herrühren, das er als Einsiedler und Bettler geführt hatte. Empfängt er Eingeborene hohen oder niederen Ranges, so geht er ganz nackt; aber jetzt trug er ein weißes Tuch um die Lenden, ein Zugeständnis, das er vermutlich den Vorurteilen der Fremden machte.

Sobald sich meine Verzückung etwas gelegt hatte, kamen wir gut miteinander aus, und er erwies sich mir als ein sehr angenehmer und freundlicher Gott. Er hatte viel vom Religionskongreß und der Weltausstellung in Chicago gehört und sprach mit großem Interesse darüber. Wenn die Leute in Indien auch von Amerika sonst nichts wissen, dies Ereignis ist ihnen bekannt, und sie werden Chicago sobald nicht vergessen.

Zu meiner Freude schlug der Gott mir vor, ob wir nicht unsere Autographen austauschen wollten. Zufolge dieser zarten Aufmerksamkeit glaubte ich an ihn, wenn ich auch vorher meine Zweifel gehabt hatte. Er schrieb mir eine Widmung in sein Buch, das ich stets mit ehrfurchtsvoller Scheu betrachtete, obgleich die Wörter von rechts nach links gehen und ich es daher nicht lesen kann. Diese Art Bücher zu drucken, halte ich für ganz verkehrt. Das Werk enthält die von ihm verfaßten, umfangreichen Erklärungen zu den heiligen Schriften der Hindus; könnte ich sie entziffern, so würde ich selbst versuchen nach der Vollendung zu streben. Ich überreichte ihm ein Exemplar von Huckleberry Finn, weil ich glaubte, es würde ihm zur Abwechslung von seinen Betrachtungen über Brahma eine kleine Erholung sein. Er sah recht müde aus, und wenn ihm mein Buch auch vielleicht nichts nützt, so wird es ihm doch gewiß nichts schaden.

Sri 108 S. B. S. hat einen Schüler, der unter ihm seine Studien betreibt – Mina Bahadur Rana – doch bekamen wir ihn nicht zu sehen. Er trägt Kleider und ist noch sehr unvollkommen. Eine kleine Abhandlung, die er über seinen Meister geschrieben hat, habe ich mir angeschafft. Es ist auch ein Holzschnitt darin, welcher Lehrer und Schüler zusammen auf einer Matte im Garten sitzend darstellt. Das Bild ist sehr gut getroffen und die Stellung genau dieselbe, welche Brahma mit Vorliebe einnimmt; man braucht dazu lange Arme und geschmeidige Beine; nur Götter können diese so übereinander schlagen – Götter und der Kautschukmann. In der gleichen Stellung ist auch im Garten ein Marmorbild von Sri 108 S. B. S. in Lebensgröße zu sehen.

Eine sonderbare Welt, in der wir leben – und am allermerkwürdigsten geht es in Indien zu. Jener Schüler, Mina Bahadur Rana, ist ganz und gar kein gewöhnlicher Mensch, er besitzt eine außerordentliche Begabung und hohe Bildung; eine glänzende weltliche Laufbahn lag vor ihm. Noch vor zwanzig Jahren stand er im Dienst der Regierung von Nepal und nahm am Hofe des Vizekönigs von Indien eine hervorragende Stellung ein. Er war tüchtig in seinem Beruf, ein tiefer Denker, wohlhabend und kenntnisreich. Da ergriff ihn plötzlich das Verlangen, sich einem religiösen Leben zu weihen, er legte sein Amt nieder, wandte der Eitelkeit und allem Behagen dieser Welt den Rücken, zog sich in die Einsamkeit zurück und lebte in einer armen Hütte. Dort studierte er die heiligen Schriften und vertiefte sich in Betrachtungen über Tugend und Frömmigkeit, die er zu erringen strebte. Diese Art Religion gleicht der unsrigen. Christus hat den Reichen geboten ihre Güter den Armen zu geben und ihm nachzufolgen, nicht in weltlichem Wohlleben, sondern in Dürftigkeit. Unsere amerikanischen und englischen Millionäre tun das täglich und bezeugen so vor aller Welt den ungeheueren Einfluß der Religion; aber von manchen Leuten werden sie wegen dieser Entsagung und Pflichttreue verhöhnt und auch über Mina Bahadur Rana wird man spotten und sagen, er sei verrückt geworden. Gleich vielen Christen von edlem Charakter und hohen Geistesgaben hat auch er sich das Studium seiner heiligen Schriften und die Abfassung von Büchern zu ihrer Erklärung und Auslegung als Lebensaufgabe gewählt; er hat sich diesem Beruf mit aller Liebe hingegeben und ist fest überzeugt, daß es keine törichte, nutzlose Zeitverschwendung, sondern die würdigste und ehrenvollste Beschäftigung ist, der er sich widmen kann. Dennoch gibt es viele Leute, welche jene Christen verehren und preisen, den Inder aber einen Narren schelten. Das tue ich nicht. Er besitzt meine vollste Hochachtung und die biete ich ihm nicht als etwas Gemeines und Alltägliches dar, sondern als eine große Seltenheit und Kostbarkeit. Die gewöhnliche Hochachtung und Ehrfurcht, wie sie gang und gäbe ist, kostet nichts. Ehrfurcht vor dem, was uns selbst heilig ist: vor Eltern, Religion, Gesetz, Vaterland, Achtung vor unsern eigensten Ueberzeugungen, sind uns so natürliche Gefühle, daß wir ohne sie ebensowenig leben könnten, wie ohne zu atmen. Das Atemholen rechnet man sich aber nicht als persönliches Verdienst an. Schwer und verdienstvoll ist dagegen eine andere Art der Ehrfurcht, nämlich die Hochachtung, die wir aus freien Stücken den politischen und religiösen Anschauungen eines Menschen zollen, obgleich sie nicht die unsrigen sind. Wir können seine Götter nicht anbeten und seine Politik nicht teilen – das erwartet auch niemand von uns; aber seinen Glauben an sie könnten wir doch achten, wenn es uns auch sauer wird; ja, wir könnten ihn selber achten, wollten wir uns rechte Mühe geben. Freilich, schwer ist es, ganz entsetzlich schwer, fast ein Ding der Unmöglichkeit, und deshalb versuchen wir es lieber gar nicht. Glaubt ein Mensch nicht wie wir glauben, so nennen wir ihn einen Toren, und dabei bleibt es. Das heißt in unsern Tagen, weil wir ihn jetzt nicht mehr verbrennen können.

