Siebentes Capitel

Siebentes Capitel

Ein Wallfisch unbekannter Art

So sehr mich dieser unerwartete Fall überraschte, behielt ich doch eine klare Vorstellung dessen, was ich empfand.

Ich wurde anfangs etwa zwanzig Fuß tief hinabgezogen. Ein guter Schwimmer, verlor ich über dem Untertauchen nicht den Kopf. Zwei kräftige Stöße mit den Fersen brachten mich wieder zur Oberfläche empor.

Vor Allem suchten meine Augen die Fregatte. Hatte die Mannschaft mein Verschwinden gemerkt? Hatte der Abraham Lincoln sich umgedreht? Hatte der Kommandant Farragut ein Boot in’s Meer gelassen? Durfte ich auf Rettung hoffen?

Tiefes Dunkel ringsum. Ich sah im Osten eine schwarze Masse verschwinden, deren leuchtende Feuer in der Ferne verloschen. Es war die Fregatte. Jetzt hielt ich mich für verloren.

»Zu Hilfe! Hilfe!« rief ich, indem ich mit verzweifelndem Arm auf den Abraham Lincoln zuschwamm.

Meine Kleider hinderten mich. Sie klebten im Wasser an meinem Leibe, hemmten meine Bewegungen. Ich sank unter! Die Luft ging mir aus …!

»Zu Hilfe!«

Diesen letzten Ruf stieß ich aus. Mein Mund schluckte Wasser! … Wasser. In den Abgrund versinkend zappelte ich … Plötzlich wurden meine Kleider von kräftiger Hand gefaßt, ich fühlte mich ungestüm an die Oberfläche des Meeres emporgezogen, und ich hörte, ja, ich hörte diese Worte mir in’s Ohr gesprochen:

»Wenn mein Herr die große Güte haben will, sich auf meine Schultern zu stützen, wird er viel bequemer schwimmen.«

Ich ergriff mit einer Hand den Arm meines treuen Conseil.

»Du! fragte ich. Du!

– Ich selbst, erwiderte Conseil, und zu meines Herrn Befehl.

– Und der Stoß hat Dich zugleich mit mir in’s Meer geschleudert?

– Keineswegs. Da ich in meines Herrn Dienst stehe, bin ich ihm nachgesprungen.«

Der wackere Bursche hielt dies für natürlich!

»Und die Fregatte? fragte ich.

– Die Fregatte! erwiderte Conseil, indem er sich wieder auf den Rücken legte; ich glaube, mein Herr wird wohl thun, nicht allzuviel auf sie zu rechnen!

– Du meinst?

– Ich meine, im Augenblick, da ich mich in’s Meer stürzte, hörte ich die Leute am Steuer rufen: Die Schraube und das Steuer sind zerbrochen …

– Zerbrochen?

– Ja! durch den Zahn des Ungeheuers. Dies ist der erste Schaden, den der Abraham Lincoln je erlitten. Aber, ein schlimmer Umstand für uns, er ist nicht mehr im Stand, zu steuern.

– Dann sind wir verloren!

– Vielleicht, erwiderte ruhig Conseil. Doch, wir haben noch einige Stunden vor uns, und in einigen Stunden kann man viel zu Stande bringen!«

Die unverwüstliche Kaltblütigkeit Conseils richtete meinen Muth auf. Ich konnte wieder rüstig schwimmen; aber da meine Kleider mir anklebten wie ein bleierner Mantel, so konnte ich nur mit äußerster Mühe aushalten. Conseil bemerkte es.

»Erlaube mir, mein Herr, meinen Schnitt zu machen«, sagte er.

Und er steckte eine Messerklinge unter meine Kleider und zerschnitt sie in einem Zug von oben bis unten. Darauf entledigte er mich rasch derselben, während ich für uns beide schwamm.

Ich leistete dagegen Conseil denselben Dienst, und wir schwammen dann nebeneinander weiter.

Jedoch war die Lage darum nicht minder schrecklich. Vielleicht hatte man auf der Fregatte unser Verschwinden gar nicht gemerkt, und hätten sie’s auch wahrgenommen, so konnten sie, weil ihr Steuer zerbrochen war, nicht unter’m Wind zu uns zurückkommen. Man konnte also nur auf die Boote rechnen.

Conseil urtheilte kalt, dieser Annahme gemäß und machte darnach seinen Plan. Ein Charakter zum Erstaunen! Dieser phlegmatische Bursche war hier wie zu Hause.

Es wurde daher beschlossen, da unsere einzige Aussicht auf Rettung darauf beruhte, daß die Boote des Abraham Lincoln uns aufnahmen, so mußten wir uns darauf einrichten, um so lange wie möglich sie erwarten zu können. Ich beschloß daher, unsere Kräfte getheilt zu verwenden, um sie nicht mit einander zu erschöpfen, und wir machten’s so: Während der eine mit gekreuzten Händen und gestreckten Beinen unbeweglich auf dem Rücken lag, schwamm der Andere und bugsirte ihn vorwärts. In dieser Rolle durfte er nur zehn Minuten bleiben, damit wir durch Ablösen unsere Kräfte sparten, um es einige Stunden, vielleicht bis zu Tagesanbruch, auszuhalten.

Schwache Aussicht auf Rettung! aber die Hoffnung wurzelt tief im Herzen des Menschen. Und dann, es waren unser zwei. Ja, wenn ich alle Täuschung in mir vernichten, wenn ich »verzweifeln« wollte, ich konnte es nicht!

Der Zusammenstoß der Fregatte mit dem Thier hatte sich etwa um elf Uhr Abends begeben. Ich rechnete also, daß wir bis zu Sonnenaufgang acht Stunden zu schwimmen hätten, was mit äußerster Anstrengung durch gegenseitige Ablösung ausführbar war. Das Meer war ziemlich ruhig, machte uns wenig müde.

Gegen ein Uhr Morgens fühlte ich mich äußerst erschöpft. Meine Glieder wurden steif unter heftigen Krämpfen. Conseil mußte mich stützen, und unsere Rettung beruhte nun auf ihm allein. Bald hörte ich den armen Burschen keuchen; er athmete kurz und beklommen. Ich sah ein, daß er nicht lange mehr aushalten konnte.

»Lasse mich! Lass‘ mich! sagte ich zu ihm.

– Meinen Herrn im Stich lassen! Niemals!« erwiderte er. In diesem Moment leuchtete der Mond ein wenig zwischen dem Gewölk hervor, und die Meeresfläche schimmerte in seinen Strahlen. Dieser Eindruck belebte wieder unsere Kräfte. Ich konnte den Kopf aufrichten und am ganzen Horizont umherblicken. Ich sah die Fregatte, etwa fünf Meilen von uns, kaum bemerkbar. Aber von Booten nichts! Ich wollte rufen. Wozu das, in solcher Ferne? Meine geschwollenen Lippen vermochten’s nicht. Ich hörte Conseil wiederholt um Hilfe rufen. Wir hielten ein wenig an und horchten. Es dünkte mir, ein Ruf antworte dem Rufen Conseils.

»Hast Du gehört? stammelte ich.

– Ja! ja!«

Und Conseil stieß nochmals verzweifelten Hilferuf aus. Diesmal war nicht zu zweifeln, eine Menschenstimme antwortete uns! War’s die Stimme eines andern beim Zusammenstoßen verunglückten Opfers? Oder gar ließ ein Boot der Fregatte uns durch’s Sprachrohr den Ruf zugehen?

Conseil nahm seine äußersten Kräfte zusammen, um auf meine Schulter gestützt, sich halb aufzurichten und umherzuschauen; dann sank er erschöpft zurück.

»Was hast Du gesehen?

– Ich habe gesehen … stammelte er, ich habe gesehen … Doch reden wir nicht … nehmen wir alle Kraft zusammen! …« Was hatte er gesehen? … Was für eine Stimme mochte es sein?

Conseil jedoch bugsirte mich fortwährend. Manchmal hob er den Kopf empor, blickte vor sich, rief wieder, um sich kund zu geben, und eine andere Stimme ließ sich immer näher vernehmen. Kaum vermochte ich noch es zu hören, meine Kräfte gingen mir aus; meine Finger spreizten sich; meine Hand versagte mir die Stütze; mein krampfhaft geöffneter Mund füllte sich mit Wasser; ich erstarrte vor Kälte. Zum letztenmal hob ich den Kopf empor, dann versank ich …

In dem Augenblick stieß ein Körper wider mich; ich klammerte mich an. Ich fühlte, daß man mich auf die Oberfläche zog, daß meine Brust wieder aufathmete, dann ward ich ohnmächtig …

Gewiß bin ich durch das kräftige Reiben, womit man mich bearbeitete, bald wieder zu mir gekommen. Ich schlug ein wenig die Augen auf …

»Conseil! stammelte ich.

– Mein Herr hat mir gerufen?« erwiderte Conseil.

In dem Augenblick, beim letzten Mondesstrahl, gewahrte ich eine Gestalt, nicht die Conseil’s, und erkannte sie sogleich.

»Ned! rief ich.

– In eigener Person, mein Herr, um mir meine Prämie zu holen! erwiderte der Canadier.

– Sie sind auch von dem Stoß in’s Meer geschleudert worden?

– Ja, Herr Professor, aber ich war besser d’ran, als Sie, daß ich sogleich auf einem schwimmenden Inselchen festen Fuß fassen konnte.

– Ein Inselchen?

– Ja, oder vielmehr, auf unserm Riesen-Narwal.

– Erklären Sie mir, Ned.

– Ich begriff bald, warum meine Harpune nicht eindringen konnte, und stumpf ward.

– Warum, Ned, warum?

– Weil dies Thier, Herr Professor, von Eisenblech gemacht ist!«

Ich muß hier meinen Geist sammeln, meine Erinnerungen wieder beleben, meine Aussagen selbst controliren.

Die letzten Worte des Canadiers bewirkten in meinem Kopf eine plötzliche Wandlung. Ich klimmte rasch nach oben auf das Geschöpf oder den Gegenstand, der halb unter’m Wasser uns als Zuflucht diente. Ich probirte mit dem Fuß. Offenbar war’s ein harter, undurchdringlicher Körper, nicht der weiche Stoff, woraus die großen Seesäugethiere bestehen. Aber der harte Körper konnte auch eine knochenartige Schilddecke sein, wie bei den urweltlichen Thieren, und ich hätte jetzt das Ungeheuer unter die Reptilamphibien zu zählen, wie die Schildkröten und Alligatoren.

Nein! Der schwärzliche Rücken, auf dem ich mich befand, war glatt, polirt, nicht schuppig. Es ließ, wenn man ihn anklopfte, einen Metallton hören, und so unglaublich es auch war, er schien von eingebolzten Platten gemacht.

Ein Zweifel war nicht mehr möglich. Das Thier, das Ungeheuer, das Naturphänomen, welches die ganze gelehrte Welt, die Einbildungskraft der Seeleute verrückt und irre geleitet hatte, – man mußte es wohl anerkennen, war ein noch erstaunlicheres Wunder, ein Phänomen von Menschenhand.

Die Entdeckung des Daseins eines noch so märchenhaften, mythischen Geschöpfes hätte meine Vernunft nicht in dem Grade überrascht. Daß das Wunderbare von Gott herkommt, ist eine einfache Sache. Aber auf einmal, unter seinen Augen, das Unmögliche geheimnißvoll von Menschenhand verwirklicht zu sehen, das konnte den Geist irre machen!

Doch war es zweifellos, daß wir uns auf dem Rücken einer Art unterseeischen Fahrzeugs befanden, das, soviel ich urtheilen konnte, die Form eines ungeheuern Fisches von Stahl hatte. Ned-Land’s Ansicht darüber war entschieden; und ich konnte nebst Conseil mich nur anschließen.

»Aber dann, sagte ich, hatte dieses Fahrzeug eine Maschine für die Bewegung, und eine Mannschaft, welche sie in Anwendung bringt?

– Offenbar, erwiderte der Harpunier, und demungeachtet hat, seit den drei Stunden, daß ich diese schwimmende Insel bewohne, dieselbe noch kein Lebenszeichen von sich gegeben.

– Das Fahrzeug ist nicht gefahren?

– Nein, Herr Arronax. Es läßt sich von den Wellen schaukeln, ohne selbst sich zu bewegen.

– Wir wissen jedoch, und ohne Zweifel, daß dasselbe eine große Geschwindigkeit hat. Da es nun, um eine solche hervorzubringen, eine Maschine haben muß, und einen Maschinisten, der sie leitet, so schließe ich daraus, ….. daß wir gerettet sind.

– Hm!« sagte Ned-Land mit einigem Rückhalt.

In diesem Augenblick, als wie zum Beweis meiner Folgerung, entstand am hintern Theil dieses seltsamen Fahrapparats ein Brausen, das offenbar von einer Schraube herrührte, und setzte es in Bewegung. Wir hatten nur noch Zeit, uns fest an seinen obern Theil, der etwa achtzig Centimeter über das Wasser emporragte, anzuklammern. Zum Glück war seine Geschwindigkeit nicht übermäßig.

»So lange als es sich horizontal bewegt, brummte Ned-Land, hab‘ ich nichts dagegen zu sagen. Aber wenn es ihm einfällt unterzutauchen, so gäb‘ ich keine zwei Dollars für mein Leben!«

Es wurde daher dringend nothwendig, sich mit den im Schooße dieser Maschine befindlichen Geschöpfen, welcher Art sie auch sein mochten, in Verbindung zu setzen. Ich suchte an seiner Oberfläche nach einer Oeffnung, einer Lucke; aber die aneinanderstoßenden Platten waren festgefügt und wie aus einem Stück.

Zudem ging der Mond eben unter, und ließ uns in tiefem Dunkel. Wir mußten den Tag abwarten, um Mittel in’s Innere des Fahrzeugs zu dringen, ausfindig zu machen.

Also hing unsere Rettung einzig vom Belieben der geheimnißvollen Leiter dieses Apparats ab, und wenn sie untertauchten, waren wir verloren! Diesen Fall ausgenommen, zweifelte ich nicht an der Möglichkeit, mit ihnen in Verbindung zu treten. Und in der That, wenn sie nicht sich ihre Luft selbst bereiteten, so mußten sie nothwendig von Zeit zu Zeit an die Oberfläche des Meeres heraufkommen, um ihren Vorrath von athmungsfähigem Gas zu erneuern. Darum mußte nothwendig eine Oeffnung vorhanden sein, um das Innere des Fahrzeuges mit der Atmosphäre in Verbindung zu setzen.

Die Hoffnung auf Rettung durch den Commandanten Farragut mußte man völlig aufgeben. Wir waren westwärts getrieben, und ich schätzte, daß unsere verhältnißmäßig geringe Geschwindigkeit zwölf Meilen die Stunde betrug. Die Schraube schlug die Wellen mit mathematischer Regelmäßigkeit, und tauchte von Zeit zu Zeit auf, um ihr phophorescirendes Wasser hoch emporzuspritzen.

Gegen vier Uhr Morgens nahm die Schnelligkeit des Fahrzeugs zu. Wir konnten, wenn der volle Wellenschlag uns traf, kaum dem schwindelhaften Fortreißen widerstehen. Zum Glück fand Ned mit der Hand einen auf dem Rücken der Platte eingelassenen Ring, woran wir uns fest anklammern konnten.

Endlich war die lange Nacht vorüber. Ich kann mich nur unvollständig der einzelnen Eindrücke entsinnen. Nur ein Ereigniß tritt mir klar hervor. Während mitunter Meer und Wind ruhig waren, glaubte ich einigemal unbestimmte Töne, eine flüchtige Harmonie ferner Accorde, zu hören. Was für Geschöpfe lebten in diesem seltsamen Fahrzeug? Welche mechanische Kraft bewirkte seine wunderbare Schnelligkeit?

Der Tag erschien, und der Morgennebel umhüllte uns, aber er zertheilte sich bald. Ich schritt zu einer sorgfältigen Untersuchung des Körpers, der oben eine Art Plattform bildete, – als ich fühlte, wie diese allmälig sich senkte:

»He! Tausend Teufel! schrie Ned-Land, und trat mit dem Fuß wider die hallende Platte, so öffnet doch, ungastliche Leute!«

Aber es war schwer, bei den betäubenden Schlägen der Schraube sich vernehmbar zu machen. Zum Glück hielt die Bewegung, welche unterzutauchen drohte, inne.

Plötzlich vernahm man im Innern des Fahrzeugs ein Rasseln heftig gerüttelten Eisenwerks.

Eine Platte öffnete sich, ein Mann kam zum Vorschein, stieß einen sonderbaren Schrei aus, und verschwand sogleich wieder.

Einige Augenblicke darauf erschienen abermals, und zwar schweigend, acht starke Bursche mit verkapptem Angesicht, und zogen uns in ihre fürchterliche Maschine hinein.

Neunzehntes Capitel

Neunzehntes Capitel

Vanikoro

Dieser fürchterliche Anblick war das Vorspiel zu Katastrophen, welchen der Nautilus auf seiner Fahrt begegnen sollte. Seit er in mehr befahrenen Gegenden sich bewegte, gewahrten wir oft gescheiterte Schiffsrümpfe, welche ganz verfault waren, und mehr in der Tiefe Kanonen, Kugeln, Anker, Ketten, und tausend andere eiserne, von Rost zerfressene Gegenstände.

Inzwischen kamen wir, in ununterbrochener rascher Fahrt auf dem Nautilus isolirt, am 11. December zu dem Pomotou-Archipel, der früher »gefährlichen Gruppe« Bougainville, die sich über fünfhundert Meilen weit von Ost-Süd-Ost nach West-Nord-West hin erstreckt, zwischen 13° 30′ und 23° 50′ südlicher Breite, und 125° 30′ und 151° 30′ westlicher Länge. Dieser Archipel nimmt eine Fläche von dreihundertsiebenzig Quadrat-Lieues ein, und besteht aus etwa sechzig Inselgruppen, worunter die Gruppe Gambier, die unter französischem Protectorat steht. Diese Inseln sind aus Korallen entstanden. Die langsame, aber ununterbrochene Arbeit der Polypen wird sie einst mit einander in Verbindung bringen. Dann wird diese neue Insel später mit den benachbarten Archipelen zusammen wachsen, und von Neuseeland und Neu-Caledonien bis zu den Marquesas wird ein neuer Continent entstehen.

Als ich diese Ansicht dem Kapitän Nemo äußerte, entgegnete er kalt:

»Nicht neuer Continente bedarf’s auf der Erde, sondern neuer Menschen!«

Der Nautilus gelangte weiter auf seiner Fahrt zur Insel Clermont-Tonnère, einer der merkwürdigsten der im Jahre 1822 vom Kapitän Bell auf der Minerva entdeckten Gruppe. Da konnte ich recht studiren, wie die Inseln dieses Oceans aus Madreporen oder Seesternen entstanden sind.

Die Madreporen, welche man ja nicht mit den Korallen verwechseln darf, haben ein mit Kalküberzug bekleidetes Gewebe, und nach Verschiedenheit der Structur desselben hat Milne-Edwards sie in fünf Abtheilungen geordnet. Die kleinen Thierchen, welche diese Polypengehäuse durch Absonderung bilden, leben zu Milliarden im Inneren ihrer Zellen, und was sie an Kalkgebilden absetzen, wird zu Felsen, Rissen, Eilanden, Inseln. Hier bilden sie einen kreisrunden Ring, welcher einen Binnensee umgiebt, der durch Lücken mit dem Meer in Verbindung gesetzt ist; dort gestalten sich Schutzmauern von Riffen gleich denen, welche sich an den Küsten Neu-Caledoniens und verschiedener Pomotou-Inseln finden. An anderen Stellen, wie bei Réunion und St. Moritz, errichten sie ausgezackte Riffe, hohe, gerad aufgebaute Felswände neben unergründlichen Tiefen des Oceans.

Indem wir nur einige Kabellängen weit von den steilen Küsten der Insel Clermont-Tonnère vorüberfuhren, konnte ich das Riesenwerk, welches diese mikroskopischen Arbeiter vollführten, staunend bewundern. Diese Felswände waren speciell das Werk von Madreporenarten, welche mit besonderen Namen Milleporen, Poriten, Mäandrinen genannt werden. Diese Polypen entwickeln sich vorzugsweise in den bewegten Schichten der Meeresoberfläche, und folglich fangen sie ihre unterseeischen Bauten von oben an, und dieselben dringen mit den Trümmern von Ablagerungen, welche die Grundlagen bilden, allmälig immer tiefer. Dies ist wenigstens die Theorie Darwin’s, welche die Bildung der Atolle erklärt, – eine Theorie, welche meines Erachtens den Vorzug vor derjenigen hat, welche von der Annahme ausgeht, die Basis der madreporischen Arbeiten seien Gipfel von Bergen oder Vulkanen, welche einige Fuß unter dem Meeresspiegel sich befänden.

Ich konnte diese merkwürdigen Felswände ganz aus der Nähe beobachten, denn an ihrer senkrechten Seite ließ die Sonde mehr als dreihundert Meter Tiefe erkennen, und in unseren elektrischen Streiflichtern erglänzte der schimmernde Kalkstein.

Conseil fragte mich über die Dauer, seit diese kolossalen Felswände aufgewachsen sein, und gerieth in großes Staunen, als ich ihm sagte, die Gelehrten schlügen diesen Zuwachs auf den achten Theil eines Zolls binnen einem Jahrhundert an.

»Also, um diese Wände aufzubauen, sagte er, bedurfte es …?

– Hundertzweiundneunzigtausend Jahre, mein wackerer Conseil, wodurch die Tage der Bibel sehr lange werden. Uebrigens hat die Braunkohlenbildung, d. h. die Mineralisation der von den Überschwemmungen versunkenen Wälder, eine weit beträchtlichere Zeit erfordert. Aber ich füge bei, daß die in der Bibel als Tage bezeichneten Zeiträume nur Epochen bedeuten, und nicht die Zeit von einem Sonnenaufgang bis zum folgenden, denn laut eben dieser Bibel war die Sonne am ersten Schöpfungstage noch nicht vorhanden.«

Als der Nautilus wieder zur Meeresoberfläche kam, konnte ich die Insel Clermont-Tonnère, die niedrig und bewaldet ist, in ihrer ganzen Ausdehnung überblicken. Ihre madreporischen Felsen wurden offenbar durch Tromben und Stürme zur Fruchtbarkeit gebracht. Einst fiel ein Samenkörnlein, vom Sturmwind aus benachbartem Festland hergetragen, auf Kalkgrund vermischt mit verwesten Theilen von Fischen und Seepflanzen, welche pflanzennährenden Humus bildeten. Eine Kokusnuß trieb auf den Wellen an diese neue Küste. Der Keim wurzelte. Der heranwachsende Baum hemmte die Wasserverdünstung. Es entstand ein Bach. Allmälig nahm die Vegetation zu. Einige Thierchen, Würmer, Insecten kamen auf Baumstämmen, welche der Wind von den Inseln weggetrieben hatte. Es kamen Schildkröten und brüteten ihre Eier aus. Vögel nisteten in dem jungen Baumschlag. Dergestalt kam das animale Leben zur Entwicklung, und angezogen vom Grünen und der Fruchtbarkeit, erschien der Mensch. Also bildeten sich diese Inseln, unermeßliche Werke mikroskopischer Thiere.

