Kapitel 10

 

10

 

Eunice Weldon gewöhnte sich rasch an ihre neue Umgebung. Durch die Krankheit ihrer Herrin bekam sie mehr Arbeit, als sie erwartet hatte. Es war richtig, wie Digby Groat ihr gesagt hatte, daß sie noch viel zu tun bekäme. Er ließ sie auch die Haushaltungsbücher durchsehen und ordnen, und sie war erstaunt, wie sparsam, ja fast geizig die alte Frau war. Eines Nachmittags, als sie den alten Sekretär aufräumte, hielt sie plötzlich in ihrer Arbeit inne, um dieses alte, schöne Möbelstück zu bewundern.

 

Es war halb Schreibtisch, halb Bücherschrank. Das Schreibtischfach war mit Glastüren geschlossen, die an der Innenseite mit grünseidenen Vorhängen bedeckt waren.

 

Sie wunderte sich über die Dicke der beiden Seitenteile. Sie hatte etwas Ähnliches noch nicht gesehen. Sie strich mit der Hand bewundernd über die glatte, polierte Oberfläche des dunklen Mahagoniholzes, als sie fühlte, daß eine Stelle der Schrankwand unter dem Druck ihrer Finger nachgab. Zu ihrem Erstaunen fiel eine kleine Klappe aus der Seitenwand herunter, deren feine Scharniere so geschickt angebracht waren, daß man sie für gewöhnlich nicht sehen konnte. Eine Geheimschublade in einem alten Sekretär ist keine außergewöhnliche Entdeckung; aber sie war neugierig, was dieses Fach wohl enthalten könnte, das sie so zufällig gefunden hatte. Sie tastete mit ihrer Hand hinein und zog ein zusammengelegtes Aktenstück heraus, das den einzigen Inhalt der Schublade bildete.

 

Durfte sie es wohl lesen? Wenn es so sorgfältig und geheim aufgehoben wurde, hatte Mrs. Groat sicherlich nicht den Wunsch, daß es von fremden Augen gesehen wurde. Trotzdem glaubte sie, daß sie als Sekretärin die Pflicht hatte, zu wissen, um was es sich handelte, und so öffnete sie das Schreiben. Am Kopfende des Dokumentes war ein Stück Papier angeheftet, auf das Mrs. Groat geschrieben hatte:

 

»Dies ist mein letzter Wille, der gleichlautend ist mit den Instruktionen, die ich Mr. Salter in einem versiegelten Briefumschlag übergeben habe.«

 

Das Wort ›Salter‹ war ausgestrichen, und der Name einer anderen Rechtsanwaltsfirma war darübergeschrieben.

 

Das Testament war auf ein gewöhnliches, vorgedrucktes Formular geschrieben, wie man es überall kaufen kann. Der eigentliche Inhalt war sehr kurz:

 

›Ich hinterlasse meinem Sohne Digby Francis Groat ein Legat in Höhe von zwanzigtausend Pfund, außerdem mein Haus in London, 409, Grosvenor Square, mit der gesamten Einrichtung. Mein übriges Vermögen vermache ich Ramonez, Marquis von Estremeda, in Madrid.‹

 

Die Namen der Zeugen, die das Testament unterschrieben hatten, waren Eunice unbekannt, und da sie ihren Stand als Dienstboten angegeben hatten, war es möglich und höchstwahrscheinlich, daß sie schon seit langem ihre Stellung aufgegeben hatten. Denn Mrs. Groat behielt ihre Dienstboten gewöhnlich nicht sehr lange bei sich.

 

Was sollte sie mit diesem Dokument machen? Sie entschloß sich,. Digby zu fragen.

 

Als sie später die Schubladen ihres Schreibtisches durchsuchte, entdeckte sie eine kleine Miniatur, die eine schöne Frau darstellte. Nach der Kleidung und der Frisur mußte das Bild nach 1880 angefertigt worden sein. Die Gesichtszüge waren kühn, aber sehr schön, und die dunklen Augen sprühten vor Lebensfreude. Das Gesicht eines Mädchens, das seinen eigenen Weg ging, dachte Eunice, als sie das feste, runde Kinn betrachtete.

 

Sie hätte gern gewußt, wen das Bild darstellte und zeigte es Digby Groat bei Tisch.

 

»Ach, das ist ein Bild meiner Mutter«, sagte er gleichgültig. Eunice war erstaunt, und er mußte lachen.

 

»Wenn man sie jetzt sieht, würde man nicht glauben, daß sie früher so ausgesehen hat. Aber sie muß in ihrer Jugend sehr schön gewesen sein – ein wenig zu schön«, fügte er hinzu.

 

Plötzlich nahm er die Miniatur aus der Hand und schaute auf die Rückseite des Bildes.

 

»Entschuldigen Sie«, sagte er, und sie sah, daß er blaß geworden war. »Meine Mutter schreibt manchmal sonderbare Dinge auf die Rückseite ihrer Bilder –«

 

Seine Gedanken mußten in der Ferne weilen, und er machte einen zerstreuten Eindruck. Das war ein ungewöhnlicher Zustand für ihn, denn er war meistens sehr konzentriert und gesammelt.

 

Er änderte das Thema des Gespräches und stellte eine Frage an sie, die er schon lange beabsichtigt hatte.

 

»Miss Weldon, wissen Sie, wie Sie zu dieser Narbe an Ihrem Handgelenk gekommen sind?«

 

Sie schüttelte lächelnd den Kopf.

 

»Es tut mir leid, daß ich sie Ihnen gezeigt habe; sie sieht häßlich aus.«

 

»Wissen Sie nichts darüber?«

 

»Nein, meine Mutter hat es mir nicht gesagt. Es sieht aber so aus, als ob es eine Brandwunde war.«

 

Er untersuchte den kleinen, roten, runden Fleck sehr genau.

 

»Es ist natürlich absurd, zu denken, daß Ihre Mutter einen Anfall bekam, weil sie die Narbe sah.«

 

»Ich nehme es aber doch an – es muß ein merkwürdiges Zusammentreffen sein.«

 

Er hatte sich große Mühe gegeben, seine Mutter darüber auszufragen, aber er hatte keinen Erfolg damit gehabt. Seit drei Tagen lag sie apathisch in ihrem Bett und hatte ihn wahrscheinlich weder gehört noch gesehen, als er seine Besuche im Krankenzimmer machte.

 

Sie erholte sich jetzt langsam, und bei der ersten Gelegenheit wollte er eine eingehende Erklärung von ihr fordern.

 

»Haben Sie sonst noch etwas gefunden?« fragte er argwöhnisch. Er fürchtete sich stets vor neuen, unbesonnenen Handlungen seiner Mutter. Ihre krankhafte Neigung zum Stehlen war katastrophal und konnte einmal bekannt werden.

 

Sie überlegte sich, ob sie ihm von ihrem Fund in dem Geheimfach erzählen sollte. Er las Zweifel und Sorge in ihrem Gesicht und wiederholte seine Frage.

 

»Ich fand das Testament Ihrer Mutter«, sagte sie schließlich.

 

Er hatte sein Frühstück beendet, den Stuhl vom Tisch zurückgeschoben und rauchte. Aber die Zigarre fiel auf den Teppich, als er das hörte, und sein Gesicht wurde dunkel.

 

»Ihr Testament!« sagte er. »Sind Sie dessen auch ganz gewiß? Ihr Testament ist doch beim Rechtsanwalt deponiert. Es wurde vor zwei Jahren aufgesetzt.«

 

»Das Testament, das ich gesehen habe, wurde erst vor zwei Monaten unterzeichnet«, erwiderte sie erschrocken. »Ich hoffe, daß ich nicht, irgendein Geheimnis Ihrer Mutter verraten habe.«

 

»Zeigen Sie mir doch einmal dieses wertvolle Dokument.« Digby erhob sich. Er sprach abgerissen und heiser, und sie wunderte sich, was, sein Betragen so plötzlich geändert haben mochte.

 

Sie gingen beide zu dem schlecht eingerichteten Wohnzimmer seiner Mutter, und sie holte das Schriftstück aus dem Geheimfach hervor. Er las es sorgfältig durch.

 

»Die Alte ist ganz verrückt geworden«, sagte er böse. »Haben Sie es gelesen?« Er sah sie scharf an.

 

»Ich habe etwas darin gelesen«, entgegnete Eunice. Sie war betroffen von seiner Schroffheit.

 

Er las das Schriftstück noch einmal durch und sprach leise dabei.

 

»Wie kamen Sie darauf?«

 

»Ich habe es zufällig entdeckt.« Sie zeigte ihm, wie sie das Geheimfach gefunden hatte.

 

»Ich verstehe«, sagte Digby Groat langsam und faltete das Papier zusammen.

 

»Miss Weldon, vielleicht erzählen Sie mir jetzt, wieviel Sie von dem Dokument gelesen haben?«

 

Sie wußte nicht, was sie antworten sollte. Sie war doch eigentlich die Angestellte von Mrs. Groat und fühlte, daß es unrecht gegen die alte Frau war, deren Privatangelegenheiten mit ihrem Sohn zu besprechen.

 

»Ich habe etwas über ein Legat gelesen, das Ihre Mutter Ihnen ausstellte«, gab sie zu, »aber ich habe nicht genau hingesehen.«

 

»Sie wissen also, daß meine Mutter mir zwanzigtausend Pfund vermacht hat und den Rest einem andern?«

 

Sie nickte.

 

»Wissen Sie auch, wie dieser andere heißt?«

 

»Ja, es ist der Marquis von Estremeda.«

 

Sein Gesicht sah aschgrau aus, und seine Stimme zitterte vor Wut, die er nicht verbergen konnte.

 

»Wissen Sie, wie groß das Vermögen meiner Mutter ist?« fragte er.

 

»Nein, Mr. Groat. Ich glaube auch, daß es nicht nötig ist, mir das zu sagen; das gehört nicht zu meinen Kompetenzen.«

 

»Sie besitzt eineinviertel Millionen Pfund«, stieß er haßerfüllt hervor, »und mir hat sie zwanzigtausend und diesen verdammten Kasten vermacht!«

 

Er drehte sich plötzlich um und ging zur Tür. Eunice vermutete, was er vorhatte, lief ihm nach und packte ihn am Arm.

 

»Mr. Groat«, sagte sie ernst. »Sie dürfen jetzt nicht zu Ihrer Mutter gehen, das dürfen Sie nicht tun!«

 

Ihr Dazwischentreten ernüchterte ihn. Er trat langsam an den Kamin, steckte ein Streichholz an und entzündete vor den erstaunten Augen des Mädchens das Testament.

 

Als es ganz verbrannt war, zertrat er es mit den Füßen.

 

»Diese Sache wäre geregelt! Sie glauben, daß ich ein Unrecht getan habe?« sagte er lächelnd zu Eunice. Er war plötzlich wieder der alte. »Wie Sie schon gemerkt haben werden, ist meine Mutter nicht ganz normal. Es wäre zuviel gesagt, wenn ich sie für vollkommen verrückt erklärte. Ein Marquis von Estremeda existiert nämlich überhaupt nicht, soviel ich weiß. Es ist eine fixe Idee meiner Mutter, daß sie früher einmal mit einem spanischen Adligen befreundet war. Das ist das traurige Geheimnis unserer Familie, Miss Weldon.«

 

Er lachte; aber sie wußte, daß er log.

 

Kapitel 1

 

1

 

Mr. Septimus Salter drückte schon zum dritten Male die Klingel auf seinem Tisch und brummte unzufrieden.

 

Er war ein gesetzter, älterer Herr mit großem, rotem Gesicht und weißen Koteletten und glich mehr einem wohlhabenden Landwirt als einem erfolgreichen Rechtsanwalt. Es gab keinen gescheiteren und tüchtigeren Rechtsanwalt in London, aber in seiner Kleidung und seinem Äußeren blieb er der Zeit treu, in der er jung gewesen war.

