Kapitel 20

 

20

 

Eine halbe Stunde später fuhren sie in tiefem Schweigen an den leerstehenden Villen vorüber, wo Genters Leichnam gefunden worden war. Dick erinnerte sich dessen mit einem kleinen Schauder, daß der Tod Genter ausgerechnet in der Nähe von Horsham ereilt hatte.

 

Und Hagn sollte dafür sterben! Dick war dazu entschlossen. Denn ob er nun ein Frosch war oder nicht, er war an diesem Mord beteiligt gewesen.

 

Als ob Elk Dicks Gedanken lesen konnte, wendete er sich zu ihm und sagte: »Glauben Sie, daß Ihr Beweisverfahren stark genug sein wird, um ihn hängen zu können?«

 

»Unglücklicherweise gibt es keine Indizienbeweise gegen ihn, außer dem Auto, das Sie unter Schloß und Riegel halten, und der Tatsache, daß der Garagenbesitzer Hagn identifizieren kann.«

 

»Mit dem Bart?« kopfschüttelte Elk. »Ich glaube, solange der alte Balder ihn nicht zu einem Geständnis bringt, wird es

 

schwerhalten, die Geschworenen von seiner Schuld zu überzeugen. Was mich betrifft«, fügte er hinzu, »würde ich, wenn ich je dazu verdammt sein sollte, eine ganze Nacht allein mit Balder zu verbringen, die Wahrheit sagen, nur um ihn loszuwerden. Er ist ein pfiffiger Bursche, dieser Balder. Die Leute da oben erkennen ihn nicht genügend an.«

 

Elk gab dem Chauffeur Weisung, geradeaus nach Cannon Row zu fahren. Dicks Geist befaßte sich mit andern Dingen.

 

»Was hatte sie nur, um Gottes willen, mit dem alten Maitland zu tun?« fragte er.

 

Elk schüttelte den Kopf.

 

»Ich weiß es nicht«, gab er zu. »Natürlich läge es ihr nahe, ihn vielleicht überreden zu wollen, daß er ihren Bruder zurücknimmt. Aber der alte Maitland ist nicht der Abenteurer, der mitten in der Nacht aufsteht, um darüber zu unterhandeln, ob er Ray die Stellung wiedergeben soll. Wenn er ein jüngerer Mann wäre, dann schiene es eher möglich! Aber er ist schon verteufelt bejahrt. Und er ist ein böser alter Mann, der sich nicht einen Pfifferling darum schert, ob Ray an seinem Pult für soundsoviel arbeitet, oder ob er im Zuchthaus zu Dartmoor Steine klopft.«

 

Der Wagen hielt am Eingang des Polizeigebäudes, und die Herren stiegen aus. Der Schreiber stand auf, als sie in das Büro kamen, und sah sie verwundert an.

 

»Wir wollen nur Balder herausholen«, erklärte Elk.

 

»Balder?« sagte der Mann überrascht. »Ich wußte gar nicht, daß er bei uns drinnen ist!«

 

»Ich habe ihn mit Hagn eingesperrt.«

 

Dem Polizeibeamten dämmerte ein Licht. Er blinzelte den Mann an.

 

»Das ist merkwürdig! Ich hatte gar keine Ahnung, daß das Balder war!« sagte er. »Mir hat nur ein anderer Sergeant gesagt, daß man einen Landstreicher zu Hagn hereingelassen hat. Hier ist der Schließer.«

 

Dieser Beamte war ebenso erstaunt wie der Sergeant selbst.

 

»Keine Ahnung gehabt, daß es Balder ist«, sagte er. »Deshalb haben sie so lange getratscht, beinahe bis ein Uhr.«

 

»Nun, und reden sie immer noch?« fragte Elk befriedigt.

 

»Nein, Herr Inspektor, ich habe vor einer Weile hineingeguckt, jetzt schlafen sie. Sie haben mir ja die Order gegeben, sie in Ruhe zu lassen.«

 

Dick und seine Untergebenen folgten dem Schließer auf den langen Gang hinaus, der weiß gekachelt war, und auf den viele schmale, schwarze Türen führten. Sie gingen bis zu der Tür am äußeren Ende. Der Gefängniswärter schloß auf, und Elk trat ein. Er ging zur ersten Schlafbank und zog die Decke herab, die der Schläfer über sein Gesicht gezogen hatte.

 

Da lag Balder auf dem Rücken, um seinen Mund war ein seidener Schal gewunden. Seine Hände waren ebenso wie seine Beine nicht nur mit Handschellen, sondern auch mit Stricken befestigt. Elk stürzte zur zweiten Schlafbank, aber als er die Decke berührte, sank sie leer unter seinen Händen zusammen. Hagn war fort!

