Kapitel 16

 

16

 

Ursula Frensham saß wie in einem Traum. Ihr Glaube hatte sie nicht betrogen, so vage und unbegründet er gewesen war. Das erhoffte Vermögen war Wirklichkeit geworden. Immer wieder las sie Tonys Brief:

 

… Wenn ich Ihnen raten darf, verkaufen Sie nicht eine einzige Aktie. Haben Colburns Freunde recht, dann sind sie jede Summe wert; täuschen sie sich, wäre es unrecht, andere hineinzulegen. Der einzige, der Schaden erleiden kann, falls die Geschichte von den neuen Quellen unbegründet ist, bin ich, denn ich bin der Hauptkäufer gewesen. Ich brach in den Markt ein und räumte alles fort, was da herumschwamm, ehe meine Freunde in der City noch recht aufgewacht waren.

 

*

 

Es gab aber auch Leute, die nicht die Geduld hatten, zu der Tony riet. Ein gewisser Inspektor von Scotland Yard, der tausend Stück gekauft hatte, läutete seinen Mentor dreimal in zwei Stunden an und kam schließlich selbst angerückt.

 

»Zum erstenmal in meinem Leben habe ich Aktien gekauft«, jammerte er, »und sie quälen mich zu Tod, Mr. Braid. Jedesmal, wenn die Zeitung kommt, fürchte ich, ich bin ruiniert. Allmählich verstehe ich, warum Börsenleute so gefährdet sind. Nichts treibt einen Mann so sicher zum Verbrechen wie die Börse!«

 

Tony schlug vor, ihm die Aktien zum letzten Kurs abzunehmen. Mr. Elk schwankte.

 

»Wenn sie dann steigen«, warnte er Tony, »würde ich so wütend werden, daß ich für meine Handlungen nicht einstehen konnte. Ihr Leben hinge an einem Haar. Ich werde immer mehr zum Jobber. Das haben die Aktien aus mir gemacht. Gestern flüsterte mir einer zu – ein ganz hochstehender Mann noch dazu –, wenn ich viel Geld verdienen wollte, sollte ich nur in Diamanten à la baisse spekulieren.«

 

Tony blickte verdutzt auf.

 

»Ist das Ihr Ernst?«

 

»Jawohl«, bestätigte Elk, »ein ganz großer Mann.«

 

Er nannte den Namen. Es war, wie Tony erkannte, eine der wenigen Firmen in der City, die mit Julian Reef Geschäfte machte.

 

»Dieser Mann behauptete, Diamantenaktien würden stürzen. Er riet mir zu Differenzgeschäften, dieser sympathischsten Form des Diebstahls.«

 

Das gab zu denken. Noch lange, nachdem Elk gegangen war, saß Braid und brütete. Der Diamantenmarkt war fest. Die Hauptpapiere hatten seit Monaten den gleichen Kurs. Jeder Versuch, ihn zu senken, war gescheitert, obwohl gerade diese Aktien einst die empfindlichsten auf dem Minenmarkt gewesen waren. Er telefonierte den ganzen Nachmittag. Sprach mit bekannten Cityleuten, die ein vitales Interesse an dieser Industrie hatten, konnte aber keine Auskunft erhalten, die einen möglichen Kurssturz erklären konnte. Die Ausbeute war gut, und die Abnehmer der ganzen Welt verschlangen das gesamte Angebot, das Afrika auf den Markt brachte.

 

»Offenbar hat man Elk getäuscht«, dachte er und vergaß die Angelegenheit, bis …

 

Er ging in Ascot in seinem Garten spazieren, als der Diener ihn ans Telefon rief. Er erkannte die Stimme eines der größten Makler auf dem afrikanischen Markt.

 

»Was ist mit de Mesnes passiert?« rief er.

 

»Was soll denn passiert sein?«

 

»Sie sind heute morgen um drei Pfund gefallen, und alle Diamantenpapiere stürzen nach. Haben Sie etwas von einem gewaltsamen Einbruch gehört?«

 

Da erinnerte Tony sich an die Worte des Detektivs.

 

»Fragen Sie mal bei Bell und Steen an«, riet er und nannte den Namen der Firma, die Elk erwähnt hatte. »Vor einigen Tagen habe ich einen Tip bekommen, daß die vielleicht die Hand im Spiel haben.« Sehr bestürzt hängte er den Hörer ein. Daß der Hauptteil seines Vermögens in Diamantenaktien angelegt war, berührte ihn wenig. Er hatte in der letzten Woche ein Vermögen an Lulanga-Öl gewonnen und würde wahrscheinlich daran noch weiter gewinnen. Aber warum fielen Diamanten in einer so dramatischen, unverständlichen Weise?

 

Er hätte das Drama begriffen, wenn er gewußt hätte, was seit einigen Nächten in einer gewissen kleinen Fabrik zu Greenwich vorgegangen war.

 

Kapitel 1

 

1

 

Es fing mit einer kleinen Meinungsverschiedenheit zwischen einem Trainer, einem Jockey und einem Buchmacher von zweifelhaftem Ruf an. Der Streit ging um die Stute Ectis, die Favoritin für den Königlichen Jagdpokal. Gegen Jockey und Trainer bestand bereits ein gewisser Argwohn; sie mußten also darauf achten, sich nicht allzusehr zu kompromittieren.

