Vorrede.

Vorrede.

Dieses Buch wurde nicht ohne manche Besorgnisse wegen seiner muthmaßlichen Aufnahme geschrieben. Einen und denselben Charakter durch fünf verschiedene Werke hindurchführen, konnte als allzukecke Zumuthung an die Gutmüthigkeit des Publikums erscheinen, und Manche möchten mit Grund dieß als ein Unterfangen ansehen, das an sich schon zur Mißbilligung herausfordere. Auf diesen sehr natürlichen Vorwurf kann der Verfasser nur erwiedern, daß, wenn er in diesem Falle einen schweren Fehler begangen, seine Leser selbst einigermaßen die Verantwortung dafür auf sich haben. Die günstige Aufnahme, welche den späteren Schicksalen und dem Tode Lederstrumpfs zu Theil wurde, hat der Seele des Verfassers wenigstens es zu einer Art von Nothwendigkeit gemacht, auch von seinen jüngeren Jahren Nachricht zu geben. Kurz, die Gemälde seines Lebens, wie sie nun einmal sind, waren schon so vollständig, daß sie wohl einiges Verlangen erwecken konnten, die Gesammtzeichnung zu sehen, nach welcher sie alle gemalt wurden. Die »Lederstrumpferzählungen« bilden jetzt eine Art von fünfaktigem Drama, vollständig, was den Inhalt und den Plan betrifft, wenn auch vermuthlich sehr mangelhaft in der Ausführung. So wie sie sind, hat sie die Lesewelt vor sich. Der Verfasser hofft, sie werde, entschiede sie auch dahin, daß der hier vorliegende Akt, der letzte in der Ausführung, obwohl der erste in der natürlichen Ordnung der Lektüre, nicht der beste der ganzen Reihefolge sey, doch das Urtheil fällen, daß er auch nicht eben der schlechteste sey. Mehr als einmal hat er sich versucht gefühlt, sein Manuskript zu verbrennen und sich zu einem andern Gegenstand zu wenden, obwohl er im Verlaufe seiner Arbeit eine Aufmunterung von so eigenthümlicher Art erhielt, daß es sich verlohnt, sie zu erwähnen. Ein anonymer Brief aus England, von der Hand einer Dame, wie ihn däucht, kam ihm zu, worin er dringend aufgefordert wurde, ungefähr eben das zu thun, was er schon mehr als halb ausgeführt hatte, – ein Wunsch, den er sehr gerne als ein Zeichen deutet, daß sein Versuch theilweise werde verziehen, wo nicht entschieden gebilligt werden.

Wenig braucht er über die Charaktere und die Scenerie dieser Erzählung zu sagen. Jene sind natürlich Werk der Dichtung; diese aber ist der Natur so treu, als nur immer die vertraute Bekanntschaft mit dem jetzigen Aussehen der geschilderten Gegend, und Vermuthungen über ihren früheren Charakter, so wahrscheinlich als die Einbildungskraft sie an die Hand gab, den Verfasser in Stand setzten, sie zu schildern. See, Berge, Thal und Wald sind insgesammt, wie er glaubt, genau genug dargestellt, während Fluß, Fels und Küste treue Abzeichnungen der Natur sind. Selbst die einzelnen vorspringenden Punkte existiren, etwas verändert durch die Civilisation, aber doch so entsprechend den Schilderungen, daß Jeder, der mit der Scenerie der fraglichen Gegend vertraut ist, sie leicht erkennt.

Was die historische Treue bei den Ereignissen dieser Erzählung im Ganzen und im Einzelnen betrifft, so ist der Verfasser gesonnen, hier auf seinem Recht zu bestehen, und darüber nicht mehr zu sagen, als was er für nothwendig erachtet. Bei dem großen Streit um Wahrheit, der zwischen Geschichte und Fiktion waltet, ist der Vortheil so oft auf der Seite der letzteren, daß er sehr geneigt ist, den Leser auf seine eigenen Forschungen zu verweisen, um über diesen Punkt in’s Reine zu kommen. Sollte es sich bei genauer Untersuchung zeigen, daß ein anerkannter Historiker, daß öffentliche Urkunden oder auch Lokaltraditionen den Angaben dieses Buchs widersprechen, so ist der Verfasser bereit, zuzugestehen, daß der Umstand seiner Aufmerksamkeit gänzlich entging, und seine Unwissenheit zu bekennen. Andererseits, sollte sich’s finden, daß die Annalen Amerika’s nicht eine Sylbe enthalten, die dem, was hier der Welt vorgelegt wird, widerspräche, – wie er denn fest glaubt, daß die Forschung dieß ausweisen werde – so wird er für seine Erzählung genau so viel Glaubwürdigkeit in Anspruch nehmen, als sie verdient. Es gibt eine ansehnliche Classe von Romanlesern – ansehnlich ebenso wegen ihrer Zahl als in jedem andern Betracht, – die man oft mit dem Mann verglichen hat, der »singt, wenn er liest, und liest, wenn er singt«. Diese Leute sind über die Maßen phantasiereich in allem Thatsächlichen, und so buchstäblich pedantisch, wie die Uebersetzung eines Schulknaben, in Allem, was zur Poesie gehört. Zum Nutz und Frommen aller solcher Leute wird hiemit ausdrücklich erklärt, daß Judith Hutter eben Judith Hutter ist, und keine andere Judith; und überhaupt, daß, wenn irgendwo bei einem Taufnamen oder bei der Farbe des Haares eine Aehnlichkeit, ein Zusammentreffen sich findet, nichts weiter gemeint ist, als was für den Unbefangenen in der Gleichheit des Taufnamens oder der Haarfarbe liegt. Lange Erfahrung hat den Verfasser belehrt, daß dieser Theil seiner Leser der bei weitem am schwersten zu befriedigende ist, und er möchte ihnen, zum Besten beider Parteien, den ehrerbietigen Rath geben, den Versuch zu machen und Werke der Einbildungskraft so zu lesen, als wären es Erzählungen positiver Thatsachen. Ein solches Verfahren könnte sie vielleicht in Stand setzen, an die Möglichkeit der Dichtung zu glauben Der Wildtödter.

Neuntes Kapitel.

Neuntes Kapitel.

Verschwenderisch bist mit Lächeln du,
Darob dein Zürnen man vergißt.
Dir jubeln tausend Inseln zu.
Wenn wieder du gekommen bist;
Die Herrlichkeit, von dir entsandt.
Badet in Wonne See und Land.
Der Himmel.

Es hilft vielleicht dem Leser zum bessern Verständniß der jetzt zu erzählenden Vorfälle, wenn er ein rasch skizzirtes Bild der Scene auf einmal seinem Auge dargelegt sieht. Man erinnert sich, daß der See ein unregelmäßig geformtes Becken bildete, dessen Umriß, im Ganzen betrachtet, oval war, aber mit Buchten und vorspringenden Punkten, welche die Gleichförmigkeit unterbrachen und seine Ufer zierten. Die Oberfläche dieses schönen Wasserspiegels glänzte jetzt wie ein Edelstein in den letzten Strahlen der Abendsonne, und die Einfassung des Ganzen – Hügel, mit dem üppigsten Waldgrün bekleidet – war von einer Art strahlendem Lächeln verklärt, wie es in den schönen Zeilen, die wir diesem Kapitel vorangestellt, am besten geschildert ist. Da die Ufer, mit wenigen Ausnahmen, dicht am Wasser steil hinanstiegen, auch wo der Berg nicht unmittelbar die Aussicht begrenzte, überhing den friedlichen See ein fast ununterbrochner Saum von Laub; denn die Bäume rangen sich von den steilen Anhöhen empor, neigten sich dem Licht zu, bis sie in manchen Fällen ihre langen Glieder und ihre geraden Stämme vierzig oder fünfzig Fuß weit von der perpendikularen Linie abweichend ausstreckten. Dieß galt freilich nur von den Riesen des Forstes, von Tannen, die hundert bis hundert und fünfzig Fuß hoch waren, denn von den kleinern Bäumen neigten sich sehr viele so sehr, daß sie die untern Zweige ins Wasser tauchten.

In der Stellung, welche die Arche jetzt einnahm, war das Castell durch einen vorspringenden Punkt dem Auge entzogen, so wie überhaupt das ganze nördliche Ende des See’s selbst. Ein ansehnlicher Berg mit Wald bekleidet, und rund wie alle übrigen, begrenzte in dieser Richtung die Aussicht, und dehnte sich unmittelbar über die ganze schöne Scene aus, mit Ausnahme einer tiefen Bai, die an seinem westlichen Ende sich hinzog, das Becken um mehr als eine Meile verlängernd. Die Art und Weise, wie das Wasser aus dem See abfloß, unter den belaubten Bögen der Bäume, welche die beiden Seiten des Flusses einfaßten, ist schon geschildert und es ist auch gesagt worden, daß der Fels, der in der ganzen Gegend ein Lieblingsplatz zur Verabredung von Zusammenkünften war und wo Wildtödter jetzt seinen Freund zu treffen erwartete, dieser Ausströmung nahe, und nicht sehr entfernt von der Küste stand. Es war ein großer, einzelner Stein, der auf dem Grund des Sees ruhte, dem Anschein nach zurückgeblieben, als die Wasser die Erde um ihn her wegrissen, um sich einen Durchgang durch das Flußbett zu erzwingen; und seine eigenthümliche Gestalt hatte er wohl durch den Einfluß der Elemente während des langen Verlaufs von Jahrhunderten bekommen. Die Höhe dieses Felsen konnte kaum sechs Fuß betragen, und wie schon gesagt, seine Gestalt war nicht unähnlich der gewöhnlichen Form von Bienenstöcken, oder einem Heuhaufen. Die letztere Vergleichung gibt in der That die beste Anschauung nicht nur von seiner Form, sondern auch von seinen Dimensionen. Er stand – und steht noch, denn wir schildern wirklich vorhandene Scenen – fünfzig Fuß vom Ufer entfernt und im Wasser, wo es nur zwei Fuß tief war, obwohl es auch Zeiten gab, wo sein abgerundeter Gipfel, wenn man diesen Ausdruck auf ihn anwenden darf, vom See ganz bedeckt war. Viele von den Bäumen dehnten sich so weit heraus, daß sie beinahe den Felsen mit der Küste vereinigten, wenn man beide in einiger Entfernung sah; und eine große Tanne insbesondere hing so darüber her, daß sie ein stolzes und passendes Dach bildete über einen Sitz, der manchen Häuptling des Waldes, während der langen Reihe unbekannter Jahrhunderte, wo Amerika mit Allem, was es enthielt, abgeschlossen in geheimnißvoller Einsamkeit als eine Welt für sich bestanden hatte, ebenso ohne eine bekannte Geschichte, wie einen, für die menschlichen Annalen erreichbaren Ursprung – mochte beherbergt haben.

Vom Ufer noch zwei bis dreihundert Fuß entfernt, zog Wildtödter sein Segel ein und warf seinen Anker aus, sobald er fand, daß die Arche in einer Linie hintrieb, die gerade auf den Felsen zustrebte. Die Bewegung des Fahrzeugs ward dann gestellt, worauf es durch die Wirkung des Lüftchens mit dem Vordertheil dem Winde zugekehrt wurde. Sobald dieß geschehen, gab Wildtödter Tau zu und ließ das Fahrzeug dem Felsen zutreiben, so rasch es der leise Luftzug vor sich her drängen mochte. Da es sehr wenig tief ging, war dieß bald geschehen, und der junge Mann hemmte seine Bewegung, als er sah, daß das Hintertheil der Fähre auf fünfzehn oder achtzehn Fuß dem beabsichtigten Platze nahe gekommen war.

Bei Ausführung dieses Manöuvers hatte sich Wildtödter sehr beeilt; denn während er nicht im Mindesten daran zweifelte, daß er von dem Feinde beobachtet und verfolgt werde, glaubte er, ihn in seinen Bewegungen, durch die anscheinende Unsicherheit seiner eigenen, irre gemacht zu haben; und er wußte, daß sie keine Mittel hatten zu erfahren, daß sein Absehen auf den Felsen gerichtet war, wenn nicht etwa Einer der Gefangnen ihn verrathen hatte, – ein an sich so unwahrscheinlicher Fall, daß er sich darüber keine unruhigen Gedanken machte. Trotz der Raschheit und Entschiedenheit seiner Bewegungen jedoch wagte er sich nicht der Küste so nahe, ohne die gehörigen Vorsichtsmaßregeln zum Behuf eines Rückzugs zu treffen, falls dieser nothwendig würde. Er selbst hielt das Tau in der Hand, und Judith war an einem Guckloch auf der dem Land zugekehrten Seite der Kajüte aufgestellt, wo sie die Küste und die Felsen beobachten, und zeitig Nachricht geben konnte von dem Nahen eines Freundes oder Feindes. Hetty war auch auf einen Wachposten gestellt, aber sie sollte nur auf die Bäume über ihnen Acht haben, damit nicht ein Feind einen besteige, und durch vollständige Beherrschung des Innern des Fahrzeugs die Vertheidigung des Häuschens oder der Cajüte vereitle.

Die Sonne hatte sich vom See und Thal zurückgezogen, als Wildtödter die Arche in der genannten Weise stille stehen machte. Doch fehlten noch einige Minuten bis zum eigentlichen Sonnenuntergang, und er kannte die indianische Pünktlichkeit zu gut, um eine unmännliche Hast bei seinem Freunde vorauszusetzen. Die große Frage war, ob er, umgeben von Feinden, wie man dieß wußte, ihren Netzen zu entgehen vermocht habe. Die Vorfälle der letzten vierundzwanzig Stunden mußten ihm ein Geheimniß seyn, und wie Wildtödter war auch Chingachgook noch jung auf dem Kriegspfade. Zwar kam er allerdings gefaßt darauf, der Truppe zu begegnen, welche seine verlobte Braut festhielt, aber er hatte keine Mittel, sich über den Umfang der Gefahr, die er lief, zu vergewissern, noch auch über die eigentliche Stellung, welche Freunde und Feinde inne hatten. Mit Einem Wort, der geübte und ausgebildete Scharfblick und die unermüdliche Vorsicht eines Indianers waren Alles, worauf er unter den bedenklichen Gefahren, denen er sich unvermeidlich aussetzte, angewiesen war.

