Fünftes Kapitel.

Fünftes Kapitel.

Belehrendes.

Ich erlaube mir, den geneigten Leser im voraus zu benachrichtigen, daß ich in diesem Kapitel einige statistische Bemerkungen zu machen gedenke, damit er es überschlagen kann, wenn er will.

Im Jahre 1863, zur Zeit unseres höchsten Glanzes, glich Virginia einem wahren Bienenstock, so schwärmte es darin von Menschen und Wagen, doch ließ sich das von ferne schwer erkennen, da die Stadt im Sommer meist in eine dichte Wolke Alkalistaub eingehüllt war. Fuhr man zehn Meilen weit in diesem Staub dahin, so wurden Pferde und Menschen mit einer eintönig blaßgelben Kruste überzogen und im Wagen lag der Staub mindestens drei Zoll hoch, da ihn die Räder aufwühlten und hineinwarfen. Dabei ist dieser Alkalistaub so fein, daß er sogar in das luftdicht verschlossene Glasgehäuse eindringt, in welchem der Wardein seine äußerst empfindlichen Probierwagen aufbewahrt, deren Genauigkeit dadurch beeinträchtigt wird.

Es war damals die Zeit der gewagtesten Spekulationen, doch wurden auch solide Geschäfte in Menge abgeschlossen und es herrschte der großartigste Handelsverkehr. Von Kalifornien aus schaffte man alle Frachtgüter in ungeheuren Wagen über das Gebirge, denen oft eine so lange Reihe von Maultieren zum Vorspann diente, daß es ganz den Anschein hatte, als reiche der große Wagenzug, wie eine endlose Prozession, von Virginia nach Kalifornien hinüber. An dem aufgewirbelten Staub, der sich gleich einer ungeheuren Schlange durch die Wüstengegend wälzte, ließ sich die Richtung der Handelsstraße in dem Territorium leicht erkennen.

Die Lasten wurden die ganze Strecke von hundertfünfzig Meilen auf Transportwagen für den Preis von 100 bis 200 Dollars das Tonnengewicht (2000 Pfd.) nach dem Ort ihrer Bestimmung befördert. Eine einzige Firma in Virginia erhielt monatlich 100 Tonnen Fracht und bezahlte dafür 10,000 Dollars. Im Winter stiegen die Preise noch bedeutend. Alles Edelmetall wurde in Barren mit der Post nach San Francisco geschafft. Ein solcher Barren war meist doppelt so groß als eine Mulde, wie sie beim Bleiguß benützt wird, und zwischen 1500 und 3000 Dollars wert, je nach der Menge Goldes, die sich im Silber vorfand. Bei größeren Sendungen belief sich der Frachtsatz auf Fünfviertel Dollars für hundert Dollars des wirklichen Metallwerts, bei kleineren auf zwei Dollars. Die Fracht für einen Barren betrug daher im Durchschnitt etwas über 25 Dollars. Es gingen täglich drei Posten hin und her und ich habe oft gesehen, daß die nach Kalifornien bestimmten Postwagen eine Drittel Tonne in Silberbarren mitnahmen; manchmal teilten die drei Wagen sogar eine Last von zwei Tonnen unter sich, doch waren das nur Ausnahmefälle. Zwei Tonnen Rohsilber machten etwa 40 Barren aus, deren Fracht über 1000 Dollars kostete. Außerdem wurde mit jeder Postkutsche noch viel gewöhnliche Fracht befördert und zwischen fünfzehn bis zwanzig Passagiere, welche ein Personengeld von 25 und 30 Dollars bezahlten.

Die Firma Wells, Fargo und Co., in deren Händen der Postverkehr mit Virginia City lag, hatte demnach einen sehr bedeutenden und einträglichen Geschäftsbetrieb. In anderthalb Jahren wurden, wie mir der langjährige Agent der Firma, Valentin, mitteilte, Silberbarren im Wert von 5,330,000 Dollars befördert.

Von Virginia und Goldhill aus erstreckt sich in einer Länge von mehreren Meilen die große Comstock-Mine, eine Metallader von fünfzig bis achtzig Fuß Dicke, welche in Felswände eingeschlossen ist. Die Ader ist so breit wie manche Straße von New-York. Will man sich einen Begriff davon machen, was das heißt, so braucht man nur zu bedenken, daß in Pennsylvanien ein acht Fuß breites Kohlenlager schon für bedeutend gilt.

Außer dem Virginia über der Erde, einer geschäftigen Stadt mit vielen Straßen und Häusern, gab es demnach noch eine andere, unterirdische Stadt, in der eine zahlreiche Bevölkerung aus und ein ging. Hunderte von Menschen sah man sich dort durch die verworrenen Labyrinthe der Tunnels und Stollen drängen und beim Schein der unruhig flackernden Grubenlichter hierhin und dorthin huschen. Über ihren Häuptern erhoben sich die ungeheuren Balkengerüste, welche die Mauern des ausgehöhlten Comstocks auseinander hielten; die einzelnen Stützen hatten Manneslänge und die Grubenzimmerung ging zu so beträchtlicher Höhe hinauf, daß von unten kein menschliches Auge so weit zu dringen vermochte und sich ihr Ende im Dunkel verlor; sie war zwei Meilen lang, sechzig Fuß breit und höher als der höchste Kirchturm in Amerika. Man kann sich kaum eine Vorstellung davon machen, was es gekostet haben muß, diesen Wald von Bauholz in den Tannenforsten jenseits des Washoe-Sees zu fällen, um ihn für unsinnige Frachtsätze bis nach dem Mount Davidson zu schaffen, auf dessen Höhe sich Virginia City erhebt, das Holz dann zuzuhauen, in den Grubenschacht hinabzulassen und dort zurecht zu zimmern. Wenn zwanzig reiche Kapitalisten ihr Gesamtvermögen zusammenthäten, so würde das kaum ausreichen, um die Zimmerung zu bezahlen, welche zu einer einzigen dieser großen Silberminen gehört. Ein spanisches Sprichwort sagt, man brauche eine Goldgrube zum Betrieb einer Silbergrube und das ist nur zu wahr. Wer nichts besitzt als ein Silberbergwerk, weder Mittel hat es auszubeuten noch Gelegenheit zum Verkauf, der ist der ärmste Bettler von der Welt.

Ich habe von dem unterirdischen Virginia als von einer Stadt gesprochen. Um eine Vorstellung davon zu geben, führe ich nur an, daß die Gould- und Curry-Grube, welche nur eine von vielen anderen ist, Stollen und Tunnels in der Länge von fünf Meilen hatte und 500 Arbeiter beschäftigte. Alles in allem aber betrug die Länge der Straßen jener unterirdischen Stadt einige dreißig Meilen und ihre Bevölkerung 5 – 6000 Arbeiter. Manche derselben sind in einer Tiefe von 12 – 1600 Fuß unter den Häusern von Virginia und Goldhill im Innern der Erde beschäftigt und man bedient sich des elektrischen Stroms, um die Signalglocken anzuschlagen, durch welche der Grubendirektor ihnen Anweisung bei der Arbeit erteilt. Stürzt einmal ein Bergmann in einen 1000 Fuß tiefen Schacht hinab, wie das dort zuweilen vorkommt, so begnügt man sich bei solchem Fall gewöhnlich damit, die Leichenschau zu halten.

Neunzehntes Kapitel.

Neunzehntes Kapitel.

Ich komme jetzt zu einer seltsamen Episode – der seltsamsten, wie mir scheint, die ich bisher in meinem trägen, unnützen und sorglosen Lebenslauf zu verzeichnen gehabt. Gegen das obere Ende der Stadt zu besaß eine der ›Weite Westen‹ genannte Gesellschaft ein aller Welt bekanntes Quarzlager, aus dessen Schacht Gestein von ziemlich gutem, wenn auch keineswegs außerordentlichem Silbergehalte gefördert wurde. Ich bemerke hier, daß, während dem unerfahrenen Fremden aller Quarz aus einem bestimmten Bezirke gleichartig vorkommt, ein alter Ansässiger jeden Brocken Gestein von dem andern unterscheiden und mit größter Leichtigkeit sagen kann, aus welcher Grube derselbe stammt.

Eine ungewöhnliche Aufregung machte sich plötzlich in der Stadt bemerkbar. Der ›Weite Westen‹ war auf eine reiche Ader gestoßen. Jedermann wollte sich die neue Entwicklung der Dinge ansehen und mehrere Tage lang drängte man sich um den Schacht wie zu einer Volksversammlung. Man sprach, man dachte und träumte von nichts anderem mehr, als von dem reichen Funde. Ein jeder nahm sich eine Probe mit, die er im Mörser zerstampfte und in seinem Hornlöffel ausspülte, und stierte dann sprachlos das wunderbare Ergebnis an. Es war schwarzes, verwittertes, bröckeliges Zeug, das, wenn es auf ein Papier gelegt wurde, eine starke Beimischung von Gold und gediegenen Silberteilchen aufwies. Higbie brachte eine Handvoll davon in die Hütte mit, und als er es ausgewaschen hatte, spottete sein Staunen jeder Beschreibung. Die Kuxe des ›Weiten Westens‹ stiegen wie auf Adlerflügeln in die Höhe. Wiederholt seien tausend Dollars für den Fuß geboten worden, sagte man, aber ganz vergebens. Ich war tief unglücklich; die Welt kam mir hohl, das Dasein erbärmlich vor. Ich verlor den Appetit und nahm an nichts mehr Anteil. Trotzdem mußte ich Ärmster dableiben, um den Jubel der andern mit anzuhören, weil ich lein Geld hatte um fortzukommen. Dem Wegtragen von ›Proben‹ setzte die Gesellschaft bald ein Ziel, und mit Recht; denn von dem Erz hatte jede Handvoll einen erheblichen Wert. Dasselbe wurde ganz wie es aus dem Schachte kam zu einem Dollar per Pfund verkauft und hundertfünfzig Meilen weit über das Gebirge auf Maultieren nach San Francisco geschafft, und dabei rechnete der Käufer noch auf ein gutes Geschäft. Der Faktor erhielt strengen Befehl, außer den eigenen Arbeitern keinem Menschen unter irgend welchen Umständen das Einfahren in die Grube zu gestatten. Ich verblieb bei meinen schwarzen Träumereien, während Higbie ebenfalls fortwährend seinen eigenen Gedanken nachhing; diese waren aber anderer Art. Er grübelte hin und her über das Gestein, prüfte es mit einem Vergrößerungsglase, untersuchte es bei verschiedenem Lichte und von verschiedenen Gesichtspunkten, um nach jedem Versuche im Selbstgespräch stets dieselbe Meinung in der immer gleichen Formel kundzugeben:

»Das ist kein Gestein aus dem ›Weiten Westen!‹«

Um seiner Sache sicher zu sein, war er entschlossen, einen Blick in den Schacht zu thun, und sollte ihm dafür der Garaus gemacht werden. Mir in meiner Niedergeschlagenheit war es einerlei, ob er einen Einblick bekam oder nicht. Nach mehrmaligen vergeblichen, halsbrechenden Versuchen kroch er schließlich auf Händen und Füßen bis an den Rand des Schachts, ergriff, nachdem er schnell um sich geblickt, das Seil und glitt daran in die Tiefe. Als er unten eben im Dunkel eines Seitenganges verschwand, erschien oben am Schachtloch jemand mit dem Rufe: »Hallo!«, er antwortete jedoch nicht und blieb nun ungestört. Nach einer Stunde trat er in die Hütte, glühend heiß und beinahe platzend vor unterdrückter Aufregung.

»Ich wußte es ja! Wir sind reiche Leute! Es ist ein blinder Gang!« rief er in theatralischem Flüsterton.

Mir war, als wankte die Erde unter mir – Zweifel – Überzeugung – wiederum Zweifel – Jubel – Hoffnung, Staunen, Glaube, Unglaube, alle denkbaren Empfindungen schossen mir in tollem Wirbel durch Herz und Kopf, und ich war keines Wortes mächtig. Nachdem dieser geistige Erregungszustand kurze Zeit gedauert hatte, rüttelte ich mich zurecht und sagte:

»Sagen Sie es noch einmal.«

»Es ist ein blinder Gang.«

»Donner und Dona. Es ist zum verrückt werden. Ich möchte gleich unser Haus anzünden – oder jemand totschlagen! Wir wollen hinausgehen, wo Platz genug ist, um Hurra zu schreien! Aber, wozu? Es ist viel zu schön, um wahr zu sein!«

»Es ist ein blinder Gang – wette um eine Million! Hängende Wand – Fußwand – Thonumhüllung – alles, was dazu gehört!«

Er schwenkte seinen Hut und stieß ein dreimaliges Freudengeschrei aus; ich schickte nun meine Zweifel gleichfalls in alle Winde und stimmte aus Leibeskräften mit ein; ich war ja Millionär und scherte mich um keinen Teufel mehr.

Unter einem ›blinden Gang‹ versteht man eine Gesteinsschicht oder Ader, welche nicht zu Tage tritt, auf die man aber beim Treiben eines Stollens oder beim Senken eines Schachts oft zufällig stößt. Higbie kannte das Gestein des ›Weiten Westens‹ so genau, daß er bei jeder Prüfung der neuen Ausgrabungen fester zu der Überzeugung gelangte, daß dieses Erz nicht aus der Ader des ›Weiten Westens‹ stammen könne. So war er allein auf den Gedanken gekommen, daß unten im Schacht ein blinder Gang laufe und daß die Leute vom ›Weiten Westen‹ dies selbst nicht ahnten. Er hatte recht. Unten im Schacht fand er, daß der blinde Gang ohne Zusammenhang mit der Ader des ›Weiten Westens‹ diagonal durch diese durchging und seine eigene Umhüllung von Gestein und Thon hatte. Folglich war er öffentliches Eigentum. Da die beiden Erzschichten vollständig von einander abgegrenzt waren, konnte jeder Bergmann leicht unterscheiden, welche zum ›Weiten Westen‹ gehöre und welche nicht. Wir hielten es für zweckmäßig, uns einen einflußreichen Freund zu sichern und holten deshalb noch in jener Nacht den Faktor des Metten Westens‘ in unsere Hütte, um ihm die große Überraschung zu offenbaren. Higbie sagte:

»Wir werden von diesem blinden Gange Besitz nehmen; unser Eigentumsrecht feststellen und eintragen lassen und dann der Gesellschaft vom ›Weiten Westen‹ die weitere Ausbeutung von Erzen in diesem Gange untersagen. Sie können Ihrer Gesellschaft in dieser Angelegenheit nicht helfen, niemand kann ihr helfen. Ich werde mit Ihnen in den Schacht anfahren und Ihnen in überzeugender Weise darthun, daß es wirklich ein blinder Gang ist. Nun schlagen wir Ihnen vor: wir nehmen Sie zum Teilhaber an und belegen den blinden Gang im Namen von uns dreien. Was sagen Sie dazu?«

Was sollte jemand sagen, dem eine Gelegenheit geboten wurde, bei der er nur die Hand auszustrecken brauchte, um sich ein Vermögen zu verschaffen, ohne das Geringste zu wagen und ohne jemand unrecht zu thun oder seinen Namen mit dem geringsten Flecken zu verunehren? Er konnte nur sagen: ›Einverstanden!‹

Noch dieselbe Nacht wurde unsere Bekanntmachung angeschlagen und vor zehn Uhr in das Buch des Syndikus eingetragen. Wir belegten jeder zweihundert Fuß, im ganzen sechshundert; das kleinste und doch wertvollste Grubenfeld im ganzen Bezirk, dessen Ausbeutung überdies am wenigsten Mühe machte.

Es wird wohl niemand so unverständig sein, zu glauben, wir hätten in jener Nacht geschlafen. Ich ging mit Higbie um Mitternacht zu Bett, aber nur, um völlig wach da zu liegen, zu träumen und Pläne zu machen. Die ungedielte baufällige Hütte wurde uns zum Palast, die zerrissenen grauen Wolldecken zu Seidenteppichen; in unserem Hausgerät sahen wir Rosenholz- und Mahagonimöbel. Bei jedem neuen Prachtstück, das an der Oberfläche meiner Zukunftsträume erschien, wälzte ich mich im Bette umher oder schnellte auf, wie von einer elektrischen Batterie getroffen. In abgerissenen Bruchstücken flog die Unterhaltung zwischen uns hin und her.

»Wann gehen Sie nach Hause – nach den Staaten?« fragte Higbie.

»Morgen!« schrie ich, während ich mich ein paarmal umdrehte und dann aufsetzte. »Na – nein, aber spätestens nächsten Monat.«

»Wir wollen mit demselben Dampfer gehen.«

»Einverstanden.«

Pause.

»Mit dem Dampfer vom Zehnten?«

»Ja – nein vom Ersten.«

»Ganz recht.«

Wieder eine Pause.

»Wo werden Sie sich später niederlassen?«

»In San Francisco.«

»Ganz mein Fall.«

Abermals eine Pause.

»Zu hoch, zu viel Kletterei!« sagte Higbie dann.

»Was ist zu hoch?«

»Ich dachte an den Russenhügel – wollte mir dort ein Haus bauen.«

»Zu viel Kletterei? werden Sie sich denn nicht Wagen und Pferde halten?«

»Ach natürlich; daran dachte ich nicht.«

Pause.