 

Die Frage war, ob man die Stute vor dem Ziel »bremsen« sollte oder ihr, wie es der Jockey vorschlug, vor dem Rennen eine kleine Dosis Laudanum verabreichen und damit von vornherein jedes Risiko ausschalten sollte. In beiden Fällen mußte man mit Unannehmlichkeiten rechnen. Denn wurde die Stute im Rennen zurückgehalten, fiel der Verdacht auf den Jockey. Hatten dagegen die Schiedsrichter den Argwohn, daß das Tier »verarztet« worden war, würden sie eine Untersuchung verlangen, deren Resultat unweigerlich dazu führen mußte, den Trainer für immer vom Rennplatz zu verweisen.

 

Schließlich siegte der Trainer. Ectis sollte vor dem Ziel aufgefangen werden. Der Buchmacher, der für beide Teile die Wetten legte, machte, wie verabredet, das Pferd schlecht. Vom Favoriten wurde es zweiter Favorit, vom zweiten Favoriten dritter und stieg dann hinab zur Klasse der 100:6.

 

»Mir unbegreiflich«, sagte der Trainer einen Tag vor dem Rennen zu dem Besitzer. »Das Pferd war niemals besser, Mr. Braid.«

 

Mr. Braid sog nachdenklich an einer langen Zigarre, seine dunklen Augen fixierten den verwitterten, kleinen Trainer. Er war auf der Rennbahn zwar ein Neuling, wenigstens in England, aber angesehen, sehr reich und durchaus seriös. Rennfreunde besaß er nicht. Angesehene Leute vom Rennplatz betrachteten neugierig die schlanke Gestalt mit dem dunklen, ergrauenden Haar und dem langen, blassen Gesicht und drückten nicht aus Mitleid ein leichtes Bedauern darüber aus, daß eine so gewinnwinkende Chance in die Hände des Trainers Lingford und seines gewissenlosen Partners, des Jockeys Joe Brille, gefallen war.

 

Anthony Braid hatte ein reizendes kleines Haus in Ascot, wo er während der Rennwoche wohnte, und war mit seiner Einsamkeit zufrieden. Man sah ihn auf dem Sattelplatz umherstehen, eine lange Zigarre zwischen den Zähnen, und ins Leere starren. Er wettete selten, und dann nur sehr bescheiden, und ließ sich nie über die Mutmaßungen seines Trainers in Debatten ein, noch stellte er Fragen an seinen Jockey. Anscheinend langweilte ihn alles.

 

»Möglich«, murrte er, als der Trainer eine Pause machte, »möglich, daß die Buchmacher einen anderen Favoriten haben.«

 

»Stimmt, Sir, sie halten ›Denford Boy‹ für unbesiegbar.«

 

Mr. Lingford bedauerte im stillen, daß er »Ectis« nicht zum Sieg reiten lassen durfte. Er hätte ein Vermögen damit verdienen können. Doch er schuldete dem Buchmacher, der das Pferd stillegte, eine Menge Geld und wagte keinesfalls, seinem Gläubiger entgegenzuhandeln.

 

Eine Stunde, ehe der Königliche Jagdpokal gelaufen wurde, nahm Anthony Braid seinen Trainer beiseite. »Mein Pferd hat sich im Preis etwas erholt«, sagte er. Lingford war diese Tatsache nicht entgangen. »Ja, Sir – jemand hat im ganzen Land hohe Wetten auf die Stute abgeschlossen.«

 

Ihm war ein bißchen unbehaglich zumute; denn am Morgen hatte sein Buchmacher ihm vorgeworfen, daß er nach zwei Seiten arbeite.

 

»Ja«, sagte Tony Braid mit seiner tiefen, wohllautenden Stimme. »Ich habe im ganzen Land Wetten abgeschlossen. Ich beabsichtige, heute dreißigtausend Pfund zu gewinnen.«

 

»Wirklich, Sir?« Der Trainer atmete erleichtert auf. Er hatte vermutet, die Wetten stammten von einem Bundesgenossen Brilles und befürchtete schon, daß der Jockey ihn betrüge. »Nun, Sie werden ein schönes Rennen für Ihr Geld haben. Brille sagt –«

 

»Was Brille sagt, interessiert mich nicht«, erwiderte der Besitzer sehr sanft, »er reitet die Stute nicht. – Ich habe mir einen Jockey aus Frankreich kommen lassen. Und, Mr. Lingford, ich habe auch meinen Trainer gewechselt. Vor einer halben Stunde habe ich höchst eigenhändig das Pferd Mr. Sanford übergeben. Und wenn Sie dem Tier noch einmal nahe kommen, melde ich Sie der Rennleitung. Darf ich Ihnen einen Rat geben?« Dem verdutzten Trainer blieb die Antwort in der Kehle stecken.