Als wir von dem Gott in Benares Abschied nahmen und uns entfernten, trafen wir am Gartentor mit einer Gruppe von Eingeborenen zusammen, welche ehrerbietig warteten – ein Rajah, der aus einem entlegenen Teil Indiens kam und einige weniger vornehme Leute. Der Gott winkte sie zu sich heran, und im Hinausgehen sahen wir noch, wie der Rajah vor ihm kniete und demutsvoll seine heiligen Füße küßte.

Eine bequeme Eisenbahnfahrt von siebzehn und einer halben Stunde brachte uns nach Kalkutta, der Hauptstadt Indiens, die zugleich auch die Hauptstadt von Bengalen ist. Die Bevölkerung besteht wie in Bombay aus fast einer Million Eingeborenen und einer kleinen Zahl Weißer. Kalkutta ist eine riesengroße und schöne Stadt, man nennt es die Stadt der Paläste. Es ist reich an geschichtlichen Erinnerungen und reich an britischen Errungenschaften auf militärischem, politischem und kaufmännischem Gebiet. Man bekommt dort die Früchte des Wirkens der beiden großen Helden Clive und Hastings zu genießen, aber das 250 Fuß hohe Monument, welches man meilenweit in der Runde sieht, trägt den Namen Ochterlony. Mag man in Kalkutta sein wo man will, überall muß man an Ochterlony denken und sich den Kopf darüber zerbrechen, was das Denkmal wohl zu bedeuten hat. Gut, daß Clive nicht von den Toten zurückkommen kann, er würde sonst glauben, es sollte seinen Sieg bei Plassey verewigen und müßte zu seiner Kränkung erfahren, daß er sich geirrt hat. »Mit dreitausend Mann,« würde er sagen, ..habe ich sechzigtausend bezwungen und das Reich gegründet, aber man hat mir kein Denkmal gesetzt. In der Schlacht bei Ochterlony hat der General vielleicht mit einem Dutzend Soldaten eine Billion Feinde geschlagen und die Welt errettet.«

Aber das ist nicht richtig. Ochterlony war ein Mann, keine Schlacht. Er hat dem Lande auch gute und ehrenhafte Dienste geleistet, wie hundert andere tapfere, rechtschaffene und hochbegabte Engländer. Indien ist ein fruchtbarer Boden, um Männer zu erzeugen, die groß sind im Kriege wie im Frieden und bescheiden bei all ihrer Größe. Daß man ihnen Denkmäler setzt, erwarten sie nicht; auch Ochterlony hat das schwerlich getan – wenigstens sicherlich nicht, ehe Clive und Hastings versorgt waren.

Wollte man in Indien jedem zum Lohn für ausgezeichnete Taten, treue Pflichterfüllung und fleckenlosen Lebenswandel ein Denkmal setzen, es würde der Gegend ein einförmiges Ansehen geben. Die Handvoll Engländer regieren die Myriaden Inder anscheinend mit Leichtigkeit und ohne daß irgend welche Reibung entsteht. Sie können das, weil sie richtigen Takt, Tüchtigkeit und treffliche Verwaltungskunst besitzen, welche von gerechten, freisinnigen Gesetzen unterstützt wird, und weil sie den Eingeborenen stets Wort halten, wenn sie ihnen ein Versprechen gegeben haben.

England liegt weit von Indien; man erfährt dort wenig von den großen Diensten, welche die indischen Beamten dem Lande leisten; denn der Ruhm wird durch Zeitungskorrespondenten verbreitet, und diese schickt England nicht nach Indien, sondern nach dem europäischen Festland, um über die Taten aller kleiner Fürsten und Herzöge Bericht zu erstatten, damit man weiß, wo sie auf Besuch sind und wen sie heiraten. Ein britischer Beamter kann oft dreißig oder vierzig Jahre in Indien gelebt haben und wegen seiner hohen Verdienste von einer Ehrenstufe zur andern gestiegen sein, bis er Vizekönig wird und ein großes Reich mit vielen Millionen Untertanen regiert. In jedem andern Lande wäre er ein berühmter Mann, aber, wenn er wieder nach England kommt, ist er im Grunde so gut wie unbekannt und zieht sich in ein bescheidenes Eckchen zurück. Erst nach seinem Tode liest man mit Staunen den Bericht über seine glänzende Laufbahn in irgend einer Londoner Zeitung.

In Kalkutta gab es viel zu sehen, aber wir hatten nur wenig Zeit dazu. Die von Clive erbaute Festung, der große botanische Garten, die Spazierfahrt der vornehmen Welt auf dem Maidan und eine glänzende Revue der Garnison nebst den Manövern der eingeborenen Soldaten, bei denen alle Waffengattungen große militärische Tüchtigkeit bewiesen und deren Schluß die Erstürmung eines indischen Forts bildete – das waren die Hauptsehenswürdigkeiten, die wir in Augenschein nahmen. Dann machten wir noch eine Lustfahrt auf dem Hugli und teilten unsere übrige Zeit zwischen geselligem Verkehr und dem indischen Museum. Letzteres ist eine wahre Schatzkammer für indische Altertümer, zu deren Besichtigung man mindestens einen Monat haben sollte; ja, ich könnte diese schönen und wunderbaren Dinge ein halbes Jahr lang ansehen, ohne daß sie ihren Reiz für mich verlieren würden.