»Ist der Fels leer, Judith?« fragte Wildtödter, sobald er die Bewegung der Arche gehemmt hatte, da er für unklug hielt, ohne Noth sich der Küste nahe zu wagen. »Ist Nichts zu sehen von dem Delawarischen Häuptling?«

»Nichts, Wildtödter. Weder Fels, Küste, Baum noch See scheinen je eine menschliche Gestalt gekannt zu haben.«

»Nehmt Euch in Acht, Judith, – nehmt Euch in Acht, Hetty – eine Büchse hat ein spähendes Auge, einen raschen Fuß, und eine verzweifelt unheilvolle Zunge. Nehmt Euch denn in Acht, aber gebt auch recht Acht, und seyd flink und rüstig! Es thäte mir herzlich leid, wenn Einer von Euch ein Leid zustieße!«

»Und Euch, Wildtödter!« rief Judith, ihr schönes Gesicht von dem Guckloch wegwendend, um dem jungen Mann einen huldvollen und dankbaren Blick zuzuwerfen; »Nehmt Ihr Euch in Acht, und sorgt, daß die Wilden nicht Eurer ansichtig werden! Eine Kugel könnte Euch ebenso unheilvoll werden, als Einer von uns; und der Schlag, der Euch träfe, würde von Allen empfunden.«

»Seyd ohne Furcht um mich, Judith – seyd ohne Furcht um mich, mein gutes Mädchen. Seht nicht hierher, obgleich Euer Blick recht freundlich und lieblich ist, sondern richtet Euer Auge auf den Felsen, und die Küste, und den –«

Wildtödter ward unterbrochen durch einen leisen Ausruf des Mädchens, das, seinen dringenden und hastigen Geberden ebenso wie seinen Worten gehorsam, sogleich wieder ihr Auge nach der entgegengesetzten Richtung gewendet hatte.

»Was ist’s? – Was ist’s, Judith?« fragte er hastig; »Ist Etwas zu sehen?«

»Dort ist ein Mann, auf dem Felsen! – ein indianischer Krieger, in seiner Bemalung, und bewaffnet!«

»Wo trägt er seine Falkenfeder?« fragte wieder Wildtödter lebhaft, und ließ das Tau nach, um sich dem Ort der Zusammenkunft zu nähern. »Ist sie dicht an der Kriegslocke, oder trägt er sie über dem linken Ohr?«

»Wie Ihr sagt, über dem linken Ohr; er lächelt auch, und flüstert das Wort: Mohikan.«

»Gott sey gelobt, es ist die Schlange, endlich!« rief der junge Mann, und ließ das Tau durch seine Hände gleiten, bis er am andern Ende des Fahrzeugs einen leichten Sprung hörte; worauf er augenblicklich mit dem Nachgeben des Seils inne hielt, und wieder anfing, es einzuziehen, versichert, daß sein Zweck erfüllt war.

In diesem Augenblick ward die Thüre der Cajüte hastig geöffnet, und ein Krieger, durch das kleine Gemach eilend, stand neben Wildtödter, und ließ nur den einfachen Ausruf: »Hugh« hören. Im nächsten Augenblick kreischten Judith und Hetty auf, und die Luft ward erfüllt von dem gellenden Geschrei von zwanzig Wilden, welche durch die Zweige zum Ufer herab sprangen, und von denen Einige in ihrer Hast der Länge nach ins Wasser stürzten.

»Zieht, Wildtödter,« schrie Judith, hastig die Thüre schließend, um ein Eindringen durch die Oeffnung zu verhindern, welche so eben den Delawaren eingelassen hatte, »zieht, auf Leben und Tod – der See ist voll von Wilden, die uns nach waten!«

Die jungen Männer – denn Chingachgook eilte sofort seinem Freunde beizustehen – erwarteten keine zweite Aufforderung, sondern sie erfüllten von selbst ihre Aufgabe mit einem Eifer, welcher zeigte, wie dringend ihnen die Gefahr erschien. Die große Schwierigkeit war, so plötzlich die vis inertiae einer so großen Masse zu überwinden; denn war die Fähre einmal in Bewegung, so war es leicht, sie das Wasser mit aller wünschenswerthen Schnelligkeit durchschneiden zu machen.

»Zieht, Wildtödter, ums Himmels willen!« schrie Judith wieder an ihrem Guckloch; »diese Elenden stürzen ins Wasser wie Hunde, die ihre Beute verfolgen! Ah! die Fähre bewegt sich! und jetzt wird das Wasser tiefer, und geht dem Vordersten schon bis unter die Schulter – und doch eilen sie vorwärts und wollen die Arche packen!«

Ein leichtes Kreischen und dann ein fröhliches Gelächter des Mädchens folgte nun; die Ursache von jenem war ein verzweifelter Versuch ihrer Verfolger, und von diesem dessen Mißlingen; die Fähre, welche jetzt tüchtig in Bewegung gesetzt war, glitt bald auf tieferem Wasser, das Vordertheil voran, mit einer Geschwindigkeit hin, welche die Anschläge der Feinde vereitelte. Da die beiden Männer durch die dazwischenliegende Cajüte verhindert waren zu sehen, was hinten vorging, mußten sie die Mädchen nach dem Stand der Jagd fragen. »Was jetzt, Judith? Was dann? Verfolgen uns die Mingo’s noch, oder sind wir ihrer für den Augenblick entledigt?« fragte Wildtödter, wie er das Tau schlaff werden fühlte, als eilte nunmehr die Fähre rasch von selbst weiter, und das Kreischen und Lachen des Mädchens beinahe in Einem Athem vernahm.

»Sie sind verschwunden! – Einer, der letzte, versteckt sich gerade in den Büschen des Ufers – dort ist er verschwunden in den Schatten der Bäume. Ihr habt nun Euren Freund, und wir sind Alle sicher!«

Die beiden Männer machten jetzt wieder eine große Anstrengung, zogen die Arche schnell bis zu dem Anker hinauf, lichteten diesen, und als die Fähre noch eine Strecke Wegs zurückgelegt und ihre Bahn verloren hatte, warfen sie wieder den Anker aus; und jetzt zum erstenmal seit ihrem Wiedersehen hielten sie in ihrer schweren Arbeit inne. Nachdem das schwimmende Haus einige hundert Fuß von der Küste entfernt lag, und vollkommnen Schutz gegen Kugeln bot, war weiter keine Gefahr, und kein Grund zur Anstrengung ihrer Kräfte im Augenblick vorhanden.

Die Art, wie die beiden Freunde jetzt einander begrüßten, war höchst charakteristisch. Chingachgook, ein edler, großer, schöner und athletischer junger indianischer Krieger besichtigte zuerst sorgfältig seine Büchse, öffnete die Pfanne, um sich zu versichern, daß das Pulver darauf nicht naß geworden; warf, nachdem er sich dieses wichtigen Umstandes vergewissert, verstohlene aber beobachtende Blicke um sich auf die seltsame Behausung und die beiden Mädchen; noch immer aber sprach er nicht, und besonders vermied er durch Fragen irgend eine weibische Neugierde an den Tag zu legen.

»Judith und Hetty,« sagte Wildtödter mit unangelernter, natürlicher Höflichkeit, »dieß ist der Mohikanische Häuptling, von welchem ich Euch gesprochen, Chingachgook, wie er genannt ist, was »große Schlange« bedeutet; so genannt wegen seiner Weisheit und Klugheit und List, und mein erster und letzter Freund. Ich wußte, daß er es seyn müsse, durch die Falkenfeder über dem linken Ohr, denn die meisten andern Krieger tragen sie an der Kriegslocke.«

Nachdem Wildtödter so gesprochen, lachte er herzlich, mehr aufgeregt vielleicht durch die Freude, seinen Freund unter so drohenden Umständen nun doch wohlbehalten an seine Seite bekommen zu haben, als durch irgend einen Einfall, der etwa zufällig ihm durch den Sinn fuhr: und dieser Ausbruch seiner Empfindungen war etwas auffallend dadurch, daß er von gar keinem Geräusch begleitet war. Obgleich Chingachgook das Englische verstand und sprach, mochte er doch seine Gedanken nicht in dieser Sprache mittheilen, wie die meisten Indianer; und nachdem er Judiths herzliches Händeschütteln und Hetty’s sanftere Begrüßung in der höflichen Weise aufgenommen, wie es einem Häuptling geziemte, wandte er sich weg, offenbar um den Augenblick zu erwarten, wo es seinem Freund belieben möchte, ihm seine weitern Absichten auseinander zu setzen, und ihm zu erzählen, was seit ihrer Trennung sich begeben hatte. Der Andere verstand seinen Wunsch, und offenbarte seine Denk- und Schlußweise in der Sache durch seine Anrede an die Mädchen.

»Dieser Wind wird bald sich ganz legen, nachdem die Sonne unter ist,« sagte er, »und es ist nicht nöthig dagegen zu rudern. In etwa einer halben Stunde wird völlige Windstille seyn, oder der Wind wird von der Südküste her wehen, wo wir dann unsern Rückweg zum Castell antreten wollen; mittlerweile wollen der Delaware und ich über allerlei Sachen uns besprechen, und Jeder nach den Begriffen des Andern seine Ansicht berichtigen über das Verfahren, das wir einzuschlagen haben.«

Niemand widersprach diesem Vorschlag, und die Mädchen entfernten sich in die Cajüte, um die Abendmahlzeit zu beschicken, während die beiden jungen Männer sich auf dem Vordertheil des Fahrzeugs setzten und ein Gespräch begannen. Die Unterredung ward in der Sprache der Delawaren geführt. Da jedoch dieser Dialekt selbst von Gelehrten wenig gekannt ist, wollen wir bei dieser wie bei allen künftigen Gelegenheiten solche Gespräche, die wir genauer mitzutheilen für nöthig erachten, in unsre Sprache übertragen und die Idiome und Eigenthümlichkeiten der Redenden in sofern zu wahren suchen, daß wir die von ihnen gebrauchten Bilder und Redefiguren dem Geiste der Leser in der treuesten und anschaulichsten Weise nahe bringen.

Es ist unnöthig auf die Einzelnheiten einzugehen, welche Wildtödter zuerst berichtete, indem er eine kurze Erzählung der unsern Lesern schon bekannten Thatsachen gab. Erwähnt muß jedoch werden, daß der Erzähler hier nur die Umrisse berührte, und namentlich sich enthielt, Etwas von seinem Kampf mit dem Irokesen und seinem Siege, so wie auch von seinen Bemühungen zu Gunsten der verlassenen Mädchen zu sagen. Als Wildtödter zu Ende war, begann auch der Delaware seine Erzählung und sprach in häufigen Sentenzen, mit viel Ernst und Würde. Sein Bericht war klar und kurz, auch mit keinen Vorfällen ausgeschmückt, die nicht geradezu die Geschichte seiner Reise von den Ortschaften seines Volkes und seine Ankunft im Thal des Susquehannah betroffen hätten. Als er letzteres erreichte, und zwar an einem Punkt, der nur eine halbe Meile südlich von der Ausströmung lag, hatte er bald eine Spur aufgefunden, die ihm die zu vermuthende Nähe von Feinden verrieth. Da er auf ein solches Begebnis vorbereitet war, und ihn ja der Zweck seines Zuges unmittelbar in die Nähe der Truppe von Irokesen rief, von welcher man wußte, daß sie umherstreife, betrachtete er die Entdeckung eher als ein Glück, denn als das Gegentheil, und traf die gewöhnlichen Vorsichtsmaßregeln, um daraus Nutzen zu ziehen. Zuerst folgte er dem Fluß bis zu seinem Ursprung, merkte sich die Lage des Felsens genauer, fand dann wieder eine Spur, und war wirklich schon Stunden lang um die Feinde von verschiedenen Seiten herumgestreift, gleicherweise eine Gelegenheit abwartend, seine Geliebte zu treffen, und einen Skalp zu erbeuten; und es mag die Frage seyn, was er am sehnlichsten wünschte. Er hielt sich in der Nähe des See’s und wagte sich gelegentlich an diesen oder jenen Ort, wo er übersehen konnte, was auf seinem Spiegel vorging. Die Arche war gesehen und beobachtet worden von dem Augenblick an, wo sie in den Bereich des Gesichts kam, obwohl der junge Häuptling natürlich nicht wußte, daß sie das Mittel werden sollte, seine gewünschte Vereinigung mit dem Freunde zu bewirken. Die Unsicherheit ihrer Bewegungen, und der Umstand, daß sie unstreitig von Weißen gelenkt wurde, führte ihn jedoch auf die Vermuthung der Wahrheit, und er hielt sich gefaßt, an Bord derselben zu gehen, sobald sich eine geeignete Gelegenheit darböte. Als die Sonne sich zum Horizont herabsenkte, begab er sich auf den Felsen, wo er, als er aus dem Wald hervortauchte, zu seiner Freude die Arche liegen sah, offenbar bereit, ihn aufzunehmen. Die Art und Weise seines Erscheinens und seines Eintritts in das Fahrzeug ist schon bekannt.

Obgleich Chingachgook seine Feinde Stunden lang genau beobachtet hatte, war doch ihre plötzliche und scharfe Verfolgung, als er die Fähre erreichte, ihm ebenso überraschend, wie seinem Freunde. Er konnte sie sich nur erklären durch den Umstand, daß sie zahlreicher waren, als er zuerst geglaubt, und daß sie Truppe ausgestellt hatten, von deren Vorhandenseyn er Nichts gewußt. Ihr regelmäßiges und bleibendes Lager, wenn das Wort bleibend gebraucht werden darf von dem Aufenthaltsort einer Bande, die aller Wahrscheinlichkeit nur ein paar Wochen aus zu seyn beabsichtigte, war nicht fern von der Stelle, wo Hutter und Hurry in ihre Hände gefallen waren, und natürlich in der Nähe einer Quelle.