 

»Zwei Tips«, fuhr Anthony Braid fort, »erstens: gehen Sie in den Ring und setzen Sie so viel auf Ectis, daß Sie den Rest Ihres Lebens davon zehren können. Denn ich glaube nicht, daß Sie je wieder ein Pferd trainieren werden. Zweitens: versuchen Sie nie wieder, einen Mann zu beschwindeln, der sich an der Börse in Johannesburg die Sporen verdient hat. Guten Morgen!«

 

Ectis gewann mit drei Längen, und Mr. Anthony Braid hatte einen neuen Spitznamen. Er, der bisher »die gute Gelegenheit« und »die Chance«, geheißen hatte, wurde jetzt bekannt als »der gerissene Kerl«. Der Name blieb ihm. Er wurde ihm eines Tages in seinem Büro entgegengeschleudert, als er Aaron Trosky, von der Trosky-AG., mit weit über fünfzigtausend Pfund hineinlegte. Allerdings hatte Mr. Trosky in der Unschuld seines Herzens zuvor versucht, Anthony Braid mit einer größeren Summe in einem Minengeschäft hineinzulegen. Aber daran dachte er jetzt nicht.

 

»Sie sind ein gerissener Kerl«, jammerte der bebende Aaron, »so nennt man Sie, und das stimmt auch!«

 

»Machen Sie die Tür von draußen zu«, forderte Anthony ihn höflich auf.

 

Unbelehrt durch Troskys Erfahrung, brachte ein gewisser Felix Fenervy dem »gerissenen Kerl« ein Platinprojekt. – Er hätte es lassen sollen. Anthony prüfte die Pläne, überflog den verschleierten Bericht des Experten – kein Laufbursche hätte sich davon täuschen lassen – und lud Mr. Fenervy zum Frühstück ein. Auch Anthony hatte ein Platinprojekt – einen Landstreifen in Nord-Rhodesien. Warum sollte man nicht, schlug der sanfte Tony vor, die beiden Besitzungen unter der Firma »Vereinigter Platintrust« zusammenwerfen und gemeinsam den Nutzen aus den beiden Ländereien ziehen? Fenervy war begeistert. Am nächsten Tag zahlte er seinem »Opfer« dreiundzwanzigtausend Pfund Einlage und hatte noch immer den Eindruck, daß er ein glänzendes und gewinnbringendes Geschäft mache.

 

So war Anthony Braid, dessen Vermögen keiner außer seinem Bankier kannte, bis zu jenem Morgen, an dem er einen Mann besuchte, der ihm die Tür wies; ein Mann zwar, der ihn gern hatte, aber in seiner Gegenwart seine Nerven verlor. Ob Tony Braid Lord Frensham mochte oder nicht, ist Nebensache. Seine Zuneigung galt so ausschließlich einem anderen Mitglied der Familie, daß Lord Frensham Argwohn und Mr. Julian Reefs Haß ihn gar nicht berührten.

 

»Mr. Anthony Braid, Mylord«, meldete der Diener. Lord Frensham rückte seinen tiefen Schreibtischsessel zurück, fuhr mit der Hand ungeduldig durch sein dichtes graues Haar und zog ärgerlich die Stirn in Falten.

 

»Hm«, knurrte er, blickte den Diener an und befahl dann mit einer ungeduldigen Geste: »Lassen Sie ihn eintreten, Charles!«

 

Ein breitschultriger, ohne Sorgfalt gekleideter, unrasierter Mann mit scharfen Zügen, großen Händen, rauher Stimme, kurz angebunden: das war der achte Earl von Frensham. Ein ehrlicher, aber dickköpfiger Mann, der in der City ein für immer verlorenes Familienvermögen wiederzugewinnen suchte, aber dessen schlichte, liebenswerte Eigenschaften sich in einem dauernden Kampf mit seiner rücksichtslosen Umwelt zermürbten.

 

Als Charles hinausgegangen war, öffnete er eine Schublade des Schreibtisches und entnahm ihr eine Mappe voller Dokumente, öffnete sie und betrachtete Bogen auf Bogen. Doch seine Gedanken waren nicht bei den Geschäften des Lulanga-Öl-Syndikats. Er überlegte die endgültige und vernichtende Antwort auf den Vorschlag, der ihm in wenigen Augenblicken gemacht werden würde. »Mr. Anthony Braid, Mylord.«

 

Der Mann, der dem Diener in die Bibliothek folgte, war der Typ des vollendeten Gentleman. Vom weißen Kragen bis zu den Spitzen der glänzenden Schuhe war er das Meisterwerk eines hervorragenden Schneiders und umsichtigen Kammerdieners. Sein schmaler Wuchs ließ ihn sehr groß erscheinen. Sein schwarzes Jackett saß tadellos. An der grauen Weste schimmerten Onyxknöpfe. Als einzigen Schmuck trug er eine Perle in der modernen Krawatte und eine dünne Platinuhrkette. Die weißen Hände, in denen er Handschuhe und den spiegelnden Zylinder hielt, schmückten keine Ringe. Mr. Anthony Braid war vierzig Jahre alt und hielt sich kerzengerade. Sein Haar war fast schwarz und betonte die Blässe seines langen, angenehmen Gesichts. Die Augen waren dunkel und unerforschlich. Er blieb stehen, hielt den Blick fest auf den Herrn des Hauses gerichtet, und beide schwiegen, bis sie allein waren.

 

»Nun«, rief Frensham ungeduldig, »setzen Sie sich, setzen Sie sich doch, Braid, oder haben Sie Angst, sich zu setzen?«

 

Braid legte Hut, Handschuhe und Stock mit bedächtiger Sorgfalt auf einen kleinen Tisch, zog die Hose an den Knien empor und setzte sich.

