Kapitel 23

 

23

 

Julius hatte alle seine Aufträge ausgeführt und eilte nun durch den dunklen Park zum Dorf. Zu seiner Beruhigung fand er Spike Holland mit einem anderen Herrn beim Billardspiel.

 

»Er will mich sprechen?« fragte Spike. »Ist er denn verrückt geworden?«

 

»Hören Sie einmal zu, Holland. Denken Sie vor allen Dingen daran, daß Sie niemals mit mir gesprochen haben, wenn der Alte Sie fragt.«

 

»Ach was, seien Sie still,« sagte Spike müde. »Um was handelt es sich denn? Will er mich zum Abendessen in die Burg einladen?«

 

»Ich weiß nicht, aber er ist nicht ganz normal heute.«

 

sternchenland.com »Ist irgend etwas passiert?« fragte Spike, als sie zusammen durch den Park gingen.

 

»Nein,« erwiderte Julius schnell. Er wollte den merkwürdigen Eindruck verschweigen, den Valerie Howetts Name auf den Alten gemacht hatte.

 

Er klopfte und drückte die Klinke der Bibliothekstür nieder, aber sie war geschlossen. Die dicke, starke Eichentür und die schweren Portieren ließen Bellamys Stimme nicht in die Halle dringen.

 

»Ich vermute, daß er noch telephoniert. Ich mußte eine Verbindung nach Limehouse für ihn bestellen, bevor ich ins Dorf ging.«

 

Spike schaute bewundernd zu den Gewölben der hohen Eingangshalle mit den kühn geschwungenen Rippen empor. Die große, breite Steintreppe war noch dieselbe wie zu den Zeiten der ersten de Curcys, nur war sie jetzt mit breiten Teppichen bedeckt.

 

»Wohin führt diese Tür?« fragte er. Julius erklärte es ihm.

 

»Das ist mein Zimmer. Dahinter liegt der Speisesaal, der nur von mir benützt wird. Dann gibt es dort noch ein Arbeitszimmer, das aber niemals möbliert worden ist.«

 

»Wo ist der Hausmeister?« fragte Spike, als er sich plötzlich daran erinnerte, daß er die Bekanntschaft dieses Mannes machen wollte.

 

»Er wird das Essen für den Alten holen, ich kann ihn jetzt nicht rufen.«

 

Die Tür wurde aufgeschlossen, und Abel Bellamy erschien in der Öffnung.

 

»Kommen Sie sofort herein, Holland. Savini, Sie brauchen nicht zu warten, ich werde Ihnen klingeln, wenn ich Sie brauche.« Damit schloß er die Tür hinter Spike, der sich sehr wunderte.

 

»Ich habe noch einmal alles überlegt und überdacht, Holland,« sagte der Alte, der wirklich guter Laune zu sein schien. sternchenland.com »Es tut mir leid, daß ich Sie neulich so vor den Kopf gestoßen habe. Wenn ich Ihnen irgendwelche Auskünfte über diesen verfluchten grünen Spuk geben kann, dann fragen Sie mich bitte. Ich kann Ihnen sagen, daß es ein sehr lebendiger Geist ist. Ich fand heute morgen meine beiden Hunde betäubt in der Halle liegen.«

 

»Ist er denn wieder in Ihr Zimmer gekommen?«

 

Bellamy nickte.

 

Spike erzählte ihm nicht, daß er das schon wußte.

 

»Wo wohnen Sie eigentlich, Holland?«

 

»Ich habe mein Quartier in dem alten Dorfgasthaus, im ›Blauen Bären‹, aufgeschlagen.«

 

»Das ist ja schön. Nehmen Sie bitte eine Zigarre. Sie sind nicht so gut wie die Sorte, die ich in London hatte; sie werden Ihnen den Appetit nicht verderben!«

 

Spike wählte sich eine Zigarre und war neugierig, aus welchem Grund Bellamy ihn eigentlich aus Garre hatte kommen lassen.

 

»Haben Sie sich mit der Bevölkerung im Dorfe schon ordentlich angefreundet? Haben Sie genügend Nachrichten von den Kaufleuten und anderen gesammelt, um meine Lebensgeschichte zu schreiben? Es sind doch ganz nette Menschen?«

 

»Ach ja, sie sind ganz nett.«

 

»Wer ist denn eigentlich der Bewohner von Lady’s Manor? Kommt wohl auch aus Amerika – wie? Habe gehört, daß er eine sehr schöne Tochter hat.«

 

»Sie ist wunderhübsch,« gab Spike zu.

 

»Kennen Sie sie gut? Haben Sie sie schon drüben in Amerika gekannt?«

 

»Ich bin nicht aus der Gegend von Philadelphia, ich stamme aus New Jork.«

 

Bellamy nickte.

 

»Alle guten Zeitungsleute kommen aus New York,« sagte er, obwohl dieses Kompliment ihn beinahe erstickt hätte. »Vermutlich sternchenland.com interessiert sich die junge Dame – wie ist doch gleich ihr Name – Valerie Howett – auch für die Burg? Hat sie noch nicht danach gefragt und will sie nicht allerhand darüber wissen?«

 

»Ich könnte nicht sagen, daß sie besonderes Interesse dafür au den Tag gelegt hat. Sie ist vollständig mit der Einrichtung von Lady’s Manor beschäftigt.«

 

Bellamy schien etwas enttäuscht zu sein.

 

»Es wäre doch ganz natürlich, wenn sie sich für die alte Burg interessierte. Hier sitze ich nun, ein alter rauher Amerikaner, und lebe in einer Burg, die tausend Jahre alt ist. Hat sie denn niemals den Wunsch geäußert, das Schloß hier zu sehen?«

 

»Möglich, daß sie das getan hat,« sagte Spike obenhin.

 

»Ja, dann bringen Sie sie doch mal hierher, Holland. Sagen Sie, sie soll mich einmal besuchen, ich würde mich sehr darüber freuen. Wie geht es denn ihrem Vater?«

 

»Soviel ich weiß, ganz gut.«

 

»Ich habe eine Ahnung, als ob ich ihn irgendwie kennen müßte,« meinte Bellamy nachdenklich. »Ein kurzsichtiger Mann – er hatte immer mit den Augen zu tun.«

 

»Er ist auch jetzt noch sehr kurzsichtig. Ich glaube, Miß Howett erzählte mir, daß er früher einmal nahezu blind war.«

 

»Schon gut. Wollen Sie ihr meine Botschaft ausrichten? Sic brauchen sich ja nicht gerade die Mühe zu machen, sie deswegen besonders aufzusuchen. Aber wenn Sie sie zufällig sehen, dann teilen Sie ihr doch bitte mit, was ich Ihnen gesagt habe.«

 

»Das will ich tun.« Spike erkannte an Bellamys Ton, daß die Unterhaltung zu Ende sei und daß der Auftrag, den er soeben erhalten hatte, der eigentliche Grund war, weshalb er ihn hatte holen lassen.

 

»Sie kommen doch als Zeitungsmann wahrscheinlich mit vielen armen Leuten zusammen, Holland, wie?«

 

sternchenland.com Bellamy steckte die Hand in die Tasche und zog ein Bündel zusammengedrückter Banknoten heraus. Er glättete zwei und legte sie auf den Tisch. »Wenn Sie jemand sehen, dem Sie mit Hundert unter die Arme greifen können, dann nehmen Sie dieses Geld ruhig dazu.«

 

Spike sah ihn an und lächelte.

 

»Ich begegne keinen Menschen, die schlechtes Geld haben wollen, Mr. Bellamy. Sollte es aber doch der Fall sein, so kann ich sie ja zu Ihnen selbst schicken. Ich trage kein fremdes Geld in meiner Tasche.«

 

»Nun gut, dann betrachten Sie es als Ihr eigenes.«

 

»Ich betrachte nur das Geld als mein Eigentum, das ich mir selbst verdiene.«

 

Abel Bellamy zuckte mit den Schultern, nahm die Banknoten und steckte sie in seine Tasche zurück.

 

»Wie Sie wollen,« sagte er dann und klingelte.

 

Spike erwartete nun, daß der Hausmeister erscheinen werde, aber Julius Savini kam herein.

 

»Führen Sie Mr. Holland zum Tor, Savini, und kommen Sie dann zu mir zurück. Gute Nacht, Holland.«

 

»Was wollte er denn von Ihnen?« fragte Julius, als sie aus Hörweite waren. »Fragte er nicht, ob ich Ihnen etwas gesagt hätte –« begann er ängstlich.

 

»Das Sonderbarste war, daß er von Ihnen überhaupt nicht sprach. Ich kann gar nicht verstehen, wie es möglich war, daß wir zehn Minuten miteinander redeten, ohne Sie zu erwähnen – aber es war so.«

 

»Was wollte er?« beharrte Savini, der nicht empfindlich war.

 

»Er wollte sich mir von einer wohltätigen und menschenfreundlichen Seite zeigen, und ich bin nur neugierig, welch einen teuflischen Plan er dabei im Schilde führt. Ich wünschte nur, ich hätte diesen Hausmeister gesehen,« fügte er nachdenklich hinzu. sternchenland.com

 

Kapitel 24

 

24

 

Julius wartete, bis Spike Holland außer Sicht war, dann ging er im Schatten der Umfassungsmauer auf Lady’s Manor zu. Die Mauer begrenzte die Dorfstraße einige hundert Meter lang und der Weg kam ihm endlos vor.

 

Er streckte gerade seine Hand aus, um die Gartentür zu offnen, als er jemand im Schatten der Eibenhecke stehen sah. Erschrocken fuhr er zusammen.

 

»Wer ist da?« rief er mit lauter Stimme. Da kam plötzlich Leben in die Gestalt, und er erkannte Mr. Howett.

 

»Nun, Mr. Savini, was gibts denn?«

 

»Ach, Mr. Howett, es tut mir sehr leid, aber Sie haben mich sehr erschreckt.«

 

Im Mondlicht erschien Mr. Howetts gefurchtes Gesicht bleich. Es mochte mit der Beleuchtung zusammenhängen, aber Julius hatte geschworen, daß die Blässe unnatürlich war.

 

»Wollen Sie Miß Howett sprechen?«

 

»Ja, mein Herr … ich möchte sie etwas fragen – aber es ist wohl schon zu spät.«

 

»Nein, keineswegs, Mr. Savini –« Howett schien etwas verwirrt zu sein. »Würden Sie mir den großen Gefallen tun und Miß Howett nicht sagen, daß Sie mich gesehen haben?«

 

»Gewiß,« erwiderte Julius höchst erstaunt.

 

»Sie glaubt nämlich, ich sei schon zur Ruhe gegangen, und ich möchte sie nicht irgendwie beunruhigen. Ich – ich – habe die Angewohnheit, manchmal noch abends spät einen Spaziergang zu machen.«

 

»Ich werde unter keinen Umständen erwähnen, daß ich Sie gesehen habe.«

 

Er läutete an der Haustür. Ein Dienstmädchen erschien und öffnete ihm. Sie war erstaunt, ihn zu so später Stunde noch zu sehen. Miß Howett war noch auf, und das Mädchen sternchenland.com ließ ihn warten, um ihrer Herrin den Besuch zu melden. Als Julius zur Gartentür zurückschaute, konnte er nur feststellen, daß Mr. Howett verschwunden war. Gleich darauf wurde er in das große Wohnzimmer gebeten und fand Valerie dort, die auf ihn wartete.

 

»Es ist allerdings sehr spät für einen Besuch, Miß Howett, aber ich muß etwas mit Ihnen besprechen. Durch die unglückliche Unterbrechung unserer Unterhaltung damals vergaß ich alles, was ich Ihnen sagen wollte.«

 

Sie mußte innerlich lächeln, denn sie hatte Julius schon längst verziehen. Sie amüsierte sich sogar, wenn sie an jene peinlichen fünf Minuten dachte.

 

»Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, Mr. Savini. Mein Vater hat sich schon zurückgezogen, er geht gewöhnlich sehr früh schlafen. Sie können mir in aller Ruhe berichten.«

 

Julius machte sich allerdings seine eigenen Gedanken über Mr. Howetts frühes Verschwinden, aber er behielt sie für sich.

 

»Ich möchte Sie fragen, ob Sie ein Taschentuch verloren haben,« begann er. »Der alte Bellamy hat mir die strengste Anweisung gegeben, es herauszubringen. Er war heute abend ganz merkwürdig, als er erfuhr, daß Mr. Howett und Sie die neuen Bewohner von Lady’s Manor seien.« Dann erzählte er ihr alles, was sich zugetragen hatte.

 

Je weiter er sprach, desto mehr leuchteten ihre Augen auf.

 

»Dann stimmt es also doch! Und es muß wahr sein, wenn er sich so benommen hat – sein Gewissen scheint zu schlagen! Warum sollte denn nur die Nennung meines Namens ihn so aufregen?«

 

»Darüber habe ich mich auch sehr gewundert,« entgegnete Julius. »Was ist denn Ihrer Meinung nach der Grund?« Aber sie beantwortete seine Frage nicht.

 

»Was wollten Sie wegen des Taschentuchs? Ich habe vor einer Woche eins verloren – es ist sogar schon länger sternchenland.com als eine Woche her. Es ist eins von den sechs, die ich in Paris machen ließ. Haben Sie es gefunden?«

 

Er nickte.

 

»Es ist in Garre Castle gefunden worden,« sagte er mit Nachdruck. »Und zwar in der Nacht, in der Bellamy auf den Grünen Bogenschützen geschossen hat – und es war ganz mit Blut durchtränkt!«

 

Sie sah ihn entsetzt an.

 

»Mein Taschentuch – in Garre Castle – das ist doch aber unmöglich!«

 

Er beschrieb das kleine dünne Tuch genau.

 

»Warten Sie einen Augenblick,« sagte sie, ging aus dem Raum und kehrte nach kurzer Zeit mit einem Taschentuch in der Hand zurück.

 

Julius brauchte nur hinzusehen, um es sofort zu erkennen.

 

»Aber wie merkwürdig! Ich erinnere mich jetzt, daß ich es an dem Tag verlor, an dem ich Lady’s Manor besichtigte. Damals entschloß ich mich, meinen Vater zu bitten, das Haus zu mieten. Ich entdeckte den Verlust, als ich im Auto nach London zurückfuhr.«

 

»Sind Sie denn damals nicht in die Burg gegangen? Entschuldigen Sie, wenn ich diese Frage an Sie stelle, aber ich weiß doch, wie sehr Sie sich für Mr. Bellamy interessieren. Sind Sie nicht vielleicht irgendwie in die Nähe des Hauptgebäudes gekommen?«

 

»Nein,« sagte sie sehr bestimmt. »Ich weiß ganz genau, daß ich es in Lady’s Manor selbst verloren habe. Ich erinnere mich, daß ich es bei mir hatte, als ich in das Haus ging.«

 

»Das ist alles, was ich heute berichten kann, Miß Howett.« Julius erhob sich. »Er hat mir sogar den Auftrag gegeben, ein anderes Taschentuch von Ihrem Dienstmädchen zu besorgen. Ich kann mir gar nicht vorstellen, warum er plötzlich ein so großes Interesse an Ihnen hat.«

 

sternchenland.com Er zögerte, als er in der Tür stand, und sie erinnerte sich; daß sie ihm Geld geben wollte.