Es war Winter in Kalkutta, ›kaltes Wetter‹, wie uns jedermann versicherte. Aber, wer an 138° Schatten gewöhnt ist, hat kein Urteil über dergleichen. Jedenfalls war dies kalte Wetter zu warm für die Fremden, und wir brachen deshalb nach Dardschiling am Himalaja auf. Es ist eine Reise von vierundzwanzig Stunden.

Fünfzehntes Kapitel.

Fünfzehntes Kapitel.

Es gibt 869 verschiedene Arten der Lüge; aber nur eine von allen ist ausdrücklich verboten: »Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.«

Querkopf Wilsons Kalender

Aus dem Tagebuch. 14. Februar. Wir reisten nachmittags um 4.30 ab und fuhren bis zur Dämmerung durch tropische Vegetation; dann bestiegen wir ein Boot, das uns ans andere Ufer des Ganges brachte.

15. Februar. – Mit der Sonne aufgestanden. Ein strahlender, frostkalter Morgen. Doppelte Flanellunterkleider machen sich notwendig. Die Gegend ist vollständig eben und dehnt sich in verschwommenen Farben weiter und immer weiter, bis ins Unendliche aus. – Wie üppig, wie hoch und mächtig ist doch der Bambus mit seinem duftig zarten Laub! Wohin das Auge blickt, sieht man die baumartigen Gräser gleich riesigen Pflanzengeysern emporschießen, bis ihr grüner Sprühregen sich in der Ferne in Dunstwolken zu verwandeln scheint. Auch an Bananenfeldern kamen wir vorbei, wo der Sonnenschein die glasierte Oberfläche der großen niederhängenden Blätter streifte. Häufig sahen wir Palmenhaine und vereinzelte Exemplare dieser malerischen Familie, die eine wirkungsvolle Abwechslung in das Landschaftsbild brachten. An den hohen schlanken Stämmen hingen die Blätter zerrissen und zerfetzt umher, als wollte die Natur einen Regenschirm darstellen, der unversehens in einen Wirbelsturm geraten ist und es sich nicht merken lassen will. Und überall sahen wir im gedämpften Morgenlichte Dörfer auftauchen, zahllose Dörfer, die kein Ende nehmen wollten. Mit Stroh gedeckt, aus reinen, neuen Rohrmatten aufgebaut, lagen sie dichtgedrängt zwischen Palmengruppen und Bambusgräsern. In Abständen von kaum dreihundert Metern kamen immer neue dutzendweise zum Vorschein. Es war eine mächtige, viele hundert Meilen lange und breite Stadt, die aus lauter Dörfern bestand. Eine so ungeheure Stadt habe ich noch nie gesehen, es gibt keine zweite auf der ganzen Erde, und eine Einwohnerzahl hat sie, wie ein europäisches Königreich. Wir sahen diese Menschen auf beiden Seiten der Eisenbahn und vor uns, soweit das Auge reichte – eine endlose Menge nackter Gestalten. Meile auf Meile flogen wir dahin, aber immer waren sie da, auf beiden Seiten und vor uns, die braunen nackten Männer und Knaben, die auf den Feldern ackerten und pflügten. Wir gewahrten kein einziges Weib, kein Mädchen bei der Feldarbeit, während der ganzen Zweistündigen Fahrt.

Wenn wir den armen Heiden die neueste Zivilisation bringen, sollten wir zugleich die Gelegenheit benützen, auch unsere Kultur durch einige ihrer barbarischen Sitten zu bereichern. Das Recht hierzu kann uns niemand bestreiten. Heben wir jene Völker auf eine höhere Stufe, so sind wir auch befugt, uns selbst mit ihrer Hilfe um neun oder zehn Grade aufwärts zu bringen. Vor Jahren verlebte ich einige Wochen in dem bayrischen Bade Tölz. Die Gegend ist katholisch, und nicht einmal in Benares ist die Bevölkerung so durch und durch religiös und so eifrig in ihrer Frömmigkeit, das erkennt man auf den ersten Blick. Damals schrieb ich in mein Tagebuch: »Gestern machten wir eine wunderschöne Spazierfahrt über Land; doch wurde mein Vergnügen durch den Anblick ehrwürdiger Großmütter mit grauen Haaren, die im Felde arbeiteten, sehr beeinträchtigt. Siebzig- und achtzigjährige Frauen mähten Korn, banden Garben oder luden das Heu auf den Wagen.«

An andern Orten in Bayern sah ich, wie Weiber schwere mit Bierfässern beladene Karren zogen. In Oesterreich fand ich oft eine Frau neben einer Kuh an den Pflug gespannt, den ein Mann führte. Ich sah ein altes gebücktes Weib, zusammen mit einem Hunde angeschirrt, einen beladenen Schlitten über gepflasterte und ungepflasterte Straßen ziehen, während der Fuhrmann, ein kräftiger Mensch von kaum dreißig Jahren, nebenher ging und seine Pfeife rauchte. Auch die Wäscherinnen in Frankreich kann ich nicht vergessen, die bei strömendem Regen und so naßkaltem Wetter, daß man keinen Hund hinausjagen würde, in ihrer gewöhnlichen Kleidung vor meinen Hotelfenstern in der Rhone wuschen, bis die Dunkelheit ihrer Arbeit ein Ende machte. Dann kam ein starker Bursche – vielleicht der Enkel der alten Großmutter – im sichern Schutz seines Regenschirms, trocken und wohlbehalten auf einem Eselwagen gefahren und befahl den Weibern in herrischem Ton, die sechs schweren Körbe mit nasser Wäsche aufzuladen, die ein Mann kaum von der Stelle gebracht hätte. Die bis auf die Haut durchnäßten Frauen gehorchten ohne Murren, und während der Franzose vom Wagen stieg und ins Wirtshaus ging, wo ich ihn später bei einer Flasche Wein sitzen sah, trabten sie geduldig heimwärts hinter dem Karren drein.