 

»Ein herrlicher Morgen«, begann er mit seiner tiefen, weichen Stimme und einem entwaffnenden Lächeln. »Wie geht es Ihnen, Frensham – und Lady Ursula?«

 

Lord Frensham war nicht in der Stimmung, sich über das Wetter oder seine Tochter zu unterhalten.

 

»Ich habe Ihren Brief erhalten«, erwiderte er grob, »und offen gesagt, halte ich ihn für eine – eine –«

 

»Unverschämtheit«, fiel Braid mit geheimnisvollem Lächeln in den Augen helfend ein.

 

»Sehr richtig«, stimmte. Frensham heftig zu, »wenn nicht Schlimmeres. Was Sie mir da mitteilen, ist im Grunde nichts anderes, als daß Julian Reef, der nicht nur mein Neffe, sondern auch mein Mitdirektor ist, den Kurs der Lulanga-Öl-Aktien hinuntertreibt, d. h., daß er sich bemüht, mich zu ruinieren. Ich muß Ihnen schon sagen, Braid, ich war nicht wenig erstaunt, daß Sie eine so unerhörte Anschuldigung schriftlich niederlegen. Natürlich werde ich Reef Ihren Brief nicht zeigen, sonst –«

 

Braids dunkle Augen flammten auf. »Warum wollen Sie ihm den Brief nicht zeigen?« fragte er sanft. »Ich habe nicht die geringste Angst vor einer Verleumdungsklage. Ich besitze etwa sechshunderttausend Pfund – vielleicht etwas mehr. Kein Gericht hat jemals solchen Schadenersatz zugesprochen. Ich werde immer noch genug zum Leben übrigbehalten.«

 

Frensham blickte finster zu ihm auf. »Das mag sein«, sagte er, »aber ich lege keinen Wert darauf, diese Dinge an die große Glocke zu hängen. Ich will ganz offen mit Ihnen reden, Braid. Jemand treibt den Kurs dieser Aktien hinunter. Die Kurse fallen täglich – und dieser Jemand sind Sie! Lassen Sie mich, bitte, ausreden! Sie haben einen gewissen Ruf – einen Spitznamen –«

 

»Der gerissene Kerl«, lachte Braid, »ich bin stolz darauf. Gauner nennen mich so, weil es ihnen nicht gelingt, mich reinzulegen. Und mein lieber Freund Reef hat sich, weiß Gott, Mühe genug gegeben, mich hineinzulegen!«

 

»Sie sind Rennstallbesitzer mit einem eigenartigen Ruf –«

 

Wieder unterbrach ihn der Mann mit den dunklen Augen.

 

»Sagen Sie doch ›üblen‹, wenn es Ihnen Spaß macht. Es ist zwar nicht ganz wahr, aber es macht die Dinge für Sie leichter, mein lieber Frensham. Also sagen Sie ruhig ›mit einem üblen Ruf‹ oder darf ich Ihnen zur Abwechslung ›einen gefährlichen Ruf‹ vorschlagen?«

 

Lord Frensham machte eine nervöse Bewegung.

 

»Vielleicht sind Sie besser als Ihr Ruf, aber Sie haben ihn nun einmal. Sie sind für weit mehr Leute ›der gerissene Kerl‹ als Mr. Tony Braid. Und darum können Sie von mir wirklich nicht erwarten, daß ich Ihnen glaube, mein bester Freund arbeite an meinem Ruin und betrüge mich und die Gesellschaft.«

 

»Der gerissene Kerl« lächelte, entnahm seiner Tasche ein goldenes Zigarettenetui, bat mit einem Blick um Erlaubnis, zündete sich umständlich die Zigarette an und legte das Streichholz sorgsam in eine Aschenschale.

 

»Leuchtet es Ihnen nicht ein, daß es ziemlich naiv wäre, Ihren Freund zu beschuldigen, wenn ich selbst den Kurs Ihrer Aktien hinuntergetrieben hätte? Der gerissene Kerl würde eine so törichte Anklage gegen einen Mann Ihres Vertrauens erheben? Trauen Sie mir doch wenigstens ein bißchen Intelligenz zu und –«

 

Plötzlich öffnete sich die Tür. Eine Dame und ein Herr traten ein. Beim Anblick des Mädchens erhob sich der elegante Mr. Braid. Die blonde, kraftvolle Schönheit Ursula Frenshams raubte ihm den Atem, sooft er sie sah. Sie kam auf ihn zu und streckte ihm, Überraschung und jähe Freude in den Augen, die Hand entgegen.

 

»Tony, Sie sind ein schlechter Mensch!« rief sie. »Sie haben sich seit Monaten nicht bei uns sehen lassen.«

 

Ihres Vaters Mißbilligung konnte sie nicht bemerken, aber sie hätte vielleicht ahnen können, daß der lächelnde junge Mann, der ihr folgte, nicht mehr lächelte.

 

»Ich bin nicht gekommen, weil man mich nicht eingeladen hat«, erklärte Tony Braid mit dem kleinen, drolligen Lachen, das ihm eigen war. »Keiner liebt mich, Ursula, ich bin verfemt auf der weiten Erde.«

 

»Reden Sie nicht so närrisches Zeug«, wies ihn Frensham zurecht.