Gegen Abend schwand Clermont-Tonnère in der Ferne aus den Augen, und die Fahrt des Nautilus änderte merklich ihre Richtung. Nachdem derselbe unter’m hundertfünfunddreißigsten Grad der Länge den Wendekreis des Steinbocks berührt hatte, wendete er sich nach West-Nord-West, und durchlief nochmals die ganze tropische Zone. So reichlich die Sommersonne ihre Strahlen warf, so hatten wir durchaus nicht von der Hitze zu leiden, denn dreißig bis vierzig Meter unter’m Wasserspiegel stieg die Temperatur nicht über zehn bis zwölf Grad.

Am 15. December ließen wir östlich den reizenden Archipel der Gesellschaftsinseln, und das anmuthige Tahiti. Früh Morgens erblickte ich einige Meilen unter’m Wind die hohen Gipfel dieser Insel. Ihre Gewässer lieferten den Tafeln an Bord köstliche Fische, Makrelen, Bonite und Varietäten einer Meerschlange, Munerophis genannt.

Der Nautilus hatte damals achttausendeinhundert Meilen zurückgelegt. Als das Log neuntausendsiebenhundertundzwanzig Meilen zeigte, fuhr er durch den Archipel von Tonga-Tabou, wo die Mannschaften des Argo, des Port-au-Prince und des Duke of Portland umkamen, und den Archipel der Schifferinseln, wo La Pérouse’s Freund, der Kapitän de Langle, seinen Tod fand. Darauf bekam er den Archipel Viti in Sicht, wo die Matrosen der Union und der Commandant der Aimable Josephine, Kapitän Bureau, von den Wilden erschlagen wurden.

Dieser Archipel, welcher aus einer Anzahl Inseln, Eilande und Klippen besteht, worunter Viti-Levou und Vanoua-Levou bemerkenswerth, liegt zwischen 6° und 20° südlicher Breite, und 174° bis 179° westlicher Länge. Die Gruppe wurde von Tasman im Jahre 1643 entdeckt, dem Jahre der Thronbesteigung Ludwigs XIV., und der Erfindung des Barometer durch Toricelli. Welches von diesen drei Ereignissen der Menschheit nützlicher gewesen, steht zu erwägen. Darauf kamen Cook im Jahre 1714, d’Entrecasteaux 1793, und endlich entwirrte Dumont d’Urville 1827 das ganze geographische Chaos dieses Archipel. Der Nautilus näherte sich der Bai Wailon, dem Schauplatz der fürchterlichen Erlebnisse des Kapitän Dillon, welcher zuerst das Geheimniß von La Pérouse’s Schiffbruch aufklärte. Diese Bai liefert treffliche Austern in reichlicher Menge. Wir genossen sie im Uebermaß, und wenn Meister Ned dabei nicht seine Gefräßigkeit zu bereuen hatte, so kam es daher, weil, die Auster das einzige Gericht ist, welches niemals Verdauungsbeschwerden macht. Und wirklich bedarf es nicht weniger als sechzehn Dutzend dieser Mollusken, um die dreihundertundfünfzehn Gramm Stickstoff zu liefern, welche ein einziger Mensch zur Tagesnahrung braucht. Sie gehören zu der bekannten, in Corsika sehr häufigen Gattung Ostrea lamellosa. Diese Austernbänke, welche bedeutende Anhäufungen bilden, sind im Stande, wenn nicht vielfache Ursachen ihre Zerstörung bewirken, die Baien auszufüllen, denn man zählt in einem einzigen Stück bis zwei Millionen Eier.

Am 25. December schiffte der Nautilus mitten durch den Archipel der Neu-Hebriden, welche 1606 von Quirot entdeckt, 1768 von Bougainville erforscht wurden, und von Cook 1773 ihren jetzigen Namen bekamen. Diese Gruppe besteht hauptsächlich aus neun großen Inseln, die in einer Reihe zwischen 15° und 2° südlicher Breite, und 164° bis 168° Länge liegen. Wir kamen ziemlich nahe bei der Insel Aurou vorbei, welche mir wie eine Masse grüner Waldung vorkam, woraus ein hoher Pik hervorragte.

Es war diesen Tag Weihnachten und Ned-Land schien mir sehr das Christfest zu vermissen, diese Familienfreude, worauf die Protestanten so viel halten.

Seit acht Tagen hatte ich den Kapitän Nemo nicht gesehen, als er am 27. Morgens früh in den großen Salon trat, wie ich eben auf der Karte die Fahrt des Nautilus zu verfolgen beschäftigt war. Der Kapitän trat herzu, legte einen Finger auf einen Punkt der Karte und sprach nur das Wort:

»Vanikoro.«

Dieser Name wirkte magisch. Er bezeichnete die Eilande, wo einst La Pérouse’s Schiffe verloren gingen. Ich stand augenblicklich auf.

»Der Nautilus fährt nach Vanikoro? fragte ich.

– Ja, Herr Professor, erwiderte der Kapitän.

– Und ich könnte die berühmten Inseln besuchen, wo die Boussole und Astrolabe zu Grunde gingen?

– Wenn es Ihnen beliebt, Herr Professor.

– Wann werden wir zu Vanikoro anlangen?

– Wir sind schon da, Herr Professor!«

Ich begleitete den Kapitän Nemo auf die Plateform, wo meine Blicke begierig über den Horizont schweiften.

Nordöstlich kamen zwei vulkanische Inseln von ungleicher Größe zum Vorschein, um welche sich ein Korallenriff von vierzig Meilen Umfang zog. Wir befanden uns vor der eigentlich Vanikoro genannten Insel, welcher Dumont d’Urville den Namen Recherche gab, und gerade vor dem kleinen Hafen Vanou, unter 16° 4′ südlicher Breite und 164° 32′ Länge. Das Land schien von der Küste bis zu den Gipfeln des Innern mit Grün bedeckt, welche der zweitausendachthundertundfünfzig Fuß hohe Kapogo überragt.

Nachdem der Nautilus durch eine enge Fahrt in den äußersten Felsengürtel eingefahren, befand er sich innerhalb der Brandung, wo das Meer dreißig bis vierzig Klafter tief war. Unter dem grünen Schatten üppigen Baumwuchses gewahrte ich einige Wilde, die bei unserer Annäherung eine außerordentliche Bestürzung zeigten. Sie sahen wohl in dem langen schwärzlichen Körper, welcher auf dem Meeresspiegel heran kam, nur ein fürchterliches Seethier, das sie mit Mißtrauen ansahen.

In dem Augenblick fragte mich der Kapitän Nemo, was ich von La Pérouse’s Schiffbruch wisse.

»Was Jedermann weiß, Kapitän, erwiderte ich.

– Und können Sie mir sagen, was Jedermann weiß? fragte er mit etwas ironischem Ton.

– Sehr leicht.«

Ich erzählte ihm, was die letzten Arbeiten Dumont d’Urville’s mitgetheilt hatten, wie ich kurz hier berichten will.

La Pérouse und sein Unterbefehlshaber, Kapitän de Langle, wurden von Ludwig XVI. im Jahre 1788 ausgeschickt, um eine Weltumsegelung vorzunehmen Sie fuhren mit den Corvetten Boussole und Astrolabe ab, kehrten aber nicht wieder zurück.

Im Jahre 1791 rüstete die französische Regierung, die mit Recht um das Schicksal der beiden Corvetten besorgt war, zwei große Meuten aus, Recherche und Espérance, welche am 28. September unter dem Commandanten Bruni d’Entrecasteaux von Brest absegelten. Zwei Monate nachher vernahm man durch die Aussage eines gewissen Bowen, Commandanten des Albermale, daß die Trümmer gescheiterter Schiffe an den Küsten Neu-Georgiens gesehen worden waren. Aber d’Entrecasteaux, der von dieser – zudem ziemlich unbestimmten – Mittheilung nichts wußte, fuhr in der Richtung der Admiralitätsinseln, welche in einem Bericht des Kapitän Hunter als die Gegend des Schiffbruches La Pérouse bezeichnet waren.

Seine Nachforschungen waren fruchtlos. Die Espérance und Recherche fuhren selbst vor Vanikoro vorüber, ohne dort anzuhalten, und überhaupt war diese Fahrt sehr unglücklich, denn sie kostete das Leben des Commandanten, zweier Unterbefehlshaber und einiger Leute von der Bemannung.

Ein alter, im Stillen Ocean sehr bewanderter Kapitän, Dillon, fand zuerst unbestreitbare Spuren der Schiffbrüchigen. Am 15. Mai 1824 fuhr er auf dem St. Patrick bei der Insel Tikopia vorüber, die zu den Neu-Hebriden gehört. Hier kam ein Laskare auf einem Boot, und verkaufte ihm einen silbernen Degengriff mit einer eingegrabenen Inschrift. Derselbe versicherte auch, er habe sechs Jahre zuvor, während eines Aufenthaltes zu Vanikoro zwei Europäer gesehen, welchen Schiffe angehörten, die vor langen Jahren an den Riffen der Insel gescheitert seien.

Dillon vermuthete, daß es sich um die Schiffe La Pérouse’s handle, an deren Verschwinden die ganze Welt Antheil genommen hatte. Er wollte sich nach Vanikoro begeben, wo nach Angabe des Laskaren zahlreiche Reste von dem Schiffbruch her sich finden sollten; aber die Winde und Strömungen verhinderten es.

Dillon kam nach Calcutta zurück, wo er die Asiatische Gesellschaft und die Indische Compagnie für seine Entdeckung zu interessiren wußte. Es wurde ihm ein Schiff, dem er den Namen Recherche gab, zur Verfügung gestellt, und er fuhr am 23. Januar 1827 in Begleitung eines französischen Agenten ab.

Die Recherche warf, nachdem sie an verschiedenen anderen Punkten angehalten, am 7. Juli 1827 vor Vanikoro Anker in dem nämlichen Hafen Vanou, wo der Nautilus eben lag.

Hier sammelte er zahlreiche Reste des Schiffbruchs, eiserne Geräthe, Anker, Steinpöller, eine achtzehnpfündige Kugel, Trümmer von astronomischen Instrumenten, eine bronzene Glocke mit der Inschrift: »Bazin hat mich verfertigt,« welche das Kennzeichen der Gießerei des Arsenals zu Brest um 1785 war. Es war also ferner kein Zweifel mehr statthaft.

Dillon blieb zur Vervollständigung seiner Nachforschungen noch bis zum Oktober auf der Unglücksstätte, darauf verließ er Vanikoro, fuhr über Neuseeland nach Calcutta, wo er am 7. April 1828 ankerte, und kehrte nach Frankreich zurück, wo er von Karl X. höchst freundlich empfangen wurde.

Bereits aber war Dumont d’Urville, ohne daß er von Dillon’s Bemühungen etwas wußte, abgesegelt, um den Schauplatz des Schiffbruchs anderwärts zu suchen. Und in der That hatte man aus Berichten eines Wallfischfängers entnommen, daß sich Medaillen und ein Kreuz des heiligen Ludwig in Händen der Wilden Neu-Caledoniens und der Louisiade befänden.

Dumont d’Urville, Commandant des Astrolabe, war also auf der Fahrt und ankerte, zwei Monate nachdem Dillon Vanikoro verlassen hatte, vor Hobart-Town. Hier bekam er Kunde von den Resultaten der Bemühungen Dillon’s, und erfuhr weiter, ein gewisser James Hobbs, Unterbefehlshaber der Union zu Calcutta, habe bei einer Landung auf einer Insel unter 8° 18′ südlicher Breite und 156° 30′ östlicher Länge, eiserne Stangen und rothe Stoffe in den Händen der Eingeborenen jener Gegenden wahrgenommen.

Dumont d’Urville, etwas verlegen, da er nicht wußte, ob den wenig zuverlässigen Zeitungs-Berichten Glauben beizumessen sei, entschloß sich, Dillon’s Spur zu folgen.

Am 10. Februar 1828 erschien der Astrolabe vor Tikopia, nahm zum Führer und Dollmetscher einen auf dieser Insel seßhaften Deserteur, fuhr weiter nach Vanikoro, das er am 12. Februar in Sicht bekam, hielt sich etwas auf den Riffen auf, und kam erst am 20. im Hafen von Vanou an, wo er ankerte. Am 23. begaben sich einige Officiere auf die Insel und brachten einige unbedeutende Trümmer mit. Die Eingeborenen verlegten sich auf Ausflüchte und Ableugnen, und wollten sie nicht an die Unglücksstätte führen. Dies verkehrte Benehmen ließ glauben, sie hätten die Schiffbrüchigen mißhandelt; und sie schienen in der That Angst zu haben, Dumont d’Urville sei gekommen, um La Pérouse und seine Unglücksgenossen zu rächen.

Doch ließen sie sich am 26. durch Geschenke und beruhigende Versicherungen bestimmen, den Unterbefehlshaber Jacquinot auf die Stätte des Schiffbruchs zu führen.

Daselbst lagen drei bis vier Klafter tief, zwischen den Riffen Pacou und Vanou, Anker, Kanonen, Blöcke, Eisen und Blei, von Kalksteinmasse umgeben. Die Schaluppe und das Wallfischboot des Astrolabe wurden an dieser Stelle entsendet, und es gelang der Bemannung nur nach langen Beschwerden, einen Anker von achtzehn Centnern, eine Kanone von acht, Bleiblöcke und zwei kupferne Steinmörser heraus zu ziehen.

Dumont d’Urville vernahm auf Befragen der Eingeborenen, daß La Pérouse, nachdem er seine beiden Schiffe auf den Riffen der Insel verloren, ein kleineres Fahrzeug bauen ließ, um damit abermals zu Grunde zu gehen. … Wo? wußte man nicht.

Der Commandant des Astrolabe ließ darauf unter einem Buschwerk von Mangobäumen ein Denkmal zum Andenken an den berühmten Seefahrer und seine Genossen errichten. Es bestand in einer einfachen vierseitigen Pyramide auf einer Korallenbasis; und es wurde nichts von Eisen dabei angebracht, was die Begierde der Eingeborenen reizen konnte.

Als darauf Dumont d’Urville abreisen wollte, wurde er durch Krankheiten seiner Mannschaft zurück gehalten, und selbst sehr krank, so daß er erst am 17. März unter Segel gehen konnte.

Inzwischen hatte die französische Regierung, in Besorgniß, Dumont d’Urville habe keine Kenntniß von Dillon’s Arbeiten, die Corvette La Bayonnaise unter dem Commando von Legoarant de Tromelin nach Vanikoro geschickt. Sie kam dort einige Monate nach der Abfahrt des Astrolabe an, und überzeugte sich, daß die Wilden das Grabdenkmal La Pérouse’s unverletzt gelassen hatten.

Dies ist der Inhalt dessen, was ich dem Kapitän Nemo berichtete.

»Also, sagte er, man weiß noch nicht, wo das dritte von den Schiffbrüchigen erbaute Schiff zu Grunde gegangen ist?

– Nein.«

Der Kapitän Nemo, ohne mir zu antworten, winkte mir, ihm in den großen Saal zu folgen. Der Nautilus tauchte einige Meter unter das Wasser, und die Läden öffneten sich.

Ich eilte an das Fenster, und erkannte unter Korallen versenkt, mit Seepflanzen überdeckt, mitten unter zahllosen reizenden Fischen, etliche Trümmer, welche die Suchmaschinen nicht hatten fassen können, lauter Gegenstände gescheiterter Schiffe.

Und während ich diese öden Reste anschaute, sprach der Kapitän Nemo mit ernster Stimme:

»Der Commandant La Pérouse fuhr am 7. December 1785 mit seinen Schiffen Boussole und Astrolabe ab. Er ankerte zuerst in der Botany-Bai, besuchte den Freundschafts-Archipel, Neu-Caledonien, wendete sich dann gegen Santa-Cruz und hielt zu Namouka an, einer Insel der Hapaï-Gruppe. Darauf geriethen seine Schiffe auf die ihm unbekannten Riffe von Vanikoro. Die Boussole, welche voran fuhr, blieb bei der südlichen Küste stecken. Der Astrolabe kam ihr zum Beistand, und scheiterte ebenfalls. Das erstere Schiff ging fast unverzüglich in Trümmer. Das zweite, welches unter’m Wind fest saß, widerstand einige Tage. Die Eingebornen nahmen die Schiffbrüchigen ziemlich gut auf. Diese richteten sich auf der Insel ein und erbauten ein anderes, kleineres Schiff aus den Trümmern der beiden großen. Einige Matrosen blieben freiwillig zu Vanikoro zurück; die anderen, erschöpft und krank, fuhren mit La Pérouse. Sie wendeten sich zu den Salomons-Inseln, und gingen sammt und sonders auf der Ostküste der Hauptinsel dieser Gruppe, zwischen den Cap Deception und Cap Satisfaction zu Grunde!

– Und woher wissen Sie dies? rief ich aus.

– Hier sehen Sie, was ich an der Stelle des zweiten Schiffbruchs gefunden habe!«

Darauf zeigte mir der Kapitän Nemo eine blecherne Büchse, die mit dem Wappen Frankreichs gestempelt und ganz von Salzwasser zerfressen war. Er öffnete sie, und ich sah einen Pack vergilbter, doch noch lesbarer Papiere.

Es waren die Original-Instructionen des Marineministers für den Commandanten La Pérouse, mit Randbemerkungen von der Hand Ludwig’s XVI.

»Ach! ein schöner Tod für einen Seemann! sagte darauf der Kapitän Nemo. Dieses Korallengrab ist eins ruhige Gruft, und gebe der Himmel, daß ich mit meinen Gefährten nie ein anderes bekomme!«

Zweites Capitel

Zweites Capitel

Für und Wider

Zur Zeit, als diese Ereignisse vorfielen, kam ich von einer wissenschaftlichen Untersuchungsreise, welcher die französische Regierung mich, als Professor der Naturgeschichte, beigesellt hatte, aus Nebraska in den Vereinigten Staaten zurück. Gegen Ende März kam ich nach sechsmonatlichem Aufenthalt in Nebraska, mit kostbaren Sammlungen zu New-York an und meine Abreise nach Frankreich war auf Anfang Mai festgesetzt. Ich beschäftigte mich eben damit, inzwischen meine mineralogischen, botanischen und zoologischen Schätze zu ordnen, als der Unfall des Scotia sich begab.

Ich war über die Tagesfrage vollständig in Kenntniß gesetzt. Ich hatte alle amerikanischen und europäischen Journale gelesen und abermals gelesen, und war dadurch nicht weiter gekommen. Das Geheimnißvolle machte mir zu schaffen. Bei der Unmöglichkeit, mir eine Meinung zu bilden, schwankte ich von einem Extrem zum andern. Daß etwas daran war, konnte nicht mehr zweifelhaft sein, und die Ungläubigen waren eingeladen, ihren Finger auf die Wunde des Scotia zu legen.

Bei meiner Ankunft zu New-York war die Frage brennend. Die Hypothese einer schwimmenden Insel, einer unerreichbaren Klippe, welche von einigen urtheilsunfähigen Köpfen aufgebracht worden, war bereits aufgegeben. Und in der That, sofern nicht solch‘ eine Klippe eine Maschine im Leib hatte, wie konnte sie so reißend schnell die Stelle wechseln.

Ebenso wurde der Gedanke an einen herumschwimmenden Schiffsrumpf aufgegeben, gleichfalls wegen der Schnelligkeit, womit der Gegenstand seinen Platz wechselte.

Es blieben also noch zwei mögliche Lösungen der Frage, welche beide Anhänger fanden: Die Einen hielten den Gegenstand für ein Ungeheuer von kolossaler Kraft; die Anderen für ein unterseeisches Fahrzeug von außerordentlicher Bewegkraft.

Diese letzte Annahme, obwohl statthaft, konnte doch nach den in beiden Welttheilen angestellten Untersuchungen nicht festgehalten werden. Daß ein einzelner Privatmann eine solche Maschine zur Verfügung habe, war unwahrscheinlich. Wie hätte deren Verfertigung geheim bleiben können?

Nur eine Regierung konnte im Besitz einer solchen Zerstörungsmaschine sein, und in dieser unheilvollen Zeit, wo der Mensch sich’s angelegen sein läßt, die Macht der Kriegswaffen zu verstärken, war es möglich, daß ein Staat ohne Wissen des andern mit einer solchen fürchterlichen Maschine einen Versuch machte. Auf die Chassepots folgten die Torpedo’s, auf die Torpedo’s die unterseeischen Sturmböcke, hernach – die Reaction.

Aber diese Idee einer Kriegsmaschine mußte gegenüber den Erklärungen der Regierungen fallen gelassen werden. Da es sich hier um ein allgemeines öffentliches Interesse handelte, da der überseeische Verkehr darunter litt, so ließ sich die Ehrlichkeit der Regierungen nicht in Zweifel ziehen. Zudem konnte man nicht annehmen, daß der Bau eines solchen unterseeischen Fahrzeugs dem Publicum verborgen geblieben wäre. Unter solchen Umständen das Geheimniß zu bewahren, ist schon für einen Privatmann schwer, und für einen Staat, dessen Handlungen von den rivalisirenden Mächten unablässig überwacht werden, vollends unmöglich.

Also wurde nach den in England, Frankreich, Rußland, Preußen, Spanien, Italien, Amerika, selbst in der Türkei angestellten Nachforschungen die Hypothese eines unterseeischen Monitors definitiv aufgegeben.

Es bekam also die Idee eines »Ungeheuers« die Oberhand, trotz den unablässigen Späßen, womit die kleine Presse sie verfolgte; und auf diesem Wege ließ sich die Phantasie bald zu den lächerlichsten Träumen einer phantastischen Ichthyologie verleiten.