Doch ich kehre nach Indien zurück. Im Lauf des Nachmittags näherten wir uns dem Gebirge. Wir verließen den Hauptbahnzug und stiegen in eine Zweigbahn, die aus kleinen mit Leinwand gedeckten Wagen bestand, von denen jeder etwa für zwölf Personen Platz hatte. Wurden die Vorhänge aufgezogen, so saß man ganz im Freien, fühlte sich äußerst behaglich, konnte die frische Luft einatmen und sich nach allen Seiten umsehen. Es war eine Vergnügungsfahrt, nicht nur dem Namen nach, sondern in Wirklichkeit.

Nach einer Weile hielten wir an einem kleinen hölzernen Bahngebäude mitten im dichten Walde unter großen Bäumen, Gebüsch und Schlingpflanzen in der Nähe eines düstern Dschungels. Hier haust der bengalische Königstiger in großer Menge und benimmt sich sehr frech und rücksichtslos. Von der einsamen kleinen Station wurde einmal folgende Depesche an den Bahnhofsinspektor in Kalkutta abgesandt: »Ein Tiger frißt eben den Bahnwärter auf der vorderen Veranda. Telegraphieren Sie mir Verhaltungsmaßregeln.«

Ich ging dort zum erstenmal auf die Tigerjagd und tötete vierzehn Stück. Bald fuhren wir weiter, und der Zug klomm den Berg hinauf. An einer Stelle kamen sieben wilde Elefanten über die Schienen, aber zwei von ihnen liefen davon, ehe ich sie erreichen konnte. Die Fahrt im Gebirge beträgt vierzig Meilen und dauert acht Stunden. Sie sollte eine ganze Woche in Anspruch nehmen, weil sie so interessant, aufregend, wild und entzückend ist. Die tropische Vegetation war vollständig vertreten. Ich glaube der Dschungel enthielt Exemplare jeder seltenen oder merkwürdigen Baum- und Buschart, von der wir jemals gehört haben. Aus dieser Schatzkammer der Pflanzenwelt muß der ganze Erdball mit allen Gewächsen versehen worden sein, die für uns am köstlichsten und wertvollsten sind. Es ist reizend, wie sich der Weg fortwährend dreht und windet. Er führt bald unter hohen Felsenklippen hin und her, die in Laubwerk und Schlingpflanzen förmlich begraben sind, bald am Abhang unergründlich tiefer Schluchten entlang. Dabei begegnet man fort und fort endlosen Reihen malerisch aussehender Eingeborener, welche Lasten den Berg hinauftragen oder von ihrer Arbeit in den Teegärten droben zurückkehren. Einmal trafen wir auch auf einen Hochzeitszug im bunten Flitterstaat. Die hübsche, kindliche Braut guckte zwischen den Vorhängen ihres Palankins heraus und zeigte ihr Gesicht mit solchem Vergnügen, wie es nur junge und glückliche Menschen empfinden, wenn sie etwas Verbotenes tun.

Wir kamen allmählich bis zu den Wolken hinauf und schauten von unserer luftigen Höhe hernieder auf ein wunderbares Bild: Von Wolkenschatten gefleckt, mit glänzenden Strömen durchzogen, lag die indische Ebene vollkommen flach, aber weich und anmutig in der glühenden Hitze da. Gerade unter uns, tiefer und immer tiefer, bis zum Tal hinab, schob sich ein Gewirr kahler Bergspitzen durch einander, über welche sich Straßen und Pfade, gleich mattgelben, schmalen Bändern, in zahllosen deutlich erkennbaren Krümmungen und Windungen schlängelten.

Als wir die Höhe von 6 000 Fuß erreichten, umgab uns eine dichte Wolkenschicht, welche die übrige Welt vor unsern Blicken derart verhüllte, daß sie überhaupt nicht wieder zum Vorschein kam. Wir klommen nun noch 1 000 Fuß höher, dann senkte sich der Weg und wir erreichten Dardschiling, das 6 000 Fuß über der Ebene liegt.

Auf unserer Fahrt hatten wir in vielen Gebirgsdörfern eine ganz neue Gattung Eingeborener zu sehen bekommen, die größtenteils dem kriegerischen Stamme der Ghurkas angehörten. Sie sind nicht groß, aber stark gebaut und voll Tatkraft, auch liefern sie die besten Soldaten unter den eingeborenen britischen Truppen. Ihre Frauen kamen uns scharenweise entgegen; sie kletterten den steilen Weg vom Tal bis zu ihrer Wohnstätte in den Bergen vierzig Meilen weit empor und hatten dabei noch schwere Körbe auf dem Rücken, zu deren besserem Halt sie ein Gurtband um die Stirn trugen. Wieviele hundert Pfund die Last wog, will ich gar nicht erst sagen; es würde mir doch niemand glauben. Es waren noch junge Frauen, die unter ihrer zentnerschweren Bürde so leicht einherschritten, als ob sie zum Tanze gingen. Man sagte mir, eine Frau könne ein Klavier auf dem Rücken den Berg hinan tragen, und das hätten schon viele getan. Wären es alte Frauen gewesen, so würde ich die Ghurkas für ebenso unzivilisiert halten wie die Europäer.

Am Bahnhof von Dardschiling warten auf den Reisenden statt der Droschken eine Menge offener Särge, in die man steigt, um sich von Männern auf der Schulter die steilen Wege zur Stadt hinan tragen zu lassen.