 

Mr. Reef schüttelte das starre Erstaunen über den unerwarteten Anblick des verhaßten Mannes ab und lächelte wieder. Er lächelte immer, dieser Mann mit dem roten Gesicht, dem dichten, rötlichbraunen Haar und den herrlichen weißen Zähnen. Er sah merkwürdig jung aus, trotz seiner dreißig Jahre, und hatte eine jungenhafte Art, mit verletzender Offenheit Wahrheiten von sich zu geben. Freilich waren es Wahrheiten, die wie Peitschenhiebe saßen, und auch sein freies und fröhliches Lächeln dabei war nur ein gelinder Trost.

 

»Quatsch, Braid«, sagte er, »Sie tun sich wohl schrecklich leid! Wenn ihr Burschen in den Fünfzigern euer Haar auch noch so verdächtig dunkel und eure Taillen Gott weiß wie schlank bewahrt, die Grämlichkeit platzt euch doch aus allen Nähten. Ich habe Sie zu Gesellschaften eingeladen, alter Junge, aber Sie saßen da wie ein Ölgötze!«

 

Braid blieb ganz ruhig.

 

»Ihre Gesellschaften haben mich gelangweilt«, sagte er obenhin, »und wenn ich mich langweile, werde ich nun mal grämlich. Ich habe Ihre Gesellschaften endgültig an meinem neununddreißigsten Geburtstag aufgegeben. Der war voriges Jahr. Und, offen gesagt, Ihre Freundinnen gefallen mir nicht. Da ziehe ich Ballettmädels vor. Die tun wenigstens nicht, als ob sie was Besseres wären.«

 

Julian Reef lachte zwar, aber nicht besonders herzlich.

 

»Faucht euch nicht an«, schalt Ursula vorwurfsvoll.

 

»Väterchen, lade Tony doch zum Lunch ein, und Tony, benehmen Sie sich anständig!«

 

Lord Frensham fühlte sich offenbar sehr unbehaglich.

 

»Ich kann Braid nicht zum Lunch einladen, weil ich in meinem Klub esse«, wich er aus. »Und jetzt, meine liebe Ursula –«

 

Er hielt inne.

 

»Ach so, ihr habt Geschäfte! Nur noch eins: Väterchen, du bist wieder nicht rasiert!« Sie nickte Tony zu und ging aus dem Zimmer.

 

Mr. Julian Reef blickte von einem zum andern.

 

»Ich störe wohl?« fragte er ahnungsvoll.

 

Tony Braid antwortete: »Nein. Es betrifft Sie. Zeigen Sie ihm den Brief, Frensham, den ich Ihnen geschrieben habe.«

 

»Ich denke nicht daran«, wehrte Frensham ab. »Ich habe Ihnen schon gesagt –«

 

»Daß Sie keinen Skandal wünschen«, ergänzte Tony Braid ruhig. »Und ich versichere Ihnen: es wird keinen Skandal geben.«

 

Er ging langsam zum Schreibtisch und tippte mit dem Zeigefinger auf die blankpolierte Platte, jedes Wort unterstreichend.

 

»Bis vor sechs Monaten waren Sie und ich die besten Freunde. Ich bilde mir ein, ich habe Ihnen in manchem geholfen, auch verstehe ich von Börsengeschäften mehr als Sie. Ich sage das weder, um mich wichtig zu machen, noch als Vorwurf. Sie haben mit Ihr Haus geöffnet und mir gestattet, mich Ursula zu nähern. Und dann schicken Sie mir plötzlich einen Brief, verbitten sich meine Besuche und verbieten mir, Ihrer Tochter Aufmerksamkeiten zu erweisen. Heute morgen haben Sie plötzlich entdeckt, daß City-Gauner und Rennbahnabenteurer mich einen ›gerissenen Kerl‹ nennen – eine Tatsache, die Sie seit Jahren kennen! Sie werfen mir vor, daß ich den Kurs Ihrer Aktien hinuntertreibe, indem ich Lulangas hinter Ihrem Rücken verkaufe. Ich begegnete dieser Beschuldigung mit dem kategorischen Hinweis, daß der Mann, der Lulanga-Öl-Aktien verkauft und Sie an den Rand des Verderbens gebracht hat, Ihr Neffe, Mr. Julian Reef, ist, der aus irgendeinem Grund – offenbar einem höchst egoistischen – seit drei Wochen laufend Lulangas verkauft.«

 

Julian Reefs Gesicht war plötzlich wutentstellt. Er packte Braid an der Schulter und schwenkte ihn zu sich herum.

 

»Sie sind ein verfluchter Lügner!« schnaubte er.

 

Im nächsten Augenblick lag er auf der Erde. Im Sturz hatte er einen Stuhl mitgerissen.

 

»Halt, Braid!« Frensham war aufgesprungen und zwischen die beiden Männer getreten.

 

Braid nahm seinen Hut und strich sorgsam glättend über dessen Rand. Ein kleines Lächeln spielte in den Winkeln seines Mundes.

 

»Ich muß mich bei Ihnen entschuldigen, Frensham«, sagte er. »Aber noch kein Mann hat mich ungestraft ins Gesicht einen Lügner genannt. Übrigens verwaltet Mr. Reef, soviel ich weiß, gewisse Gelder Ihrer Tochter Ursula. Ich erlaube mir, Ihnen zu raten, durch einen Ihrer Buchhalter dieses Vermögen nachprüfen zu lassen. Selbst gelbe Diamanten kosten allerhand Geld.«

 

Ohne übertriebene Eile griff er nach Handschuhen und Stock. Reef war inzwischen wieder auf die Füße gekommen, hielt sich den getroffenen Unterkiefer, blickte Braid mit tödlichem Haß an, wagte aber nicht, ihn aufzuhalten.