Bei meiner Ankunft zu New-York erwiesen mir manche Männer die Ehre, mich über die fragliche Erscheinung um meine Ansicht zu ersuchen. Ich hatte in Frankreich einen zweibändigen Quartanten unter dem Titel: »Die Geheimnisse der großen unterseeischen Tiefe«, erscheinen lassen. Dieses besonders von der gelehrten Welt gut aufgenommene Buch machte aus mir eine Specialität in diesem noch ziemlich unklaren Theil der Naturwissenschaft. Es wurde mein Gutachten begehrt. So lange ich die Wirklichkeit des Thatsächlichen in Abrede stellen konnte, verhielt ich mich durchaus verneinend. Aber bald mußte ich, auf’s Aeußerste gedrängt, mich kategorisch erklären. Und sogar wurde der »ehrenwerthe Pierre Arronax, Professor am Museum zu Paris,« vom New-York Herald öffentlich aufgefordert, irgend eine Ansicht über die Sache zu formuliren.

Ich machte mich daran. Ich sprach, weil ich nicht mehr schweigen konnte. Ich erörterte die Frage von allen Seiten, politisch und wissenschaftlich, und gebe hier den Auszug eines sehr umfangreichen Artikels, den ich unter’m 30. April veröffentlichte.

»Also, sagte ich, nachdem ich der Reihe nach die verschiedenen Hypothesen einer Prüfung unterzogen, muß man jede andere Annahme verwerfen und nothwendig die Existenz eines Seethieres von außerordentlicher Kraft gelten lassen.

»Die großen Tiefen des Oceans sind uns völlig unbekannt; die Sonde hat sie nicht erreichen können. Was geht in diesen entlegenen Tiefen vor? Was für Geschöpfe leben zwölf- bis fünfzehntausend Meilen unter der Meeresoberfläche, oder können da leben? Wie sind diese Thiere organisirt? Darüber kann man kaum eine Vermuthung aufstellen.

»Jedoch kann die Lösung des mir vorgelegten Problems die Form eines Dilemma annehmen.

»Entweder wir kennen alle verschiedenen Gattungen von Geschöpfen, welche unsern Planeten bevölkern, oder wir kennen sie nicht.

»Wenn wir sie nicht alle kennen, wenn die Natur in der Ichthyologie noch Dinge enthält, welche für uns Geheimnisse sind, so darf man wohl die Existenz von Fischen oder Seesäugethieren, neuen Arten oder selbst Gattungen, von einer ihnen eigentümlichen Organisation annehmen, welche die von der Sonde unerreichbaren Schichten bewohnen, und durch irgend ein Ereigniß, eine Grille, Laune, wenn man will, in langen Zwischenräumen zu dem Niveau der Oberfläche des Oceans heraufgeführt werden.

»Kennen wir dagegen alle lebenden Gattungen, so muß man nothwendig das fragliche Thier unter den bereits aufgenommenen Seegeschöpfen suchen, und in diesem Fall wäre ich geneigt, die Existenz eines Riesen-Narwals anzunehmen.

»Der gemeine Narwal, oder das See-Einhorn, erreicht oft eine Länge von sechzig Fuß. Nehmen wir diese Dimension fünffach, selbst zehnfach, geben wir diesem Thier eine seiner Größe entsprechende Kraft, verstärken wir seine Angriffswaffen, so haben wir das vorausgesetzte Ungeheuer, welches im Stande wäre, den Scotia anzubohren und den Rumpf eines Dampfbootes anzutasten.

»In der That hat der Narwal zur Waffe eine Art Degen von Elfenbein, eine Hellebarde, wie einige Naturforscher sich ausdrücken. Es ist ein Hauptzahn von der Härte des Stahles. Man hat solche Zähne in den Körpern von Wallfischen gebohrt gefunden, welche der Narwal beständig mit Erfolg angreift. Andere sind mit Mühe aus Schiffskielen gezogen worden, welche sie durch und durch gebohrt hatten. Das Museum der Naturgeschichte zu Paris besitzt ein solches Horn, das zwei Meter fünfundzwanzig Centimeter lang und an seiner Basis achtundvierzig Centimeter stark ist!

»Nun! Nehmen wir diese Waffe zehnmal so stark an, das Thier zehnmal kräftiger, lassen wir es mit einer Schnelligkeit von zwanzig Meilen in der Stunde hinschießen, multipliciren wir seine Masse mit seiner Geschwindigkeit, so haben wir einen Stoß, der eine Katastrophe, wie die gedachte, hervorbringen kann.

»Demnach, bis auf weitere Information, möchte ich meine Vermuthung auf ein See-Einhorn von kolossalen Dimensionen richten, welches nicht sowohl mit einer Hellebarde, als mit einem wirklichen Sporn bewaffnet ist, wie ihn die Panzerfregatten haben, denen es etwa an Umfang und Bewegungskraft gleich käme.

»So würde das unerklärliche Phänomen seine Erklärung finden – sofern nicht etwa nichts daran ist, trotz dem, was man gesehen und vermuthet hat – was auch möglich ist!«

Diese letzteren Worte waren meinerseits eine Feigheit; ich wollte bis auf einen gewissen Grad meine Professorenwürde wahren, und nicht den Amerikanern zum Lachen preisgeben, denn die lachen tüchtig, wenn sie lachen. Ich wollte nur eine Hinterthüre offen halten. Im Grunde ließ ich die Existenz des »Ungeheuers« gelten.

Mein Artikel wurde warm besprochen und fand großen Beifall, gewann sich eine Anzahl Anhänger. Die Lösung, welche er vorschlug, ließ übrigens der Phantasie freien Spielraum. Der menschliche Geist hat Gefallen an solchen großartigen Begriffen übernatürlicher Wesen.

Das Meer ist gerade das beste Element, der einzige Ort, wo solche Riesen – neben welchen die Elephanten und Rhinocerosse nur Zwerge sind – entstehen und sich entwickeln können! Die Massen des Oceans enthalten die größten Gattungen bekannter Seesäugethiere, und vielleicht bergen sie in ihren Tiefen noch manche Mollusken und Schaalthiere von erschrecklichem Aussehen. Vormals, in der Urzeit, waren die Landthiere, Vierfüßler, Reptilien und Vögel nach riesenmäßigem Maßstab geformt. Warum sollte nicht das Meer, welches sich unveränderlich gleich bleibt, in seinen unbekannten Tiefen noch solche Probestücke eines andern Zeitalters aufbewahrt haben? Warum sollte es nicht in seinem Schooße die letzten Arten dieser Riesengattungen bergen?

Doch wenden mir uns aus dem Reiche der Phantasie zur schrecklichen Wirklichkeit. Die öffentliche Meinung sprach sich damals in Beziehung auf das Phänomen ohne Widerspruch für die Existenz eines wunderhaften Riesenthieres aus.

Aber wenn die Einen nur eine wissenschaftliche Aufgabe darin erkannten, hatten die Andern, mehr positive Geister, zumal in Amerika und England, im Sinn, das Meer von dem furchtbaren Ungeheuer zu säubern, um den überseeischen Verkehr zu sichern. Die industriellen und Handelsblätter behandelten die Frage hauptsächlich von diesem Gesichtspunkt aus; alle den Assecuranz-Gesellschaften ergebenen Blätter waren darüber einstimmig.

Nachdem die öffentliche Meinung sich ausgesprochen, erklärten sich die Vereinigten Staaten zuerst. Man traf zu New-York Vorkehrungen für eine Expedition zur Verfolgung des Narwal. Eine schnellsegelnde Fregatte, Abraham Lincoln, wurde in Stand gesetzt, unverzüglich in See zu stechen. Dem Commandanten Farragut wurden die Arsenale geöffnet, und er betrieb eifrigst die Ausrüstung derselben.

Nun aber, wie das meistens geschieht, gerade von dem Moment an, da man entschlossen war, das Ungeheuer zu verfolgen, ward es nicht mehr sichtbar. Zwei Monate lang hörte man nicht mehr davon reden. Es schien, als habe das Einhorn Kunde von einem gegen dasselbe geschmiedeten Complot bekommen. Man hatte zu viel davon gesprochen, selbst vermittelst des Kabels! Auch scherzte man, der schlaue Fuchs habe einige Telegramme aufgefangen, und mache sich nun ihren Inhalt zu Nutz.

Als daher die Fregatte für eine weite Fahrt gerüstet und mit fürchterlichen Maschinen versehen war, wußte man nicht, wohin die Fahrt zu richten sei. Endlich verlautete, ein Dampfer von der Linie S. Francisco in Californien nach Schangai habe das Thier drei Wochen zuvor in den nördlichen Gewässern des Stillen Oceans gesehen.

Es entstand die äußerste Aufregung. Man ließ dem Commandanten Farragut kaum vierundzwanzig Stunden Frist. Seine Vorräthe waren eingeschifft, Kohlen in Ueberfluß, kein Mann der Bemannung fehlte an seinem Platz; man brauchte nur zu heizen, auszulaufen! Einen halben Tag Zögerung hätte man ihm nicht verziehen! Zudem war der Commandant selbst voll Eifer.

Drei Stunden, bevor der Abraham Lincoln von Brooklyn abfuhr, erhielt ich folgendes Billet:

»Herrn Arronax, Professor am Museum zu Paris,
5 Avenue Hotel
New-York.

Mein Herr!

Wenn Sie sich der Expedition des Abraham Lincoln anschließen wollen, wird die Regierung der Ver. Staaten erfreut sein, daß Frankreich durch Sie bei dieser Unternehmung sich betheilige. Der Commandant Farragut hält eine Cabine zu Ihrer Verfügung bereit.

Ergebenst der Ihrige
J. B. Hobson,
Secretär der Marine.«

Zwanzigstes Capitel

Zwanzigstes Capitel

Die Torres-Straße

Während der Nacht vom 27. zum 28. December fuhr der Nautilus mit außerordentlicher Schnelligkeit aus den Gewässern von Vanikoro heraus in südwestlicher Richtung, und in drei Tagen legte er die siebenhundertundfünfzig Lieues zurück, welche die Gruppe La Pérouse von der südöstlichen Spitze Papuasiens trennen.

Am 1. Januar 1863 kam in aller Früh Conseil auf die Plattform zu mir.

»Mein Herr, sagte zu mir der wackere Junge, darf man Ihnen ein glückliches Neues Jahr wünschen?

– Warum nicht, Conseil, aber gerade als wäre ich zu Paris in meinem Cabinet des Jardin des Plantes. Ich nehme Deine Wünsche an und danke Dir dafür. Nur will ich Dich fragen, was verstehst Du unter »einem glücklichen Neuen Jahr« unter den Umständen, worin wir uns befinden? Meinst Du damit, daß dies Jahr unsere Gefangenschaft endigen würde, oder daß wir dies Jahr eine Fortsetzung dieser seltsamen Reise erleben werden?

– Wahrhaftig, erwiderte Conseil, ich weiß meinem Herrn nicht darauf zu antworten. Zuverlässig erleben wir merkwürdige Dinge, und seit zwei Monaten hatten wir nicht die Zeit uns zu langweilen. Das letztere Wunder ist stets das staunenswerthere, und wenn diese Steigerung so fortdauert, weiß ich nicht, wie dies endigen wird. Ich bin der Meinung, wir werden eine gleiche Gelegenheit nie wieder bekommen.

– Niemals, Conseil.

– Zudem, Herr Nemo, der wohl seinen lateinischen Namen rechtfertigt, genirt uns ebenso wenig, als wenn er nicht auf der Welt wäre.

– Wie Du sagst, Conseil.

– Ich denke also, wenn’s meinem Herrn beliebt, ein gutes Jahr wäre ein Jahr, welches uns Alles zu sehen vergönnte. …

– Alles zu sehen, Conseil? Das würde vielleicht zu lange dauern. Aber was hält Meister Ned-Land davon?

– Ned-Land ist genau der entgegengesetzten Meinung, wie ich, erwiderte Conseil. Es ist ein positiver Geist und ein gebieterischer Magen. Die Fische betrachten, und stets solche verzehren, genügt ihm nicht. Der Mangel an Wein, Brod und Fleisch will einem würdigen Sachsen, der an Beefsteaks gewöhnt, und dem eine mäßige Portion Branntwein nicht zuwider ist, nicht zusagen!

– Ich meines Theils, Conseil, finde darin keine Pein, und ich richte mich gern nach der Regel an Bord.

– Ich gleichfalls, erwiderte Conseil. Auch denke ich ebenso eifrig an das Hierbleiben, als Ned-Land an’s Entfliehen. Demnach, wenn das beginnende Jahr nicht glücklich für mich ist, wird es für ihn gut sein, und umgekehrt. Dann ist stets Einer befriedigt. Endlich, zum Schluß, wünsche ich meinem Herrn, was ihm das Herz erfreut.

– Danke, Conseil. Nur muß ich Dich bitten, die Frage des Neujahrsgeschenks zu verschieben, und dasselbe einstweilen durch einen herzlichen Handschlag ersetzen zu lassen. Etwas anderes hab‘ ich nicht bei mir.

– Mein Herr ist nie so freigebig gewesen,« erwiderte Conseil.

Hierauf entfernte sich der gute Junge.

Am 2. Januar hatten wir elftausenddreihundertundvierzig Meilen seit unserer Abfahrt aus den Gewässern Japans zurückgelegt. Vor dem Schnabel des Nautilus lagen die gefährlichen Gegenden des Korallenmeeres an der Nordostküste Australiens. Unser Fahrzeug fuhr einige Meilen weit neben dieser fürchterlichen Bank her, an welcher Cook’s Schiffe am 10. Juni 1770 beinahe gescheitert wären. Das Fahrzeug, worauf Cook sich befand, stieß auf einen Felsen, und daß es nicht untersank, war dem Umstand zu verdanken, daß das durch den Stoß losgetrennte Korallenstück in dem Leck des Rumpfes stecken blieb.

Ich hätte lebhaft gewünscht, dieses dreihundertsechzig Lieues lange Riff zu besuchen, an welchem das stets unruhige Meer mit fürchterlicher Stärke und donnerähnlichem Getöse sich brach. Aber in diesem Augenblicke wurden wir vom Nautilus in eine große Tiefe hinabgezogen, und ich konnte von den hohen Korallenwänden nichts mehr sehen.

Zwei Tage, nachdem wir durch das Korallenmeer gefahren, am 4. Januar, bekamen wir die Küsten von Papuasien in Sicht. Der Kapitän Nemo ließ mich wissen, daß er durch die Straße Torres den Indischen Ocean besuchen wolle. Diese gilt für ebenso gefährlich durch ihre Klippen, als durch ihre wilden Bewohner. Sie scheidet Neu-Holland von der großen Insel Papuasien, welche auch Neu-Guinea genannt wird.

Die Insel Papuasien ist vierhundert Lieues lang bei hundertunddreißig Breite, und ihr Flächeninhalt beträgt vierzigtausend geographische Meilen. Sie liegt zwischen 0° 19′ und 10° 2′ südlicher Breite, und zwischen 128° 23′ und 146° 15′ Länge. Um 12 Uhr, als der Schiffslieutenant den Stand der Sonne aufnahm, gewahrte ich die Gipfel des Gebirges Arfalxs, das aus den Ebenen stufenmäßig zu steilen Spitzen aufsteigt.

Dieses Land wurde 1511 von den Portugiesen entdeckt, und seitdem häufig von den Entdeckungsreisenden besucht, neuerdings von Duperrey 1823 und Dumont d’Urville 1827. Es ist, wie man gesagt hat »der Heerd der Schwarzen, welche ganz Malayenland bewohnen,« und ich zweifelte nicht, daß ich bei dieser Fahrt die gefürchteten Andamanen kennen lernen würde.

Der Nautilus war also am Eingang der gefährlichsten Enge des ganzen Erdballs, in welche die kühnsten Seefahrer kaum zu dringen wagen, worin 1840 die Corvetten Dumont d’Urville’s scheiterten und auf dem Punkt waren, völlig zu Grunde zu gehen. Dennoch war der Nautilus, welcher allen Gefahren gewachsen war, im Begriff mit den Korallenriffen sich bekannt zu machen.

Die Straße Torres ist ungefähr dreißig Lieues breit, aber mit einer unzähligen Menge Inseln, Eilande, Klippen, Felsen bedeckt, welche die Durchfahrt sehr schwierig machen. Deshalb traf auch der Kapitän Nemo alle möglichen Vorsichtsmaßregeln. Der Nautilus fuhr in der Oberfläche nur langsam vorwärts.

Ich benutzte mit meinen beiden Gefährten diesen Umstand, um auf der Plattform mich umzusehen Vor uns befand sich das Gehäuse des Steuerers, und irre ich nicht sehr, so befand sich der Kapitän selbst darinnen, seinen Nautilus zu leiten.

Ich hatte die vortrefflichen Karten der Straße Torres vor mir, welche von Vincendon Dumoulin und Coupvent-Desbois, die zu dem Stabe Dumont d’Urville’s bei seiner letzten Reise gehörten, herausgegeben wurden und neben denen des Kapitäns King die besten sind, um in dem Gewirre dieser Straße sich zu orientiren.

Das Meer brauste wüthend um den Nautilus her. Die Strömung der Wogen, welche mit einer Schnelligkeit von zwei und einer halben Meile von Süd-Ost nach Nord-West trieb, brach sich an den Korallen, deren Spitzen hier und da hervor ragten.

»Das ist ein schlimmes Meer! sagte Ned-Land.

– Abscheulich, erwiderte ich, und für ein Fahrzeug, wie der Nautilus, wirklich nicht passend.

– Der verdammte Kapitän, versetzte der Canadier, muß wohl seiner Fahrt sehr sicher sein, denn ich sehe da Korallenklumpen, die seinen Rumpf zertrümmern könnten, wenn er nur daran herstriche!«

Die Lage war in der That gefährlich, aber der Nautilus schien wie durch Zauber inmitten der fürchterlichen Klippen hindurch zu gleiten. Er folgte nicht genau der Linie, welche der Astrolabe eingeschlagen hatte, und diesem verderblich geworden war, sondern hielt sich mehr nördlich, an der Insel Murray vorbei, und dann wieder südwestlich nach der Cumberlandstraße zu. Ich glaubte, er wolle in diese einlaufen, als er wieder in nordwestlicher Richtung durch eine große Menge Inseln und wenig bekannter Eilande auf die Insel Tound und den Schlimmen Kanal zufuhr.

Ich fragte mich schon, ob der Kapitän Nemo, unvorsichtig bis zum Wahnsinn, sich in diese Enge wagen wolle, wo die beiden Corvetten Dumont d’Urville’s scheiterten, als er mit abermals veränderter Richtung gerade westlich auf die Insel Queboroar zufuhr.

Es war drei Uhr Nachmittags; die Wogen brachen sich, die Fluth war fast voll. Der Nautilus kam in die Nähe dieser Insel, wir fuhren keine zwei Meilen weit an ihr vorüber.

Plötzlich warf mich ein Stoß zu Boden. Der Nautilus war auf eine Klippe gestoßen und saß fest, neigte ein wenig auf die linke Seite.

Als ich wieder aufgestanden war, sah ich den Kapitän Nemo mit seinem Lieutenant auf der Plattform. Sie untersuchten die Lage des Schiffes, und besprachen sich in ihrem unverständlichen Dialekt.

Die Lage war folgende. Zwei Meilen rechts sah man die Insel Queboroar, deren Küste sich von Norden nach Westen wie ein ungeheurer Arm abrundete. Nach Süden und Osten hin kamen schon einige Korallenspitzen zum Vorschein, welche bei der Ebbe unbedeckt waren. Wir saßen völlig fest in einem Meere, wo Ebbe und Fluth mäßig sind, ein schlimmer Umstand, um wieder flott zu werden. Doch hatte das Schiff durchaus keinen Schaden bekommen, da sein Rumpf so solid gebaut war. Aber konnte es auch nicht untersinken oder leck werden, so war es doch sehr in Gefahr, für immer auf diesen Felsen fest zu sitzen, und dann war der unterseeische Apparat des Kapitäns Nemo zwecklos.

Ich stellte diese Betrachtungen an, als der Kapitän, kalt und ruhig, stets sich selbst beherrschend, ohne eine Unruhe oder Verlegenheit zu zeigen, heran trat:

»Ein Unfall? sagte ich.

– Nein, ein Zwischenfall, erwiderte er.

– Aber ein Zwischenfall, entgegnete ich, der Sie vielleicht nöthigen wird, wieder ein Bewohner des Landes zu werden, welches Sie fliehen.«

Der Kapitän Nemo sah mich mit befremdlicher Miene an, und machte eine verneinende Bewegung. Er sagte mir damit klar genug, daß ihn nichts in der Welt zwingen würde, seine Füße je wieder auf einen Continent zu setzen. Dann sagte er:

»Uebrigens, Herr Arronax, der Nautilus ist nicht in gefährlicher Lage. Er ist noch im Stande, Ihnen alle Wunder des Oceans zu zeigen. Unsere Reise fängt erst an, und ich wünschte nicht so bald mich der Ehre Ihrer Gesellschaft zu berauben.

– Indessen, Kapitän Nemo, fuhr ich fort, ohne die ironische Wendung seiner Antwort zu beachten, der Nautilus sitzt fest zur Zeit der vollen Fluth. Aber im Stillen Meer ist die Fluth nicht so stark, und wenn Sie nicht Ballast auszuwerfen haben – was mir nicht möglich scheint, – so sehe ich nicht ab, wie er wieder flott werden kann.

– Sie haben Recht, die Fluth ist im Stillen Meer nicht so stark, Herr Professor, erwiderte der Kapitän Nemo, aber in der Torres-Straße findet man noch einen Unterschied von ein und einem halben Meter zwischen dem Niveau des Höhestandes und dem niedrigsten. Heute haben wir den 2. Januar, und in fünf Tagen ist Vollmond. Dann soll mich’s doch sehr wundern, wenn dieser gefällige Trabant nicht das Wasser zu hinreichender Höhe emporheben und damit mir einen Dienst erweisen sollte, welchen ich nur ihm allein zu verdanken haben will.«

Nach diesen Worten begab sich der Kapitän Nemo in Begleitung seines Lieutenants wieder in’s Innere des Nautilus. Das Fahrzeug wich und wankte nicht, saß unbeweglich fest, als hätten die Korallenpolypen es bereits in ihren unzerstörbaren Kitt fest eingemauert.