»Was für ’ne Art Haus wollen Sie sich bauen?«

»Dachte eben daran. Drei Stock hoch und ein Dachgeschoß.«

»Aber welches Material?«

»Ja nun, das Weiß ich noch nicht genau; vermutlich Backstein.«

»Backstein – Schnack.«

»Warum? Was meinen Sie denn?«

»Vorderseite brauner Sandstein – Fenster französisches Spiegelglas – Billardzimmer hinter dem Speisesaal, Bildsäulen und Gemälde – Grasplatz, zwei Morgen groß, und Strauchwerk dabei – Gewächshaus – ein eiserner Kandelaber am Fuß der Treppe – Schimmel – Landauer und ein Kutscher mit einer Kokarde am Hut.«

»Himmeldonnerwetter!«

Lange Pause, dann fragte ich Higbie:

»Wann gehen Sie nach Europa?«

»Je nun, daran hatte ich noch nicht gedacht. Wann gehen Sie?«

»Im Frühjahr.«

»Wollen den ganzen Sommer fort bleiben?«

»Den ganzen Sommer? Ich bleibe drei Jahre fort.«

»Nein – wirklich in allem Ernst?«

»Ei freilich.«

»Dann geh‘ ich mit.«

»Nun, natürlich gehen Sie mit.«

»Nach welchem Teil Europas gehen Sie?«

»Nach allen Teilen. Nach Frankreich, England, Deutschland – Spanien, Italien, der Schweiz, Syrien, Griechenland, Palästina, Arabien, Persien, Ägypten – allenthalben – überall hin.«

»Ich thue mit.«

»Recht so.«

»Das muß aber einen Prachtausflug geben!«

»Vierzig bis fünfzigtausend Dollars wollen wir dran rücken, damit es einer wird.«

Wieder große Pause.

»Higbie, wir sind dem Fleischer sechs Dollars schuldig und er hat gedroht, uns nichts mehr –«

»Zum Henker mit dem Fleischer!«

»Amen.«

Und so ging es fort. Um drei Uhr fanden wir, daß es mit dem Schlafen doch nichts sei; so standen wir auf, spielten Cabbage und schmauchten unsere Pfeifen, bis es hell wurde. Ich hatte diese Woche das Kochen zu besorgen. Das war mir stets zuwider gewesen – jetzt war es mir ein Greuel.

Die Kunde von unserem Glück hatte sich über die ganze Stadt verbreitet. War die Aufregung zuvor schon groß gewesen, so war sie jetzt noch größer. Froh und glücklich wandelte ich durch die Straßen. Ich hörte von Higbie, dem Faktor wären für sein Drittel an der Grube zweimalhunderttausend Dollars geboten worden. Ich versetzte darauf, zu solch einem Preis zu verkaufen, fiele mir auch nicht ein. Na hatte ich schon eine andere, höhere Vorstellung von der Sache. Mein Preis war eine Million. Und ich glaube erst noch allen Ernstes, hätte man mir diesen Preis geboten, es würde nur die Wirkung gehabt haben, daß ich meinen Anteil behalten hätte, um noch mehr dafür zu bekommen.

Ich fand ein großes Vergnügen daran, reich zu sein. Man bot mir ein Pferd für dreihundert Dollars an gegen ein einfaches Zahlungsversprechen meinerseits ohne jede Bürgschaft. Dies gab mir ein deutlicheres Gefühl als alles andere, daß ich wirklich und zweifellos ein reicher Mann sei. Zahlreiche Beweise ähnlicher Art kamen nach, unter denen ich die Thatsache hervorhebe, daß der Fleischer uns zweimal so viel lieferte als wir bestellten, ohne ein Wort von der Bezahlung zu reden.

Nach den im Bezirke geltenden Vorschriften waren diejenigen, welche eine Erzschicht belegten, oder in Anspruch nahmen, verpflichtet, auf ihrem neuen Eigentum binnen zehn Tagen vom Datum der Belegung ab ein ordentliches Stück Arbeit zu thun, andernfalls war das Eigentum verfallen und jeder, der wollte, konnte hingehen und es für sich nehmen. Wir beschlossen deshalb, den nächsten Tag ans Werk zu gehen. Im Lauf des Nachmittags begegnete ich einem Bekannten Namens Gardiner, der mir mitteilte, Kapitän John Nye liege auf seinem Gute gefährlich krank und seine Frau sei allein nicht im Stande, ihm die dringend erforderliche Pflege und Aufmerksamkeit zu widmen. Ich erklärte ihm, wenn er einen Augenblick warten wolle, so würde ich mitgehen, um bei der Pflege des Kranken zu helfen. Ich lief nach der Hütte, um es Higbie zu sagen. Dieser war nicht da, ich ließ deshalb auf dem Tisch einen Zettel für ihn zurück und fuhr ein paar Minuten darauf in Gardiners Wagen aus der Stadt.

  1. ›Staaten‹ – die Staaten im Osten.

Zweites Kapitel.

Zweites Kapitel.

Es war Ende August, der Himmel war wolkenlos und das Wetter prachtvoll. Im Laufe einiger Wochen hatte mich das merkwürdige neue Heimatland wunderbar bezaubert, und ich nahm mir vor, meine Rückkehr nach den ›Staaten‹ einige Zeit aufzuschieben. Ich hatte mich völlig daran gewöhnt, einen schadhaften Schlapphut, ein blaues Wollhemd und die Hosen in den Stiefelschäften zu tragen und war stolz auf den Mangel von Rock, Weste und Hosenträgern. Es war mir so rüpelhaft und ›großschnäuzig‹ zu Mute (wie der Historiker Josephus sich in seinem schönen Kapitel über die Zerstörung des Tempels ausdrückt). Ein so schönes und romantisches Leben konnte es nicht wieder geben, davon war ich fest überzeugt. Ich war zwar Regierungsbeamter, allein das diente nur zum äußeren Glanz. Das Amt war eine reine Sinekure. Ich hatte nichts zu thun und bezog keinen Gehalt. Ich war Privatsekretär Sr. Majestät des Sekretärs und für zwei gab es noch nicht Schreiberei genug. So widmete ich meine Zeit dem Vergnügen in Gesellschaft von Johnny K. –, dem jungen Sohn eines Nabobs in Ohio, der sich hier zu seiner Erholung aufhielt. Er fand diese auch. Wir hatten von der wundersamen Schönheit des Tahoe-Sees reden hören und schließlich trieb uns die Neugier, denselben in Augenschein zu nehmen. Drei oder vier Mitglieder der Brigade waren dort gewesen, hatten ein paar Holzschläge an seinen Ufern abgegrenzt und in ihrem Lager einen Vorrat von Lebensmitteln zurückgelassen. Wir schnallten uns ein paar wollene Decken auf den Rücken, nahmen jeder eine Axt und machten uns auf – denn wir wollten uns auch einen Waldranch oder so etwas anlegen und vornehme Leute werden.

Wir waren zu Fuß. Der Leser wird es vorteilhafter finden, zu reiten. Man sagte uns, es sei elf Meilen Weges. Lange marschierten wir auf ebenem Boden, dann klommen wir mühsam einen vielleicht tausend Fuß hohen Berg hinauf und hielten Umschau. Kein See da. Wir stiegen auf der andern Seite wieder hinunter, gingen über die Thalmulde hinüber und quälten uns noch einen Berg hinauf, der uns drei- bis viertausend Fuß hoch vorkam, um abermals Umschau zu halten. Noch immer kein See. Müde und schweißtriefend setzten wir uns nieder und mieteten uns ein paar Chinesen, um die Leute zu verfluchen, die uns zum besten gehabt hatten. Nach dieser Erfrischung nahmen wir unsern Marsch mit erneuter Kraft und Entschlossenheit abermals auf. Zwei oder drei Stunden schleppten wir uns noch weiter, bis endlich mit einemmal der See vor uns lag – eine herrliche blaue Wasserfläche, sechstausend dreihundert Fuß über dem Meeresspiegel und von einer Kette schneebedeckter Berggipfel umrahmt, die sich noch volle dreitausend Fuß höher auftürmten. Es war ein riesiges Oval von reichlich achtzig bis hundert Meilen Umfang. Wie er so dalag, während die Schattenbilder der Berge sich herrlich auf seiner stillen Oberfläche wiederspiegelten, war ich überzeugt, daß es sicherlich auf der ganzen Erde kein schöneres Bild geben könne.

Wir fanden den kleinen Kahn, welcher der Brigade gehörte, und fuhren ohne Zeitverlust über eine tiefe Einbuchtung des Sees auf die Meßstangen zu, welche das Lager bezeichneten. Ich ließ Johnny rudern – nicht aus Scheu vor der Anstrengung, sondern weil mir übel davon wird, wenn ich beim Arbeiten rückwärts fahre. Dagegen steuerte ich. Nach einer Fahrt von drei Meilen langten wir gerade mit Einbruch der Nacht an dem Lager an; todmüde und mit einem wahren Wolfshunger stiegen wir ans Land. In einer Höhlung unter den Felsen fanden wir die Vorräte und das Kochgeschirr und nun setzte ich mich trotz meiner Erschöpfung auf einen Felsblock und beaufsichtigte die Zurüstungen, während Johnny Holz sammelte und das Essen bereitete. Mancher, der so viel geleistet hatte, wie ich, hätte sich wohl vor allem nach Ruhe gesehnt.

Es gab ein köstliches Essen – warmes Brot, gebratenen Speck und schwarzen Kaffee. Und die Einsamkeit, die uns umgab, war ebenfalls köstlich. Drei Meilen entfernt befand sich eine Sagemühle mit einigen Arbeitern, außerdem gab es im ganzen weiten Umkreis des Sees keine fünfzehn menschliche Wesen. Als die Dunkelheit herabsank und die Sterne herauf kamen, so daß der gewaltige Spiegel wie ein Juwelenschmuck strahlte, schmauchten wir beschaulich unsere Pfeifen in der feierlichen Stille und vergaßen alle Sorgen und Schmerzen. Als es Zeit war, breiteten wir unsere Decken über den warmen Sand zwischen zwei großen Felsstücken und schliefen bald ein, unbekümmert um die Ameisen, welche in langer Reihe uns in die Kleider krochen und uns bis auf die Haut untersuchten. Den Schlaf, der uns umfing, vermochte nichts zu stören, denn wir hatten ihn redlich verdient, und wenn unser Gewissen uns irgend welcher Sünden beschuldigte, so mußte es das Gericht für diese Nacht unter allen Umständen vertagen. Der Wind erhob sich gerade, als uns das Bewußtsein schwand und das Anprallen der Brandung am Ufer lullte uns in Schlummer.

Es ist nachts stets sehr kalt am Rande dieses Sees, allein wir waren gut mit Decken versehen, die uns hinreichend wärmten. Die ganze Nacht rührten wir kein Glied; in aller Morgenfrühe erwachten wir noch in derselben Lage, die wir abends eingenommen, um sofort aufzuspringen, gründlichst erfrischt, frei von Unbehagen und zum Übersprudeln voll von neuer Spannkraft. So etwas stärkt über alle Begriffe. Heute waren wir mit zehn so hundemüden Leuten fertig geworden, wie wir tags zuvor waren. In unserer Zeit brauchen viele Menschen ihrer Gesundheit wegen Wasser- und Terrainkuren und gehen in fremde Länder. Drei Monate Lagerleben am Tahoe-See würde einer ägyptischen Mumie ihre urzeitliche Lebenskraft wieder geben, und einen Appetit bekäme sie dadurch, wie ein Alligator. Damit meine ich natürlich nicht die ältesten und die trockensten Mumien, sondern die frischeren. Die Luft da oben in den Wolken ist gar rein und schön, gar frisch und köstlich. Und warum auch nicht? – Ist es doch dieselbe, welche die Engel atmen. Ich glaube, man würde die entsetzlichste Müdigkeit, die man sich überhaupt vorstellen kann, in einer Nacht auf dem Sande am Ufer dieses Sees sicher wegschlafen. Nicht unter einem Dach, sondern unter freiem Himmel. Es regnet dort im Sommer selten oder nie. Ich kenne jemand, der sterbenskrank dorthin ging; aber es wurde nichts mit dem Sterben. Als ein Gerippe kam er an und konnte sich kaum auf den Füßen halten; er hatte keinen Appetit und that nichts als Traktätchen lesen und über die Zukunft grübeln. Drei Monate darauf schlief er regelmäßig im Freien, aß dreimal am Tage so viel in ihn hineinging und pürschte zur Erholung dreitausend Fuß hoch im Gebirge dem Wilde nach. Dabei war er kein Gerippe mehr, sondern hatte ein beträchtliches Gewicht aufzuweisen. Das ist kein Hirngespinst, es ist die reine Wahrheit. Er hatte an der Schwindsucht gelitten. Ich empfehle seine Erfahrung vertrauensvoll anderen Gerippen zur Nachahmung.

Ich begnügte mich wiederum mit der Oberaufsicht über die Küche. Sofort nach dem Frühstück stiegen wir ins Boot und ruderten drei Meilen am Seegestade entlang; dann stiegen wir aus. Die Stelle gefiel uns, deshalb nahmen wir etwa dreihundert Morgen davon in Besitz und schnitten unser Merkzeichen in einen Baum. Es war ein Bestand von gelben Fichten – ein dichter Wald von Bäumen, hundert Fuß hoch und bis auf fünf Fuß im Durchmesser über der Wurzel. Wir mußten unser Besitztum jedoch einzäunen, anders konnten wir es nicht behaupten, d. h. wir mußten da und dort einen Baum fällen, und zwar so, daß dadurch eine Art Einfriedigung mit ziemlich weiten Lücken entstand. Wir fällten jeder drei Bäume, fanden jedoch, daß es eine so herzbrechende Arbeit war, daß wir beschlossen, es dabei bewenden zu lassen; sicherten sie unser Eigentum – gut und schön, wenn nicht – nun, so mochte es durch die Lücke auslaufen und von dannen fließen; tot quälen wollten wir uns nicht um ein paar elende Morgen Land. Tags darauf kamen wir zurück, um ein Haus aufzuschlagen; denn ein Haus war gleichfalls notwendig, wenn wir unsern Besitz behaupten wollten. Wir beschlossen, ein tüchtiges Blockhaus zu bauen, das den Neid der Jungen von der Brigade erregen sollte. Als wir jedoch den ersten Klotz gehauen und zurecht gezimmert hatten, kam es uns unnötig vor, soviel Sorgfalt darauf zu verwenden, und wir beschlossen, es aus dünnen Stämmchen zu erbauen. Indessen sahen wir uns nach dem Zuhauen und Abputzen zweier Stämmchen zur Anerkennung der Thatsache genötigt, daß selbst eine noch bescheidenere Architektur dem Gesetze Genüge thun würde, worauf wir beschlossen, unser Haus aus Reisig zu errichten. Wir widmeten dieser Arbeit den folgenden Tag, leisteten jedoch soviel im Herumsitzen und Schwatzen, daß wir erst um die Mitte des Nachmittags ein halbwegs fertiges Ding zu stande gebracht hatten. Während einer von uns Strauchwerk abhieb, mußte der andere unsern Bau bewachen, wir würden ihn sonst am Ende nicht wiedergefunden haben, wenn wir ihm beide den Rücken kehrten. Er hatte eine gar so starke Familienähnlichkeit mit dem ihn umgebenden Buschwerk. Wir waren indes damit zufrieden.

So waren wir nun Landbesitzer, in aller Form installiert und unter dem Schutze des Gesetzes. Wir beschlossen deshalb, unsern Wohnsitz auf unserem eigenen Grund und Boden aufzuschlagen und uns jenes großen Gefühls der Unabhängigkeit zu erfreuen, das nur eine solche Erfahrung verleihen kann. Spät am folgenden Nachmittag fuhren wir nach einer herrlichen und langen Rast von dem Lager der Brigade weg samt allen Vorräten und Kochgeschirren, die wir fortbringen konnten, und zogen gerade mit Einbruch der Nacht das Boot auf unserem eigenen Landungsplatze an den Strand.

Wenn es irgend ein glücklicheres Leben giebt, als dasjenige, welches wir von nun an zwei oder drei Wochen lang in unserer Waldhütte führten, so muß das eine Sorte Leben sein, die ich weder aus Büchern, noch aus eigener Erfahrung kennen gelernt habe. Wir sahen während der ganzen Zeit außer uns selbst kein lebendes Wesen und vernahmen keine anderer Töne als diejenigen, welche Wind und Wellen hören ließen, das Seufzen der Fichten und dann und wann den fernen Donner einer Lawine. Der Wald um uns war dicht und kühl, der Himmel über uns erstrahlte in wolkenlosem Sonnenschein, der breite See vor uns war je nach der Stimmung der Natur bald klar wie Kristall, bald von einem Lufthauch leicht gekräuselt und bald schwarz und sturmbewegt. Die ihn im Kreise überragenden Bergkuppen aber, mit Waldesgrün bekleidet, von Bergrutschen zerrissen, durch Schluchten und Thäler gespalten und mit Hauben glitzernden Schnees bedeckt, bildeten den passenden Rahmen und Abschluß zu dem herrlichen Bilde. Die Aussicht war stets fesselnd, bezaubernd, entzückend; nie wurde das Auge müde zu schauen, bei Nacht oder Tag, bei Ruhe oder Sturm; es kannte nur einen Schmerz, nämlich, daß es nicht ununterbrochen schauen durfte, sondern bisweilen sich zum Schlafe schließen mußte.