 

»Aber das hat doch nichts zu sagen, Miß Howett,« meinte er, als sie ihm einige Banknoten auf den Tisch zählte. »Ich möchte eigentlich kein Geld mehr von Ihnen annehmen.«

 

»Der Arbeiter ist seines Lohnes wert,« erwiderte sie lächelnd. Aber er wußte nicht recht, ob er diese Äußerung als ein Kompliment auffassen durfte.

 

Als sie allein war, versuchte sie irgendeinen Entschluß zu fassen.

 

Ein großer Widerspruch war in Valerie Howetts Leben gekommen. Sie hatte sich die Ausführung eines Planes vorgenommen, der nach menschlichem Ermessen und Verstand nicht gelingen würde, der sogar äußerst gefährlich war. Und sie halte sich trotz der dringenden Warnung Jim Featherstones dazu entschlossen. Sie war nicht so eigensinnig, daß sie gerade immer das Gegenteil von dem tat, worum er sie bat. Ihre gesunde Vernunft sagte ihr, daß die Burg für jeden ungebetenen Besucher einfach unzugänglich war. Schwer genug kam man schon in ein gewöhnliches Haus – wie konnte sie hoffen, in diese mit Schießscharten bewehrten Mauern einzudringen? Und selbst wenn sie drinnen war, wie sollte sie das finden, was sie suchte? Besonders da Bellamy jetzt vermutete, wer sie war und die Gefahr dadurch bedeutend größer wurde?

 

Aber trotzdem – und hier entschied sie sich gegen besseres Wissen – bestand noch eine geringe Hoffnung. Wenn der alte Plan der Burg, der in ihrem Besitz war, in allen Einzelheilen stimmte und die Umbauten der letzten beiden Jahrhunderte nicht den Grundriß vollkommen verändert hatten, dann hatte sie einen Zugang zu der Burg entdeckt.

 

Auf der Nordseite der Burg befand sich das Wassertor. In früherer Zeit war das Gebäude von einem Graben umgeben. Ein Fluß, der aus den hügeligen Wäldern des Hinterlandes sternchenland.com kam, hatte früher in Verbindung damit gestanden. Sein Wasser wurde durch einen besonderen Kanal abgeleitet und auf diese Weise war es den Besitzern der Burg möglich, den Graben mit Wasser zu füllen, trotzdem das Gebäude auf einer kleinen Erhöhung stand. Der Graben war aber nun längst ausgetrocknet und mit Gras zugewachsen. An manchen Stellen war er auch eingeebnet worden. Nur das Wassertor aus jener Zeit war noch übriggeblieben.

 

Sie hatte die niedrige, quadratische Öffnung in der Burgmauer, die durch schwere eiserne Gitter geschlossen war, von ihren Fenstern aus gesehen. Durch dieses Tor gingen die Händler aus und ein, wenn sie zum Kücheneingang wollten, und Valerie hatte den Entschluß gefaßt, auch auf diesem Wege in die Burg zu kommen und Abel Bellamys Geheimnis zu enthüllen. Aber ihr Verstand sagte ihr, daß das Küchengebäude und die anderen, außerhalb liegenden Räumlichkeiten, die man durch das Wassertor erreichen konnte, sicher von der eigentlichen Burg abgesperrt feien, und daß sie ihrem Ziele nicht näherkommen würde, wenn sie durch das Tor eindringen könnte. Aber trotz dieser geringen Aussicht wollte sie wenigstens einen Versuch wagen. Die Hoffnung, die in ihr lebte, hatten selbst alle bisherigen Mißerfolge bei ihren Bemühungen nicht zerstören können.

 

Ihr Vater war schon zur Ruhe gegangen, wie sie annahm. Den letzten der drei Dienstboten entließ sie um zwölf Uhr und sagte ihm, daß sie noch zu tun hätte. Nun war sie nur noch allein auf. Ihr Vater hatte, wie sie wußte, einen gesunden Schlaf.

 

Sie saß in ihrem kleinen Wohnzimmer und versuchte, die Zeit totzuschlagen. Sic hatte sich mit besonderer Sorgfalt für dieses Abenteuer angekleidet und hoffte, daß der kurzsichtige Mr. Howett beim Abendessen nicht gesehen hatte, daß sie noch immer das Golfkleid trug, das sie schon am Tage angehabt hatte.

 

sternchenland.com Nachdem alles ruhig geworden war, ging sie in den Garten hinunter und fand mit Hilfe ihrer elektrischen Taschenlampe den Weg bis zur Mauer, wo die beiden leichten Leitern lagen. Sie hatte sie am Tage von den Arbeitsleuten, die noch mit der Reparatur des Daches beschäftigt waren, dorthin schaffen lassen. Sie stellte eine gegen die Mauer, die zweite stellte sie daneben und stieg hinauf. Oben zog sie die eine Leiter nach, ließ sie an der anderen Seite hinunter und band die beiden Gestelle mit einem Strick zusammen. Als sie damit fertig war, ging sie ins Haus zurück. Es war noch zu früh für die Ausführung ihres Plans, und sie war eine ganze Stunde lang ohne eigentliche Beschäftigung.

 

Sie schrieb zwei unwesentliche Briefe an Leute, die sie nur wenig interessierten, und wollte gerade einen dritten anfangen, als ihr zum Bewußtsein kam, daß sie am Abend nur wenig gegessen halte. Sie empfand Hunger und ging deshalb in die Küche, die im Kellergeschoß lag und die man durch eine lange Steintreppe erreichen konnte. Sie nahm eine Kerze mit sich, denn Lady’s Manor war nicht mit elektrischem Licht versehen. Sie entzündete den Gasherd, stellte einen Wasserkessel auf und durchsuchte den Vorratsraum. Zu ihrer Freude fand sie auch noch eine Schüssel mit Pasteten, die sie in die Küche brachte und auf den Tisch stellte. Dann ging sie in ihr Wohnzimmer nach oben und ließ die Kerze unten brennen.

 

Eine unheimliche Ruhe lag über dem Raum, das Schweigen war beklemmend und sie wünschte, daß ihr neuer Flügel schon angekommen wäre. Sie schrieb an dem begonnenen Brief weiter, aber ihre Gedanken waren so mit ihrem Abenteuer beschäftigt, daß sie sich nicht darauf konzentrieren konnte.

 

Sie hielt die Feder in der Hand und suchte nach neuen Gedanken, die sie ihren Bekannten schreiben könnte, als sie plötzlich zusammenschrak. Sie hatte ein Knacken gehört – jemand mußte die Haustür am äußersten Ende der Halle aufgeschlossen haben. Einen Augenblick saß sie starr vor sternchenland.com Furcht, ihre überreizten Nerven waren einem solchen unerwarteten Zwischenfall nicht mehr gewachsen.

 

Einige Sekunden vergingen, dann hörte sie leichte Fußtritte auf dem mit Fliesen belegten Gang. Die leisen Schritte kamen näher und näher und gingen an der Tür vorbei.

 

Sie stand auf, eilte zu der Tür und riß sie auf. Sie konnte nur den Lichtschein aus der Küche sehen, sonst nahm sie nichts wahr.

 

»Ist jemand hier?« fragte sie mit lauter Stimme. »Sind Sie es, Clara?«

 

Plötzlich hörte sie ein Krachen, und das Licht in der Küche verlosch sofort.

 

Ihr Herz schlug schnell. Sie atmete schwer, aber sie biß sich auf die Lippen, um einen Hilfeschrei zu unterdrücken.

 

Sie hatte die elektrische Lampe noch in ihrer Tasche und nahm sie mit bebenden Händen heraus. Ein zitternder Lichtstrahl erhellte die dunkle Halle. Valerie dachte an den Revolver, den ihr Spike gegeben hatte, ging in das Zimmer zurück und holte ihn aus der Tischschublade. Dann schaute sie wieder die dunkle Halle entlang und die Treppe zur Küche hinunter.

 

»Ist jemand hier?« fragte sie noch einmal, aber nur das dumpfe Echo ihrer Stimme schallte zurück.

 

Als sie nichts mehr hören konnte, nahm sie ihren ganzen Mut zusammen und ging langsam durch die Halle. Zögernd betrat sie die Treppe und gelangte allmählich in die Küche. Die Platte mit den Pasteten lag zerbrochen auf dem Fußboden. Sie hatte also eben den Fall dieser Schüssel gehört. Erleichtert atmete sie auf – der Eindringling war wenigstens ein Mensch!

 

Sie steckte die Kerze wieder an, deren Docht noch glimmte. Dann entdeckte sie, obgleich die Platte zerschmettert auf dem Boden lag, zwei Scherben auf dem Tisch. Irgend jemand mußte sie aufgehoben haben. Die Küche war aber leer. Dahinter sternchenland.com lag die Speisekammer und von dort aus führte eine Tür in den Kohlenkeller. Sie versuchte sie zu öffnen, aber sie war verschlossen.

 

Wohin mochte wohl der geheimnisvolle Besucher gegangen sein? Die Fenster waren durch eiserne Gitter geschützt, und hier gab es doch nirgends einen Platz, wo er sich verbergen konnte. Die Tür, die auf den kleinen Wirtschaftshof an der Rückseite des Hauses führte, war von innen verriegelt und versperrt. Die Gartentür hatte Valerie heute selbst abgeschlossen, als sie wieder hereinkam, nachdem sie die Leitern an die Mauern gestellt hatte. Sie fühlte den Schlüssel in ihrer Tasche.

 

Sie dachte daran, die Dienerschaft aufzuwecken und eine genaue Durchsuchung der unteren Räume vornehmen zu lassen, aber das hätte ihre eigenen Pläne vollkommen zerstört. Plötzlich sah sie in der einen Ecke der Speisekammer zwei feurig grüne Punkte, die sie anstarrten. Sie fuhr zusammen und mußte im nächsten Augenblick hysterisch auflachen, denn sie hielt die Katze in den Händen.

 

»Du armer Kerl! Ich glaubte schon, du wärst ein Gespenst! Aber wie darfst du denn die Schüssel hinunterwerfen?«

 

Sie ging zur Küche zurück. Ihr Blick fiel plötzlich auf einen langen grünen Pfeil, der neben den Scherben der Porzellanplatte auf dem Fußboden lag. Seine Spitze leuchtete im Schein der Kerze auf.

 

Kapitel 25

 

25

 

Valerie Howett wurde nicht ohnmächtig. Langsam und mechanisch setzte sie die Katze, die sie noch im Arm gehalten hatte, wieder auf den Boden. Dann hob sie den Pfeil auf. Der Schaft war ganz glatt und die Spitze nadelscharf.

 

Der Grüne Bogenschütze! Der war also hier eben in demselben Raum gewesen! Wohin mochte er gegangen sein?

 

sternchenland.com Das Zischen des überkochenden Kessels brachte sie wieder zur Wirklichkeit zurück. Sie drehte den Gashahn zu und ging in ihr Zimmer nach oben. Sie hatte keinen Hunger mehr.

 

Der Grüne Bogenschütze! Aber sie hatte nichts von ihm zu fürchten, er war ja ein Feind Abel Bellamys, also war er ihr Freund! Sie versuchte das Furchtgefühl zu überwinden, das sich ihrer bemächtigt hatte, und es gelang ihr auch teilweise. Als die Dorfuhr eins schlug, ging sie wieder in den Garten hinunter. Ihre Knie zitterten, aber trotzdem stieg sie die Leiter empor und kletterte auf der anderen Seite nach Garre Castle hinunter. –

 

Mr. Bellamy brauchte gewöhnlich zwei Stunden für sein Abendessen, manchmal speiste er auch länger, aber niemals kürzer. Es war gegen jede Regel, daß er eine halbe Stunde nach dem Servieren schon klingelte und das Geschirr abräumen ließ.

 

»Telephonieren Sie zum Pförtnerhaus und sagen Sie, daß ich Besuch erwarte, einen Mr. Smith! Der Mann soll sofort herausgebracht werden, wenn er kommt.«

 

»Jawohl, mein Herr,« antwortete Savini unterwürfig. Jetzt wurde ihm klar, warum das Abendessen nur so kurze Zeit gedauert hatte.

 

»Bringen Sie auch etwas Rum und einen Syphon Sodawasser! Und vergessen Sie auch nicht die Kiste mit den billigen Zigarren,« fuhr er fort. »War Spike Holland eigentlich sehr überrascht, daß ich ihn hierher einlud? Vermutlich hat er Ihnen gesagt, warum ich ihn hergebeten habe?«

 

»Er hat mir nichts erzählt,« entgegnete Julius und zuckte mit keiner Wimper unter den argwöhnisch beobachtenden Blicken des Alten. »Die Dienerschaft beklagt sich über die Hunde, mein Herr,« sagte er dann. »Sie sagen, daß die Hundekäfige zu nahe an der Küche sind und daß sie sich fürchten an ihnen vorbeizugehen.

 

»Werfen Sie die ganze Gesellschaft hinaus,« sagte Abel sternchenland.com Bellamy brutal. »Und reden Sie nicht über Küchenklatsch mit mir, sonst schicke ich Sie auch noch in die Küche hinunter, dann können Sie dort mit den anderen zusammen essen!«

 

Bellamys böser Charakter hatte sich nicht im mindesten geändert, und selbst seine aufregende Entdeckung im »Berkshire Herald« hatte keinen Einfluß auf ihn.

 

Julius beeilte sich, die Auftrage seines Herrn auszuführen und war neugierig, warum Coldharbour Smith nach Garre Castle gerufen worden war.

 

Später änderte Bellamy seine Absicht und sandte Julius nach dem Pförtnerhaus, um die Ankunft des Besuches abzuwarten.

 

Es war fast elf Uhr, als Coldharbour Smith in einem Londoner Mietauto ankam. Julius sah sofort, daß er unterwegs oft angehalten haben mußte, um mit dem Chauffeur einen kleinen Trunk zu nehmen. Die beiden waren so ausgelassen und fröhlich, daß Julius über ihr Betragen empört war.

 

»Mr. Smith, es wäre viel besser, Sie würden Ihrem Freund sagen, daß er nicht solchen Lärm macht. In dem Dorf wird schon so viel über die Burg gesprochen, und Mr. Bellamy möchte nicht noch weiteren Grund zu unnützem Gerede geben.«

 

Coldharbour Smith stand im Alter von fünfzig Jahren, war groß, nicht gerade sehr ordentlich gekleidet, und hatte eine rohe Ausdrucksweise. Seine Gesichtsfarbe war dunkel und seine starken Kinnladen hätten einem Gorilla Ehre gemacht. Er nahm den Rat übel auf, den ihm Savini gab.