 

Als sie Balder in Elks Büro gebracht und mit Branntwein gelabt hatten, erzählte er seine Geschichte: »Es war so um zwei Uhr herum, glaube ich, als das geschehen ist. Ich hab‘ den ganzen Abend mit Hagn geredet, aber es ist mir gleich klar gewesen, daß er mich von dem Moment an als Polizisten erkannt hat, als ich hereingekommen bin. Er hat mich den ganzen Abend zum besten gehalten. Aber ich bin standhaft geblieben, Herr Inspektor! Ich hab‘ schon gedacht, daß er seinen Verdacht überwunden hat, weil er plötzlich von den Fröschen zu reden angefangen hat. Er hat mir erzählt, daß diese Nacht, das heißt letzte Nacht, eine Radiobotschaft an alle Häuptlinge kommen wird. Dann hat er mich gefragt, warum Mills umgebracht worden ist, aber ich bin überzeugt, daß der Schurke ganz genau Bescheid gewußt hat. Nach ein Uhr haben wir nicht mehr sehr viel gequasselt, und um Viertel zwei habe ich mich niedergelegt und bin sicher gleich eingeschlafen. Dann bin ich aufgewacht, und da hat man mir schon einen Knebel in den Mund gesteckt gehabt, ich hab‘ versucht mich zu wehren, aber sie haben mich gehalten.«

 

»Sie?« fragte Elk. »Wie viele waren es denn?«

 

»Es müssen sicher zwei oder drei gewesen sein, ich weiß es nicht genau«, sagte Balder. »Mit zweien wäre ich ja wohl fertig geworden, denn ich bin nicht der Schwächsten einer – ah, es müssen schon mehr gewesen sein! Außer Hagn habe ich bestimmt noch zwei gesehen.«

 

»War die Zellentür offen?« erkundigte sich Elk gespannt.

 

»Ja, sie stand weit offen«, sagte Balder, nachdem er einen Moment nachgedacht hatte.

 

»Wie haben sie ausgesehen?«

 

»Sie haben ganz lange, schwarze Überröcke angehabt, und sie haben gar keinen Versuch gemacht, die Gesichter zu verstecken. Ich würde sie sofort wiedererkennen. Es waren noch junge Leute, wenigstens der eine. Was dann noch geschehen ist, weiß ich nicht mehr. Sie haben meine Beine umschnürt und haben die Decke über mich gezogen, ich habe nichts mehr gesehen oder gehört. Ich habe die ganze Nacht verlassen dagelegen und habe an meine liebe arme Frau und meine lieben armen Kinder gedacht …«

 

Elk ließ ihn mitten in seiner Jeremiade zurück und ging hinüber, um eine sorgfältige Durchsuchung der Zelle vorzunehmen. Auf dem gleichen Korridor hatte ein Wächter in einem kleinen, mit Glaswänden umgebenen Loch, wo die Zellenindikatoren sich befanden, seinen Platz. Jede Zelle war für den Fall einer Erkrankung mit einer Glocke ausgestattet, die Signale wurden in diesem kleinen Büro an Tafeln sichtbar.

 

Darüber befragt, gab der Wärter an, daß er zweimal während seines Nachtdienstes für wenige Minuten in das Übernahmebüro gerufen worden war. Einmal, als ein wegen Trunkenheit Arretierter nach dem Doktor verlangte, und das andere Mal um halb zwei morgens, als er einen Einbrecher übernehmen sollte, der im Laufe der Nacht gefangengenommen worden war.

 

»Natürlich sind die Leute während dieser Zeit davongegangen«, sagte Elk.

 

Die Tür von Hagns Zelle war beiderseitig zu öffnen. In dieser Beziehung unterschied sie sich von den Türen aller anderen Zellen des Gefängnisses, da man ein Schloß gewählt hatte, das den Polizeioffizieren die Möglichkeit gab, den Gefangenen nach dem Verhör zu verlassen, ohne erst den Schließer herbeiläuten zu müssen. Das Schloß war nicht aufgebrochen worden, ebensowenig wie das der zum Hof führenden Tür. Elk ließ sofort die Polizeileute rufen, die bei den Ausgängen von Scotland Yard Dienst gehabt hatten. Der wachhabende Beamte am Embankment hatte niemanden bemerkt.

 

Der Mann beim Whitehall-Ausgang entsann sich, daß er um halb drei Uhr einen Polizeiinspektor hatte hinausgehen sehen. Er war vollkommen sicher, daß der Beamte ein Inspektor gewesen war, denn jener hatte einen langen Säbel getragen, und der Wachhabende hatte auch den Stern auf seiner Schulter bemerkt. Er hatte den Vorgesetzten gegrüßt, wofür dieser gedankt hatte.