 

Er drückte ungeduldig noch einmal auf den Knopf.

 

»Verdammter Kerl«, murmelte er vor sich hin, erhob sich und ging in den kleinen Raum seines Sekretärs.

 

Er hatte eigentlich erwartet, das Zimmer leer zu finden, aber er irrte sich. Seitwärts von dem alten, tintenbeklecksten Tisch stand ein Stuhl, auf dem ein junger Mann kniete. Er hatte die Ellbogen auf den Tisch gestützt und war in das Studium eines Schriftstückes vertieft.

 

»Steele«, sagte Mr. Salter scharf. Der junge Mann schnellte auf und sprang auf die Füße.

 

Er war groß und hatte breite Schultern, aber trotzdem waren seine Bewegungen geschmeidig und biegsam. Sein gebräuntes Gesicht erzählte von Tagen, die er draußen im Freien verbracht hatte. Eine gerade Nase, ein fester Mund und ein hartes Kinn gaben ihm das charakteristische Aussehen eines früheren Offiziers.

 

Nun war er etwas verwirrt und erinnerte eher an einen bei einer Unaufmerksamkeit ertappten Schüler als an einen schneidigen Offizier, der das Viktoriakreuz erhalten und in hartem Luftkampf zwanzig feindliche Flugzeuge heruntergeholt hatte.

 

»Sie sind wirklich zu unaufmerksam, Steele. Ich habe nun viermal vergeblich nach Ihnen geklingelt«, sagte Mr. Salter vorwurfsvoll.

 

»Es tut mir furchtbar leid«, entschuldigte sich Jim Steele und sah Mr. Salter mit dem Lächeln an, dem er nicht widerstehen konnte.

 

»«Was machen Sie denn hier?« brummte der Rechtsanwalt und besah sich die Dokumente, die auf dem Tisch lagen. »Haben Sie immer noch nicht genug von dem Fall Danton?« fragte er seufzend.

 

»Nein, noch nicht«, war die gelassene Antwort. »Ich habe das Gefühl, daß Lady Mary Danton gefunden werden kann. Und wenn man sie erst gefunden hat, wird sich auch ihr damaliges plötzliches Verschwinden befriedigend aufklären lassen. Dann würde jemand sehr außer Fassung geraten –« Er hielt plötzlich inne, aus Furcht, eine Indiskretion zu begehen.

 

Mr. Salter sah ihn scharf an.

 

»Sie mögen Mr. Groat nicht?« fragte er.

 

Jim lachte. »Es ist ja nicht meine Sache, ihn sympathisch oder unsympathisch zu finden. Persönlich kann ich solche Leute nicht leiden. Als einzige Entschuldigung für einen Mann von dreißig Jahren, der nicht im Felde war, kann ich nur gelten lassen, daß er zu der Zeit tot war.«

 

»Er hatte doch ein schwaches Herz«, meinte Mr. Salter, aber er sprach ohne große Überzeugung.

 

»Das wird schon stimmen«, entgegnete Jim ironisch.

 

Mr. Salter sah wieder auf die Papiere, die auf dem Tisch umherlagen.

 

»Legen Sie das ruhig weg, Steele. Sie. werden doch keinen Erfolg damit haben, wenn Sie eine Frau suchen wollen, die verschwand, als Sie noch ein Junge von fünf Jahren waren.«

 

»Ich möchte –«, begann Steele, zögerte dann aber. »Sie haben recht, es ist nicht meine Sache«, sagte er lächelnd. »Ich habe kein Recht, Sie zu fragen, aber ich möchte gern mehr Einzelheiten über das Verschwinden jener Frau hören – wenn Sie einmal freie Zeit hätten und dazu aufgelegt wären. Ich hatte früher niemals den Mut, Sie direkt zu fragen – wie verschwand sie denn eigentlich?«

 

Mr. Salter runzelte erst die Stirn, dann hellten sich seine Gesichtszüge wieder auf.

 

»Steele, Sie sind der schlechteste Sekretär, den ich jemals hatte«, sagte er. »Und wenn ich nicht Ihr Patenonkel wäre und mich moralisch verpflichtet fühlte, Ihnen zu helfen, würde ich Ihnen einen kleinen, höflichen Brief schreiben, daß Ihre Dienste ab Ende dieser Woche nicht mehr benötigt werden.«

 

Jim Steele lachte.

 

»Das habe ich schon immer erwartet!«

 

Der alte Rechtsanwalt zwinkerte freundlich mit den Augen. Er hatte Jim Steele außerordentlich gern, obwohl er es nach außen hin nicht eingestehen wollte. Der junge, hübsche Mensch war ihm viel mehr ans Herz gewachsen, als er selbst ahnte. Aber nicht allein aus Freundschaft und einem gewissen Verantwortlichkeitsgefühl heraus behielt der alte Salter Jim in seinen Diensten, der junge Mann war ihm auch sehr nützlich. Und obgleich er die traurige Veranlagung hatte, Klingelzeichen zu überhören, wenn er sich mit seinem Lieblingsstudium beschäftigte, war er doch sehr vertrauenswürdig.

 

»Schließen Sie die Tür«, sagte Salter etwas schroff. »Wenn ich Ihnen diese Geschichte erzähle« – er hob warnend den Zeigefinger –, »so tue ich es nicht, um Ihre Neugierde zu befriedigen, sondern weil ich hoffe, daß ich Ihr Interesse an dem geheimnisvollen Fall Danton damit für immer beseitige!

 

Lady Mary Danton war die einzige Tochter des Lord Plimstock – ein Adelsprädikat, das jetzt erloschen ist. Sie heiratete als junges Mädchen Jonathan Danton, einen Reeder, der ein Millionenvermögen besaß. Aber die Ehe war nicht glücklich. Der alte Danton war ein harter, unangenehmer und auch kranker Mann. Wir sprachen eben davon, daß Digby Groat herzkrank sei. Jonathan hatte aber wirklich kein gesundes Herz. Seine Krankheit war wohl auch teilweise dafür verantwortlich, daß er seine Frau so schlecht behandelte. Auch das kleine Mädchen, das ihnen geboren wurde, brachte sie einander nicht näher; sie wurden sich immer fremder. Danton mußte eine Geschäftsreise nach Amerika antreten. Vor seiner Abreise kam er in mein Büro, und an diesem Tisch hier unterzeichnete er ein Testament, das eins der seltsamsten und merkwürdigsten war, die ich jemals aufgesetzt habe. Er hinterließ sein ganzes Vermögen seiner kleinen Tochter Dorothy, die damals drei oder vier Monate alt war. Im Falle ihres Todes sollte das Geld an seine Schwester, Mrs. Groat, fallen, aber erst zwanzig Jahre nach dem Tode des Kindes. In der Zwischenzeit sollte Mrs. Groat nur die Einnahmen aus seinem Landgut erhalten.«

 

»Warum hat er denn diese merkwürdige Bestimmung getroffen?« fragte Jim verwundert.

 

»Das ist doch leicht zu verstehen. Er wollte vor allen Dingen, verhindern, daß das Kind in früher Jugend beiseite geschafft wurde. Auf der anderen Seite sah er voraus, daß das Testament von Lady Mary angefochten werden würde. So, wie das Testament aufgesetzt war – ich habe nicht alle Details erwähnt –, konnte es während zwanzig Jahren nicht angefochten werden. Und es ist auch kein Einspruch dagegen erhoben worden. Während Danton in Amerika war, verschwand Lady Mary mit ihrer Tochter Dorothy.

 

Niemand wußte, wohin sie gegangen war, aber die Spur der kleinen Dorothy und ihres Kindermädchens führte nach Margate. Vielleicht war Lady Mary auch dort. Es steht jedenfalls fest, daß das Kindermädchen, die Tochter eines dortigen Fischers, die sehr gut rudern konnte, an einem schönen Sommertage das Kind in einem Boot mit aufs Meer nahm. Dort wurde sie vom Nebel überrascht. Allem Anschein nach wurden sie von einem Passagierdampfer überrannt. Die Überreste des zertrümmerten Bootes wurden aufgefischt, und eine Woche später wurde die Leiche des Kindermädchens ans Ufer gespült. Man hat aber niemals erfahren, was aus Lady Mary wurde. Danton kam zwei Tage nach, dem Unglücksfall zurück, und seine Schwester, Mrs. Groat, brachte ihm die Nachricht von dem Unglücksfall. Das gab ihm den Rest. Er starb.«

 

»Und Lady Mary hat man nie wieder gesehen?«

 

Salter schüttelte den Kopf.

 

»Sie sehen also, mein lieber Junge, selbst wenn Sie durch ein Wunder Lady Mary fänden, könnte das doch nicht den geringsten Einfluß auf die Position der Mrs. Groat oder ihres Sohnes haben. Nur Dantons Tochter könnte die Erbschaft antreten – und die liegt wahrscheinlich auf dem Meeresgrund«, schloß er leise und traurig.

 

»Ich verstehe jetzt die Zusammenhänge«, sagte Jim Steele ruhig, »nur –«

 

»Was haben Sie noch?«

 

»Ich habe den starken Eindruck, daß an der ganzen Sache etwas nicht stimmt, und ich bin fest davon überzeugt, daß das Geheimnis gelöst werden könnte, wenn ich meine ganze Zeit dieser Aufgabe widmen dürfte.«

 

Mr. Salter sah seinen Sekretär scharf an, aber Jim Steele hielt seinem Blick stand.

 

»Sie sollten eigentlich Detektiv werden«, meinte der Rechtsanwalt ironisch.

 

»Ich wünschte nur, ich wäre einer«, erwiderte Jim. »Vor zwei Jahren habe ich Scotland Yard meine Dienste angeboten, als die Bande der Dreizehn die Banken beraubte, ohne daß man einen dieser verwegenen Verbrecher fassen konnte.«

 

»Sehen Sie einmal an«, sagte Salter ein wenig spöttisch und öffnete die Tür, um zu gehen. Aber plötzlich wandte er sich wieder um. »Warum habe ich Ihnen denn eigentlich geklingelt? Ach so, ich brauche alle Pachtverträge, die sich auf den Grundbesitz des alten Danton in Cumberland beziehen.«

 

»Will Mrs. Groat die Ländereien verkaufen?«

 

»Sie kann sie jetzt noch nicht verkaufen. Erst am dreißigsten Mai erhält sie die Verfügung über das Millionenvermögen Jonathan Dantons, vorausgesetzt, daß kein Einspruch dagegen erhoben wird.«

 

»Oder ihr Sohn erhält das große Vermögen«, meinte Jim bedeutungsvoll. Er war seinem Chef in dessen Zimmer gefolgt. An den Wänden standen viele Aktenregale. Abgenutzte Möbel und ein schon etwas fadenscheiniger Teppich bildeten die weitere Ausstattung des Raumes, in dem es nach staubigen Akten roch.

 

»Detektiv möchten Sie werden?« fragte Mr. Salter unwirsch, als er sich an seinem Schreibtisch niederließ. »Und welche Ausrüstung bringen Sie denn für diesen neuen Beruf mit?«

 

Jim lächelte, aber in seinem Blick lag Begeisterung.

 

»Glauben«, sagte er ruhig.

 

»Was nützt Ihnen als Detektiv Glaube?«

 

»Es ist aber der Glaube eine gewisse Zuversicht des, das man hoffet, und ein Nichtzweifeln an dem, das man nicht sieht.«

 

Jim zitierte diesen Bibelspruch feierlich, und Mr. Salter schwieg eine Weile. Dann nahm er ein Stück Papier, auf das er einige Notizen geschrieben hatte, und reichte es Jim.

 

»Sehen Sie einmal, ob Sie mit dem Spürsinn eines Detektivs diese Aktenstücke auffinden können, sie liegen unten in der Stahlkammer.« Aber obwohl er scherzte, hatten Jims Worte doch Eindruck auf ihn gemacht.

 

Jim nahm den Zettel, las ihn durch und wollte eben eine Frage an Mr. Salter stellen, als ein Schreiber hereinkam.