 

»Scheren Sie sich zum Teufel,« brüllte er laut. »Wo ist der Alte?«

 

»Er erwartet Sie.«

 

»Schön, soll er warten. Ich will erst trinken. Komm mit, Charlie!« wandte er sich wieder an den Chauffeur. »Wir wollen erst noch in den ›Blauen Bären‹ gehen.«

 

»Das Lokal ist schon seit vielen Stunden geschlossen,« sternchenland.com sagte Julius. »Gehen Sie jetzt hinauf, Mr. Smith. Der Herr wartet auf Sie.«

 

»Schön, dann nehme ich meinen Freund mit hinauf.«

 

»Das werden Sie nicht tun,« entgegnete Julius scharf.

 

Manchmal konnte er auch energisch und mutig sein, und in diesem Fall stand die Autorität Abel Bellamys hinter ihm.

 

»Gut,« sagte Smith düster, »warte hier auf mich, Charlie.«

 

Er ging mit unsicheren Schritten an Savinis Seite.

 

»Warum hat er denn mitten in der Nacht nach mir geschickt?« fragte er aufsässig.

 

»Das weiß ich nicht – das fragen Sie ihn besser selbst.«

 

»Zuerst sagen Sie mal was über sich selbst,« brummte Smith. »Wer sind Sie denn eigentlich?«

 

»Ich bin Julius Savini.«

 

»Ach, der alte Julius! Ich dachte, Sie säßen im Gefängnis? Wie gehts denn den andern Jungens? Sagen Sie mal, was machen Sie denn eigentlich hier, Julius, alter Krieger und Bundesgenosse?«

 

»Ich bin Mr. Bellamys Sekretär.«

 

»Ist sonst noch jemand hier, den ich kenne?« fragte Smith, als sie nahe ans Haus kamen. »Wie geht es denn eigentlich dem Grünen Bogenschützen?« Er brüllte laut vor Vergnügen und schlug sich auf die Knie. »Doch ’ne Verrücktheit, wenn man anfängt, grüne Bogenschützen zu sehen! Euer Schnaps muß ein bißchen stark sein, Julius. Was trinkt Ihr eigentlich bei Euch – Fusel?«

 

Julius war froh, als sie in, die Halle kamen. Coldharbour Smith, der seinen Namen nach der Polizeistation führte, auf der man ihn schon so oft verhaftet hatte, war vollständig betrunken. Einmal mußte Julius ihn fest am Arm fassen, damit er nicht umfiel. Smith blinzelte, als er in den hellen Lichtschein der Bibliothek trat. Auf einen Wink des Alten sternchenland.com verschwand Julius sofort und war zufrieden, daß er bei der Unterredung nicht zugegen sein mußte.

 

»Setzen Sie sich, Smith«, sagte Bellamy und zeigte auf einen Stuhl. »Wie ist es mit einem Schluck?«

 

Erst jetzt erkannte Abel Bellamy die Verfassung seines Besuchers.

 

»Sie sind ja wieder ganz voll, Sie Hund! Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollten sofort zu mir kommen, und zwar nüchtern!«

 

»Ich weiß überhaupt nicht, warum die Menschen nüchtern sind,« sagte Smith widerspenstig. »Wenn man sich doch betrinken kann – na, sagen Sie mir doch, warum soll man das nicht tun? So können Sie gar nichts dagegen sagen, Bellamy, das ist doch logisch, was?«

 

Abel Bellamy ging zum Tisch und goß ein Glas reinen Branntwein ein. Smith streckte schon die Hand aus, um das Glas zu nehmen, als ihm Bellamy plötzlich den ganzen Inhalt ins Gesicht goß. Mit einem Aufschrei fuhr Smith zurück, faßte mit den Händen nach den Augen und rieb sie entsetzt.

 

»Sie haben mich blind gemacht,« brüllte er.

 

»Seien Sie ruhig – hier, nehmen Sie das!«

 

Bellamy warf ihm eine Serviette zu, die beim Abräumen liegen geblieben war. Stöhnend und ächzend wischte sich Smith das Gesicht.

 

»Das ist ein ganz gemeiner Trick, den Sie mir da gespielt haben!« stöhnte er. »Wenn ich nun blind geworden bin!«

 

»Ich hoffe, daß ich Sie wenigstens nüchtern gemacht habe, Sie betrunkenes Schwein. Und wenn Sie jetzt noch nicht aufgewacht sind, werde ich schon Mittel und Wege finden, Ihnen den Alkohol auszutreiben. Aufgepaßt!«

 

Mit eisernem Griff packte er Smith am Kragen, stellte ihn auf die Füße und hielt sein Gesicht zwischen seinen großen Händen fest wie in einem Schraubstock.

 

sternchenland.com »Fünf Jahre lang habe ich Ihnen nun Geld gezahlt und Sie haben nichts dafür getan, Sie verfluchter Kerl! Und wenn ich Sie das erstemal brauche und nach Ihnen schicke, kommen Sie mir betrunken ins Haus! Nun sind Sie hoffentlich bei Verstand und etwas nüchterner! Und wenn ich Sie durch Schmerzen noch etwas nüchterner machen kann, dann werde ich Ihnen soviel davon geben, daß Sie bis an Ihr Lebensende daran denken sollen!«

 

Er schaute in das entsetzte Gesicht des andern und drückte die Daumen auf die Augen des Mannes. Smith wehrte sich und griff nach dem Arm, der ihn hielt. Aber Bellamy ließ ihn plötzlich wieder los.

 

»Setzen Sie sich dorthin!«

 

Smith flog krachend in den schweren Stuhl.

 

»Nun hören Sie zu! Ich habe Arbeit für Sie. Sie haben mir neulich geschrieben, daß Ihnen dieses Land nicht mehr recht paßt und daß Sie nach Amerika gehen wollen. Das heißt also, daß die Polizei hinter Ihnen her ist, und ich will wetten, daß sie Sie auch kriegt. Es ist möglich, daß ich eine Aufgabe für Sie habe, die Sie über See bringt, und wenn Sie den Auftrag gut ausführen, dann haben Sie genug Geld für den Rest Ihres Lebens. Also wohlverstanden, es wäre möglich, ich bin noch nicht ganz sicher. Aber in den nächsten Tagen wird sich die Sache entscheiden. Sind Sie nun nüchtern?«

 

»Ja, Mr. Bellamy,« sagte Smith eingeschüchtert.

 

Abel Bellamy schaute auf ihn hinunter.

 

»Sie sind gerade der Richtige für diese Aufgabe. Sie sind häßlich genug, Sie sind eine giftige Schlange, Smith – aber im Augenblick brauche ich gerade so ein Vieh. Nun hören Sie zu.«

 

Bellamy ging zur Tür und schloß sie ab. Dann kam er zu Smith zurück, und sie sprachen eine ganze Stunde lang miteinander. sternchenland.com

 

Kapitel 26

 

26

 

Der neue Hausmeister hatte wie sein Vorgänger das sogenannte Königszimmer in dem Flügel der Burgkapelle bezogen. Es war der einzige Raum, der in diesem Teil des Hauses bewohnt wurde, und man gelangte durch einen langen Gang dorthin. Die einfachen Schießscharten in der Wand waren zu kleinen, schmalen Fenstern erweitert worden, von denen aus man den Haupteingang zur Burg überschauen konnte. Der Hausmeister war schon lange in sein Zimmer gegangen, bevor Mr. Smith fortging, denn er hatte viel zu tun.

 

Bei seiner Ankunft brachte er nur zwei bescheidene Gepäckstücke mit. Eins enthielt einen weiteren Anzug und Wäsche, in dem andern befanden sich gewisse Geräte, die ein wissenschaftlicher Instrumentenmacher in größter Eile extra für ihn angefertigt hatte. Er breitete die etwa fünfzig Zentimeter langen Eisenstangen auf dem Tisch aus. Oben an der Spitze hatten sie eine Öse, ähnlich wie Nähnadeln, und darin waren kleine Thermometer befestigt, die von halbkreisrunden Schutzblechen umgeben waren. Mit Genugtuung betrachtete er die Apparate. Dann wandte er sich wieder der großen Tasche zu und suchte einen Schlegel heraus, dessen Kopf aber aus Gummi angefertigt war.

 

Ganz unten in der Handtasche lag ein Strick mit vielen Knoten, an dessen einem Ende ein Stahlhaken angebracht war. Diesen befestigte er an dem einen Pfosten seiner eisernen Bettstelle und zog daran. Da die Bettstelle an der Wand in der Nähe des Fensters mit eisernen Haken befestigt war, war es unnötig, nach einer anderen, besseren Befestigung Umschau zu halten. Er nahm den andern Anzug und ein paar weiche Filzschuhe heraus. Die Natur draußen lag im tiefsten Frieden, der Halbmond übergoß die Landschaft mit seinem silbernen Licht und ließ den ganzen Park in sanften Umrißlinien erscheinen.

 

sternchenland.com Der Hausmeister drehte das Licht ab und ging in die Halle.

 

Es war zehn Minuten nach zwölf, und er hörte, wie Smiths Auto eben abfuhr. Abel Bellamy kam von dem Hundekäfig, die vier Tiere kamen hinter ihm her.

 

Der Hausmeister war der einzige Angestellte, der noch auf war. Julius hatte ihm das Aufschließen der Türen morgens übertragen, denn er liebte die Hunde nicht.

 

»Ist Savini schon zu Bett?« fragte Bellamy, als er die Tür von innen verriegelte.

 

»Jawohl, mein Herr,« erwiderte der Hausmeister. Die Hunds beschnüffelten seine Schuhe, und der wildeste knurrte bedenklich.

 

»Sie fürchten sich wohl nicht vor Hunden? Nun ja, es liegt auch kein Grund dazu vor, wenn ich dabei bin. Aber lassen Sie sich bloß nicht verleiten, über Nacht einmal durch das Haus zu gehen, mein junger Freund.«

 

Als ob er die Warnung seines Herrn bekräftigen wollte, hob der eine Hund, der wie ein Wolf aussah, seinen Kopf zu dem Hausmeister und bellte laut.

 

»Willst du wohl ruhig sein?« fuhr ihn Abel an, aber im geheimen war er sehr zufrieden mit ihm. »Sie können jetzt zu Bett gehen.«

 

Der Hausmeister ging die Treppe hinauf und drehte sich nicht um, obwohl einer der Hunde hinter ihm herlief und ihn beschnüffelte.

 

Sobald er in seinem Zimmer angekommen war, schloß er die Tür und zog sich um. Drei Minuten später ließ er sich Hand über Hand an dem Strick hinunter, nachdem er die ganzen anderen Instrumente schon vorher vorsichtig auf den Boden hinabgelassen hatte.

 

Unten knüpfte er den Bindfaden auf, der sie zusammenhielt und begann seine merkwürdige Arbeit. Dicht unter der Burgkapelle klopfte er einen der eisernen Bolzen in den Boden. Der Gummischlegel verursachte fast gar keinen Lärm. sternchenland.com Nachdem er damit fertig war, ging er im Schatten der Mauer weiter, hielt nach ein paar Schritten wieder an und schlug ein zweites Eisen ein. Der Hausmeister hatte den eisernen Stab soweit in den weichen Boden getrieben, daß er vollständig darin verschwunden war. Plötzlich fiel ihm ein, daß es schwer sein würde, den Bolzen wieder zu finden. Er suchte schnell ein paar Steine und drückte sie an der betreffenden Stelle in den Boden.

 

So kreiste er die ganze Burg ein, bis er zu dem Platz zurückkam, wo er den ersten eisernen Stab eingeschlagen hatte. Nach einer Weile zog er ihn heraus und betrachtete das Thermometer im Lichte seiner Taschenlampe. Es zeigte sechs Grad, also eine normale Bodentemperatur. Er ging weiter und zog die langen Bolzen nacheinander heraus. Alle Thermometer zeigten ungefähr denselben Stand. Bis auf einen hatte er alle Stäbe wiedergefunden. Er hielt nach den Steinen Umschau, die er an die Stelle gelegt hatte, aber in der Dunkelheit verfehlte er sie und suchte lange ohne Erfolg.

 

Er war noch damit beschäftigt, als er plötzlich hörte, daß ein Fenster über ihm aufgemacht wurde. Er drückte sich ganz dicht an die Mauer und sah jetzt erst, daß er sich unmittelbar unter Bellamys Schlafzimmer befand.

 

»Dort ist er!« brüllte Bellamy mit rauher Stimme.

 

Einen Augenblick dachte der Hausmeister, er sei entdeckt, aber als er quer über den Rasen schaute, vergaß er sofort die gefährliche Lage, in der er sich selbst befand.

 

Aus dem schützenden Schatten der nördlichen Umfassungsmauer hatte sich eine Gestalt gelöst und bewegte sich jetzt auf eine Gruppe von Sträuchern zu, die sich quer in den Rasen hineinschoben und bis zur Ostmauer verliefen.

 

Es war eine Frau, und er vermutete sofort, wer es war. Ohne Rücksicht auf seine Umgebung eilte er zu ihr hin.

 

Bellamy war nicht sogleich ins Bett gegangen, die Entdeckungen des heutigen Tages hatten ihn doch zu sehr aufgeregt, sternchenland.com er mußte noch nachdenken. Er stellte einen Stuhl an das offene Fenster, setzte sich nieder, legte die Ellenbogen auf die Fensterbank und schaute in den schweigenden Park hinaus, der vom Mondlicht überstrahlt war. Bellamy konnte alles genau überschauen bis zu der Umfassungsmauer. Aber weder die Schönheit der Natur noch die Geheimnisse der Mondnacht machten irgendwelchen Eindruck auf ihn. Seine Gedanken waren fern. Er dachte an die Zeit vor einundzwanzig Jahren. Was für ein merkwürdiges Zusammentreffen! Es gab Tausende, die den Namen Howett trugen, und es gab Hunderte von Valerie Howetts in der Welt. Aber eine Valerie Howett, die von Montgomery County stammte – das gab der Sache eine ganz bestimmte Bedeutung.

 

»Wenn sie es nun wirklich war!« Er lächelte spöttisch und zeigte seine weißen Raubtierzähne in einem erbarmungslosen Grinsen. Welch eine wunderbare Nachricht konnte er dann der ergrauten Frau überbringen! Dieser Gedanke belebte ihn wieder, machte ihn jung und ließ sein Herz schneller schlagen als in den letzten sieben Jahren.