»Nun, mein Herr? sagte Ned-Land zu mir, indem er nach dem Weggang des Kapitäns zu mir kam.

– Nun, Freund Ned, mir warten ruhig die Fluth am 9. ab, denn es scheint, Luna wird so gefällig sein, uns wieder flott zu machen.

– Nichts weiter?

– Nichts weiter.

– Und der Kapitän wird nicht seine Anker auswerfen und seine Maschinen anstrengen, und alles aufbieten, um sich heraus zu ziehen?

– Die Fluth wird ja ausreichen!« erwiderte Conseil.

Der Canadier warf Conseil einen Blick zu, und zuckte die Achseln. Dann sagte er weiter mit der Miene des Seemannes:

»Mein Herr, Sie können mir glauben, wenn ich Ihnen sage, dies Stück Eisen wird nimmer, weder auf, noch unter der Meeresfläche fahren. Man wird’s nur nach dem Pfund verkaufen. Ich denke demnach, daß nun die Zeit gekommen ist, im Stillen die Gesellschaft des Kapitäns aufzugeben.

– Freund Ned, erwiderte ich, ich habe noch nicht, wie Sie, das Vertrauen zu diesem tapferen Nautilus sinken lassen, und in vier Tagen werden wir wissen, wie wir im Stillen Ocean mit der Fluth daran sind. Uebrigens würde der Rath, zu entfliehen, angemessen sein können, wenn wir im Angesicht der Küste Englands oder der Provence wären; aber in Papuasien ist’s etwas anderes, und es wird immer noch Zeit zu solch einem äußersten Mittel sein, wenn es dem Nautilus nicht gelingt wieder flott zu werden, was ich als ein bedeutendes Ereigniß ansehen würde.

– Aber man könnte wohl zum mindesten eine Probe mit diesem Land machen? entgegnete Ned-Land. Wir sehen, es ist eine Insel. Auf derselben sind Bäume, und unter diesen giebt’s Landthiere, die Cotelettes und Rostbeafs tragen, die ich längst gerne einmal zum Imbiß nehmen wollte.

– Hierin hat Freund Ned Recht, sagte Conseil und ich theile seine Ansicht. Wäre es nicht meinem Herrn möglich, von seinem Freund, dem Kapitän Nemo, auszuwirken, uns an’s Land zu setzen, sei’s auch nur, um nicht gänzlich die Gewohnheit zu verlieren, die festen Theile unseres Planeten zu betreten?

– Ich kann ihn darum bitten, erwiderte ich, aber er wird’s abschlagen.

– Wenn mein Herr es wagen will, sagte Conseil, so werden wir wissen, woran wir uns zu halten haben in Hinsicht der Liebenswürdigkeit des Kapitäns.«

Zu meinem großen Erstaunen gab mir der Kapitän Nemo die erbetene Erlaubniß, und er that es sehr gefällig und eifrig, ohne nur das Versprechen der Rückkehr an Bord abzunehmen. Aber eine Flucht durch Neu-Guinea würde sehr gefährlich gewesen sein, und ich würde Ned-Land nicht gerathen haben, sie zu versuchen. Als Gefangener an Bord des Nautilus zu bleiben, würde doch dem Loos vorzuziehen sein, daß man den Eingeborenen Papuasiens in die Hände fiele.

Das Landungsboot wurde uns für den folgenden Morgen zur Verfügung gestellt. Ich fragte nicht darnach, ob der Kapitän Nemo uns begleiten wolle. Ich dachte sogar, es werde uns Jemand von der Mannschaft beigegeben werden, und Ned-Land nur beauftragt die Landung zu leiten. Uebrigens da das Land nur höchstens zwei Meilen entfernt war, so war es für den Canadier nur ein Spiel, das leichte Boot zwischen den Riffen durchzubringen, welche für die großen Schiffe so gefährlich sind.

Am folgenden Tag, den 5. Januar, wurde das Boot ohne Verdeck aus seinem Gehäuse genommen, und von der Plattform herab in’s Meer gelassen. Zwei Mann reichten dafür aus. Die Ruder befanden sich darinnen, und wir brauchten uns nur hinein zu setzen.

Um acht Uhr fuhren wir, mit Büchsen und Beilen gewaffnet, vom Nautilus ab. Das Meer war ziemlich ruhig. Vom Land her wehte ein leichter Wind. Conseil und ich saßen bei den Rudern, und führten sie kräftig, und Ned steuerte in dem schmalen Fahrwasser, welches zwischen den Klippen frei war. Das Boot ließ sich gut leiten und fuhr rasch.

Ned-Land war vor Freude außer sich. Er war ein dem Kerker entwischter Gefangener, und er dachte gar nicht daran, daß er wieder in denselben zurückkehren müsse.

»Fleisch! rief er wiederholt. Nun werden wir wieder Fleisch essen, und was für Fleisch! Echtes Wildpret! Allerdings wohl kein Brod! Ich will nicht sagen, ein Fischgericht sei nicht etwas Gutes, aber man darf des Guten nicht zu viel thun, und ein Stück frisches Wildpret, über glühenden Kohlen auf dem Rost gebraten, gebe eine angenehme Abwechselung unseres Tisches.

– Leckermund! erwiderte Conseil, er macht, daß mir auch der Mund darnach wässert.

– Es steht auch noch dahin, ob es Wild in diesen Wäldern giebt, und ob nicht das Wild dort von so starkem Wuchs ist, daß ihm der Jäger selbst zur Beute werden könnte.

– Richtig, Herr Arronax! erwiderte der Canadier, dessen Zähne scharf gewetzt schienen, wie die scharfe Schneide eines Beiles; aber ich würde Tigerfleisch, Lendenbraten von Tigern essen, wenn’s auf dieser Insel keinen andern Vierfüßler giebt.

– Freund Ned versetzt uns in Unruhe, erwiderte Conseil.

– Wie dem auch sein mag, fuhr Ned-Land fort, jedes vierfüßige ungefiederte, oder zweifüßige gefiederte Thier wird meinem ersten Schuß willkommen sein.

– Gut! erwiderte ich, da sehen wir Meister Land’s Unvorsichtigkeiten wieder von vorn anfangen!

– Haben Sie keine Angst, Herr Arronax, erwiderte der Canadier, und rudern Sie nur tüchtig. Ich brauche keine fünfundzwanzig Minuten, um Ihnen ein Gericht nach meinem Geschmack vorzulegen.«

Um acht und ein halb Uhr lief das Boot des Nautilus, nachdem es glücklich über den Korallenring, welcher die Insel Queboroar umgiebt, hinausgekommen war, an einer Sandbank sanft auf den Strand.

Zwölftes Capitel

Zwölftes Capitel

Alles durch Elektricität

»Hier sehen Sie, mein Herr, sagte der Kapitän Nemo, auf die an den Wänden seines Zimmers hängenden Instrumente hinweisend, den für die Schifffahrt des Nautilus erforderlichen Apparat. Ich habe sie hier, wie im Salon, stets unter den Augen, und sie zeigen mir genau, wo ich inmitten des Oceans mich befinde, und in welcher Richtung ich fahre. Einige sind Ihnen wohl bekannt, wie Thermometer und Barometer, um die Temperatur und das Gewicht der Luft; das Hygrometer, um die Trockenheit der Atmosphäre zu bestimmen; das Wetterglas, um das Herannahen der Stürme anzukündigen; der Compaß, um mir die Richtung der Fahrt; der Sextant, um durch die Sonnenhöhe den Breitegrad zu zeigen; das Chronometer, um die Länge zu berechnen; und endlich die Fernröhre für Tag und Nacht, die mir dienen, um den Horizont an allen Punkten zu durchforschen, wann der Nautilus sich an der Oberfläche befindet.

– Das sind die gewöhnlichen, dem Seefahrer nöthigen Instrumente, erwiderte ich, und ich kenne ihren Gebrauch. Aber da sind andere, die dienen ohne Zweifel den besonderen Bedürfnissen des Nautilus. Dies Zifferblatt mit dem beweglichen umlaufenden Zeiger ist wohl ein Manometer?

– Ja wohl, ein Manometer. Mit dem Wasser in Verbindung gebracht, zeigt es den äußern Druck desselben an, und dadurch die Tiefe, worin sich das Fahrzeug befindet.

– Und das ist eine neue Art von Sonde?

– Thermometrische Sonden, welche die Temperatur der verschiedenen Luftschichten angeben.

– Und diese Instrumente, deren Gebrauch mir völlig unbekannt ist?

– Hier, Herr Professor, muß ich Ihnen einige Erklärungen geben, sagte der Kapitän Nemo. Belieben Sie mich anzuhören.«

Nach einer kleinen Pause sprach er: »Es giebt einen starken, folgsamen, raschen, willigen, zu allen dienlichen Agenten, der an meinem Bord herrscht. Er leistet mir alles, beleuchtet, erwärmt, ist die Seele meiner mechanischen Werkzeuge. Dieser Agent ist die Elektricität.

– Die Elektricität! rief ich etwas überrascht.

– Ja, mein Herr.

– Sie haben jedoch, Kapitän, eine außerordentliche Schnelligkeit der Bewegungen, welche zu der Kraft der Elektricität wenig stimmen. Bisher ist ihre dynamische Kraft sehr beschränkt geblieben und hat nur geringe Wirkungen hervorzubringen vermocht!

– Herr Professor, erwiderte der Kapitän Nemo, meine Elektricität ist nicht die, welche Jedermann kennt; und das ist Alles, was Sie mir Ihnen davon zu sagen gestatten wollen.

– Ich will Ihnen nicht zusetzen, mein Herr, und mich begnügen, über ein solches Ergebniß sehr zu staunen. Eine einzige Frage jedoch erlauben Sie mir, welche Sie, wenn Sie dieselbe unbescheiden finden, nicht zu beantworten brauchen. Die Elemente, welche Sie verwenden, um diesen wunderbaren Agenten hervorzubringen, müssen sich doch bald verbrauchen. Wie ersetzen Sie z. B. Zink, da Sie ohne Verbindung mit der Erde sind?

– Ich will Ihre Frage beantworten, erwiderte der Kapitän Nemo. Für’s Erste will ich Ihnen sagen, daß es auf dem Grund des Meeres Zink-, Eisen-, Silber-, Gold-Minen giebt, deren Ausbeutung gewiß sehr ausführbar wäre. Aber ich habe von diesen Metallen der Erde nichts entliehen, und von dem Meer selbst die Mittel für Erzeugung meiner Elektricität gewinnen wollen.

– Von dem Meer?

– Ja, Herr Professor, und an Mitteln fehlt’s da nicht. Ich hätte zwar, indem ich Drähte aus verschiedenen Tiefen mit einander in Verbindung setzte, Elektricität aus der Verschiedenheit der Temperaturen erzielen können, aber ich zog ein praktischeres System vor.

– Und welches?

– Sie kennen die Bestandtheile des Meerwassers. Von tausend Gramm sind sechsundneunzig und ein halb Hunderttheile Wasser, etwa zwei und zwei Drittel Chlorsodium; sodann in geringer Quantität Chlor-Magnesium und salzsaures Kali, Brom-Magnesium, schwefelsaures Magnesium, schwefelsaurer und kohlensaurer Kalk. Sie sehen also, daß Chlorsodium in ansehnlichem Verhältniß sich dabei befindet. Dieses Sodium nun ziehe ich aus dem Wasser und bereite daraus meine Elemente.

– Sodium?

– Ja, mein Herr. Mit Merkur vermischt, bildet es ein Amalgam, welches bei den Bunsen’schen Elementen das Zink ersetzt. Merkur verbraucht sich nie; nur das Sodium wird verzehrt, und dieses gewinne ich aus dem Meer unmittelbar. Ich bemerke Ihnen weiter, daß die Sodiumsäulen für weit energischer anzusehen sind, und daß ihre elektrische Bewegkraft doppelt so stark ist als bei den Zinksäulen. – Ich begreife wohl, Kapitän, die Vortrefflichkeit des Sodiums in den Verhältnissen, worin Sie sich befinden. Das Meer enthält es. Gut. Aber man muß es fabriciren, herausziehen. Wie bewerkstelligen Sie das? Ihre Säulen könnten offenbar dazu dienen; aber irre ich nicht, so würde der für den elektrischen Apparat erforderliche Aufwand von …

– Die gewonnene Quantität überwiegen. Es würde dann der Fall eintreten, daß Sie für die Erzeugung desselben mehr verbrauchten, als Sie dadurch erzeugen!

– Herr Professor, ich gewinne es auch nicht mittelst der Säule, und verwende ganz einfach die Wärme der Steinkohle.

– Steinkohle? sagte ich bedeutsam.

– Sagen wir Meerkohle, wenn Sie wollen, erwiderte der Kapitän Nemo.

– Und Sie können unterseeische Kohlenminen ausbeuten?

– Herr Arronax, Sie sollen sehen, wie ich’s anfange. Ich bitte nur um ein wenig Geduld, denn Sie haben ja Zeit es geduldig abzuwarten. Behalten Sie nur im Sinn: Dem Meer verdank‘ ich Alles: es verschafft die Elektricität, und diese gewährt dem Nautilus Wärme, Licht, Bewegung, kurz sein Leben.

– Aber doch nicht die Luft, welche Sie einathmen?

– O! ich könnte die zu meinem Verbrauch nöthige Luft fabriciren, aber es ist nicht nöthig, weil ich, wenn’s mir beliebt, an die Oberfläche des Meeres aufsteigen kann. Jedoch, kann mir auch die Elektricität nicht die zum Einathmen erforderliche Luft liefern, so treibt sie wenigstens gewaltige Pumpen, welche sie in besondere Behälter einpressen, wodurch ich in den Stand gesetzt bin, meinen Aufenthalt in der Tiefe nach Bedürfniß oder nach Belieben zu verlängern.

– Kapitän, erwiderte ich, ich kann nur bewundern. Offenbar haben Sie bereits gefunden, was die Menschen auch einmal auffinden werden, die wahre dynamische Kraft der Elektricität.

– Ich weiß nicht, ob sie dieselbe entdecken werden, erwiderte kalt der Kapitän Nemo. Wie dem aber auch sein mag. Sie kennen bereits die erste Anwendung, welche ich von diesem schätzbaren Agenten gemacht habe. Er leuchtet uns so gleichmäßig und andauernd, wie das Sonnenlicht nicht. Jetzt, sehen Sie diese Uhr; sie ist elektrisch, und geht so regelmäßig, wie die besten Chronometer. Ich habe sie, wie die italienischen Uhren in vierundzwanzig Stunden getheilt, denn für mich existirt weder Nacht noch Tag, noch Sonnen- oder Mondlicht, vielmehr nur dieses künstlich erzeugte Licht, welches ich bis auf den Meeresgrund mit mir nehme! Sehen Sie, in diesem Augenblick ist’s zehn Uhr Vormittags. – Ganz richtig.

– Eine andere Anwendung der Elektricität. Dieses Zifferblatt vor unseren Augen giebt mir die Schnelligkeit des Nautilus an. Ein elektrischer Draht bringt es in Verbindung mit der Schraube des Log, und sein Zeiger giebt mir die wirkliche Geschwindigkeit des Fahrzeugs an. Und, sehen Sie, in diesem Augenblick fahren wir mit der mäßigen Geschwindigkeit von fünfzehn Meilen die Stunde.

– Es ist wunderbar, erwiderte ich, und ich sehe wohl, Kapitän, daß Sie Grund hatten, diesen Agenten zu gebrauchen, dem es bestimmt ist, Wind, Wasser und Dampf zu ersetzen.

– Wir sind noch nicht fertig, Herr Arronax, sagte der Kapitän Nemo, indem er aufstand, und wenn’s Ihnen beliebt, mich zu begleiten, wollen wir den hintern Theil des Nautilus auch besichtigen.«

In der That kannte ich jetzt den ganzen vordern Theil des unterseeischen Bootes, welches von der Mitte aus nach vorne genau folgendermaßen eingetheilt war: der Speisesaal fünf Meter groß, von der Bibliothek durch eine wasserdichte Scheidewand getrennt, so daß kein Wasser eindringen konnte; die Bibliothek war fünf Meter groß, der Hauptsalon zehn Meter vom Zimmer des Kapitäns, welches fünf Meter maß, durch eine abermalige wasserdichte Wand geschieden; das meinige von zwei und einem halben Meter; und endlich ein Luftbehälter, sieben und ein halb Meter groß, erstreckte sich bis zum Hintersteven. Das machte im Ganzen fünfunddreißig Meter Länge aus. Die wasserdichten Scheidewände mit hermetischem Verschluß gewährten an Bord des Nautilus völlige Sicherheit, im Fall ein Leck sich ergab.

Ich begleitete den Kapitän Nemo durch die Gänge des vordern Theils bis zum Mittelpunkt des Schiffs. Hier befand sich, zwischen zwei wasserdichten Wänden eine Art Schacht, in welchem eine an der Wand befestigte eiserne Leiter zur Mündung führte. Ich fragte den Kapitän, wozu diese Leiter diene.

»Sie endigt beim Boot, war die Antwort.

– Wie? Sie haben ein Boot? versetzte ich etwas erstaunt.

– Allerdings. Ein treffliches Fahrzeug, leicht und ohne unterzusinken, das uns zur Spazierfahrt und zum Fischen dient.

– Aber dann müssen Sie zum Einsteigen sich auf der Meeresoberfläche befinden?

– Keineswegs. Dieses Boot ist am obern Theile des Schiffsrumpfes in einer für dasselbe hergerichteten Aushöhlung befestigt. Es ist ganz mit Verdeck versehen, durchaus wasserdicht und mit soliden Bolzen gefügt. Diese Leiter nun führt zu einer im Rumpf des Nautilus angebrachten Oeffnung, welche mit einer gleichen in der Seite des Bootes in Verbindung steht, so daß ich durch diese doppelte Oeffnung in das Fahrzeug gelange. Dann schließt man wieder die des Nautilus, und ich schließe hinter mir die des Bootes vermittelst Stellschraube. Ich mache die Zapfen los, und das Fahrzeug steigt reißend schnell zur Meeresoberfläche auf. Dann öffne ich einen bisher sorgfältig verschlossenen Luckendeckel des Verdecks, richte einen Mast auf, hisse mein Segel oder nehme meine Ruder zur Hand und fahre spazieren.

– Aber wie kommen Sie wieder an Bord zurück?

– Ich komme gar nicht zurück, Herr Arronax, vielmehr der Nautilus kommt wieder zu demselben.

– Auf Ihren Befehl?

– Auf meinen Befehl. Ein elektrischer Draht hält mich in Verbindung, und es bedarf nur eines Telegramms.

– Wirklich, sagte ich, entzückt von diesen Wundern, es giebt nichts Einfacheres!«

Nachdem ich an dem Behälter der zur Plattform führenden Leiter vorüber war, sah ich eine zwei Meter große Cabine, worin Conseil und Ned-Land beschäftigt waren, ihr wohlschmeckendes Mahl munter zu verschlingen. Hierauf öffnete sich eine Thüre zu der drei Meter langen Küche, welche zwischen den geräumigen Vorrathskammern liegt.

Hier verrichtete die Elektricität, energischer und williger, als selbst das Gas, alle Bedürfnisse zum Kochen. Die Drähte, unter den Oefen angelangt, theilten Platinaschwämmen eine Wärme mit, welche sich vertheilte und regelmäßig andauerte. Sie heizte in gleicher Weise Destillirapparate, welche durch Verdunstung ein vortreffliches Trinkwasser verschafften. Neben der Küche öffnete sich ein bequem eingerichteter Badesaal, worin die Hähne nach Belieben kaltes und warmes Wasser spendeten.

Auf die Küche folgte der Posten der Mannschaft, fünf Meter lang. Aber die Thüre war geschlossen, und ich konnte seine Einrichtung nicht sehen, woraus ich wohl die Anzahl der zur Bewegung des Nautilus erforderlichen Männer hätte entnehmen können.

Eine vierte wasserdichte Scheidewand befand sich zwischen diesem Posten und dem Maschinenzimmer. Es öffnete sich eine Thüre, und ich befand mich in diesem Gemach, wo der Kapitän Nemo seine Werkzeuge für die Fortbeförderung aufgestellt hatte. Dieses klar beleuchtete Maschinenzimmer war nicht weniger als zwanzig Meter lang. Es theilte sich natürlich in zwei Abtheilungen, erstens für die Elemente der Elektricitätserzeugung, und zweitens für die mechanische Einrichtung, um die Bewegung zur Schraube zu befördern.

Anfangs war ich betroffen über den eigenthümlichen Geruch, welcher dieses Gemach erfüllte. Der Kapitän bemerkte es und sprach:

»Es ist nur einige Entwickelung von Gas durch die Anwendung des Sodium; aber die Unannehmlichkeit ist nicht bedeutend, und zudem wird im Schiff täglich durch Ventilation die Luft erneuert.«

Inzwischen besuchte ich mit leicht begreiflichem Interesse die Maschine des Nautilus.

»Sie sehen, sagte Kapitän Nemo, ich verwende Bunsen’sche Elemente, nicht Ruhmkorff’sche. Diese würden zu schwach gewesen sein. Jene sind wenig zahlreich, aber stark und groß, was der Erfahrung gemäß besser ist. Die erzeugte Elektricität zieht sich nach hinten, wo sie durch sehr große Elektro-Magnete auf ein besonderes System von Hebeln und Rädergetrieben wirkt, welche die Bewegung auf die Welle der Schraube hinleitet. Diese, deren Durchmesser sechs Meter mißt und das Gewinde sieben und ein halb Meter, kann in einer Secunde bis auf hundertundzwanzig Umdrehungen erzeugen.

– Und damit erhalten Sie?

– Eine Geschwindigkeit von fünfzig Meilen in der Stunde.«

Hier fand ein Geheimniß statt, aber ich bestand nicht darauf, es kennen zu lernen. Wie ward es möglich, daß die Elektricität mit solcher Kraft wirkte? Woher entsprang diese fast unbegrenzte Kraft? Etwa aus einer übermäßigen Spannung durch eine neue Art von Wellen? Oder aus der Hinüberleitung, welche durch ein System unbekannter Hebel bis zum Unendlichen gesteigert werden konnte? Dieses war mir unbegreiflich.