Oben fanden wir ein ziemlich behagliches Hotel, dessen Besitzer die Bequemlichkeit und Sorglosigkeit selber war. Er überläßt die Wirtschaft dem Heer seiner indischen Diener und kümmert sich um nichts. Das heißt, nein – die Rechnung sieht er doch durch, und der Fremde wird wohl daran tun, seinem Beispiel zu folgen. Ein Bewohner des Hotels sagte mir, daß der Gipfel des Kinchinjunga oft von Wolken verhüllt wird, so daß die Fremden schon manchmal drei Wochen lang gewartet haben und zuletzt doch fortgehen mußten, ohne ihn zu Gesicht zu bekommen. Trotzdem waren sie nicht enttäuscht, denn als man ihnen die Hotelrechnung einhändigte, fanden sie diese so hoch, daß sie überzeugt waren, es könne überhaupt nichts Höheres auf dem Himalaja zu sehen geben. Doch das halte ich für erlogen.

Nach meiner Vorlesung ging ich noch abends in das Klubhaus, wo es mir sehr gut gefiel. Wegen seiner hohen Lage bietet es umfassende Aussicht; man kann dreißig Meilen weit bis zur Grenze sehen, wo drei oder vier Länder zusammenstoßen, Nepal glaube ich und Tibet, die beiden andern weiß ich nicht mehr.

Am nächsten Morgen, es war Sonntag, kamen Bekannte in aller Frühe mit Pferden, und unsere Gesellschaft unternahm einen Ritt nach dem Aussichtspunkt, von wo sich Kinchinjunga und Mount Everest am vorteilhaftesten darstellen. Ich zog jedoch vor, zu Hause zu bleiben, denn ich fand es kalt, und die Pferde waren mir so wie so fremd. Mit ein paar wollenen Decken und meiner Pfeife saß ich zwei Stunden lang am Fenster und sah wie die Sonne die Morgennebel vertrieb, wie sie die Schneespitzen eine nach der andern blaßrot und goldig malte und zuletzt den ganzen mächtigen Gebirgsstock in ein Meer der herrlichsten Farben tauchte.

Der Kinchinjunga kam zwar nur dann und wann zum Vorschein, doch hob er sich jedesmal mit großer Klarheit gegen den Himmel ab. Er ragte 28 000 Fuß über der Meeresfläche in das blaue Gewölbe hinauf, meilenweit über mir, so hoch wie ich mein Lebtag kein Land gesehen hatte. Mount Everest ist noch 1 000 Fuß höher, doch gehörte er nicht zu dem Haufen von Bergspitzen, die sich da vor mir auftürmten. Daß ich ihn nicht zu sehen bekam, machte mir keinen Kummer; ein Berg von so übermäßiger Höhe würde mir unangenehm gewesen sein.

Von den Hinterfenstern des Hauses ging ich dann nach der Vorderseite, wo ich den Rest des Morgens damit verbrachte, die dunkelfarbigen Genossen der verschiedenen Stämme vorbeifluten zu sehen, die aus ihren fernen Heimstätten im Himalaja kamen.

Jedes Alter und Geschlecht war vertreten und die Rassen waren mir ganz neu, obwohl die Tibetaner durch ihre Tracht an Chinesen erinnerten. Daß die Gebetsmühle häufig in Anwendung kam, brachte mir die Leute näher – ich fühlte mich ihnen verwandt. Auch wir lassen uns oft beim Gebet durch unsern Pfarrer vertreten; zwar wirbeln wir ihn nicht um einen Stock herum, doch ist das kein wesentlicher Unterschied. –

Stundenlang sah ich den Strom an mir vorübereilen; schade, daß das seltsame, fesselnde Bild dort so gut wie verloren war. Hätte sich der bunte Schwarm durch die Städte Europas oder Amerikas ergossen, welches Labsal wäre es für die Menschen gewesen, denen das ewige Einerlei der Zirkusvorstellungen nicht mehr genügt. Was führte aber die Eingeborenen in solcher Unmenge herbei? – Sie hatten sich aufgemacht, um den Bazar zu besuchen, wo sie Waren zum Verkauf ausbieten wollten. Später nahmen wir diesen fremdartigen Kongreß wilder Völkerschaften gleichfalls in Augenschein. Wir drängten uns hier und da durch die Menge und kamen zu dem Schluß, daß es schon allein um dieses Schauspiels willen der Mühe wert sein würde, von Kalkutta herzureisen, selbst wenn es keinen Kinchinjunga und Mount Everest auf der Welt gäbe.

Erstes Kapitel.

Erstes Kapitel.

Vergib und vergiß! Das ist nicht schwer, wenn man’s nur recht versteht: Wir sollen unbequeme Pflichten vergessen und uns vergeben, daß wir sie vergessen haben. Bei strenger Übung und festem Willen gewöhnt man sich leicht daran.

Querkopf Wilsons Kalender.

Montag, 23. Dezember 1895. Von Sydney nach Ceylon in dem P. und O. Dampfer ›Oceana‹ abgesegelt. Die Mannschaft besteht aus Laskaren, den ersten, die ich je gesehen habe. Sie tragen weißbaumwollene Unterröcke und Beinkleider, einen roten Schal als Gürtel; auf dem Kopf einen Strohhut ohne Krempe; gehen barfuß; Gesichtsfarbe dunkelbraun, Haar kurz, glatt und schwarz; schöner Schnurrbart, glänzend, seidenweich und tiefschwarz. Sanfte, gute Gesichter; willige, gehorsame Leute, auch arbeitstüchtig. Doch sagt man, daß sie in der Stunde der Gefahr vor Angst völlig den Kopf verlieren. Sie kommen von Bombay und der benachbarten Küste. Die ›Oceana‹ ist ein großes, prächtig ausgestattetes Schiff, das alle Bequemlichkeit bietet; es hat geräumige Promenadendecks, große Zimmer und eine gut ausgewählte Offiziersbibliothek, was nicht häufig vorkommt … Zu den Mahlzeiten wird man durch Hornsignale gerufen, wie auf Kriegsschiffen; man ist froh das schreckliche Gong einmal los zu sein … Wir haben drei große Katzen an Bord, sehr leutselige Bummler, die sich auf dem ganzen Schiff herumtreiben; die weiße Katze folgt dem Proviantmeister überallhin wie ein Hund; auch ein Korb mit jungen Kätzchen ist da. Wenn das Schiff in den Hafen kommt, sei es in England, Indien oder Australien, so begibt sich der eine Kater ans Land, um zu sehen, wie es seinen verschiedenen Familien ergeht, und man bekommt ihn erst wieder zu Gesicht, wenn das Schiff im Begriff ist, die Anker zu lichten. Woher er das Datum der Abfahrt weiß, kann niemand sagen; vermutlich kommt er täglich nach dem Hafendamm und sieht sich um; wenn viel Gepäck an Bord geschafft wird und die Passagiere sich einfinden, merkt er daran, daß es auch für ihn Zeit ist, wieder das Schiff zu besteigen. Wenigstens glauben das die Matrosen …