Wir schliefen im Sande, hart am Rande des Wassers, zwischen zwei schützenden Felsblöcken, die dafür sorgten, daß die stürmischen Nachtwinde uns nichts anhaben konnten. Ohne Schlafmittel schliefen wir stets ein und mit dem ersten Tagesgrauen waren wir wieder auf und liefen gleich um die Wette, um unser überschäumendes Kraftgefühl und unsere übermütige Laune etwas herabzustimmen, d. h. Johnny lief – und ich hielt indessen seinen Hut. Während wir dann nach dem Frühstück die Friedenspfeife schmauchten, beobachteten wir, wie die Berggipfel auf ihrer hohen Warte sich in den Glanz der Sonne kleideten. Wir folgten dem Licht auf seinem Siegespfade, wie es zwischen den Schatten herabschoß und die in den Banden der Finsternis liegenden Felszacken und Wälder in Freiheit setzte. Wir sahen die farbigen Bilder auf dem Wasser immer größer und heller werden, bis jede kleine Einzelheit von Wald, Bergwand und Felszinne hineingewoben war und das Zauberwerk vollständig fertig vor uns lag. Dann ging es ans ›Geschäft‹, d. h. an das Herumtreiben im Boote.

Wir befanden uns am Nordufer. Hier waren die Felsen auf dem Grunde grau oder weiß. Dadurch kommt die wunderbare Durchsichtigkeit des Wassers zu vollerer Geltung als sonst irgendwo auf dem See. Gewöhnlich ruderten wir etwa hundert Ellen weit hinaus vom Ufer, dann legten wir uns im Sonnenschein auf die Sitzbretter und ließen das Boot treiben, wohin es wollte. Selten sprachen wir ein Wort; das hätte nur die Sabbatstille unterbrochen und uns in den Träumen gestört, die wir unserer üppigen Ruhe und Trägheit verdankten. Das Ufer war allenthalben durch tiefe Buchten und Baien ausgezackt, die von schmalen Sandbänken begrenzt wurden; wo der Sand endete, stiegen die schroffen Bergwände in den Himmelsraum auf, wie eine ungeheure, fast senkrechte Mauer, die dicht mit hochragenden Fichten bewachsen ist.

So eigentümlich klar war das Wasser, daß es an Stellen, wo die Tiefe bloß zwanzig bis dreißig Fuß betrug, den Grund mit einer Deutlichkeit erkennen ließ, welche die Täuschung hervorrief, als schwämme das Boot in der Luft. Ja, dies war sogar an Stellen von achtzig Fuß Tiefe der Fall.

Jeder kleine Kiesel war deutlich sichtbar, jede gefleckte Forelle, jede Handbreit Sand. Oft, wenn wir mit dem Gesicht nach unten da lagen, tauchte ein granitner Block, scheinbar so groß wie eine Dorfkirche, blitzschnell vom Grunde nach der Oberfläche zu herauf, bis er plötzlich unsere Gesichter zu berühren drohte und wir dem Antrieb, nach einem Ruder zu greifen und die Gefahr abzuwenden, nicht zu widerstehen vermochten. Aber das Boot schwamm weiter, der Block senkte sich wieder, und wir konnten sehen, daß er, als wir uns genau über ihm befanden, immer noch zwanzig bis dreißig Fuß unter der Oberfläche gewesen sein mußte. In diesen großen Tiefen war das Wasser nicht mehr bloß einfach durchsichtig, sondern geradezu leuchtend und strahlend. Alle durch dasselbe gesehenen Gegenstände zeigten sich nicht nur in allgemeinen Umrissen, sondern bis zur kleinsten Einzelheit, mit solchem Glanz und solcher Klarheit, wie dies nicht der Fall gewesen sein würde, hätte man sie durch eine Luftschicht von derselben Tiefe hindurch gesehen. Der ganze Raum da unten kam uns so leer und luftig vor, und wir hatten so lebhaft das Gefühl, hoch darüber, mitten im Nichts hinzuschwimmen, daß wir diese Ausflüge im Boote unsere ›Luftballon-Reisen‹ nannten.

Wir fischten fleißig, fingen aber im Durchschnitt kaum einen Fisch in der Woche. Wir konnten Forellen zu Tausenden unter uns durch den leeren Raum hinschwimmen oder an Sandbänken auf dem Grunde schlafen sehen, aber anbeißen wollten sie nicht – vielleicht, daß sie die Angelschnur zu deutlich unterscheiden konnten. Oftmals lasen wir uns eine Forelle aus, die wir gerne haben wollten und ließen ihr den Köder mit unermüdlicher Geduld achtzig Fuß tief drunten dicht vor der Nase baumeln; aber sie schüttelte denselben nur verdrießlich ab und nahm eine andere Stellung ein.

Gelegentlich badeten wir, doch war das Wasser, obwohl es so sonnig aussah, ziemlich frisch. Manchmal ruderten wir hinaus nach dem ›blauen Wasser‹, eine oder zwei Meilen vom Ufer. Das Wasser war dort ganz dunkelblau wie Indigo wegen der ungeheuren Tiefe. Der amtlichen Messung zufolge ist der See in der Mitte 1525 Fuß tief!

Bisweilen streckten wir uns an müßigen Nachmittagen auf den Sand hin und lasen bei einer Pfeife ein paar alte abgegriffene Erzählungen. Abends am Lagerfeuer spielten wir zur Herzstärkung ›Euchre‹ und ›Seven Up‹, und zwar mit so fettigen und schäbigen Karten, daß nur eine den ganzen Sommer fortgefetzte Bekanntschaft mit ihnen es ermöglichte, bei gehöriger Aufmerksamkeit das Kreuz-Aß vom Schellen-Buben zu unterscheiden.

In unserm ›Hause‹ schliefen wir niemals; das kam uns gar nicht in den Sinn; überdies hatten wir es ja nur gebaut, um das Anrecht auf Grund und Boden zu erhalten, und das genügte. Zuviel zumuten wollten wir ihm nicht.

Allmählich begannen unsere Lebensmittel knapp zu werden; wir kehrten deshalb ins alte Lager zurück, um neue Vorräte zu holen. Wir waren den ganzen Tag fort und kamen erst mit Einbruch der Nacht ziemlich müde und hungrig wieder heim. Während Johnny die Hauptmasse der Lebensmittel zu späterem Gebrauch in unser Haus trug, schaffte ich den Brotlaib, etliche Schnitten Schinken und den Kaffeetopf ans Ufer, stellte die Sachen an einem Baum ab, zündete ein Feuer an und ging dann nach dem Boote zurück, um die Bratpfanne zu holen. Unterwegs hörte ich einen Schrei von Johnny, und als ich aufblickte, sah ich mein Feuer über die ganze Umgegend hin galoppieren. Johnny befand sich jenseits desselben und mußte durch die Flammen hindurchlaufen, um das Seeufer zu gewinnen; dann standen wir hilflos da und beobachteten die Verwüstung, die der Brand anrichtete.

Der Boden war mit einer hohen Schicht trockener Fichtennadeln bedeckt, die bei der ersten Berührung mit dem Feuer aufflammten wie Schießpulver. Es war merkwürdig anzusehen, mit wie rasender Eile die gewaltige Flammensäule sich fortbewegte. Mein Kaffeetopf war dahin und alles andere mit ihm. Nach anderthalb Minuten ergriff das Feuer einen dichten Busch trockenen Manzanita-Gesträuchs von sechs bis acht Fuß Höhe, und nun wurde das Brausen, Zischen und Prasseln geradezu fürchterlich. Die durchdringende Hitze trieb uns in das Boot, wo wir, wie durch einen Zauber gefesselt, verblieben.

Binnen einer halben Stunde war alles vor unseren Augen ein rasendes und blendendes Flammenmeer. Das Feuer brauste an den nächsten Hügelkämmen empor, überstieg dieselben und verschwand in den jenseitigen Schluchten, um dann plötzlich auf ferneren und höheren Bergrücken abermals zum Vorschein zu kommen, wo es eine noch gewaltigere Helle ausstrahlte und dann wieder untertauchte. Dann flammte es wieder auf, höher und immer höher am Bergeshang, sandte Glutströme wie Plänklerketten da und dorthin aus, die sich dann in rotglühenden Schlangenlinien zwischen fernen Bergwänden, Klippen und Schlünden hinwälzten, bis die hoch aufragenden Gebirgsstöcke, so weit das Auge reichte, von roten Lavabächen überzogen waren, die einem verschlungenen Netzwerk glichen. Weithin über dem Wasser erstrahlten die Felshörner und Bergkuppen in grellrotem Glanz, und das Firmament droben flammte in einer wahren Höllenglut!

Dieses Schauspiel wiederholte sich Zug für Zug in dem glühenden Spiegel des Sees! Beide Bilder waren erhaben, beide schön, doch zeigte das Spiegelbild im See eine staunenswerte Farbenpracht, welche das Auge noch unwiderstehlicher fesselte und entzückte.

Vier lange Stunden saßen wir in uns versunken und regungslos da; wir dachten weder an Speise noch Trank und fühlten keine Ermüdung. Um elf Uhr hatte der Brand unseren Gesichtskreis überschritten und allmählich lagerte sich das Dunkel wieder über die Landschaft.

Jetzt meldete sich der Hunger; aber es gab nichts zu essen. Die Lebensmittel waren ohne Zweifel sämtlich gekocht und gebraten; doch nahmen wir sie nicht in Augenschein. Wir waren wieder heimat- und besitzlose Wandervögel. Unser Zaun war fort, unser Haus verbrannt und nicht einmal versichert gewesen. Unser Fichtenwald war gehörig versengt, die abgestorbenen Bäume sämtlich verbrannt und die weiten Strecken Manzanita-Gebüsch weggefegt. Unsere Decken indes befanden sich an unserem gewohnten Schlafplatz auf dem Sande; so legten wir uns denn nieder und schliefen ein. Am nächsten Morgen brachen wir wieder nach dem alten Lager auf, aber während wir noch eine weite Strecke vom Ufer entfernt waren, brauste ein gewaltiger Sturm heran, so daß wir nicht zu landen wagten. So schöpfte ich denn die Wasserstürze aus, die uns ins Boot schlugen, während Johnny mit Macht durch die Wogen ruderte, bis wir drei oder vier Meilen jenseits des Lagers eine gute Landungsstelle erreicht hatten. Der Sturm blies immer stärker, und es wurde uns immer klarer, daß wir besser thäten, das Boot auf gut Glück auf den Strand laufen zu lassen, als uns der Gefahr auszusetzen, in hundert Faden tiefem Wasser zu versinken. So fuhren wir denn aufs Land zu, hohe, weiße Wellenkämme hinter uns; ich saß hinten auf dem letzten Brette und lenkte die Spitze des Bootes nach dem Ufer hin. Im Augenblick, als dasselbe aufstieß, kam eine Welle über den Stern herüber, welche Mannschaft und Ladung ans Ufer spülte und uns dadurch viele Mühe und Not ersparte. Den ganzen Tag über zitterten wir hinter einem Felsblock vor Frost und froren auch die ganze Nacht hindurch. Am Morgen hatte sich der Sturm gelegt und wir ruderten ohne jeden überflüssigen Aufenthalt nach dem Lager. Wir waren dermaßen ausgehungert, daß wir den ganzen Rest des Proviants der Brigade aufaßen; dann machten wir uns nach Carson auf, um ihnen zu beichten und sie um Absolution zu bitten. Gegen Zahlung des Schadens wurde dieselbe gewährt. Wir machten später noch manchen Ausflug nach dem See und bestanden haarsträubende Abenteuer, bei denen wir nur mit knapper Not davonkamen. Aber die Geschichte schweigt darüber.

  1. Um Regierungsland unentgeltlich zu bekommen, mußte ein Ansiedler in gewisser Zeit ein Blockhaus gebaut und sonstige Arbeiten auf dem von ihm beanspruchten Boden verrichtet haben.

Zwanzigstes Kapitel.

Zwanzigstes Kapitel.

Kapitän Nye litt wirklich schwer an Rheumatismus. Der alte Herr, der sonst die Güte und Liebenswürdigkeit selbst war, konnte in den Anfällen seiner Krankheit recht unangenehm werden. Er geberdete sich zuweilen ganz rasend. Ich hatte aber selbst einmal gesehen, wie er einen Kranken mit der größten Geduld und Hingebung pflegte und da nun die Reihe an ihn gekommen war, sich pflegen zu lassen, so sollte es mich auch nicht verdrießen. Mochte er weiter toben, wie er wollte, mich störte das nicht im mindesten in meiner Seelenruhe, denn, ob nun meine Hände müßig oder beschäftigt waren, mein Geist war Tag und Nacht unablässig an der Arbeit. Ich änderte und besserte an den Plänen zu meinem Hause und überlegte mir, ob ich das Billardzimmer nicht lieber ins Dachgeschoß, anstatt neben den Speisesaal verlegen solle. Ferner versuchte ich betreffs der Polstermöbel im Salon zu einer Entscheidung zwischen Grün und Blau zu gelangen; ich gab an sich der letzteren Farbe den Vorzug, fürchtete jedoch, Staub und Sonnenlicht würden ihr zu viel Schaden thun. Sodann war ich zwar entschlossen, den Kutscher in eine bescheidene Livree zu stecken, dagegen noch unschlüssig betreffs des Bedienten. Haben mußte ich einen solchen ganz entschieden; es wäre mir aber lieber gewesen, wenn er ohne Livree hätte anständig erscheinen und seine Obliegenheiten versehen können, weil mir vor so viel Prunk einigermaßen bange war. Und doch fühlte ich, da mein Großvater auch Dienerschaft – aber ohne Livree – gehabt hatte, eine gewisse Neigung, ihn oder doch wenigstens seinen Geist auszustechen. Endlich brachte ich auch die Europareise in ein gehöriges System; die Reisestrecken und die für eine jede derselben bestimmte Zeit – alles wurde erwogen und geordnet; nur eins, nämlich, ob die Reise von Kairo nach Jerusalem per Kamel durch die Wüste, oder lieber zu Wasser nach Beirut gehen sollte, um von dort mit einer Karawane fortgesetzt zu werden, blieb unentschieden. Inzwischen schrieb ich alle Tage an die Freunde in der Heimat, setzte sie von meinen Plänen und Absichten in Kenntnis und wies sie an, sich nach einer hübschen Wohnung für meine Mutter umzusehen und sich über den Mietspreis zu einigen, bis ich käme. Ferner beauftragte ich sie, meinen Anteil an dem Landbesitz unserer Familie in Tennessee zu verkaufen und den Ertrag dem Witwen- und Waisenfond des Typographenvereins zu überweisen, dem ich seit lange als eifriges Mitglied angehörte.

Nachdem ich den Kapitän neun Tage lang gepflegt hatte, befand er sich etwas besser, war aber noch sehr schwach. Während des Nachmittags hoben wir ihn auf einen Stuhl und gaben ihm ein alkoholisches Dampfbad, dann machten wir uns daran, ihn wieder zu Bett zu bringen. Dabei mußte äußerst behutsam zu Werke gegangen werden, denn das leiseste Anstreifen verursachte Schmerzen. Gardiner hielt ihn an den Schultern und ich an den Beinen, als ich in einem unglücklichen Augenblicke stolperte, so daß der Kranke schwer auf das Bett fiel und Höllenschmerzen empfand. Er fluchte, wie ich nie in meinem Leben etwas gehört habe, und versuchte in seinem Zorn einen Revolver vom Tische zu reißen, den ich schnell wegnahm. Nun schrie er, ich solle das Haus verlassen und schwur hoch und teuer, wenn er wieder auf den Beinen sei, wolle er mich umbringen, sobald er meiner habhaft würde. Das war nur eine vorübergehende Wut, die nichts zu bedeuten hatte. Ich wußte, daß er es in einer Stunde vergessen, vielleicht sogar bedauern würde, aber im Augenblick ärgerte es mich doch ein wenig, und ich beschloß daher nach Esmeralda zurückzugehen. Da er auf dem Kriegspfade ist, dachte ich, wird er wohl imstande sein, sich selbst zu helfen. So aß ich zu Abend und trat dann, sobald der Mond aufging, meine neun Meilen lange Fußwanderung an.

Als ich auf der Höhe ankam, welche die Stadt überragt, fehlten noch fünfzehn Minuten zu zwölf Uhr. Ich warf einen Blick auf den Hügel jenseits der Schlucht und sah im hellen Mondenschein, wie anscheinend die halbe Bevölkerung des Städtchens sich um den Eingang zur Grube des Meilen Westend drängte. Jubelnd hüpfte mein Herz, und ich sagte zu mir selbst: ›Heute abend haben sie eine neue Schicht eröffnet und ganz gewiß eine reichere als je.‹ Ich ging zuerst darauf zu, kehrte mich aber wieder ab, indem ich mir sagte, die Grube würde ja nicht davonlaufen und ich sei für heute nacht genug auf den Bergen herum geklettert. Ich ging weiter durch die Stadt, und als ich an einer deutschen Bäckerei vorüberkam, stürzte eine Frau heraus und bat mich, doch mit ihr hereinzukommen und ihr beizustehen, ihr Mann habe einen Anfall von Wahnsinn. Ich ging hinein und fand, daß sie recht hatte; der eine Anfall, den er hatte, konnte für hundert gelten. Zwei Deutsche waren drinnen und versuchten ihn zu halten, richteten aber nicht viel aus. Ich lief die Straße ein Stück hinauf und klopfte einen schlafenden Doktor heraus, der halb angekleidet mitging. Alle vier rangen wir dann mit dem Verrückten, gaben ihm Arznei, begossen ihn mit kaltem Wasser und ließen ihm zur Ader, was mehr als eine Stunde dauerte. Die arme deutsche Frau besorgte das Weinen dazu. Als der Kranke endlich ruhig war, zogen der Doktor und ich uns zurück und überließen ihn seinen Freunden.