»Kapitän Nemo, sagte ich, ich constatire die Ergebnisse und trachte nicht darnach, sie zu erklären. Ich habe den Nautilus im Angesicht des Abraham Lincoln manoeuvriren gesehen, und weiß, was es mit seiner Geschwindigkeit für eine Bewandtniß hat. Aber das Vorwärtskommen reicht nicht aus. Man muß auch sehen, wohin man fährt! Man muß sich rechts und links, nach oben und unten hinwenden können! Wie erreichen Sie die großen Tiefen, wo ein zunehmender Widerstand stattfindet, der auf Hunderte von Atmosphären anzuschlagen ist? Wie steigen Sie wieder zur Oberfläche des Oceans empor? Endlich, wie gelingt es Ihnen, sich in der Ihnen beliebigen Umgebung zu halten? Bin ich unbescheiden, indem ich diese Fragen an Sie richte?

– Keineswegs, Herr Professor, erwiderte der Kapitän nach kurzem Besinnen, denn Sie dürfen ja doch niemals dieses unterseeische Boot verlassen. Kommen Sie nur in den Salon. Das ist unser eigentliches Arbeitszimmer, und da sollen Sie auch alles vernehmen, was Sie über den Nautilus wissen dürfen!«

Dreizehntes Capitel

Dreizehntes Capitel

Einige Zahlen

Nach einer kleinen Weile saßen wir auf einem Divan des Salon, die Cigarre im Munde. Der Kapitän legte mir den Grundriß, Durchschnitt und Aufriß des Nautilus vor Augen. Darauf begann er seine Erklärung folgendermaßen:

»Das Boot, worauf wir uns befinden, Herr Arronax, ist ein langer Cylinder mit zugespitzten Enden. Die Länge desselben beträgt genau siebenzig, seine größte Breite acht Meter; also letztere nicht völlig im Verhältniß von eins zu zehn, wie die schnellsegelnden Dampfer gewöhnlich gebaut sind, und die Länge ist hinreichend zugespitzt, damit das verdrängte Wasser leicht sich scheidet und dem Laufe nicht hinderlich ist.

»Aus diesen Dimensionen ergeben sich durch ein einfaches Rechenexempel die Oberfläche und der Kubikgehalt des Nautilus. Der erstere beträgt tausendundelf und fünfundvierzig Hunderttheile Quadratmeter. Der Gehalt fünfzehnhundert und zwei Zehntel Kubikmeter, – d. h. wenn es völlig untertaucht, verdrängt es fünfzehnhundert Kubikmeter oder Tonnen.

»Als ich die Pläne zu diesem für unterseeische Fahrten bestimmten Schiffe machte, war meine Absicht, daß es im Gleichgewicht untergetaucht nur mit einem Zehntheil hervorrage. Folglich durfte es unter diesen Verhältnissen nur neun Zehntel seines Gehaltes verdrängen, also dreizehnhundertsechsundfünfzig und achtundvierzig Hunderttheile Kubikmeter, d. h. es durfte nur eben so viel Tonnengewicht haben. Ich habe daher bei Erbauung desselben nach den gegebenen Dimensionen dieses Gewicht nicht überschreiten dürfen.

»Der Nautilus besteht aus zwei Rümpfen, einem innern und einem äußern, welche durch eiserne Klammern in Form eines T mit einander verbunden demselben eine außerordentlich große Dauerhaftigkeit geben. In der That leistet es in Folge dieser Einrichtung Widerstand wie ein Block, als wenn es voll wäre. Seine äußere Hülle kann nicht nachgeben; sie ist in sich selbst zusammenhängend, nicht durch Zusammennieten; und die Gleichartigkeit seiner Construction in Folge der vollständigen Zusammenfügung der Materialien macht es fähig, den ungestümsten Wogen zu trotzen.

»Diese beiden Rümpfe sind aus Stahlplatten gefertigt, deren Dichtigkeit im Verhältniß zum Wasser sieben, acht Zehntel beträgt. Der erstere ist mindestens fünf Centimeter dick und wiegt dreihundertvierundneunzig Tonnen sechsundneunzig Hunderttheile. Der zweite umgebende, nebst dem fünfzig Centimeter hohen und fünfundzwanzig breiten Kiel, welcher für sich allein zweiundsechzig Tonnen wiegt, die Maschine, der Ballast, die übrigen Nebengegenstände und Geräthschaften, die Verschläge und Strebebretter haben ein Gewicht von neunhunderteinundsechzig Tonnen, zweiundsechzig Hunderttheile, welches alles zusammen addirt eine Gesammtsumme von dreizehnhundertsechzig und achtundvierzig Hunderttheile Tonnen ergiebt. Ist dies verständlich?

– Ja wohl.

– Also, fuhr der Kapitän fort, wenn der Nautilus unter diesen Bedingungen flott ist, ragt er um ein Zehntheil aus dem Wasser hervor. Wenn ich nun Wasserbehälter von gleichem Gehalt mit diesem Zehntheil bereit habe, d. h. welche hundertundfünfzig Tonnen und zweiundsechzig Hunderttheile fassen, und ich fülle sie mit Wasser, so wird das Boot, welches dann fünfzehnhundertundsieben Tonnen Gewicht hat, vollständig untergehen. Und so geschieht’s, Herr Professor. Diese Behälter befinden sich am Vordertheil in den unteren Räumen des Nautilus. Ich drehe die Hähne, sie füllen sich, und das sinkende Schiff kommt mit der Meeresoberfläche in gleiches Niveau.

– Gut, Kapitän; aber nun kommen wir an die eigentliche Schwierigkeit. Wie Sie auf’s Niveau des Meeresspiegels herabsinken, ist begreiflich. Aber wenn Sie tiefer hinabtauchen, wird doch Ihr Fahrzeug einem Druck begegnen und folglich einem Gegenstoß von unten nach oben ausgesetzt sein, welcher bei dreißig Fuß Wasser auf eine Atmosphäre anzuschlagen ist, welches ungefähr ein Kilogramm auf den Quadratcentimeter ausmacht?

– Ganz richtig so, mein Herr.

– Folglich, wenn Sie nicht den Nautilus vollständig füllen, sehe ich nicht, wie Sie ihn in den Schooß der Wassermassen hinabbringen können.

– Herr Professor, erwiderte der Kapitän Nemo, man darf nicht die Statik mit der Dynamik vermengen, ohne sich großen Irrthümern auszusetzen. Es kostet sehr wenig Mühe, um in die unteren Regionen des Oceans zu gelangen, denn die Körper haben eine Tendenz, auf den Grund zu sinken. Begleiten Sie meine Beweisführung.

– Ich höre Ihnen zu, Kapitän.

– Als ich bestimmen wollte, welchen Zuwachs an Gewicht ich dem Nautilus zu geben hätte, um ihn untersinken zu lassen, hatte ich mich nur mit dem geringern Umfang zu befassen, welchen das Meerwasser einnimmt im Verhältniß wie seine Schichten tiefer liegen.

– Offenbar, erwiderte ich.

– Nun aber, wenn auch das Wasser nicht absolut unfähig ist, zusammengedrückt zu werden, so ist es doch wenigstens sehr wenig dessen fähig. In der That beträgt nach den neuesten Berechnungen diese Beschränkung nur vierhundertsechsunddreißig Zehnmillionentheile auf eine Atmosphäre, oder auf je dreißig Fuß Tiefe. Handelt sich’s darum, tausend Meter hinab zu gehen, so bringe ich dann die Beschränkung des Umfangs unter einem Druck in Anschlag, welcher dem einer Wassersäule von tausend Metern gleich kommt, d. h. unter einem Druck von hundert Atmosphären. Diese Beschränkung betrüge dann vierhundertsechsunddreißig Hunderttausendtheile. Ich werde also das Gewicht so weit erhöhen müssen, daß es fünfzehnhundertdreizehn Tonnen, fünfundsiebenzig Hunderttheile beträgt, anstatt fünfzehnhundertsieben und zwei Zehntel Tonnen. Die Erhöhung wird folglich nur sechs- und siebenfünfzig Hunderttheils Tonnen ausmachen.

– Nicht mehr?

– Nicht mehr, Herr Arronax, und die Richtigkeit der Berechnung ist leicht zu erkennen. Nun habe ich Wasserbehälter zur Ergänzung, welche hundert Tonnen fassen. Damit kann ich in beträchtliche Tiefen mich hinablassen. Will ich wieder zum Meeresspiegel aufsteigen, so brauche ich nur dieses Wasser zu entladen, und wenn ich haben will, daß der Nautilus mit einem Zehntheil hervorrage, so muß ich die Behälter völlig leer machen.«

Auf diese mit Zahlen begründete Auseinandersetzung hatte ich keinen Einwand.

»Ich lasse Ihre Berechnungen gelten, Kapitän, erwiderte ich, und es würde mir schwer fallen, ihnen zu widersprechen, weil die Erfahrung sie täglich bestätigt. Doch fühle ich mich nun einer wirklichen Schwierigkeit gegenüber.

– Worin besteht diese, mein Herr?

– Wann Sie sich tausend Meter tief befinden, so haben die Wände des Nautilus einen Druck von hundert Atmosphären auszuhalten. Wenn Sie nun im Augenblick die Ergänzungsbehälter entleeren wollen, um Ihr Schiff leichter zu machen und aufsteigen zu können, so müssen die Pumpen diesen Druck von hundert Atmosphären überwinden. Dafür ist eine Kraft …

– Die Elektricität allein vermochte mir sie zu gewähren, sagte der Kapitän hastig. Ich sage Ihnen nochmals, mein Herr, die dynamische Wirkung meiner Maschinen ist fast unbeschränkt. Die Pumpen des Nautilus haben eine wunderbare Kraft, deren Wirkung Sie gespürt haben, als ihre Wassersäulen wie ein reißender Strom auf den Abraham Lincoln stürzten. Uebrigens bediene ich mich der Ergänzungsbehälter nur, um in mittlere Tiefen von fünfzehnhundert bis zweitausend Meter zu gelangen, und zwar, um meine Maschinen zu schonen. Wenn ich also Luft habe, die Tiefen des Oceans von zwei bis drei Lieues unter der Oberfläche zu besuchen, so wende ich mich zu einem umständlichern, aber nicht minder sichern Verfahren.

– Und worin besteht dies, Kapitän? fragte ich.

– Dies führt mich natürlich darauf anzugeben, wie der Nautilus manoeuvrirt wird.

– Ich bin ungeduldig, es zu vernehmen.

– Um das Boot rechts und links zu lenken, um Schwenkungen in horizontaler Richtung zu machen, bediene ich mich eines gewöhnlichen auf dem Hintersteven befestigten Steuerruders, welches durch ein Rad und Taue in Bewegung gesetzt wird. Aber ich kann den Nautilus auch in vertikaler Richtung, von unten nach oben und umgekehrt in Bewegung setzen vermittelst zweier geneigten Flächen, die an seinen Seiten auf dem Centrum seiner Wassertracht angebracht beweglich, und alle Lagen anzunehmen geeignet sind, und von innen durch kräftige Hebel in Bewegung gebracht werden. Hält man diese Flächen parallel mit dem Boot, so bewegt sich’s horizontal. Sind sie geneigt, so ist der Nautilus im Stande, je nach der Neigung und mit dem Druck seiner Schraube, in einer mir beliebigen Diagonale abwärts oder aufwärts zu steigen. Und sogar, will ich rascher zur Oberfläche empor steigen, so hemme ich die Schraube, und der Druck des Wassers treibt den Nautilus vertikal empor, wie ein mit Gas gefüllter Ballon reißend schnell in die Lüfte steigt.

– Bravo! Kapitän, rief ich aus. Aber wie kann der Steuerer inmitten der Gewässer die Richtung einschlagen, welche Sie ihm angeben?

– Der Steuerer hat seinen Platz in einem mit Fenstern versehenen Gehäuse, welches oben auf dem Rumpf des Nautilus vorspringt und mit linsenförmigen Gläsern gedeckt ist.

– Gläser, die solchem Druck widerstehen können?

– Ja wohl. Das beim Anstoßen zerbrechliche Krystallglas enthält doch eine beträchtliche Widerstandsfähigkeit. Bei den im Jahre 1864 angestellten Experimenten mit Fischerei bei elektrischem Licht hat man gesehen, wie Stücke Glas, die nur sieben Millimeter dick waren, einem Druck von sechzehn Atmosphären widerstanden, und dabei noch wirksame Wärmestrahlen durchließen, welche in ungleicher Weise die Wärme zuertheilten. Nun sind die Gläser, welche ich gebrauche, dreißigmal so dick, denn sie sind im Centrum mindestens einundzwanzig Centimeter stark.

– Zugegeben, Kapitän; aber endlich, um zu sehen, muß Licht die Finsterniß vertreiben, und ich frage mich, wie inmitten des Dunkels der Gewässer …

– Hinten am Gehäuse des Steuerers ist ein starker elektrischer Reflector angebracht, dessen Strahlen das Meer eine halbe Meile weit erleuchten.

– Ah! Bravo, dreimal Bravo! Kapitän. Jetzt ist mir die Phosphorescenz des vermeintlichen Narwal erklärlich, welcher den Gelehrten so viel zu schaffen gemacht hat! Bei diesem Anlaß erlaube ich mir die Frage, ob der Zusammenstoß des Nautilus und des Scotia, welcher so großes Aufsehen erregte, ein zufälliger war?

– Rein zufällig, mein Herr. Ich fuhr zwei Meter unter der Meeresoberfläche, als der Stoß sich ereignete. Uebrigens sah‘ ich, daß er keine beklagenswerthen Folgen hatte.

– Keine, mein Herr. Aber Ihr Zusammenstoß mit dem Abraham Lincoln? …

– Herr Professor, es thut mir leid um eins der besten Schiffe dieser tüchtigen amerikanischen Marine, aber ich wurde angegriffen und mußte mich vertheidigen! Ich habe mich jedoch darauf beschränkt, die Fregatte außer Stand zu setzen, mir zu schaden, – es wird sie nicht viel kosten, ihren Schaden im nächsten Hafen auszubessern.

– Ah! Commandant, rief ich mit Ueberzeugung, Ihr Nautilus ist wirklich ein wundervolles Fahrzeug!

– Ja, Herr Professor, erwiderte der Kapitän mit wahrer Rührung, und ich liebe ihn, wie mein Fleisch und Blut! Wenn auf einem Eurer Schiffe, welche den Wechselfällen des Oceans ausgesetzt sind, alles voll Gefahr ist; wenn auf diesem uns zuerst der Gedanke an das Versinken uns überfällt: so hat da unten an Bord des Nautilus das Gemüth des Menschen keinen Grund zur Besorgniß mehr; da ist kein Leckwerden zu fürchten, keine Beschädigung des Takelwerks oder der Segel, kein Zerspringen der Dampfkessel, keine Feuersbrunst kein Kohlenmangel, kein Zusammenstoß und kein Sturm. Einige Meter unter der Oberfläche ist unbedingte Ruhe der Gewässer. Das, mein Herr, das ist ein Schiff, wie es sein soll! Und wenn es wahr ist, daß der Ingenieur mehr Vertrauen in das Schiff setzt, als der Erbauer und der Erbauer mehr als selbst der Kapitän, so werden Sie begreifen, welches Vertrauen ich zu meinem Nautilus hege, da ich dessen Kapitän, Erbauer und Ingenieur in einer Person bin!« –

Der Kapitän Nemo sprach mit hinreißender Beredtsamkeit. Ja, er liebte sein Schiff, wie ein Vater sein Kind!

Aber eine, vielleicht unbescheidene Frage drängte sich mir auf und ich konnte nicht umhin, sie an denselben zu richten.

»Sie sind also Ingenieur, Kapitän Nemo?

– Ja, Herr Professor, erwiderte er, ich habe zu London, Paris und New-York studirt, zur Zeit als ich auf dem Festland der Erde wohnte.

– Aber wie haben Sie diesen bewundernswerthen Nautilus im Stillen erbauen können?

– Ich habe jedes der einzelnen Stücke desselben, Herr Arronax, von einem andern Orte her, und unter falscher Angabe seiner Bestimmung bezogen. Sein Kiel wurde zu Creuzot geschmiedet, die Welle seiner Schraube von Pen & Cie. in London, die Platten für den Rumpf bei Leard zu Liverpool, die Schraube bei Scott in Glasgow. Seine Behälter wurden von Cail & Cie. zu Paris gefertigt, seine Maschine von Krupp in Preußen, sein Schnabel zu Motala in Schweden, seine Instrumente bei Gebrüder Hart in New-York etc. Und jeder der Lieferanten bekam meine Pläne unter anderm Namen.

– Aber, fuhr ich fort, als diese Stücke fertig waren, mußte man sie zusammen setzen, in einander passen?

– Herr Professor, ich hatte meine Werkstätten auf einem einsamen Inselchen im weiten Ocean errichtet. Dort habe ich mit meinen Arbeitern, d. h. meinen braven Gefährten, die ich unterwiesen und abgerichtet habe, unsern Nautilus fertig gemacht. Und als die Arbeit vollendet war, hat das Feuer jede Spur unsers Aufenthalts auf diesem Eiland zerstört.

– Daher darf ich annehmen, daß die Herstellungskosten des Fahrzeugs über die Maßen hoch sind?

– Herr Arronax, ein eisernes Schiff kostet elfhundertfünfundzwanzig Francs per Tonne. Da nun der Nautilus fünfzehnhundert Tonnen Gewicht hat, so kommt er auf sechzehnhundertsiebenundachtzigtausend Francs, und mit Inbegriff seiner Einrichtung zwei Millionen, d. h. mit den Kunstwerken und Sammlungen vier bis fünf Millionen.

– Noch eine Frage, die letzte, Kapitän.

– Reden Sie, Herr Professor.

– Sie sind also reich?

– Unendlich reich, mein Herr, und ich könnte, ohne mir wehe zu thun, die zehn Milliarden Schulden Frankreichs übernehmen!«

Ich heftete einen starren Blick auf den seltsamen Mann, der also zu mir sprach. Hatte er meine Leichtgläubigkeit zum Besten? Die Zukunft sollte mich’s lehren.

Elftes Capitel

Elftes Capitel

Der Nautilus

Der Kapitän Nemo stand auf. Ich folgte ihm. Eine Doppelthür im Hintergrund des Saales öffnete sich, und ich trat in ein Zimmer von gleicher Größe wie das, welches wir verließen.

Es war eine Bibliothek. An den Wänden ragten hohe Gestelle von schwarzem Palissander mit Kupfer ausgelegt, auf deren Fachbrettern eine große Zahl gleichförmig eingebundener Bücher standen. Dieselben liefen ringsum an allen Wänden, und schlossen sich unten an geräumige mit dunkelbraunem Leder ausgeschlagene Divane, welche die bequemsten Polster darboten. Leichte, bewegliche Pulte, die man nach Belieben näher oder ferner rücken konnte, dienten beim Lesen zum Auflegen der Bücher. In der Mitte stand ein großer Tisch, der mit Brochuren bedeckt war, worunter sich auch einige bereits alte Zeitschriften befanden. Dies harmonische Ganze war von elektrischem Licht bestrahlt, das aus vier glattpolirten Kugeln, die im Plafond zur Hälfte eingelassen waren, herabfiel. Ich sah mich mit wahrer Bewunderung in dem so sinnreich eingerichteten Saale um.

»Kapitän Nemo, sagte ich zu meinem Wirth, das ist eine Bibliothek, die manchem Palast auf der Erde Ehre machen würde; ich bin wahrhaft in Staunen versetzt bei dem Gedanken, sie auf dem Meeresgrund zu finden.

– Wo fände man einen stillern, ungestörtern Aufenthalt, Herr Professor? erwiderte der Kapitän Nemo. Finden Sie im Studierzimmer Ihres Museums eine so vollständige Ruhe?

– Nein, mein Herr; und zugleich ist’s sehr ärmlich gegen das Ihrige. Sie haben da wohl sechs- bis siebentausend …

– Zwölftausend, Herr Arronax. Diese einzigen Bande fesseln mich noch an die Erde. Aber seit dem Tage, wo mein Nautilus zum erstenmal unter die Gewässer tauchte, existirt die Welt für mich nicht mehr. An jenem Tage habe ich meine letzten Bücher, meine letzten Brochuren und Zeitschriften gekauft, und seitdem lebe ich in dem Gedanken, daß die Menschheit nichts weiter gedacht und geschrieben hat. Diese Bücher, Herr Professor, stehen übrigens zu Ihrer Verfügung, um nach Belieben davon Gebrauch zu machen.«

Ich dankte dem Kapitän und trat näher zu den Büchern heran. Es waren da aus der Moral und Literatur, den exacten Wissenschaften, Schriften aus allen Sprachen in Menge, aber aus der Staatswirthschaft sah ich nicht ein einziges; sie schienen an Bord streng geächtet. Alle diese Bücher waren, ohne Unterschied aus welcher Sprache, nach Rubriken geordnet; ein Beweis, daß der Kapitän des Nautilus die Bände, wie er sie zufällig griff, geläufig lesen konnte.

Unter diesen Büchern bemerkte ich die Meisterwerke alter und neuer Literatur, d. h. alles Schönste, was der menschliche Geist von Homer bis auf die jetzt lebenden Koryphäen geliefert. Aber wissenschaftliche Werke waren darin vorzugsweise bedacht: Mechanik, Ballistik, Meteorologie, Geographie, Geologie waren dabei nicht minder vertreten, als die gesammte Naturgeschichte, und ich sah wohl, daß ihnen der Kapitän vorzugsweise seine Studien widmete. Darunter fanden sich denn auch die beiden Bände, welche mir eine so gute Aufnahme beim Kapitän Nemo verschafften; und aus einem andern Werke von Jos. Bertrand, welches, wie mir bekannt war, im Laufe des Jahres 1865 ausgegeben wurde, konnte ich entnehmen, daß die Ausstattung des Nautilus nicht später vorgenommen wurde, daß also der Kapitän Nemo sein unterseeisches Leben seit höchstens drei Jahren führte. Der Zeitpunkt ließ sich wohl durch weitere Forschung, wofür ich ja Muße genug hatte, noch genauer feststellen. Für jetzt galt es, die Wunder des Nautilus zu besichtigen.

»Mein Herr, sagte ich zum Kapitän, ich danke Ihnen, daß Sie mir diese Bibliothek zur Verfügung stellen. Sie enthält kostbare Schätze der Wissenschaft, welche ich benützen will.

– Dieser Saal, sagte der Kapitän, ist nicht blos eine Bibliothek, sondern auch ein Rauchzimmer.