 

»Wollen Sie Mr. Digby Groat empfangen, Sir?«

 

Kapitel 9

 

9

 

Mit großen, kräftigen Ruderschlägen trieb er das Fahrzeug stromaufwärts, und das Ufer mit seinen Wiesen und malerischen Baumgruppen glitt an ihnen vorüber. »Es gehört schon sehr viel Umsicht und Energie dazu, ein Doppelleben zu führen«, meinte er nachdenklich. »Aber Shelton ist in mindestens sechs verschiedenen Masken aufgetaucht.«

 

»War er eigentlich verheiratet?« fragte sie interessiert.

 

»Das haben wir nie genau feststellen können, aber wahrscheinlich hatte er keine Familie.«

 

Plötzlich fiel ihr ein, daß unter Sheltons Todestag noch ein weiteres Datum eingeschnitten war, und zwar der 1. August 1924. Und heute hatten sie erst den 23. Juli!

 

»Was soll denn am 1. August geschehen?«

 

»Darum handelt es sich ja gerade«, entgegnete er bedrückt. »Außer mir weiß niemand etwas Genaues über die Bande des Schreckens, und ich weiß auch nur sehr wenig. Ab und zu ahnt man ihre Tätigkeit, sieht ihre Verbrechen. Der alte Shelton hat die Banken um eine Million Pfund betrogen, aber seine verschiedenen Existenzen haben viel Geld gekostet und schließlich wieder alles verschlungen. Auch möglich, daß er Geld bei den Rennen verloren hat. Die meisten Verbrecher haben ja irgendeine kostspielige Passion. Die Leute, die er zur Ausführung seiner Pläne brauchte, haben auch viel gekostet. Aber immerhin, eine Million Pfund ist eine große Summe. Die Bande des Schreckens stand immer hinter ihm. Mr. Monkford hatte einen Bruder, der seine Ferien an der Adria verbrachte. Eine Woche nach Sheltons Tod ertrank dieser Mann. Man fand ihn eines Morgens tot in seinem Badeanzug am Ufer auf. Mr. Monkford glaubte an einen Unglücksfall, und in gewisser Weise war es das auch, denn sie hatten den falschen Monkford gefaßt.«

 

»War es denn wirklich ein Mord?« fragte sie mit stockender Stimme.

 

Der Wetter nickte.

 

»Sie fahren wohl mit dem Sechsuhrfünfzigzug nach London zurück?« sagte er dann plötzlich. »Den benütze ich auch. Aber ich muß Ihnen von vornherein sagen, daß ich dritter Klasse fahre. Ich bin Demokrat.«

 

Er ruderte eine Weile schweigend weiter.

 

»Die Bande des Schreckens«, sagte er nach einiger Zeit halb zu sich selbst. »Irgend etwas ist im Gange, aber ich weiß nicht, was es ist. Haben Sie eigentlich unseren Nachbar schon gesehen? Nein? Den müssen Sie kennenlernen, er gehört zu den Sehenswürdigkeiten von Marlow. Übrigens war er auch in der Bank, als ich Shelton verhaftete.«

 

Kurz darauf wichen die Sträucher und Baumgruppen vom Ufer zurück, und Nora sah erstaunt auf einen wunderbar gepflegten Garten. Im Hintergrund erhob sich das Wohnhaus. Es war der schönste Park, den sie jemals gesehen hatte. Der Rasen schimmerte smaragdgrün, und überall standen Bosketts von farbenprächtigen Blumen.

 

In einer offenen Laube saß ein Herr in einem Deckstuhl. Als das kleine Boot am Steg anlegte, erhob er sich langsam. Er war lang und hager, hatte ein ovales, etwas ausdrucksloses Gesicht und trug ein Monokel. Mit müdem Blick beobachtete er die beiden Ankömmlinge.

 

»Hallo, Long«, sagte er gedehnt, als sie näher kamen, und reichte dem Detektiv die Hand.

 

»Darf ich Sie vorstellen? Mr. Crayley – Miß Sanders.«

 

»Wie geht es Ihnen? Nehmen Sie doch Platz.« Die Hand, die er Nora gab, war so weich und schlaff, daß sie kaum einem lebenden Menschen zu gehören schien.

 

»Miß Sanders interessiert sich für Ihren herrlichen Garten und hätte ihn gern einmal näher betrachtet.«

 

»Die Blütenpracht ist wirklich wundervoll«, sagte sie begeistert.

 

»Ja«, entgegnete er gleichgültig. »Gar nicht übel. Ich habe eben einen guten Obergärtner, das ist alles. Zeigen Sie doch bitte der Dame, was es hier zu sehen gibt … und pflücken Sie sich ruhig soviel Blumen, wie Sie wollen.«

 

Schon bevor sie fortgingen, sank er wieder in seinen Sessel und nahm die Zeitung auf.

 

»Was halten Sie von ihm?« fragte Long, als sie außer Hörweite waren.

 

»Er scheint sehr müde zu sein«, erwiderte sie zögernd.

 

Er lachte.

 

»Der ist schon seit seiner Geburt so. Ein ziemlich unbedeutender Mensch. Es war wirklich ein merkwürdiger Zufall, daß er ausgerechnet damals in der Bank sein mußte, als ich Shelton verhaftete. Er half mir dabei, aber Shelton stieß ihn sofort zur Seite. Crayley gehört nun einmal zu den Menschen, die man beiseiteschiebt. Im allgemeinen hält er sich nur während der Saison hier auf. Entweder ist er gerade von Deauville zurück, oder er ist gerade im Begriff, nach Aix zu fahren. Gehen Sie eigentlich zur Golfwoche nach Heartsease?«

 

»Ja«, sagte sie etwas erstaunt.

 

Als sie zu Mr. Crayley zurückkehrten, sprach er gerade mit einer Dame, die anscheinend eine Verabredung mit ihm traf. Sie ruderte gleich darauf fort, aber Nora erhaschte noch einen Blick von ihr und konstatierte, daß sie sehr hübsch und auffallend gut gekleidet war.

 

»Ich danke Ihnen sehr für Ihre Freundlichkeit, daß ich Ihren Garten ansehen durfte«, sagte sie.

 

Crayley reichte ihr wieder seine leblose Hand.

 

»Kommen Sie nächstens einmal wieder«, entgegnete er gelangweilt.

 

Als die beiden zu Monkfords Haus zurückkehrten, sahen sie, daß er oben auf der Terrasse auf- und abging.

 

»Ich sehe Miß Revelstoke nächste Woche in Little Heartsease«, sagte er zu Nora. »Bestellen Sie ihr meinen besten Dank und sagen Sie ihr, daß sie doch auch Golf lernen sollte. Es ist nie zu spät.«

 

Er ließ sie mit seinem Wagen zur Station bringen. Unterwegs fragte Long alle möglichen Dinge. Wie lange sie schon beruflich tätig sei, und was sie zu tun hätte. Sie mußte ihm eingestehen, daß sie schon mehrfach die Stellung hatte wechseln müssen, da sie keine hervorragende Stenotypistin war. Allerdings beherrschte sie drei fremde Sprachen.

 

»Auch Dänisch?« fragte er.

 

»Nein. Nur Deutsch, Französisch, Italienisch und ein wenig Spanisch.«

 

Kapitel 4

 

4

 

Am vierzehnten Juni verließ Inspektor Long mit seinem Wagen um fünf Uhr morgens die Hauptstadt. Die Sonne schien strahlend, und alle Dörfer, durch die er kam, sahen schmuck und freundlich aus.

 

Er hatte gerade eine kleine Ortschaft verlassen und kam wieder auf die Landstraße, die durch grüne Felder führte, als er einen Mann passierte, der am Rand des Weges saß. Im Augenblick erkannte er ihn, bremste und fuhr zu der Stelle zurück. Ulanen-Harry sah ihn ruhig an und rauchte seine Zigarette weiter.

 

»Auf der Walze?« fragte der Wetter liebenswürdig.

 

»Ich habe Arbeit, wenn Sie es wissen wollen – und zwar eine recht lohnende!« Ulanen-Harry warf ihm einen merkwürdigen Blick zu. »Wohin gehen Sie denn, Sie Bluthund?«

 

Arnold lächelte, obwohl er niemals geglaubt hätte, daß er an diesem Morgen lächeln könnte.

 

»Ich bin wieder dabei, Diebe zu fangen«, erwiderte er und schaute über die Felder. Das einzige Gebäude, das man in der Nähe sehen konnte, war eine große, schwarze Scheune. »Sie haben die Nacht nicht im Freien geschlafen, und Sie sind auch noch nicht weit gegangen. Ihre Schuhe sind nicht staubig. Was haben Sie denn wieder vor, Harry?«

 

Der Mann antwortete nicht. Arnold Long zeigte in die Richtung nach Chelmsford, lachte vor sich hin und fuhr weiter.

 

Vor den großen, düsteren Toren des Gefängnisses von Chelmsford hielt er schließlich an, als es gerade sieben schlug. Er klingelte und wurde von dem Portier eingelassen. Ein Wärter brachte ihn dann zu dem Direktor der Anstalt, der allein in seinem kleinen Büro saß.

 

»Hoffentlich ist Ihnen die Sache nicht zu unangenehm. Mir sind solche Sachen immer sehr zuwider.« Arnold nickte.

 

»Ich habe schon den ganzen Weg fest daran gedacht, daß er doch seine Absicht ändern sollte, damit ich ihn nicht mehr zu sehen brauchte.«

 

Der Direktor schüttelte den Kopf.

 

»Das wird nicht der Fall sein. Seine letzte Frage gestern abend war noch, ob Sie kommen würden.«

 

Er erhob sich und führte Long zu Sheltons Zelle. Mit schwerem Herzen betrat der Wetter den engen Raum.

 

Der zum Tode verurteilte Mann saß auf seinem Bett und hatte die Hände in die Hosentaschen gesteckt. Sein Gesicht war mit grauen Bartstoppeln bedeckt, und Arnold erkannte ihn kaum wieder.

 

»Nehmen Sie Platz.«

 

Aber Inspektor Long blieb stehen.

 

»Ich wollte Sie noch sprechen – vor meinem Tode.« Shelton nahm die Zigarette aus dem Mund, blies einige Rauchringe zur Decke empor und beobachtete sie, bis sie sich in Nichts auflösten. »Ich habe vier Menschen umgebracht, und ich bereue es nicht«, sagte er nachdenklich. Dann lächelte er den Wetter plötzlich an, der düster auf ihn niederblickte. »Sie glauben, daß es jetzt mit mir zu Ende geht, aber Sie irren sich schwer! Sie werden mich hängen, und sie werden mich begraben, aber trotzdem lebe ich weiter, und ich fasse Sie, Wetter Long, verlassen Sie sich darauf! Ich zahle es allen Leuten heim, die an meinem Tode schuld sind.« Als er Longs Gesichtsausdruck sah, lächelte er noch rätselhafter. »Sie glauben, daß ich nicht mehr bei Verstand bin, aber es gibt viel Dinge in dieser Welt, von denen Ihre Schulweisheit sich nichts träumen läßt, mein Freund. Die Galgenhand ist kein leerer Wahn – sie existiert!«

 

Er runzelte die Stirne einen Augenblick und schaute auf den Steinfußboden, dann lachte er laut auf.

 

»So, das wäre alles, was ich Ihnen sagen wollte. Denken Sie daran, Mr. Long, die Galgenhand wächst aus dem Grab hervor und packt Sie früher oder später an der Gurgel!«

 

Long antwortete nichts darauf und ging mit dem Direktor zurück.

 

»Was halten Sie davon?« fragte der Beamte und wischte sich den Schweiß von der Stirne. Er sah bleich und verstört aus. »Die Galgenhand – entsetzlicher Gedanke!«

 

»Fürchten Sie sich nicht, mich faßt sie nicht.« Arnold nickte langsam. »Wetten, daß?«

 

Er blieb nicht bis zum Ende da.