Es war kurz nach ein Uhr. Als ich müde, über gut gelaunt durch die Thüre unserer Hütte trat, erblickte ich beim trüben Licht einer Talgkerze Higbie, der am Tische saß und wie blödsinnig auf den Zettel von meiner Hand stierte, den er in seinen Fingern hielt. Er sah bleich, alt und abgemagert aus. Als ich stehen blieb und ihn fragend ansah, richtete er nur einen stumpfsinnigen Blick auf mich. Ich sagte:

»Higbie, was – was ist denn?«

»Wir sind ruiniert – wir haben die Arbeit nicht gethan – der blinde Gang ist anderweitig belegt!«

Ich hatte genug gehört. Kummervoll und gebrochenen Herzens sank ich auf einen Stuhl. Noch eine Minute zuvor war ich reich gewesen und von Eitelkeit geschwellt, jetzt war ich ein demütiger Bettler. Noch eine Stunde saßen wir da, beschäftigt mit Gedanken, mit eitlen und nutzlosen Vorwürfen gegen uns selbst, mit der unaufhörlichen Frage, warum habe ich nur dies und warum habe ich nur jenes nicht gethan? Aber keiner von uns sprach ein Wort. Endlich begannen die gegenseitigen Mitteilungen, und das Geheimnis klärte sich auf. Higbie hatte sich auf mich, ich mich auf ihn, und wir beide hatten uns auf den Faktor verlassen. Welche Thorheit! Zum erstenmal hatte der gesetzte und stramme Higbie eine wichtige Angelegenheit dem Zufall überlassen und der auf ihn fallenden Verantwortlichkeit nicht voll entsprochen. Ach, er hatte meinen Zettel eben erst zu Gesicht bekommen und war wenige Augenblicke vor mir zum erstenmal, seit wir uns getrennt, wieder in die Hütte getreten. Auch er hatte an jenem verhängnisvollen Nachmittag einen Zettel für mich zurückgelassen. Er war vor das Haus geritten, hatte durch das Fenster geschaut, und da er in Eile war und mich nicht sah, den Zettel durch eine zerbrochene Scheibe in die Hütte geworfen. Hier war derselbe die neun Tage ungestört liegen geblieben, er lautete:

»Versäumen Sie nicht, die Arbeit vor Ablauf der zehn Tage zu thun. W. ist durchgekommen und hat mir einen Wink gegeben. Am Mono-See soll ich ihn treffen, und von dort werden wir heute abend weiter gehen. Diesmal, sagte er, werden wir sie sicher finden.«

W. bedeutet natürlich Whiteman. Diese dreimal verfluchte Zementader!

So ging es zu. Ein alter Geizhals wie Higbie konnte dem Zauber der Aufregung über den geheimnisvollen Zementunsinn gerade so wenig widerstehen, als er sich des Essens hätte enthalten können, wäre er am Verhungern gewesen.

Monatelang hatte Higbie von dem wunderbaren Zement geträumt und so war er jetzt gegen seine bessere Einsicht fortgegangen und hatte es darauf ankommen lassen, daß ich für die Sicherheit des Besitzes einer Grube sorge, die eine Million unentdeckter Zementadern aufwog. Man hatte die beiden diesmal nicht verfolgt. Neun Tage lang konnten sie ungestört in den Bergschluchten suchen, ohne daß sie die Ader gefunden hätten. Da überfiel ihn auf einmal eine entsetzliche Angst, es möchte irgend etwas dazwischen gekommen sein, wodurch die zur Sicherheit unseres Besitzrechts an dem blinden Gange erforderliche Arbeit verhindert würde, und sofort machte er sich eiligst auf den Heimweg. Er hätte Esmeralda zu rechter Zeit erreicht, wäre ihm nicht unterwegs sein Pferd zusammengebrochen, so daß er einen großen Teil der Strecke zu Fuß zurücklegen mußte. So geschah es, daß wir zu gleicher Zeit von verschiedenen Enden her in die Stadt kamen. Er war indes energischer als ich, denn er ging schnurstracks nach dem ›Weiten Westen‹, anstatt gleich mir vom Wege abzuschweifen, und trotzdem traf er fünf oder zehn Minuten zu spät dort ein. Die ›Bekanntmachung‹ war bereits angeschlagen, die ›Wiederbelegung unanfechtbar vollzogen‹ und die Menge zerstreute sich rasch. Noch bevor er den Platz verließ, erhielt er einige weitere Mitteilungen. Der Faktor war seit der Nacht, wo wir die Grube belegt hatten, nirgends in der Stadt zu sehen gewesen; wie es hieß, war er in einer Sache, bei der sich’s um Leben und Tod handelte, telegraphisch nach Kalifornien berufen worden. Jedenfalls hatte er keine Arbeit gethan, und die wachsamen Augen der Gemeinde hatten hievon Notiz genommen. Um Mitternacht jenes schmerzenreichen Tages wurde daher unsere Erzader ›belegbar‹ und bereits um elf Uhr stand der Berg schwarz von Leuten, die bereit waren, die Wiederbelegung vorzunehmen. Das war die Menschenmenge, die ich gesehen, als ich mir – Dummkopf, der ich war! – eingebildet hatte, man habe einen neuen reichen Gang aufgeschlossen. Als Mitternacht verkündet wurde, schlugen vierzehn Mann, gehörig bewaffnet und bereit, ihr Verfahren zu verteidigen, ihre Bekanntmachung an und verkündeten ihr Besitzrecht an dem blinden Gange unter dem neuen Grubennamen Johnson. Aber der Faktor, unser Geschäftsteilhaber, erschien nun auf einmal mit gespanntem Revolver und erklärte, wenn sein Name nicht mit in die Liste aufgenommen werde, würde er die Gesellschaft Johnson ›ein wenig lichten.‹ Er war ein mannhafter, kräftiger, entschlossener Bursche, von dem man wußte, daß er hielt, was er sagte, und so kam es zu einem Vergleich. Sie schrieben ihm hundert Fuß gut, während sie sich selbst die üblichen zweihundert vorbehielten.

Zufolge der aufregenden Nachricht von einem neuen Erzfunde wandten Higbie und ich am nächsten Morgen der Stadt den Rücken, froh, den Schauplatz unserer Leiden verlassen zu können. Nach einem oder zwei Monaten voll harter Arbeit und Enttäuschung kamen wir noch einmal nach Esmeralda zurück. Da hörten wir, daß die Gesellschaft vom ›Weiten Westen‹ und die Johnsonsche sich zusammengethan hatten, so daß das auf diese Art vereinigte Vermögen fünftausend Fuß oder Kuxe betrug, und daß der Faktor aus Furcht vor einem möglichen langwierigen Rechtsstreit und im Hinblick auf die Schwierigkeiten eines so gewaltigen Besitzes seine hundert Fuß für neunzigtausend Dollars in Gold verkauft und sich in den Osten heimbegeben hatte, um des Geldes froh zu werden. Wenn die Aktien jetzt, da die Gesellschaft fünftausend Anteile zählte, solchen Wert hatten, so schwindelte es mir bei dem Gedanken, was sie wert gewesen sein würden, als es nur unsere ursprünglichen sechshundert waren. M war derselbe Unterschied wie zwischen einem Haus, das sechshundert, und einem solchen, das fünftausend Menschen gehört. Wir würden Millionäre gewesen sein, hätten wir einen einzigen kurzen Tag mit Hacke und Spaten auf unserem Eigentum gearbeitet und uns so den Besitztitel gesichert! –

*

Vor einem Jahre erhielt ich von meinem geschätzten und in jeder Weise schätzenswerten einstigen Mitmillionär Higbie aus einem obskuren kleinen Bergmannslager in Kalifornien die Nachricht, er sei nach neun oder zehn Jahren voll Schicksalsschlägen und mühseligen Ringens endlich so weit, um über fünfundzwanzighundert Dollars verfügen zu können und gedenke, nun einen bescheidenen Obsthandel anzufangen. Wie würde ihn ein solcher Gedanke beleidigt haben zur Zeit, da wir in unserer Hütte Pläne zu Europareisen und zu Häusern von braunem Sandstein auf dem Russenhügel schmiedeten!

Einundzwanzigstes Kapitel.

Einundzwanzigstes Kapitel.

Was nun thun?

Das war eine wichtige Frage. Ich war mit dreizehn Jahren in die Welt hinausgegangen, um für mich selbst zu sorgen; denn mein Vater hatte für Freunde gutgesagt und hatte uns zwar ein reichliches Erbe an Stolz auf seine Abstammung von einer feinen virginischen Familie und auf deren Verdienste um die Nation hinterlassen, doch fand ich bald, daß ich davon nicht leben könne, sondern dazu gelegentlich ein Stück Brot als Beilage haben müsse. In verschiedenen Berufsarten hatte ich meinen Lebensunterhalt verdient, bis jetzt aber durch meine Leistungen noch bei niemand Staunen erregt. Mir stand eine große Auswahl zur Verfügung, falls ich Arbeit suchte – allein, nachdem ich so reich gewesen war, hatte ich keine Lust dazu. Ich war einmal einen Tag lang Ladenjüngling bei einem Krämer gewesen, hatte aber dabei eine solche Masse Zucker verzehrt, daß der Besitzer mich aller weiteren Dienstleistungen entband und sagte, es wäre ihm lieber, wenn ich bloß als Kunde in seinen Laden käme. Eine Woche lang hatte ich Rechtsgelehrsamkeit studiert, sie aber dann aufgegeben, weil sie zu prosaisch und ledern war. Dann warf ich mich eine kurze Zeit auf das Studium der Grobschmiedekunst, vertrödelte aber mit dem Versuche, die Blasebälge so einzurichten, daß sie von selbst bliesen, so viel Zeit, daß der Meister mich in Ungnaden fortjagte und behauptete, aus mir würde im Leben nichts. Ich trat eine Weile als Gehilfe bei einem Buchhändler ein, aber die Kunden quälten mich dergestalt, daß ich nicht mit Behaglichkeit lesen konnte, und so gab mir der Prinzipal Urlaub, vergaß aber dabei zu sagen, wann derselbe abgelaufen sein sollte. Dann war ich im Sommer eine Zeitlang Gehilfe bei einem Apotheker, aber ich hatte Unglück mit meinen Rezepten, so daß wir mehr Magenpumpen als sonst was absetzten und ich auch dort fort mußte. In dem Gefühl, daß in mir ein zweiter Franklin stecke, hatte ich die Schriftsetzerei leidlich erlernt. Aber bei der ›Union‹ in Esmeralda war keine Stelle offen, und überdies hatte ich immer so langsam gesetzt, das ich die Lehrlinge nach zwei Jahren um ihre Leistungen beneidete; wenn ich ein Stück Satz übernahm, so pflegte der oberste Setzer anzudeuten, man werde es im Lauf des Jahres Wohl einmal brauchen. Als Lotse zwischen St. Louis und New-Orleans machte ich meine Sache ganz ordentlich und brauchte mich meiner Leistungen in diesem Berufszweig keineswegs zu schämen; der Lohn betrug zweihundertfünfzig Dollars monatlich bei freier Kost und Wohnung, und ich sehnte mich wirklich danach, wieder hinter dem Steuerrad zu stehen, statt ewig herumzuschweifen. Aber ich hatte mich in der letzten Zeit durch prahlerische Briefe, die ich über meinen blinden Gang und meine Europareise nach Hause gerichtet, so lächerlich gemacht, daß es mir ging, wie schon gar manchem armen enttäuschten Bergmann, der sich selber sagt: »Mit mir ist es jetzt aus und vorbei, und es fällt mir nicht ein, je wieder heimzukehren, um bemitleidet und über die Achsel angesehen zu werden.« Ich war Privatsekretär, Silbergräber und Arbeiter in einem Pochwerke gewesen, hatte es in allen diesen Fächern zu weniger als nichts gebracht und jetzt –

Was sollte nun zunächst geschehen?

Auf Higbies Bitten willigte ich ein, es nochmals mit dem Bergbau zu versuchen. Wir kletterten hoch am Bergeshang hinauf und machten uns an die Arbeit auf einer uns gehörigen kleinen, nichtsnutzigen Parzelle, auf der sich ein Schacht von acht Fuß Tiefe befand. Higbie stieg hinab und arbeitete tapfer mit seiner Spitzhacke, bis er eine Menge Gestein und Erde losgehauen hatte, und dann ging ich hinunter, um es mit einer langstieligen Schaufel, der widerwärtigsten aller menschlichen Erfindungen, herauszuwerfen. Man muß die Schaufel vorwärts schieben und mit dem Knie nachhelfen, bis sie voll ist, und sie dann mit kühnem Schwung über seine linke Schulter entleeren. Ich machte den Schwung und setzte das Geröll genau am Rande des Schachtes ab, von wo es mir samt und sonders wieder auf Kopf und Nacken herabkam. Ohne ein Wort zu sagen, stieg ich heraus, ging nach Hause und beschloß in meinem Innern, lieber zu verhungern, als dieses Scheibenschießen mit Schutt auf meine werte Person vermittelst einer langstieligen Schaufel noch länger zu betreiben. Ich setzte mich in die Hütte und überließ mich dort sozusagen einem gediegenen moralischen Katzenjammer. Nun hatte ich in angenehmeren Tagen zu meinem Vergnügen dann und wann der Hauptzeitung des Territoriums, der ›Daily Territorial Enterprise‹ in Virginia Berichte eingeschickt und war stets überrascht gewesen, wenn sie im Druck erschienen. Die Redakteure waren dabei in meiner Meinung nicht eben gestiegen, denn es wollte mich bedünken, als hätten sie etwas Besseres finden können, um ihre Spalten zu füllen, als meine litterarischen Leistungen. Auf dem Heimweg fand ich im Postbureau einen Brief, den ich zu Hause öffnete. »Heureka!« rief ich aus – ich wußte allerdings nicht, was das heißt, fand aber den Klang des Wortes meiner Stimmung ganz angemessen – es war ein ernstliches Anerbieten von fünfundzwanzig Dollars wöchentlich, falls ich nach Virginia kommen und Lokalredakteur des ›Enterprise‹ werden wollte.

In den Tagen des ›Blinden Ganges‹ würde ich den Herausgeber gefordert haben, jetzt hätte ich vor ihm niederfallen und ihn anbeten mögen. Fünfundzwanzig Dollars die Woche – das war ein Kapital – ein Vermögen! Zwar kühlte sich meine Verzückung etwas ab, wenn ich an meine Unerfahrenheit und meinen Mangel an jeder Befähigung für diese Stellung dachte, und mir die Reihe der verfehlten Versuche, etwas aus mir zu machen, vor Augen stellte. Allein wenn ich das Anerbieten ausschlug, so würde ich binnen Kurzem nicht mehr mein täglich Brot haben und meinem Nächsten zur Last fallen; einem Menschen aber, der seit seinem dreizehnten Jahre nie eine solche Erniedrigung erlebt hatte, mußte dies notwendig zuwider sein. So wurde ich wohl oder übel Lokalredakteur. Not bricht Eisen. Ich bin fest überzeugt, hätte man mir damals das Anerbieten gemacht, gegen Gehalt den Talmud aus dem hebräischen Original zu übertragen, ich würde es ruhig angenommen und versucht haben, mich für mein Geld möglichst anständig aus der Affaire zu ziehen.

Ich ging hinauf nach Virginia, um meine neue Stellung anzutreten. Für einen Lokalredakteur sah ich recht ruppig aus, das gestehe ich offen; ohne Rock, mit Schlapphut und blauem Wollhemd, die Hosen in den Stiefeln, mit einem Bart, der mir über die halbe Brust herunterhing, und dem üblichen Matrosen-Revolver am Gürtel. Doch verschaffte ich mir einen christlicheren Anzug und gab meinem Revolver den Abschied. Ich hatte niemals Gelegenheit gehabt, jemand tot zu schießen, verspürte auch kein solches mörderisches Gelüste; nur aus Rücksicht auf die allgemeine Anschauung hatte ich das Ding getragen, um nicht unangenehm aufzufallen und zu Bemerkungen Anlaß zu geben. Zu meiner Überraschung bemerkte ich jedoch, daß die andern Redakteure, sowie sämtliche Setzer und Drucker Revolver trugen. Ich bat den Chefredakteur und Eigentümer des Blattes, Herrn Goodman, um einige Anweisungen betreffs meiner Pflichten, worauf er mir sagte, ich solle nur durch die ganze Stadt gehen und allerhand Leute über alles mögliche ausfragen, mir die erhaltene Auskunft notieren und sie dann ausführlicher zur Veröffentlichung niederschreiben. Er fügte noch bei:

»Sagen Sie niemals: ›wir erfahren‹, oder: ›es heißt‹, oder: ›es geht das Gerücht‹, oder: ›wie verlautet‹, sondern rücken Sie vor die rechte Schmiede, verschaffen Sie sich die absoluten Thatsachen und dann reden Sie von der Leber weg und sagen Sie: so und so ist es. Sonst trauen die Leute Ihren Nachrichten nicht. Unumstößliche Gewißheit ist es, was einer Zeitung den festesten und wertvollsten Ruf verschafft.«

Damit hatte ich das Wesen der Sache in nuce, und bis auf den heutigen Tag beschleicht mich, so oft ich sehe, daß ein Berichterstatter seinen Artikel mit ›wie verlautet‹ anfängt, der Verdacht, er habe auf seine Erkundigung nicht Mühe genug verwandt. Freilich, solange ich Lokalredakteur war, habe ich nicht immer nach jener Vorschrift gehandelt, sondern manchmal, wenn Mißwachs an Nachrichten herrschte, der Phantasie die Oberherrschaft über die Thatsachen gelassen. Nie werde ich die Erfahrungen vergessen, die ich an meinem ersten Tage als Berichterstatter machte. Ich wanderte durch die ganze Stadt, fragte alle Welt, bohrte jedermann an, und kein Mensch wußte etwas. Nach fünf Stunden war mein Notizbuch noch immer leer. Ich sprach mit Herrn Goodman darüber. Dieser meinte:

»Ihr Vorgänger Dan pflegte in der sauern Gurkenzeit, wenn’s sonst nichts gab, aus den Heuwagen Kapital zu schlagen. Sind keine Heuwagen vom Felde hereingekommen? Sind welche da, so könnten Sie von wiederaufgenommener Thätigkeit im Heugeschäft sprechen. Das ist zwar nicht besonders aufregend, aber es hilft doch das Blatt füllen und sieht geschäftsmäßig aus.«

Ich durchstreifte die Stadt nochmals und stöberte einen einzigen elenden alten Heuwagen auf, der sich langsam vom Felde hereinbewegte. Aber ich wußte ihn zu fruktifizieren; ich multiplizierte ihn mit sechzehn, ließ ihn aus sechzehn verschiedenen Richtungen her in die Stadt fahren, machte sechzehn besondere Artikelchen über ihn und schlug einen Lärm über das Heu, wie er in Virginia City noch nie erlebt worden war.