 

»Das kann einer von ihnen gewesen sein«, sagte Elk, »aber was ist dann mit den beiden andern geschehen?«

 

Hier fehlte jede Spur. Die beiden Befreier waren verschwunden, als ob sie sich in Luft aufgelöst hätten.

 

»Dafür werden wir wohl eine Nase bekommen, Hauptmann Gordon«, sagte Elk. »Und wenn es dabei glimpflich abgeht, so können wir uns noch freuen. Sie sollten lieber nach Hause gehen und sich schlafen legen, Hauptmann. Ich habe heute nacht wenigstens ein bißchen geschlafen. Wenn Sie ein wenig warten wollen, bis ich meinen armen Balder zu seinem Weib und zu seinen Kindern zurückschicke, die ich schon übrigens alle mit Namen kenne, dann will ich auch mit Ihnen gehen.«

 

Dick wartete am Whitehall-Ausgang, bis Elk kam.

 

»Ja, es wird wohl eine Nachfrage vom Department geben, da kann man nichts machen«, sagte er. »Was mich besonders kränkt, ist, daß wir den armen alten Balder in ein schlechtes Licht gestellt haben, und ich wollte ihm doch gerade etwas Gutes tun. Es ist eine alte Erfahrung, daß man dem Mann den schlechtesten Dienst erweist, dem man versucht, einen guten Dienst zu leisten.«

 

Es war jetzt beinahe zehn Uhr vormittags, und Dick war schwach von Hunger und Mangel an Schlaf. Ein- oder zweimal, während sie den Weg nach Harley Terrace zurücklegten, sah Elk sich um.

 

»Erwarten Sie jemanden?« fragte Dick, dem die Möglichkeit einer Gefahr aufdämmerte. »Ich habe gerade einen Mann gesehen, der uns nachgegangen sein kann, einer in einem braunen Überrock.«

 

»Ach nein«, sagte Elk gleichgültig. »Das- ist einer von meinen Leuten. Aber haben Sie etwas dagegen, wenn wir hinübergehen?« Und ohne die Antwort abzuwarten, faßte er Gordons Arm und führte ihn über die breite Straße. »Das dachte ich mir!«

 

Ein kleiner Fordwagen, der in Riesenlettern den Namen einer Wäscherei trug und bis jetzt nur langsam hinter ihnen hergefahren war, überholte sie nun mit größter Geschwindigkeit. Elk folgte dem Auto mit den Blicken, bis es Traf algar Square an der Ecke Whitehall erreichte. Aber statt nun nach links gegen Pall Mall oder rechts nach dem Strand abzubiegen, machte der Wagen einen Halbkreis und kam ihnen entgegen. Elk drehte sich um und gab ein Zeichen.

 

Der Detektiv im braunen Mantel, der ihnen gefolgt war, sprang sogleich auf das Trittbrett des Autos. Eine heftige Unterredung zwischen ihm und dem Chauffeur entspann sich, und endlich fuhren sie zusammen weiter.

 

»Erwischt!« sagte Elk lakonisch. »Jetzt führt er ihn auf die Direktion und hält ihn dort wegen irgendeiner Anschuldigung fest. Es ist nämlich die leichteste Art, jemand zu verfolgen, wenn man ein Geschäftsauto benützt«, sagte Elk. »Ein Geschäftswagen kann nämlich machen, was er will, und niemand nimmt davon die geringste Notiz. Wäre uns eine Limousine nachgefahren, so hätte sie die Aufmerksamkeit jedes einzelnen Schutzmanns erregt. Es war nichts anderes als ein Aufpasser. Aber mir schien es plötzlich«, sagte er mit einem Schaudern, »als wäre es der Tod selber.«

 

»Nehmen wir ein Auto«, sagte Dick, und seine Vorsicht war so groß, daß er drei leere Taxis abwartete, ehe er das vierte anrief.

 

»Kommen Sie mit«, sagte Dick. »Ich möchte Sie jetzt nicht gleich allein lassen. Ich habe ein leeres Zimmer, wenn Sie schlafen wollen.«

 

Elk begleitete Gordon nach Harley Terrace. Der Diener, der ihnen die Tür öffnete, sagte: »Ein Herr ist da, der auf Sie wartet. Er ist schon seit einer halben Stunde hier.«

 

»Wie heißt er?«

 

»Johnson.«

 

Tatsächlich war es der Philosoph, der sich aus dem Sessel erhob, obgleich Herrn Johnson in diesem Augenblick jeder Beweis für das Gleichgewicht der Seele, das die hauptsächlichste Eigenschaft aller Philosophen zu sein pflegt, mangelte. Der dicke Mann war ganz außer sich. Er saß verstört und unbequem auf dem äußersten Ende seines Sessels, so wie Dick ihn damals im Herons-Klub sitzen gesehen hatte.