– Ein Rauchzimmer? rief ich aus. Also raucht man an Bord?

– Allerdings.

– Dann muß ich wohl glauben, mein Herr, daß Sie noch in einiger Verbindung mit der Havanna stehen.

– Durchaus nicht, erwiderte der Kapitän. Nehmen Sie diese Cigarre, Herr Arronax, und wenn Sie schon nicht aus der Havanna kommt, werden Sie doch, wenn Sie Kenner sind, damit zufrieden sein.«

Ich nahm die Cigarre, welche einer Londres ähnlich geformt war, aber aus Goldblättern zu bestehen schien. Ich zündete sie an einem kleinen Brasero an, das ein elegantes Fußgestell von Bronce hatte, und fing an mit dem Wonnegefühl eines Schmauchers, der seit zwei Tagen das Rauchen entbehrt hatte, zu dampfen.

»Das ist vortrefflich, sagte ich, aber Tabak ist’s nicht.

– Nein, erwiderte der Kapitän, dieser Tabak kommt weder aus der Havanna, noch dem Orient. Es ist eine Art nicotinhaltiges Seegras, das mir das Meer, etwas sparsam, liefert. Vermissen Sie die Londres, mein Herr Professor?

– Kapitän, von jetzt an mag‘ ich sie nicht mehr.

– So rauchen Sie davon nach Belieben, und ohne über den Ursprung derselben sich Gedanken zu machen. Sie sind von keiner Regie controlirt, und sind darum nicht minder gut, denk‘ ich.

– Im Gegentheil.«

Nun öffnete der Kapitän Nemo eine Thür gegenüber der, durch welche wir in die Bibliothek gekommen waren, und wir traten in einen sehr großen glänzend erleuchteten Saal. Er war vierseitig, mit abgestumpften Ecken, zehn Meter lang, sechs breit, fünf hoch. Ein erleuchteter, mit leichten Arabesken verzierter Plafond spendete helles und mildes Licht auf alle Merkwürdigkeiten dieses Museums. Denn es war wirklich ein Museum, worin eine einsichtige und freigebige Hand alle Schätze der Natur und Kunst vereinigt hatte, sammt allerlei künstlerischem Beiwerk, welches das Atelier eines Malers kennzeichnet.

Dreißig Meisterwerke in gleichförmigen Rahmen, um glänzende Panoplien gruppirt, zierten die im strengen Styl tapezierten Wände. Ich sah die Gemälde von höchstem Kunstwerth, die in den Sammlungen und Ausstellungen Bewunderung erregt hatten; und in den Ecken des prachtvollen Museums standen köstliche Statuen in Marmor und Bronce, Nachbildungen der schönsten antiken Muster.

»Herr Professor, sagte darauf der Commandant des Nautilus, entschuldigen Sie die in diesem Salon herrschende Unordnung.

– Mein Herr, erwiderte ich, ohne daß ich weiß, wer Sie sind, darf ich wohl einen Künstler in Ihnen erkennen?

– Einen Kunstliebhaber höchstens, mein Herr. Vormals machte mir’s Freude, diese schönen Werke der Menschenhand zu sammeln. Ich suchte begierig und unermüdlich, und es gelang mir einiges Werthvolle zusammenzubringen. Dies meine letzten Erinnerungen an die Erde, die nun für mich todt ist.

– Und diese Musiker? sagte ich, und wies auf die Partituren von Weber, Rossini, Mozart, Beethoven, Haydn, Meyerbeer, Herold, Wagner, Auber u. A., welche auf einem stattlichen Orgel-Piano lagen.

– Diese Musiker, erwiderte der Kapitän Nemo, gehören gleich Orpheus einer entschwundenen Zeit, und ich bin todt, eben so wie die, welche sechs Fuß tief unter der Erde ruhen!«

Der Kapitän, in tiefen Gedanken versunken, vergaß seine Umgebung, indeß ich fortfuhr, die Schätze und Merkwürdigkeiten des Salons zu mustern.

Es fanden sich da Seltenheiten aus dem Naturreiche von bedeutendem Werth, hauptsächlich Pflanzen, Muscheln und andere Erzeugnisse des Meeres, die ohne Zweifel der Kapitän persönlich gesammelt hatte. Mitten im Salon sah man in elektrischer Beleuchtung einen Springbrunnen mit einem Becken aus einer einzigen Muschel von einer der größten Molluskenarten, deren sein verzierter Rand sechs Meter Umfang hatte, und die demnach größer war, als die Riesenweihkessel in der Kirche St. Sulpice zu Paris, welche einst die Republik Venedig dem König Franz I. zum Geschenk machte.

Um dieses Becken herum waren unter Glasbehältern mit Kupferschlag die kostbarsten Meeresproducte mit Etiketten geordnet, welche je den Blicken der Naturforscher sich darboten. Man begreift, welche Freude für den Professor der Naturgeschichte.

Die Zoophyten boten höchst merkwürdige Musterstücke aus den Gruppen der Polypen und Echinodermen dar. Aus der Classe der Mollusken sah man so äußerst kostbare Stücke, daß sie einen etwas erregbaren Conchyliologen außer sich bringen konnten. – Seitwärts in besonderen Fachbehältern lagen die schönsten Perlenschnüre gereiht, deren Feuer im elektrischen Licht spielte, rosenfarbene, grüne, gelbe, schwarze, blaue, seltene Producte verschiedener Mollusken aller Meere. Manche dieser Perlen waren von der Größe eines Taubeneies, und kamen an Werth den berühmten des Schahs von Persien und des Imams von Mascat gleich. Den Werth dieser Sammlung zu beziffern war fast unmöglich.

Während ich mich fragte, woher dem Kapitän die Summen für solche Liebhabereien geflossen sein konnten, überraschte er mich durch die Aeußerung:

»Sie mustern meine Muscheln, Herr Professor. Sie können in der That einem Naturforscher Freude machen; für mich haben sie noch den besondern Reiz, daß ich sie alle eigenhändig gesammelt habe; und es ist kein Meer, das ich nicht dafür durchforscht hätte.

– Ich begreife, Kapitän, diese Freude, sich inmitten solcher Schätze zu ergehen. Sie haben sich selbst dieselben gesammelt. Eine gleiche Sammlung von Seeproducten findet sich in keinem Museum Europa’s. Aber wenn ich dafür meine Bewunderung erschöpfe, was bleibt mir dann noch für das Schiff, worauf sie sich befindet? Ich will zwar nicht in Ihre Geheimnisse dringen; doch gestehe ich, daß die bewegende Kraft, welche der Nautilus in sich schließt, die Vorrichtungen, um seine Bewegungen zu lenken, das mächtige ihn beseelende Agens – dies Alles meine Neugierde in hohem Grade auf sich zieht. Ich sehe an den Wänden dieses Salons Instrumente, deren Bestimmung mir unbekannt ist. Darf ich wissen? …

– Herr Arronax, erwiderte der Kapitän Nemo, ich hab‘ Ihnen gesagt, daß Sie an Bord meines Schiffes frei sind; folglich ist Ihnen kein Theil des Nautilus untersagt. Sie können ihn im Detail besichtigen, und ich mache mir ein Vergnügen daraus, Ihr Cicerone zu sein.

– Ich weiß nicht, mein Herr, wie ich Ihnen dafür danken kann, aber ich will Ihre Gefälligkeit nicht mißbrauchen. Ich möchte Sie nur fragen, zu welchem Gebrauch sind diese physikalischen Instrumente bestimmt. …

– Herr Professor, die nämlichen Instrumente finden sich in meinem Zimmer, wo ich mir das Vergnügen machen will, ihren Gebrauch Ihnen zu erklären. Aber zuvor besuchen Sie die Ihnen vorbehaltene Cabine. Sie müssen doch Ihre Einrichtung an Bord des Nautilus kennen lernen.«

Ich folgte dem Kapitän, der mich durch den Gang des Schiffes in das Vordertheil führte, und zwar nicht in eine Cabine, sondern in ein elegantes Zimmer mit Bett, Toilette und verschiedenen anderen Meubels.

Ich konnte meinem Wirthe nur dankbar sein.

»Ihr Zimmer stößt an das meinige, sagte er, indem er eine Thür öffnete, und meines führt auf den Salon, worin wir uns eben befanden.«

Ich trat in’s Zimmer des Kapitäns. Es sah ernst, fast mönchisch aus. Ein eisernes Lager, ein Arbeitstisch, einige Toilettenmeubles; alles in einem Halbdunkel. Nichts für die Behaglichkeit; nur das streng Nothwendige.

Der Kapitän Nemo wies auf einen Stuhl und sprach: »Belieben Sie, Platz zu nehmen.«

Ich setzte mich nieder, er ergriff das Wort und sprach:

Fünfzehntes Capitel

Fünfzehntes Capitel

Eine briefliche Einladung

Am folgenden Tage, den 9. November, erwachte ich spät, erst nach zwölfstündigem Schlaf. Conseil kam, wie gewöhnlich, und erkundigte sich, wie »sein Herr« geschlafen, und um seine Dienste anzubieten. Der Canadier schlief noch immer fort, als wie ein Mensch, der sein Lebtag nichts anders thut.

Ich ließ den wackern Jungen nach Belieben schwatzen, ohne ihm viel zu antworten. Die Abwesenheit des Kapitän Nemo während unserer gestrigen Unterhaltung machte mir Gedanken, und ich hoffte ihn heute wieder zu sehen.

Ich zog alsbald meine Byssuskleider an. Ueber die Beschaffenheit dieses Stoffes machte Conseil öfters seine Bemerkungen. Ich belehrte ihn nun, daß er aus den glänzenden seltenartigen Fasern gemacht sei, womit eine Art an den Ufern des Mittelländischen Meeres sehr häufiger Muscheln an die Felsen geheftet ist. Früher bereitete man daraus schöne Zeuge, Strümpfe, Handschuhe, denn sie waren zugleich kernhaft und sehr warm. Die Mannschaft des Nautilus ließ sich darin billig kleiden, und man konnte die Baumwolle, Schafe und Seidenwürmer der Oberwelt entbehren.

Als ich angekleidet war, begab ich mich in den großen Saal. Er war leer.

Ich vertiefte mich in die Betrachtung der Conchylienschätze, welche unter Glasscheiben geordnet waren, musterte auch die umfassenden Herbarien voll der seltensten Meerespflanzen, die, obwohl getrocknet, doch ihre wunderschönen Farben bewahrt hatten.

Diesen ganzen Tag über wurde ich nicht mit einem Besuch des Kapitäns Nemo beehrt. Die Fensterläden blieben geschlossen. Man wollte wohl uns nicht mit dem Anblick so schöner Dinge übersättigen.

Die Richtung des Nautilus blieb unverändert Ost-Nord-Ost, seine Geschwindigkeit zwölf Meilen, seine Tiefe fünfzig bis sechzig Meter.

Am 10. November gleiche Verlassenheit, gleiche Einsamkeit. Kein Mensch von der Bemannung kam mir zu Gesicht. Den größten Theil des Tages verbrachte ich in Gesellschaft von Ned und Conseil. Sie waren erstaunt über die unerklärliche Abwesenheit des Kapitäns. War der seltsame Mann krank? Wollte er in Beziehung auf uns seine Absicht ändern?

Trotzdem genossen wir, wie Conseil meinte, vollständige Freiheit, köstliche und reichliche Nahrung. Unser Wirth hielt sich innerhalb unsers Vertrags. Wir hatten nicht zu klagen, und zudem gewährten uns noch die besonderen Umstände, womit unser Schicksal verknüpft war, so schöne Entschädigung, daß wir ihm keinen Vorwurf zu machen hatten.

An diesem Tag begann ich mein Tagebuch, so daß ich darnach alles mit größter Genauigkeit berichten kann; und ich schrieb es auf Papier, das aus Seegras gefertigt war.

Am 11. November, früh Morgens, gab mir die im Innern des Nautilus verbreitete frische Luft zu erkennen, daß wir uns auf die Oberfläche des Meeres begeben hatten, um unsern Vorrath von Sauerstoff zu ergänzen. Ich stieg auf der im Mittelpunkt befindlichen Leiter zur Plateform hinauf.

Es war sechs Uhr. Der Himmel zeigte sich bedeckt, das Meer grau, doch ruhig; kaum eine Bewegung der Wellen. Sollte wohl der Kapitän Nemo, wie ich hoffte, sich einfinden? Ich bemerkte nur den Steuerer in seinem Glas-Gehäuse. Ich setzte mich auf einen Vorsprung, welchen der Rumpf des Bootes gewährte, und athmete mit Behagen die köstliche Seeluft ein.

Allmälig ward der Nebel durch die Strahlen der Sonne zerstreut, die im Osten am Horizont emporstieg. Das Meer gerieth wie durch ein Laufpulver in Flammen. Das in der Höhe zerstreute Gewölk färbte sich in wunderbarer Schattirung der Töne.

Ich bewunderte diesen freundlichen Sonnenaufgang, der so belebend wirkte, als ich Jemand die Treppe herauf kommen hörte.

Ich war schon im Begriff den Kapitän zu begrüßen, aber es war der Schiffslieutenant, welchen ich bereits beim ersten Besuch des Kapitäns kennen gelernt hatte. Er trat vor auf die Plattform und schien meine Anwesenheit nicht zu bemerken. Mit seinem starken Fernrohr forschte er am Horizont mit äußerster Achtsamkeit nach allen Richtungen. Darauf trat er zu der Lücke und sprach eine Phrase, die ich mir buchstäblich gemerkt habe, wie sie jeden Morgen in gleicher Lage gesprochen wurde. Sie lautete:

»Nautron respoc lorni virch.«

Was sie bedeutet, kann ich nicht sagen.

Nachdem der Schiffslieutenant diese Worte gesprochen, stieg er wieder hinab. Ich meinte, der Nautilus werde seine unterseeische Fahrt fortsetzen, begab mich daher wieder zu der Lucke, stieg hinab und ging in mein Zimmer.

So verflossen fünf Tage, ohne daß die Lage sich änderte. Jeden Morgen stieg ich zur Plateform hinauf. Die nämliche Person sprach die nämliche Phrase. Der Kapitän Nemo erschien nicht.

Ich hatte mich schon darein ergeben, ihn gar nicht mehr zu sehen, als ich am 16. November, beim Eintritt in mein Zimmer, auf dem Tisch ein an mich adressirtes Billet fand.

Ich öffnete es ungeduldig. Die Schriftzüge waren frei und klar, aber etwas gothisch, was an deutsche Schrift erinnerte.

Sein Inhalt war:

»Herrn Professor Arronax, an Bord des Nautilus.

»16. November 1867.

»Der Kapitän Nemo ladet den Herrn Professor Arronax zu einer Jagdpartie ein, welche Morgen früh in den Wäldern der Insel Crespo stattfinden soll. Er hofft, daß der Herr Professor nicht verhindert sein wird, daran Theil zu nehmen, und er wird mit Vergnügen sehen, daß seine Gefährten sich ihm anschließen.

»Der Kommandant des Nautilus,

»Kapitän Nemo.«

»Eine Jagd! rief Ned aus, der nebst Conseil mit mir eingetreten war.

– Und in den Wäldern der Insel Crespo! fügte Conseil bei.

– Da wird ja der Sonderling doch an’s Land gehen? fuhr Ned-Land fort.

– Das scheint mir klar angedeutet, sagte ich bei wiederholtem Lesen des Briefes.

– Jedenfalls muß man das annehmen, versetzte der Canadier. Sind wir einmal auf dem Festland, so werden wir schon wissen, was wir zu thun haben. Uebrigens würde mir’s schon ganz recht sein, einige Stücke frisches Wildpret zu genießen.«

Ich bemühte mich nicht den Widerspruch zwischen dem offenbaren Groll des Kapitäns gegen das Festland und die Inseln, und seiner Einladung zu einer Jagdpartie im Wald – zu vereinigen, und antwortete nur:

»Sehen wir erst, was es mit der Insel Crespo für eine Bewandtniß hat.«

Ich sah mich zuerst auf der Landkarte um, und fand unter’m 32° 40′ nördlicher Breite und 167° 50′ westlicher Länge ein im Jahre 1801 vom Kapitän Crespo entdecktes Inselchen, welches auf den alten spanischen Karten Rocca de la Plata, d. h. »Silberfelsen« benannt war. Wir befanden uns also ungefähr achtzehnhundert Meilen von unserem Abfahrtspunkt entfernt, und die etwas geänderte Richtung des Nautilus führte ihn südöstlich.

Ich zeigte meinen Gefährten den kleinen, mitten im nördlichen Stillen Meer verlorenen Felsen.

»Wenn der Kapitän Nemo irgendwo sich an’s Land begiebt, sagte ich zu ihnen, so wählt er wenigstens gänzlich verlassene Inseln.«

Ned-Land zuckte mit den Achseln, ohne zu antworten, dann ging er nebst Conseil weg. Nach einem Abendessen, das mir der Steward stumm und mit gleichgiltiger Miene auftrug, schlief ich ein, nicht ohne einige Befangenheit.

Um folgenden Tag, den 17. November, merkte ich beim Erwachen, daß der Nautilus vollständig unbeweglich war. Ich kleidete mich rasch an und begab mich in den großen Saal.

Der Kapitän Nemo befand sich da. Er hatte mich schon erwartet, stand auf, grüßte und fragte mich, ob es mir genehm wäre, ihn zu begleiten.

Da er mit keinem Wort seine achttägige Abwesenheit berührt hatte, so sprach ich auch kein Wort davon und erwiderte blos, ich sei nebst meinen Gefährten bereit, ihn zu begleiten.

»Nur, mein Herr, fügte ich bei, möchte ich mir eine Frage an Sie erlauben.

– Fragen Sie nur, Herr Arronax, und wo möglich werde ich darauf antworten.

– Nun, Kapitän, wie kommt’s, daß Sie, die doch jede Verbindung mit der Erde abgebrochen haben, Wälder auf der Insel Crespo besitzen?

– Herr Professor, erwiderte mir der Kapitän, die Wälder, welche ich besitze, bedürfen weder Licht noch Wärme von der Sonne. Es hausen da weder Löwen, noch Tiger, noch Panther, oder sonst ein vierfüßiges Thier. Ich allein kenne sie. Es sind nicht Landforsten, sondern unterseeische.

– Unterseeische Wälder! rief ich aus.

– Ja, Herr Professor.

– Und Sie wollen mich dahin führen?

– Ja wohl.

– Zu Fuß?

– Und sogar trockenen Fußes.

– Auf der Jagd?

– Auf der Jagd.

– Die Büchse in der Hand?

– Die Büchse in der Hand.«

Ich sah den Commandanten des Nautilus mit einer Miene an, die nichts Schmeichelhaftes für ihn hatte.

»Ganz gewiß ist der Mann gehirnkrank, dachte ich. Seit acht Tagen hing er einer verrückten Idee nach, und dieser Zustand dauert noch fort. Es ist schade! Ich wünschte, er wäre lieber ein Sonderling, als ein Narr!«

Diesen Gedanken konnte man auf meiner Stirne lesen, aber der Kapitän Nemo beschränkte sich darauf, mich einzuladen, ihn zu begleiten, und ich folgte als ein Mann, der sich in alles ergiebt.

Wir kamen in den Speisesaal, wo das Frühstück aufgetragen war.

»Herr Arronax, sagte der Kapitän, ich bitte Sie, ohne Umstände mit mir zu frühstücken. Wir können beim Essen plaudern. Ich habe Ihnen eine Jagdpartie im Wald versprochen, aber daß wir dabei einen Restaurant treffen, habe ich Ihnen nicht zugesagt. Frühstücken Sie daher, als würden wir vermuthlich sehr spät zum Diner kommen.«

Ich war also beflissen, dem Mahl Ehre zu machen. Es bestand aus verschiedenen Fischen und Stücken Holothurien, trefflichen Thierpflanzen, Beiessen von eröffnenden Algen. Zum Trunk diente klares Wasser, worin ich nach dem Beispiel des Kapitäns einige Tropfen Liqueur mischte, der, wie zu Kamtschatka, aus einer Algenart gewonnen war.

Der Kapitän Nemo aß zuerst, ohne ein Wort zu sprechen. Dann sagte er:

»Herr Professor, als ich Ihnen den Vorschlag einer Jagdpartie auf der Insel Crespo machte, glaubten Sie, ich sei mit mir selbst im Widerspruch. Als ich Ihnen mittheilte, daß es sich um unterseeische Wälder handle, haben Sie mich für einen Narren angesehen. Herr Professor, man muß nie so leicht ein Urtheil über die Menschen fassen.

– Aber, Kapitän, glauben Sie …

– Hören Sie mich gefälligst an, dann werden Sie sehen, ob Sie mir Widerspruch mit mir selbst, oder Narrheit vorwerfen dürfen.

– Ich höre Sie an.

– Herr Professor, Sie wissen so gut, wie ich, daß der Mensch unter dem Wasser leben kann, wenn er seinen Bedarf an Luft zum Einathmen bei sich hat. Bei unterseeischen Arbeiten bekommen die Werkleute in wasserdichter Kleidung und den Kopf in einer metallenen Kapsel, die Luft von außen vermittelst Druckpumpen und Luftregulatoren.

– Sie meinen den Skaphanderapparat, sagte ich.

– Allerdings, aber unter diesen Bedingungen ist der Mensch nicht frei. Er ist an die Pumpe gebunden, welche ihm die Luft durch einen Schlauch von Kautschuk zusendet, eine wirkliche Kette, die ihn an die Erde fesselt, und wären wir so an den Nautilus gebunden, so würden wir nicht weit kommen.

– Und wie kann man sich frei machen? fragte ich. –

– Durch den Apparat Rouquayrol-Denayrouze, den zwei Ihrer Landsleute ersonnen, ich aber für meinen Gebrauch verbessert habe, so daß man im Stande ist, sich in diese neue physiologische Lage zu wagen, ohne daß die Organe irgend dabei zu leiden haben. Er besteht in einem Behälter von dickem Blech, worin ich die Luft unter einem Druck von fünfzig Atmosphären zusammenpresse und aufbewahre. Dieser Behälter wird mit Tragriemen, wie ein Tornister, auf dem Rücken befestigt. Sein oberer Theil bildet eine Kapsel, woraus die Luft vermittelst einer Balg-Vorrichtung nur in normaler Spannung herausdringen kann. Bei dem Apparat Rouquayrol, so wie er in Gebrauch ist, laufen zwei Kautschukröhren von dieser Kapsel aus zu einer Art von Gehäuse, welches die Nase und den Mund dessen, welcher ihn gebraucht, umgiebt; der eine dient, um die einzuathmende Luft herbeizuleiten, der andere, um die ausgeathmete fortzuschaffen, und die Zunge schließt, nach Bedürfniß des Einathmens, den einen oder den andern. Ich aber, der es mit einem so bedeutenden Druck aus dem Meeresgrund zu thun habe, habe meinen Kopf, wie den der Skaphander, mit einer Hohlkugel von Kupfer umgeben müssen, und in dieser Kugel endigen die beiden zum Einathmen bestimmten Röhren.