Das war ermutigend. Ich hatte zwei Spalten Nonpareille zu füllen, und kam damit ganz nett vorwärts. Gerade als der Stoff wieder zur Neige ging, brachte ein Raufbold in einer Schnapsbude einen Mann um, und abermals kehrte Freude bei mir ein. Niemals in meinem Leben war ich wegen einer Bagatelle wie diese so vergnügt gewesen. Ich sagte zu dem Mörder:

»Mein Herr, Sie sind mir ein Fremder, aber Sie haben mir heute einen Gefallen gethan, den ich Ihnen nie vergessen werde. Wenn ganze Jahre von Dankbarkeit Ihnen einen Ersatz bieten können – sie soll Ihnen zu teil werden. Ich war in Not, und Sie haben mir zu rechter Zeit edelmütig heraus geholfen, als alles dunkel und öde aussah. Zählen Sie mich fortan zu Ihren Freunden; denn ich bin nicht der Mann, der eine Gefälligkeit vergißt.«

Wenn ich das alles nicht wirklich zu ihm sagte, so empfand ich doch wenigstens das Verlangen danach. Ich berichtete über die Mordthat mit einem wahren Heißhunger auf interessante Einzelheiten, und als ich zu Ende war, bedauerte ich nur, daß man nicht meinen Wohlthäter auf der Stelle gehenkt hatte; ich würde ihn gern auch noch verarbeitet haben.

Sodann entdeckte ich ein paar Wagen mit Auswanderern, die sich eben anschickten auf der Plaza ein Lager zu bilden, und von denen ich erfuhr, daß sie vor kurzem durch feindliches Indianergebiet gekommen und dabei ziemlich übel gefahren waren. Ich machte aus dieser Nachricht alles, was die Umstände erlaubten; wäre ich nicht durch die Anwesenheit der Berichterstatter anderer Blätter in strengen Grenzen gehalten gewesen, so würde ich zweifelsohne den Artikel durch einige Zuthaten noch viel interessanter gemacht haben. Einen Wagen fand ich jedoch, der nach Kalifornien weiter ging und zog bei dessen Besitzer geschickte Erkundigungen ein. Als ich aus seinen kurzen, mürrischen Antworten auf meine Kreuz- und Querfragen ersehen hatte, daß er ganz bestimmt abfahren und am nächsten Tage nicht mehr in der Stadt sein würde, folglich keinen Lärm schlagen konnte, lief ich den anderen Zeitungen den Rang ab, indem ich mir sein Personenverzeichnis abschrieb und seine ganze Gesellschaft unter den Toten und Verwundeten aufführte. Da ich mich in diesem Falle nicht zu beschränken brauchte, ließ ich den Wagen einen Kampf mit den Indianern bestehen, der bis auf den heutigen Tag in der Geschichte nicht seinesgleichen hat.

Meine beiden Spalten waren damit gefüllt. Als ich sie am Morgen durchlas, fühlte ich, daß ich endlich meinen wahren Beruf gefunden hatte. Neuigkeiten, und zwar aufregende Neuigkeiten waren es, was die Zeitung brauchte, und ich fühlte in mir in ganz besonderem Grade die Fähigkeit, solche zu liefern. Herr Goodman meinte, ich stehe als Berichterstatter nicht hinter Dan zurück. Ein höheres Lob wünschte ich mir nicht. Auf diese Ermutigung hin fühlte ich mich stark genug, im Notfall den Interessen des Blattes zuliebe sämtliche Auswanderer auf der Ebene eines grausamen Todes durch meine Feder sterben zu lassen.

Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Sechs Monate, nachdem ich unter die Journalisten gegangen war, begann die große Zeit des Silberlandes, wo es ›flott herging‹, und diese dauerte in unvermindertem Glanze drei Jahre lang. Alle Schwierigkeit, die Spalten mit Lokalnachrichten zu füllen, war nun vorüber; man hatte nur seine liebe Not, wie man die Unmasse von Begebenheiten und Vorkommnissen, die jeden Tag in unser litterarisches Netz gingen, unterbringen sollte trotz der Vergrößerung des Formats. Virginia hatte sich zur lebhaftesten Stadt entwickelt, die es in Amerika je gegeben, wenn man ihr Alter und ihre Einwohnerzahl in Betracht zieht. Die Gehwege wimmelten von Menschen – und zwar dermaßen, daß es meist keine leichte Aufgabe war, durch die Menschenflut hindurchzukommen. Die Fahrstraßen waren nicht minder gedrängt voll von Quarzwagen, Frachtwagen und sonstigen Fuhrwerken in endlosem Zuge. Das Gedränge war derartig, daß kleine Gefährte oft eine halbe Stunde lang warten mußten, bis es ihnen gelang, über die Hauptstraße hinüberzukommen. Vergnügt strahlten alle Gesichter; eine fast wilde Anspannung sprach aus jedem Auge und erzählte von den Plänen zum Geldmachen, die in jedem Gehirn kochten, und von den hochgeschwellten Hoffnungen, die aller Herzen erfüllten. Geld gab es wie Sand am Meer. Jeder einzelne hielt sich für reich, und eine trübselige Miene war nirgends zu sehen. Es gab Milizkompagnien, Spritzenkompagnien, Musikchöre, Banken, Hotels, Theater, liederliche Tanzböden, ›Hurdy-Gurdy-Häuser‹ genannt, weit offenstehende Spielhöllen, politische Klubs, Bürgeraufzüge, Straßenkämpfe, Mordthaten, Leichenbeschauungen, Tumulte, alle fünfzehn Schritt eine Schnapsbrennerei, einen Gemeinderat mit einem Bürgermeister, einen Stadtvermesser, einen Stadtingenieur, einen Direktor des Feuerlöschwesens mit einem ersten, zweiten und dritten Assistenten, einen Polizeidirektor, einen Stadtmarschall und eine starke Polizistenschar, zwei Kollegien von Kuxmaklern, ein Dutzend Brauereien und ein halbes Dutzend Gefängnisse und Polizeistationen in voller Arbeit; auch sprach man davon, eine Kirche zu bauen. Der Aufschwung war großartig in jeglicher Beziehung. Mächtige feuerfeste Backsteinhäuser stiegen in den Hauptstraßen empor, und die hölzernen Vorstädte breiteten sich nach allen Richtungen aus. Für Bauplätze in der Stadt erzielte man ganz erstaunliche Preise.

Die große Combstock-Erzader, reich an Edelmetall, erstreckte sich von Norden nach Süden durch die ganze Länge der Stadt, und ihre sämtlichen Gruben standen im fleißigsten Betriebe. Eine einzige dieser letzteren beschäftigte sechshundertfünfundsiebzig Mann, und bei Wahlen hieß es stets: »wie die Gould & Curry-Grube stimmt, so stimmt die ganze Stadt.« Der Tagelohn der Arbeiter betrug vier bis sechs Dollars; sie arbeiteten in drei Schichten oder Abteilungen, und das Sprengen, Hacken und Schaufeln ging Tag und Nacht ohne Unterbrechung fort.

Die Stadt Virginia thronte königlich auf halber Höhe des steil ansteigenden Mount Davidson 7200 Fuß über dem Meeresspiegel und war in der klaren Atmosphäre Nevadas bis auf fünfzig Meilen sichtbar. Ihre Bevölkerung betrug 15,000 bis 18,000 Seelen, und den ganzen Tag über schwärmte die Hälfte dieser kleinen Armee gleich Bienen durch die Straßen, die andere Hälfte dagegen schwärmte hundert und aber hundert Fuß tief unter eben diesen Straßen in den Schachten und Stollen der Combstock-Erzschicht. Oft fühlten wir unsere Stühle beben, während der schwache Knall einer Sprengung aus den Eingeweiden der Erde unter der Redaktion heraufklang.

Der Bergabhang war so steil, daß die ganze Stadt schräg wie ein Dach daran hinaufging. Die Straßen bildeten sämtlich Terrassen, von denen eine immer vierzig bis fünfzig Fuß über der anderen lag. Es war ein mühseliges Klettern selbst in dieser dünnen Atmosphäre, wenn man von der D-straße nach der A-straße hinaufsteigen mußte, und man kam keuchend und außer Atem oben an. Dagegen brauchte man sich nur umzudrehen, um wie ein Pfeil wieder hinab zu stiegen. Die Luft war in dieser Höhe so dünn, daß einem das Blut stets durch die Haut zu dringen schien, und eine Stecknadelschramme ernstliche Sorgen machen konnte, weil leicht ein gefährlicher Rotlauf daraus entstand. Aber zur Entschädigung dafür waren Schußwunden wunderbar schnell geheilt, und so hatte man wenig Aussicht, sich durch einen Schuß, der dem Gegner nur durch beide Lungen ging, dauernde Genugthuung zu verschaffen; man konnte beinahe sicher annehmen, daß er vor Ablauf des Monats wieder auf dem Damm war und sich nach einem umsah und zwar nicht mit einem Opernglase.

Von Virginias hoher Lage aus überschaute man ein mächtiges, weitumfassendes Panorama von Bergzügen und Wüsten, und ob nun der Tag hell und bewölkt war, ob die Sonne auf- oder unterging oder am Zenith stammte, ob es Nacht war und der Mond am Himmel leuchtete, immer hatte man einen schönen, unvergeßlichen Anblick. Über uns ragte der Mount Davidson mit seiner grauen Kuppel empor, während vor und unter uns eine wildzerrissene Schlucht sich öffnete und ein düsteres Thor bildete, durch welches der Blick auf die mattgefärbte, von dem Silberfaden eines Flusses durchzogene Wüste fiel. Die Ufer des Flusses waren mit Bäumen eingefaßt, die sich in der meilenweiten Entfernung nur wie eine zarte Franse ausnahmen. In noch weiterer Ferne erhoben die beschneiten Berge ihre langgezogene Schranke bis zum nebeligen Horizont hin – jenseits eines Landsees, der in der Wüste wie eine vom Himmel gefallene Sonne flammte, obwohl auch er fünfzig Meilen entfernt lag. Man mochte aus seinem Fenster blicken, wohin man wollte, stets bot sich ein bezauberndes Bild. Selten, sehr selten kam es vor, daß Wolken am Himmel standen, dann aber vergoldete, rötete und verklärte die sinkende Sonne dieses weitausgedehnte Landschaftsbild unfeiner geradezu verwirrenden Farbenpracht, welche das Auge wie mit Zaubergewalt fesselte und die Seele wie Musik ergriff.

Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Mein Gehalt wurde auf vierzig Dollars die Woche erhöht, aber ich ließ ihn mir selten auszahlen. Ich hatte eine Menge anderer Hilfsquellen; und was bedeuteten zwei Zwanzig-Dollarstücke für einen Mann, der die Tasche voll von solchen Dingern und zugleich blanke Halbdollarstücke in Überfülle hatte? Das Berichterstatten war einträglich, und in der ganzen Stadt war jedermann freigebig mit seinem Geld und seinen ›Fuß‹. Die Stadt und der ganze große Bergabhang war von Schachten durchlöchert wie ein Sieb. Es gab mehr Bergwerke als Bergleute. Allerdings lieferten kaum zehn von diesen Bergwerken Erze, die es verlohnt hätte, nach einem Pochwerk zu schaffen, aber jedermann sagte: »Wartet nur, bis der Schacht so weit hinunter kommt, daß die Ader gediegen wird, dann werdet ihr schon sehen!« So war kein Mensch mutlos. Die Gruben waren fast sämtlich taub und ohne allen Gehalt, über das glaubte damals kein Mensch. Jedermann war fest überzeugt, daß seine kleine taube Parzelle ebensogut an der ›Hauptader‹ sei, wie die ergiebigsten Combstockgruben, und unfehlbar tausend Dollars wert sein werde, sobald der Schacht ›aufs Gediegene komme‹. Die armen Kerls! Sie sollten diesen Tag nie erleben, und es war nur gut, daß sie blind dagegen waren.

So bohrten sich die tausend tauben Schachte Tag für Tag immer tiefer in die Erde, und jedermann war außer sich vor Hoffnung und Glück. Wie sie arbeiteten, prophezeiten, jubelten! Wahrlich, seit die Welt stand, hatte man etwas Ähnliches nicht erlebt. Von diesen Bergwerken – oder vielmehr diesen Löchern über eingebildeten Bergwerken – war ein jedes gesetzlich eingetragen und hatte hübsch mit Illustrationen verzierte Kuxe, und diese Kuxe waren verkäuflich. Mit fieberhafter Gier wurden dieselben Tag für Tag in den Maklerbanken verkauft und gekauft. Man konnte oben am Berge ein bißchen herumscharren, bis man einen Erzgang fand (es war kein Mangel daran), dann eine ›Bekanntmachung‹ mit einem prahlerischen Namen aufstecken, sich ›Anteilscheine‹ drucken lassen und ohne den mindesten greifbaren Beweis dafür, daß die betreffende Grube auch nur einen Pfifferling wert sei, das Papier auf den Markt bringen, wo es für Hunderte, ja Tausende von Dollars verkauft wurde. Geld zu machen, und zwar im Fluge, kostete nicht mehr Mühe, als ein Mittagsmahl zu verzehren. Jedermann besaß ›Fuß‹ in fünfzig verschiedenen tauben Gruben und betrachtete sich als reich. Man denke sich eine Stadt, in der es nicht einen einzigen armen Mann giebt. Man sollte meinen, als Monat auf Monat verging und immer noch keine einzige ›Wildkatzengrube‹ (so wurden alle nicht auf der Mutterader, d. h. der Combstock-Schicht, belegten Parzellen genannt) eine Tonne Erz geliefert hatte, die das Zerstampfen lohnte, die Leute hätten sich nachgerade gefragt, ob sie nicht am Ende doch zu fest an ihre vermeintlichen Reichtümer glaubten, – aber kein Gedanke daran. Sie wühlten die Erde weiter auf, kauften und verkauften und waren glücklich dabei.

Täglich wurden neue Stellen belegt und es herrschte dabei die freundliche Gepflogenheit, schnurstracks nach den Zeitungsredaktionen zu laufen, dem Berichterstatter vierzig oder fünfzig Fuß zu schenken, und ihn damit zur Besichtigung der Grube und zu einer Notiz über dieselbe zu gewinnen. Was man darüber sagte, war ihnen ganz eins, wenn man nur etwas sagte. So sagten wir gewöhnlich mit ein paar Worten, die ›Anzeichen‹ seien gut, oder die Gesteinschicht sei sechs Fuß breit, oder der Fels sähe dem Combstock ähnlich, was auch der Fall war, nur war die Ähnlichkeit nicht so groß, daß man vor Verwunderung darüber auf den Rücken fiel. Versprach das Gestein einigermaßen etwas, so folgten wir der Landesitte, brauchten starke Eigenschaftswörter und priesen dieses Wunder auf dem Gebiete der Silberentdeckung dermaßen, daß uns der Schaum vor den Mund trat. War die Grube schon abgeteuft und bearbeitet, ohne brauchbares Erz aufzuweisen (natürlich war überhaupt kein solches darinnen), so lobten wir den Stollen, über den wir in den höchsten Tönen faselten, ohne aber ein Wort über das Gestein selbst zu verlieren. Oder wir verschwendeten auch eine halbe Spalte voll Lobeserhebungen auf einen Schacht oder ein neues Drahtseil u. dgl., oder auch auf ›das vornehme und thatkräftige Auftreten des Herrn Obersteigers der Grube‹, wiederum ohne über das Gestein die leiseste Silbe zu verlieren; und doch waren jene Leute stets froh, stets befriedigt. Gelegentlich flickten oder lackierten wir unsern Ruf verständiger Prüfung und ernster, höchst genauer Beschreibung dadurch, daß wir für irgend eine alte aufgegebene Parzelle in die Trompete stießen, daß ihr die dürren Knochen hätten rasseln sollen, und dann pflegte irgend jemand dieselbe zu nehmen und sie auf die ihr so verschaffte vergängliche Berühmtheit hin zu verkaufen. Nichts, was die Gestalt einer Bergwerkparzelle trug, war unverkäuflich. Wir bekamen Tag für Tag Geschenke von ›Fuß‹. Brauchten wir hundert Dollars oder so etwas, so verkauften wir ein paar davon; wo nicht, so speicherten wir sie auf, überzeugt, daß sie einst tausend Dollars der Fuß wert werden mußten. Ich hatte meinen Koffer beinahe halb voll von Kuxen. Wenn eine Parzelle Aufsehen auf dem Markte erregte und hoch hinaufging, suchte ich mein Paket durch und sah nach, ob ich von den betreffenden Kuxen etwas hatte; gewöhnlich fand ich auch, was ich suchte.