 

»Hoffentlich werden Sie mir verzeihen, daß ich hierhergekommen bin, Hauptmann Gordon«, sagte er. »Ich habe ja vielleicht wirklich kein Recht, meine Sorgen zu Ihnen zu tragen.«

 

»Es freut mich, daß Sie in mir Ihren Freund sehen«, sagte Dick, indem er ihm die Hand schüttelte. »Kennen Sie Herrn Elk?«

 

»Wir sind ja alte Bekannte!« sagte Johnson, und für einen Moment kehrte all seine Freundlichkeit zurück.

 

»Ich muß unbedingt frühstücken«, sagte Dick, »wollen Sie nicht mein Gast sein?«

 

»Mit Vergnügen. Ich habe heute morgen noch nichts gegessen. Die Sache steht nämlich so, Hauptmann Gordon, daß er mich hinausgeworfen hat.«

 

Dick sah ihn verblüfft an. »Was? Maitland hat Sie entlassen?« Johnson nickte. »Und zu denken, daß ich dem alten Teufel so viele Jahre für dieses winzige Gehalt gedient habe! Und nie habe ich ihm Anlaß zu irgendeiner Klage gegeben! Hunderte und Tausende Pfund sind durch meine Hände gegangen, ja, auch Millionen. Bei mir hat immer alles auf den Penny gestimmt. Natürlich, denn wenn das nicht der Fall gewesen wäre, so hätte er es ja sofort entdeckt. Er ist der größte Mathematiker, dem ich je begegnet bin. Und er kann doppelt so schnell rechnen und schreiben als sonst irgendein Mensch«, fügte er mit widerstrebender Bewunderung hinzu.

 

»Es ist eigentlich merkwürdig, daß ein Mensch von so ungeschlachtem Benehmen und so roher Sprache solche Talente hat«, sagte Dick.

 

»Für mich ist er ein Wunder gewesen, seit ich ihn kenne«, gestand Johnson. »Wenn man ihn reden hört, so könnte man glauben, er wäre ein Straßenkehrer. Und doch ist er ein sehr belesener Mann von großer Bildung.«

 

»Kann er sich vielleicht auch Jahreszahlen merken?!« fragte Elk.

 

»Natürlich kann er das!« antwortete Johnson ernst. »Er ist ein merkwürdiger Mensch, wenn er auch in mancher Beziehung ein unangenehmer alter Herr ist. Ich sage das nicht, weil er mich jetzt entlassen hat, ich war immer dieser Ansicht. Aber er hat nicht den geringsten Funken von Güte. Ich glaube, das einzig Menschliche an ihm ist seine Liebe zu dem kleinen Jungen.«

 

»Was für ein kleiner Junge?« fragte Elk höchst interessiert.

 

»Ich habe ihn selbst nie gesehen«, sagte Johnson. »Das Kind ist noch nie ins Büro gebracht worden. Ich weiß nicht, wessen Kind es ist, aber möglicherweise ist es ein Enkel von Maitland.«

 

Es folgte eine Pause.

 

»Ich verstehe jetzt!« sagte Dick leise, und er hatte wohl das Recht dies zu sagen, denn in jenem Augenblick dämmerte ihm das Verständnis für den Frosch und für das Geheimnis des Frosches auf.

 

»Warum hat er Sie entlassen?« fragte Dick.

 

Johnson zuckte die Achseln. »Einer ganz törichten Sache wegen. Heute morgen, als ich kam, war er schon zugegen, ein ganz ungewöhnlicher Vorfall, denn er kommt gewöhnlich erst eine Stunde später als wir ins Büro. – ›Johnson‹, sagte er, ›Sie kennen Fräulein Bennett?‹ Ich antwortete, daß ich dieses Vergnügen hätte. ›Und wie ich höre‹, fuhr er fort, ›sind Sie einmal oder zweimal dort zum Essen geladen gewesen‹ – ›Das ist vollkommen wahr, Herr Maitland‹, antwortete ich. ›Sehr schön, Johnson‹, sagte Maitland, ›Sie sind entlassen‹«

 

»Das war alles?« fragte Dick verblüfft.

 

»Ja, das war alles«, sagte Johnson verzweifelt. »Können Sie das begreifen?«

 

Dick antwortete nicht. Der neugierige Elk, der leidenschaftlich danach strebte, mehr über Maitland zu erfahren, stellte noch eine Frage.