 

Er stand auf und schaute durch das Fenster. War das nur ein Schatten oder spielte ihm das unsichere Mondlicht einen Streich? Er hätte schwören können, daß sich eine schlanke Gestalt dort drüben im Schatten der Rhododendronbüsche bewegte. Jetzt sah er sie wieder, als sie über eine freie Stelle zwischen den Sträuchern eilte. Es konnte keiner der Dienstboten sein, er hatte ihnen doch streng befohlen, über Nacht im Hause zu bleiben. Er rief laut zum Fenster hinaus, wandte sich um und eilte auf den Korridor, wo er das Tappen der Hunde hörte. Zwei von ihnen rannten sofort auf ihn zu und rieben ihre Köpfe an seinen Knien. Die beiden andern waren unten in der Halle. Er sah ihre Augen in der Dunkelheit leuchten und pfiff ihnen leise.

 

Geräuschlos zog er die gutgeölten Riegel zurück und öffnete die Haupttür. Er hielt die Hunde noch einen Augenblick an, sternchenland.com um seiner Sache ganz sicher zu sein. Ja, dort drüben sah er die Gestalt wieder!

 

»Vorwärts, faßt ihn!« brüllte er und die vier Hunde sausten davon.

 

Sie eilten fast lautlos über den grünen Rasen. Aber der Eindringling drüben erkannte die Gefahr, und auch der Hausmeister sah die Hunde. Die Gestalt lief wieder in den Schatten der Bäume zurück und eilte an der Mauer entlang. Zwei der Hunde erspähten ihr Opfer, aber nur einer nahm die Spur auf.

 

Valerie Howett lief, so schnell sie konnte. Ihr Herz schlug wild, ihr Atem ging schnell, und sie keuchte schwer. Der Hund, der sie verfolgte, kam näher und näher, und dahinter hörte sie menschliche Fußtritte. Sie erreichte wieder die schützenden Bäume. Sie war nur von dem einen Gedanken beherrscht, ob es ihr noch glücken würde, die Leiter zu erreichen. Sie durfte sich nicht umsehen – das war auch nicht notwendig, denn sie hörte das Jappen des Hundes dicht hinter sich. Sie dachte nicht an den Revolver, den sie in der Tasche trug, obwohl er bei jedem Sprung gegen ihre Hüfte schlug.

 

Das Gehölz, durch das sie eilte, lag etwas erhöht. Sie lief einen kleinen Hügelpfad hinauf, aber es wurde ihr schwerer und schwerer, weiter zu kommen. Und dann sprang der Hund plötzlich zu. Sie hörte das Schnappen seiner Zähne, aber er hatte ihr Bein nicht gefaßt. Durch diesen Fehlsprung war das Tier etwas zurückgeblieben. Die Gefahr gab ihr übermenschliche Kräfte und beflügelte ihre Schritte noch einmal. Aber jetzt mußte sie wieder über eine offene Stelle. Sie hatte es nicht bemerkt, bis sie aus den Sträuchern herauskam. Die Spitze des Hügels lag vor ihr.

 

Ihre Eile trieb sie vorwärts, sonst würde sie vor Schrecken zusammengebrochen sein, denn klar und scharf sah sie eine schlanke, grüne Gestalt vor sich mit geisterhaft weißem Gesicht, das sie anstarrte. Ein langer Bogen blitzte grün im Mondlicht.

 

sternchenland.com Valerie konnte nicht anhalten, sie mußte weitereilen. Sie sah, wie der Bogen gehoben wurde, sie hörte die Sehne schwirren. Ein schwerer Körper prallte an ihre Schulter, sie erkannte sekundenlang einen gelb und schwarz gefleckten Hund, der sich im Todeskampf streckte – dann brach sie ohnmächtig zusammen.

 

Kapitel 27

 

27

 

»Mr. Howett möchte gern wissen, ob Sie zum Frühstück kommen, gnädiges Fräulein!«

 

Valerie setzte sich im Bett aufrecht und fuhr mit der Hand über die Augen. Ihr Kopf schmerzte.

 

»Zum Frühstück?« fragte sie verwirrt. »Ja, ja, bitte sagen Sie ihm, daß ich herunterkomme.«

 

Hatte sie geträumt? Sie schauderte bei der Erinnerung. Nein, es war kein Traum. Ihr Golfkleid lag schmutzbedeckt auf dem Stuhl, und sie besann sich jetzt darauf, daß sie zu Bett gegangen war. Aber wo war sie vorher gewesen? Als sie wieder zu sich kam, befand sie sich im Wohnzimmer von Lady’s Manor. Wie war sie nur dahin gekommen? – Der Grüne Bogenschütze! Sie schauderte, als sie an die Erscheinung dachte. Hatte er sie über die Mauer getragen? Die Leitern mußten sie ja verraten – sie sprang schnell aus dem Bett.

 

»Du hättest nicht herunterkommen brauchen, meine Liebe,« sagte Mr. Howett und küßte sie, als sie in das Speisezimmer trat. Dann setzte er seine Brille auf und betrachtete sie genau. »Du siehst heute morgen nicht sehr wohl aus, Val. Hast du nicht gut geschlafen?«

 

»Doch, sehr gut,« log sie.

 

»Gehst du zu spät zu Bett? Du siehst bleich aus.«

 

Das Frühstück war ihr eine Qual. Sie konnte nichts essen. Später erfand sie rasch eine Entschuldigung, um sich entfernen zu können. Sie wollte die Dienstboten befragen.

 

sternchenland.com »Die Gartentür, gnädiges Fräulein? Nein, sie war von innen verschlossen und zugeriegelt.«

 

»Zugeriegelt – ich dachte, ich hätte sie offengelassen.«

 

Eins stand fest – ohne fremde Hilfe hatte sie das Wohnzimmer nicht erreichen können. Es mußte sie jemand über die Mauer getragen haben. Aber wie konnte dann die Gartentür von innen zugeriegelt sein?

 

Sie eilte in den Park und ging zu der Mauer. Die beiden Leitern waren heruntergenommen und lagen am Fuß der Mauer. So hatte der Grüne Bogenschütze also auch die beiden Leitern entfernt.

 

Sie kehrte ins Haus zurück und ging ins Wohnzimmer. Sie hoffte, dort irgend etwas zu finden, was ihr Aufschluß darüber geben konnte, wie sie dorthin gekommen war. Das Zimmer war inzwischen aufgeräumt worden, das Mädchen hatte abgestaubt und die paar kleinen Dinge, die sie gefunden hatte, wie gewöhnlich auf eine Schale gelegt. Zuerst sah sie dort ihr Taschentuch, das ganz braun vor Schmutz war – scheinbar hatte ihr jemand das Gesicht damit abgewischt. Sie konnte sich nicht besinnen, es selbst benützt zu haben. Als sie das Tuch wegnahm, sah sie noch einen zerbrochenen Manschettenknopf dort liegen. Er war aus Gold und trug ein emailliertes Monogramm. Valerie klingelte dem Mädchen.

 

»Ich danke Ihnen, daß Sie die Sachen zusammengelegt haben. Wo haben Sie sie gefunden?«

 

»Auf dem Boden, gnädiges Fräulein, bei dem Sofa. Zuerst dachte ich, der Manschettenknopf gehörte Mr. Howett, aber er sagte, daß er nichts verloren hätte.«

 

»Aber das ist ja nur ein Stück davon,« entgegnete Valerie.

 

Die drei ineinanderverschlungenen Kettenglieder des Manschettenknopfes waren zerrissen.

 

»Haben Sie auch das andere Stück gefunden?«

 

»Nein, gnädiges Fräulein.«

 

sternchenland.com »Helfen Sie mir bitte suchen, der Knopf gehört einem meiner Freunde.«

 

Nach einer Weile fand das Mädchen den anderen Teil, der unter der Ecke des Teppichs lag. Die beiden Teile paßten genau zusammen.

 

»Viele Streichhölzer lagen heute morgen auf dem Boden, als ich hereinkam, eins hat sogar einen Brandfleck auf dem Teppich hinterlassen.« Sie zeigte auf eine dunkle Stelle in dem neuen Brüsseler Teppich.

 

»Ja, ich habe gestern nacht so viele verbraucht, ich konnte die Lampe nicht finden. Es ist gut so, ich danke Ihnen.«

 

Sie nahm die beiden Stücke des Manschettenknopfes an das Fenster und las das Monogramm.

 

J. L. F. James Lamotte Featherstone! Das konnte nicht sein, das war doch unmöglich! Sie ließ die beiden Stücke in die Tasche ihrer Sportjacke gleiten, als ihr ein Besuch gemeldet wurde. Es war Spike Holland, und er sprudelte über vor Neuigkeiten.

 

»Haben Sie nichts in der vergangenen Nacht von dem Grünen Bogenschützen gehört? Er war hinter dem alten Bellamy her und hat einen seiner Hunde erwischt. Bellamy schäumt vor Wut! Scheinbar hat er den Bogenschützen draußen vor der Burg gesehen – es ist das erstemal, daß er sich außerhalb des Gebäudes im Freien zeigte – Bellamy hat die Hunde auf ihn losgelassen. Das Resultat – ein vollständig toter Hund! Glücklicherweise ist es der schärfste und schlimmste von allen, vor dem sich Julius so fürchtete. Das ist wenigstens eine Beruhigung. Miß Howett, ich bringe Ihnen außerdem eine Einladung von Abel Bellamy, dem Herrn von Garre Castle und dem obersten Blutrichter von Berkshire.«

 

»Eine Einladung für mich?« sagte sie verwirrt.

 

Spike nickte.

 

»Bellamy ist plötzlich menschlich geworden. Er will sternchenland.com fremden Leuten seine Burg zeigen – oder wenigstens will er sie Ihnen zeigen. Er hat nämlich Ihren Namen in der Zeitung gelesen. Er wußte nicht, daß Sie hier wohnten und bittet Sie, ihm einen Besuch zu machen und das Heim der alten Bellamys zu besichtigen. Er ist der älteste von allen.«

 

»Aber das ist doch sehr merkwürdig,« meinte Valerie.

 

»Die Einladung erstreckt sich aber nicht auf Mr. Howett, obgleich ich vermute, daß er ihn nicht abweisen wird, wenn er dorthin kommt. Sie erstreckt sich auch nicht auf mich. Aber wenn Sie zu ihm gehen, Miß Howett, dann lassen Sie mich bitte wissen, wann Sie aufbrechen. Ich habe dann eine gute Entschuldigung, mir die Burg auch anzusehen, denn er kann mich nicht gut abweisen, wenn ich als Ihr Begleiter auftrete.«

 

Sie überlegte schnell.

 

»Ja, ich will hingehen – heute nachmittag nach dem Essen. Wird diese Zeit Mr. Bellamy wohl recht sein?«

 

»Ich werde ihn antelephonieren und es auskundschaften. Aber ich glaube jetzt schon, daß ihm jede Zeit recht sein wird.«

 

»Mr. Holland, wissen Sie eigentlich, wo sich Captain Featherstone augenblicklich aufhält?«

 

»Er war gestern in London. Julius hat ihn dort gesehen.«

 

»Ist er nicht hier im Dorf?«

 

Spike schüttelte den Kopf.

 

»Warum fragen Sie? Wünschen Sie etwas von ihm?«

 

»Nein, nein,« sagte sie hastig. »Ich war nur neugierig, das ist alles.«

 

Sie konnte sich die Einladung Bellamys nicht erklären, als sie allein war. Dann dachte sie wieder über die Ereignisse der letzten Nacht nach. Es war sicherlich Featherstone, der sie in das Haus gebracht hatte. Dann erklärte sich auch, warum die Gartentür von innen verschlossen war. Er war eben durch die Haustür gegangen. Plötzlich erinnerte sie sich daran, daß die Haustür aufgeschlossen wurde und leise Schritte an sternchenland.com ihrer Tür vorbeikamen – sie dachte an die zerbrochene Schüssel – und an den grünen Pfeil!

 

»Es ist nicht möglich!« sagte sie dann laut. »Es ist nicht möglich!«

 

Und sie versuchte, sich gegen ihre bessere Überzeugung einzubilden, daß Jim Featherstone, der Polizeidirektor, nicht mit dem Grünen Bogenschützen von Garre Castle identisch sein konnte.

 

Kapitel 17

 

17

 

Als Julius Savini die Dorfstraße zur Post hinunterging, sah er eine ihm bekannte Gestalt auf dem Bürgersteig. Er war wenig erfreut darüber, und wenn er in eine Seitenstraße hätte entweichen können, hätte er es sicher getan. Aber er mußte an dem jungen, frischen, fröhlichen, rothaarigen jungen Mann vorbei, der seine Morgenzigarre rauchte und wohlgefällig in die Welt schaute; als ob sie sein Eigentum sei. Spike winkte und Savini kam auf ihn zu.

 

»Ich habe furchtbare –« begann er.

 

»Sie haben immer furchtbare Eile, das weiß ich. Und Sie wünschen nicht, daß der Alte sieht, daß Sie mit mir sprechen, sonst verlieren Sie Ihre Stelle, das weiß ich auch alles ganz genau. Sagen Sie einmal, Julius, wir müßten eigentlich besser miteinander bekannt werden. Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, daß ich Sie mit Ihrem Vornamen anrede. Das tue ich nur bei ganz bevorzugten Leuten … Nein, nein, ich mache keinen Spaß. Meinen ersten Jungen werde ich auch Julius nennen. Nun hören Sie mal zu, ich möchte Sie etwas fragen. Kennen Sie Featherstone von Scotland Yard?«

 

Savini nickte.

 

»Ja, ich kenne ihn,« sagte er kurz. »Er ist doch der Herr, der so viel bei den Howetts verkehrt. Warum suchen Sie denn nicht Mr. Howett auf? Er wohnt doch jetzt in Lady’s sternchenland.com Manor und kann Ihnen über Featherstone genügend Aufklärung geben.«

 

»Ich war schon bei ihm,« erwiderte Spike. »Also Sie kennen Featherstone?«

 

»Das habe ich Ihnen doch schon gesagt,« entgegnete Julius ungeduldig. »Nun muß ich aber wirklich fort, Holland.«

 

»Kennen Sie mich doch Spike, ich möchte wirklich, daß wir gute Freunde werden. Was haben Sie eigentlich für einen neuen Hausmeister?« fragte er obenhin.

 

Julius zuckte die Schultern.