– Vollkommen richtig, Kapitän Nemo; aber die Luft, welche Sie mitnehmen, muß sich doch bald verbrauchen, und sobald sie nur noch fünfzehn Procent Sauerstoff enthält, wird sie zum Einathmen unbrauchbar.

– Allerdings, aber wie ich Ihnen gesagt habe, Herr Arronax, vermittelst der Pumpen des Nautilus bin ich im Stande, sie sehr bedeutend zusammenzupressen, und unter diesen Bedingungen kann der Behälter des Apparats für neun bis zehn Stunden athmungsfähige Luft liefern.

– Nun habe ich keinen Einwand mehr. Nur frage ich noch, Kapitän, wie können Sie Beleuchtung für Ihren Weg so tief im Meeresgrund schaffen?

– Mit dem Ruhmkorff’schen Apparat, Herr Arronax. Wie der andere auf dem Rücken, so befestigt man diesen am Gürtel. Er besteht aus einer Bunsen’schen Säule, welche ich nicht mit doppeltchromsaurem Kali, sondern mit Sodium in Thätigkeit setze. Eine Inductionsröhre sammelt die erzeugte Elektricität und leitet sie zu einer Laterne von eigenthümlicher Einrichtung. In dieser Laterne befindet sich eine gläserne Serpentine, welche nur einen Rest von Kohlensäure enthält. Wenn der Apparat in Thätigkeit tritt, wird dieses Glas leuchtend und giebt ein weißliches andauerndes Licht. Auf diese Art versehen kann ich athmen und sehen.

– Kapitän Nemo, auf alle meine Einwendungen haben Sie so überwältigende Antworten, daß ich nicht mehr zu zweifeln wage. Jedoch, bin ich auch genöthigt, den Apparaten von Rouquayrol und Ruhmkorff ihre Geltung zu lassen, so darf ich doch bezüglich der Büchse, womit Sie mich bewaffnen wollen, einen Vorbehalt machen.

– Das ist ja kein Feuergewehr, erwiderte der Kapitän.

– Also eine Windbüchse?

– Allerdings. Ich kann ja doch an Bord meines Fahrzeugs, ohne Salpeter, Schwefel und Kohlen kein Pulver fabriciren.

– Zudem, sagte ich, um unter’m Wasser, das achthundertundfünfzig Mal dichter als die Luft ist, zu schießen, mußte man einen sehr bedeutenden Widerstand überwinden.

– Das gäbe keinen Grund ab. Es giebt Kanonen, die nach Fulton von den Engländern Coles und Burley, von dem Franzosen Turcy, dem Italiener Landi verbessert wurden; diese sind mit einer besonderen Art von Schloß versehen, so daß man unter diesen Bedingungen daraus schießen kann. Aber ich sage Ihnen wiederholt, da ich kein Pulver habe, so ersetze ich es durch comprimirte Luft, welche mir die Pumpen des Nautilus im Ueberfluß liefern.

– Aber diese Luft muß sich bald verbrauchen.

– Nun, hab‘ ich nicht meinen Behälter Rouquayrol, der mir meinen Bedarf liefern kann. Es ist dafür nur ein besonderer Hahn erforderlich. Uebrigens, Herr Arronax, werden Sie während dieses unterseeischen Jagens an sich selbst die Erfahrung machen, daß man nicht viel Luft noch Kugeln braucht.

– Doch will es mich bedünken, in diesem Halbdunkel und innerhalb einer im Verhältniß zur Luft sehr dichten Flüssigkeit können die Schüsse nicht weit reichen und nicht leicht tödtlich sein.

– Mein Herr, bei diesem Gewehr sind alle Schüsse tödtlich, und wenn ein lebendes Geschöpf auch noch so leicht getroffen wird, sinkt es sogleich todt nieder.

– Weshalb?

– Weil mit diesem Gewehr nicht gewöhnliche Kugeln geschossen werden, sondern kleine Glaskapseln, die von dem österreichischen Chemiker Leniebrock erfunden wurden, und wovon ich einen großen Vorrath habe. Diese Glaskapseln, in Stahl gefaßt und durch ein bleiernes Bodenstück schwer gemacht, sind in Wahrheit kleine Leydner Flaschen, worin die Elektricität sehr hoch gesteigert ist. Sie entladen sich beim leichtesten Stoß, und auch das stärkste Thier sinkt todt nieder. Ich füge bei, daß diese Kapseln nicht größer sind als Nummer vier, und daß eine gewöhnliche Flinte ihrer zehn fassen kann.

– Ich streite nicht weiter, erwiderte ich, indem ich aufstand, und ich habe nur mein Gewehr zu nehmen. Uebrigens, wo Sie hingehen, gehe ich mit!«

Der Kapitän Nemo führte mich zum Hintertheil des Nautilus, und im Vorübergehen vor Ned’s und Conseil’s Cabine rief ich meine beiden Gefährten ab, und sie schlössen sich sogleich an.

Darauf kamen wir in eine kleine Zelle, die nach vorn hin neben dem Maschinenzimmer lag, und worin wir unsere Spazierkleidung anzulegen hatten.

Sechzehntes Capitel

Sechzehntes Capitel

Spaziergang im Freien

Diese Zelle war eigentlich Arsenal und Kleiderkammer des Nautilus. Ein Dutzend Skaphander-Apparate, die an der Wand hingen, harrten der Spaziergänger.

Als Ned-Land sie erblickte, zeigte er einen offenbaren Widerwillen, einen solchen anzuziehen.

»Mein wackerer Ned, sagte ich zu ihm, die Wälder der Insel Crespo sind ja nur unterseeische Wälder.

– Gut! sagte der Harpunier enttäuscht, da er seine Träume von frischem Fleisch schwinden sah. Und Sie, Herr Arronax, wollen sich in diese Kleider stecken?

– Man muß wohl, Meister Ned.

– Es steht Ihnen frei, mein Herr, erwiderte der Harpunier mit Achselzucken, aber ich meinestheils ziehe sie niemals an, wofern man mich nicht mit Gewalt dazu zwingt.

– Man wird Sie nicht mit Gewalt nöthigen, Meister Ned, sagte der Kapitän Nemo.

– Und Conseil will sich in Gefahr begeben? fragte Ned.

– Ich bin überall dabei, wo mein Herr hin geht«, erwiderte Conseil.

Der Kapitän rief, und zwei Mann von den Schiffsleuten kamen und halfen uns diese schweren undurchdringlichen Kleider anziehen, die aus Kautschuk gefertigt und der Art eingerichtet waren, daß sie bedeutenden Druck aushielten. Es war eine Rüstung, geschmeidig und widerstandsfähig zugleich; Hosen und Weste; jene endigten mit einer dichten Fußbekleidung, die mit schweren Bleisohlen besetzt war. Der Stoff der Weste war durch Kupferplättchen geschützt, welche der Brust zum Panzer dienten, um den Druck des Wassers auszuhalten und den Lungen ihre freie Thätigkeit zu sichern. Die Aermel endigten mit geschmeidigen Handschuhen, welche die Handbewegung durchaus nicht hinderten.

Man sieht, sie waren weit verschieden von den unförmlichen Skaphandern, welche im achtzehnten Jahrhundert erfunden und angepriesen wurden.

Der Kapitän Nemo, einer seiner Gefährten – eine herkulische Gestalt von außerordentlicher Körperkraft – Conseil und ich zogen rasch die Kleidung an. Es handelte sich nur darum, unsere Köpfe in die metallenen Kugeln zu stecken. Aber bevor wir dazu schritten, bat ich den Kapitän um die Erlaubniß, die für uns bestimmten Gewehre zu untersuchen.

Einer von der Mannschaft des Nautilus reichte mir eine einfache Flinte, deren stählerner Kolben innen hohl und ziemlich groß war. Er diente als Behälter der zusammengepreßten Luft, welche durch eine Klappe mit einer Feder in den metallenen Lauf gelassen wurde. In dem dicken Theil des Kolbens war eine kleine Büchse, die etwa zwanzig elektrische Kugeln faßte, welche vermittelst einer Sprungfeder automatisch in den Gewehrlauf gelangten. Sobald ein Schuß losgegangen, war auch schon der folgende zum Abschießen fertig.

»Kapitän Nemo, sagte ich, das Gewehr ist vortrefflich, und leicht zu handhaben. Ich wünsche nur es zu probiren. Aber wie gelangen wir auf den Meeresgrund.

– In diesem Augenblick, Herr Professor, sitzt der Nautilus in einer Tiefe von sechs Meter fest, und wir brauchen uns nur auf den Weg zu machen.

– Aber wie gelangen wir hinaus?

– Sie werden’s gleich sehen.«

Der Kapitän Nemo steckte seinen Kopf in die kugelförmige Kappe. Conseil und ich thaten dasselbe, während der Canadier uns ironisch »Glück zu der Jagd« wünschte. Unsere Kleidung endigte sich oben in ein kupfernes, schraubenartig ausgebohrtes Halsband, worauf der metallene Helm eingeschraubt wurde. Drei mit dicken Gläsern versehene Löcher gestatteten nach allen Richtungen zu sehen, indem man nur in der Kugel den Kopf zu drehen hatte. Sobald er aufgesetzt war, fingen die auf unseren Rücken befestigten Apparate Rouquayrol ihre Thätigkeit an, und ich für meinen Theil athmete leicht.

Die Ruhmkorff’sche Lampe an meinem Gürtel, das Gewehr in der Hand, war ich fertig zum Fortgehen. Aber von dieser schweren Kleidung umschlossen und mit meinen bleiernen Sohlen an den Boden geheftet, märe mir’s unmöglich gewesen, nur einen Schritt zu machen.

Doch war dieser Fall vorgesehen; denn ich fühlte, daß man mich in eine kleine neben dem Kleidergemach befindliche Kammer schob. Meine Begleiter folgten, in gleicher Weise bugsirt, mir nach. Ich hörte, wie eine Thüre mit festgefugtem Verschluß über uns zugemacht wurde, und tiefes Dunkel umgab uns.

Nach einigen Minuten hörte ich ein lebhaftes Zischen und fühlte eine gewisse Kälte von den Füßen zur Brust aufsteigen. Offenbar hatte man vom Innern des Schiffs aus mit einem Hahn das äußere Wasser eingelassen, so daß es uns umgab und die ganze Kammer füllte. Darauf öffnete sich eine zweite Thür in der Seitenwand des Nautilus, ein Dämmerlicht umgab uns. Gleich darauf fühlten wir den Meeresgrund unter den Füßen.

Welchen Eindruck dieser Spaziergang in diesen Tiefen auf mich machte, könnte ich unmöglich schildern. Solche Wunder zu erzählen mangelt der Ausdruck. Weder Pinsel noch Feder reichen aus, die diesem Element eigenthümlichen Erscheinungen darzustellen.

Der Kapitän Nemo schritt voran, und sein Genosse einige Schritte hinter uns. Conseil und ich blieben dicht beisammen, als hätten wir durch diese metallene Bepanzerung mit einander reden können. Die Schwere meiner Kleidung war mir schon nicht mehr fühlbar; weder meine Fußbekleidung, noch mein Luftbehälter, noch die schwere Kugel, innerhalb welcher mein Kopf wie ein Mandelkern in seiner Schaale schlotterte, machten mir Beschwerden. Alle diese Gegenstände verloren, in’s Wasser getaucht, eben so viel von ihrem Gewicht, als das von ihnen verdrängte Wasser hatte, und ich empfand die Wohlthat dieses von Archimedes entdeckten Naturgesetzes. Nicht mehr eine träge Masse, hatte ich eine verhältnißmäßig große Freiheit der Bewegung.

Ich staunte über die Stärke des Lichtes, welches bis auf dreißig Fuß unter dem Meeresspiegel den Boden erhellte. Die Sonnenstrahlen drangen leicht durch die Wassermasse, welche dadurch ihre Färbung verlor. Ich konnte die Gegenstände in einer Entfernung von hundert Meter klar unterscheiden. Weiter hinaus schattirte sich die Grundfarbe in feinen Lasurnüancen, dann in der Ferne hellblau, und verschwand zuletzt in unbestimmtem Dunkel. Wahrhaftig, dieses Wasser um mich herum war zwar dichter als die Atmosphäre der Erde, aber fast eben so durchsichtig. Ueber mir bemerkte ich die Oberfläche des Meeres ganz ruhig.

Wir schritten über feinen Sand ohne Runzeln, wie an den Meeresküsten der Fall ist, wo Spuren der hohen See zurückbleiben. Diese blendende Fläche warf, wie ein Reflector, die Sonnenstrahlen mit auffallender Stärke zurück. Daher der ungeheure Widerschein, welcher alle Elementartheile durchdrang. Wird man mir glauben, wenn ich behaupte, daß ich in dieser Tiefe von dreißig Fuß wie am hellen Tag sehen konnte?

Eine Viertelstunde lang ging ich auf diesem heißen Sand, der mit unbetastbarem Muschelstaub besäet war. Der Nautilus, welcher wie eine lange Klippe aussah, verschwand allmälig aus den Augen, aber sein Leuchtfeuer mußte, wann in den Gewässern die Nacht eintrat, unsere Rückkehr an Bord erleichtern, indem seine Strahlen vollkommen klar sichtbar waren. Auf dem Land, wo die Luft mit Staub durchdrungen ist, scheint dieses Licht düster, wie vom Nebel getrübt; aber auf dem Meer, wie unter dem Meer, pflanzen sich die elektrischen Lichtstreifen mit unvergleichlicher Reinheit weiter.

Inzwischen gingen wir immer fort, und die ungeheure Sandfläche schien ohne Grenzen zu sein. Ich schob mit der Hand die Wassergardinen zurück, welche hinter mir wieder zusammenfielen, und der Druck des Wassers verwischte augenblicklich meine Fußstapfen.

Bald zeigten sich vor meinen Blicken, aus der Ferne in vermischten Umrissen, einige Gegenstände. Ich erkannte prächtige Musterstücke von Felsen, mit Pflanzenthieren der schönsten Sorte wie mit einem Teppich bedeckt, so daß ich im ersten Augenblick ganz betroffen war von dem außerordentlichen Anblick.

Es war damals zehn Uhr Vormittags. Die Sonnenstrahlen fielen in ziemlich schiefem Winkel auf die Oberfläche des Meeres, und da ihr Licht durch Brechung wie durch ein Prisma sich zertheilte, so erschienen Blumen, Felsen, Pflänzchen, Muschelwerk, Polypen am Rande mit den sieben Regenbogenfarben geziert. Es war wundervoll zu schauen, eine wahre Augenweide, diese kaleidoskopartige Mischung von Farbentönen, grüngelb, orange, violett, indigo, hellblau!

Bei diesem Anblick war Conseil, gleich mir, stehen geblieben. Der brave Junge war ohne Zweifel im Classificiren dieser Mollusken und Zoophyten vertieft. Polypen und Echinodermen bedeckten in Menge den Boden. Die mancherlei Korallenarten, die gleich Champignons gestalteten Fongiten, die Anemonen, bildeten einen Blumengrund, bunt verziert mit Porpiten im Schmuck ihres Kragens lasurblauer Fühlfäden, mit Seesternen, womit der Sand besäet war.

Es war ein rechter Jammer für mich, die glänzenden Musterstücke von Mollusken, die zu Tausenden auf dem Boden lagen, mit meinen Füßen zu treten. Aber wir mußten vorwärts schreiten, und wir thaten es, während über unseren Häuptern Schaaren von Physaliden mit ultramarinblauen Fühlfäden, die mit den Wogen trieben, Medusen mit opal- oder zart rosenfarbenen Schirmen uns gegen die Sonnenstrahlen deckten.

Alle diese Wunder sah ich im Raum einer Viertelmeile, indem ich kaum stehen bleiben konnte, da der Kapitän Nemo mich mit einem Wink mahnte, ihm zu folgen. Bald änderte sich die Beschaffenheit des Bodens. Auf die Sandebene folgte eine Lage klebrigen Schlammes, der nur aus kieseligen oder kalkartigen Muscheln bestand. Hierauf durchwanderten wir eine Wiese von Algen. Diese dichten Rasen waren so reich, daß sie es mit den von Menschenhand gewebten Tapeten aufnehmen konnten. Zu gleicher Zeit breitete sich über unseren Köpfen eine grüne Decke von Seepflanzen aus der überreichen Algenfamilie, deren man über zweitausend Arten kennt, an der Oberfläche des Meeres. Diese Algen, ein wahres Wunder der Schöpfung, gehören zu den größten Merkwürdigkeiten der allgemeinen Flora. Es gehören dieser Familie die kleinsten, wie die größten Pflanzen der Erde. Denn wie man einerseits im Raum von fünf Quadratmillimeter vierzigtausend dieser mit den Augen nicht wahrnehmbaren, mikroskopischen Pflänzchen gezählt hat, so hat man Fucus getroffen, die über fünfhundert Meter lang waren.

Seit etwa anderthalb Stunden hatten wir den Nautilus verlassen. Es war bald Mittagszeit, wie ich aus den senkrechten Sonnenstrahlen, die sich nicht mehr brachen, abnahm. Der Farbenzauber schwand allmälig, und die Nüancen von Smaragd und Saphir erloschen an unserem Firmament. Wir gingen im regelmäßigen Schritt, der erstaunlich stark auf dem Boden widerhallte. Das geringste Geräusch pflanzte sich mit einer Raschheit fort, woran das Ohr auf der Erde nicht gewöhnt ist. In der That ist das Wasser für den Ton ein besserer Leiter, als die Luft, und er pflanzt sich darin mit vierfacher Schnelligkeit fort.

In diesem Augenblick senkte sich der Boden in starkem Abfall. Das Licht nahm eine gleichmäßige Färbung an. Wir kamen bis zu einer Tiefe von hundert Meter, und hatten dann einen Druck von zehn Atmosphären zu erleiden. Aber mein Skaphanderkleid war so beschaffen, daß dieser Druck mir in keiner Weise nachtheilig war. Ich empfand nur in den Fingergelenken einige Unbehaglichkeit, und auch diese verschwand bald. Der zweistündige Spaziergang in dem ungewohnten Harnisch hatte mich nicht im Mindesten ermüdet. Das Wasser half dazu, daß die Bewegungen überraschend leicht vor sich gingen.

In der Tiefe von dreihundert Fuß waren die Sonnenstrahlen nur noch schwach wahrzunehmen. Es folgte ein röthliches Dämmerlicht. Doch sahen wir hinreichend, um unsere Richtung zu behalten, und wir brauchten noch nicht den Ruhmkorff’schen Apparat in Thätigkeit zu setzen.

In diesem Augenblick machte der Kapitän Nemo Halt. Er wartete, bis ich wieder bei ihm war, und zeigte mir mit dem Finger einige dunkle Massen, welche nicht weit von dort im Schatten hervortraten.

Das ist der Wald der Insel Crespo, dachte ich, und irrte nicht.

Vierzehntes Capitel

Vierzehntes Capitel

Der schwarze Strom

Der vom Wasser bedeckte Theil der Erdoberfläche wird auf drei Millionen achtmalhundertzweiunddreißigtausendfünfhundertachtundfünfzig Quadrat-Myriameter, d. h. über achtunddreißig Millionen Hektaren angeschlagen. Diese flüssige Masse enthält zwei Milliarden zweihundertundfünfzig Millionen Kubikmeilen, und würde eine Kugel mit einem Durchmesser von sechzig Lieues bilden, und einem Tonnengewicht von drei Quintillionen. Um diese Zahl zu begreifen, muß man sich sagen, daß die Quintillion sich zur Milliarde verhält, wie die Milliarde zur Einheit, d. h. daß eben so viel Milliarden in einer Quintillion enthalten sind, als Einheiten in einer Milliarde. Diese Wassermasse nun ist ungefähr eben so viel, als in allen Flüssen der Erde während vierzigtausend Jahren fließt.

Zur Zeit der geologischen Epochen folgte auf die Periode des Feuers die des Wassers. Der Ocean bedeckte Anfangs alles. Darauf traten in der Uebergangsepoche die Bergspitzen hervor, die Inseln tauchten auf, verschwanden wieder bei theilweisen Überschwemmungen, zeigten sich von Neuem, setzten sich an einander an, bildeten Continente, und endlich gewannen die Länder die feste Gestalt, wie wir sie jetzt geographisch kennen. Das Feste hatte dem Flüssigen siebenunddreißig Millionen, sechshundertsiebenundfünfzig Quadratmeilen abgewonnen im Betrag von zwölftausendneunhundertundsechzehn Millionen Hektaren.

Gemäß der Gestaltung der Continente wurden nun die Meere in die fünf großen Theile getheilt: das nördliche und südliche Polarmeer, der indische, atlantische und stille Ocean.

Der letztere, der sich von Norden nach Süden, zwischen den beiden Polarzirkeln, und von Osten nach Westen, zwischen Asien und Amerika hundertfünfundvierzig Längengrade weit erstreckt, ist von allen Meeren das ruhigste; seine Strömungen sind weit und langsam, Ebbe und Fluth mäßig, Regengüsse reichlich. Diesen Ocean sollte ich unter den seltsamsten Bedingungen zuerst durchfahren.

»Herr Professor, sprach der Kapitän Nemo zu mir, wenn es Ihnen beliebt, wollen wir den Ort, wo wir uns befinden, und den Punkt, von welchem wir abfahren, genau aufnehmen und feststellen. Es ist drei viertel auf zwölf Uhr Mittags. Ich will nun zur Oberfläche des Wassers aufsteigen.«

Der Kapitän drückte dreimal auf die elektrische Uhr. Die Pumpen begannen das Wasser aus den Behältern zu treiben; der Zeiger des Manometer gab durch den verschiedenen Druck die aufsteigende Bewegung des Nautilus an, dann stand er still.

»Wir sind oben angelangt,« sagte der Kapitän.