 

»Herr Johnson, Sie sind doch jahrelang mit diesem Mann beisammen gewesen, haben Sie nicht irgend etwas an ihm bemerkt, was Ihnen besonders verdächtig vorgekommen ist? Hat er nicht geheime Besuche empfangen? Haben Sie nicht zum Beispiel gewußt, daß er etwas mit den Fröschen zu tun gehabt hat?«

 

»Mit den Fröschen?« Johnson riß die Augen auf, und seine Stimme verstärkte noch den Eindruck seines Unglaubens. »Gott behüte! Nein! Ich kann mir nicht einmal denken, daß er etwas über diese Leute weiß. Nein, Herr Elk, nie habe ich etwas gehört, gesehen oder gelesen, das diesen Eindruck erweckt hätte.«

 

»Sie haben doch die Berichte über die meisten seiner geschäftlichen Transaktionen gesehen, gibt es etwas, das Sie vermuten läßt, Maitland hätte – sagen wir durch den Tod des Herrn Maclean in Dundee oder durch den Überfall, der auf den Wollhändler in Durby gemacht wurde, profitiert? Zum Beispiel, wissen Sie, ob er nicht an dem Einkauf oder Verkauf von französischen Likören und Parfüms interessiert war?«

 

Johnson schüttelte den Kopf. »Nein, Herr Inspektor, er handelte einzig nur mit Realitäten. Er hat Bodenbesitz in England, in Südfrankreich und in Amerika. Er hat auch ein bißchen auf der Börse gespielt, ja, ja, wir haben sogar ein ziemlich großes Börsengeschäft gehabt, ehe die Mark fiel.«

 

»Was gedenken Sie jetzt zu tun, Herr Johnson?« fragte Dick.

 

Johnson machte eine hilflose Handbewegung. »Was kann ich denn anfangen, Herr«, sagte er. »Ich bin beinahe fünfzig Jahre alt – ich habe den größten Teil meines Lebens in einer Stellung verbracht, und es ist sehr unwahrscheinlich, daß ich noch eine zweite bekommen werde. Glücklicherweise habe ich mir nicht nur Geld erspart, sondern auch ein oder zwei gute Käufe gemacht, für die ich dem Alten dankbar sein muß. Ich glaube ja zwar nicht, daß er sich besonders gefreut hat, als er sah, daß ich seinem Beispiel gefolgt war, aber das gehört jetzt nicht zur Sache. Das verdanke ich ihm jedenfalls. Ich habe gerade genug Geld, um für den Rest meiner Tage, wenn ich keine außerordentlichen Spekulationen anfange und sehr, sehr bescheiden bin, leben zu können. Aber ich kam eigentlich hierher, um mich an Sie zu wenden und Sie zu fragen, ob Sie nicht vielleicht eine Stellung für mich wüßten? Ich würde doch gerne ein bißchen arbeiten und am allerliebsten mit Ihnen.«

 

Dick war ein wenig verlegen, denn für Herrn Johnson gab es, wohin er auch sah, keine Anstellungsmöglichkeit. Nichtsdestoweniger wollte er ihm doch nicht absagen.

 

»Lassen Sie mich die Sache ein paar Tage überdenken«, sagte er. »Wissen Sie eigentlich, wer jetzt Sekretär des Herrn Maitland ist?«

 

»Ich weiß es nicht. Das ist ja meine größte Kränkung. Ich habe einen Brief auf seinem Pult liegen sehen, der an Fräulein Bennett adressiert war. Und da ist mir der Gedanke gekommen, daß er vielleicht ihr meine Stellung anbieten will.«

 

Dick vermochte kaum seinen Ohren zu trauen. »Was veranlaßt Sie, das zu denken?«

 

»Ich weiß nicht, aber ein paarmal hat sich der Alte bei mir nach Rays Schwester erkundigt. Es war ebenso verwunderlich wie alles, was er sonst gemacht hat.«

 

Johnson tat Elk von Herzen leid. Er schien so absolut ungeeignet für den rauhen Konkurrenzkampf, und die Möglichkeiten, die einen Mann von fünfzig Jahren erwarteten, der immer in einer Stellung gewesen war, schienen praktisch genommen gleich Null. »Ich glaube nicht, daß Fräulein Bennett dieses Anerbieten annehmen wird, wenn Herr Maitland es ihr machen sollte. Bitte, geben Sie mir Ihre Adresse für den Fall, daß ich Ihnen etwas mitzuteilen habe.«

 

»Fitzroy Square Nummer 431«, sagte Johnson und murmelte eine Entschuldigung der etwas schmutzigen Visitenkarte wegen, die er überreichte. Er ging zur Tür, aber noch mit der Hand auf der Klinke zögerte er.