 

Dicht vor Chelmsford liegt ein kleines Dorf mit einer sehr alten Kirche. Die Uhr schlug gerade acht. Long hielt den Wagen an und nahm den Hut ab.

 

»Hoffentlich findet der arme Mensch den Frieden«, sagte er vor sich hin, denn in diesem Augenblick endete Clay Sheltons irdische Laufbahn.

 

In der nächsten Sekunde schlug etwas gegen die Windscheibe des Autos, und sie zersplitterte.

 

Ping!

 

Die zweite Kugel pfiff an seinem Kopf vorüber, und die dritte schwirrte dicht an seiner linken Backe vorbei.

 

Er sprang aus dem Wagen und sah sich in der friedlichen Gegend um. Niemand war zu entdecken, auch keine Hecken, wo sich ein Mann verstecken konnte, nur dort hinten –

 

Über einem kleinen Gebüsch schwebte eine blasse Rauchwolke in der Luft. Im Laufschritt eilte er über die Wiese, die ihn davon trennte. Während er lief, vernahm er einen vierten Schuß und warf sich flach auf den Boden. Er hörte das Geschoß nicht einschlagen, erhob sich wieder und lief im Zickzack auf sein Ziel los.

 

Plötzlich packte ihn ein Grausen. Aus dem Grase streckte sich ihm eine weiße Hand entgegen, deren Finger im Krampf erstarrt waren, und die ins Nichts zu greifen schienen.

 

Im nächsten Augenblick hatte er die Stelle erreicht. Ein Mann lag dort auf dem Rücken, und seine Hand zeigte zum blauen Himmel empor. Die andere umkrallte ein Militärgewehr.

 

Kapitel 40

 

40

 

Miß Revelstoke hatte einen aufregenden Vormittag hinter sich.

 

Ihre finanzielle Lage war im Augenblick nicht glänzend, und sie mußte ihre Börsenpapiere mit Verlust verkaufen. Auch Prozesse schwebten gegen sie. Der Tod Joshua Monkfords hatte unvorhergesehene Folgen für sie. Die Bank hatte festgestellt, daß sie ihr Konto um eine bedeutende Summe überzogen hatte, und da sie es nicht abgleichen konnte, ging man auf dem Klageweg gegen sie vor.

 

Vor allem war sie erstaunt, daß ihr Telephon nicht richtig funktionierte. Sie hatte dreimal versucht, mit Heartsease in Verbindung zu kommen, und jedesmal war die Nummer besetzt gewesen. Ebensowenig Erfolg hatte sie, als sie sich mit ihrem Rechtsanwalt verbinden ließ. Die schriftliche Mitteilung, die sie durch eins ihrer Mädchen an Mr. Henry schickte, wurde nicht abgeliefert, aber davon erfuhr sie vorläufig nichts.

 

Sie besaß ein unfehlbares Mittel, sich in kritischen Stunden zu zerstreuen, und auch heute arbeitete sie wieder an einer Stickerei. Als ein Auto vor dem Hause hielt, schaute sie zu dem Fenster hinaus. Wetter Long und zwei andere Polizeibeamte stiegen aus.

 

Das Mädchen eilte gerade den Gang entlang, um die Tür zu öffnen, als Miß Revelstoke sie davon abhielt.

 

»Ich mache selbst auf. Gehen Sie nur wieder.«

 

Sie wartete, bis das Mädchen außer Sicht war, und durchschnitt dann mit einer kleinen Schere die Klingelleitung, die von der Haustür zur Dienstbotenstube führte. Rasch griff sie nach Mantel, Hut und Tasche und ging durch ihr Arbeitszimmer auf den hinteren Hof. Sie öffnete die Tür der Garage, setzte sich ans Steuer ihres Wagens und fuhr davon. In der Nähe der Station Ladbroke Grove hielt sie an, eilte die Treppe hinauf und kaufte eine Fahrkarte nach Liverpool Street. Eine Viertelstunde später verließ der Schnellzug nach Clacton-on-Sea den Bahnhof, und in einem Wagenabteil erster Klasse saß eine Frau, die äußerlich einen vollkommen ruhigen Eindruck machte.

 

Sie blieb allein und veränderte mit Hilfe eines kleinen Reisenecessaires ihr Aussehen vollständig.

 

Clacton-on-Sea ist ein beliebter Ausflugsort, der zu dieser Jahreszeit von Fremden überlaufen ist. Dreimal die Woche kommen Vergnügungsdampfer von Tilbury, und man kann für geringen Preis nach Ostende fahren, sich kurze Zeit dort aufhalten und an einem der nächsten Tage zurückkehren. Der Dampfer ging eine Stunde nach Miß Revelstokes Ankunft, und es gelang ihr, an Bord zu kommen.

 

Von den Touristen wurde kein Paß verlangt. Und selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, hätte Miß Revelstoke sich ausweisen können, ohne in Verlegenheit zu kommen.

 

Sie ging durch die belebten Straßen Ostendes und machte in mehreren Läden Einkäufe. Obwohl sie schwarze Hüte haßte, erstand sie einen, ebenso einen altmodischen, schwarzen Mantel und gewöhnliche Schuhe und Unterwäsche. Eine goldumrandete Brille und eine schwere Handtasche vervollständigten ihre Aussteuer. Sie zog sich in einem kleinen Hotel um und wusch ihre Haare mit Sodawasser. Selbst Wetter Long hätte sie jetzt nicht wiedererkannt.

 

Ihre Kleider packte sie in ein Bündel zusammen, zahlte ihre Rechnung und ging zum Bahnhof.

 

Am selben Abend noch erreichte sie Brüssel und übernachtete in einem drittklassigen Hotel. Dem Portier sagte sie, daß sie eine Wallonin sei und ihren Sohn in Ostflandern besuchen wolle. Für eine Wallonin sprach sie allerdings ein etwas zu gutes Französisch, aber der Portier zweifelte keinen Augenblick an ihren Aussagen, da sie ihm nur ein geringes Trinkgeld gab und sich nicht in einem Wagen zum Bahnhof bringen ließ.

 

Von dort aus fuhr sie nach Lüttich und mietete in einem guten Stadtteil ein Zimmer. Sie verbrachte ihre Zeit damit, die englischen Zeitungen durchzulesen, die sie sich unterwegs gekauft hatte.

 

Cravel war tot; Alice und Henry waren verhaftet. Am meisten tat es ihr um Henry leid, denn sie liebte ihn, und ihr Kummer stieg noch, als sie las, daß er vor Gericht nicht erscheinen konnte, weil er nach Meinung der Ärzte den Verstand verloren hatte. –

 

So verging ein Monat. Der Prozeß wurde von Woche zu Woche vertagt. Dann erfuhr Miß Revelstoke aus den Zeitungen, daß der Staatsanwalt die Klage gegen Alice zurückgezogen hatte. Das Mädchen hatte sie nie leiden mögen, denn sie war immer eine Freundin von Jackson Crayley gewesen.

 

Madame Pontière, wie sie sich jetzt nannte, schien sich in Lüttich vollkommen heimisch zu fühlen. Sie hatte sich einen Ausweis von der Polizei verschafft, und nichts schien ihren Frieden zu stören. Die Zeitungen berichteten, daß sie verschwunden sei, und daß man annähme, sie sei nach Amerika gegangen.

 

Aber als sie eines Morgens aus der Kirche trat und das Gebetbuch in der Hand hielt, stand plötzlich ein bekannter Mann vor ihr und zog den Hut.

 

»Also hier leben Sie, Miß Revelstoke?« fragte er höflich.

 

Sie folgte dem Wetter zur Polizeistation, ohne ein Wort zu sagen, aber er hatte das Gefühl, daß sie ihn am liebsten ermordet hätte.

 

Die Auslieferungsverhandlungen zogen sich noch einige Zeit hin, aber schließlich wurde Miß Revelstoke nach England gebracht und zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt.

 

An demselben Tag, an dem Mr. Henry in ein Irrenhaus überwiesen wurde, trat der Wetter in das Büro seines Vorgesetzten und überreichte ihm ein Schriftstück.

 

Colonel Macfarlane las es sorgfältig durch.

 

»Es tut mir wirklich sehr leid«, sagte er dann. »Gerade jetzt, wo Sie zur Beförderung vorgeschlagen worden sind! Sie würden es in der Polizei weit bringen. Aber wenn Sie tatsächlich gehen wollen, kann ich Sie natürlich nicht halten. Und ich glaube auch, daß Sie recht haben, wenn Sie sich mit anderen und schöneren Dingen beschäftigen als mit der Aufklärung von Verbrechen. Wann wollen Sie denn den Dienst quittieren?«

 

»Sofort, wenn es möglich ist.«

 

Der Colonel legte den Brief zu den Schriftstücken, die dringend zu erledigen waren.

 

»Ich will sehen, was ich für Sie tun kann. Es wird vielleicht noch ein oder zwei Tage dauern. Aber warum haben Sie es denn so eilig?«

 

Der Wetter beantwortete diese Frage nur oberflächlich.

 

Er kam in dem Hause seines Vaters an, als gerade Sir Godleys Wagen vor dem Tor hielt, und Nora Sanders ausstieg. Sie hatte sich auf dem Lande erholt und wußte nicht, wie der Prozeß geendet hatte. Als sie es später vom Wetter erfuhr, schauderte sie.

 

»Es ist entsetzlich«, sagte sie leise. »Und doch bin ich in gewisser Weise traurig darüber.«

 

»Ich glaube, ich hätte mehr Grund dazu«, meinte Sir Godley, während er sich eine Zigarre anzündete.

 

»Warum solltest du denn traurig sein?« fragte sie überrascht.

 

Der alte Herr zögerte.

 

»Erzähle ihr ruhig alles«, sagte Arnold.

 

»Weil –«

 

Er blies gerade das Streichholz aus, als das Telephon klingelte. Er nahm den Hörer, und seine Stirne legte sich in Falten, während er lauschte.

 

»Das ist wirklich ungewöhnlich«, sagte er zu dem Gefängnisgeistlichen, der mit ihm sprach. »Aber gut, ich werde kommen.«

 

Er legte den Hörer nieder und sah seinen Sohn an.

 

»Sie möchte mich sprechen«, erklärte er kurz. »Und ich glaube, es ist besser; daß ich zu ihr fahre.«

 

Damit verließ er das Zimmer.

 

Kapitel 41

 

41

 

Sir Godley lehnte sich tiefer in den Wagen zurück und seufzte. Vor fünfundzwanzig oder dreißig Jahren hatten sie sich zum letztenmal gesehen! Die Aussprache würde nicht sehr erfreulich sein, aber er fühlte sich dazu verpflichtet. Er wollte dieses Kapitel seines Lebens ein- für allemal zum Abschluß bringen.

 

Schließlich hielt der Wagen vor dem düsteren Gefängnis von Holloway.

 

Sir Godley ging zu der Loge des Portiers und gab sich zu erkennen. Dann folgte er einer der Wärterinnen, die ihn zu dem Gefängnisgeistlichen führte. Es war ein nervöser junger Mann, der das Amt nur vorübergehend für kurze Zeit verwaltete.

 

»Sie ist in wunderbarer Verfassung«, sagte er. Zum erstenmal war er in einer wirklich ernsten Sache zugezogen worden, und er interessierte sich außerordentlich für den Fall der Miß Revelstoke. »Unter gewöhnlichen Umständen hätte ich ja auch keinen Antrag ans Ministerium gestellt, aber sie bestand so sehr darauf. Sie hat Ihnen eine wichtige Mitteilung zu machen, und da Sie der Präsident der Bankiervereinigung sind –«

 

Godley war zu seiner größten Überraschung nach Monkfords Tod dazu gewählt worden.

 

»Ich verstehe vollkommen«, erwiderte er. »Wir wollen zu ihr gehen.«

 

»Die Unterhaltung wird privater Natur sein«, versicherte der Geistliche, »obgleich ich von Amts wegen zugegen sein muß.«

 

Miß Revelstoke war in einer geräumigen Zelle des Erdgeschosses untergebracht.