 

Kapitel 10

 

10

 

Tony Braid hatte sein Frühstück beendet, steckte sich eine lange schwarze Zigarettenspitze in den Mund und sah seine Post durch. Er fühlte, daß jemand das Zimmer betreten hatte, blickte sich aber erst um, als er ein unterdrücktes Lachen und seinen Namen hörte. Mit einem Ruck hob er den Kopf.

 

»Großer Gott, wie kommen Sie hierher?«

 

»Ich bin von Somerset hergefahren«, sagte Ursula. »Es ist dort zum Sterben langweilig, Tony. Ich bin bei Verwandten meines geliebten Vaters. Furchtbar kleinliche Menschen, die entsetzt sind, daß ich nicht dauernd weine und lamentiere. Sie selbst trauern schrecklich; aber ich glaube, das ist der Normalzustand bei ihnen.« Sie sah sehr hübsch aus, sehr groß und schlank, und für ihn betrübend jung. Ihr sonst blasses Gesicht war rosa überhaucht von der raschen Fahrt in der Morgenluft.

 

»Haben Sie Ihre Zelte abgebrochen?«

 

Sie seufzte und schüttelte den Kopf.

 

»Vorläufig muß ich noch dort bleiben. Nur durch die raffiniertesten Lügen habe ich mich überhaupt fortgeschmuggelt. Der Butler ist die einzig fühlende Seele. Wie steht’s mit seinem Tip?«

 

»Er gewinnt bestimmt«, versicherte Braid. Dann fragte er: »Haben Sie schon gefrühstückt?«

 

Sie hatte in Oxford Kaffee getrunken. Er klingelte und bestellte ihr ein zweites Frühstück.

 

»Alle Zeitungen sind voll von Ihrem Barley Tor. Warum lassen Sie zwei Pferde laufen?« wollte sie wissen.

 

»Weil ich ein gerissener Kerl bin«, erklärte Tony. »Mr. Rex Guelder wäre auch sehr enttäuscht, wenn ich es nicht täte.«

 

Ihre Miene verfinsterte sich.

 

»Ich hasse den Menschen. Er hat etwas Widerliches an sich.«

 

»Kennen Sie ihn denn näher?« fragte er gespannt und dachte an ihre frühere Erwähnung des Holländers.

 

»Er kam zwei- bis dreimal zu uns ins Haus. Nie habe ich ein solches Gefühl des Unbehagens empfunden wie in seiner Nähe. Nein, frech war er durchaus nicht, im Gegenteil, eher schleimig liebenswürdig. Einmal küßte er mir die Hand. Ich wehrte es ihm nicht, weil ich es für eine kontinentale Sitte hielt. Er hat etwas an sich, was vielleicht nur eine Frau empfindet. Man fühlt die Gemeinheit seines Wesens. Es überkommt einen fast körperlich. Julian behauptet, er sei sehr klug.«

 

»Haben Sie etwas von Julian gehört?«

 

Sie schüttelte heftig den Kopf. »Ich möchte auch nichts von Julian hören«, rief sie erbittert. »Wir sind nicht im besten Einvernehmen geschieden. Vielleicht habe ich nicht recht gehandelt, Tony, ich sagte ihm, wir beide wären übereingekommen, die Sache mit meinen Aktien nicht allzu genau nachzuprüfen. Der arme Vater! Man hat mir gesagt, daß seine geliebten Lulanga-Aktien zu einem lächerlichen Preis verkauft würden – für fünf Schilling oder so.«

 

Braid berichtete:

 

»Zu diesem Kurs werden sie nicht verkauft, sondern angeboten. Es sollte mich sehr wundern, wenn überhaupt Geld dafür zu kriegen wäre. Das Merkwürdige daran ist, daß die letzten Berichte, die ich gelesen habe, außerordentlich günstig lauteten. Kein Mensch in der City weiß, was eigentlich los ist. Ein Gerücht geht um, die Quellen wären versiegt. Das ist aber ganz unbestätigt. Und nach dem wenigen, was ich von Öl verstehe, hätten wir sicher sehr genaue Nachricht, wenn das wahr wäre.«

 

»Wir?« fragte sie verwundert. »Sind Sie denn auch an diesen unseligen Aktien beteiligt?«

 

Er nickte langsam.

 

»Ja – nicht persönlich. Aber Sie vergessen, daß ich Testamentsvollstrecker und Nachlaßverwalter Ihres Vaters bin. Er besaß ein enormes Paket dieser Aktien und Sie wahrscheinlich auch.«

 

Nach langem Schweigen fragte Sie: »Können Sie es verstehen, Tony? Je länger ich darüber nachdenke, desto unbegreiflicher erscheint mir alles. Warum sollte Vater Selbstmord begangen haben, nachdem Sie ihm Ihre Hilfe zugesagt haben?«

 

»Ich glaube, er hat meinen Brief nicht gelesen«, erklärte Tony und mied den Blick. »Das Kuvert und der Scheck lagen zerrissen im Papierkorb. Eine ganz unerklärliche Sache – vorläufig noch.«

 

Er wechselte brüsk das Thema und fragte nach ihren Plänen für die nächste Zukunft. Sie war eigentlich von Somerset aufgebrochen, um nicht wieder zurückzukommen. Unterwegs aber hatte sie ihre Absicht geändert und sich entschlossen, doch zurückzufahren und sich durch ein Telegramm abrufen zu lassen – wenn Braid die Verschwörerrolle übernehmen wollte.