 

»Er ist ein ganz brauchbarer, tüchtiger Mann. Er wurde uns von einem Londoner Bureau zugeschickt.«

 

»Ein tüchtiger Hausmeister? Das klingt ja ganz nüchtern,« sagte Spike und sah den anderen scharf an. »Kommt er denn auch mal ins Dorf herunter?«

 

»Ich glaube schon.«

 

»Ist es jemand, den Sie schon von früher her kennen?«

 

»Warum fragen Sie mich denn nun dauernd über den Hausmeister aus?« entgegnete Julius ärgerlich. »Ist er etwa ein Freund von Ihnen?«

 

»Wozu laufen Sie nun schon wieder so eifrig davon?« sagte Spike und hielt Savini am Arm fest, als er entschlüpfen wollte. »Sagen Sie mal, gibt es etwas Neues? Was macht der Grüne Bogenschütze? Ist er noch immer in Ferien?«

 

»Nein, er war wieder da,« fuhr Julius heraus. »Er hat in der letzten Nacht die Hunde betäubt. Ich bin gerade auf dem Weg zur Post, um ein Telegramm abzuschicken, damit noch zwei neue Hunde kommen sollen. Der Alte denkt nämlich, daß der Bogenschütze nicht imstande ist, vier Hunde zu betäuben.«

 

Jetzt glückte es Savini, sich loszumachen, er lief, so schnell er konnte, davon und bemühte sich, eine möglichst große Strecke zwischen sich und den neugierigen Spike zu bringen. sternchenland.com Holland hatte an dem Morgen einen Brief aus Belgien bekommen. John Wood hatte die Absicht, am Ende der Woche wiederzukommen und lud Spike ein, mit ihm zu essen. Der eine Teil des Briefes interessierte ihn sehr.

»Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie mir einen so langen Bericht über Bellamy und die außerordentlichen Vorgänge in seiner Burg eingeschickt haben. Seit dieser Zeit halte ich Ihre Zeitung und verfolge Ihre Artikel über den Grünen Bogenschützen. Ihre Ausführungen sind sehr bemerkenswert. In Ihrem Begleitbrief sprachen Sie noch die Vermutung aus, daß Abel Bellamy durch die dauernde Beunruhigung des Grünen Bogenschützen zusammenbrechen wird. Aber wie ich Ihnen schon früher sagte, irren Sie sich in diesem Punkt. Nichts in der Welt kann diesen teuflischen Menschen in Furcht setzen. Auch glaube ich nicht, daß Abel Bellamy von seiner Hand getötet werden wird wie Creager. Meiner Meinung nach hängt Bellamys Schicksal von den Entdeckungen ab, die der Unbekannte in dem Schloß macht, in dem er umgeht.«

Der Brief handelte dann weiter von Woods großem Plan und den Fortschritten, die er bei dessen Durchführung gemacht hatte. Es war ihm gelungen, eine Anzahl reicher Amerikaner und Engländer für sich zu interessieren, und er hatte einen größeren Erfolg, als er jemals hoffen durfte. Spike las aber diesen Teil des Briefes nicht sorgfältig durch, denn im Moment war er gerade nicht leidenschaftlich an Wohlfahrtseinrichtungen für kleine Kinder interessiert, um so mehr aber an Abel Bellamy. Er konnte sich nicht genügend Wundern über den großen Unterschied in dem Charakter dieser beiden Männer. Der eine war ein brutaler Riese, der wie ein Menschenfresser in den Märchen in seiner Festung saß und von dem nur Unglück und Haß ausgingen, während der andere, durch eine zarte und mitleidvolle Seele getrieben, sein ganzes Lebenswerk der Nächstenliebe widmete.

 

sternchenland.com Holland hatte eine Einladung zu Tisch bei den Howetts erhalten und wanderte nun die hübsche Allee hinauf, die an den hohen Mauern der Burg entlangführte. Plötzlich kamen die Kamine von Lady’s Manor in Sicht, die noch aus der Zeit der Königin Elisabeth stammten.

 

Spike hatte sich schon früher um alte Bauten gekümmert, und wie die meisten Amerikaner wußte er besser mit der Baugeschichte Englands Bescheid als die Engländer selbst, die diese Schönheiten jeden Tag sehen. Lady’s Manor war im fünfzehnten Jahrhundert für Isabel d’Isle erbaut worden, die einer der de Curcys liebte. Es war teilweise zur Zeit der Königin Elisabeth durch Feuer zerstört, aber sofort wieder aufgebaut worden.

 

Der Tag war schön und für diese Zeit des Jahres warm. Als er in den Garten eintrat, fand er Valerie Howett dort, die das Einpflanzen von Blumenknollen überwachte.

 

»Es sieht so aus, als ob Sie sich für immer hier niedergelassen haben,« lächelte Spike, als er ihr die Hand gab.

 

»Ja – für lange Zeit,« sagte sie ruhig. »Sie werden meinen Vater in der Bibliothek finden. Ich fürchte, daß Ihnen das Haus etwas ungemütlich vorkommt, weil die Handwerker noch da sind, Mr. Holland, aber das Zimmer meines Vaters ist vollkommen renoviert, und dort haben Sie Ruhe.«

 

Die melancholische Stimmung im Gesichtsausdruck Mr. Howetts war verschwunden. Er war freundlich und guter Dinge, und Spike, der den Grund nicht ahnen konnte, dachte, daß der Luftwechsel eine so günstige Wirkung auf ihn hervorbrachte. Aber dann zeigte ihm Mr. Howett stolz alle die Papiere und Bücher, die er gesammelt hatte und erzählte ihm von seinem Plan, ein Buch zu schreiben. Er fragte ihn sogar wegen der Einleitung um Rat.

 

»Haben Sie schon etwas von Ihrem Nachbar gesehen, Mr. Howett?«

 

sternchenland.com »Wer ist das? Ach meinen Sie etwa Bellamy?« Mr. Howett verzog das Gesicht. »Nein, ich möchte überhaupt nichts von ihm sehen. Gott sei Dank ist er ein wenig geselliger Mensch, und ich brauchte nicht zu fürchten, daß er zum Tee zu uns herüberkommt,« fügte er ernst hinzu. »Haben Sie sich in England auch schon an das ewige Teetrinken gewöhnt? Wenn nicht, so vermeiden Sie es, es ist schlimmer, als wenn man ein anderes Narkotikum zu sich nimmt.«

 

Der Park, der zu Lady’s Manor gehörte, war nicht sehr ausgedehnt. Er war etwas weniger als zwei Morgen groß und nach der einen Seite durch die Mauern der Burg Bellamys begrenzt. Dies konnte Spike auch nach dem Essen feststellen, als die junge Dame ihm den Garten zeigte.

 

»Hier scheint ein Tor nach drüben zu gehen, Miß Howett!«

 

»Früher war hier ein Tor,« sagte sie fast bedauernd, »aber Mr. Bellamy hat die Öffnung auf der anderen Seite zumauern lassen.«

 

»Vielleicht hat er Angst vor dem Grünen Bogenschützen,« meinte Spike lustig. »Sie fürchten sich doch nicht etwa, wenn ich diese indiskrete Frage an Sie stellen darf, Miß Howett?«

 

»Nein, nicht im geringsten.«

 

Spike betrachtete die Mauer mit dem größten Interesse.

 

»Sie ist hier niedriger als sonst irgendwo,« sagte er. »Sie hätten von hier aus die beste Gelegenheit, einmal einen Erkundigungsgang in Bellamys feudale Besitzung zu unternehmen.«

 

Er trat an die Mauer und streckte seinen Arm aus. Er konnte das obere Ende der Mauer mit der Hand erreichen.

 

»Es gehören nur zwei leichte Leitern dazu, dann sind Sie drüben – ich fange an, Sie zu beneiden, Miß Howett. Ich möchte Sie ja nicht darum bitten, mir dabei behilflich zu sein, einen Einbruch in die Burg von Ihrem Hinterhof aus zu machen. Aber wenn Sie mich nur ein wenig ermutigten, sternchenland.com würbe ich in einer dunklen Nacht kommen und mich einmal persönlich nach dem Bogenschützen umsehen.«

 

Sie lachte leise.

 

»Ich werde mich hüten, Sie zu ermutigen, Mr. Holland,« sagte sie. »Haben Sie Captain Featherstone in der letzten Zeit einmal gesehen?« fragte sie dann plötzlich.

 

»Nein, seit letztem Montag nicht mehr. Er erzählte mir, daß er verreisen müßte, obgleich ich das stark bezweifle. Unter uns gesagt, Miß Howett, ich habe eine Idee, daß er der neue Hausmeister in der Burg ist. Ich weiß, daß er sich sehr für Bellamy und besonders für seine Gasrechnungen interessiert. Was er nun gerade hierin findet, mag der Himmel wissen!«

 

»Was sagten Sie da eben?« fragte sie schnell.

 

Spike erzählte von dem häuslichen Streit, der zur Entlassung des früheren Hausmeisters von Garre geführt hatte.

 

»Ich habe es Featherstone neulich erzählt, und nachher ist mir erst eingefallen, daß er sich vielleicht um den Posten beworben hat. Diese Leute von der Geheimpolizei geben alle gute Hausmeister ab. Einige von ihnen sind die ganze Zeit in solchen Stellungen beschäftigt und tun nichts anderes. Aber um Ihnen die Wahrheit zu sagen, ich selbst hatte auch den Plan, einen unserer Leute von der Zeitung hinzuschicken. Aber bevor unser Redakteur sich die Sache überlegte, dann erst noch einen Rechtsanwalt um Rat fragte und in der Stille der Nacht seine Seele auf Herz und Nieren prüfte, ob das möglich sei, war die Stelle natürlich längst besetzt. Ich bin davon überzeugt, daß Featherstone der neue Hausmeister ist, denn erstens sagt man, daß er sehr hübsch sein soll, und zweitens kommt er niemals ins Dorf, das wir ihn uns auch einmal ansehen könnten. Etwas spricht allerdings dagegen. Ich habe heute morgen mit Julius Savini gesprochen. Ich vermute, daß er eine etwas böse Vergangenheit hat und daß es nur wenig Justizbeamte gibt, die ihn nicht kennen. Wenn Featherstone sternchenland.com nun der neue Hausmeister wäre, hätte Savini es Bellamy sicher verraten.«

 

Sie dachte nach.

 

»Also Captain Featherstone hat der hohen Gasrechnung solchen Wert beigelegt?«

 

Spike nickte.

 

»Möglich, daß er ein Familienvater ist,« sagte er leichthin. »Wenn er Junggeselle wäre, hatte ihn doch die Tragödie einer großen Gasrechnung nicht weiter beunruhigt.«

 

»Captain Featherstone ist nicht verheiratet,« sagte sie ein wenig kühl und wurde rot, als Spike sich wegen seines Irrtums entschuldigte.

 

»Ich weiß gar nicht, warum Sie sich entschuldigen,« sagte sie gereizt. »Ich habe Ihnen doch nur gesagt, daß er nicht verheiratet ist. Sie kennen also Julius Savini?« fragte sie, da sie die Unterhaltung auf einen anderen Gegenstand bringen wollte. »Können Sie mir irgend etwas von ihm erzählen?«

 

»Nicht viel,« erwiderte Spike überrascht. »Ich weiß nur, daß er ein Mischblut ist. Sein Vater war ein Italiener, seine Mutter eine Inderin, und ich glaube, Julius hat die schlechten Charakterzüge von beiden geerbt. Früher war er mit der Crowley-Bande zusammen, aber ich habe nie erfahren, ob er der Verführte oder der Verführer war. Die Polizei hat vor einem Jahr die Gesellschaft unschädlich gemacht und aus einem mir unbekannten Grunde gelang es Julius, sich aus dem Staube zu machen. Möglich, daß er also auch nur von den anderen verführt wurde, vielleicht diente er ihnen nur als Lockvogel. Ich war zuerst erstaunt, ihn in Bellamys Diensten zu finden, aber als ich es mir dann später überlegte, erkannte ich, daß Julius gerade der Mensch war, der dem Alten besonders paßte. Er ist ein geborener Schuft und hat überhaupt kein Gewissen. Aber er fürchtet sich entsetzlich vor Bellamy. Er hat den Kopf voller Pläne, schnell reich zu werden, aber er hat weder Verstand noch Energie, um diese Pläne sternchenland.com auszuführen. Das ist sein Charakter, und ich glaube, daß ich ihm nicht unrecht tue.«

 

»Sie beurteilen ihn wahrscheinlich richtig,« entgegnete Valerie.

 

Spike hatte für unbegrenzte Zeit Aufenthalt in Garre genommen. Zweimal am Tage telephonierte er mit seiner Redaktion, und obwohl Mr. Syme vermutete, daß der Grüne Bogenschütze nur ein Vorwand für ihn war, sich von der Arbeit zu drücken, und die Geschichte auch dem Publikum nicht mehr so interessant war, wollte er doch die Verantwortung nicht auf sich nehmen, seinen Angestellten zurückzurufen.

 

Am Nachmittag sprach Spike gerade mit der Redaktion, als er Valerie in ihrem Auto in der Richtung nach London die Straße entlang fahren sah. Das Telephon im Blauen Bären befand sich in der großen Halle, was etwas peinlich für ihn war, wenn er geheime Unterredungen mit der Polizei führen wollte, denn das Telephon befand sich in Hörweite vom Buffet.

 

Er trat in die Haustür und schaute hinter Valerie her. Dann kam ihm plötzlich ein Gedanke. Er ging zum Telephonapparat zurück und verlangte noch einmal die Redaktion. Nach einer Viertelstunde hatte er glücklich die Verbindung bekommen, und das war für die dortigen ländlichen Verhältnisse ein äußerst günstiger Schnelligkeitsrekord.

 

»Sind Sie am Apparat, Mr. Syme? Miß Howett ist nach London gefahren, schicken Sie doch einen Mann hinter ihr her. Ich glaube, man könnte manches dabei herausbekommen, wenn man ihr folgte. Nicht, daß man es in die Zeitung bringt, verstehen Sie mich, aber es könnte mir bei der Aufklärung hier helfen.«

 

»Ach, Miß Valerie – hat sie denn auch irgend etwas mit Grünen Bogenschützen zu tun?« fragte Mr. Syme ironisch.

 

»Nicht nur ein wenig – ich glaube, sie spielt eine der Hauptrollen bei der ganzen Geschichte,« erhielt Syme zur Antwort. sternchenland.com

 

Kapitel 18

 

18

 

Fay Clayton wohnte allein, aber sie führte deshalb doch kein einsames Leben. In ihrer kleinen Wohnung in Maida Vale lebte sie mehr oder weniger zurückgezogen, aber sie hatte viele Freunde und verkehrte in mehreren Lokalen, wo sie Erholung und Vergnügen fand. Es würde nicht der Wahrheit entsprechen, wenn man sagen wollte, daß sie ihren Mann vermißte. Trotzdem zeigte sie Julius gegenüber eine Anhänglichkeit, die sonst niemand teilte. Sie hatte noch nie Gelegenheit gehabt, an seiner Treue zu zweifeln, und während der letzten fünf Monate hatte sich ihre finanzielle Stellung bedeutend gebessert.

 

Als Julius noch mit der Falschspielerbande arbeitete und einer der vier tüchtigen Leute war, die andere betrogen, die sich zu sicher fühlten, führte sie ein wenig sicheres und ruhiges Leben. Wochenlang lebten sie von geliehenem Geld oder dem Versetzen von Schmuckstücken, und selbst wenn ihnen ein großer Fang gelungen war, dauerte das gute Leben meist nicht lange. Aber jetzt erhielt sie eine dauernde, große Geldunterstützung von ihm, womit sie früher gar nicht gerechnet hatte. Sie quälte ihren Mann nicht mit Fragen, woher er dieses Geld bekam. Daß Abel Bellamy ihm kein außerordentlich hohes Gehalt zahlte, wußte sie, denn sie kannte die Höhe seines Monatsgeldes.