 

Die Wärterin schloß auf.

 

»Die Tür bleibt offen«, sagte der Kaplan. »Ich warte draußen.«

 

Es kostete Sir Godley doch einige Überwindung, die Schwelle zu überschreiten. Aber er nahm all seine Energie zusammen.

 

Die Frau lehnte mit dem Rücken an der Fensterwand. Sie war sehr gefaßt, und ihre dunklen Augen leuchteten. Gewöhnlich müssen die Gefangenen, die nach Holloway kommen, Gefängnistracht anlegen, aber sie trug noch immer das dunkle Kleid, in dem sie während des Prozesses erschienen war.

 

»Guten Tag, Godley – es ist sehr nett von dir, daß du gekommen bist.«

 

Er nickte leicht mit dem Kopf.

 

»Dein Junge ist allerdings sehr tüchtig. Vermutlich hat er die Begabung von seiner Mutter.«

 

Diese beabsichtigte Kränkung verletzte ihn nicht. Er erkannte nur, daß sich diese Frau nicht im mindesten geändert hatte. Sie trat immer noch so selbstbewußt und anmaßend auf wie früher.

 

»Ich hatte natürlich keine Ahnung, daß er Clays Neffe war. Den Namen hielt ich nur für eine zufällige Übereinstimmung. Hätte ich das gewußt, so hätte es wahrscheinlich für mich und auch für dich einen großen Unterschied gemacht.«

 

Wenn sie hoffte, ihn durch diese Äußerung zum Sprechen zu bringen, täuschte sie sich. Er nickte nur schweigend.

 

»Ich möchte dich bitten, daß du dich um Alice und Henry kümmerst«, sagte sie ruhig. »Alice interessiert mich allerdings nicht besonders, und sie kann sich auch selbst durchs Leben schlagen. Aber Henry ist schwach und man muß für ihn sorgen. Ich würde viel ruhiger sein, wenn ich wüßte, daß sich jemand seiner annimmt.«

 

»Nun gut, das will ich für dich tun«, entgegnete Sir Godley bereitwillig.

 

Sie sah ihn merkwürdig an.

 

»Du hast dich geändert, aber deine Stimme ist dieselbe. Ich würde sie immer wiedererkennen. Das Leben ist doch merkwürdig. Clay ist tot und die anderen auch. Und dein Junge hat das alles vollbracht. Wohin er auch ging, immer folgte ihm der Tod.«

 

Sie sprach ohne Erregung und Bitterkeit, und er wunderte sich über ihre Selbstbeherrschung.

 

»Die Polizeibeamten, mit denen ich gesprochen habe, nennen ihn nur den ›Long mit der glücklichen Hand‹, und ich glaube auch, daß ihm der Zufall viel geholfen hat. Godley, denkst du, ich nehme diese Strafe so leicht hin? Kommt dir das nicht sonderbar vor, da du doch weißt, ein wie umsichtiger Führer Clay war?«

 

»Ja, das habe ich bemerkt.«

 

Sie beobachtete ihn mit ihren dunklen Augen.

 

»Clay war wirklich ein wunderbarer Mann. Er hatte alle Möglichkeiten vorausgesehen. Er wäre auch niemals an den Galgen gekommen. Aber im Handgemenge mit deinem Sohn wurde sein Rock zerrissen, und die dummen Beamten auf der Polizeistation gaben ihm einen anderen.«

 

Er verstand nicht, was sie damit sagen wollte.

 

»Ich kann mich darauf besinnen, aber es wurden doch in den Taschen seines Rocks nur ein paar Papiere gefunden.«

 

Die Antwort schien sie zu belustigen.

 

»Vielleicht denkst du einmal darüber nach.«

 

In diesem Augenblick zeigte sich das ängstliche Gesicht des Gefängnisgeistlichen in der Türe. Er hatte die Uhr in der Hand. Offenbar war die Zeit der Unterredung abgelaufen.

 

»Bitte, bedenke einmal die Tatsachen. Clay würde noch leben – Cravel und Jackson Crayley würden leben. Und der arme Henry säße nicht im Irrenhaus, wenn nicht dein Sohn gewesen wäre.«

 

Er sah sie durchdringend an.

 

»Aber Monkford und die anderen, die er ermordet hat – würden die auch noch leben? Der Richter, der Rechtsanwalt, der Henker?« fragte er mit rauher Stimme. »Ich danke dem Schicksal, daß Arnold so tüchtig war, um Clay Shelton und seine Verbündeten zu erledigen. Wenn du glaubst, daß du mich täuschen kannst, täuschst du dich nur selbst, und wenn du Mitleid oder Mitgefühl in mir wecken willst, vergeudest du nur Zeit.«

 

Sie lächelte und nahm ein zusammengefaltetes Stück Papier vom Tisch auf.

 

»Wenn du das liest, wirst du meinen Standpunkt besser verstehen«, sagte sie.

 

Als er die Hand ausstreckte, um es zu nehmen, ließ sie es vorzeitig fallen, so daß es zu Boden flatterte. Er trat einen Schritt vor, um es aufzuheben.

 

Der Geistliche, der im selben Augenblick in die Tür trat, schrie laut auf und rettete dadurch Sir Godley das Leben. In ihrer erhobenen Hand blitzte eine Klinge, die sie mit aller Gewalt niederstieß. Bei dem Aufschrei neigte sich Sir Godley aber zur Seite, so daß er nur an der Schulter verletzt wurde. Im nächsten Augenblick packte er die Frau. Sie hatte die Stärke eines Mannes und stach noch zweimal mit dem Messer nach seinem Gesicht. Nur um Haaresbreite verfehlte sie ihn. Durch eine übermenschliche Anstrengung gelang es ihr schließlich, ihn abzuschütteln und zurückzustoßen. Sie riß einen Knopf von ihrem Rock ab und führte dann die Hand zum Mund.

 

Inzwischen waren viele Wärterinnen in die Zelle gekommen, und sie leistete keinen Widerstand mehr. Das Dolchmesser fiel auf den harten Flur. Der Griff bestand aus einem Schuhabsatz. Clay Shelton war in der Tat ein guter Führer, der alles vorausgesehen hatte. Während ihrer ganzen Gefangenschaft hatte sich die haarscharfe Klinge stets in ihrem Schuh befunden.

 

Bleich und verstört ging Sir Godley in das Büro des Anstaltsdirektors, der nach einiger Zeit besorgt und verärgert eintrat.

 

»Haben Sie der Frau etwas gegeben?« fragte er.

 

Sir Godley schaute ihn erstaunt an.

 

»Was sollte ich ihr denn gegeben haben?«

 

»Gift!«

 

»Nein, das habe ich nicht getan«, erklärte Sir Godley verwirrt. »Hat sie denn –?«

 

Der Direktor nickte.

 

»Sie ist tot. Ein Knopf an ihrem Rock fehlt. Wahrscheinlich hatte sie das Gift darin verborgen.«

 

Und nun verstand Sir Godley, warum der ausgewechselte Rock daran schuld war, daß Clay Shelton an den Galgen kam.

 

Kapitel 42

 

42

 

Zwei Wochen waren inzwischen vergangen. Die Totenschau für Miß Revelstoke hatte großes Aufsehen erregt, war aber bald wieder vergessen worden. Der Wetter sah seinen Vater nicht, aber Nora Sanders war täglich bei ihm. Sie brauchte seinen Rat, denn sie hatte sich entschlossen, das Testament Monkfords nicht anzuerkennen, da die Unterschrift wahrscheinlich gefälscht war.

 

Sir Godley kam erholt von Bournemouth zurück, aber der Überfall, der auf ihn gemacht worden war, hatte ihn doch mehr mitgenommen, als er zugeben wollte.

 

Als sich am Abend die Dienstboten nach dem Essen zurückgezogen hatten, stützte er die Ellbogen auf den Tisch und wandte sich an Nora.

 

»Hast du den Bericht über die Totenschau gelesen?« fragte er.

 

Sie schüttelte den Kopf.

 

»Arnold wollte mir die Zeitung nicht zeigen. Und auch dann hätte ich ihn nicht gelesen. Ich habe nur die Überschrift gesehen: ›Die erstaunliche Geschichte eines Bankiers‹. Warst du das?«

 

»Ja, und es handelt sich um die Geschichte, die ich euch damals erzählen wollte, als ich zum Gefängnis gerufen wurde.«

 

»Wer war eigentlich Miß Revelstoke?« fragte sie.

 

Sir Godley holte tief Atem.

 

»Meine Frau! Die vollständige Geschichte der Bande des Schreckens wurde vor Gericht nicht vorgebracht, und Gott sei Dank war meine Anwesenheit nicht nötig. Clay Shelton war mein Bruder, oder vielmehr mein Halbbruder, ein wilder, gewissenloser Junge, der meinen Vater und später auch mich bestahl. Als unser Vater den Diebstahl entdeckte, brannte Clay von Hause durch. Ich war damals mit einer hübschen Dänin, einer Miß Ostlander, verlobt, die als Gouvernante bei einem Nachbarn angestellt war. Ich traf sie auf einem Gartenfest, verliebte mich in sie und heiratete sie kurz nach dem Verschwinden meines Bruders.«

 

Er streifte die Asche seiner Zigarre ab und lächelte bitter.

 

»Hoffentlich mußt du niemals so traurige Erfahrungen in der Ehe machen wie ich. Äußerlich war sie das liebenswürdigste junge Mädchen, aber an unserem Hochzeitstag erzählte sie mir eine Geschichte, die mich tief unglücklich machte. Sie liebte meinen Bruder und hatte mich nur geheiratet, damit das Kind, das sie erwartete, einen Namen bekam. Warum sie mir das alles sagte, habe ich niemals begriffen. Ich glaube, sie wollte mich nur verletzen oder so abstoßen, daß meine Liebe zu ihr getötet wurde.

 

Damals war ich sehr gutmütig und hatte eine hohe Meinung von den Frauen. Wir waren nach Kopenhagen gefahren. Drei Tage später verließ sie mich und teilte mir in einem Brief mit, daß sie nicht die Absicht hätte, zu mir zurückzukehren, und daß sie dorthin gegangen wäre, wo sie ihr wahres Glück fände. Ich reichte sofort die Klage gegen sie ein, und die Scheidung wurde vom Gericht ausgesprochen. Ich glaube, daß sie dann heirateten –«

 

»Am 9. Februar 1886«, unterbrach ihn der Wetter. »Das ist das dritte Datum, das in die Kabinenwand eingeschnitten war. Das zweite war der Geburtstag seiner Frau. Das vierte der Geburtstag Crayleys – Jackson Crayley Longs.«

 

»Crayley war der Name unseres Familiengutes in Yorkshire«, fuhr Sir Godley fort. »Ich hatte niemals wieder etwas von ihnen gehört, bis mein Geschäftsführer eines Tages aufgeregt in mein Büro kam und mir sagte, daß wir achtzigtausend Pfund auf eine gefälschte Bankanweisung gezahlt hätten. Zuerst hatte ich die Absicht, die Sache der Polizei zu übergeben, und ließ mir die Schriftstücke vorlegen. Auf der Rückseite sah ich in Bleistiftschrift die beiden Buchstaben ›J. X.‹. Sie waren der Aufmerksamkeit des Kassierers entgangen, aber ich erkannte an dem X sofort Johns Handschrift. Mein Bruder hatte also die Papiere gefälscht, und die beiden Buchstaben hatte er gewissermaßen als Herausforderung auf die Rückseite geschrieben. Ich zahlte die achtzigtausend Pfund aus meinem Privatvermögen und setzte eine Annonce in die persönlichen Anzeigen der Times ein: ›J. X. Diesmal habe ich gezahlt, das nächstemal zeige ich dich an.‹ Er hat dann auch niemals wieder versucht, mich zu betrügen, aber kurz darauf begann diese Serie der internationalen Fälschungen, die den Namen Clay Sheltons bekannt und gefürchtet machten.