Tischgespräche: Ein Passagier äußerte: »Meinen Sie, echter Mokka werde in der ganzen Welt verkauft? Denkt gar nicht daran! Sehr wenige Fremde, außer dem Kaiser von Rußland, bekommen in ihrem ganzen Leben auch nur eine Bohne davon zu sehen.« Ein anderer Mann sagte: »Australischer Wein hat in Australien keinen Absatz. Man schickt ihn nach Frankreich, von wo er als französische Sorte zurückkommt, dann kaufen ihn die Leute.« – Ich habe oft behaupten hören, daß der französische Rotwein, welchen New York trinkt, meist in Kalifornien gekeltert wird. Auch erinnerte ich mich, was mir Professor S. einmal über Veuve Cliquot erzählt hat. Er war bei einem großen Weinhändler zu Besuch, dessen Wohnort nicht weit von jenem berühmten Weinberg lag, und sein Wirt fragte ihn, ob in Amerika viel Veuve Cliquot getrunken würde.

»O ja,« erwiderte S., »außerordentlich viel.«

»Kann man die Marke leicht bekommen?«

»Ohne alle Schwierigkeit; sämtliche Hotels erster und zweiter Klasse führen sie.«

»Was bezahlt man dafür?«

»Je nach dem Hotel fünfzehn bis zwanzig Franken die Flasche.«

»Was für ein glückliches Land! Hier an Ort und Stelle kostet sie mindestens hundert Franken.«

»Nein!«

»Doch!«

»Sie glauben also, daß wir drüben bei uns nicht echten Veuve Cliquot trinken?«

»Keine Rede. Seit Columbus‘ Zeiten ist noch nicht eine einzige Flasche vom echten Gewächs nach Amerika gekommen. Der Weinberg, welcher es liefert, ist so klein, daß er nicht allzuviele Flaschen ergibt, und der Ertrag wird alljährlich einer einzigen Person zugeschickt – dem Kaiser von Rußland. Er kauft die ganze Ernte zum voraus, mag sie klein oder groß sein.«

*

4. Januar 1896. Weihnachten in Melbourne, Neujahr in Adelaide. Wiedersehen mit den meisten Bekannten in beiden Städten … Jetzt liegen wir hier in Westaustralien vor Albany im König Georgs Sund. Es ist ein ganz vom Land eingeschlossener Hafen oder vielmehr eine Reede – anscheinend sehr geräumig, aber kein tiefes Wasser. Ringsum kahle Felsen und zerklüftete Hügelketten. Die Schiffe kommen jetzt in Menge an, alles strömt nach der Goldgegend. Die Zeitungen wissen wunderbare Dinge zu berichten, wie sie immer im Umlauf sind, wenn neue Goldfelder entdeckt werden. Zum Beispiel: Ein junger Mann hatte eine Parzelle in Besitz genommen, von der er die Hälfte für fünf Pfund verkaufen wollte; aber, es fand sich kein Liebhaber. Vierzehn Tage lang harrte er aus, trotz Hunger und Not, dann stieß er auf eine Goldader und verkaufte die Grube für 10 000 Pfund …

Gegen Sonnenuntergang erhob sich eine frische Brise, und wir lichteten den Anker. Aus der kleinen tiefen Wasserlache, auf der wir schwammen, führte ein schmaler, dicht mit Bojen besetzter Kanal ins Meer hinaus. Ich blieb auf Deck, um zu sehen, wie unser großes Schiff bei dem starken Wind die Durchfahrt bewerkstelligen werde. Auf der Kommandobrücke stand der Kapitän, ein wahrer Riese, neben ihm ein kleiner Lotse in prächtiger Uniform mit Goldschnüren; auf dem Vorderdeck ein weißer Maat, ein paar Quartiermeister und eine bunte Menge Laskaren, zur Arbeit gerüstet. Unser Heck war gerade auf den Eingang des Kanals gerichtet, das Schiff mußte also in der Wasserlache eine vollständige Schwenkung machen, und das war bei solchem Wind keine Kleinigkeit. Aber es gelang ganz prächtig mit Hilfe eines Klüvers. Wir wühlten zwar viel Schlamm auf, kamen aber nicht auf den Grund und drehten uns in der eigenen Wasserspur um – anscheinend ein Ding der Unmöglichkeit. Als wir die Drehung glücklich gemacht hatten und der Schiffsschnabel nach dem Kanal zu stand, lag die erste Boje kaum noch hundert Meter vor uns. Es war mir eine Lust gewesen, das Manöver mit anzusehen; die übrigen Passagiere verzehrten inzwischen ihr Mittagbrot, meines kam der P. und O. Gesellschaft zugute … Es zeigen sich noch mehr Katzen. Smythe sagt, das englische Gesetz befiehlt, auf der Fahrt Katzen mitzunehmen; er wußte von einem Fall, wo das Schiff nicht unter Segel gehen durfte, bis man sich ein paar verschafft hatte. Die Rechnung kam auch gleich mit: »Preis für zwei Katzen – zwanzig Schillinge« … Wir haben einen Geier an Bord mit kahlem rotem Kopf von seltsamer Form; am Körper hat er hier und da rote Stellen ohne Federn, seine großen, schwarzen Augen sind von fleischigen, brennendroten Rändern umgeben. Er sieht wie ein vollkommener Wüstling aus, wie ein gewissenloser, eigensüchtiger Räuber und Mörder. Und doch bringt der Vogel nichts Lebendiges um. Weshalb mag ihm die Natur nur eine so grimmige Außenseite gegeben haben, die gar nicht zu seinem unschuldigen Geschäft paßt! Er nährt sich nämlich nur von Aas, das ihm um so besser zusagt, je älter es ist. Trüge er ein schäbiges, schwarzes Federkleid, so wäre alles in Ordnung; er gliche dann einem Leichenbestatter und sein Aeußeres würde mit seiner Beschäftigung im Einklang stehen. Der Geier stammt aus der öffentlichen Menagerie von Adelaide, einer großen und sehr interessanten Sammlung.