Ich hatte aber nicht bloß als Gegenleistung für Zeitungsnotizen meine Kuxe geschenkt erhalten. Jedermann trug alle Taschen voll davon, und es war damals geradezu Landessitte, ungebeten kleine Quantitäten an seine Freunde zu verschenken, wie man diesen sonst Obst oder Zigarren anbietet. Höchstens ein ›Danke schön‹ erwartete man dafür, und selbst dazu war man nicht gesetzlich verpflichtet. Flotte Zeiten in der That! Ich dachte, sie würden ewig dauern, aber ich hatte niemals viel von einem Propheten an mir.

Um zu zeigen, welch ein toller Geist in den Köpfen dieser Bergmannsgemeinde spukte, will ich bemerken, daß Parzellen sogar bei Kellerausgrabungen belegt wurden, wenn die Spitzhacke etwas bloßlegte, was einer Quarzader gleich sah. Und das waren nicht etwa Keller in den Vorstädten, sondern mitten im Herzen der Stadt; sofort wurden dann Anteilscheine ausgegeben und auf den Markt geworfen. Man kümmerte sich wenig darum, wem der Keller gehörte, die Ader gehörte dem Finder, und wenn sich nicht die Regierung der Vereinigten Staaten hineinmischte, die damals das Vorrecht auf Edelmetallgruben in Nevada besaß, so nahm man an, daß er wirklich das ausschließliche Recht habe, dieselbe auszubeuten. Nun stelle man sich vor, wie ein Fremder mitten unter den kostbaren Gewächsen unseres Vorgartens eine Stange mit der ›Bekanntmachung‹ aufpflanzt, daß er hier ein Stück Land zu einer Grube belegt habe, und in größter Seelenruhe sich anschickt, den Boden mit Hacke, Schaufel und Sprengpulver wüste zu legen! Das ist aber in Kalifornien häufig vorgekommen. Mitten in einer Hauptgeschäftsstraße Virginias belegte jemand eine Parzelle zu einer Grube und teufte einen Schacht darauf ab. Er gab mir hundert Fuß von derselben, die ich jedoch gegen einen feinen Anzug vertauschte, weil ich befürchtete, es könnte jemand in den Schacht fallen und uns auf Entschädigung verklagen. An einer anderen gleichfalls mitten in einer Straße belegten Parzelle war ich Miteigentümer; und um zu zeigen, wie einfältig die Menschen sein können, erwähne ich, daß die Kuxe der ›East India‹, wie die Grube hieß, sich ganz flott verkauften, obwohl ein alter Stollen unter der Parzelle hinlief, in dem sich jedermann ungehindert mit eigenen Augen überzeugen konnte, daß er keine Quarzschicht oder irgend etwas einer solchen nur von weitem Ähnliches berührte.

Eine Methode, plötzlich zu Reichtum zu gelangen, bestand darin, eine Wildkatzengrube zu ›salzen‹ und dann zu verkaufen, solange die Aufregung dauerte. Das Verfahren war einfach. Der Betreffende belegte eine wertlose Schicht, teufte einen Schacht darauf ab, kaufte eine Wagenladung von reichem Combstock-Erz, ließ einen Teil davon in den Schacht werfen und das Übrige daneben an der Oberfläche ausschütten. Dann zeigte er sein Besitztum einem Einfaltspinsel, der es ihm um hohen Preis abkaufte. Natürlich war jene Wagenladung reiches Erz alles, was das Opfer bei seinem Kaufe herausschlug.

Ein höchst merkwürdiger Fall von ›Salzung‹ war der, welcher bei der Grube ›Nord-Ophir‹ vorkam. Man behauptete, diese Ader sei eine entfernte Fortsetzung des eigentlichen ›Ophir‹, einer wertvollen Grube auf dem Combstock. Mehrere Tage sprach alle Welt von der reichen Ausbeute im ›Nord-Ophir‹. Es hieß, die Grube gebe vollständig reines Silber in gediegenen Klümpchen. Ich ging mit dem Besitzer an die Stelle und fand einen sechs bis acht Fuß tiefen Schacht und unten an dessen Sohle eine schlecht gesprengte Ader von dunklem, gelblichem, nichts versprechendem Gestein. Ebenso gut hätte man in einem Schleifstein Silber vermuten können. Wir holten eine Pfanne von dem Quark herauf und wuschen ihn in einer Pfütze aus und, wahrhaftig, in dem Bodensatze fanden wir ein halbes Dutzend runder Kügelchen von unzweifelhaftem, gediegenem Silber. Etwas derartiges hatte noch kein Mensch gehört; für die Wissenschaft war diese seltsame Neuigkeit ein völliges Rätsel. Die Anteilscheine stiegen auf fünfundsechzig Dollars für den Fuß und zu diesem Preise kaufte sich der weltberühmte Tragöde Kenn Buchanan einen bedeutenden Vorrat davon und beschloß wieder einmal – wie schon so oft – der Bühne zu entsagen. Auf einmal hieß es, die Grube sei ›gesalzen‹ worden, aber nicht etwa nach irgend einer abgedroschenen Methode, sondern in ungewöhnlich kecker, frecher, eigenartiger und schandbarer Weise. Man entdeckte nämlich auf einem der Klümpchen gediegenen Silbers Bruchstücke der Münzumschrift ›United States of America‹, und nun lag es klar am Tage, daß die Grube mit geschmolzenen Halbdollars ›gesalzen‹ worden war. Die so gewonnenen Klümpchen hatte man geschwärzt, bis sie gediegenem Silber im Urzustande glichen und sie dann mit dem losgesprengten Gestein auf dem Boden des Schachtes vermischt. Dies ist buchstäblich wahr. Natürlich fielen die Kuxe sofort auf Null und der Tragöde war ruiniert. Ohne diese Kalamität wäre Mc. Kean Buchanan uns für die Bühne verloren gegangen.

Vierundzwanzigstes Kapitel

Vierundzwanzigstes Kapitel

Die ›flotten Zeiten‹ gingen inzwischen munter fort. Etwas mehr als zwei Jahre vorher hatten Herr Goodman und ein anderer Setzer sich vierzig Dollars geborgt und waren damit von San Francisco aufgebrochen, um ihr Glück in der neuen Stadt Virginia zu versuchen. Sie fanden dort das »Territorial Enterprise«, ein traurig hinsiechendes Wochenblättchen, das nach Atem schnappte und in den letzten Zügen lag. Sie kauften es: Typen, Einrichtung, Kundschaft, alles miteinander für tausend Dollars, die ihnen lange gestundet bleiben sollten. Redaktion, Zeitungsstube, Druckerei, Expedition, Schlafkammer, Wohnzimmer und Küche, alles war in ein Gemach zusammen gepreßt, und dies war nicht einmal groß. Die Redakteure und Drucker schliefen auf dem Fußboden, ein Chinese besorgte die Küche, und der Ausschießstein war die allgemeine Speisetafel. Wie anders waren die Verhältnisse jetzt. Das Blatt erschien täglich in großem Format, es wurde mit Dampf gedruckt, fünf Redakteure und dreiundzwanzig Setzer arbeiteten daran, der Abonnementspreis war sechzehn Dollars jährlich, die Einrückungsgebühren waren maßlos hoch, die Spalten stets gedrängt voll. Das Blatt warf monatlich zwischen sechs- und zehntausend Dollars ab und wurde in einem stattlichen feuerfesten Hause redigiert und gedruckt. Tag für Tag wurden fünf bis elf Spalten neuer Anzeigen wegen Überhäufung entweder zurückgelegt oder in Extrablättern zusammen veröffentlicht.

Die ›Gould & Curry-Gesellschaft‹stand im Begriffe, ein Riesenpochwerk mit hundert Stampfen zu errichten, dessen Herstellungskosten nicht viel unter einer Million Dollars betrugen. Die Kuxe dieses Bergwerks zahlten schwere Dividenden – ein seltener Fall, der nur bei den zwölf oder fünfzehn Parzellen vorkam, die über der Hauptader, dem Combstock, lagen. Der Direktor dieser Grube wohnte mietfrei in einem schönen Hause, das von der Gesellschaft gebaut und möbliert war. Er fuhr mit stattlichen Pferden, die ihm die Gesellschaft geschenkt hatte, und sein Gehalt betrug zwölftausend Dollars jährlich. Der Direktor einer anderen großen Grube reiste wie ein Fürst herum, hatte einen Jahresgehalt von achtundzwanzigtausend Dollars und beanspruchte später überdies noch auf dem Rechtswege ein Prozent der ganzen Silberausbeute als ihm zukommend.

Geld war in wunderbarer Fülle vorhanden. Es zu verdienen machte keine Mühe, Wohl aber, es auszugeben und loszuwerden. Und so traf es sich glücklich, daß gerade während jener Zeit der Draht die Nachricht brachte, daß eine große Sanitätskommission der Vereinigten Staaten gebildet worden sei, welche für die Soldaten und Matrosen der Union, die in den Spitälern des Ostens lagen, Geld brauche. Dieser Nachricht folgte die Kunde auf den Fersen, daß San Francisco sich an dem Werk in großartiger Weise beteiligt habe, ehe das Telegramm auch nur einen Tag alt gewesen sei. Virginia erhob sich wie ein Mann. Ein Sanitätskomitee wurde in aller Eile organisiert, der Präsident desselben bestieg einen leeren Karren in der C-straße und versuchte der ungeduldigen und lärmenden Menge begreiflich zu machen, daß die übrigen Mitglieder des Komitees aus Leibeskräften arbeiteten, und daß noch vor Ablauf einer Stunde ein Bureau eingerichtet, Bücher aufgelegt, und das Komitee bereit sein werde, Beiträge anzunehmen. Seine Stimme wurde übertäubt, seine Mitteilung ging in einem unaufhörlichen Jubelgebrüll und dem Verlangen, daß das Geld sofort angenommen werden solle, verloren; die Leute waren wie rasend, sie wollten nicht warten. Der Präsident machte Vorstellungen und suchte zu beweisen, daß das nicht angehe; aber taub gegen alle Bitten drängte sich die Menge an den Wagen, in den sie Goldstücke regnen ließen, worauf alle wieder abtrabten, um noch mehr zu holen. Hände voll Geld erhoben sich aus dem Gedränge. Unterstützt von dieser beredten Gebärdensprache hofften viele sich einen Weg bahnen zu können. Selbst die Chinesen und Indianer wurden von der Aufregung angesteckt und warfen ihre halben Dollars in den Karren, ohne zu wissen oder sich darum zu kümmern, zu welchem Zwecke. Sauber gekleidete Frauen stürzten sich in das Gedränge, kämpften sich mit ihrem Gelde bis zum Karren durch und tauchten dann nach einer Weile mit jämmerlich zerzaustem Anzüge wieder aus der Menge hervor. Es war der wildeste Auflauf, den Virginia jemals gesehen; als zuletzt die Wut nachließ und alle auseinander gingen, hatte keiner mehr einen Pfennig in der Tasche. Um in der eigenen Sprache der Leute zu reden: mit vollem Sacke kamen sie, und ausgebeutelt gingen sie hinweg.

Nun begann das Komitee in systematischer Ordnung zu arbeiten und wochenlang flossen die Beiträge wie ein Strom in seine Kasse. Einzelne Personen und ganze Genossenschaften legten sich eine regelmäßige Steuer für den Sanitätsfonds auf, die sich nach ihren Mitteln abstufte; als aber der berühmte ›Sanitätsmehlsack‹ zu uns kam, gab es einen zweiten großen allgemeinen Ausbruch. Die Geschichte des Sackes ist eigentümlich und interessant. In der kleinen Stadt Austin am Reeseflusse war ein früherer Schulkamerad von mir, Namens Reuel Gridley, Kandidat der demokratischen Partei für die Bürgermeisterstelle. Er kam mit dem republikanischen Gegenkandidaten dahin überein, daß der Unterliegende von dem Sieger mit einem fünfzig Pfund schweren Mehlsack beschenkt werden und denselben auf seiner Schulter nach Hause tragen sollte. Gridley unterlag und erhielt den Mehlsack von dem neuerwählten Bürgermeister. Er lud ihn auf die Schulter und trug ihn gegen zwei Meilen weit von Nieder-Austin nach Ober-Austin, begleitet von einem Musikchor und der ganzen Bevölkerung. Bei seiner Ankunft erklärte er, er brauche das Mehl nicht und fragte, was er nach der Meinung des Volkes am besten damit anfangen könnte. Eine Stimme rief:

»Verkaufen Sie es an den Meistbietenden zu Gunsten des Sanitätsfonds!«

Der Vorschlag wurde ringsum mit lautem Beifall begrüßt, und Gridley stieg auf eine Kiste, um die Rolle eines Auktionators zu übernehmen. Die Gebote gingen rasch in die Höhe, als die Leute sich mehr und mehr für die Sache erwärmten, bis der Sack zuletzt einem Müller zu zweihundertfünfzig Dollars zugeschlagen und dessen Anweisung in Empfang genommen wurde. Man fragte ihn, wo er das Mehl abgeliefert haben wolle, worauf er erwiderte:

»Nirgends, verkauft es noch einmal.«

Jetzt brachen donnernde Jubelrufe los, und die Menge geriet ins richtige Feuer. So stand Gridley bis zum Sonnenuntergang schreiend und schwitzend da, und als die Masse auseinanderging, hatte er den Sack an dreihundert verschiedene Leute verkauft und achttausend Dollars in Gold dafür eingenommen. Und noch immer war der Mehlsack in seinem Besitze.

Als die Nachricht in Virginia eintraf, kam von dort ein Telegramm zurück:

»Schickt euern Mehlsack her.«

Sechsunddreißig Stunden darauf kam Gridley an; im Opernhause wurde eine Nachmittagsversammlung gehalten und die Auktion begann. Aber der Mehlsack war früher gekommen als man erwartete, die Leute waren noch nicht ordentlich ins Feuer geraten, und so schleppte sich der Verkauf matt hin. Bei Einbruch der Nacht hatte man erst fünftausend Dollars in Händen und es herrschte große Niedergeschlagenheit in der Gemeinde.

Indes war man nicht geneigt, die Sache damit ruhen zu lassen und dem Dorfe Austin den Sieg zuzuerkennen.

Bis spät in die Nacht hinein waren die vornehmsten Bürger am Werke, den Feldzug für den nächsten Tag vorzubereiten, und als sie zu Bett gingen, war ihnen wegen des Ergebnisses nicht mehr bange. Um elf Uhr am Vormittag fuhr ein langer Zug offener Wagen, begleitet von lärmenden Musikbanden und geschmückt mit wehenden Fahnen, die C-straße hinunter, wo sie bald in Gefahr gerieten, von einer Hurra rufenden Menschenmenge eingeschlossen und am Weiterkommen verhindert zu werden. Im ersten Wagen saß Gridley, welcher den mit goldenen Buchstaben verzierten und schön geschmückten Mehlsack so hielt, daß er recht ins Auge fiel, ferner der Bürgermeister und der Syndikus. Die anderen Wagen enthielten den Stadtrat, Redakteure und Berichterstatter und andere Leute von Ansehen und Bedeutung. Die Menge drängte nach der Ecke der C- und Taylorstraße, in der Erwartung, daß der Verkauf dort beginnen werde; allein sie täuschte sich und erlebte zugleich eine unaussprechliche Überraschung; die Kavalkade zog weiter, als käme Virginia überhaupt gar nicht mehr in Betracht und nahm ihren Weg auf die kleine Stadt Gold-Hill zu. Telegramme waren nach Gold-Hill, Silver-City und Dayton vorausgegangen, so daß deren Bevölkerung bereits in fieberhafter Erregung darauf wartete, sich ins Gefecht zu stürzen. Es war ein sehr heißer Tag und furchtbar staubig. Nach Verlauf einer kurzen halben Stunde stiegen wir unter Trommelschlag mit fliegenden Fahnen, von mächtigen Staubwolken umwallt, nach Gold-Hill hinab. Die ganze Bevölkerung, Männer, Weiber und Kinder, Chinesen und Indianer waren in der Hauptstraße versammelt, alle Flaggen der Stadt flatterten an den Masten und das Hurrarufen der Menge übertönte der Lärm der Musikbanden. Gridley erhob sich und fragte, wer auf den vaterländischen Sanitäts-Mehlsack das erste Gebot thun wolle. General W. erklärte: »Die Yellow-Jacket-Silberbergbaugesellschaft bietet tausend Dollars in Münze.«

Ein Beifallssturm folgte. Der Telegraph trug die Kunde nach Virginia, binnen fünfzehn Minuten war die ganze Einwohnerschaft auf der Straße versammelt und verschlang die Botschaft; es gehörte nämlich mit zum Programm, daß jeder Drahtbericht auf den Anschlagbrettern sofort bekannt gemacht wurde. Alle paar Minuten erschien ein neues von Gold-Hill her telegraphiertes Bulletin, und immer mehr wuchs die Aufregung. Nach Verlauf einer Stunde hatte die schwache Bevölkerung von Gold-Hill für den Mehlsack eine Summe gezahlt, welche Virginias höchste Begeisterung erweckte, als das Gesamtergebnis an den Plakatstellen zu lesen war. Nun rückte Gridleys Kavalkade weiter – erfrischt mit Strömen Lagerbiers, welches die Leute in verschwenderischem Maße an die Wagen brachten; nach weiteren drei Stunden hatte die Expedition Silver City und Dayton mit Sturm genommen und befand sich ruhmbedeckt auf dem Heimwege. Das alles war telegraphiert und veröffentlicht worden; als nun die Prozession um halb neun Uhr abends in Virginia einzog und die C-straße hinunterkam, war die ganze Bevölkerung auf den Straßen, Fackeln loderten, Flaggen wehten, Musikbanden spielten, Hurra auf Hurra erschütterte die Luft und die Stadt war bereit, sich auf Gnade und Ungnade zu ergeben. Die Auktion begann; jedes Gebot wurde mit Beifallsausbrüchen begrüßt, und nach Verlauf von dritthalb Stunden hatte eine Bevölkerung von fünfzehntausend Seelen für einen fünfzig Pfund schweren Mehlsack eine Summe in Gold bezahlt, die in Staatsnoten fünfzigtausend Dollars betragen haben würde. Es kamen ungefähr drei Dollar auf jeden Kopf der Bevölkerung, Weiber und Kinder mitgerechnet. Das Gesamtergebnis würde zweimal so groß gewesen sein, aber die Straßen waren sehr schmal und Hunderte, die gerne mitgeboten hätten, konnten weder bis zum Platz des Auktionators gelangen, noch sich vernehmlich machen. Des Wartens überdrüssig gingen viele lange vor Schluß der Auktion wieder nach Hause. Dies war vielleicht der größte Tag, den Virginia jemals erlebte.