 

Ich bewunderte seine eiserne Energie und seine Selbstbeherrschung. Er war verheiratet, hatte eine Familie, aber er lebte nur drei Wochen im Jahr mit ihr zusammen. Sie trafen sich gewöhnlich in einem kleinen dänischen Seebad an der Ostsee. Die Kinder wurden in Dänemark erzogen und sprachen infolgedessen ebenso fließend Dänisch wie Englisch. Als sie heranwuchsen, fand Clay den Mut, ihnen seinen wahren Charakter zu enthüllen.

 

Er wußte, daß sie früher oder später entdeckt würden, wenn sie zusammenlebten und kam deshalb zu folgender Lösung. Jedes Familienmitglied wurde zu einer anderen Persönlichkeit abgestempelt. Sie zeigten in der Öffentlichkeit nicht, daß sie miteinander verwandt waren. Nur während der wenigen Wochen an der Ostsee fielen diese Schranken.

 

Ihre Mutter zog dann nach England und ließ sich als unverheiratete Dame mit großem Vermögen dort nieder. Die Jungen wurden unter verschiedenen Namen auf verschiedenen Schulen erzogen, und später ergriffen sie verschiedene Berufe. Crayley wurde Landwirt, verwaltete aber sein Gut schlecht. Dann kauften sie ihm ein Haus in der Nähe des Stroms. Er hatte die Aufgabe, nach dem Festland zu reisen, mit reichen Leuten Bekanntschaft zu schließen und sich nicht nur ihre Unterschriften, sondern auch alle Details aus ihrem Leben zu verschaffen.

 

Henry wurde ein Rechtsanwalt, und Cravel, der zweite Sohn, Hotelbesitzer. Er war ein erfolgreicher Kaufmann und unterhielt auch seine Schwester Alice. Außerdem war er die rechte Hand seines Vaters. Jackson Crayley spielte nur eine untergeordnete Rolle und verdarb gewöhnlich alles. Ich berichte nur, was ich von Arnold gehört habe. Er führte sogar den Tod seines Vaters herbei, weil er ihm in dem Augenblick der Verhaftung eine Pistole zusteckte. Seine Mutter liebte ihn nicht.

 

Crayley war aber ein guter Junge, der seine Tätigkeit haßte. Er suchte immer nach einer Gelegenheit, sich von dieser schrecklichen Gesellschaft zurückzuziehen und ein anständiges Leben zu führen. Seine Schwester Alice unterstützte ihn bei diesen Bestrebungen, und die beiden waren gute Freunde. Nach dem Tode seines Vaters war Cravel der führende Geist, obwohl Miß Revelstoke mit den Verbrechern in Verbindung trat, die die Gewalttaten verüben sollten. Sie verkleidete sich als Mann, setzte eine weiße Perücke auf und engagierte die Leute. Aber Cravel war stets in der Nähe, um den Mörder zu töten, ob dieser sein Ziel erreichte oder nicht.

 

An dem Morgen, an dem Arnold von Chelmsford zurückkam, wurde er von Henry verfolgt, der eine Bombe in seinen Wagen werfen sollte, falls Ulanen-Harry ihn verfehlte. Es war ganz einfach, nicht wahr, Arnold?«

 

Der Wetter nickte.

 

»Ja. In der Seitenstraße stand ein Auto bereit, das anscheinend einem Gemüsehändler gehörte. Sobald Harry tot war, fuhr der Wagen los, nahm Henry und sein Motorrad auf und verschwand.«

 

»Nacheinander brachten sie die Leute um, die sie für den Tod ihres Vaters verantwortlich machten. Crayley verpfuschte gewöhnlich alles, aber hinter Henry und Cravel stand stets diese ungewöhnliche Frau.«

 

»Hat sie mich eigentlich auch mit irgendeiner Nebenabsicht engagiert?« fragte Nora gespannt.

 

»Nein. Es war ein Zufall, daß du angestellt wurdest. Aber nachdem du einmal im Hause warst, benützte sie dich natürlich auch als Werkzeug. An dem Tag, an dem du Monkford besuchtest, wurde sie sich klar darüber, wie sie dich verwenden konnte. Du hast uns ja erzählt, daß sie sagte, Monkford hätte angerufen und wäre des Lobes über dich voll gewesen. Aber Monkford hatte das Telephon nicht angerührt. Dann kam der mysteriöse Ring an, und wieder wurde Monkford vorgeschoben. All dies sollte dir nur die spätere Erbschaft plausibel machen. Das Testament war bereits von Henry aufgesetzt und die Unterschrift gefälscht.

 

Unglücklicherweise gab sie dir einen Ring, den Arnold auf ihrem Jugendbildnis gesehen hatte. Das brachte ihn auf die Spur. Als er zu mir kam und ihn mir beschrieb, konnte ich ihm sagen, daß ich ihn an dem Tag unserer Ankunft in Kopenhagen für sie gekauft hatte.

 

Alice Long berichtete uns alles, was sich an dem Nachmittag vor Monkfords Tod ereignete. Henry und Crayley – ich glaube, Henry kam auf die Idee – erzählten Monkford, daß Arnold über ihn und dich Gerüchte verbreitet hätte, und der Mann war natürlich wütend darüber. Obwohl er dich sicher gern gehabt hat, dachte er doch nicht daran, sich in dich zu verlieben oder dich gar zu heiraten. Im Gegenteil, er war ein eingefleischter Junggeselle. Aber sie wollten unter allen Umständen erreichen, daß er Arnold sein Vertrauen entzog. Darin lag das Teuflische ihres Plans. Wenn er mit dem Wetter schlecht stände, würde er ihn von sich fernhalten, dachten sie. Und er mußte so lange ferngehalten werden, bis sie ihr elendes Werk vollbracht hatten. Wie er starb, weißt du. Das Telephon hatte offenbar Cravel erfunden, der ein ideenreicher Techniker war.

 

Ich kann aufrichtig sagen, daß ich nicht die geringste Ahnung von Miß Revelstokes Identität hatte, selbst nachdem ich von dem Ring gehört hatte. Ich erfuhr erst davon, als ich eines Nachts ausging, um einen Brief zum Kasten zu bringen, und ein Auto an mir vorüberkam. Die Hand des alten Herrn, der darin saß, lag auf dem Fensterrahmen, und ich erhaschte einen Blick seines Gesichts. Eine Sekunde lang streiften mich die dunklen Augen, und ich wäre beinahe vor Schrecken umgefallen. All diese Jahre hatten die Erinnerung an Alicia Ostlander nicht in mir auslöschen können, und instinktiv wußte ich, daß Alicia Ostlander und Miß Revelstoke ein und dieselbe Person waren. Es gab keinen Grund, warum ich sie miteinander in Verbindung bringen sollte, aber ich tat es.

 

Mein Wagen folgte dem anderen, bis wir Colville Gardens erreichten, wo er in der hinteren Einfahrt verschwand. Nun war ich meiner Sache vollkommen sicher. Ich hatte eine kleine Unterredung mit meinem Chauffeur und fragte ihn, ob er dem Wagen folgen wollte, wenn er wieder herauskäme. Der Mann ging auf meinen Vorschlag ein, obwohl er mich wahrscheinlich für etwas verrückt gehalten hat. Ich wußte allerdings nicht, ob Miß Revelstoke in der Nacht noch einmal ausfahren würde; aber während ich noch mit dem Mann sprach, erschien ihr Auto bereits wieder. Glücklicherweise regnete es, sonst hätten wir die Verfolgung des starken Wagens nicht aufnehmen können. Außerhalb der Stadt ging es besser, weil die Straßen glatt und schlüpfrig waren, so daß man vorsichtig fahren mußte. Ich bestimmte den Chauffeur, seine Lampen abzublenden; aber die Mühe hätte ich mir sparen können, denn sie dachte nicht an eine Verfolgung und sah sich kein einziges Mal um.

 

Schließlich kamen wir zu einem Ort, den ich der Beschreibung nach für Heartsease hielt. Der Wagen fuhr durch das Tor, und ich setzte meinen Weg zu Fuß fort.

 

Es regnete jetzt heftig, und ich stellte mich unter eine Zeder, die mir einigen Schutz gewährte. Die Frau war in dem Hotel verschwunden. Dann kam ein Mann heraus und brachte den Wagen fort, vermutlich in die Garage. Ich wartete und wartete und hielt mich beinahe selbst für verrückt. Nach einer Weile machte ich mir klar, daß es vernünftig, sein würde, nach Hause zurückzufahren und meine alarmierten Dienstboten zu beruhigen. Ich ging gerade den Fahrweg hinunter, als zwei helle Lichter vor mir auftauchten. Es blieb mir noch Zeit, mich zu verbergen, dann raste ein Krankenauto vorüber. Es hielt nicht vor dem Haupteingang, sondern an einer Seitentür, die auch Miß Revelstoke benützt hatte.

 

Ich ging zurück und achtete darauf, daß ich immer in Deckung blieb. Sie stellten eine Tragbahre heraus, und ein Mann – es war wohl Cravel – nahm eine Gestalt in die Arme und trug sie ins Hotel. Gleich darauf entfernte sich der Krankenwagen auf dem Weg, den er gekommen war. Meine Neugierde erwachte nun aufs neue. Ich bin zwar nicht mehr der Jüngste, aber doch noch elastisch und kräftig. Die Haupttür zum Hotel konnte ich nicht öffnen, und ich kletterte daher kurz entschlossen an der Vorhalle empor, die oben einen Balkon trug. Dabei verlor ich allerdings meine Brille. Nach fünf Minuten stieg ich ohne weitere Mühe in ein Fenster ein und befand mich im Korridor des ersten Stockwerks, wie ich nachher bemerkte. Irgendwo hörte ich Stimmen, aber es war alles dunkel. Ich tastete mich an der Wand entlang und probierte jede Türklinke. Sie waren alle verschlossen. Schließlich stieg ich zum zweiten Geschoß hinauf, und als ich Miß Revelstokes Stimme hörte, glaubte ich mich plötzlich um dreißig Jahre zurückversetzt. Was sie sagte, interessierte mich in höchstem Maße. Ihr Plan war so kaltblütig und entsetzlich, daß mir die Haare zu Berge stiegen. Ich sah mich nach einem Versteck um und untersuchte auch hier alle Türen, fand sie aber gleichfalls verschlossen. Vorsichtig ging ich zur Eingangshalle hinunter und sah in dem gedämpften Licht einer Lampe die offene Tür des Büros. Ich ging hinein und wagte es, das Licht anzudrehen, weil ich hoffte, hier einen Schlüssel zu finden. Zum Glück entdeckte ich auch den Hauptschlüssel, der an einem Haken des Pultes hing. Ich nahm ihn und ging schnell wieder nach oben. Ich hatte gerade den ersten Stock erreicht, als ich oben Licht sah. Rasch öffnete ich die nächste Tür und schlüpfte hinein, um zu warten, bis sie gegangen waren.«

 

Sir Godley lächelte traurig.

 

»Hier hätte meine Geschichte enden können. Als ich den Fuß behutsam vorschob, berührte ich nichts. Ich hatte eine Schachtel Streichhölzer in der Tasche, steckte eins an und bemerkte nun die Löcher im Boden und in der Decke. Das obere war durch die Unterseite eines Teppichs verdeckt. Es war nicht schwer zu vermuten, daß bauliche Veränderungen in dem Haus vorgenommen wurden, denn Gerüste und Werkzeuge deuteten darauf hin.

 

Ich hatte die Tür von innen verriegelt, als ich eintrat, und wartete nun geraume Zeit. Ich hoffte, daß die drei anwesenden Leute weggehen würden. Aber dauernd schien der eine oder andere auf der Treppe oder wenigstens in Hörweite zu sein. Stunde auf Stunde verging, dann hörte ich plötzlich zu meiner Verwunderung und Freude Arnolds Stimme, der wenige Schritte von mir entfernt die Treppe hinaufging. Ich wartete und wunderte mich, was geschehen würde.