»Nun, Schlange,« fragte Wildtödter, als der Andre seine kurze aber lebendige Erzählung beendigt hatte, und zwar in der Delawarensprache, die wir nur zur Bequemlichkeit des Lesers nicht beibehalten haben – »nun Schlange, da Ihr um diese Mingo’s herum spionirt habt: könnt Ihr uns Etwas berichten von ihren Gefangenen; dem Vater dieser Mädchen, und noch Einem, der, wie ich vermuthe, der Liebhaber der Einen von ihnen ist?«

»Chingachgook hat sie gesehen. Ein alter Mann und ein junger Krieger – die fallende Schierlingstanne und die hohe Tanne.«

»Ihr habt’s nicht übel getroffen, Delaware, Ihr habt’s nicht übel getroffen. Der alte Hutter ist wirklich halb zerfallen, obgleich manche tüchtige Klötze noch aus seinem Stamm gehauen werden könnten; und was Hurry Harry anlangt, nach Höhe, Stärke und hübschem Aussehen könnte er wohl der Stolz des menschlichen Waldes genannt werden. Waren die Männer gebunden, oder erlitten sie in irgend einer Weise Martern? Ich frage wegen der jungen Weiber, die, glaub‘ ich, sehr verlangend sind, Etwas zu erfahren.«

»Nicht so, Wildtödter. Die Mingo’s sind so Viele, daß sie ihr Wild nicht in einen Käfig zu sperren brauchen. Einige wachen. Einige schlafen, Einige lauern, Andere jagen. – Die Bleichgesichter werden heute wie Brüder behandelt; morgen werden sie ihre Skalpe verlieren.«

»Ja, das ist rothe Natur, und darein muß man sich schicken! Judith und Hetty, da ist tröstliche Botschaft für Euch! Der Delaware erzählt mir, daß weder Euer Vater noch Hurry Harry Martern zu leiden haben; daß sie, abgerechnet den Verlust der Freiheit, sich so wohl befinden wie wir. Natürlich werden sie im Lager gehalten; im Uebrigen thun sie, was ihnen beliebt.«

»Das freut mich zu hören, Wildtödter,« versetzte Judith, »und jetzt, nachdem Euer Freund bei uns ist, zweifle ich nicht im Mindesten daran, daß wir Gelegenheit finden werden, die Gefangenen auszulösen. Wenn Weiber im Lager sind, so habe ich schon Kleidungsstücke, die ihr Auge blenden sollen; und wenn es zum Schlimmsten käme, könnten wir den guten Schrank öffnen, der, so glaube ich, Sachen in seinem Innern enthalten und offenbaren dürfte, welche die Häuptlinge wohl locken werden.« »Judith,« sagte der junge Mann, sie anblickend mit einem Lächeln und einem Ausdruck ernster Neugier, der trotz der wachsenden Dunkelheit dem beobachtenden Blicke des Mädchens nicht entging, »könnt Ihr es übers Herz bringen, Euch von Euren schönen Sachen zu trennen, um Gefangne zu befreien, von denen freilich der Eine Euer eigner Vater, der Andre Euer geschworner Liebhaber und Freier ist?«

Die Röthe, die sich über das Antlitz des Mädchens ergoß, hatte ihren Grund theils in Verdruß und Unmuth, vielleicht aber noch mehr in einem edlern, neuen Gefühle, das, in Verbindung mit dem launenhaften Eigensinn ihres Geschmacks, sie binnen kurzer Zeit empfindlicher für die gute Meinung des ihr jene Frage vorlegenden Jünglings gemacht hatte, als sie gegen das Urtheil jedes Andern war. Mit instinktartiger Raschheit die Anwandlung von Aerger unterdrückend, antwortete sie mit einer Geradheit und Wahrheit, welche ihre Schwester herbeizogen, um auch zuzuhören, obgleich der stumpfe Geist Hetty’s keineswegs die Bewegungen eines Herzens zu verstehen vermochte, das so verrätherisch, so unzuverlässig und so ungestüm in seinen Gefühlen war, wie das der verwöhnten und vielgeschmeichelten Schönen.

»Wildtödter,« antwortete Judith nach einer augenblicklichen Pause, »ich will ehrlich seyn gegen Euch, Ich gestehe, es war eine Zeit, wo das, was Ihr schöne Sachen nennt, mir das Liebste auf Erden war; aber ich fange an, andres zu denken und zu fühlen. Obgleich Hurry Harry mir Nichts ist, Nichts werden kann, würde ich doch Alles, was ich besitze, hingeben, ihn frei zu machen. Wenn ich dieß thäte für den tobenden, tollen, geschwätzigen Hurry, der nichts Empfehlendes hat als sein gutes Aussehen, könnt Ihr darnach schließen, was ich für meinen Vater thäte.«

»Das klingt gut, und ist gemäß eines Weibes Gaben. Ach ja freilich! dasselbe Gefühl findet sich auch wohl bei den jungen Weibern der Delawaren. Ich habe sie oft und viel ihre Eitelkeit ihrem Herzen opfern sehen. Es ist wie es seyn soll – es ist wie es sich nach meiner Ansicht gebührt für beide Farben. Das Weib ward geschaffen zum Gefühl und wird meist auch beherrscht vom Gefühl.«

»Würden die Wilden Vater gehen lassen, wenn Judith und ich ihnen alle unsre besten Sachen gäben?« fragte Hetty in ihrer unschuldigen sanften Weise.

»Ihre Weiber würden sich drein legen, gute Hetty; ja ihre Weiber würden sich wohl drein legen, wenn sie so Etwas in Aussicht hätten. Aber sagt mir, Schlange, wie ist es mit Weibern unter den Schurken; haben sie viele von ihren eignen Frauen im Lager?«

Der Delaware hörte und verstand Alles, was vorging; obgleich er mit indianischem Ernst und Feinheit, abgekehrten Gesichts, dagesessen hatte, anscheinend nicht achtend auf ein Gespräch, das ihn nicht unmittelbar anging. Jetzt aber, wo er angeredet und befragt wurde, antwortete er seinem Freund in seiner gewöhnlichen kurzen und sentenziösen Weise.

»Sechs!« sagte er, alle Finger der einen Hand und den Daumen der andern emporhaltend, »außer dieser!« die diese bedeutete seine Verlobte; und mit der Poesie und Wahrheit der Natur bezeichnete er sie dadurch, daß er seine Hand auf’s Herz legte.

»Habt Ihr sie gesehen, Häuptling – seyd Ihr ihres lieblichen Antlitzes ansichtig geworden, oder ihrem Ohr nahe genug gekommen, um darein das Lied zu singen, das sie so liebt?«

»Nein, Wildtödter – die Bäume waren zu viele, und Laub bedeckte ihre Aeste, wie Wolken den Himmel bei Gewittern. Aber,« und der junge Krieger wandte sein dunkles Angesicht gegen seinen Freund mit einem Lächeln darauf, das seine trotzig aussehende Bemalung und seine von Natur finstre Züge mit einem lichten Strahl menschlichen Gefühles verklärte, »Chingachgook hat das Lachen von Wah-ta!-Wah gehört; er unterschied es von dem Lachen der Weiber der Irokesen. Es klang in sein Ohr wie das Zwitschern des Zaunkönigs.«

»Ja, darin kann man sich auf eines Liebhabers Ohr verlassen, und auf das eines Delawaren in Betreff aller Töne, die man je in den Wäldern hört. Ich weiß nicht, wie es kommt, Judith, aber wenn junge Männer – und ich glaube fast, es ist ganz ebenso auch bei jungen Weibern – nun, wenn sie zärtliche Gefühle gegen einander bekommen, so ist es wunderbar, wie lieblich das Lachen oder das Sprechen des Einen dem Andern zu tönen anfängt. Ich habe grimmige Krieger dem Plaudern und Lachen junger Mädchen lauschen sehen, als wäre es Kirchenmusik, – so wie man hört in der alten holländischen Kirche, die in der großen Straße von Albany steht, wo ich mehr als einmal mit Pelzwerk und Wildpret gewesen bin.«

»Und Ihr, Wildtödter,« sagte Judith rasch, und mit mehr Empfindung als man sonst in ihrem gewöhnlich so leichten und gleichgültigen Wesen bemerkte, »habt Ihr nie empfunden, wie angenehm es ist, dem Lachen eines geliebten Mädchens zu lauschen?«

»Gott tröste Euch, Mädchen! – ha, ich habe nie lang genug unter meiner eignen Farbe gelebt, um in diese Gattung von Gefühlen zu verfallen – nein, nie! Ich glaube wohl, sie sind natürlich und recht; aber für mich ist keine Musik so schön, als das Pfeifen des Windes in den Gipfeln der Bäume, und das Rauschen eines Baches aus seiner vollen, blitzenden, heimathlichen Quelle reinen frischen Wassers; außer etwa,« fuhr er fort und senkte einen Augenblick nachdenklich den Kopf, »außer etwa ja, der offene Rachen eines zuverlässigen Hundes, wenn ich einem fetten Bock auf der Fährte bin. Was unzuverlässige Hunde sind, nach deren Gebell frage ich wenig, in Betracht, daß sie ebenso oft anfangen zu bellen, wenn das Wild nicht zu sehen, als wenn dieß der Fall ist.«

Judith schritt langsam und nachdenklich weg, auch lag Nichts von ihrer gewöhnlichen berechnenden Koketterie in dem leisen, bebenden Seufzer, der, ihr selbst unbewußt, ihrem Munde entschwebte. Anderntheils horchte Hetty mit argloser Aufmerksamkeit, obgleich es ihrem einfachen Geist als sonderbar auffiel, daß der junge Mann die Melodie der Wälder den Gesängen von Mädchen oder gar dem Lachen der Unschuld und Freude vorziehen sollte. Gewohnt jedoch, in den meisten Dingen sich nach ihrer Schwester zu bequemen, folgte sie bald Judith in die Cajüte, wo sie einen Sitz nahm und längere Zeit tief brütete über einen Vorfall oder Einen Entschluß, oder eine Meinung, wovon außer ihr kein Mensch wußte. Wildtödter und sein Freund, jetzt allein, setzten nun ihr Gespräch fort.

»Ist der junge Bleichgesicht-Jäger schon lange an diesem See?« fragte der Delaware, nachdem er höflich abgewartet, ob nicht der Andere zuerst sprechen werde.

»Erst seit gestern Mittag, Schlange; und doch war dieß lang genug, um Viel zu erleben und zu thun.« Der Blick, den der Indianer auf seinen Genossen heftete, war so scharf, daß er der wachsenden Dunkelheit der Nacht zu spotten schien. Als der Andere verstohlen seinen Blick erwiederte, sah er die zwei scharfen Augen sich anblitzen, wie die Augäpfel des Panthers oder des hungrigen Wolfs. Er verstand den Sinn dieser glühenden Augen, und antwortete ausweichend, wie es nach seiner Meinung sich am besten schickte für die Bescheidenheit eines Mannes mit weißen Gaben.

»Es ist wie Ihr vermuthet, Schlange; ja, es ist Etwas der Art. Ich bin auf einen Feind gestoßen; und ich denke, man kann auch sagen, ich habe mit ihm gekämpft.«

Ein Ausruf der Freude und des Jubels entfuhr dem Indianer; und dann mit der Hand lebhaft den Arm seines Freundes fassend, fragte er ihn, »ob auch Skalpe erbeutet worden seyen.«

»Das ist, will ich gegen den ganzen Stamm der Delawaren, gegen den alten Tamenund und Euern Vater, den großen Uncas, wie gegen alle Uebrigen keck behaupten, das ist gegen die Gaben eines Weißen! Mein Skalp ist auf meinem Kopf, wie Ihr seht, Schlange, und das war der einzige Skalp, der in Gefahr war, da die eine Partei ganz christlich und weiß war.«

»Fiel kein Krieger? – Wildtödter bekam seinen Namen nicht dadurch, daß er von schläfrigem Auge oder ungeschickt mit der Büchse war!«

»In diesem Punkt, Häuptling, sprecht Ihr vernünftiger und kommt daher der Wahrheit näher. Ich darf sagen, ein Mingo ist gefallen.«

»Ein Häuptling?« fragte der Andere mit ungestümer Heftigkeit.

»Nein, das ist Mehr als ich weiß oder sagen kann. Er war schlau, und verrätherisch, und herzhaft, und mag wohl Beifall genug unter seinem Volke sich erworben haben, um zu dieser Würde erhoben zu werden. Der Mann kämpfte gut, obgleich sein Auge nicht schnell genug war für einen Mann, der seine Schule in Eurer Gesellschaft gemacht, Delaware!«

»Mein Bruder und Freund schlug den Mann doch nieder?«

»Ich brauchte das nicht, sintemal der Mingo in meinen Armen starb. Ich kann wohl die Wahrheit gerade heraus sagen; er kämpfte wie ein Mann mit rothen Gaben, und ich wie ein Mann mit Gaben von meiner Farbe. Gott gab mir den Sieg, ich konnte nicht seine Vorsehung ins Angesicht schlagen, indem ich meine Geburt und Natur vergessen hätte. Weiß schuf er mich, und weiß will ich leben und sterben.«

»Gut! Wildtödter ist ein Bleichgesicht und hat Hände eines Bleichgesichts. Ein Delaware wird nach dem Skalp sehen, und ihn auf einen Pfahl hängen, und ein Lied zu seiner Ehre singen, wenn wir zurückgehen zu unserm Volke. Die Ehre gehört dem Stamme; sie darf nicht verloren gehen.«

»Das ist leicht gesagt, aber nicht so leicht gethan. Des Mingo’s Leichnam ist in den Händen seiner Freunde, und ohne Zweifel in einer Höhle verborgen, wo Delawarenlist dem Skalp nie beikommen wird.« Der junge Mann gab dann seinem Freunde einen kurzen aber klaren Bericht von dem Ereigniß des Morgens, Nichts von irgend einigem Belang verhehlend, und doch Alles bescheiden, und mit sorgfältiger Aufmerksamkeit, die indianische Prahlerei zu vermeiden, berührend. Chingachgook drückte wieder seine Freude aus über die von seinem Freunde gewonnene Ehre, und dann standen Beide auf, da die Stunde gekommen war, wo die Klugheit rieth, die Arche weiter vom Land zu entfernen.