Ich begab mich zu der in der Mitte befindlichen Leiter, welche zur Plateform führte, kletterte die metallenen Sprossen hinauf und gelangte oben auf dem Nautilus an.

Die Plattform ragte nur um achtzig Centimeter hervor. Vorder- und Hintertheil des Nautilus zeigten die spindelförmige Gestalt, welche ihn einer langen Cigarre vergleichbar machte. Ich bemerkte, wie seine Eisenplatten mit dachziegelförmigem Aussehen dem Schuppenpanzer glichen, womit der Körper der großen Land-Reptilien bedeckt ist. Ich erklärte mir daher als sehr natürlich, daß trotz der besten Fernröhre dies Fahrzeug stets für ein Seethier gehalten wurde.

Um die Mitte der Plattform bildete das kleine Boot, welches zur Hälfte in den Schiffsrumpf eingelassen war, eine leichte Erhöhung. Vorne und hinten standen zwei Gehäuse von mäßiger Höhe vor, mit schiefen Wänden, die zum Theil mit dicken Linsengläsern geschlossen waren: das eine war für den Steuerer bestimmt, der den Nautilus leitete, das andere für die glänzende elektrische Schiffslaterne, welche die Fahrt mit Licht umgab.

Das Meer war prachtvoll, der Himmel rein. Das lange Fahrzeug spürte kaum die weiten Wogen des Oceans. Ein leichter Ostwind runzelte die Oberfläche der Gewässer. Der nebelfreie Horizont begünstigte die Beobachtungen trefflich.

Wir hatten nichts in Sicht. Keine Klippe, kein Eiland. Vom Abraham Lincoln keine Spur. Eine unermeßliche Oede.

Der Kapitän Nemo nahm mit Hilfe seines Sextanten den Höhestand der Sonne auf, woraus sich ihm die Breite ergab. Er wartete einige Minuten, bis das Gestirn am Rand des Horizonts in gleiche Ebene kam. Während er beobachtete, zitterte keine seiner Muskeln, das Instrument wäre in einer marmornen Hand nicht so unbeweglich gewesen.

»Zwölf Uhr Mittags, sagte er. Herr Professor, wann Sie belieben? …«

Ich warf einen letzten Blick auf dieses Meer, das in der Nähe der Japanischen Küste etwas gelblich war, und begab mich wieder hinab in den großen Salon.

Hier machte der Kapitän sein Besteck auf und berechnete mit Hilfe des Chronometers die Länge, welche er durch die vorausgehenden Beobachtungen der Stundenwinkel controlirte. Hierauf sagte er zu mir:

»Herr Arronax, wir befinden uns unter’m hundertsiebenunddreißigsten Grad und fünfzehn Minuten westlicher Länge …

– Von welchem Meridian aus, fragte ich lebhaft, in Hoffnung seine Antwort werde vielleicht seine Nationalität offenbaren.

– Mein Herr, erwiderte er, ich habe verschiedene Chronometer, die nach den Meridianen von Paris, Greenwich und Washington gestellt sind. Aber Ihnen zu Ehren will ich mich des Parisers bedienen.«

Aus dieser Antwort konnte ich nichts abnehmen. Ich machte eine Verbeugung, und der Commandant fuhr fort:

»Siebenunddreißig Grad und fünfzehn Minuten westlicher Länge vom Pariser Meridian ab, und dreißig Grad, sieben Minuten nördlicher Breite, d. h. etwa dreihundert Meilen vom Gestade Japans. Heute haben wir den 8. November, da zu Mittag unsere unterseeische Forschungsreise beginnt.

– Gott sei mit uns! erwiderte ich.

– Und jetzt, Herr Professor, fuhr der Kapitän fort, lasse ich Sie bei Ihren Studien. Ich habe die Richtung Ost-Nord-Ost bei fünfzig Meter Tiefe angegeben. Hier sind Karten, womit Sie dieselbe begleiten können. Der Salon steht Ihnen zur Verfügung und ich bitte um Erlaubniß mich zurück zu ziehen.«

Ich blieb nun allein in meine Gedanken vertieft. Sie waren alle beim Commandanten des Nautilus. Sollte ich jemals erfahren, welcher Nation der seltsame Mann angehört, welcher keiner anzugehören sich rühmt? Wodurch ist sein Haß gegen die menschliche Gesellschaft, ein Haß, der vielleicht auf schreckliche Rache ausging, hervorgerufen worden? War es einer der verkannten Gelehrten, ein Genie, dem sein Leben verkümmert, ein moderner Galilei, oder einer der Männer der Wissenschaft, deren Laufbahn durch politische Revolutionen zertrümmert wurde? Ich konnte noch nichts darüber sagen. Mich, den das Schicksal an seinen Bord verschlug, dessen Leben er in der Hand hat, nahm er kalt, aber gastlich auf. Nur ergriff er nie die Hand, welche ich ihm reichte. Mir reichte er nie die seine.

Eine volle Stunde blieb ich in diese Gedanken versunken, indem ich das mir so interessante Geheimniß zu durchdringen suchte. Darauf hefteten sich meine Blicke auf die große über den Tisch gebreitete Karte, und ich bezeichnete mit dem Finger den Punkt, wo die beobachtete Länge und Breite sich kreuzten.

Das Meer hat, wie die Festlande, seine Flüsse. Es sind besondere Strömungen, die an ihrer Temperatur und Farbe kenntlich sind; der merkwürdigste ist unter dem Namen Golfstrom bekannt. Die Wissenschaft hat auf der Erdkugel die Richtung der fünf Hauptströme bestimmt: einer ist im Norden, ein zweiter im Süden des Atlantischen, ein dritter im Norden, ein vierter im Süden des Stillen Oceans, ein fünfter im Süden des Indischen. Es ist sogar wahrscheinlich, daß ehemals noch ein sechster Strom im Norden des Indischen Oceans existirte, zur Zeit als der Caspische und der Aral-See, die nun zu den großen Seen Asiens gehören, nur eine einzige und dieselbe Wasserfläche bildeten.

An dem auf der Karte bezeichneten Punkt nun fließt einer jener Ströme, der Schwarze Fluß, von den Japanesen Kuro-Scivo genannt, welcher vom Bengalischen Golf her, wo die senkrechten Strahlen der tropischen Sonne ihn wärmen, durch die Enge von Malacca hindurch, längs der Küste Asiens fortläuft, dann im Norden des Stillen Oceans in runder Krümmung bis zur Aleutengruppe hinzieht, Stämme von Kampherbäumen und andere indische Producte mit sich fortwälzt und mit dem puren Indigo seiner warmen Gewässer von den Fluthen des Oceans absticht. Mit dieser Strömung war der Nautilus im Begriff zu fahren. Ich verfolgte ihn mit dem Blick, sah, wie er sich in der Unermeßlichkeit des Stillen Oceans verlor, fühlte mich mit ihm fortgetrieben, als Ned-Land und Conseil an der Thüre des Salons erschienen.

Meine wackeren Gefährten standen wie versteinert beim Anblick der vor ihren Augen aufgehäuften Wunder.

»Wo sind wir? Wo sind wir? rief der Canadier. Im Museum zu Quebec?

– Wenn’s meinem Herrn beliebt, versetzte Conseil, wäre es eher im Hotel Sommerard!

– Meine Freunde, erwiderte ich, indem ich ihnen winkte einzutreten, Sie sind weder in Canada, noch in Frankreich, sondern an Bord des Nautilus, fünfzig Meter unter dem Meeresspiegel!

– Ich muß meinem Herrn glauben, weil er’s versichert, erwiderte Conseil; aber offen gesagt, dieser Salon ist gemacht, selbst einen Flamländer, wie ich bin, in Staunen zu setzen.

– Staune nur, Freund, und schaue, denn für einen so starken Classificirer, wie Du, giebt’s hier zu thun.«

Ich brauchte Conseil nicht aufzumuntern. Der brave Junge, über die Glaskästen gebeugt, murmelte schon Worte aus der Naturforschersprache: Classe der Gasteropoden, Familie der Buccinoiden etc.

Während dessen fragte mich Ned-Land, der wenig Sinn für Conchylien hatte, über meine Unterredung mit dem Kapitän Nemo: Ob ich entdeckt habe, wer er sei, woher er komme, wohin er gehe, in welche Tiefen er uns hinabziehe? kurz, tausend Fragen, welche ich zu beantworten keine Zeit hatte.

Ich theilte ihm mit, was ich wußte, oder vielmehr, was ich nicht wußte, und fragte ihn, was er seinerseits gehört oder gesehen habe.

»Nichts gesehen, nichts gehört! erwiderte der Canadier. Ich habe nicht einmal die Mannschaft des Bootes gesehen. Sollte sie vielleicht auch elektrisch sein?

– Elektrisch!

– Wahrhaftig! man sollte versucht sein, es zu glauben. Aber Sie, Herr Arronax, fragte Ned-Land, der noch immer seine Idee hatte. Sie können mir nicht sagen, wie viel Mann an Bord sind? zehn? zwanzig? fünfzig? hundert?

– Ich kann darauf keine Antwort geben, Meister Land. Uebrigens, glauben Sie mir, geben Sie für jetzt die Idee auf, sich des Nautilus zu bemächtigen, oder zu fliehen. Dieses Fahrzeug ist ein Meisterwerk der modernen Industrie, und es wäre mir leid, hätte ich es nicht gesehen! Wie mancher würde sich gern unsere Lage gefallen lassen, sei es auch nur, um durch diese Wunder zu spazieren. Also halten Sie sich ruhig, und trachten wir zu sehen, was um uns herum vorgeht.

– Sehen! rief der Harpunier, man sieht ja nichts, man wird auch von diesem eisernen Gefängniß aus nichts sehen! Wir fahren, wir schiffen blind hinaus …«

Diese letzten Worte sprach Ned-Land, als es plötzlich stockfinster ward. Die Helle am Plafond erlosch, und zwar so rasch, daß meine Augen darüber Schmerz empfanden, gerade so, wie bei plötzlichem Uebergang aus dem Finstern zum blendenden Licht.

Wir blieben stille, rührten uns nicht, da wir nicht wußten, welche angenehme oder unangenehme Ueberraschung uns bevorstand. Da hörte man ein Hin- und Hergleiten, als wenn die Füllungen der Seitenwände sich verschöben.

»Jetzt ist alles aus! sagte Ned-Land.

– Ordnung der Hydromedusen!« murmelte Conseil.

Mit einemmale ward es auf beiden Seiten des Salons hell durch zwei längliche Oeffnungen. Das Gewässer zeigte sich durch elektrische Einwirkung lebhaft erleuchtet. Wir waren nur durch zwei Glasplatten vom Meere geschieden. Anfangs schauderte mir beim Gedanken an die Zerbrechlichkeit dieser Wand; doch war sie durch starke Kupfereinfassung befestigt, so daß sie fast unendlichen Widerstand zu leisten fähig war.

Das Meer war im Umfang einer Meile um den Nautilus herum klar zu durchschauen. Welch ein Anblick! Mit der Feder nicht zu beschreiben! Wer vermöchte die Lichteffecte durch diese erleuchteten Streifen, und der sanften allmäligen Abstufungen bis zu den unteren und oberen Schichten zu schildern!

Die Durchsichtigkeit des Meeres ist bekannt; man weiß, daß es weit klarer ist, als das Felsen-Quellwasser. Die mineralischen und organischen Bestandtheile, welche es in aufgelöstem Zustande enthält, erhöhen noch seine Durchsichtigkeit. In manchen Theilen des Oceans, bei den Antillen, kann man hundertfünfundvierzig Meter tief den sandigen Meeresgrund mit erstaunlicher Klarheit erkennen, und die durchdringende Kraft der Sonnenstrahlen scheint erst in einer Tiefe von dreihundert Meter aufzuhören. Aber in der flüssigen Umgebung des Nautilus wurde der elektrische Glanz im Schooße der Wogen selbst hervorgebracht: es war nicht erleuchtetes Wasser, sondern flüssiges Licht.

Nimmt man Ehrenberg’s Hypothese an, der an eine phosphorescente Erleuchtung der Meerestiefen glaubt, so hat die Natur gewiß den Bewohnern des Meeres die wundervollste Anschauung vorbehalten, ich konnte hier durch das tausendfache Lichtspiel ein Urtheil darüber gewinnen. Auf jeder Seite blickte ich durch’s offene Fenster in die unerforschten Abgründe. Das Dunkel im Salon hob die äußere Helle, und wir schauten, als sei dieses reine Spiegelglas das Fenster eines unermeßlichen Aquariums.

Der Nautilus schien nicht seine Stelle zu ändern, weil es an Merkpunkten fehlte. Mitunter jedoch ließen die durch seinen Schnabel vor unseren Augen zertheilten Wasserstreifen eine äußerste Schnelligkeit erkennen.

In Staunen versunken lagen wir vor diesen Glasscheiben, keiner unterbrach das bewundernde Schweigen. Dann sprach Conseil:

»Sie wollen schauen, Freund Ned, nun denn, schauen Sie!

– Merkwürdig! merkwürdig! rief der Canadier aus, der unwiderstehlich angezogen seinen Zorn und seine Entweichungsprojecte vergaß – man würde weit her kommen, so Wundervolles zu sehen!

– Ah! rief ich aus, jetzt begreife ich das Leben dieses Mannes! Er hat sich eine Welt für sich besonders geschaffen, die ihm erstaunliche Wunder vorbehält!

– Aber die Fische? bemerkte der Canadier. Ich sehe keine Fische!

– Was liegt Ihnen denn daran, Freund Ned, erwiderte Conseil, Sie kennen ja dieselben nicht.

– Ich, gewiß! Ein Fischer von Profession!« rief Ned-Land.

Und es erhob sich ein Streit zwischen den beiden Freunden, denn sie kannten beide die Fische, aber jeder in sehr verschiedener Weise.

Es ist Jedermann bekannt, daß die Fische die vierte und letzte Classe der Wirbelthiere ausmachen. Man hat sie richtig definirt: »Wirbelthiere mit kaltem Blut und doppeltem Umlauf, welche durch Kiemen athmen und im Wasser zu leben bestimmt sind.« Sie bestehen aus zwei Abtheilungen: Fische mit Knochen, d. h. deren Rückgrat aus knochenartigen Wirbeln gebildet ist; und Knorpelfische mit knorpeligen Rückgratswirbeln.

Conseil, der weit mehr Kenntnisse über den Gegenstand hatte, wollte nun aus Freundschaft nicht dulden, daß Ned darin so wenig Kenntnisse hatte. Er sprach:

»Freund Ned, Sie sind ein sehr geschickter Fischer, verstehen diese Thiere zu tödten. Sie haben sie in großer Menge gefangen, aber wie man sie eintheilt, wissen Sie wohl nicht.

– O ja! erwiderte der Harpunier. Sie werden eingeteilt in Fische, die man ißt, und solche, die man nicht ißt.

– Solch‘ eine Eintheilung macht ein Fresser, versetzte Conseil. Aber sagen Sie mir, ob Sie den Unterschied von Knochen- und Knorpel-Fischen wissen?

– Vielleicht wohl, Conseil.

– Und die Unterabtheilung dieser großen Classe?

– Hab‘ keinen Begriff davon, erwiderte der Canadier.

– Nun so hören Sie, Freund Ned, und behalten Sie. Die Knochenfische zerfallen in sechs Ordnungen:

Die erste, mit vollständigen beweglichen Oberkiefern, und Kiemen in Gestalt eines Kammes, begreift fünfzehn Familien, welche drei Viertel der bekannten Fische ausmachen, darunter der gemeine Barsch.

– Schmeckt ziemlich gut, erwiderte Ned-Land.

– Die der zweiten Ordnung, Afterflosser genannt, haben ihre Bauchflossen am Unterleib und hinter den Brustflossen, nicht an die Schulterknochen geheftet. Sie bildet fünf Familien, wozu die meisten Süßwasserfische gehören, darunter der Karpfen, der Hecht.

– Pfui! sagte der Canadier verächtlich, Süßwasserfische!

Drittens, fuhr Conseil fort, deren Bauchflossen unter den Brustflossen stehen, und unmittelbar an die Schulterknochen geheftet sind. Sie machen vier Familien aus, wozu die Butten, Plattfische, Meerzungen gehören.

– Vortrefflich! Vortrefflich! rief der Harpunier aus, der die Fische durchaus nur nach der Eßbarkeit schätzte.

Viertens, fuhr Conseil fort, ohne sich irre machen zu lassen, die Apoden, mit langem Leib, ohne Bauchflossen, und einer dichten, oft klebrigen Haut. Diese Ordnung bildet nur eine Familie, zu welcher der Aal gehört.

– Mittelmäßig! versetzte Ned-Land.

– Die der fünften haben vollständige und freie Kiefern, ihre Kiemen aber bestehen aus kleinen Trotteln, welche paarweise längs den Kiemenbögen stehen. Diese Ordnung ist nur eine Familie, wozu das Seepferd gehört.

– Nicht gut! nicht gut! versetzte der Harpunier.

– Bei einer sechsten Ordnung endlich ist der Kieferknochen an der Seite festgeheftet und die Gaumenwölbung durch eine Naht mit dem Schädel eingezahnt, so daß sie unbeweglich wird. Diese Ordnung hat keine eigentlichen Bauchflossen und besteht aus zwei Familien, wozu der Mondfisch gehört.

– Schande für eine Pfanne! rief der Canadier.

– Haben Sie begriffen, Freund Ned? fragte der gelehrte Conseil.

– Nicht das Mindeste, Freund Conseil, war die Antwort. Aber fahren Sie nur immer fort, Sie sind sehr interessant.

– Die Knorpelfische, versetzte Conseil mit unvergleichlicher Ausdauer, enthalten nur drei Ordnungen.

– Um so besser, sagte Ned.

– Bei den ersten sind die Kiefern in einem beweglichen Ring verwachsen, und die Kiemen öffnen sich in zahlreichen Löchern; zu dieser gehört nur die Familie der Lampretten.

– Die sind zu schätzen, erwiderte Ned-Land.

– Bei der zweiten ist der Unterkiefer beweglich. Die zwei Familien dieser Ordnung sind durch Rochen und Haifisch repräsentirt.

– Wie! rief Ned, Rochen und Hai in derselben Ordnung! Da ist’s räthlich, sie nicht in denselben Behälter zu thun!

– Die dritten haben wie gewöhnlich Kiemen, welche durch eine einzige mit einem Deckel versehene Spalte sich öffnen. Ein Muster dieser Ordnung ist der Stör.

– Ah, Freund Conseil, Sie haben das Beste bis zuletzt aufgehoben.

– Ja, wackerer Ned, erwiderte Conseil. Merken Sie aber, hiermit weiß man nichts, denn die Familien theilen sich in Gattungen, Arten, Varietäten.

– Aber, Freund Conseil, sagte der Harpunier, da sehen wir ja die Arten und Varietäten vor dem Fenster vorüberziehen!

– Ja! rief Conseil. Man sollte meinen, man wäre in einem Aquarium!

– Nein, erwiderte ich, denn das Aquarium ist ein Gefängniß, und diese Fische da sind frei, wie die Vögel in der Luft.

– Ei nun, Freund Conseil, nennen Sie sie doch bei Namen! sagte Ned-Land.

– Ich, erwiderte Conseil, verstehe mich nicht darauf! Das ist eine Sache meines Herrn!«

Und wirklich, trotz allem Classificiren war er kein Naturkundiger, und wußte wohl nicht einen Thunfisch von einem Bonit zu unterscheiden. Gerade im Gegentheil verstand der Canadier diese Fische alle zu benennen.

Ned und Conseil zusammen hätten einen ausgezeichneten Naturkundigen abgegeben.

»Ein chinesischer Hornfisch!« rief Ned-Land, und irrte nicht.

Ein Trupp Hornfische, mit plattem Körper, und einem Stachel auf dem Rücken, trieben sich munter um den Nautilus herum und bewegten die vier Reihen Stacheln, welche auf beiden Seiten ihres Schwanzes wie Borsten starren. Ihre Haut ist wunderschön, oben grau, unten weiß mit goldenen Flecken, die in den düsteren Wellen glänzten. Zwischen ihnen schwammen Rochen, und unter denselben bemerkte ich sehr erfreut den chinesischen Rochen, oben gelblich, unten am Bauch zart rosa, und hinter dem Auge mit drei Stacheln.

Zwei Stunden lang gab ein ganzes Heer von Wasserthieren dem Nautilus das Geleite. Mitten in ihrem Spiel, ihren Sprüngen, wie sie um die Wette an Schönheit, Glanz und Schnelligkeit sich hervorthaten, zeigten sie sich unseren Blicken in reizender Mannigfaltigkeit. Unsere Bewunderung hielt sich unausgesetzt auf ihrem Höhepunkt. Ned wußte sie zu benennen, Conseil zu classificiren, ich entzückte mich an ihren schönen Formen und lustigen Bewegungen. Diese Thiere lebend, frei in ihrem natürlichen Elemente zu schauen, war ein Genuß, der mir noch nie geworden war. Ich will alle die mannigfaltigen Gattungen nicht aufzählen, die, angelockt wohl vom elektrischen Licht, zahlreicher als die Vögel der Luft um uns her schwammen.

Plötzlich ward’s wieder hell im Salon. Die eisernen Tafeln schoben sich wieder vor. Das bezaubernde Schauspiel hörte auf. Aber ich war noch lange wie im Traum, bis meine Blicke auf die an den Wänden hängenden Instrumente fielen. Die Magnetnadel wies stets nach Nord-Nord-Ost, das Manometer zeigte einen Druck von fünf Atmosphären, was eine Tiefe von fünfzig Meter bedeutete, und das elektrische Log gab eine Schnelligkeit von fünfzehn Meilen die Stunde an.

Ich erwartete den Kapitän Nemo, aber er erschien nicht. Es war fünf Uhr. Ned-Land und Conseil begaben sich wieder in ihre Cabine, ich in mein Zimmer, wo ich mein Mahl aufgetragen fand. Es bestand aus einer Suppe von Caretschildkröte, Meerbarbe von weißem Fleisch, deren Leber besonders in köstlicher Zubereitung, und Stückchen Kaiser-Holocante, das mir schmackhafter als Salmen vorkam.

Den Abend brachte ich mit Lesen, Schreiben und in Gedanken hin. Als der Schlaf mir kam, streckte ich mich auf mein Seegraslager, und schlummerte tief, während der Nautilus quer durch die reißende Strömung des Schwarzen Flusses fuhr.