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5. Januar. Um neun Uhr morgens kamen wir am Kap Leeuwin (Löwin) vorüber und mußten nun, nach der ganz westlichen Fahrt längs dem Südrande von Australien, unsere Richtung ändern. Wir fahren in einer schrägen, nordwestlichen Linie nach Ceylon hinauf. Je höher wir kommen, um so heißer wird es, aber kühl ist es auch hier nicht gerade.

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13. Januar. Eine unerträgliche Hitze. Der Aequator kommt immer näher; die Entfernung beträgt nur noch acht Grad. Da ist Ceylon! O, wie wunderschön! Welche tropische Pracht, welcher Reichtum üppigen Laubwerks! Die Hauptstadt Colombo ist ganz orientalisch und unaussprechlich reizend …

In unserm vornehmen Schiff kleiden sich die Passagiere zu Mittag um. Die schönen, buntfarbigen Toiletten der Namen passen ganz zu der hochfeinen Ausstattung aller Räume und dem strahlenden Glanz der elektrischen Beleuchtung. Auf dem stürmischen Atlantischen Ozean sieht man die Passagiere nie im Gesellschaftsanzug. Höchstens einen Mann, der sich aber nur einmal während der langen Reise blicken läßt – am Abend ehe das Schiff in den Hafen kommt, wenn das Konzert stattfindet mit Dilettanten-Geheul und Deklamationen. Er übernimmt meist die Tenorpartie … Sonderbarerweise ist an Bord viel Cricket gespielt worden; das Promenadendeck wurde mit Netzen überspannt, so daß der Ball nicht ins Wasser fallen konnte. Das Spiel nahm einen guten Fortgang und gewahrte die nötige An- und Aufregung … Jetzt sagen wir der ›Oceana‹ Lebewohl.

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14. Januar. Hotel Bristol. Der Diener Namens Brampy ist ein flinker, sanfter, lachender, brauner Singhalese mit schönem, glänzend schwarzem Haar. Er trägt es wie ein Mädchen zurückgekämmt, in einen Knoten geschlungen und mit dem Schildpattkamm aufgesteckt. Brampy ist schlank und hübsch von Gestalt. Unter der Jacke hat er ein weißes, baumwollenes Gewand an, das ihm ohne Gürtel vom Hals bis zu den Füßen herabfällt. Weder er noch sein Anzug hat irgend etwas Männliches; es ist eine ordentliche Verlegenheit sich vor ihm auszukleiden.

Wir fuhren nach dem Markt und benutzten zum erstenmal den japanischen Jinrickscha, einen leichten Karren, den ein Eingeborener zieht. Anfänglich geht die Fahrt gut von statten, aber für den Mann ist es eine sauere Arbeit, er ist nicht stark genug. Nach der ersten halben Stunde hört das Vergnügen auf, der Mann tut einem leid; man hat Mitleid mit ihm, wie mit einem müden Pferde und kann an nichts anderes mehr denken. Solche Rickschas sind in Menge vorhanden, und die Taxe ist unglaublich billig.

Vor Jahren war ich in Kairo; da ist man im Orient – aber doch nicht ganz, weil man eine unbestimmte Empfindung hat, daß noch etwas mangelt. In Ceylon ist das anders, dort fehlt nichts mehr. Der Orient und die Tropenwelt finden sich da in größter Vollkommenheit vereinigt und unser natürliches Gefühl sagt uns, daß diese zwei zusammen gehören. Nein, man vermißte gar nichts. Alle Kostüme waren echt, desgleichen die schwarzen und braunen Menschen in ihrer unbewußten Nacktheit. Die Gaukler waren da, mit dem unvermeidlichen Korb, den Schlangen, der Manguste und allen Vorkehrungen, um aus dem Samenkorn einen Baum mit Laubwerk und reifen Früchten emporwachsen zu lassen. Ueberall sah man Blumen und Pflanzen, die man zwar aus Abbildungen kannte, aber in Wirklichkeit nie erblickt hatte, weil diese seltenen, wunderbaren und köstlichen Gewächse nur in der heißen Zone, am Aequator, gedeihen. Auch wußte man, daß in der nächsten Umgegend die tödlichen Giftschlangen und grimmigen Raubtiere hausen, samt den Affen und wilden Elefanten. In der Luft lag eine Schwüle, wie sie nur in den Tropen vorkommt, eine erstickende Hitze, von unbekannten Blumendüften geschwängert; dann verbreitete sich plötzlich eine purpurne Finsternis, aus welcher grelle Blitze zuckten; der Donner krachte, der Regen goß in Strömen – gleich darauf lachte wieder alles im Sonnenschein. Und weit ab, im undurchdringlichen Dschungel und dem fernen Gebirge lagen die verfallenen Städte und alten Tempelruinen als geheimnisvolle Ueberbleibsel von der Herrlichkeit vergessener Tage und einer verschwundenen Menschenrasse. Auch dies Bewußtsein war unentbehrlich, wenn es einem wirklich orientalisch zu Mute werden sollte, denn dabei darf vor allem der Eindruck des Düstern, Rätselhaften und Altertümlichen nicht fehlen.