 

»Ich glaube, ich könnte in unserem Haus in Hampstead wohnen«, sagte sie. »Viele Mädchen in meinem Alter wohnen allein. Schlimmstenfalls habe ich eine entfernte Tante, die irgendwo in Cumberland wohnt. Die kann ich zu mir bitten.«

 

Sie sah auf die Uhr. »Sie müssen jetzt natürlich zum Rennen? Ich werde bleiben, und wenn Sie fort sind, in Ihrem herrlichen Badezimmer ein Bad nehmen, Sie Genießer! Und dann werde ich mich langsam zu den romantischen Alleen von Somerset und der schrecklichen Langeweile bei den Pollys zurückschlängeln.«

 

Trotz ihrer äußeren Fröhlichkeit erschien sie ihm wie eine verlorene, bemitleidenswerte Gestalt, als sie unter dem Vorbau des Hauses stand und ihm nachwinkte. Er kannte nicht das Geheimnis ihrer Erbschaft und wußte nicht, wann sie ausgezahlt werden würde. Er wußte nur, daß sie außer einem winzigen Einkommen aus einem kleinen Gut im Norden so gut wie nichts besaß. Er wußte auch, daß sie keine Hilfe annehmen würde, wenn er nicht … Er seufzte schwer. Dann wurde er auf sich zornig. Alberne Gefühlsduselei! Er war vierzig, hatte das halbe Leben hinter sich. Sie war fast zwanzig Jahre jünger. Eins war ihm klar: er durfte sie niemals bitten, ihm ihre Jugend zu opfern und seine Frau zu werden. Das wäre nicht fair. Ihm blieb nichts übrig, als für ihre Zukunft zu sorgen und hinter einem fröhlichen Gesicht den bitteren Schmerz zu verbergen, einem anderen zu überlassen, worum er nicht zu kämpfen gewagt hatte … Aber der Glückliche durfte nicht Julian Reef sein! Bei diesem Gedanken verzerrte sich Braids Gesicht.

 

Fast der erste, dem er begegnete, als er nach Singleton Hill hinausfuhr und zu der herrlichen Rennbahn kam, war Elk. Er stand in der Nähe des Sattelplatzes, den Zigarrenstummel im Mund und einen Ausdruck tiefster Melancholie auf seinem unglücklichen Gesicht. Er sah zu, wie Tony aus dem Wagen stieg, ohne das geringste Zeichen des Erkennens zu geben, so daß Braid, in der Meinung, er wolle nicht angesprochen werden, an ihm vorübergehen wollte.

 

»He, Mr. Braid, wie stehen die Chancen? Ich habe vierzehn Pfund auf Ihren sicheren Sieger gesetzt. Es war sehr nett von Ihnen, mir den Tip zu schicken, aber wenn irgend etwas Ihren Gaul kaputt machen kann, bin ich’s. Ich habe noch nie auf einen Sieger gesetzt. Im Moment, in dem er mein Geld fühlt, dreht sich das Vieh um und läuft falsch. Sicher hat er schon von meiner Wette gehört.«

 

Er zeigte mit dem Blick nach den Ställen.

 

»Einige liebe Freunde von Ihnen da drinnen – trauernder Neffe mit Kompagnon. Ich habe zwar keinen von ihnen weinen sehen, aber etwas anderes habe ich dafür gesehen. Ihren famosen Brief.«

 

»Was?« rief Tony eifrig, »haben sie ihn abgedruckt?« Er hatte diesen Brief ganz vergessen, den er nach Fleet Street geschickt hatte.

 

»Ob sie ihn gedruckt haben? Auf der anderen Seite!«

 

Elk zog eine Zeitung aus der Tasche, entfaltete sie und zeigte auf einen Artikel, der also begann:

 

Wir haben folgende Zeilen von Mr. Anthony Braid, dem Besitzer zweier Bewerber um den heutigen Steward-Pokal, erhalten:

 

An den Redakteur der »Sporting Times«!

 

Sehr geehrter Herr!

 

Ich nehme zur Kenntnis, daß die Öffentlichkeit meinen Hengst Barley Tor zum Favoriten gewählt hat. Es erscheint mir dem Sportpublikum gegenüber nur billig, wenn ich hiermit die Nachricht veröffentliche, daß ich zwei Pferde laufen lassen werde und daß meine Stute Lydia Marton im Gewicht etwas besser ist. Ich lasse dahingestellt, welches Pferd gewinnen wird, auch ob Barley Tor in dem Rennen besser abschneiden wird als im Training. Jedenfalls halte ich es für meine Pflicht, der Öffentlichkeit diese Tatsachen nicht vorzuenthalten.