 

»Ich … ich habe Fräulein Bennett sehr gerne«, sagte er stockend. »Und ich möchte gerne, daß sie erfährt, daß Herr Maitland gar nicht so schlecht ist, wie er aussieht. Ich möchte mich nicht unanständig gegen ihn betragen.«

 

»Armer Teufel!« sagte Elk und sah dem Mann nach, der niedergeschlagen Harley Terrace entlangging. »Das ist ein Schlag für ihn. Sie hätten ihm fast ausgeplaudert, daß Sie Maitland heute morgen gesehen haben. Ich habe es gemerkt und war schon bereit, Sie zu unterbrechen. Denn es ist das Geheimnis der jungen Dame«, fügte Elk vorwurfsvoll hinzu.

 

»Wollte Gott, dem wäre nicht so«, seufzte Dick. Und nun erst fiel es ihm wieder ein, daß er ja eigentlich Herrn Johnson zum Frühstück eingeladen hatte.

 

Kapitel 3

 

3

 

Es dunkelte bereits, als zwei Landstreicher, die das Dorf Morby umgangen hatten, wieder auf die Poststraße kamen. Die Umgehung des Ortes war für sie ein mühevolles und anstrengendes Unternehmen gewesen, denn der Regen, der den ganzen Tag hindurch gefallen war, hatte die gepflügten Felder in zähe braune Moorstrecken verwandelt, wodurch die Fußwanderung zu einer Geduldsprobe wurde.

 

Der eine der Landstreicher war groß, unrasiert, schäbig. Er trug den verschossenen braunen Rock bis zum Kinn zugeknöpft, den niederhängenden, eingedrückten Hut auf den Hinterkopf zurückgeschoben. Mit ihm verglichen, schien sein Gefährte nur von kleinem Wuchs, obgleich er übermittelgroß und ein wohlgewachsener breitschultriger Mann war. Während sie so auf der lehmigen Landstraße dahinstapften, sprachen sie kein Wort. Der kleinere Mann blieb zweimal stehen und sah in der zunehmenden Dunkelheit umher, als ob er nach einem Verfolger ausspähe. Und einmal ergriff er des großen Mannes Arm und zog ihn hinter die Büsche, die die Landstraße begrenzten. Dies geschah, als unter Getöse und Aufspritzen des nassen Schlammes ein Auto an ihnen vorbeiraste. Nach einer Weile bogen sie von der Straße ab, überquerten ein Feld und kamen an den Rand eines unbebauten Landstrichs, über den eine alte Wagenspur hinführte.

 

»Jetzt sind wir gleich da«, brummte der kleinere Mann, und der andere grunzte seine Zustimmung. Trotz all seiner anscheinenden Gleichgültigkeit nahmen seine Augen jede Einzelheit der Szenerie auf: Ein einsames Gebäude am Horizont, das wie eine Scheune aussah … Grafschaft Essex … wie er nach der Nummerbezeichnung des Autos vermuten mußte, die er vermerkt hatte, als der Wagen an ihm vorbeisauste. Unbebautes Land … wahrscheinlich zu einer nicht mehr in Betrieb stehenden Lehmgrube führend …oder war es ein Steinbruch? Nahe dem Tor, durch das die Wagenspur lief, war an einem wackligen Pfosten ein altes Ankündigungsbrett befestigt. Es war zu finster, um die verwischte Inschrift zu lesen, aber er erkannte das Wort: »Kalk«. »Kalkstein?« Es würde ein leichtes sein, dies später zu ergründen. Die einzige Gefahr für ihn bestand nur in der möglichen Überzahl der Frösche. Unter dem Schutz seines Überrockes fühlte er nach dem Browning und ließ ihn in seine äußere Tasche gleiten. Hilfe gab es nicht, und er erwartete sie auch nicht. Carlo hatte ihn im Weichbild der City in sein elendes Auto aufgenommen und hatte ihn kreuz und quer durch den Regen gefahren, indem er Nebenstraßen folgte und Städte und Dörfer vermied, so daß Genter, wäre sein Platz auch an der Seite des Fahrers gewesen, sich nicht hätte zurechtfinden können. Aber er war in die Finsternis des kleinen Wagens gesetzt worden und hatte nichts gesehen. Wellingdale und dessen Beobachter, die ihn bewacht hatten, waren auf das Auto nicht vorbereitet gewesen. Ein Vagabund mit einem Auto war eine Ungeheuerlichkeit. Er selbst, Genter, war zurückgezuckt, als der Wagen beim Gehsteig anhielt, wo er wartend gestanden hatte, und Carlos Stimme zischelte: »Steig ein!« Unter sich sah Genter verrostete Eisenkarren, durcheinandergeworfene Eisenbahnschienen, dazwischen tiefe, regengefüllte Sprenglöcher. Jenseits, auf der scharfen Linie des Steinbruchrandes, stand eine winzige Holzhütte. Und zu dieser lenkte Carlo seine Schritte.

 

»Nervös, was?« fragte er, und es klang wie Spott in seiner Stimme.