 

Er hatte also irgendeinen anderen guten Nebenverdienst, der sicher sein mußte, denn Julius schreckte bekannterweise vor gefährlichen Dingen zurück. Er hatte ihr niemals erzählt, was er eigentlich zu tun hatte, und als sie über das viele Geld nachdachte, das er bekam, glaubte sie, daß er als Privatsekretär Bellamys vielleicht auch die Haushaltskasse verwaltete. Das hatte dann wenigstens zum Teil den Besitz des vielen Geldes erklärt. Er zahlte ihr nicht nur eine sehr anständige Summe für den Lebensunterhalt, sondern machte sternchenland.com ihr auch unerwartete Geschenke in Form von Schmucksachen und Juwelen, die allem Anschein nach neu und ehrlich gekauft waren. Sie hatte sich also über nichts zu beklagen. Julius war in einer sicheren Stellung, und sie konnte ihre neuen Diamantringe in ihrem Lieblingsnachtklub sehen lassen, ohne im mindesten fürchten zu müssen, daß geheimnisvolle fremde Leute erschienen und sie aufforderten, mit ihnen einen kleinen Spaziergang zur Polizeistation zu machen.

 

Aber auch das hatte gerade keine großen Schrecken mehr für sie. Sie war mit ihrem fünfzehnten Jahr schon dreimal im Gefängnis gewesen, und der Schrecken vor der Gefangenschaft hatte seine Wirkung auf sie verloren, denn er besteht gewöhnlich nur in der Furcht vor dem Unbekannten. Das einzige Unangenehme der Haft bestand für sie dann, daß sie mit der Polizei in Berührung kam und ihr das Recht geben mußte, sie anzuhalten, mit ihr zu sprechen und Fragen an sie zu stellen, die manchmal sehr unangenehm zu beantworten waren.

 

Sie war gerade in ihrer kleinen Küche und bügelte eine Bluse, als an die Tür geklopft wurde. Ihr Mädchen (ein optimistischer Titel für die unordentliche Frau, die täglich kam, um die Wohnung zu reinigen), war ausgegangen, um einzukaufen. So ging Fay selbst zur Tür und öffnete. Sie hatte erwartet, einen Händler zu treffen, aber sie sah einen schlanken, etwas vornüber gebeugten, hohläugigen, jungen Mann vor sich, der einen schlecht sitzenden, ärmlichen Anzug trug.

 

»Jerry!« rief sie und öffnete. »Komm schnell herein!«

 

Sie schloß die Tür hinter ihm, und er folgte ihr ins Wohnzimmer.

 

»Wann bist du denn herausgekommen?« fragte sie.

 

»Heute morgen,« antwortete er. »Hast du etwas zu trinken? Ich sterbe vor Durst. Wo ist Julius?«

 

Sie nahm eine Flasche und ein Syphon mit Sodawasser sternchenland.com vom Buffet, setzte beides vor ihm hin, und er goß sich reichlich ein.

 

»Das schmeckt gut,« sagte er. Allmählich kam wieder etwas Farbe in sein blasses Gesicht. »Aber sage mir doch, wo ist Julius?«

 

»Er ist nicht hier im Hause, Jerry. Er hat eine Stellung auf dem Lande.«

 

Er nickte und schaute wieder nach der Flasche.

 

»Das war genug für dich!« sagte sie und stellte den Whisky wieder ins Buffet zurück.

 

»Was wirst du jetzt tun? Was hast du vor?«

 

»Ich weiß es wirklich nicht. Unsere Gesellschaft ist ja auseinandergesprengt. Julius hat eine Stellung, wie ich höre. Hält er sich jetzt ordentlich?«

 

»Gewiß!« sagte Fay etwas beleidigt. »Jerry, du mußt dir jetzt auch ordentliche Arbeit suchen. Die Bande ist aufgelöst – Laß in Zukunft deine Finger davon.«

 

Sie waren Geschwister, obwohl niemand eine Verwandtschaft zwischen der hübschen Frau und dem hohläugigen, heruntergekommenen Menschen vermutet hätte, der eben aus dem Gefängnis kam.

 

»Ich habe Featherstone getroffen.«

 

»Hat er dich hierhergehen sehen?« fragte sie.

 

Er schüttelte den Kopf.

 

Nein, ich bin ihm im Westen begegnet. Er hielt mich an und fragte mich, wie es mir ginge und was ich unternehmen würde. Er ist wirklich kein schlechter Mensch.«

 

Sie verzog das Gesicht.

 

»Dir kommen manchmal etwas phantastische Illusionen in den Kopf, Jerry. Aber was willst du jetzt anfangen?«

 

»Ich habe dir doch eben gesagt, daß ich es nicht weiß.« Er schob seinen Stuhl zurück und schaute nachdenklich auf die Tischdecke. »Da ist eine Gesellschaft, die auf den großen sternchenland.com Dampfern im Atlantischen Ozean arbeitet, die würde mich aufnehmen und möchte gern, daß ich mitmache. Ich muß sagen, daß ich so etwas noch nie gemacht habe und es würde auch ein kleines Kapital voraussetzen – so zweihundert für die Hin- und Rückreise, und dann muß man auch immer darauf gefaßt sein, daß man eine Reise macht, ohne irgendeinen Erfolg zu haben. Du könntest mir das Geld wohl nicht leihen?«

 

Sie biß sich auf die Unterlippe und dachte nach.

 

»Ich könnte es schon,« sagte sie langsam.

 

»Du kannst sicher sein, daß es ganz guten Verdienst abwirft. Es ist viel sicherer, als wenn man hier auf dem Lande etwas macht. Du hörst niemals, daß Leute, die auf Schiffen zusammenarbeiten, irgendwie gefaßt worden sind,« Er sah sich in dem Zimmer um. »Es ist doch eigentlich ganz schön, daß man wieder frei ist. Ich habe genug vom Gefängnisleben.«

 

»Wo hast du gesessen, Jerry?«

 

»Ich war in Pentonville, wo Creager früher im Amt war. Ich könnte dir ein paar Geschichten über ihn erzählen, daß dir die Haare zu Berge ständen, Fay. Kann ich hier bei dir wohnen?«

 

Sie zögerte einen Augenblick.

 

»Ja, du kannst in Julius‘ Zimmer wohnen.«

 

»Kommt er denn nicht hierher?« fragte er stirnrunzelnd.

 

»Das geht doch nicht. Ich höre jeden zweiten Tag von ihm, und ich kann mich wirklich nicht über ihn beklagen.«

 

Er schaute auf seine zerknitterten Kleider, und man sah, daß er sich ihrer schämte.

 

»Ich möchte mich neu einkleiden – hast du etwas Geld?«

 

»Das kann ich schon für dich besorgen, so kannst du nicht herumlaufen, Jerry. Ich hoffe nur, daß dich niemand hier hereinkommen sah. Die Leute, die hier wohnen, sind sehr korrekt, und ich möchte nicht haben, daß man dich hier sieht, sternchenland.com bevor du nicht etwas repräsentabler aussiehst. Ich dachte, du würdest erst sechs Monate später herauskommen.«

 

Er lachte.

 

»Der Gefängnisarzt sorgte dafür, daß ich entlassen wurde. Meine Brust ist nicht in Ordnung, und ich bat um eine Spezialbehandlung. Deswegen haben sie mir einen Teil der Strafe erlassen. Im Gefängnis weiß man mit kranken Leuten nichts anzufangen. – Aber ich habe noch einige gute Kleider auf der Gepäckaufbewahrung bei der Charing Croß Station,« sagte er plötzlich. »Vielleicht bist du so gut und besorgst sie für mich. Ich brauche dann nicht mehr soviel, um mich wieder auszustatten.«

 

Sie nahm den Gepäckschein und fuhr am Nachmittag zur Eisenbahnstation, um seinen Koffer zu holen. Der Chauffeur brachte sie auf dem kürzesten Weg durch Fitzroy Square dorthin. Fay kannte die ganze Gegend genau, dort lag auch ein Restaurant, in dem sie früher viel verkehrt hatte. Es gab in dem Lokal viele kleine Einzelräume, wo sich Leute versammeln und sicher sein konnten, daß sie nicht beobachtet wurden. Man konnte dort Pläne besprechen, ohne belauscht zu werden, und es war ein bevorzugtes Lokal für Verbrecherbanden. Auch Fay hatte sich früher immer mit den anderen dort getroffen.

 

Als sie vorbeifuhr, sah sie am Eingang einen Mann stehen und erschrak, als sie ihn erkannte. Es war Julius. Als sie sich nach vorne lehnte und an die Scheibe klopfte, fuhr eben ein anderes Auto vor, aus dem eine Dame ausstieg. Sie sah, wie Julius seinen Hut zog und die beiden dann durch die enge Tür von El Moro’s verschwanden.

 

Fay ließ ihren Wagen sofort halten und sprang heraus. Sie hatte Valerie Howett früher nur einmal gesehen und erkannte sie sofort wieder. sternchenland.com

 

Kapitel 19

 

19

 

Valerie sah sich erstaunt in dem reich ornamentierten Zimmer um, in das sie hineingeführt wurde. Ein unangenehmer Geruch von abgestandenen Zigarrenqualm lag in dem Raum. Die verblichene Vergoldung der Dekorationen, die schweren Sammetvorhänge und die überladene und unechte Eleganz berührten sie unangenehm und abstoßend.

 

Julius schickte den lächelnden Kellner fort und schloß die Tür. Er war feinfühlig genug, Valeries Widerwillen nachzuempfinden.«

 

»Es tut mir sehr leid, daß ich Sie hierherführen mußte, Miß Howett, aber es ist der einzige Platz, wo wir ganz sicher nicht beobachtet werden.«

 

»Was ist denn dies für ein Lokal?« fragte sie neugierig.

 

»Es ist sehr bekannt,« sagte Julius diplomatisch. »Wollen Sie nicht Platz nehmen, Miß Howett? Ich kann Ihnen heute nicht so sehr viel Neues berichten,« fuhr er fort, als sie sich auf die Ecke eines Plüschsessels gesetzt hatte. »Mr. Bellamy macht es mir immer schwerer, etwas zu entdecken.«

 

»Haben Sie die Photographie für mich gebracht?«

 

Er schüttelte den Kopf.

 

»Als ich sie jetzt holen wollte, fand ich, daß die Schublade leer war. Bellamy muß entdeckt haben, daß ich seinen Schreibtisch durchsuchte, er hat mir sogar Andeutungen darüber gemacht. Ich habe sehr viel für Sie gewagt, Miß Howett.«

 

»Ich habe Sie ja auch dafür bezahlt,« antwortete sie kühl. »Ich bin mir nicht ganz klar darüber, Mr. Savini, ob Sie alles, was Sie für mich unternommen haben, mir zuliebe oder für das Geld getan haben, das ich Ihnen bezahle. Sie haben Ihre eigenen Pläne, dessen bin ich ganz sicher, und Sie arbeiten mindestens ebensoviel für sich wie für mich. Aber das ist schließlich nicht meine Sache. Ich muß die Photographie sternchenland.com haben. Sie sagten, es wären auch noch andere Photographien da?«

 

»Ja, ein Bild seines Neffen,« sagte Julius. Miß Howett schaute ihn erstaunt an.

 

»Seines Neffen?« fragte sie ungläubig. »Ich wußte überhaupt nicht, daß er irgendwelche Verwandten hatte.«

 

»Ich nehme nur an, daß es sein Neffe war. Er wurde im Krieg getötet.«

 

Fay Clayton hatte ganz richtig vermutet, daß Julius eine hohe Nebeneinnahme hatte. Jede kleine Nachricht, die Valerie Howett über Bellamy und über seine Gewohnheiten erfuhr, hatte sie von dem aalglatten Savini. Die Börse der jungen Dame war auch die Goldmine, aus der Fays größere Einnahmen kamen.

 

»Auf der Rückseite der Damenphotographie war nichts zu sehen, woraus man schließen könnte, wer auf dem Bilde dargestellt war? Warum haben Sie denn die Photographie nicht genommen, als Sie damals die Gelegenheil dazu hatten?«

 

»Es tut mir auch leid, daß ich es unterließ,« sagte er bedauernd. »Aber wenn er herausgefunden hätte, daß sie nicht mehr da war, hatte er mich sofort hinausgeworfen. Ich zittere bei dem Gedanken, was dann passiert wäre.« Und Julius zitterte buchstäblich.

 

»Sie schrieben in Ihrer kurzen Mitteilung, daß der Grüne Bogenschütze wieder erschienen sei und die Hunde betäubt habe.«

 

»Er ging in Bellamys Zimmer,« sagte Julius und nickte zur Bekräftigung. »Ich kann Ihnen nur eine wichtige Mitteilung bringen, Miß Howett. Bellamy hat heute morgen an Smith geschrieben. Er sandte mich mit dem Brief sofort zur Post, damit ich ihn einschreiben lassen sollte. Nebenbei bemerkt, war das Schreiben versiegelt, und aus dem Gewicht schließe ich, daß es eine Geldsendung war. Smith bekommt mehr Geld als Creager. Ich schätze die Summe, die er monatlich sternchenland.com erhält, auf etwa hundert Pfund. Ich weiß es, weil ich letzten Monat von der Bank hundert Pfund abheben mußte. Am selben Abend kam Mr. Bellamy zu mir und fragte mich um weiteres Geld, das er für Wilks brauchte, der etwas anschaffen sollte.«

 

»Wer ist denn eigentlich der neue Hausmeister?« fragte Valerie.

 

»Ich kenne ihn nicht. Er ist ein sehr angenehmer Mensch, aber ich sehe nicht viel von ihm.«

 

Valerie dachte eine Weile nach. Sie hatte einen erfolglosen Versuch gemacht, mit dem einen Helfershelfer Bellamys in Verbindung zu kommen, und dieser Versuch hätte beinahe ein böses Ende für sie gehabt. Es stand bei ihr fest, daß Coldharbour Smith ihr die Lösung des Geheimnisses geben konnte, das sie so sehnlichst zu enthüllen wünschte.