 

Nach einem langen, beängstigenden Schweigen hörte ich Schritte in dem Zimmer über mir und auch wieder Arnolds Stimme. Das Loch in der Decke war, wie ich schon erzählte, von einem Teppich bedeckt, und sonderbarerweise war mein erster Gedanke, daß Arnold herunterstürzen könnte. Ich hörte ihn sprechen und Cravel antworten. Ich hatte meinen Mund gerade geöffnet, um ihn zu warnen, als der Teppich schon nachgab. Arnold fiel herunter, stieß gegen einen Gerüstbalken und warf mich um. Aber ich konnte ihn im letzten Augenblick noch packen und in Sicherheit bringen.

 

Es wurde mir bald klar, daß wir uns beide in einer sehr gefährlichen Lage befanden, und ich war froh, daß ich meine Pistole eingesteckt hatte. Glücklicherweise war Arnold bewußtlos und konnte seine Gegenwart nicht verraten. Nach einer halben Stunde wurde es oben still.

 

Wasser war nicht in der Nähe, und ich konnte seine Wunde nicht verbinden. Aber ich merkte, daß er nicht ernstlich verletzt war. Als er wieder zur Besinnung kam, waren die Leute oben schon gegangen. Ich sagte ihm, wer ich war, und was sich ereignet hatte. Auch von dem Hauptschlüssel erzählte ich ihm.

 

Vom Fenster aus sah ich den Wagen, in dem offenbar Miß Revelstoke und ihr Sohn Henry das Hotel verließen. Arnolds erster Gedanke galt dir, Nora, und als ich nach einer kleinen Weile bemerkte, daß Cravel in dem Polizeiauto wegfuhr, durchsuchten wir das Haus. Wir begannen im Erdgeschoß und arbeiteten uns allmählich hoch. Ich hatte eigentlich geglaubt, sie würden sich nicht die Mühe machen, dich in ein oberes Stockwerk zu bringen.

 

Wir hatten den ersten Stock erreicht, als wir hörten, daß Cravel zurückkam. Wieder versteckten wir uns in Nr. 3 und warteten, bis er aus seinen Zimmern nach unten ging.

 

›Jetzt wollen wir es riskieren‹, meinte Arnold und stieg hinauf. Die erste Tür, die wir öffneten, führte zu Cravels Wohnung.

 

Wir hüllten dich dann in eine Decke und trugen dich nach Nr. 3. Natürlich hätten wir dem Mann begegnen können, und Arnold fürchtete, daß er in diesem Fall schießen würde. Dann erschien, wie durch ein Wunder, die Berkshire-Polizei, die Rouch telephonisch herbeigerufen hatte. Als sie nach Nr. 3 kamen und Cravel seinen Hauptschlüssel holen wollte, riegelte Arnold die Tür auf, zeigte sich dem Inspektor und überredete ihn, Cravel in ein Gespräch zu verwickeln, damit wir dich in Sicherheit bringen konnten. Nun kennst du die ganze Geschichte.«

 

»Eine verflucht gute Geschichte«, sagte der Wetter. »Sie hat nur den einen Fehler, daß sie nicht genügend Licht auf meinen Scharfsinn und meine Tüchtigkeit wirft, aber ich habe ja noch genug Zeit, dich mit meinen glänzenden Eigenschaften bekannt zu machen.«

 

Nora lächelte ihn glücklich an.

 

 

Ende

 

 

 

 

 

Ende März 1932 erscheint

in der »Neuen Ausgabe« von Edgar Wallace
Louba der Spieler

Preis M. 1.50

 

Kapitel 5

 

5

 

Arnold schaute entsetzt in das Gesicht des toten Ulanen-Harry und wollte seinen Augen nicht trauen. Eine kurze Untersuchung ergab, daß der Mann aus nächster Nähe von hinten erschossen worden war. Der Lauf des Gewehrs war noch heiß. Als Long die Kammer aufriß, sah er noch einige Patronen im Magazin. Ein paar Schritte davon entfernt befand sich die Hecke, und dahinter entdeckte er einen Abhang, der steil zur Straße abfiel. Kein Lebewesen war dort zu sehen, aber auf der Straße unten zeigten sich Räderspuren. Er kletterte wieder die Anhöhe hinauf und neigte sich gerade über den Toten, als er das Rattern eines Motorrades hörte. Er schaute sich rasch um und sah die Lederkappe des Fahrers.

 

Der Mann fuhr auf die Chaussee, wo der Detektiv seinen Wagen hatte stehen lassen. Long gab ihm ein Signal, zu halten. Der Fremde beachtete es jedoch nicht, obwohl er es gesehen haben mußte. Nur einen Augenblick schien er das Tempo zu verlangsamen, als er das Auto passierte, und kurz darauf verschwand er hinter den großen Erlen bei einer Straßenbiegung.

 

Der Inspektor sah sich nach Hilfe um. Die Schüsse mußten gehört worden sein. In einiger Entfernung entdeckte er eine schwarze Scheune, die ihm sonderbar bekannt vorkam, und er erinnerte sich daran, daß er am frühen Morgen Harry dort gesehen hatte.

 

Es blieb ihm nichts anderes übrig, als in das nächste Dorf zu fahren und Hilfe zu holen. Halbwegs war er schon zu seinem Wagen gekommen, als plötzlich eine große Flammengarbe daraus emporschoß. Er hörte eine laute Explosion und sah viele Metall- und Holzteile durch die Luft wirbeln.

 

Long stand einen Augenblick starr vor Schrecken, dann eilte er zu der Unglücksstelle. Das Auto bestand nur noch aus einer Masse von Blech und rauchenden Trümmern.

 

Kurz darauf kam ein Polizist auf einem Rad die Straße entlang, der die Explosion auch gehört hatte.

 

»Was ist denn mit Ihrem Wagen passiert? Ist er in die Luft geflogen?« fragte er atemlos.

 

»Er ist durch eine Bombe gesprengt worden«, erwiderte der Wetter grimmig.

 

»Eine Bombe?« wiederholte der Mann verblüfft.

 

Der Wetter kümmerte sich nicht weiter um das zertrümmerte Auto. Mit wenigen Worten klärte er den Polizisten auf und führte ihn zu der Stelle, wo der Tote im Grase lag.

 

»Auf der Straße unten sind Wagenspuren«, sagte er. »Aber wenn wir kein Flugzeug haben, zweifle ich stark daran, daß wir die Täter fassen können.«

 

Um fünf Uhr abends kam er nach Scotland Yard und berichtete Colonel Macfarlane, der ihm mit düsterem Gesichtsausdruck zuhörte.

 

»Die ganze Sache ist einfach unerklärlich, ich möchte fast sagen, unmöglich. Shelton ist doch um acht Uhr gehängt worden, und es besteht nicht der geringste Zweifel, daß er tot ist. Hatten Sie denn nicht die Möglichkeit, den Motorfahrer oder das Auto zu verfolgen?«

 

»Nein. Lassen Sie mir ein bis zwei Wochen Zeit. Wir haben es hier mit der Bande des Schreckens zu tun!«

 

Macfarlane runzelte die Stirne.

 

»Ich verstehe Sie nicht ganz. Shelton arbeitete doch vollkommen auf eigene Faust. Er hatte keine Bande, die ihm half, und auch keine Freunde. Soweit wir es beurteilen können, gibt es keinen Menschen auf der Welt, der sich darum kümmert, ob er lebendig oder tot ist.«

 

Der Wetter biß sich auf die Lippe.

 

»Das stimmt alles, und dennoch glaube ich nicht an die Galgenhand. Es gibt einen harten Kampf, denn die Bande des Schreckens wird uns keine Ruhe lassen. Den Ulanen-Harry haben sie in ihre Dienste genommen, denn sie wußten, daß er ein guter Schütze war. Er sollte mich auf meinem Rückweg von Chelmsford erledigen. Und es war ja leicht, ihn dazu zu überreden, denn er haßte mich im Grund seiner Seele. Als sie aber sahen, daß er sein Ziel verfehlte, haben sie ihn rücksichtslos über den Haufen geschossen. Und hätte er mich tatsächlich getroffen, dann hätten sie ihn erst recht kalt gemacht. Er unterschrieb sein Todesurteil in dem Augenblick, in dem er den Auftrag annahm.«

 

*

 

In den nächsten Monaten fand Long neues Interesse am Leben und war eifrig an der Arbeit. Das Bewußtsein, ständig in Gefahr zu schweben, verlieh ihm neue Spannkraft und Energie. Er war davon überzeugt, daß hinter Shelton eine Bande stand, die schrecklicher war als jede bisher bekannte Verbrecherorganisation, und es reizte ihn, seine Kraft und Klugheit mit dem Können dieser Leute zu messen.

 

Er hatte Ulanen-Harrys Spur bis zu dem Augenblick zurückverfolgen lassen, in dem der Mann das Gefängnis in Dartmoor verlassen hatte, und er hatte alle Leute verhört, mit denen der Sträfling in Berührung gekommen war. Aber niemand konnte ihm auch nur die leiseste Angabe machen, die zur Entdeckung seiner Auftraggeber geführt hätte.

 

Das nächste Jahr brachte eine Katastrophe nach der anderen, denn die Bande des Schreckens plante Mord auf Mord und führte ihre Untaten auch aus.

 

Kapitel 6

 

6

 

Obwohl Miß Revelstoke schon in vorgeschrittenem Alter stand, gehörte sie nicht zu den schrullenhaften Frauen, die sich langhaarige, teure Schoßhunde hielten oder andere Extravaganzen liebten. Sie war groß und stattlich und kleidete sich modern. In ihrem etwas blassen Gesicht glühten ein Paar dunkle, tiefe Augen, die ihren Zügen einen eigentümlichen Reiz verliehen.

 

Ihr Haus in Colville Gardens war in jeder Beziehung neuzeitlich und geschmackvoll ausgestattet, und Nora Sanders, die Sekretärin, fühlte sich in ihrem künstlerisch eingerichteten Zimmer sehr wohl.

 

An einem schönen Sommertag saß Miß Revelstoke an ihrem Schreibtisch und schrieb eine Adresse auf ein längliches Paket.

 

»Sie werden in Mr. Monkford einen sehr interessanten Herrn kennenlernen«, sagte sie dabei zu Miß Sanders. »Er ist sehr humorvoll wie die meisten etwas untersetzten Leute. Ist das Paket auch zu schwer für Sie?«

 

Nora wog es in der Hand. Es war leichter, als sie erwartet hatte.

 

»Wahrscheinlich lädt er Sie zum Tee ein. Ich speise heute abend erst um neun, eine halbe Stunde später als sonst. Mr. Henry kommt zum Essen, und er würde untröstlich sein, wenn er Sie nicht anträfe.«

 

Nora lachte. Miß Revelstoke hatte schon mehr als einmal angedeutet, daß der hübsche Rechtsanwalt nur ihrer Sekretärin wegen so häufig ins Haus kam.

 

»Sagen Sie Mr. Monkford, daß er mir nicht mehr zu schreiben braucht. Er kann die Statuette ruhig behalten. Wir sehen uns ja nächste Woche in Little Heartsease.«

 

Nora fuhr nach Marlow und freute sich, daß sie einmal wieder ins Freie kam.

 

Harry, der Bootsmann von Meakes, richtete sich auf, wischte die schweißbedeckte Stirn mit dem nackten, braunen Arm ab und sah die junge Dame, die vor ihm stand, respektvoll und wohlwollend an.

 

»Sie wollen zu Mr. Monkford?«

 

Er schützte die Augen mit der Hand gegen die Sonnenstrahlen und zeigte den Fluß hinauf, der an dieser Stelle eine scharfe Biegung nach der Temple-Schleuse zu machte.