Es war jetzt ganz dunkel; der Himmel umwölkt und die Sterne verdeckt. Der Nordwind hatte aufgehört, wie gewöhnlich bei Sonnenuntergang, und ein leiser Luftzug erhob sich von Süden. Da dieß Umschlagen die Absichten Wildtödters begünstigte, lichtete er seinen Anker, und das Fahrzeug fing sogleich und ganz merklich an, weiter in den See hinein zu treiben. Das Segel ward aufgezogen, wodurch die Bewegung des Fahrzeugs zu einer Schnelligkeit von nicht viel weniger als zwei Meilen in der Stunde stieg. Da dieß das Rudern entbehrlich machte – eine Arbeit, nach welcher ein Indianer selten lüstern war – setzten sich Wildtödter, Chingachgook und Judith auf das Hintertheil der Fähre, wo der Erstere mit dem Steuerruder ihre Bewegungen lenkte. Hier besprachen sie sich über ihre künftigen Maßregeln, und über die Mittel, deren man sich bedienen müsse, um die Befreiung ihrer Freunde zu bewirken.

Zu diesem Gespräch trug Judith das Wesentlichste bei; der Delaware verstand ohne Mühe Alles, was sie sagte, seine Antworten und Bemerkungen aber, welche beide selten und kurz waren, wurden gelegentlich von seinem Freund ins Englische übertragen. Judith stieg in der nächsten halben Stunde bedeutend in der Achtung ihres Genossen. Rasch im Entschluß und fest in ihren Absichten, zeugten ihre Vorschläge und Auskunftsmittel von ihrem Muth und ihrem Scharfblick, und beide waren von der Art, daß sie wohl bei Grenzmännern Gunst finden mochten. Die seit ihrer Bekanntschaft vorgefallenen Ereignisse, so wie ihre vereinzelte und abhängige Lage flößten dem Mädchen ein Gefühl gegen Wildtödter ein, als wäre es eine jahrelange Freundschaft, und nicht die Bekanntschaft eines Tags, was sie verband; und so gänzlich war sie gewonnen durch die arglose Wahrhaftigkeit seines Charakters und Gemüths – für sie, so weit ihre Erfahrung reichte, völlige Neuigkeiten an unsrem Geschlecht – daß seine Eigenthümlichkeiten ihre Neugierde rege gemacht, und ein Zutrauen in ihr erweckt hatten, das sie noch nie gegen einen andern Mann empfunden hatte. Bisher hatte sie sich genöthigt gesehen, bei ihrem Verkehr mit Männern sich vertheidigungsweise zu verhalten – mit welchem Erfolg, wußte sie selbst am besten; aber jetzt sah sie sich plötzlich in die Gesellschaft und unter den Schutz eines Jünglings versetzt, der offenbar so wenig Arges gegen sie im Sinne hatte, als wäre er ihr Bruder gewesen. Die Frische seiner Unschuld und Rechtlichkeit, die Poesie und Wahrheit seiner Gefühle, und selbst die Eigenheit seiner Redeweise – Alles äußerte einen Einfluß auf sie, und trug dazu bei, ein Interesse in ihr zu erwecken, das, wie sie fand, ebenso rein als plötzlich und tief war. Hurry’s hübsches Gesicht und männliche Gestalt hatten ihr nie sein lärmendes und gemeines Wesen vergütet; und ihr Verkehr mit den Officieren hatte sie Vergleichungen anstellen gelehrt, bei welchen selbst seine großen natürlichen Vorzüge zu kurz kamen. Aber eben dieser Verkehr mit den Officieren, welche gelegentlich an den See kamen, um zu fischen und zu jagen, wirkte auch mit auf ihre jetzigen Gesinnungen und Empfindungen gegenüber dem jungen Fremden. Die Bekanntschaft mit ihnen hatte sie, während ihre Eitelkeit dadurch geschmeichelt und ihre Eigenliebe geweckt worden war, vielen Grund, tief zu bereuen – wenn nicht gar, in geheimem Kummer darüber zu trauern – denn es hatte ihr bei ihrem lebhaften, raschen Verstand die Beobachtung unmöglich entgehen können, wie hohl der Umgang und Verkehr zwischen Höhern und Geringern sey, und daß sie selbst von den bestgesinnten und am wenigsten berechnenden und listigen unter ihren scharlachröckigen Bewunderern mehr als das kurzweilige Spielzeug einer müssigen Stunde, denn als Gleichgestellte und Freundin betrachtet wurde. Wildtödter dagegen hatte ein Fenster vor seiner Brust, durch welches das Licht seiner Ehrlichkeit immer leuchtete; und selbst seine Gleichgültigkeit gegen Reize, die so selten verfehlten einen lebhaften Eindruck zu machen, spannte den Stolz des Mädchens und verlieh ihm in ihren Augen ein Interesse, das ein Anderer, anscheinend mehr von der Natur begünstigt, nicht leicht erregt hätte.

In dieser Weise verstrich eine halbe Stunde, während welcher die Arche langsam über das Wasser hinglitt, indeß das Dunkel umher immer dichter wurde; obgleich man noch wohl bemerkte, daß der schwarze Wald am südlichen Ende des See’s ferner rückte, während die Berge, welche die Seiten des schönen Beckens einfaßten, ihn beinahe von einer Seite zur andern überschatteten. Doch war noch ein schmaler Streif Wasser in der Mitte des See’s, wo das dämmernde Licht, das noch vom Himmel sich ergoß, auf seinen Spiegel in einer nördlich und südlich sich ausdehnenden Linie fiel; und entlang diesem schwachen Streifen, – eine Art umgekehrter Milchstraße, wo die Dunkelheit nicht so dicht war als an andern Stellen – verfolgte die Fähre ihren Lauf, da ihr Steuermann wohl wußte, daß dieß die gewünschte Richtung sey. Der Leser darf jedoch nicht glauben, es habe irgend eine Schwierigkeit, die einzuhaltende Richtung betreffend, gewaltet. Diese wäre bestimmt worden durch die Strömung des Windes, hätte man auch nicht mehr die Berge unterscheiden können, so wie auch durch die dämmernde Lichtung nach Süden zu, welche die Lage des Thals nach dieser Seite, auf der Ebene von großen Bäumen durch eine etwas verminderte Dunkelheit bezeichnete; – der Unterschied zwischen dem Dunkel des Waldes und dem Dunkel der nur als Luft gesehenen Nacht. Diese Eigenthümlichkeiten nahmen endlich die Aufmerksamkeit Judiths und Wildtödters in Anspruch, und das Gespräch hörte auf, wodurch Jedes Muße erhielt, die feierliche Stille und tiefe Ruhe der Natur zu betrachten.

»Es ist eine finstre Nacht,« bemerkte das Mädchen nach einer Pause von einigen Minuten. »Ich hoffe, wir werden doch das Castell finden können.«

»Daß wir das verfehlen, ist wenig zu besorgen, wenn wir nur diese Richtung in der Mitte des See’s behalten,« versetzte der junge Mann. »Die Natur hat uns hier eine Bahn gemacht, und so finster es ist, wird es doch wenig Schwierigkeit haben, sie zu verfolgen.«

»Hört Ihr nichts, Wildtödter? Es war, als ob das Wasser ganz in unsrer Nähe rauschte.«

»Gewiß hat Etwas das Wasser in Bewegung gebracht, auf eine ungewöhnliche Art; es muß ein Fisch gewesen seyn. Diese Creaturen machen auf einander Jagd, wie Menschen und Thiere auf dem Land; Einer ist in die Luft gesprungen, und ist schwerfällig wieder heruntergesunken in sein Element. Es nützt sie wenig, Judith, aus ihrem Element herauszustreben, da es einmal ihre Natur ist, darin zu bleiben, und die Natur muß ihren Willen haben, Ha! das tönt wie ein Ruder, das mit ungewöhnlicher Vorsicht gehandhabt wird!«

In diesem Augenblick beugte sich der Delaware vor und wies bedeutsam nach dem finstern Horizont, als ob plötzlich seinem Auge etwas aufgestoßen. Wildtödter und Judith folgten der Richtung seiner Geberde und Beide wurden in demselben Augenblick eines Canoe’s ansichtig. Die Wahrnehmung dieses beunruhigenden Nachbars war dämmernd und trüb, und ein minder geübtes Auge hätte darüber in Ungewißheit seyn können; aber die auf der Arche Befindlichen erkannten deutlich ein Canoe mit einer Person darin, welche aufrecht stand und ruderte. Wie Viele im untern Raume versteckt lagen, konnte man natürlich nicht wissen. Einer von starken und geübten Händen gelenkten Barke mittelst Ruderns entfliehen, war ganz unthunlich, und beide Männer ergriffen, eines Kampfes gewärtig, ihre Büchsen.

»Ich kann den Rudrer leicht zu Boden fällen,« flüsterte Wildtödter, »aber wir wollen ihn zuerst anrufen und um sein Vorhaben fragen.« Dann erhob er seine Stimme und rief ernst und feierlich: »Halt! Wenn Ihr näher kommt, muß ich feuern, so wenig ich es wünsche; und dann ist sicherer Tod die Folge. Stellt das Rudern ein und antwortet.«

»Feuert und tödtet ein armes, wehrloses Mädchen,« erwiederte eine sanfte, zitternde weibliche Stimme, »aber Gott wird Euch das nie vergeben! Geht Eures Weges, Wildtödter, und laßt mich den meinigen gehen!«

»Hetty!« riefen der junge Mann und Judith in Einem Athem; und der Erstere sprang sogleich nach der Stelle, wo er das am Tau mitgeführte Canoe gelassen hatte. Es war weg, und nun verstand er die ganze Sache. Die Entflohene, erschrocken über die Drohung, hörte zu rudern auf, und blieb nur dämmernd sichtbar, einem gespenstischen Umriß einer menschlichen Gestalt ähnlich, über dem Wasser stehen. Im nächsten Augenblick ward das Segel herabgelassen, damit die Arche nicht an der Stelle, wo das Canoe sich befand, vorübergleitete. Diese letzte Maaßregel jedoch ward nicht mehr zu rechter Zeit getroffen, denn das Gewicht eines so schweren Fahrzeugs und der Anstoß des zwar schwachen Windes trieben es bald daran vorüber, und bewirkten, daß Hetty gerade hinter dem Winde sich befand, obwohl noch sichtbar, da der Wechsel in der Stellung der beiden Fahrzeuge sie in jene obenerwähnte Art von Milchstraße brachte.

»Was kann dieß bedeuten, Judith?« fragte Wildtödter. »Warum hat Eure Schwester das Canoe genommen und uns verlassen?«

»Ihr wißt, sie ist schwachsinnig, das arme Mädchen! und sie hat ihre eignen Ideen darüber, was zu thun sey. Sie liebt ihren Vater mehr, als die meisten Kinder ihre Eltern lieben – und dann –« »Dann was, Mädchen? Dieß ist ein bedenklicher Augenblick, und wo man die Wahrheit reden muß.«

Judith empfand eine edelmüthige und weibliche Scheu, ihre Schwester zu verrathen, und sie zögerte, ehe sie fortfuhr. Aber noch einmal von Wildtödter dringend aufgefordert, und selbst erkennend die Gefahren alle, welchen die Gesellschaft durch Hetty’s Unklugheit ausgesetzt wurde, konnte sie nicht länger an sich halten.

»Dann fürchte ich auch, die arme schwachsinnige Hetty hat nicht recht die Eitelkeit, die Narrheit und die Tollheit zu sehen vermocht, die hinter dem schönen Gesicht und der stattlichen Gestalt Hurry Harry’s liegen. Sie spricht im Schlaf von ihm, und verräth manchmal ihre Neigung auch in ihren wachen Augenblicken.«

»Ihr meint, Judith, Eure Schwester gehe jetzt mit irgend einem tollen Plan um, ihrem Vater und Hurry zu dienen, der, aller Wahrscheinlichkeit nach, die Gewürme, die Mingo’s in den Besitz eines Canoe setzen wird!«

»So wird es sich, fürchte ich, verhalten, Wildtödter. Die arme Hetty hat schwerlich Schlauheit genug, einen Wilden zu überlisten.«

Die ganze Zeit her war das Canoe, Hetty in aufrechter Stellung am einen Ende desselben stehend, dämmernd sichtbar gewesen, obgleich es bei der raschen Bewegung der Arche mit jedem Augenblicke weniger deutlich wurde. Es war offenbar keine Zeit zu verlieren, wenn es nicht ganz verschwinden sollte. Die Büchsen wurden jetzt als überflüssig bei Seite gelegt; und dann ergriffen die beiden Männer die Ruder und fingen an, das Vordertheil der Fähre gegen das Canoe hin umzuwenden. Judith, an den Dienst gewöhnt, eilte nach dem andern Ende der Arche und stellte sich an den Helm – wenn man so sagen konnte. Hetty erschrack bei diesen Vorkehrungen, die nicht ohne Geräusch getroffen werden konnten, und fuhr auf wie ein Vogel, der plötzlich durch das Herannahen einer nicht erwarteten Gefahr gescheucht wird. Da Wildtödter und sein Genosse mit der Anstrengung von Männern ruderten, welche die Notwendigkeit fühlten, jeden Nerv anzuspannen, und Hetty’s Kräfte geschwächt wurden durch ein ängstliches, krampfhaftes Bestreben zu entfliehen, würde sich die Jagd bald mit der Einholung der Flüchtigen geendigt haben, hätte nicht das Mädchen einige rasche und unvorhergesehene Abweichungen von der geraden Bahn gemacht. Diese Wendungen gewannen ihr Zeit, und sie hatten auch die Wirkung das Canoe und die Arche allmälig in das dichtere Dunkel hineinzuführen, das die Schatten von den Bergen erzeugten. Auch vergrößerten sie allmälig den Abstand zwischen der Fliehenden und ihren Verfolgern, bis Judith ihren Genossen zurief, sie sollten zu rudern aufhören, weil sie das Canoe gänzlich aus dem Gesicht verloren.