 

»Ich möchte mehr über diesen Mann wissen,« sagte sie. »Haben Sie nichts herausgefunden, das sich auf ihn bezieht?«

 

»Nein, gar nichts. Bellamys Privatpapiere und Akten sind in dem Geldschrank eingeschlossen, und es gehört ein Sachverständiger dazu, um ihn aufzubrechen. Mr. Bellamy verwahrt den einzigen Schlüssel stets persönlich, er trägt ihn immer mit sich herum und läßt ihn niemals liegen. Ich war schon in seinem Zimmer, bevor er morgens aufstand, aber ich habe niemals den Schlüssel entdecken können. Daraus schließe ich, daß er ihn mit ins Bett nimmt.«

 

»Teilen Sie mir sofort mit, wenn sich etwas Neues ereignen sollte. Hat er neue Hunde bekommen?« fragte sie mit einem Lächeln, als sie sich erhob. »Es ist ja nun auch für Sie leichter, mir Nachrichten zukommen zu lassen, da ich in Lady’s Manor wohne. Sie brauchen nur ein kleines Briefchen über die Mauer zu werfen.«

 

Plötzlich hörten sie von draußen aufgeregte und böse Stimmen. Die Tür wurde heftig aufgerissen, und eine Frau erschien in der Öffnung. Ihr Gesicht war rot vor Zorn, ihre sternchenland.com Augen schossen Blitze, und es dauerte einige Zeit, bis sie sich soweit beherrschte, daß sie sprechen konnte. Valerie war erstaunt und entsetzt.

 

»Ich möchte nur wissen, was Sie hier mit meinem Manne zu tun haben, Miß Howett?« fragte sie mit einer schrillen Stimme, die sich überschlug.

 

»Mit Ihrem Mann?« fragte Valerie und schaute von der Frau zu Julius, der ein bedrucktes Gesicht machte.

 

»Aber meine Liebe, es ist doch alles in Ordnung. Ich habe diese Dame hier getroffen, um geschäftlich mit ihr zu verhandeln,« wandte Julius ein.

 

»Was, geschäftlich zu verhandeln?« Fay hatte die Hände in die Hüften gestemmt und sah ihren Mann wütend an. »Das ist eine schöne Geschichte – du bist hierhergekommen, um über Geschäfte zu reden? Konntest du sie denn nicht in ihrem Hotel treffen? Weswegen schleichst du dich denn hier herum?«

 

Valerie hatte ihre Selbstbeherrschung wiedergewonnen.

 

»Ach, das ist Ihre Frau, Mr. Savini?« fragte sie.

 

»Was, sie fragt noch, ob ich seine Frau bin?« fuhr Fay los. »Ja, ich kann mit allem Recht sagen, daß ich es bin! Julius, du bist mir ein schöner Bursche! Er kann immer nicht kommen, um mich zu sehen, weil er so viel in Garre zu tun hat!« schrie sie aufgebracht. »Du gemeiner Lügner!«

 

»Nun höre doch zu, ich kann dir ja alles erklären! Ich war gerade auf dem Weg zu dir – ich schwöre es! Ich mußte doch mit Miß Howett erst eine geschäftliche Angelegenheit regeln.«

 

»Und dann kommt Miß Howett allein hierher, um dich in geschäftlichen Angelegenheiten zu sprechen?« fragte sie ironisch und kam aufs neue in Wut. »Geht sie denn ohne Begleitung in ein Lokal wie El Moro’s? Natürlich ist sie allein gekommen!«

 

»Selbstverständlich ist sie nicht allein gekommen!« ertönte sternchenland.com eine kräftige Männerstimme von der Tür her. »Miß Howett kam mit mir.«

 

Fay Clayton fuhr herum und wurde plötzlich ganz klein.

 

»Ach so,« sagte sie verlegen.

 

»Wir müssen doch immer zusammenstoßen, Fay,« sagte Captain Featherstone ironisch. Dann wandte er sich zu der erstaunten Valerie. »Ich wollte Sie eben fragen, wie lange Sie noch hier bleiben wollen, Miß Howett? Sie haben doch nicht vergessen, daß Sie um vier Uhr eine Verabredung haben?«

 

Valerie nahm ihren Pelz auf und folgte Jim die Treppe hinunter. Sie war bestürzt und ärgerlich, und es war echt weiblich von ihr, daß sich ihre Wut nicht gegen Julius oder seine Frau richtete, sondern gegen den Mann, der ihr wieder einmal zur rechten Zeit zu Hilfe kam.

 

Kapitel 2

 

2

 

Der Klang von Stahl gegen Stahl, das Staccato-Trommelfeuer elektrischer Nietmaschinen und Bohrer, der Höllenlärm von Hämmern und Meißeln waren eine liebliche Musik für Abel Bellamys Ohren.

 

Er stand am Fenster seines Wohnzimmers, die Hände auf dem Rücken. Unverwandt schaute er auf die andere Seite der Straße, wo sich dem Hotel gegenüber ein ungeheuer großes Gebäude im Bau befand. Das Stahlgerippe erhob sich türmhoch über die kleinen, niedrigen Häuser der Nachbarschaft zu beiden Seiten.

 

In den Straßen hatte sich eine kleine, neugierige Menschenmenge angesammelt. Ein schwerer, eiserner Träger wurde durch einen Flaschenzug an einem Drahtseil aufgewunden. Höher und höher hob der große Kran die schwere Last, die majestätisch und langsam hin- und herpendelte. Abel Bellamy brummte. Er war nicht zufrieden damit. Er wußte genau auf den Bruchteil eines Zolls, wo der richtige Aufhängungspunkt lag, und der Träger war schlecht ausbalanciert.

 

Wenn die bösen Werke der Menschen in blutiger Schrift an den Tatorten aufgezeichnet wären, wie die Alten glaubten, so würde der Name Abel Bellamys an vielen Stellen in brennendem Rot erscheinen: Auf einer kleinen Farm in Montgomery County in Pennsylvania und in einer grauen Halle im Pentonville-Gefängnis, um nur diese beiden Orte zu nennen.

 

Aber Abel Bellamy hatte keine schlaflosen Nächte wegen seiner Vergangenheit. Reue und Furcht kannte er nicht. Er hatte viel Böses getan und war damit sehr zufrieden. Die Erinnerung an das Entsetzen der Menschen, deren Leben er rücksichtslos zerbrochen hatte, an die Qualen, die er ihnen mit Vorbedacht zugefügt hatte, konnte ihm nichts anhaben. Das Bewußtsein, unschuldige Kinder in Not und Elend gestoßen sternchenland.com und eine Frau durch seinen Haß zu Tode gehetzt zu haben, nur um dem Moloch seiner Selbstsucht ein Opfer zu bringen, verursachte ihm nicht eine Sekunde lang Gewissensbisse.

 

Wenn er sich überhaupt jemals an diese Dinge erinnerte, dachte er nur mit Befriedigung daran. Es erschien ihm vollständig richtig, daß alle niedergetreten wurden, die sich ihm in den Weg stellten. Das Glück hatte ihn stets begünstigt. Mit zwanzig Jahren war er noch ein einfacher Arbeiter gewesen, mit fünfunddreißig hatte er schon eine Million Dollars zusammengebracht und mit fünfundfünfzig war dieses Vermögen verzehnfacht. Er verließ die Stadt, in der er sich heraufgearbeitet hatte, siedelte sich auf einem Adelssitz in England an und wurde der Herr einer Besitzung, die die Blüte der englischen Ritterschaft durch das Schwert erobert und mit dem Schweiß und der Furcht der Unterdrückten erbaut hatte.

 

Seit dreißig Jahren war er mächtig genug, andere zu verfolgen, und warum sollte er sich auch selbst verleugnen? Er bereute nichts und handelte ganz nach seinen Wünschen. Er war von ungewöhnlicher Körpergröße, maß über sechs Fuß und hatte noch im Alter von sechzig Jahren die Kraft eines jungen Stieres. Auf der Straße sahen sich alle Leute nach ihm um, aber nicht wegen seiner außerordentlichen Größe, sondern wegen seiner ins Auge springenden Häßlichkeit. Sein rotes Gesicht war von unzähligen Falten durchzogen, seine Nase war groß und knollenartig. Dicke Lippen umrahmten den großen Mund, dessen eine Seite etwas in die Höhe gezogen war, so daß er ständig höhnisch zu grinsen schien.

 

Er kümmerte sich nicht im mindesten um sein Aussehen und nahm es als eine Tatsache hin, wie ihm auch seine Leidenschaften etwas Selbstverständliches waren.

 

Das war Abel Bellamy aus Chicago, der jetzt in Garre Castle in Berkshire wohnte. Ein Mann, der weder Liebe noch Mitleid kannte.

 

sternchenland.com Noch immer stand er an dem großen Fenster seines Hotels und beobachtete die Bauarbeiten. Wer der Erbauer oder was das für ein Bauwerk war, wußte er nicht und kümmerte sich auch nicht darum. Aber einen Augenblick schien es ihm, als ob die Männer, die sich drüben auf schmalen, gefährlichen Stegen bewegten, seine eigenen Arbeitsleute seien. Er stieß einen halbunterdrückten Fluch aus, als sein wachsames Auge eine Gruppe von drei Schmieden entdeckte, die von dem Polier nicht gesehen werden konnten und müßig umherstanden.

 

Plötzlich schaute er wieder auf den großen hängenden Träger und witterte sofort die Gefahr. Er hatte den Unfall, der sich jetzt ereignete, vorausgesehen. Das freie Ende des Doppel-T-Trägers schwang nach innen und schlug gegen ein Gerüst, auf dem zwei Leute arbeiteten. Er konnte das Krachen trotz des lärmenden Straßenverkehrs deutlich hören, er sah einen Augenblick einen Mann, der sich verzweifelt am Gerüst festhielt, dann in die Tiefe stürzte und in dem großen Wirrwarr von Ziegelhaufen und Mörtelmaschinen hinter dem großen hohen Arbeitszaun verschwand.

 

»Hm!« sagte Abel Bellamy.

 

Er war gespannt, was der Bauunternehmer wohl jetzt tun würde. Wie mochten die Gesetze dieses Landes sein, in dem er sich seit sieben Jahren niedergelassen hatte? Wenn es sein Bau gewesen wäre, würde er seinen Rechtsanwalt losgeschickt haben, um die Witwe aufzusuchen, bevor sie die Nachricht erreichen konnte, und sie zu veranlassen, alle ihre Anforderungen aufzugeben, ehe sie den Betrug wirklich gemerkt hätte. Aber diese Engländer waren dazu viel zu langsam.

 

Die Tür des Wohnzimmers öffnete sich, und er wandte sich um. Julius Savini war schon daran gewöhnt, nur durch ein Brummen gegrüßt zu werden, aber er merkte, daß er heute etwas mehr abbekommen würde als den gewöhnlichen Rüffel, der sein regelmäßiger Morgengruß war.

 

»Savini, ich habe seit sieben Uhr auf Sie gewartet. sternchenland.com Wenn Sie Ihre Stellung behalten wollen, will ich Sie wenigstens vor Mittag sehen. Haben Sie mich verstanden?«

 

»Es tut mir sehr leid, Mr. Bellamy, aber ich sagte Ihnen bereits gestern abend, daß ich heute später kommen würde. Ich bin erst vor ein paar Minuten von außerhalb zurück.«

 

Die Haltung und die Stimme Savinis waren sehr unterwürfig. Er war schon ein ganzes Jahr Bellamys Privatsekretär und hatte gelernt, daß es zwecklos war, seinem Herrn zu widersprechen.

 

»Würden Sie einen Vertreter vom ›Globe‹ empfangen?« fragte er.

 

»Einen Zeitungsmenschen?« sagte Abel Bellamy verächtlich. »Sie wissen doch, daß ich niemals solche Leute empfange. Was will er? Wie heißt er denn?«

 

»Es ist Spike Holland, ein Amerikaner,« antwortete Julius, als ob er um Entschuldigung bitten wollte.

 

»Deswegen ist er mir nicht angenehmer,« brummte Bellamy. »Sagen Sie ihm, daß ich ihn nicht empfangen kann. Ich kümmere mich überhaupt nicht darum, was in den Zeitungen steht. Weshalb kommt er denn? Sie sind doch mein Sekretär!«

 

Julius machte eine Verlegenheitspause, bevor er antwortete.

 

»Er kommt wegen des Grünen Bogenschützen.«

 

Abel Bellamy fuhr wild herum.

 

»Wer hat denn etwas über den Grünen Bogenschützen ausgeplaudert? Das können doch nur Sie Esel gewesen sein!«

 

»Ich habe mit keinem Zeitungsmann gesprochen,« sagte Julius mürrisch. »Was soll ich ihm denn sagen?«

 

»Sagen Sie ihm, er soll sich zum – na, lassen Sie ihn meinetwegen heraufkommen.«

 

sternchenland.com Bellamy hatte sich schnell überlegt, daß der Journalist wahrscheinlich irgendeine Geschichte erfinden würde, wenn er ihn nicht empfing, und er hatte gerade genug von den Zeitungen. Hatte nicht neulich solch ein Blatt den ganzen Lärm in Falmouth inszeniert?

 

In diesem Augenblick führte Julius den Besucher herein.

 

»Ihre Anwesenheit ist nicht notwendig,« fuhr Bellamy seinen Sekretär an. Als Savini gegangen war, brummte er: »Nehmen Sie sich eine Zigarre.«

 

Er stieß die Zigarrenkiste mit einem heftigen Ruck über den Tisch, wie wenn er einem Hund einen Knochen hinwürfe.

 

»Danke,« sagte Mr. Spike Holland, »ich rauche niemals Millionärzigarren. Ich bin nachher nur mit meinen unzufrieden.«

 

»Nun, was wollen Sie?« fragte Bellamy rauh und betrachtete Spike mit zusammengekniffenen Augen.

 

»Man erzählt sich da eine Geschichte, daß ein Geist in Garre Castle umgeht – ein Grüner Bogenschütze –«

 

»Das ist eine gemeine Lüge!« erwiderte Bellamy viel zu schnell und viel zu prompt. Hätte er sich dieser Äußerung gegenüber gleichgültig gezeigt, so hätte er Spike wahrscheinlich täuschen können. Aber die Schnelligkeit, mit der er alles ableugnete, machte dem Zeitungsmann die Geschichte sofort interessant.

 

»Wer hat Ihnen denn das erzählt?« fragte Bellamy.

 

»Wir haben es aus einer ganz sicheren Quelle.« Spike war vorsichtig. »Man hat uns mitgeteilt, daß der Grüne Bogenschütze von Garre in dem Schloß gesehen wurde und offensichtlich in Ihrem Zimmer aus- und eingegangen ist.«

 

»Ich sagte Ihnen doch, daß das gelogen ist!« Abel Bellamys Stimme hatte einen verletzenden und beleidigenden Ton. »Diese verrückten englischen Dienstboten haben nichts anderes zu tun, als sich nach Geistern umzusehen! Es stimmt, daß ich die Tür meines Schlafzimmers eines Nachts offen sternchenland.com fand, aber ich habe vermutlich vergessen, sie zu schließen. Wer hat Ihnen denn diese Auskunft gegeben?«

 

»Wir haben die Nachricht von drei verschiedenen Seiten,« log Spike frech darauf los. »Und alle drei Berichte ergänzen sich, Mr. Bellamy,« meinte er lächelnd, »es wird schon was daran sein. Außerdem erhöht doch so eine Geistererscheinung den Wert einer Burg oder eines Schlosses!«

 

»Da sind Sie aber sehr im Irrtum,« erwiderte Abel Bellamy, der die günstige Gelegenheit wahrnahm, das Thema zu ändern. »Es bringt eine solche Besitzung nur in schlechtes Gerede. Wenn Sie auch nur eine Zeile von Geistern und Gespenstern in Ihre Zeitung setzen, dann werde ich gerichtlich gegen Sie vorgehen – denken Sie daran, junger Mann!«

 

»Es ist möglich, daß auch der Geist noch irgend etwas unternimmt,« sagte Spike äußerst liebenswürdig.