Gridley verkaufte den Sack in Carson City und in verschiedenen Kalifornischen Städten; dann nahm er ihn mit nach dem Osten und brachte ihn endlich nach St. Louis, wo ein Sanitätsbazar abgehalten und eine große Summe eingenommen wurde. Um die Begeisterung zu erhöhen, hatte man dort die aus Nevadas Schenkung erzeugten stattlichen Silberbarren ausgestellt. Zuletzt ließ Gridley das Mehl in kleine Kuchen backen, die er einzeln zu hohen Preisen verkaufte. Die Kosten seiner ungeheuren, mühevollen Expedition hatte der treffliche Mann wenn nicht ganz, so doch größtenteils aus eigener Tasche bezahlt.

Als die Mission des Mehlsacks beendet war, schätzte man die Gesamtsumme, für die derselbe verkauft war, auf hundertfünfzigtausend Dollars in Papier. Dies ist wahrscheinlich der einzige Fall, den die Geschichte verzeichnet, in welchem gewöhnliches Brotmehl auf offenem Markte zu dreitausend Dollars das Pfund verkauft worden ist.

*

Bevor ich diesen Teil meiner Erinnerungen beschließe, will ich noch einer kleinen Episode gedenken. Dieselbe betrifft

meine erste Begegnung mit Artemus Ward.

Dieser berühmte, jetzt verstorbene Komiker und Humorist bereiste damals, als ich in Virginia City Redakteur war, die Städte im fernen Westen, um Vorlesungen zu halten, und kam bei dieser Gelegenheit auch in die genannte Stadt. Ich hatte ihn noch nie gesehen. Er brachte mir Empfehlungsbriefe von gemeinsamen Freunden in San Francisco und lud mich ein, mit ihm zu frühstücken. Im Bereich der Silberminen galt es fast als eine heilige Pflicht, vor solcher Mahlzeit einen Whiskey-Cocktail zu trinken. Mit echt kosmopolitischer Gesinnung pflegte sich Artemus stets nach den Sitten des Landes zu richten, in welchem er sich gerade befand; so bestellte er denn auch jetzt drei von den abscheulichen Schnäpsen, Higston, sein Reisebegleiter, war auch zugegen. Ich sagte, ich wolle lieber keinen Whiskey trinken, er würde mir zu sehr zu Kopfe steigen und mich in zehn Minuten so verdreht machen, daß ich keinen klaren Gedanken mehr fassen könne. Mich vor Fremden wie ein Verrückter zu gebärden, sei nicht nach meinem Sinn. Auf Artemus Wards freundliches Zureden trank ich aber dennoch das tückische Gebräu, obgleich mit Widerstreben und in dem Bewußtsein, daß ich etwas thue, was mich alsbald reuen würde.

In kürzester Frist kam es mir vor, als umnebelten sich meine Sinne. Ich wartete daher mit großer Angst auf den Beginn der Unterhaltung und hoffte im stillen, daß sich meine Befürchtung als unbegründet erweisen und ich doch noch bei Verstande sein würde.

Artemus ließ zuerst einige unbedeutende Bemerkungen fallen, nahm dann eine ganz übermenschlich ernste Miene an und hielt folgende erstaunliche Rede:

»Noch etwas möchte ich Sie zuvörderst fragen, ehe ich es vergesse. Sie sind nun schon zwei oder drei Jahre hier in Nevada, im Silberland, und Ihre Stellung bei der Tagespresse hat es natürlich mit sich gebracht, daß Sie in die Bergwerke eingefahren sind, um sich über alle Einzelheiten zu unterrichten; der ganze Silberbergbau wird Ihnen daher genau bekannt sein. Was ich nun gerne wissen möchte, ist – wie die Erzlager eigentlich beschaffen sind. Ich fasse es zum Beispiel so auf – die Ader, welche das Silber enthält, liegt zwischen zwei Granitschichten eingeschlossen, wie das Fleisch in einer belegten Buttersemmel; sie läuft im Erdboden weiter, erstreckt sich aufwärts und ragt in die Höhe wie ein Meilenstein. Nehmen wir nun an, die Ader hätte eine Mächtigkeit – sagen wir – von vierzig Fuß oder achtzig oder auch meinetwegen hundert – und Sie führten einen Schacht senkrecht darauf hinab, oder gingen mit Hilfe eines Stollens, wie man’s nennt, hinunter bis zu einer Tiefe von fünfhundert Fuß oder auch nur zweihundert Fuß, wenn Sie wollen, aber jedenfalls tief hinab – nun wird die Ader immer schmaler, wo die sie einschließenden Granitschichten dichter beisammen sind oder sich einander nähern, wenn man’s so ausdrücken will – das heißt, wenn sie wirklich näher zusammenrücken, was natürlich nicht immer der Fall ist, besonders nicht an Stellen, wo sie der ganzen Natur der Formation nach weiter auseinander gehen als anderwärts, wofür die Geologie bisher vergebens eine Erklärung gesucht hat, obwohl in dieser Wissenschaft alles auf den Beweis hinausläuft, daß bei gleichen Verhältnissen es so sein würde, wenn es nicht wäre, und gewiß nicht so sein würde, wenn es wäre – und dann sind sie es natürlich. Ist das nicht auch Ihre Meinung?«

Ich dachte bei mir selbst:

»Also richtig – ich wußte ja, daß es so kommen würde. Der Whiskey hat mich ganz benebelt und keine Auster ist jetzt so schwer von Begriffen wie ich.«

Dann sagte ich laut:

»Ich – ich – vielleicht – wenn es Ihnen nicht zu viel Mühe macht – hätten Sie wohl die Güte – das noch einmal zu sagen. Ich sollte freilich –«

»O gewiß, mit Vergnügen. Sie sehen, ich bin mit dem Gegenstande gar nicht vertraut und drücke mich daher viel zu undeutlich aus, – aber ich –«

»Nein, nein – o nein – Sie haben die Sache völlig klar auseinandergesetzt, aber, wissen Sie, der Whiskey macht mich etwas verwirrt. Ich verstehe Sie ja im übrigen ganz gut, wenn Sie mir aber die Sache noch einmal vortragen wollten, würde es mir am Ende doch begreiflich werden – diesmal will ich besser acht geben.«

»Das, worauf es mir ankommt,« sagte er, »ist einfach Folgendes: (Er sprach jetzt mit noch weit größerem Nachdruck und betonte die einzelnen Punkte ganz besonders, indem er sie an den Fingern herzählte.) Diese Ader, dieser Streifen, diese Schicht oder wie Sie es nennen wollen, liegt zwischen zwei Lagern von Granit, wie das Fleisch zwischen den beiden Hälften der Buttersemmel. So weit gut. Nun gehen Sie senkrecht hinunter, volle tausend Fuß, vielleicht sogar zwölfhundert Fuß, – darauf kommt es wirklich nicht an – ehe Sie den Stollen hineintreiben, einige Gänge quer über die Ader, andere in Längsrichtung, wo die Sulfurate – ich glaube, man nennt sie Sulfurate, obgleich ich nicht recht weiß, warum man es thut, in Anbetracht dessen, daß, worauf es dem Bergmann hauptsächlich ankommt, nicht so liegt, wie einige behaupten, ohne doch völlig beweisen zu können, daß sie nicht weiterlaufen, solange noch eine Spur oder ein Bruchstück desselben Erzes weder hier noch dort in gleicher Weise enthalten ist; wogegen unter andern Umständen selbst die Unerfahrensten unter uns es nicht entdecken könnten, wenn es wäre, oder es möglicherweise übersehen, wenn es anginge oder den bloßen Gedanken daran mit Hohn zurückweisen würden, wenn man es ihnen auch noch so handgreiflich als solches vor Augen stellte. Habe ich nicht recht?«

Ich sagte mit trübseliger Miene: »Wirklich, Herr Ward, ich muß mich vor mir selber schämen; ich weiß, ich sollte eigentlich alles verstehen, was Sie sagen, aber der abscheuliche Whiskey ist mir so in den Kopf gestiegen, daß jetzt der einfachste Satz über mein Verständnis geht. Ich habe es Ihnen ja vorausgesagt.«

»O, nicht doch, nicht doch – es liegt höchst wahrscheinlich einzig und allein an mir – zwar habe ich lange darüber nachgedacht und glaubte es klar genug –«

»Verlieren Sie, bitte, kein Wort darüber. Sie haben es so anschaulich dargestellt, daß es jedem sonnenklar einleuchten müßte, der nicht mit Blödsinn behaftet ist. Nur der verwünschte Whiskey ist an allem schuld.«

»Bewahre, wo denken Sie hin. Ich will noch einmal ganz von vorn anfangen und Sie werden sehen –«

»Ums Himmels Wille, thun Sie das doch ja nicht; ich sage Ihnen, mein Kopf ist in solcher Verfassung, daß ich nicht auf die einfachste Frage Bescheid geben könnte, die man an mich richtet.«

»Seien Sie ganz unbesorgt. Diesmal will ich es so schlicht und deutlich ausdrücken, daß Sie gar nicht umhin können, zu verstehen, was ich meine. Fangen wir ganz von Anfang an.« (Er lehnte sich über den Tisch zu mir herüber, in seinen Mienen war der felsenfeste Vorsatz zu lesen, sich verständlich zu machen, und er hielt den Finger bereit, um seinen Worten beim Aufzählen jedes einzelnen Punktes noch besonderen Nachdruck zu verleihen. Ich selbst beugte mich in peinlicher Erregung weit vor, entschlossen, ihn zu begreifen, oder zu Grunde zu gehen.)

»Sie wissen, daß die Ader, die Schicht, das Ding, welches das Metall enthält, dadurch zum Medium aller andern Kräfte wird, der zunächstliegenden wie der entferntesten Wirkungen, die so beschaffen sind, daß sie die ersteren zu Gunsten der letzteren, oder die letzteren gegen die ersteren, oder alle oder beide beeinflussen, sofern es den relativen Unterschied betrifft, der innerhalb des Radius besteht, von dem aus die verschiedenen Grade der Ähnlichkeit sich entwickeln, in welchen –«

»Hol‘ der Henker meinen Blechschädel,« fuhr ich heraus, »ich mag mich anstrengen wie ich will – aber ich verstehe nicht das Geringste. Je klarer Sie mir die Sache auseinander setzen, um so weniger begreife ich, worauf Sie hinauswollen.«

Jetzt hörte ich ein verdächtiges Geräusch hinter mir und als ich mich rasch umwandte, sah ich gerade noch, wie Hingston sich hinter ein Zeitungsblatt duckte und vor Lachen bersten wollte. Ich blickte wieder nach Ward hin – seine feierliche Miene war verschwunden und er lachte gleichfalls.

Da merkte ich, daß er mir einen Streich gespielt hatte, daß ich das Opfer eines Schwindels geworden war. Seine Rede bestand aus einer Reihe an einander gefädelter Sätze, die einzeln ganz verständlich klangen, aber im Zusammenhang auf der Gotteswelt keinen Sinn hatten.

Artemus Ward war einer der besten und umgänglichsten Menschen unter der Sonne. Man behauptet, er habe keine fließende Unterhaltung führen können, aber, wenn ich an obiges Erlebnis zurückdenke, bin ich anderer Meinung.

Lehr- und Wanderjahre.

Erstes Kapitel.

Erstes Kapitel.

Nabobs in Nevada.

In jener herrlichen Zeit, als es in Nevada flott herging, hatte das Silberland auch seine Nabobs. Einige sind mir noch erinnerlich. Es waren meist sorgenlose, leichtlebige Menschen, aus deren Reichtümern das Gemeinwesen ganz ebenso viel Nutzen zog wie sie selber, in manchen Fallen sogar noch mehr.

Einer der ersten Nabobs, die Nevada erzeugte, trug Diamanten im Werte von sechstausend Dollars am Busen und war unglücklich, daß ihm sein Geld schneller in die Taschen floß, als er es ausgeben konnte. Das Einkommen eines andern belief sich oft auf sechzehntausend Dollars monatlich. Als er zuerst ins Land kam, hatte er in dem nämlichen Bergwerk, aus welchem er später seine Schätze bezog, um einen Tagelohn von fünf Dollars gearbeitet.

Von einem jener Lieblinge des Glücks, die sozusagen über Nacht aus drückender Armut zum größten Überfluß gelangten, erzählt man sich, er habe gern ein hohes Staatsamt bekleiden wollen und hunderttausend Dollars dafür geboten, es aber trotzdem nicht erhalten, da seine Politik nicht so vertrauenerweckend war, als sein Konto auf der Bank.

Auch John Smith darf ich nicht vergessen. Er stammte aus dem niedern Volke, war eine brave, ehrliche, gutmütige Haut und von einer Unwissenheit, die ans Fabelhafte grenzte. Sein kleiner Rancho und ein Ochsengespann brachten ihm genug ein zum Lebensunterhalt; war die Heuernte auch nicht groß, so wog man ihm doch diesen seltenen Artikel mit Gold auf – er erhielt auf dem Markte für das Fuder 250 bis 300 Dollars. Nach einiger Zeit tauschte Smith mehrere Morgen von seinem Wiesenland gegen eine noch unbearbeitete Silbergrube in Goldhill ein. Er begann den Abbau und errichtete daneben ein anspruchsloses kleines Pochwerk. Anderthalb Jahre später gab er das Heugeschäft auf, denn seine Grube machte einen besseren Ertrag. Sein Einkommen wurde auf 30,000 Dollars monatlich geschätzt, von manchen sogar auf 60,000 Dollars. Jedenfalls war Smith ein reicher Mann.

Nun ging er auf Reisen. Bei seiner Rückkehr aus Europa konnte er nicht genug von den schönen Schweinen erzählen, die er in England gesehen hatte, von den herrlichen Schafen in Spanien und dem prächtigen Rindvieh in der Umgegend von Rom. Er war ganz voll von den Wundern der alten Welt und gab jedem den Rat, sich auf die Reise zu machen. Man glaube gar nicht, was es für Merkwürdigkeiten auf Erden gebe, sagte er, solange man sich nicht durch den Augenschein davon überzeugt habe.

Während seiner Überfahrt setzten die Passagiere einmal einen Preis von fünfhundert Dollars auf denjenigen aus, der am richtigsten riete, wie viele Seemeilen das Schiff in den nächsten vierundzwanzig Stunden zurücklegen würde. Um die Mittagszeit des folgenden Tages übergab jeder dem Zahlmeister ein versiegeltes Couvert, in welchem die Meilenzahl stand. Smith triumphierte im voraus: er hatte den Maschinisten bestochen. Als trotzdem ein anderer den Preis gewann, sagte er: »Halt, das geht nicht mit rechten Dingen zu, mein Anschlag kam der Wirklichkeit um zwei Meilen näher als seiner.«

»Bewahre«, versetzte der Zahlmeister, »Sie haben es von allen am Bord am schlechtesten getroffen, Herr Smith; wir sind 208 Meilen gefahren.«

»Nun ja«, rief Smith, »und ich habe 209 geraten. Sehen Sie sich doch meine Zahlen ordentlich an; eine 2 und zwei 0 sind 200, nicht wahr – dann noch eine 9 (2009) macht zweihundert und neun. Da muß ich denn doch sehr bitten, daß mir der Preis zuerkannt wird.« –

In einer Bergschlucht in unmittelbarer Nähe von Virginia City wohnte ein armer Mexikaner, auf dessen Anwesen eine Quelle am Felsen herabsickerte, die kaum eine halbe Spanne breit war. Für dieses Wässerchen gab ihm die Ophirgesellschaft eine kleine Parzelle von hundert Fuß, welche sich als der ergiebigste Teil des ganzen Bergwerks erwies; vier Jahre nach dem Tausch betrug ihr Marktwert mit Einschluß des Pochwerks 1,500,000 Dollars.

Ein neunzehnjähriger Telegraphist in Virginia wurde dadurch zum reichen Manne, daß er die Depeschen der Grubenbesitzer las, welche ihm durch die Hände gingen und je nach dem Stande der Bergwerksangelegenheiten, durch Vermittlung eines Freundes in San Francisco, Aktien kaufte oder verkaufte. Einmal kündigte eine Privatdepesche aus Virginia einen reichen Fund in einer bedeutenden Grube an, mit der Weisung, die Sache solange geheim zu halten, bis die Unternehmer sich den Besitz von möglichst vielen Anteilscheinen gesichert hätten. Der Telegraphist kaufte sofort einen Kux von 40 Fuß zu 20 Dollars den Fuß, wovon er später die Hälfte zu 800 Dollars den Fuß verkaufte und den Rest um das Doppelte. Nach drei Monaten besaß er ein Vermögen von 150,000 Dollars und hatte seine Telegraphenstelle aufgegeben.