 

»Nicht sehr«, sagte der andere kühl. »Vermutlich sind die Frösche in der Bude da drunten?« Carlo lachte leise.

 

»Es sind keine da«, sagte er. »Nur der Frosch allein. Er kommt vom Steinbruch herauf. Es ist da eine Treppe unter der Hütte. Guter Einfall, was? Die Hütte hängt gerade über dem Abgrund, und die Stufen kann man nicht einmal sehen, wenn man sich auf dem Bauch vorschiebt und über den Rand hinunterschaut. Ich habe es einmal versucht. Die werden ihn nie fangen, nicht, wenn sie Millionen von Spitzeln schicken!«

 

»Nun, und wenn sie den Steinbruch umstellen würden?«

 

»Du glaubst doch nicht, daß er es nicht weiß, wenn er gefangen werden soll? Er weiß alles, der Frosch.« Er sah auf des anderen Mannes Hand herab. »Weh wird’s nicht sehr tun«, sagte er. »Und es lohnt sich. Du wirst nie mehr ohne Kollegen sein, Harry. Wenn du in eine Patsche kommst, zieht dich der beste Advokat ‚raus. Wir suchen solche Burschen wie du einer bist, es gibt so massenhaft kleine Halunken, die wegen so ganz kleiner Sachen sich schon einbilden, daß sie zu uns gehören. Aber du wirst große Arbeit machen, und wenn du für ihn etwas Besonderes zu tun hast, setzt er Hunderte und Hunderte von Pfunden für dich. Wenn du krank wirst, oder du bist hungrig oder so, so werden die Frösche zu dir kommen und dir helfen.«

 

Genter schwieg. Sie waren jetzt etwa zwölf Schritte von der Hütte entfernt, einem starken Gebäude, aus kräftigem Bauholz gezimmert, mit einer Tür und einem geschlossenen Fensterladen. Der Mann, der sich Carlo nannte, machte Genter ein Zeichen, zu verweilen. Er selber ging vorwärts und klopfte an die Tür. Genter sah, wie der Mann zum Fenster trat und dessen Laden um eines Zolles Breite sich öffnete. Es schien ein Gespräch im Flüsterton zu folgen, dann kam Carlo zurück.

 

»Er hat gesagt, daß er Arbeit für dich hat, die dir Tausende einbringen kann. Du hast wirklich Glück! Kennst du Roche-More?«

 

Genter nickte. Er kannte diese Vorstadt der Aristokraten.

 

»Es wohnt ein Mann dort, der um die Ecke gebracht werden soll. Er kommt jede Nacht mit dem 11.50-Zug aus seinem Klub und geht zu Fuß nach Hause. Es steigt eine dunkle Straße an, und mit einem Knüttel kann man ihn ganz ohne Mühe erwischen. Bloß ein Schlag, und es ist aus mit ihm. Das heißt noch nicht töten, verstehst du?«

 

»Warum will er, daß ich das tu‘?«

 

»Alle Neuen müssen etwas tun, um ihren Mut zu beweisen. Also, was meinst du dazu?«

 

Genter hatte nicht gezögert. »Wird besorgt!« sagte er.

 

Carlo kehrte zum Fenster zurück und hieß seinen Gefährten folgen.

 

»Bleib hier stehen und streck den linken Arm durchs Fenster!«

 

Genter streifte die Manschetten eines durchnäßten Ärmels zurück und streckte seinen nackten Arm durch die Spalte. Seine Hand wurde mit festem Griff erfaßt, und sogleich fühlte er, wie etwas Weiches und Nasses sich gegen sein Handgelenk preßte. – Ein Gummistempel, dachte er und wappnete sich gegen den Schmerz, der nun folgen mußte. Er kam wie das schnelle prickelnde Stechen von tausend Nadeln. Dann ließ der Griff nach, Genter riß seine Hand zurück und starrte verwundert auf die verwischte Zeichnung von Tinte und Blut, die der Tätowierende auf seiner Hand zurückgelassen hatte.

 

»Wisch es nicht ab!« sagte eine erstickte Stimme aus der Finsternis der Hütte her. »Und jetzt kannst du hereinkommen.«

 

Der Fensterladen schloß sich und wurde von innen verriegelt, dann kam das Knarren eines Schlüssels, der sich im Schloß drehte, und die Tür öffnete sich. Genter trat in die pechschwarze Finsternis ein und vernahm, daß die Tür der Hütte von dem unsichtbaren Insassen verriegelt wurde.

 

»Deine Nummer ist K 971«, sagte die hohle Stimme, »und wenn du sie in den Personalnachrichten der Times siehst, so berichtest du hierher, wo immer du auch bist. Nimm das…«

 

Genter streckte seine Hand aus, und ein Briefumschlag wurde in sie gelegt. Es war, als ob der geheimnisvolle Frosch selbst in dieser Finsternis zu sehen vermöchte.