Als diese leidige Benachrichtigung erfolgte, war Hetty in der That so nahe, daß sie jede Sylbe verstand, die ihre Schwester sprach; obgleich Letztere die Vorsicht gebraucht hatte, so leise zu sprechen, als nur immer die Umstände gestatteten, falls sie gehört werden wollte. Hetty hörte in demselben Augenblick zu rudern auf, und wartete das weitere Ergebniß ab mit einer Ungeduld, die ebenso sehr in Folge ihrer bisherigen Anstrengungen, wie ihres Wunsches, ans Land zu kommen, eine wahrhaft athemlose zu nennen war. Eine Todtenstille senkte sich inzwischen auf den See, während welcher die drei in der Arche ihre Sinne aufs mannigfachste anstrengten, um die Stellung des Canoe’s zu entdecken. Judith beugte sich vor, um zu horchen, in der Hoffnung, einen Ton zu erlauschen, der verriethe, in welcher Richtung ihre Schwester sich davonstehle; während ihre beiden Genossen die Augen so nahe als möglich hinab ans Wasser hielten, um jeden Gegenstand zu entdecken, der etwa auf seiner Oberfläche schwimme. Alles jedoch war umsonst, denn weder ein erlauschter Ton noch das Sichtbarwerden eines Gegenstandes belohnte ihre Anstrengungen. Diese ganze Zeit über stand Hetty, welche nicht so viel Schlauheit besaß, sich im Boot niederzulegen, aufgerichtet da, einen Finger auf ihren Mund gedrückt, in der Richtung hinausstarrend, von welcher her sie die Stimmen gehört hatte, einer Bildsäule schweigender und scheuer Erwartung ähnlich. Ihre List war nur so weit gegangen, daß sie in der erzählten Weise ohne Geräusch des Canoe’s sich zu bemächtigen und die Arche zu verlassen im Stande gewesen war; dann schien sie für den Augenblick gänzlich erschöpft. Selbst die Abweichungen des Canoe’s waren ebenso sehr die Folgen einer unsichern Hand und einer Nervenaufregung, als einer schlauen Berechnung gewesen.

Diese Pause währte einige Minuten, während welcher Wildtödter und der Delaware in der Sprache des Letztern sich beriethen. Dann tauchten die Ruder wieder ins Wasser, und die Arche bewegte sich, aber mit so wenig Geräusch als nur möglich. Sie steuerte westlich, etwas südlich, oder in der Richtung auf das Lager des Feindes zu. Nachdem sie einen vorliegenden Punkt, nicht weit von der Küste entfernt, erreicht hatte, wo wegen der Nähe des Landes die Finsterniß sehr dicht war, blieb sie hier beinahe eine Stunde liegen, das gehoffte Herankommen Hetty’s zu erwarten, die, so dachte man, diesem Punkt nach Kräften zueilen würde, sobald sie sich der Gefahr der Verfolgung entledigt glauben würde. Aber diese kleine Blokade wurde von keinem Erfolg gekrönt; weder der Gesichtssinn noch der Gehörsinn konnten das Vorbeifahren eines Canoe’s entdecken. Verdrüßlich über dieß Mißlingen, und erkennend wie wichtig es sey, von dem Castell Besitz zu ergreifen, ehe der Feind sich seiner bemächtige, schlug jetzt Wildtödter die Bahn dahin ein mit der Befürchtung, daß alle seine Vorsicht, als er die Canoe’s in Sicherheit gebracht, vereitelt seyn werde durch diesen unbewachten und beunruhigenden Schritt von Seiten der schwachsinnigen Hetty.

Zehntes Kapitel.

Zehntes Kapitel.

    »Aber Wer in diesem wilden Wald
Mag Glauben schenken seinem Aug‘ und Ohr,
Wo von dem Felsabhang, aus hohler Schlucht
Ein wirr und bunt Getön von dürrem Laub,
Von Zweigeknistern und Nachtvögelkrächzen
Antwort zu geben scheint!«
Johanna Baillie.

Furcht ebenso sehr als Berechnung hatte Hetty veranlaßt, das Rudern einzustellen, als sie entdeckte, daß ihre Verfolger nicht wüßten, in welcher Richtung sie weiter steuern sollten. Sie blieb ruhig, bis die Arche in die Nähe des Lagers sich gewendet hatte, wie im vorigen Kapitel erzählt worden; da ergriff sie wieder das Ruder, und mit vorsichtigen Schlägen strebte sie der westlichen Küste zu. Um jedoch ihren Verfolgern auszuweichen, die, wie sie richtig vermuthete, bald auch diese Küste entlang rudern würden, richtete sie das Vordertheil ihres Canoe’s so weit nördlich, daß sie ans Land kam an einem vorspringenden Punkt, welcher etwa eine Stunde von der Ausströmung entfernt, in dem See auslief. Auch war dieß nicht ganz nur das Ergebniß ihres Wunsches, zu entkommen; denn Hetty Hutter, so schwachsinnig sie war, besaß doch nicht Wenig von jener instinktartigen Vorsicht, welche oft die von Gott so Heimgesuchten vor Unheil bewahrt. Sie erkannte vollkommen, wie wichtig es sey, die Canoe’s nicht in die Hände der Irokesen fallen zu lassen; und lange, vertraute Bekanntschaft mit dem See hatte ihr eines der einfachsten Auskunftsmittel an die Hand gegeben, wodurch dieser wichtige Augenmerk mit ihrem eignen Plane in Einklang gebracht wurde.

Der fragliche Punkt war der erste Landvorsprung auf dieser Seite des See’s, wo ein Canoe, wenn man es bei Südwind forttreiben ließ, vom Lande wegschwimmen mußte, und sogar, wie man ohne große Verletzung der Wahrscheinlichkeit annehmen durfte, das Castell erreichen konnte, denn dieses lag über ihm, beinahe in gerader Linie mit dem Wind. Dieß war denn Hetty’s Absicht; und sie landete auf der äußersten Spitze des sandigen, vorspringenden Punktes, unter einer überhangenden Eiche, mit dem ausdrücklichen Vorhaben, das Canoe von der Küste wegzustoßen, damit es ihres Vaters insularischer Behausung zuschwimme. Auch wußte sie von den Stämmen her, die gelegentlich auf dem See herumschwammen, daß, wenn es auch das Castell und Zugehör verfehlte, der Wind wahrscheinlich umschlagen würde, ehe es das nördliche Ende des See’s erreichte, und hoffte, Wildtödter würde wohl Gelegenheit haben, es am Morgen wieder aufzufangen, wenn er, wie kaum zu bezweifeln, die Oberfläche des Wassers und seine gesammten umwaldeten Küsten mit dem Fernglas ernstlich durchmustern würde. Auch in diesem Allen ward Hetty weniger von einer eigentlichen Schlußkette, als von ihrem gewohnheitsmäßigen dunkeln Bewußtseyn geleitet; und dieß letztere ersetzt oft bei menschlichen Wesen die Schwächen des Geistes, wie es ja auch, oder ein Analogon davon, bei Thieren der niedern Gattungen denselben Dienst leistet.

Das Mädchen brauchte eine volle Stunde, bis sie zu dem Landvorsprung gelangte, denn die Entfernung und die Dunkelheit hielten sie lange auf; sobald sie aber den Kiesstrand erreicht hatte, schickte sie sich auch an, das Canoe in der angegebnen Weise dem Spiel des Wassers anzuvertrauen. Während sie es zurückdrängte, hörte sie leise Stimmen, die von den Bäumen hinter ihr her zu kommen schienen. Erschrocken über diese unerwartete Gefahr stand Hetty schon auf dem Punkt, wieder in das Canoe zu springen, um ihr Heil in der Flucht zu suchen, als sie die Töne von Judiths melodischer Stimme zu erkennen glaubte. Sie beugte sich vor, um die Töne unmittelbar aufzufassen, und erkannte deutlich, daß sie vom Wasser her kamen: jetzt begriff sie, daß die Arche sich von Süden her nähere, und zwar so nahe an der westlichen Küste, daß sie nothwendig an dem Landvorsprung auf zwanzig Schritte von dem Ort, wo sie stand, vorbeikommen mußte. Hier hatte sie denn Alles, was sie wünschen konnte; sie schob das Canoe zurück in den See, und die bisherige Fergin blieb allein auf dem schmalen Strand zurück.

Nach Vollbringung dieser Handlung der Selbstaufopferung zog sich Hetty nicht zurück. Das Laub der überhängenden Bäume und Gebüsche würde sie beinahe ganz versteckt haben, wenn es auch licht gewesen wäre; aber in dieser Finsterniß war es ganz unmöglich, einen so beschatteten Gegenstand auch nur auf einige Schritte zu entdecken. Auch die Flucht war ganz leicht, da sie mit zwanzig Schritten sich im Schooß des Waldes begraben konnte. Sie blieb daher, mit heftiger Spannung das Ergebnis ihrer Maßregel abwartend, mit dem Vorsatz, die Aufmerksamkeit der Andern durch Rufen auf das Canoe zu lenken, sollte es den Anschein haben, als führen sie ohne es zu beachten vorüber. Die Arche näherte sich wieder unter Segel; Wildtödter stand auf dem Bug, Judith neben ihm, und der Delaware am Helm. Es schien beinahe, als habe die Arche in der Bai unten sich zu nahe an die Küste gewagt, in der immer noch nicht aufgegebenen Hoffnung, Hetty abzuschneiden, denn wie sie näher kam, hörte die Letztere deutlich, wie der junge Mann vorn seinem Genossen Weisungen gab, um an dem Landvorsprung vorbeizukommen.

»Lenkt die Spitze mehr ab von der Küste, Delaware,« sagte Wildtödter zum dritten Male auf Englisch, damit seine schöne Genossin seine Worte verstehe; »lenkt die Spitze recht ab von der Küste. Wir sind hier zu weit hereingekommen, und müssen mit dem Mast aus den Bäumen heraus. Judith, hier ist ein Canoe!«

Die letzten Worte wurden mit großem Ernst gesprochen, und Wildtödters Hand hatte seine Büchse gefaßt, ehe sie ganz über seine Lippen waren. Aber die Wahrheit ging sogleich wie ein Licht dem raschen Geiste des Mädchens auf, und sie sagte sogleich ihrem Begleiter, das Boot müsse dasjenige seyn, worin ihre Schwester entflohen.

»Lenkt die Fähre geradaus, Delaware! steuert so schnurgerade zu, wie Eure Kugel fliegt, wenn einem Bock in das Herz geschickt; – so, ich habe es!«

Das Canoe ward ergriffen und sogleich wieder an der Seite der Arche befestigt; im nächsten Augenblick ward das Segel eingezogen, und die Bewegung der Arche mittelst der Ruder gehemmt.

»Hetty!« rief Judith, und Theilnahme, selbst Zärtlichkeit sprach sich in ihrem Tone aus; »wenn du mich hörst, Schwester, um Gottes willen, antworte und laß mich wieder den Ton deiner Stimme hören! Hetty! – liebe Hetty!«

»Ich bin hier, Judith, hier, auf der Küste, wo es vergeblich wäre, mich zu verfolgen; denn ich will mich in den Wäldern verstecken.«

»Oh, Hetty! was machst Du! Bedenke es ist bald Mitternacht, und die Wälder sind voll von Wilden und von wilden Thieren!«

»Beide werden einem armen, nur halb klugen Mädchen kein Leid thun, Judith. Gott ist hier so gut bei mir, als er in der Arche oder in der Hütte es seyn würde. Ich bin im Begriff, meinem Vater und dem armen Hurry Harry zu Hülfe zu eilen, welche werden gemartert werden; wenn nicht Jemand sich ihrer annimmt.«

»Wir Alle nehmen uns ihrer an, und beabsichtigen, ihnen morgen eine Friedensfahne zu schicken, um ihre Loslassung zu erkaufen. Komm daher zurück, Schwester, vertraue uns, die wir stärkere Köpfe haben als du, und Alles, was wir können, für Vater thun werden.«

»Ich weiß, dein Kopf ist stärker als der meinige, Judith, denn der meinige ist freilich sehr schwach; aber ich muß zu Vater und zu dem armen Hurry. Behauptet Ihr, Du und Wildtödter das Castell; mich laßt in der Hand Gottes!«

»Gott ist bei uns Allen, Hetty – im Castell oder auf der Küste – beim Vater so gut wie bei uns; und es ist Sünde, nicht auf seine Güte vertrauen. Du kannst Nichts thun in der Finsterniß, wirst dich im Walde verirren und durch Mangel an Nahrung umkommen,«

»Gott wird das nicht einem armen Mädchen geschehen lassen, das geht, seinem Vater zu dienen, Schwester. Ich muß es versuchen und die Wilden aufsuchen.«

»Komm zurück, nur für diese Nacht: am morgen wollen wir dich an’s Land setzen und dich handeln lassen nach deinem Gutdünken.«

»Du sagst so, und denkst so, aber du würdest es nicht thun. Dein Herz würde weich werden, und du würdest Tomahawks und Skalpiermesser in der Luft sehen. Zudem habe ich mir vorgenommen, dem indianischen Häuptling Etwas zu sagen, was allen unsern Wünschen entsprechen wird; und ich fürchte, es zu vergessen, wenn ich es ihm nicht sofort sage. Ihr werdet sehen, er läßt den Vater frei, sobald er es hört.«

»Arme Hetty! Was kannst du einem trotzigen Wilden sagen, wodurch irgend seine blutdürstigen Anschläge sollten umgewandelt werden?«

»Etwas, das ihn erschrecken und ihn bewegen wird, Vater gehen zu lassen,« versetzte das einfältige Mädchen in bestimmtem Tone. »Du wirst es sehen, Schwester, wie bald es ihn dazu bringen wird, wie ein folgsames Kind!«