 

Er ging die Treppe hinunter und war sich noch nicht klar, was er tun sollte.

 

Abel Bellamy war nicht der gewöhnliche Millionär, der sich in England ansiedelt und dann von selbst in der englischen Gesellschaft Zutritt findet. Er war von niederer Herkunft, nur halb gebildet und ohne irgendwelchen gesellschaftlichen Ehrgeiz.

 

Als Spike in die Hotelhalle eintrat, fand er Julius, der mit einem großen Herrn mit grauem Bart sprach, der dem besseren Handwerkerstand anzugehören schien. Julius gab Holland ein Zeichen, zu warten.

 

»Sie wissen, in welchem Zimmer er ist, Mr. Creager? Mr. Bellamy erwartet Sie.«

 

Als der Mann gegangen war, wandte sich Julius an den Reporter.

 

»Nun, was hat er gesagt, Holland?«

 

»Er hat die ganze Geschichte abgestritten. Aber in allem Ernst, Savini, ist etwas daran?«

 

Julius zuckte die schmalen Schultern.

 

sternchenland.com »Ich weiß nicht, woher Sie die ganze Geschichte haben und Sie können sich darauf verlassen, daß ich Ihnen unter keinen Umstanden etwas erzähle. Der Alte hat mir sowieso die Hölle heiß gemacht, weil er dachte, ich hätte Ihnen den Tip gegeben!«

 

»Dann stimmt die Geschichte also. Irgendein grauenerregendes Gespenst hat in Ihren Mauern herumgespukt. Hat es auch irgendwie mit Ketten gerasselt?«

 

Julius schüttelte den Kopf.

 

»Von mir werden Sie nichts herausbekommen, Holland. Ich kann höchstens meine Stellung dadurch verlieren.«

 

»Wer war denn der Mensch, den Sie eben hinaufgeschickt haben? Er sah aus wie ein Polizist.«

 

Julius grinste.

 

»Er hat genau dieselbe Frage über Sie an mich gestellt, als Sie herunterkamen. Er heißt Creager und ist ein –« Er zögerte. »Nun ja, ich will nicht gerade sagen, Freund, er ist so eine Bekanntschaft von dem Alten. Wahrscheinlich bezieht er eine Art Pension von ihm. Er kommt in regelmäßigen Zwischenräumen, und ich bilde mir ein, daß er nicht umsonst erscheint. Bis der andere herunterkommt, ruft mich Bellamy sicher nicht. Kommen Sie und trinken Sie einen Cocktail mit mir.«

 

Spike schüttelte den Kopf.

 

Während sie noch sprachen, kam Creager zur sichtlichen Überraschung von Julius die Treppe wieder herunter. Er sah böse und verbissen aus.

 

»Er will mich nicht vor zwei Uhr sehen,« sagte er mit unterdrückter Wut. »Glaubt er denn, daß ich auf ihn warte? Wenn er sich das einbildet, irrt er sich gewaltig! Sagen Sie ihm das nur, Mr. Savini.«

 

»Was ist denn los?« fragte Julius.

 

»Er sagte zwei Uhr. Gebe ich zu. Aber ich bin doch nun sternchenland.com in die Stadt gekommen, – warum sollte ich denn bis zum Nachmittag warten? Warum kann er mich nicht vormittags empfangen?« fragte Creager wütend. »Er behandelt mich wie einen Hund, er glaubt, er hat mich so –« Er machte eine bezeichnende Geste mit dem abwärts gerichteten Daumen. »Außerdem tobt er über einen Zeitungsreporter – das sind Sie wohl, wenn ich nicht irre.«

 

»Das stimmt genau,« entgegnete Spike.

 

»Also Sie können ihm sagen,« wandte sich Creager wieder am Julius und tippte dem jungen Mann mit dem Finger auf die Brust, um seinen Worten mehr Nachdruck zu geben, »daß ich um zwei Uhr komme. Und ich werde eine lange Unterredung mit ihm haben oder ich werde mich selbst mit einem Zeitungsreporter ein wenig unterhalten.«

 

Mit dieser Drohung ging er fort.

 

»Savini,« sagte Spike sanft, »ich wittere eine gute Geschichte!«

 

Aber Savini sprang die Treppe hinauf und nahm immer zwei Stufen zu gleicher Zeit, um schnell zu seinem aufgebrachten Herrn zu kommen.

 

Kapitel 14

 

14

 

Am nächsten Morgen wurde Julius von seinem Herrn etwas sonderbar begrüßt. Mr. Bellamy war in den frühen Stunden nie in guter Stimmung und ließ seine schlechte Laune aus, indem er über alles schimpfte.

 

sternchenland.com »Lassen Sie sich bloß nicht vor meinen Hunden sehen!« sagte Abel zu Savini. »Sie wären nur ein schmaler Bissen für Sie!«

 

Julius Interesse war erwacht, obgleich er sich nicht recht wohl dabei fühlte. In dem Schloß gab es keine Hunde, denn Bellamy liebte keine Tiere um sich. Aber sein Herr erklärte ihm die Suche bald.

 

»Ich habe zwei Polizeihunde gekauft, die von heute nacht an die Halle unten und den Korridor bewachen werden. Wenn Sie meinem Rat folgen, bleiben Sie morgen früh in Ihrem Zimmer, bis ich aufgestanden bin.«

 

Später bekam Julius die Hunde auch zu Gesicht – es waren unfreundliche, große, wolfsartige Tiere, die mit Ausnahme Bellamys niemand an sich herankommen ließen. Abel fürchtete sich nicht im geringsten, und die Hunde schienen ihn auch sofort als ihren Herrn anzuerkennen.

 

»Streicheln Sie die Tiere einmal,« sagte Abel. »Seien Sie doch nicht so ängstlich!«

 

Savini streckte nervös seine Hand nach dem Hund aus, der ihm am nächsten stand, aber er sprang sofort furchtsam beiseite, als der Hund Miene machte, nach seiner Hand zu schnappen.

 

»Sie sind feige, und er weiß, daß Sie sich fürchten. Komm her du!« Bellamy schnappte mit den Fingern. Der Hund kam zu ihm, wedelte mit dem Schweif, setzte sich und hob den klugen Kopf zu seinem Herrn.

 

»Der Mann, der sie mir verkaufte, erklärte, daß es mindestens einen Monat dauern würde, bevor sie mir gehorchen. Aber er hat unrecht. – Sagen Sie einmal, das Haus dort ist ja vermietet,« fuhr er fort, indem er plötzlich auf ein anderes Thema übersprang. »Wie heißt es doch?«

 

»Meinen Sie Lady’s Manor?« fragte Julius überrascht.

 

Bellamy nickte.

 

»Ich bin leider fünf Minuten zu spät gekommen beim sternchenland.com Agenten, ich erfuhr es, als ich heute morgen telephonierte. Wissen Sie etwas darüber?«

 

»Nein, das ist das erste, was ich davon höre. Wer ist denn der neue Mieter?«

 

Abel Bellamy schüttelte den Kopf.

 

»Ich weiß es nicht, kümmere mich auch nicht darum. Warum konnten die Leute nicht irgendwoanders hingehen?«

 

Später am Nachmittag begleitete ihn Julius, als er auf dem breiten, von Bäumen eingefaßten Weg einen Rundgang durch das Grundstück machte.

 

»Ich vermute, das ist das Haus,« sagte Bellamy und zeigte mit seinem Stock auf ein niedriges, massives, graues Gebäude, dessen Dach und Kamine über die hohe Mauer ragten, die seinen Park umgaben. »Ich habe das Haus früher einmal besichtigt, aber ich wollte es nicht kaufen. Sagen Sie, ist das eine Tür dort in der Mauer?«

 

»Es sieht so aus. Früher bestand wahrscheinlich eine Verbindung zwischen der Burg und Lady’s Manor. Es war ein Witwensitz.«

 

Es zeigte sich, daß es eine ganz altertümliche Tür war. Ihre dicken Eichenbohlen waren mit starken Eisenplatten beschlagen, aber sie schien seit vielen Jahren nicht mehr benutzt worden zu sein. Der Eisenbeschlag war verrostet, und die Tür war fast ganz mit Efeu überwachsen. Man hätte mindestens einen Tag arbeiten müssen, um den Eingang wieder freizulegen. Aber das beruhigte Bellamy nicht.

 

»Holen Sie einen Maurer vom Dorf und lassen Sie die Tür zumauern,« sagte er. »Ich wünsche nicht, daß fremde Leute in meinem Grundstück umherspionieren. Denken Sie daran, Savini!«

 

Julius machte sich eine Notiz, und noch am selben Nachmittag kamen zwei Leute aus dem Dorf, rissen die Efeuranken von der Tür, schnitten die Zweige und Sträucher ab und begannen die Türöffnung zuzumauern. Als Valerie Howett, sternchenland.com die einen Rundgang in dem verwilderten Garten ihres neuen Wohnsitzes machte, das Klopfen der Maurerkellen gegen die Steine hörte, vermutete sie, was auf der anderen Seite des verfallenen Tores vor sich ging.

 

Lady’s Manor hatte sie in vieler Hinsicht überrascht. Eine genaue Besichtigung hatte ergeben, daß das Innere nur wenig Reparaturen brauchte. Alle Räume waren mit schönen, alten Holzpaneelen überzogen, die Decken waren getäfelt, und das Holzwerk brauchte nur neu poliert zu werden. Nur an einem der schön eingelegten Parkettböden war eine größere Ausbesserung nötig. Zu ihrer größten Freude stellte Valerie fest, daß man die neue Wohnung gleich beziehen konnte, und sie faßte auch den Entschluß, den Umzug sofort zu bewerkstelligen.

 

Der gutmütige Mr. Howett gab seine Einwilligung, und noch bevor die Handwerker das Haus verlassen hatten, fuhren große Möbelwagen in langer Reihe durch die ruhigen Straßen von Berkshire und bogen in die Torfahrt von Lady’s Manor ein.

 

Eines Morgens sah Abel Bellamy von dem Fenster seines Schlafzimmers aus, daß über den Bäumen des Parks aus der Richtung von Lady’s Manor Rauch aufstieg. Er schimpfte und fluchte. In den letzten Tagen stand er früher auf, weil seine Diener die oberen Räume nicht mehr betraten, bis die Polizeihunde an die Kette gelegt waren. Diese neuen Wächter trieben sich in der ganzen Burg herum, und Julius hörte nachts öfter ihre leisen Tritte auf den fliesenbelegten Korridoren und zitterte vor Furcht. Die Anwesenheit der Tiere hatte auch einen gewissen Erfolg, denn seitdem sie die Burg bewachten, war nichts mehr vom Grünen Bogenschützen zu sehen.

 

Mr. Bellamy fiel eine Überschrift im »Daily Globe« auf:

»Polizeihunde bewachen den Millionär aus Chicago vor dem gespenstigen Bogenschützen.«

sternchenland.com Er brummte ärgerlich vor sich hin, aber er hatte sich schließlich damit abgefunden, in der Öffentlichkeit bekannt zu sein. Er hatte eine Abneigung gegen Spike Holland, aber er unternahm doch nichts, um sich an ihm zu rächen, obwohl er in den vergangenen Tagen Zeitungsleuten schon aus geringeren Anlässen übel mitgespielt hatte. Obendrein hatte Spike Holland noch die Kühnheit, sich an dem Tage nach seiner Rückkehr von Belgien beim Pförtner von Gurre Castle zu melden und Einlaß zu verlangen.

 

»Sagen Sie ihm,« fuhr Bellamy am Telephon erregt auf, »daß ich die Hunde auf ihn hetzen werde, wenn er der Burg irgendwie zu nahe kommt!«

 

»Er möchte Ihnen eine Mitteilung über Creager machen, der neulich ermordet wurde.«

 

»Ich brauche keine Mitteilungen!« brüllte Bellamy und hängte wütend den Hörer an.

 

Kurz darauf machte er wieder eine seiner ruhelosen Wanderungen durch den Park. Plötzlich stand er wie vom Blitz getroffen still. Zorn und Verwunderung packten ihn, denn der rothaarige Reporter spazierte seelenruhig über den Rasen. Er hatte eine Zigarre im Munde und die Hände in den Hosentaschen. Gelassen nahm er eine Hand aus der Tasche und grüßte wohlwollend zu dem bestürzten Bellamy hinüber.

 

»Wie sind Sie denn hier hereingekommen?«

 

»Über die Mauer,« erwiderte Spike strahlend.

 

Bellamys Gesicht wurde noch eine Schattierung dunkler.

 

»Dann machen Sie sofort, daß Sie wieder über die Mauer hinüberkommen,« sagte er barsch. »Sie haben kein Recht, sich hier aufzuhalten! Sie Strolch! – Vorwärts marsch!«

 

»Sehen Sie einmal, Mr. Bellamy, es hat gar keinen Zweck, hier einen großen Spektakel zu machen. Ich bin nun einmal hier, und Sie können mich doch erst einmal anhören.«

 

sternchenland.com »Ich will nichts hören – machen Sie, daß Sie fortkommen!«

 

Bellamy ging auf den Reporter zu, der nicht den geringsten Zweifel über seine Absichten hatte.

 

»Ich glaube, es ist aber besser, daß Sie mir mal zuhören,« sagte Spike ruhig und wich keinen Zoll zurück. »Die Polizei hat nämlich die Kopie eines Briefes gefunden, den Creager über einen gewissen Mann namens Z. an Sie schrieb, und man ist nun sehr begierig, das Jahr festzustellen, in dem der Brief geschrieben wurde und wer dieser Mr. Z. ist.«

 

Plötzlich änderte sich Bellamys Benehmen.

 

»Ein Brief, der an mich geschrieben sein soll,« fragte er ungläubig. »Hat denn dieser Esel – hat denn der Abschriften von seinen Briefen gemacht?«

 

Spike nickte.

 

»Man fand über hundert Abschriften von Briefen in seinem Schreibtisch. Ich vermute, daß er das immer so gehalten hat.«

 

Abel Bellamy dachte einen Augenblick nach, dann sagte er plötzlich:

 

»Kommen Sie mit mir ins Haus.«

 

Spike folgte ihm triumphierend und hoch erhobenen Hauptes.