 

Dann folgte eine redaktionelle Notiz:

 

Mr. Anthony Braid ist ein ausgezeichneter Kenner des Turfs, und seine Ansichten, zumal über seine eigenen Pferde, verdienen besondere Beachtung. Indessen kann nach allem, was man von den beiden Pferden weiß, kein Zweifel darüber herrschen, daß Barley Tor die besseren Aussichten hat.

 

»Wie werden die Leute setzen?« fragte Tony, während er die Zeitung zurückreichte.

 

Elk zündete sich den Zigarrenstummel wieder an, ehe er antwortete. »Das Vertrauen der Öffentlichkeit in Sie, Mr. Braid, ist so groß, daß Barley Tor, als Sie ihn kaum madig gemacht hatten, auch schon heißester Favorit wurde. Er steht 5:2.«

 

Während Tony zu den Stallungen schritt, hörte er einen Mann sagen: »Da ist er, der gerissene Kerl.«

 

Ein anderer wäre vor Wut hochgegangen. Braid amüsierte sich darüber. Er wußte ja, wer diesen üblen Ruf verbreitete.

 

Erst als er aus den Stallungen zurückkam, begegnete er Julian, der ihn mit einem schwachen Lächeln begrüßte und liebenswürdig auf ihn zukam. Er war in freundlicher Stimmung.

 

»Ich komme nicht oft zum Rennen, Braid, aber ich wollte mir mal einen freien Tag gönnen. Ich habe auf Ihr Pferd gesetzt.«

 

»Ich bin entzückt«, entgegnete Tony ohne Begeisterung. »Und welcher meiner beiden Vertreter hat die Ehre, für Sie ein paar Pfund gewinnen zu dürfen?«

 

Julian lächelte geheimnisvoll. Ihm schien der Augenblick sehr komisch.

 

»Sie haben natürlich auf Ihre beiden Pferde gesetzt?« scherzte er.

 

»Nein«, sagte Tony schlicht, »nur auf eins. Ich habe tausend Pfund auf Lydia Marton, und zwar auf Sieg, gesetzt, und ich glaube, ich werde um zwölf- bis vierzehntausend Pfund reicher heimkehren, als ich herkam.«

 

Julian lachte. In diesem Augenblick trat ein gemeinsamer Bekannter auf sie zu, grüßte Julian flüchtig mit einem Nicken und wandte sich dem Besitzer von Barley Tor zu.

 

»Ich höre, Ihr Pferd wurde bei einer Probe geschlagen, ich meine Barley Tor. Man sagt, Lydia Marton schlug ihn. Wem halten Sie die Stange?«

 

»Lydia Marton«, erwiderte Tony und blickte beiseite.

 

Der Frager grunzte ungläubig.

 

»Er scheint Ihnen nicht zu glauben, Braid.«

 

Tony merkte, daß der unsympathischste Mann dieser Erde noch immer da war.

 

»Scheint so. Drollige Sache. Aber es ist das Schicksal der Wahrheit, daß sie am schwersten Glauben findet.«

 

Guelder wartete am Eingang zum Sattelplatz in ziemlicher Ungeduld auf den Freund. Als sie dann zu ihren Sitzen schlenderten, fragte der Holländer:

 

»Was hat er gesagt?«

 

»Das alte Märchen«, erwiderte ihm Julian. »Dieser Kerl ist wirklich zu dumm!«

 

Guelder rieb sich nachdenklich die Backe. »Für dumm wollen wir diesen Mann lieber nicht verkaufen«, erwiderte er, »aber ich habe das Proberennen ja mit meinen eigenen Augen gesehen.« Seine Züge erhellten sich. »Und auf Pferde verstehe ich mich.«

 

Sie stiegen zur Tribüne hinauf und sahen das Feld zum Start hinabreiten. Guelder zeigte auf zwei Pferde, die man kaum verwechseln konnte. Lydia Marton trug die ersten Farben, gewöhnlich das einzige Zeichen, durch das der Rennstallbesitzer der Öffentlichkeit seine persönlichen Hoffnungen verrät.

 

»Ich werde dir sagen, wie das Rennen sich abspielen wird«, flüsterte Guelder vertraulich Reef zu. »Erst werden wir sehen, wie Lydia einen Scheinversuch macht, die Spitze zu halten. Dann wird Barley Tor wie der Blitz vorgehen, und damit wird das Rennen zu Ende sein.«

 

Julian überflog zerstreut die Menge, die die Tribünen füllte, und sah plötzlich auf dem Platz der Mitglieder des Rennvereins sein schwarzes Schaf.

 

»Weiß der Henker, wie dieser Kerl in einen so vornehmen Klub wie Goodwood hineinkommt!« knurrte er gereizt. »Jedenfalls wird sein Name nach diesem Rennen bei einem großen Teil des Publikums Dreck sein. Ich habe jedem Bekannten in der City geraten, auf Barley Tor zu setzen.«

 

Von den Tribünen, von den Stehplätzen stieg ein wilder Schrei zum Himmel auf. Gläser starrten auf die Bahn. Ehe der unerfahrene Julian Reef die Farben noch erkannte, waren die Pferde schon halbwegs am Ziel. Braids Stallgefährten liefen Seite an Seite, weit vor dem Feld. Dann sah er die kastanienbraune Stute losziehen, offenbar ohne jede Anstrengung. Zwei Längen vor dem Hengst ging sie durchs Ziel.