»Wollt Ihr mir sagen, was Ihr ihm zu sagen beabsichtigt?« fragte Wildtöter. »Ich kenne die Wilden gut, und kann mit einiger Wahrscheinlichkeit berechnen, in wie weit gute Worte auf ihre blutdürstigen Gemüther wirken werden oder nicht. Wenn es nicht den Gaben einer Rothhaut gemäß ist, so wird es nichts helfen; denn Vernunft geht nach Gaben, wie die Handlungsweise.«

»Gut denn,« antwortete Hetty, ihre Stimme zu leisem, vertraulichem Tone sinken lassend; denn die Stille der Nacht und die Nähe der Arche gestatteten ihr dieß zu thun und doch gehört zu werden. »Gut denn, Wildtödter, da Ihr ein guter und redlicher junger Mann scheint, will ich es Euch sagen. Ich habe im Sinne, keinem der Wilden ein Wort zu sagen, bis ich Angesicht gegen Angesicht ihrem obersten Häuptling gegenüber stehe, mögen sie mich plagen mit so vielen Fragen als sie wollen; nein – ich will ihnen keine beantworten als daß ich ihnen sage, sie sollen mich zu ihrem weisesten Manne führen. Dann, Wildtödter, will ich ihm sagen, daß Gott Mord und Raub nicht verzeihen wird, und daß, wenn Vater und Hurry auf die Skalpe der Irokesen ausgingen, er Böses mit Gutem vergelten müsse, denn so gebeut die Bibel, sonst werde er eingehen zur ewigen Strafe. Wenn er das hört, und fühlt, daß es wahr ist – wie er das muß; wie lange wird es dann anstehen, bis er Vater und Hurry und mich an die Küste schickt, gegenüber dem Castell, und uns alle drei unsers Weges im Frieden gehen heißt?«

Die letzte Frage sprach sie in triumphirendem Tone; und dann lachte das einfältige Mädchen über den Eindruck, den, wie sie keinen Augenblick zweifelte, ihr Plan auf ihre Zuhörer gemacht. Wildtödter war stumm vor Erstaunen über diesen Beweis von argloser Geistesschwäche; Judith aber hatte sich rasch auf ein Mittel besonnen, diesem unsinnigen Anschlag entgegenzuwirken, dadurch, daß sie eben auf die Gefühle zu wirken suchte, aus welchen er entsprungen war, ohne daher die letzte Frage oder das Lachen zu beachten, rief sie hastig ihre Schwester beim Namen, wie wenn sie plötzlich ergriffen würde vom Bewußtseyn der Wichtigkeit dessen, was sie zu sagen hatte. Aber keine Antwort erfolgte auf den Ruf.

Aus dem Krachen von Zweigen und Rauschen von Blättern erhellte deutlich, daß Hetty die Küste verlassen hatte, und sich schon in dem Dickicht des Waldes begrub. Ihr folgen wäre zwecklos gewesen, da die Dunkelheit so wie auch der Schutz und das Versteck, das die Wälder überall boten, es so gut als unmöglich machten, sich ihrer wieder zu bemächtigen; und dann war auch die nie aufhörende Gefahr, ihren Feinden in die Hände zu fallen. Nach einer kurzen und traurigen Berathung ward daher das Segel wieder aufgezogen, und die Arche verfolgte ihren Lauf ihrem gewöhnlichen Ankerplatz zu, während Wildtödter sich schweigend Glück wünschte zur Wiedererlangung des Canoes, und über seinen Plan für den nächsten Tag brütete. Der Wind erhob sich, als die Gesellschaft den Vorsprung verließ, und in weniger als einer Stunde erreichten sie das Castell. Hier fand man Alles wie man es verlassen; und man hatte nun die Maßregeln und Ceremonien, die man vorgenommen, als man das Gebäude verlassen hatte, in umgekehrter Ordnung durchzumachen, da man wieder zurückkam. Judith nahm in dieser Nacht ein einsames Bett ein, dessen Kissen sie mit ihren Thränen befeuchtete, wenn sie an das unschuldige, bisher vernachlässigte Geschöpf dachte, das von Kindheit an ihre Genossin gewesen; und bittre Gefühle der Trauer und Reue, aus mehr als Einer Quelle entspringend, kamen über ihr Gemüth, wie die Stunden träg dahinschlichen und es wurde beinahe Morgen, ehe sich ihr Bewußtseyn im Schlaf verlor. Wildtödter und der Delaware legten sich in der Arche zur Ruhe, wo wir sie dem süßen, tiefen Schlaf der Redlichkeit, der Gesundheit und Furchtlosigkeit überlassen und zu dem Mädchen zurückkehren wollen, das wir zuletzt im Dickicht des Waldes gesehen.

Als Hetty die Küste verließ, schlug sie ohne Bedenken den Weg in die Wälder ein, in fast krampfhafter Angst, verfolgt zu werden. Zum Glück war dieser Weg der beste, den sie einschlagen konnte, zur Erreichung ihres Vorhabens, denn es war der einzige, der sie von dem Landvorsprung nach Innen führte. Die Nacht war so stockdunkel unter den Zweigen der Bäume, daß sie nur sehr langsam weiter kommen konnte, und nach den ersten paar Schritten die Richtung, die sie wählte, ganz Sache des Zufalls war. Die Formation des Bodens jedoch erlaubte ihr nicht, bedeutend von der Linie abzuweichen, in welcher sie sich zu halten wünschte. Auf der einen Seite war er bald begrenzt durch den steil ansteigenden Hügel, während auf der andern der See als Führer diente. Zwei Stunden lang arbeitete sich dieß auf sich allein gewiesene, blöde Mädchen durch die Irrpfade des Forstes; manchmal fand sie sich auf dem Rand der an den See grenzenden Uferhöhe, und dann wieder rang sie sich eine Erhöhung hinan, die sie warnte in dieser Richtung nicht weiter zu gehen, da sie nothwendig in einem rechten Winkel die Bahn durchschneiden mußte, auf der sie vorwärts wollte. Oft glitten ihre Füße aus, und manchen Fall that sie, wiewohl keinen, wobei sie sich beschädigte; aber nach Ablauf der genannten Zeit war sie so müde geworden, daß ihr die Kräfte fehlten, weiter zu wandern. Ruhe war ihr unentbehrlich; und sie machte sich daran, sich ein Lager zu bereiten, mit der Unbedenklichkeit und Kaltblütigkeit eines Gemüths, das die Wildniß mit keinen unnöthigen Aengsten erfüllte. Sie wußte, daß wilde Thiere in dem ganzen benachbarten Wald herumstreiften, aber solche Bestien, die den Menschen nachstellen, selten – und gefährliche Schlangen im buchstäblichen Sinne keine da waren. Diese Umstände waren ihr von ihrem Vater bekannt; und was einmal ihr schwacher Geist aufnahm, das nahm er so vertrauend auf, daß ihr gar keine Unbehaglichkeit verursachende Zweifel und Bedenklichkeiten übrig blieben. Ihr war die Erhabenheit der Einsamkeit, in die sie sich versetzt sah, eher tröstlich als entsetzlich; und sie raffte sich ein Bett von Laub zusammen mit solcher Gleichgültigkeit gegen die Umstände, welche aus der Seele der Meisten ihres Geschlechts jeden Gedanken an Schlaf würden verscheucht haben, als rüstete sie sich ihre allnächtliche Schlafstätte unter dem väterlichen Dache zu.

Sobald Hetty eine hinlängliche Menge trocknen Laubs gesammelt hatte, um sich gegen die feuchte Ausdünstung des Bodens zu schützen, kniete sie neben dem niedern Haufen, faltete ihre erhobenen Hände in einer Stellung inniger Frömmigkeit, und sagte mit sanfter leiser, aber vernehmlicher Stimme das Gebet des Herrn her. Darauf folgten jene einfachen und frommen Verse, den Kindern so bekannt, worin sie ihre Seele Gott empfahl, falls sie vor der Wiederkehr des Morgens in ein andres Daseyn sollte abgerufen werden. Nach Erfüllung dieser Pflicht legte sie sich nieder und schickte sich zum Schlummer an. Die Kleidung des Mädchens, obwohl der Jahrszeit entsprechend, war für alle gewöhnliche Vorkommnisse warm genug; aber der Wald ist immer kühl und die Nächte in diesem höher gelegenen Landstrich waren immer von einer Frische, welche die Kleidung nothwendiger machte, als gewöhnlich der Fall ist in dem Sommer eines tiefen Breitegrades. Dieß war von Hetty vorausgesehen worden und sie hatte einen groben, schweren Mantel mitgenommen, der, auf den Körper gebreitet, alle nützlichen Dienste eines Teppichs leistete. So geschützt sank sie in wenigen Minuten in einen Schlaf, so ruhig, als würde sie bewacht von dem sorglichen Schutzgeist der Mutter, die erst so kurz auf immer von ihr genommen worden war, und es war in diesem Punkt ein höchst ergreifender Contrast zwischen ihrem armen Lager und dem von Schlummer geflohenen Kissen ihrer Schwester.

Stunde auf Stunde verstrich da in so ungestörter Ruhe, und so süßem Schlaf, als ob eigens damit beauftragte Engel um das Lager der Hetty Hutter wachten. Nicht einmal öffneten sich ihre sanften Augen, bis die grauende Dämmerung kämpfend durch die Wipfel der Bäume brach, auf ihre Augenlieder fiel, und vereint mit der Kühle eines Sommermorgens, die gewöhnliche Anmahnung zum Erwachen gab. In der Regel war Hetty auf, ehe die Strahlen der Sonne die Gipfel der Berge berührten; aber dießmal war ihre Erschöpfung so groß, und ihr Schlaf so tief gewesen, daß die gewohnten Anforderungen und Zeichen ihre Wirkung nicht thaten. Das Mädchen murmelte in ihrem Schlaf, streckte einen Arm aus, lächelte so sanft wie ein Kind in der Wiege, schlummerte aber fort. Bei dieser unbewußten Bewegung fiel ihre Hand auf einen warmen Gegenstand, und in dem halbbewußten Zustand, worin sie sich befand, brachte sie diesen Umstand mit ihrem gewohnten Leben in Verbindung. Im nächsten Augenblick ward sie derb von der Seite angegriffen und gestoßen, wie wenn ein wühlendes Thier seine Schnauze unter ihr einschöbe, um sie aus ihrer Stellung zu verdrängen; und jetzt wachte sie auf mit dem Ruf: »Judith!« Als das aufgeschreckte Mädchen sich in eine sitzende Stellung erhob, bemerkte sie, daß etwas Dunkles von ihr wegspringe, das in seiner Hast das Laub zerstreute, und die gefallnen Zweige knickte. Die Augen öffnend, und von der ersten Verwirrung und Bestürzung über ihre Lage sich erholend, bemerkte Hetty einen jungen Bären, von der gemeinen amerikanischen braunen Gattung, der sich auf seinen Hinterpfoten wiegte, und sich noch nach ihr umschaute, als zweifelte er, ob es sicher wäre, sich ihrer Person wieder zu nähern. Der erste Gedanke Hetty’s, die schon mehrere solche junge Bären besessen hatte, war, hinzulaufen und das kleine Geschöpf als ihre Beute in Besitz zu nehmen, aber ein lautes Gebrumme warnte sie vor der Gefahr eines solchen Beginnens. Einige Schritte zurücktretend, sah sich das Mädchen hastig um, und ward jetzt der Bärenmutter gewahr, die in nicht großer Entfernung ihre Bewegungen mit feurigen Augen beobachtete. Ein hohler Baum, früher die Behausung von Bienen, war kürzlich gefallen, und die Mutter mit zwei weitern Jungen erlabte sich an der leckern Speise, welche der Zufall ihnen geboten, wobei die erstere jedoch mit eifersüchtigem Auge das Thun und Treiben ihres sorglosen, davonlaufenden Kindes beobachtete.

Er überschritte alle Mittel menschlicher Erkenntniß, wollte man sich anmaßen, die Einflüsse zu erklären, welche das Thun der niedern Thiere beherrschen. In dem vorliegenden Falle legte die Bärin, obgleich ihre Wildheit in dem Falle, wo sie ihre Jungen gefährdet glaubt, sprichwörtlich geworden ist, keine Absicht an den Tag, das Mädchen anzugreifen. Sie verließ den Honig und begab sich an eine Stelle, zwanzig Fuß von ihr entfernt, wo sie sich auch auf ihren Hinterpfoten erhob und ihren Körper mit einer Art zornigen und brummenden Mißbehagens hin und herwiegte, aber nicht näher kam. Zum Glück floh Hetty nicht. Im Gegentheil obgleich nicht frei von Angst, kniete sie, das Angesicht gegen das Thier gekehrt, nieder, und mit gefalteten Händen und himmelwärts gerichtetem Auge sagte sie wieder das Gebet der vorigen Nacht her. Diese fromme Handlung war nicht die Wirkung der Furcht, sondern es war eine Pflicht, deren Erfüllung sie nie versäumte vor dem Einschlafen und wenn die Rückkehr des Bewußtseyns sie zu der Arbeit des Tages weckte. Wie das Mädchen vom Knieen sich erhob, ließ sich die Bärin wieder auf ihre Füße nieder, sammelte ihre Jungen um sich her, und ließ sie ihre natürliche Nahrung saugen. Hetty freute sich über diesen Beweis von Zärtlichkeit bei einem Thier, das in Betreff der edleren Gefühle nur einen sehr zweideutigen Ruf hat; und als ein Junges seine Mutter zu verlassen beliebte und muthwillig sich umwälzte und sprang empfand sie wieder ein lebhaftes Verlangen, es in ihre Arme zu nehmen und damit zu spielen. Aber durch das Brummen gewarnt, besaß sie Selbstbeherrschung genug, diesen gefährlichen Vorsatz nicht in Ausführung zu bringen; und ihres Vorhabens sich erinnernd, das ihrer in den Bergen wartete, riß sie sich von der Gruppe los und setzte ihre Wanderung fort am Saum des See’s, dessen sie jetzt wieder durch die Bäume ansichtig wurde. Zu ihrer Verwunderung, die jedoch frei war von Unruhe, erhob sich die Bärenfamilie und folgte ihren Schritten, in kleiner Entfernung von ihr sich haltend; dem Anschein nach jede ihrer Bewegungen beobachtend, als ob sie ein lebhaftes Interesse hätten an Allem, was sie that.