Ein anderer Telegraphenbeamter hatte Amtsgeheimnisse verraten und war deshalb von seinen Vorgesetzten entlassen worden. Er versprach einem wohlhabenden Manne in San Francisco, ihm das Ergebnis eines großen Bergwerksprozesses, der in Virginia geführt wurde, mitzuteilen und zwar nur eine Stunde später als die streitenden Parteien in San Francisco davon privatim Kenntnis erhielten. Hiefür sicherte ihm sein Mitverschworener einen hohen Prozentsatz des Gewinns, welchen er durch rechtzeitigen An- und Verkauf von Aktien zu erzielen dachte. Um den Plan auszuführen, begab sich der verabschiedete Telegraphist, als Fuhrmann verkleidet, nach einer kleinen abgelegenen Telegraphenstation im Gebirge, machte mit dem dortigen Beamten Bekanntschaft, saß Tag für Tag, seine Pfeife rauchend bei ihm im Bureau und klagte, daß sein Gespann zu ermüdet sei und er nicht weiterfahren könne. Zugleich horchte er bei allen Depeschen aus Virginia auf das Ticken des Apparats, bis endlich ein Privattelegramm die Entscheidung des Prozesses verkündete. Sofort telegraphierte er an seinen Verbündeten:

»Kann nicht mehr warten. Werde das Gespann verkaufen und heimgehen.«

Dies war das verabredete Zeichen. Hätte er das Wort ›warten‹ fortgelassen, so würde es den entgegengesetzten Ausgang des Prozesses bedeutet haben. Der Spekulant in San Francisco kaufte nun eine Menge der betreffenden Bergwerksaktien um niedern Preis, bevor die Nachricht öffentlich bekannt wurde und sicherte sich ein Vermögen.

Zahllose Beispiele ähnlicher Art wären noch aus dem Silberlande zu verzeichnen, die angeführten werden jedoch genügen, um dem Leser einen Begriff von den Zuständen in jener flotten Zeit zu geben. Mit den meisten dieser Nabobs bin ich persönlich in Berührung gekommen; sie waren damals hochberühmt, aber jetzt spricht niemand mehr von ihnen, da fast alle wieder rasch in Armut und Dunkelheit zurückgesunken sind.

In Nevada erzählte man sich ein lustiges Abenteuer, das zwei solche Nabobs einmal gehabt haben sollen; ich kann mich für die Wahrheit nicht verbürgen und gebe es nur wieder, wie ich es gehört habe:

Oberst Jim hatte früher etwas von der Welt gesehen und kannte ihr Thun und Treiben ein wenig, aber Oberst Jack stammte aus den Hinterwäldern, sein Leben war eitel Mühe und Arbeit gewesen und er war nie in eine Stadt gekommen. Urplötzlich reich geworden, beschlossen die beiden nach New- York zu reifen; Oberst Jack, um die Sehenswürdigkeiten in Augenschein zu nehmen, und Oberst Jim, um des Freundes arglose Unschuld vor Schaden zu bewahren. Sie kamen bei Nacht nach San Francisco und segelten früh am Morgen ab. Als sie New-York erreichten, sagte Oberst Jack:

»Ich habe all mein Lebtag so viel von Equipagen reden hören, jetzt will ich einmal eine Spazierfahrt machen, einerlei was es kostet. Also vorwärts!«

Oberst Jim winkte eine schöne Kutsche herbei, aber Oberst Jack sagte:

»Wo denkst du hin? ich soll doch nicht etwa bloß so ’ne billige Spritzfahrt machen! Nein, was Ordentliches muß ich haben. Auf’s Geld kommt’s mir nicht an, aber es soll das vornehmste Fuhrwerk sein, das sich sehen läßt. Schau, da kommt gerade etwas, wie ich es möchte. Rufe ‚mal den gelben Wagen mit den schönen Bildern an. Sei nur ohne Sorgen – ich trage alle Kosten.«

So stiegen sie denn in den leeren Omnibus.

»Das nenne ich lustig,« rief Oberst Jack. »Kissen und Fenster und Bilder überall. Was wohl die Jungens sagen würden, wenn sie uns so vornehm durch New-York kutschieren sähen? Meiner Treu, ich gäbe ‚was drum, mich ihnen so zu zeigen.« Er steckte den Kopf zum Fenster hinaus. »Famos,« rief er dem Kutscher zu, »Herzensjunge, du gefällst mir; fahr nur zu, den ganzen Tag lang meinetwegen. Laß die Pferde laufen, wir wollen’s schon wieder wett machen, verlaß dich drauf!« Der Kutscher streckte die Hand durch das Guckloch nach dem Fahrgeld aus, wie es damals noch Sitte war. Oberst Jack schlug ein und schüttelte sie ihm herzlich.

»Du willst Vorauszahlung, Alterchen,« rief er. »Na, nichts für ungut. Hier hast du etwas, das gar nicht so übel ist.«

Er drückte ihm ein goldenes Zwanzigdollarstück in die Hand, und als der Kutscher sagte, daß er nicht wechseln könne, rief er lustig:

»Laß gut sein, wir wollen’s schon verfahren. Steck‘ es nur in die Tasche.« Dann schlug er seinem Gefährten laut klatschend auf das Bein und fuhr vergnügt fort: »Hol‘ mich dieser und jener, ich miete das Ding auf die ganze Woche!«

Jetzt hielt der Omnibus und eine junge Dame stieg ein. Oberst Jack starrte sie erst verwundert an, dann stieß er Oberst Jim mit den Ellenbogen. »Du, sag‘ kein Wort,« flüsterte er. »Laß‘ sie mitfahren, wenn sie will. An Platz fehlts ja wahrhaftig nicht.«

Das Fräulein zog den Beutel und reichte Oberst Jack ihr Fahrgeld.

»Was soll das?« fragte er.

»Wollen Sie es, bitte, dem Kutscher geben.«

»Behalten Sie Ihr Geld, Verehrteste, Sie dürfen nicht zahlen. Fahren Sie nur mit in unserer Staatskutsche, so lange Sie wollen.«

Das Fräulein drückte sich verwirrt in die Ecke. Jetzt kletterte eine alte Frau mit dem Handkorb herauf und bot ihr Fahrgeld an.

»Setzen Sie sich, gute Frau,« sagte Oberst Jack; »wir lassen Sie gern mitfahren, aber ohne Bezahlung. Machen Sie sich’s nur bequem und thun Sie ganz so, als ob es Ihr Wagen wäre.«

Nach wenigen Minuten waren noch drei Herren, zwei dicke Frauen und mehrere Kinder eingestiegen.

»Nur immer herein, meine Freunde,« rief Oberst Jack, »geniert euch nicht. Hier wird jeder frei gehalten.« Dann flüsterte er Oberst Jim zu: »Ist aber dies New-York eine gesellige Stadt! Man sollte so ‚was doch kaum für möglich halten!«

Da er sich hartnäckig weigerte dem Kutscher das Fahrgeld der Passagiere einzuhändigen und jedermann freundlich willkommen hieß, ging den Leuten allmählich ein Licht auf. Sie steckten ihr Geld wieder ein und belustigten sich insgeheim über den Spaß. Es nahmen wohl noch ein halbes Dutzend Fahrgäste Platz. »Kommt nur, kommt,« rief Oberst Jack; »eine Spazierfahrt ist nichts, wenn man nicht Gesellschaft hat.« Dann flüsterte er Oberst Jim wieder leise zu: »Die Freundlichkeit der New-Yorker geht doch über die Bäume und wie kaltblütig sie die Sache nehmen – was man nicht alles erlebt!«

Immer mehr Passagiere stiegen ein, alle Plätze waren besetzt und die Männer, welche im Mittelgang standen, hielten sich an den Riemen fest, die von der Decke herabhingen. Leute mit Körben und Bündeln kletterten oben auf das Dach. Ein halb unterdrücktes Gelächter ließ sich von allen Seiten hören.

»Na, wenn eine so himmlische Unverfrorenheit nicht alles übertrifft, was je dagewesen ist, will ich nicht Jack heißen,« flüsterte der Oberst.

Jetzt drängte sich ein Chinese herein.

»Nun wird mir’s aber doch zu bunt,« sagte Oberst Jack. »Halt an, Kutscher. Bitte, bleiben Sie sitzen, meine Damen und Herren, fahren Sie ruhig weiter, es ist alles bezahlt. – Kutscher, rumpeln Sie nur fort mit den Herrschaften, so lange es Ihnen gefällt. Sie müssen wissen, es sind unsere Gäste. Zeigen Sie Ihnen alles, und wenn Sie mehr Geld brauchen, so kommen Sie in das Sankt Nikolas-Hotel und holen Sie Zuschuß. Recht vergnügte Fahrt, meine Herrschaften – empfehle mich Ihnen.«

Als die beiden Kameraden ausstiegen, sagte Oberst Jack:

»Höre Jimmy, daß die Geselligkeit in New-York so weit getrieben würde, hätte ich nicht für möglich gehalten. Der Chinese kam so gemütlich hereinspaziert, wie jeder andere; hätten wir länger gewartet, es wären noch ein paar Neger mitgefahren, darauf möchte ich wetten. Weißt du was – heute nacht verrammeln wir aber unsere Thüren ordentlich, sonst wollen vielleicht ein Paar von den Herzblättchen herein, um bei uns zu schlafen.«

Fünfzehntes Kapitel.

Fünfzehntes Kapitel.

Ich hatte bereits erfahren, was für eine langwierige, harte und traurige Aufgabe es ist, das ersehnte Erz aus den Eingeweiden der Erde herauszuscharren, nun wurde ich inne, daß das Herausscharren erst die halbe Arbeit war, und daß die andere trübselige und mühselige Hälfte darin bestand, das Silber aus dem Erz herauszuziehen. Von sechs Uhr des Morgens bis zum Dunkelwerden dauerte die Arbeit. Gestein losschlagen und in die ›Batterie‹ schaufeln, in der es durch sechs von Dampf getriebene gewaltige Stampfen zerrieben und durch zuströmendes Wasser in einen festen Brei verwandelt wurde; Quecksilber, Steinsalz und andere Chemikalien je nach Bedürfnis in die ›Amalgamierpfannen‹ schütten, wo das erstere sich mit den Gold- und Silberteilen verbinden mußte; die Rinnen und die groben Decken reinigen, durch welche das Wasser aus der Pfanne abfloß, damit die winzigen Teilchen der Edelmetalle nicht verloren würden, die sich darin ablagerten – so ging die Plackerei ununterbrochen fort, und bei alledem fand ein Drittel des in einer Tonne Gestein enthaltenen Edelmetalls seinen Weg bis ans Ende der Rinnen in der Schlucht, so daß es später nochmals verarbeitet werden mußte. Gab es sonst nichts zu thun, so konnte man immer Sand durchwerfen, d. h. man konnte den getrockneten Sand, der durch die Rinnen in die Schlucht gespült worden war, zusammenschaufeln und gegen einen aufrechtstehenden Drahtschirm werfen, um ihn von Kieseln zu befreien und ihn so zu nochmaliger Verarbeitung vorzubereiten. Ohne dieses Sanddurchwerfen ging es in keinem Pochwerk ab, trotz der Verschiedenheit der angewandten Methoden. Von allen Erholungen der Welt ist aber dies Sanddurchwerfen an einem heißen Tage und mit einer langstieligen Schaufel am wenigsten begehrenswert.

Zum Schluß der Woche wurde die Maschine angehalten und wir wuschen auf, d. h. wir holten den Brei aus den Pfannen und Batterien und spülten den Schmutz geduldig hinweg, bis nur noch die angesammelte Masse von Quecksilber samt den darin eingeschlossenen Schätzen übrig war, welche wir in Form fester Schneeballen zum Zweck der Besichtigung zu glänzenden prächtigen Haufen aufschichteten. Dabei kostete mich meine Unerfahrenheit einen schönen goldenen Ring, in den das Quecksilber eindrang wie Wasser in einen Schwamm, so daß er völlig zerstört wurde. In einer eisernen Retorte wurde durch Verdampfung das Quecksilber aus diesen Kugeln entfernt, der Dampf aber in einen Eimer geleitet, wo bei der Abkühlung das sehr kostspielige Quecksilber wieder seine natürliche Form erhielt. In der Retorte lag dann das Ergebnis unserer Wochenarbeit vor uns, ein Klumpen, zweimal so groß wie ein Mannskopf, von reinem, weißem Silber, das wie Rauhfrost aussah. Der Klumpen wurde schließlich eingeschmolzen und in eine Barrenform gegossen.

Von jedem Barren wurde ein Eckchen abgeschnitten für die ›Feuerprobe‹ – ein ganz interessantes Verfahren. Dieses Eckchen wird so dünn wie Papier ausgehämmert und auf einer Wage von solcher Feinheit und Empfindlichkeit gewogen, daß, wenn man auf ein Stückchen Papier von bestimmtem Gewicht mit einem groben, weichen Bleistift seinen Namen schreibt und es dann abermals wägt, die Wage deutlich ein höheres Gewicht anzeigt. Dann wird ein wenig Blei gleichfalls gewogen, mit der Silberflocke zusammengerollt, und die beiden bei großer Hitze in der sogenannten ›Kapelle‹ geschmolzen, einem kleinen Gefäße aus gepreßter Knochenasche in Gestalt einer Obertasse. Die unedlen Metalle oxydieren und werden samt dem Blei von der Kapelle, aufgesogen. Ein Kügelchen, aus vollkommen reinem Gold und Silber bestehend, bleibt zurück, und wenn der Wardein dieses wägt und den Abgang notiert, erkennt er, wieviel unedles Metall der Barren enthält. Jetzt hat er das Gold von dem Silber zu scheiden. Dazu wird das Kügelchen flach und dünn gehämmert und einige Zeit in einem Ofen mit Rotglühhitze behandelt. Nach der Abkühlung rollt man es wie einen Federkiel zusammen und erhitzt es in einem Glasgefäß mit Salpetersäure, welche das Silber auflöst, so daß das Gold rein zurückbleibt und für sich gewogen werden kann. Durch Zugießen von Salzwasser erhält das Silber wieder seine feste Form, worauf nichts mehr zu thun bleibt, als dieses zu wägen; dann kennt man das Verhältnis der verschiedenen in dem Barren enthaltenen Metalle, den der Wardein nun mit einem Stempel versieht, der seinen Wert bezeichnet.

Das Geschäft eines Wardeins war sehr einträglich, und deshalb befaßten sich auch gelegentlich Leute damit, denen es an der wissenschaftlichen Befähigung fehlte. Es war einmal ein Wardein, der aus allen Proben, die man ihm brachte, so reiche Resultate heraus bekam, daß er binnen kurzem fast das ganze Geschäft monopolisiert hatte. Aber wie alle Leute, die Erfolg haben, wurde er ein Gegenstand des Neides und des Verdachtes. Die andern Wardeine verschworen sich gegen ihn und zogen zum Beweise, daß sie es ehrlich meinten, einige angesehene Bürger ins Geheimnis. Dann schickten sie dem glücklichen Geschäftsmann einen Fremden mit einem Stückchen Schleifstein, den er prüfen sollte. Nach Verlauf einer Stunde brachte er heraus, daß eine Tonne dieses Gesteins 1284,40 Dollars an Silber und 366,36 Dollars an Gold geben müsse.

Die ganze Geschichte kam sofort in die Zeitung und der beliebte Wardein machte sich binnen zwei Tagen aus dem Staube.

Ich will hier beiläufig bemerken, daß ich in der Silbermühle nur eine Woche blieb. Ich erklärte meinem Arbeitgeber, ohne Lohnerhöhung könne ich nicht länger bleiben. Mir gefalle zwar das Quarzmehlmachen, ja ich sei ganz bezaubert davon; nie zuvor hätte ich zu einer Beschäftigung in so kurzer Zeit eine so zärtliche Neigung gewonnen; nichts gäbe, wie es mir scheine, der geistigen Thätigkeit einen solchen Schwung, als eine Batterie zu füttern und Sand durch einen Drahtschirm zu werfen, und nichts sporne die sittlichen Eigenschaften eines Menschen so an, als Silber ausschmelzen und Decken waschen – trotzdem fühle ich mich genötigt, um Lohnerhöhung zu bitten.

Er sagte, er zahle mir zehn Dollars wöchentlich und das sei doch eine ganz hübsche runde Summe. Wieviel ich denn wolle?

Ich erwiderte, etwa viermal hunderttausend Dollars monatlich nebst der Kost sei alles, was ich in Anbetracht der schweren Zeiten vernünftiger Weise verlangen könne.

Man wies mich aus dem Hause. Und doch, wenn ich auf jene Tage zurückblicke und mir die maßlos schwere Arbeit, die ich in jenem Pochwerk verrichtete, ins Gedächtnis zurückrufe, bedauere ich nur, ihm nicht siebenmalhunderttausend abverlangt zu haben. Um die volle Kraft und Bedeutung des über ihn verhängten Fluches zu verstehen: ›Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen‹ hätte Adam aus dem Garten Eden von Rechts wegen geradeswegs in ein Quarz-Pochwerk gehen sollen.

Nicht lange nachher war es die geheimnisvolle, wunderbare ›Zementgrube‹, die mir, gleich der übrigen Bevölkerung, den Verstand verrückte, so daß ich nur auf eine Gelegenheit lauerte, mich bei deren Aufspürung beteiligen zu können.