Die Fahrt durch die Stadt und am Seestrande entlang war wie ein Traumbild von tropischem Glanz, Blütenpracht und orientalischem Farbenreichtum. Die zu Fuß einherwandelnden Gruppen von Männern, Frauen, Knaben, Mädchen und kleinen Kindern glühten wie Feuerflammen in ihrer strahlenden Gewandung. Alle Farben des Regenbogens und leuchtender Blitze mischten sich hier aufs wunderbarste und verschmolzen zur wohltuendsten Harmonie. Nirgends fühlte sich das Auge verletzt durch zu grelle Töne, keine Farbe stach unangenehm von der andern ab; auch wenn verschiedene Gruppen in Berührung kamen, wurde die wunderbare Farbenwirkung nicht im mindesten gestört. Die Kleider waren aus dünnem, zartem, sich weich anschmiegendem Seidenstoff, meist in ganz bestimmten, satten Farben: ein prächtiges Grün, ein prächtiges Blau, ein prächtiges Gelb, ein prächtiges Lila, ein prächtiges Rubinrot von leuchtendem Glanz – so zogen sie in zahllosem Gewimmel, in Massen, scharenweise vorüber, glühend, blitzend, strahlend – dazwischen alle Augenblicke ein so blendendes Feuerrot, daß einem das Herz im Leibe lachte und man den Atem anhielt vor Staunen. Und wie anmutig waren diese Trachten! Oft bestand der ganze Anzug einer Frau nur in der Schärpe, die sie um den Kopf und Leib gewunden hatte, oder der Mann hatte einen Turban auf und ein paar Lappen nachlässig um die Hüften geschwungen. Bei beiden kam die dunkle glänzende Haut dazwischen ungehindert zum Vorschein, und immer erfreute der Anblick der Gestalten Auge und Herz.

Noch heutigen Tages sehe ich dies köstliche Panorama in seiner überschwenglichen Farbenfülle und dem Schmelz der bunten Schattierungen vor mir; die geschmeidigen, halb unbekleideten Gestalten, die schönen braunen Gesichter, die anmutigen Stellungen und freien, zwanglosen Bewegungen, bei denen von Förmlichkeit und Steifheit keine Rede war.

Aber ach, da kam ein schriller Mißklang in diesen paradiesischen Zaubertraum: Aus der Tür einer Missionsschule schritten paarweise sechzehn kleine, fromme, gesetzte, schwarze Christenmädchen in europäischem Anzug. Ganz so ausstaffiert hätte man sie an einem Sommersonntag in jedem englischen oder amerikanischen Dorfe sehen können. Wie namenlos häßlich waren diese Kleider! Abscheulich, barbarisch, geschmacklos, unanmutig, alle Gefühle verletzend! Ich blickte auf die Kleider meiner Damen: sie glichen in vergrößertem Maßstab genau den greulichen Verunstaltungen, mit denen man jene armen, kleinen, mißhandelten Geschöpfe quälte – ich schämte mich, mit Frau und Tochter auf der Straße zu gehen. Nun sah ich meine eigene Kleidung an und schämte mich vor mir selber.

Aber was hilft es – wir müssen uns darein ergeben unsere Kleider zu tragen wie sie sind und können ihre Daseinsberechtigung nicht leugnen. Freilich dienen sie dazu, gerade das auszuposaunen, was wir verbergen möchten – unsere Unaufrichtigkeit und versteckte Eitelkeit. Wir heucheln für Anmut, Wohlgestalt und Farbenglanz eine Geringschätzung, die wir nicht haben, und ziehen die häßlichen Kleider an, um diese Lüge glaubhaft zu machen und weiter zu verbreiten. Noch täuschen wir damit unsere Nächsten nicht, und wenn wir nach Ceylon kommen, werden wir alsbald inne, daß wir uns nicht einmal selbst zu täuschen vermögen. Ja, gestehen wir es nur: wir lieben leuchtende Farben und anmutige Trachten, und wenn wir sie zu Hause bei einem Festzug sehen können, achten wir weder Regen noch Sturm und beneiden die geschmückten Teilnehmer. Wir gehen ins Theater, staunen die Kostüme an und sind betrübt, daß wir uns nicht auch so kleiden können. Beehrt uns der König mit einer Einladung zum Hofball, so betrachten wir die prächtigen Uniformen und strahlenden Ordenszeichen mit wahrem Hochgenuß. Wird uns gestattet, einer kaiserlichen Cour beizuwohnen, so schließen wir uns vorher zu Hause ein, stolzieren stundenlang in unserm schönen Gala-Anzug einher, bewundern uns im Spiegel und fühlen uns unaussprechlich glücklich. Auch jeder Beamte im Stabe jedes Gouverneurs im demokratischen Amerika macht es ebenso mit seiner neuen Staatsuniform, und wenn man nicht aufpaßt, um ihn rechtzeitig zu hindern, läßt er sich gewiß auch darin photographieren. So oft ich die Diener des Lord-Mayors sehe, fühle ich mich unzufrieden mit meinem Lose. Kurz und gut: unsere Kleider sind seit hundert Jahren nichts als Lug und Trug gewesen. Sie sind ebenso unwahr wie unschön und vollkommen geeignet unser inneres Scheinwesen und moralisches Verderben ins rechte Licht zu stellen.

Der kleine braune Junge, den ich zuletzt unter den sich drängenden Scharen von Colombo bemerkte, hatte nichts an, außer einem um die Hüften geschlungenen Bindfaden, aber in meiner Erinnerung bildet der ehrliche Mangel seiner Bekleidung einen wohltuenden Gegensatz zu der widerwärtig scheinheiligen Vermummung, in welche man die farbigen Dämchen aus der Sonntagsschule gesteckt hatte.