In dieser Weise, begleitet von der Bärin und den Jungen, wandelte das Mädchen beinah eine Meile weit, dreimal die Entfernung, die sie in der Dunkelheit während derselben Zeit hatte zurücklegen können. Dann gelangte sie an einen Bach, der sich selbst ein Bett in die Erde gewühlt hatte, und sprudelnd zwischen steilen und hohen Abhängen, mit Bäumen bedeckt, in den See eilte. Hier verrichtete Hetty ihre Waschungen; dann trank sie von dem reinen Bergwasser, und setzte ihren Weg fort, erfrischt und leichtern Herzens, immer noch gefolgt von ihren seltsamen Begleitern. Ihr Weg führte sie jetzt eine breite und beinah ebene Terrasse entlang, die sich von dem Gipfel der das Wasser begrenzenden Uferhöhe zu einem sanften Abhang erstreckte, welche oben zu einer zweiten, unregelmäßigen Plattform anstieg. Dieß war in einem Theile des Thals, wo die Berge quer hinliefen, den Anfang einer Ebene bildend, welche zwischen den Hügeln sich ausbreitete, südlich von dem Wasserspiegel. Hetty erkannte aus diesem Umstande, daß sie sich dem Lager näherte, und wäre dieß nicht gewesen, so hätten sie die Bären von der Nähe menschlicher Wesen in Kenntniß gesetzt. In die Luft hinaus schnüffelnd, bezeigte die Bärin keine Lust, ihr weiter zu folgen, obgleich das Mädchen sich umsah, und sie mit kindischen Zeichen und selbst mit förmlichen Aufforderungen in dem ihr eignen süßen Tone herbei lockte. Während sie so langsam durch Buschwerk weiter schritt, das Angesicht abgewendet und die Augen auf die unbeweglichen Thiere geheftet, fühlte das Mädchen ihre Schritte plötzlich gehemmt durch eine menschliche Hand, die sie leicht an der Schulter faßte.

»Wohin gehen?« sagte eine sanfte weibliche Stimme, hastig und theilnehmend sprechend; »Indianer – Rothmann – Wilder – arger Krieger – dorthinzu!«

Dieser unerwartete Gruß erschreckte das Mädchen so wenig als die Erscheinung der wilden Bewohner des Waldes. Zwar überraschte er sie ein wenig; aber sie war gewissermaßen gefaßt auf solche Begegnungen und das Wesen, das sie anhielt, war so wenig gemacht, Schrecken einzuflößen, als irgend eines, das je in indianischer Gestalt erschien. Es war ein Mädchen, nicht viel älter als sie selbst, deren Lächeln so sonnig war wie das Judiths in ihren glänzendsten Augenblicken, deren Stimme Wohllaut war, und deren Worte und Benehmen all die schüchterne Sanftheit besaßen, die das andere Geschlecht charakterisirt unter einem Volke, das seine Weiber wie Dienerinnen und Sklavinnen der Krieger behandelt. Schönheit ist bei den Frauen der amerikanischen Urbewohner, ehe sie die Mühsale von Weibern und Müttern durchzumachen haben, keineswegs ungewöhnlich. In diesem Punkt waren die ursprünglichen Inhaber des Landes ihren civilisirteren Nachfolgern nicht unähnlich; die Natur schien ihnen die Zartheit der Züge und Umrisse verliehen zu haben, welche einen so großen Reiz des jugendlichen Weibes ausmacht, aber deren sie so frühe verlustig werden, und zwar ebenso sehr in Folge der Einrichtungen und Verhältnisse des häuslichen Lebens, als aus andern Ursachen. Das Mädchen, welches Hetty so plötzlich angehalten hatte, war bekleidet mit einem Calico-Mantel, welcher den ganzen obern Theil ihres Körpers recht gut schützte, während ein kurzer Unterrock von blauem Tuch mit goldnen Borten gesäumt, der nur bis an’s Knie reichte, gleiche Beinkleider und Moccasins von Hirschleder ihren Anzug vollendeten. Ihr Haar fiel in langen dunkeln Flechten über Schultern und Rücken und war über einer niedern, glatten Stirne gescheitelt in einer Art, daß dadurch der Ausdruck von Augen voll Schlauheit und natürlichem Gefühl gemildert wurde. Ihr Gesicht war oval, von feinen Zügen; die Zähne waren gleich und weiß, während der Mund eine schwermüthige Weichheit aussprach, als trüge er diesen eigenthümlichen Ausdruck vermöge instinktmäßigen Bewußtseyns des Schicksals eines Geschöpfs, das von der Geburt an dazu verurtheilt war, die Mühsale des Weibes, erhöht noch durch die Gefühle und Zärtlichkeit ihres Geschlechts zu erdulden. Ihre Stimme, wie schon angedeutet, war sanft, wie das Seufzen der Nachtluft, eine bezeichnende Eigenthümlichkeit der Weiber ihrer Race, an ihr selbst aber so auffallend, daß sie daher den Namen Wah-ta!-Wah bekommen hatte, – Europäisch etwa mit Hist-oh!-Hist auszudrücken. Mit einem Wort, es war dieß die Verlobte Chingachgooks, der man, nachdem es ihr gelungen war, jeden Verdacht einzuschläfern, erlaubt hatte, um das Lager derer, die sie gefangen hielten, herumzustreifen. Diese Nachsicht war im Einklang mit der allgemeinen Politik der rothen Männer, die zudem wohl wußten, daß man im Falle der Flucht ihre Spur verfolgen könnte. Man wird auch nicht außer Acht lassen, daß die Irokesen oder Huronen, wie man sie vielleicht besser nennen würde, durchaus nichts von der Nähe ihres Liebhabers wußten, ein Umstand, der ihr freilich selbst auch unbekannt war.

Es wäre nicht leicht zu sagen, Welche von beiden bei dieser unerwarteten Begegnung am meisten Selbstbeherrschung zeigte, das weiße oder das rothe Mädchen. Aber Wah-ta!-Wah, obgleich ein wenig überrascht, war die zum Sprechen Aufgelegtere, und bei weitem rascheren Geistes, Folgen vorauszusehen, so wie Mittel zu ersinnen, um jenen zu begegnen. Ihr Vater war während ihrer Kindheit vielfach von den Behörden der Colonie als Krieger verwendet und benützt worden, und bei einem mehrjährigen Aufenthalt in der Nähe der Forts hatte sie einige Bekanntschaft mit dem Englischen sich erworben, das sie in der gewöhnlichen abkürzenden Weise der Indianer, aber geläufig und ohne den gewöhnlichen Widerwillen ihres Volkes sprach.

»Wohin gehen?« fragte wieder Wah-ta!-Wah, das Lächeln Hetty’s in der ihr eignen anmuthigen Weise erwiedernd, »schlimmer Krieger, dort – guter Krieger – fern weg!«

»Was ist Euer Name?« fragte Hetty mit der Einfalt eines Kindes.

»Wah-ta!-Wah. Ich keine Mingo – gute Delawarin – Yengeese’s Freundin. Mingo sehr grausam und Skalpe lieben um des Bluts willen – Delawaren sie lieben der Ehre willen. Kommt hieher wo keine Augen.«

Wah-ta!-Wah führte jetzt ihre Genossin dem See zu, die Anhöhe so weit hinabsteigend, daß deren überhangende Bäume und Gebüsche zwischen ihnen und etwaigen Lauschern standen; und sie machte nicht eher Halt, als bis sie nebeneinander auf einem gefallenen Baumstamm saßen, dessen eines Ende wirklich im Wasser lag.

»Warum kommt Ihr?« fragte die junge Indianerin lebhaft; »woher kommt Ihr?«

Hetty erzählte ihre Geschichte in ihrer einfachen, treuherzigen Weise. Sie erklärte das Unglück ihres Vaters, und sprach ihren Wunsch aus, ihm zu dienen, und wo möglich seine Befreiung zu bewirken.

»Warum Euer Vater zu Mingo Lager kommen bei Nacht?« fragte das indianische Mädchen mit einer Geradheit, die, wenn nicht von der andern entlehnt, Viel von ihrer Offenherzigkeit hatte. »Er wissen, daß Krieg ist – und er kein Knabe mehr – er wohl einen Bart haben – ihm nicht zu sagen nöthig, daß Irokesen Tomahawk und Messer und Büchse führen. Warum er kommen zur Nachtzeit, mich beim Haare packen und delawarisches Mädchen skalpiren wollen?«

»Euch!« sagte Hetty, vor Entsetzen fast umsinkend, »Euch hat er gepackt – Euch wollte er skalpiren?« »Warum nicht? Delawaren-Skalpe so Viel gelten als Mingo-Skalpe. Gouverneur keinen Unterschied machen. Ruchlos für Bleichgesicht, skalpiren. Nicht seine Gaben, wie der gute Wildtödter mir immer sagen.«

»Und Ihr kennt den Wildtödter?« fragte Hetty, erröthend vor Freude und Ueberraschung, unter dem Einfluß dieses neuen Gefühls für den Augenblick ihren Jammer vergessend. »Ich kenn‘ ihn auch. Er ist jetzt auf der Arche mit Judith und einem Delawaren, der die große Schlange heißt. Ein kühner und schöner Krieger ist er auch, die Schlange!«

Trotz der reichen, tiefdunkeln Farbe, welche die Natur der indianischen Schönheit zugetheilt, stieg ihr doch das beredte und verrätherische Blut noch lebhafter ins Gesicht, so daß die Röthe ihren kohlschwarzen Augen noch mehr Leben und Feuer des Geistes verlieh. Einen Finger aufhebend wie mit warnender Geberde, ließ sie ihre schon so sanfte und süße Stimme zu einem Flüstern herabsinken, als sie das Gespräch fortsetzte.

»Chingachgook!« versetzte das Delawarische Mädchen, den harten Namen in so sanften Gutturaltönen seufzend oder hauchend, daß er das Ohr ganz melodisch berührte. »Sein Vater, Unkas – großer Häuptling der Mohikani – der Nächste nach altem Tamenund! Mehr als Krieger, nicht so viel graues Haar, und weniger beim Rathsfeuer. Ihr Schlange kennen?«

»Er stieß gestern Abend zu uns, und war in der Arche mit mir zwei oder drei Stunden lang, ehe ich sie verließ. Ich fürchte, Hist –« Hetty konnte den indianischen Namen ihrer neuen Freundin nicht aussprechen, aber da sie von Wildtödter diese vertrauliche Benennung gehört hatte, bediente sie sich derselben ohne irgend eine der Bedenklichkeiten des civilisirten Lebens – »ich fürchte, Hist, er ist auf Skalpe ausgegangen, ebenso wie mein armer Vater und Hurry Harry!«

»Warum er denn nicht sollen, he? Chingachgook rother Krieger, sehr roth – Skalpe seine Ehre seyn – er gewiß gemacht!«

»Dann,« versetzte Hetty ernst, »wird es von ihm so ruchlos seyn wie bei einem Andern. Gott wird einem rothen Mann nicht verzeihen, was er einem Weißen nicht verzeiht.«

»Nicht wahr!« versetzte das Delawarische Mädchen mit einer Wärme, die beinahe an Leidenschaftlichkeit grenzte. »Nicht wahr! sag‘ ich Euch! Der Manitou lächeln und Wohlgefallen haben, wenn er sieht jungen Krieger heimkehren vom Kriegspfad mit zwei, zehn, hundert Skalpen auf einem Pfahle! Chingachgook’s Vater Skalpe erbeutet – Großvater Skalpe erbeutet – alle alten Häuptlinge Skalpe nehmen: und Chingachgook selbst so viele Skalpe nehmen, als er tragen kann!« »Dann, Hist, muß sein Schlaf bei Nacht entsetzlich seyn, wenn er daran denkt. Niemand kann grausam seyn und auf Vergebung hoffen!«

»Nicht grausam – Vergebung genug,« erwiederte Wah-ta!-Wah, mit ihrem kleinen Fuß auf den steinigten Strand stampfend, und den Kopf schüttelnd in einer Weise, welche zeigte, wie gänzlich weibliches Gefühl in einer seiner Gestaltungen das weibliche Gefühl in einer andern überwältigt hatte. »Ich sagen Euch, Schlange tapfer; er heim kommen mit vier, ja, zwei Skalpen.«

»Und ist das sein Vorhaben hier? Ist er in der That so weit hergekommen, über Berg und Thal, Flüsse und Ströme, seine Mitgeschöpfe zu martern und etwas so Ruchloses zu thun?«

Diese Frage beschwichtigte auf einmal den anwachsenden Zorn der halbbeleidigten indianischen Schönheit. Sie besiegte gänzlich die Vorurteile der Erziehung, und leitete alle ihre Gedanken in ein sanfteres und mehr weibliches Bette. Zuerst schaute sie sich argwöhnisch um, als scheute sie Lauscher, dann starrte sie ihrer aufmerksamen Gesellschafterin nachdenklich ins Gesicht; und dann endete dieß Stückchen von mädchenhafter Coketterie und weiblichem Gefühl damit, daß sie sich das Gesicht mit beiden Händen bedeckte und in einer Art lachte, daß man dieß wohl die Melodie der Wälder nennen konnte. Die Furcht vor Entdeckung jedoch machte bald dieser naiven Kundgebung ihrer Empfindungen ein Ende, und ihre Hände wegziehend starrte dieß, ganz vom augenblicklichen Impuls beherrschte Geschöpf wieder ihrer Genossin nachdenklich ins Gesicht, gleichsam forschend, wie weit sie einer Fremden ihr Geheimniß anvertrauen könne. Obgleich Hetty nicht Anspruch machen konnte auf die außerordentliche Schönheit ihrer Schwester, hielten doch Manche ihr Gesicht für das einnehmendere. Es sprach all die tückelose Aufrichtigkeit ihres Charakters aus, und es war gänzlich frei von allen den störenden, begleitenden und verrathenden physischen Zeichen, die so oft im Gefolge der Geistesschwäche sind. Zwar ein ungewöhnlich scharfer Beobachter hätte die Anzeichen ihrer Geistesschwäche in der Sprache ihrer manchmal leeren und irren Augen entdecken können; aber es waren Zeichen, welche eher das Mitgefühl anzogen durch ihre gänzliche Arglosigkeit und Treuherzigkeit, als irgend eine andre Empfindung erweckten. Der Eindruck, den sie auf Hist machte – um uns dieser Dollmetschung des Namens zu bedienen – war günstig; und einer Aufwallung von Zärtlichkeit folgend, schlang sie ihre Arme um Hetty, und drückte sie an sich mit einer gewaltsamen Rührung, die so natürlich als warm war.