 

»Von hier aus können Sie das Haus nicht sehen«, sagte er. »Es ist ein altes Gebäude. Aber wenn Sie den Fußweg entlanggehen, stoßen Sie darauf.«

 

Er sah sie ungewiß von der Seite an. Noch zwölf Boote hatte er sauber zu machen, und für eine Gesellschaft, die jeden Augenblick eintreffen konnte, mußte er einen Vierruderer in Ordnung bringen. Aber das Mädchen war hübsch, schlank und biegsam. Um ihre roten Lippen und in ihren grauen Augen spielte ein verführerisches Lächeln.

 

»Es ist ein ziemlich langer Weg. Sie müssen über die Brücke, die zweite Straße rechts gehen und dann an der Ecke abbiegen, wo das Denkmal steht – ich glaube, ich rudere Sie lieber hin, Miß.«

 

»Sie sind sehr liebenswürdig.«

 

Der Mann brachte das Boot an den Steg, und sie stieg ein. Er war sehr gesprächig, während er stromauf ruderte.

 

»… Hier in dem Loch, über das wir jetzt fahren, lebt die größte Forelle der ganzen Gegend. Manche Leute sagen, daß sie schon dreißig Jahre alt ist. Viele haben versucht, sie zu fangen; aber es ist noch keinem gelungen.«

 

Sie zeigte höfliches Interesse, um den Alten nicht zu verletzen.

 

»Sehen Sie, dort liegt Sheltons Boot.« Er deutete mit dem Kopf auf ein ziemlich verwahrlost aussehendes Motorboot, das am Ufer vor einem leerstehenden Hause vertäut war. Es zeigte schnittige Form und mußte früher einmal blendend weiß gewesen sein. Aber jetzt machte es einen unansehnlichen, vernachlässigten Eindruck. Sie dachte einen Augenblick darüber nach, wer Shelton wohl sein mochte, aber der Bootsmann gab ihr sofort Auskunft.

 

»Shelton ist gehängt worden, weil er einen Polizisten erschossen hat. Er war der größte Urkundenfälscher, der jemals existierte – wenigstens sagen die Zeitungen so.«

 

Sie sah ihn erstaunt an, dann wanderten ihre Blicke wieder zu dem Boot am Ufer.

 

»Was, er ist gehängt worden?«

 

»Ja. In dem Haus dort hat er gewohnt, und mit dem Motorboot hat er seine Reisen gemacht. Nach seinem Tod hat man das Haus und das Boot verkauft. Aber sehen Sie, dort an der Ecke wohnt Mr. Monkford. Der hat Shelton an den Galgen gebracht«, erklärte Harry feierlich. »Er und Mr. Long, der berühmte Detektiv. Der ist gerade zu Besuch bei ihm. Ich habe gesehen, wie er heute nachmittag in einem Boot hinruderte.«

 

Sie wußte wohl, daß Joseph Monkford eine prominente Persönlichkeit in Bankkreisen war. Miß Revelstoke, die ihn schon lange kannte, hatte ihr das ausführlich erzählt. Er hatte sich durch eigene Tüchtigkeit emporgearbeitet, war jetzt der leitende Direktor der Southern & City Bank und als solcher Vorsitzender der Bankiervereinigung.

 

»Ja, er und der Wetter Long haben Shelton gehängt. Aber Sie haben doch sicher davon gehört. Die Geschichte hat doch erst vor einem Jahr gespielt.«

 

Nora schüttelte den Kopf. Sie las niemals die Mordberichte in den Zeitungen.

 

Das Haus kam jetzt in Sicht. Es stand zwischen hohen Pappeln, und eine große, grüne Rasenfläche breitete sich von der Terrasse bis zum Ufer aus.

 

Harry legte am Landungssteg an. Sie stieg mit ihrem kleinen Paket aus dem Boot und griff nach ihrer Handtasche, um dem Mann ein Geldstück zu geben.

 

»Nein, danke schön, Miß.«

 

Mit einem kräftigen Ruderschlag stieß er das Boot wieder vom Ufer ab und winkte ihr einen fröhlichen Abschiedsgruß zu.

 

»Mr. Monkford fährt Sie später sicher im Auto zur Station«, rief er ihr noch zu.

 

Sie lächelte ihn dankbar an und ging dann über den gutgepflegten Rasen zur Terrasse.

 

Kapitel 7

 

7

 

»Mr. Monkford hat gerade Besuch«, sagte der Diener, der sie einließ und ihr das kleine Paket abnahm.

 

Aber schon nach wenigen Sekunden erschien der Hausherr in dem kleinen Salon, in dem sie wartete.

 

»Kommen Sie herein, Miß Sanders. Hat Ihnen Miß Revelstoke die Statuette für mich mitgegeben? Das ist ja glänzend!«

 

Miß Revelstoke und Mr. Monkford sammelten klassische Altertümer. Die alte Dame hatte die Plastik, die Nora brachte, von einem Antiquitätenhändler erworben, wollte sie aber Monkford überlassen, weil die Darstellung sie abstieß.

 

»Kommen Sie doch, bitte, hier herein. Das Paket muß aber ziemlich schwer gewesen sein«, meinte er. »Wenn ich genau gewußt hätte, wann Sie ankamen, hätte ich meinen Wagen zur Bahn geschickt… Darf ich Ihnen einen meiner Freunde vorstellen?«

 

Sie war ihm in die große Bibliothek gefolgt, von wo aus man den Strom übersehen konnte. Am Fenster stand ein Herr und schaute mit düsteren Blicken über den Rasen nach dem Wasser hin. Er kam ihr bekannt vor, und als sich ihre Blicke trafen, erkannten sie sich gegenseitig.

 

»Mr. Long – Miß Sanders.«

 

Sie hatte den Namen doch schon gehört! Plötzlich erinnerte sie sich wieder an die Geschichte, die ihr der Bootsmann von Shelton erzählt hatte. Das war also der Wetter Long, der berühmte Detektiv!

 

Er sah Nora interessiert an. Sie fühlte, wie seine Blicke sie durchdrangen, aber es war ihr sonderbarerweise nicht unangenehm. Seine Augen besaßen geradezu hypnotische Gewalt und Stärke. Unwillkürlich hatte sie den Eindruck, daß er über ungewöhnliche Kraft und Energie verfügen mußte.

 

Monkford ging zum Kamin und drückte die Klingel.

 

»Wir wollen erst Tee zusammen trinken. Das andere hat Zeit bis später.«

 

Er packte das Paket aus und schälte einen kleinen Holzkasten aus dem grauen Papier. Ein Gegenstand lag darin, der von einer Tuchhülle umgeben war.

 

»Ein wundervolles Stück«, sagte er, als er die Figur in der Hand hielt.

 

Auch der Wetter kam langsam vom Fenster zum Tisch und betrachtete sie interessiert.

 

Es handelte sich um eine nackte Frauengestalt, die aus Ebenholz geschnitzt war. Sie stand mit erhobenem Kinn und blickte trotzig drein.

 

»Wirklich ein ausgefallen schönes Stück«, wiederholte Monkford. »Sagen Sie Miß Revelstoke, daß ich sehr stolz auf den Besitz dieser Statuette bin.«

 

Noras Gedanken waren abgeschweift, und sie stellte plötzlich eine unüberlegte Frage.

 

»Wer war eigentlich Shelton?«

 

Ein peinliches Schweigen folgte, und ihr Herz schlug unwillkürlich schneller, als sie sah, daß sich Mr. Monkford verfärbte.

 

»Ach, es tut mir leid – ich hätte nicht so dumm fragen sollen«, sagte sie verlegen.

 

Der Bankdirektor sah verstört aus, obwohl er eben noch vergnügt und heiter gewesen war. Aber um Longs Lippen spielte ein fast unmerkliches Lächeln.

 

»Shelton war ein bekannter Urkundenfälscher, der einen Polizisten erschossen hat«, erklärte er einfach. »Ich habe ihn verhaftet, und bei der Gelegenheit tötete er den Beamten, der mich begleitete. Deshalb kam er an den Galgen. Niemand vermutete, daß er eine Schießwaffe bei sich hätte. Er muß tatsächlich von Sinnen gewesen sein. Wir wollten ihn doch nur wegen Betrugs und Urkundenfälschung verhaften. Ich muß allerdings sagen, daß er mehr Geld aus amerikanischen und englischen Banken gezogen hat als irgend jemand sonst. Wir konnten ihn vorher niemals fassen.«

 

Er warf einen schnellen Blick auf den Bankdirektor.

 

»Mr. Monkford und ich haben ihm eine Falle gestellt, und auf diese Weise gelang seine Verhaftung. Die Schießerei war allerdings eine Überraschung für alle Beteiligten. Ich allein bin verantwortlich dafür, daß er an den Galgen kam. Ich hätte ihn nur schon niederknallen sollen, bevor er Gelegenheit hatte, selbst zu feuern.«

 

Rein gefühlsmäßig erkannte Nora, daß er diese Geschichte nur erzählte, um Monkford zu beruhigen und von der Verantwortung zu entlasten. Sie verstand allerdings nicht, warum er das tat. Shelton hatte seine Strafe doch nur zu Recht erhalten, und Monkford brauchte sich keine Vorwürfe darüber zu machen, bei der Verhaftung eines Verbrechers und Mörders mitgewirkt zu haben. Longs nächste Worte brachten ihr eine gewisse Erklärung.

 

»Der arme Mr. Monkford hat sich über die Sache halb tot gegrämt. Er hat sich nämlich in den Kopf gesetzt…«

 

»Ach … wir wollen lieber über etwas anderes sprechen. Hier ist der Tee«, sagte der Bankier mit heiserer, unsicherer Stimme.

 

Er konnte seine Erregung nicht verbergen. Sein Gesicht sah aschfahl aus, und seine Hände zitterten, als er die Figur wieder aufnahm und betrachtete.

 

Während des Tees kam kaum ein Gespräch in Gang, und später trat Nora auf den Rasen hinaus. Sie hatte noch zwei Stunden Zeit, bevor der Zug zur Stadt zurückfuhr, und sie glaubte, daß die beiden Herren allein miteinander sprechen wollten. Aber darin täuschte sie sich.

 

Sie war gerade am Ufer angelangt, als sie eine Stimme hinter sich hörte. Sie wandte sich um und sah Arnold Long vor sich.

 

»Mr. Monkford ist in sein Zimmer gegangen, um sich etwas auszuruhen«, sagte er.

 

»Und ich bin daran schuld«, erwiderte sie mit aufrichtigem Bedauern. »Ich weiß gar nicht, wie ich dazu kam, diese verhängnisvolle Sache zu erwähnen. Morde sind mir etwas Verhaßtes, und ich spreche sonst nie darüber. Auch in den Zeitungen lese ich nie die Berichte über Verbrechen.«

 

Sie war begierig, mehr über ihn und seinen Beruf zu erfahren.

 

»Sie sehen wirklich nicht wie ein Detektiv aus!«

 

Der Wetter seufzte.

 

»Es ist mir auch schon zum Bewußtsein gekommen, daß ich ein sehr schlechter Detektiv bin. Damals, als ich Sie zum erstenmal sah, war ich allerdings noch sehr von meiner Tüchtigkeit überzeugt. Aber bis dahin hatte ich eben fabelhaftes Glück gehabt. Das war alles.«

 

»Wann haben Sie mich denn schon gesehen?«

 

»In der Southern Bank. Sie besinnen sich doch auch noch darauf – wetten, daß?«

 

Sie war wütend über ihn, aber nur einen kurzen Augenblick.

 

»Es ist erst ein Jahr her«, fuhr er fort. »Damals war ich noch ein froher junger Mann, aber jetzt fühle ich mich, als ob ich hundert Jahre alt wäre.«

 

»Wieso denn?« fragte sie freundlich.

 

»Weil ich schwere Sorgen habe. Nächste Woche werden sie Monkford ermorden, und ich weiß nicht, wie ich es verhindern könnte.«