»Du gut,« flüsterte die junge Indianerin; »Du gut, ich wissen; es so lang, daß Wah-ta!-Wah keine Freundin gehabt – keine Schwester – Niemand, ihr Herz auszusprechen; Du Hist’s Freundin; ich nicht Wahrheit sagen?«

»Ich habe nie eine Freundin gehabt,« antwortete Hetty, die warme Umarmung mit ungeheucheltem Ernst erwiedernd. »Ich habe eine Schwester, aber keine Freundin. Judith liebt mich, und ich liebe Judith; aber das ist natürlich, und wie es uns die Bibel lehrt; aber ich hätte gern eine Freundin! Ich will Eure Freundin seyn von ganzem Herzen; denn ich liebe Eure Stimme und Euer Lächeln, und Eure Denkweise in allen Dingen, ausgenommen was die Skalpe –«

»Nicht mehr daran denken – Nichts mehr von Skalpen sagen,« unterbrach sie begütigend Hist; »Ihr Bleichgesicht, ich Rothhaut; wir nach verschiedener Art erzogen. Wildtödter und Chingachgook große Freunde, und nicht von derselben Farbe; Hist und – was Euer Name, hübsches Bleichgesicht?«

»Ich bin Hetty genannt, obwohl, wenn sie den Namen in der Bibel buchstabiren, so sprechen sie ihn immer Esther.«

»Was das machen? – Nichts nützen und nichts schaden. Gar nicht nöthig, Namen zu buchstabiren. Mährischer Bruder versucht, Wah-ta!-Wah buchstabiren zu lehren, aber es nicht zugelassen. Nicht gut für Delawarisches Mädchen, zu viel zu wissen – Mehr wissen als Krieger manchmal – das große Schande. Mein Name Wah-ta!-Wah – das heißt Hist in Eurer Sprache; Ihr ihn aussprechen Hist, ich sagen Hetty.«

Nachdem diese Präliminarien zu beiderseitiger Zufriedenheit ins Reine gebracht waren, begannen die Mädchen von ihren beiderseitigen Hoffnungen und Planen sich zu unterhalten. Hetty machte ihre neue Freundin noch genauer bekannt mit ihren Absichten in Betreff ihres Vaters; und Hist würde einer Freundin, die nur im Mindesten geneigt und fähig gewesen, die Angelegenheiten Andrer mit forschendem Blicke zu durchschauen, ihre Gefühle und Hoffnungen, die sich an den jungen Krieger von ihrem Stamme knüpften, genugsam verrathen haben. Genug ward indessen von beiden Seiten geoffenbart, um beiden Theilen eine ziemliche Einsicht in die Plane des Andern zu verschaffen, obwohl noch genug zurückbehalten und verschwiegen wurde, um zu folgenden Fragen und Antworten Gelegenheit zu geben, womit diese Unterredung schloß. Als die schärfer blickende, begann Hist zuerst ihre Fragen. Einen Arm um Hetty’s Leib schlingend, beugte sie sich mit dem Kopfe vor, so daß sie der Andern munter ins Gesicht schaute; und lachend, als ob ihre Meinung ihr aus den Mienen solle gelesen werden, sprach sie dann offener:

»Hetty einen Bruder haben und einen Vater?« sagte sie, »warum nicht auch vom Bruder sprechen, so wie vom Vater?«

»Ich habe keinen Bruder, Hist. Ich hatte einmal einen, sagt man mir; aber er ist todt seit vielen Jahren und liegt im See versenkt neben der Mutter.«

»Keinen Bruder haben – einen jungen Krieger haben; ihn lieben, beinahe so sehr als Vater, he? Recht schön und tapfer aussehend; tüchtig zum Häuptling, wenn so gut seyn, als scheinen

»Es ist sündhaft, einen Mann so zu lieben, wie ich meinen Vater liebe; und so bestrebe ich mich, es nicht zu thun, Hist,« erwiederte die gewissenhafte Hetty, die nicht wußte, wie eine innere Bewegung verhehlen durch eine so verzeihliche Annäherung an Unwahrheit, als eine ausweichende Antwort ist, obwohl durch weibliche Schaam mächtig zu diesem Fehltritt versucht: »obwohl ich manchmal denke, die Sünde werde mich am Ende beilegen, wenn Hurry so oft an den See kommt. Ich muß Euch die Wahrheit sagen, liebe Hist, weil Ihr mich fragt: aber ich würde zu Boden fallen und sterben in den Wäldern, wenn er es wüßte!«

»Warum er nicht selbst Euch fragen? Tapfer aussehen – warum nicht keck sprechen? Junger Krieger fragen müssen junges Mädchen; Niemand junges Mädchen zuerst reden machen. Mingo-Mädchen selbst sich dessen schämen,«

Sie sprach dieß mit Entrüstung und mit der edlen Wärme, die ein junges Weib von lebhaftem Geist empfinden mag, wenn sie das theuerste Vorrecht ihres Geschlechts bedroht und gefährdet glaubt. Dieß Gefühl hatte aber wenig Einfluß auf die blöde, aber doch rechtlichgesinnte Hetty, die, obwohl wesentlich weiblich in allen ihren Empfindungen doch weit mehr auf die Bewegungen ihres eignen Herzens achtete, als daß sie sich um die Gebräuche bekümmert hätte, womit das Herkommen das Zartgefühl ihres Geschlechts geschützt hat,

»Mich fragen? was?« fragte das erschrockene Mädchen mit einer Hast, welche zeigte, wie sehr ihre Furcht rege geworden war. »Mich fragen, ob ich ihn so gern habe, als meinen Vater! Oh! Ich hoffe, er wird nie eine solche Frage an mich richten, denn ich müßte antworten, und das würde mich tödten.«

»Nein – nein – nicht tödten, nur beinahe,« versetzte die Andere, unwillkührlich lächelnd. »Erröthen kommen machen – Schaam auch kommen machen; aber es nicht so gar lange bleiben; dann sich glücklicher fühlen als je. Junger Krieger muß jungem Mädchen sagen, er sie zum Weibe machen wollen, sonst nie kann wohnen in seinem Wigwam.«

»Hurry will mich nicht heirathen – Niemand wird mich je heirathen wollen, Hist.« »Wie Ihr das wissen können? Vielleicht Jedermann Euch heirathen wollen, und bei Gelegenheit Zunge sagen, was Herz fühlen. Warum Niemand Euch heirathen wollen?«

»Ich bin nicht ganz klug, sagen sie. Vater sagt mir das oft; und auch Judith manchmal, wenn sie ärgerlich ist; aber ich würde auf sie nicht so viel geben, als auf Mutter. Sie hat es auch einmal gesagt; und dann weinte und schluchzte sie, als ob ihr das Herz brechen wollte; und so weiß ich, ich bin nicht ganz klug.«

Hist starrte das sanfte, einfältige Mädchen eine volle Minute an, ohne zu sprechen; und dann schien die ganze Wahrheit auf einmal dem Geiste der jungen Indianerin hell aufzugehen. Mitleid, Ehrfurcht und Zärtlichkeit schienen in ihrer Brust zu kämpfen; dann plötzlich aufstehend, bezeugte sie gegen ihre Genossin den Wunsch, sie möchte sie in das nicht entfernt liegende Lager begleiten. Dieser unerwartete Uebergang von der Vorsicht, welche Hist zuvor anzuwenden sich beflissen gezeigt hatte, um nicht gesehen zu werden, zu dem Entschluß, ihre Freundin ganz offen zu den Indianern zu führen, entsprang aus der sichern Ueberzeugung, daß kein Indianer ein Geschöpf kränken und beschädigen würde, das der große Geist entwaffnet, indem er es des stärksten Vertheidigungsmittels, der Vernunft beraubte. In dieser Hinsicht gleichen sich alle Nationen von unverdorbnem Gefühl; sie scheinen solchen Geschöpfen freiwillig, in Folge eines der menschlichen Natur Ehre machenden Gefühls, durch ihre Nachsicht den Schutz angedeihen zu lassen, welcher durch die unerforschliche Weisheit der Vorsehung ihnen versagt ist. Wah-ta!-Wah wußte in der That, daß bei manchen Stämmen die Geistesschwachen und die Verrückten eine Art religiöser Verehrung genossen; daß sie von den ungebildeten Bewohnern des Waldes Achtung und Ehren empfingen statt der Schmach und Vernachlässigung, die unter den anmaßenderen und verdorbeneren Nationen ihr Loos und Theil ist! Hetty folgte ihrer neuen Freundin ohne Furcht und Widerstreben. Es war ihr Wunsch, das Lager zu erreichen; und gestärkt durch ihre Beweggründe hegte sie so wenig Unruhe wegen der Folgen, als ihre Begleiterin selbst, nachdem diese einmal wußte, welchen schützenden Talisman das Bleichgesichtmädchen mit sich führte. Noch immer, während sie langsam fortschritten einer Küste entlang, die von überhangenden Gebüschen bedeckt war, setzte Hetty das Gespräch fort, und jetzt übernahm sie die Rolle des Fragens, welche die Andere sogleich fallen gelassen, sobald sie erfahren, an was für ein Gemüth sie ihre Fragen gerichtet hatte.

»Aber Ihr seyd ja nicht eben halb klug,« sagte Hetty, »und es ist kein Grund da, warum die Schlange Euch nicht heirathen sollte.«

«Hist Gefangene, und Mingo’s große Ohren haben. Nicht von Chingachgook reden, wenn sie dabei. Versprecht das Hist, gute Hetty.«

»Ich weiß, – ich weiß,« erwiederte Hetty; halb flüsternd, in ihrer Begierde der Andern zu zeigen, daß sie die Nothwendigkeit der Vorsicht begreife. »Ich weiß – Wildtödter und die Schlange gedenken Euch aus der Hand der Irokesen zu befreien; und Ihr wünscht, daß ich das Geheimniß nicht verrathe.«

»Wie Ihr wissen das?« fragte Hist hastig, in diesem Augenblick ärgerlich, daß die Andere nicht noch blödsinniger, als wirklich der Fall war. – »Wie Ihr das wissen? Besser von Niemand sprechen als von Vater und Hurry – Mingo’s das verstehen; das Andere nicht. Versprecht mir, von Nichts zu sprechen, was Ihr nicht versteht.«

»Aber ich verstehe das, Hist; und so darf und muß ich davon sprechen. Wildtödter hat in meiner Anwesenheit dem Vater Alles so gut als erzählt; und da mir Niemand verbot zuzuhören, habe ich Alles gehört, wie auch Hurry’s und Vaters Unterredung von den Skalpen.«

»Sehr schlimm von Bleichgesichtern, von Skalpen sprechen, und sehr schlimm von jungen Mädchen zu horchen! Nun Ihr Hist lieben, ich weiß, Hetty; und so unter Indianern, wenn am besten lieben, am wenigsten schwatzen!«

»Das ist nicht die Art bei den weißen Leuten, die am meisten von Solchen reden, die sie am besten lieben. Ich glaube, weil ich nur halb klug bin, sehe ich den Grund nicht ein, warum es so verschieden seyn soll bei den rothen Leuten.«

»Das seyn, was Wildtödter ihre Gaben nennt. Die Einen die Gabe zu sprechen, die Andern die Gabe den Mund zu halten. Den Mund zu halten – Eure Gabe unter Mingo’s. Wenn Schlange Hist sehen möchte, so Hetty verlangen, Hurry zu sehen. Ein gutes Mädchen nie Geheimnisse verrathen von Freunden.«

Hetty verstand diese Aufforderung; und sie versprach dem delawarischen Mädchen Nichts von der Anwesenheit Chingachgook’s oder von dem Beweggrund seines Besuches am See zu erwähnen.

»Vielleicht er Hurry und Vater ebenso los kriegen, wie Hist, wenn man ihn machen lassen,« flüsterte Wah-ta!-Wah ihrer Begleiterin in vertraulichem, schmeichelndem Tone zu, als sie eben dem Lager nahe genug kamen, um die Stimmen von Einigen ihres Geschlechts zu hören, welche dem Anschein nach mit den gewöhnlichen Arbeiten der Weiber ihrer Classe beschäftigt waren, »Bedenkt das, Hetty, und legt zwei, zwanzig Finger auf den Mund. Niemand Freunde frei machen, wenn nicht Schlange es thun.«

Ein besseres Mittel konnte sie nicht ersinnen, um sich Hetty’s Verschwiegenheit und Vorsicht zu versichern, als dasjenige, das sich hierin ihrem Geist darbot. Da die Befreiung ihres Vaters und des jungen Grenzers der große Zweck ihres Abenteuers war, so empfand sie klar den Zusammenhang desselben mit den Diensten, die ihr die Delawarin leisten konnte; mit einem unschuldigen Lachen nickte sie Zustimmung und in derselben stummen Weise versprach sie, die Wünsche ihrer Freundin gebührend zu achten. So ihrer Sache sicher, zögerte Hist nicht länger, sondern trat sofort unverhohlen mit ihrer Freundin in das Lager der sie gefangen haltenden Mingo’s.