 

»Das ist dein Reisegeld und eine Landkarte der Gegend. Wenn du das Geld für dich verbrauchst oder nicht dorthin kommst, wo man deiner bedarf, wird man dich töten. Hast du mich verstanden?«

 

»Jawohl.«

 

»Du wirst weiteres Geld erhalten, das du für deine Ausgaben verwenden kannst. Hör mich jetzt an. In Roche-More, Nr. 7, Park Avenue, wohnt Hallwell Jones, der Bankier –« Er mochte gefühlt haben, daß der Neuling überrascht zusammenfuhr. »Du kennst ihn?«

 

»Ja, ich habe vor Jahren für ihn gearbeitet«, sagte Genter. Er zog seinen Browning hervor und entsicherte ihn mit dem Daumen.

 

»Zwischen heute und Freitag muß er niedergeschlagen werden. Du brauchst ihn aber nicht zu töten. Wenn es geschieht, so macht es nichts aus. Aber ich vermute, daß sein Schädel zu hart sein …«

 

Genter hatte nun festgestellt, wo der Mann stand, da seine Augen sich an das Dunkel zu gewöhnen begannen. Seine Hand griff plötzlich zu und erfaßte den Arm des Frosches.

 

»Ich habe eine Pistole«, sagte er zwischen den Zähnen. »Ich bin Inspektor Genter von der Polizeidirektion, und wenn du dich zur Wehr setzt, so töte ich dich.«

 

Eine Sekunde lang herrschte Totenstille. Dann fühlte Genter, wie die Hand, die die Pistole hielt, mit schraubengleichem Griff umfaßt wurde. Er schlug mit der anderen Faust zu, aber der Mann bückte sich, und der Schlag fuhr in die Luft. Dann wurde die Pistole mit unerträglicher Drehung aus Genters Hand gewunden, und er kam mit seinem Gefangenen in ein Handgemenge. Dabei berührte sein Gesicht das des Frosches. War es eine Maske, die jener trug? Er spürte die kalten Glimmerbrillengläser auf seiner Wange. Dies erklärte die erstickte Stimme. So kräftig Genter auch war, er konnte sich aus den ihn umklammernden Armen doch nicht befreien, und sie schwankten in der furchtbaren Finsternis hin und her. Plötzlich hob der Frosch den Fuß, und um dem vorausgesehenen Stoß zu entgehen, machte Genter eine heftige Wendung. Das Splittern von gebrochenem Glas ward hörbar und ein scharfer, kalter, durchdringender Geruch drang auf den Detektiv ein. Er versuchte tief zu atmen, aber er meinte zu ersticken, und seine Arme fielen schlaff und machtlos herab.

 

Der Frosch hielt die gebeugte Gestalt eine Minute lang, dann ließ er sie zu Boden fallen.

 

Am Morgen fand die Londoner Polizeipatrouille Inspektor Genter im Garten eines leeren Hauses liegend und rief die Rettungsgesellschaft an.

 

Aber ein Mann, der mit konzentrierten Blausäuredämpfen vergiftet worden ist, stirbt schnell. Zehn Minuten, nachdem der Frosch den Glaszylinder, den er für ähnliche Notfälle in der Hütte vorbereitet hielt, zerbrochen hatte, war Genter eine Leiche.

 

Kapitel 21

 

21

 

Elk wurde um die Mittagsstunde dringend nach Fitzroy Square Nummer 431 gerufen.

 

Es hatte ein Einbruch in Herrn Johnsons Wohnung stattgefunden, und als der Philosoph den Eindringling überraschte, war er mit einem schweren Gegenstand über den Kopf geschlagen worden, so daß er bewußtlos zusammengesunken war.

 

Als Elk ankam, war der Philosoph schon verbunden und saß bleich und zitternd auf seinem Sofa.

 

Das Haus wimmelte von Polizisten, und auf der Straße hatte sich eine erregte Menschenmenge angesammelt.

 

»Er hat Ihnen einen ganz schönen Hieb versetzt«, sagte Elk anerkennend. »Aber ich zweifle daran, daß es der Frosch selbst gewesen ist, obgleich Sie sagen, daß er sich dafür ausgegeben hat. Denn der Frosch hat, soweit ich mich erinnern kann, niemals irgendeinen Überfall selbst ausgeführt.«

 

Elk untersuchte die Wohnung auf das genaueste, und als er in das Schlafzimmer kam, fand er in der Nähe des offenen Fensters einen Gepäckschein. Es war ein grüner Zettel, der die Aufbewahrung einer Handtasche bestätigte. Und er war von der Endstation der Nordbahn ausgestellt.

 

Elk hielt das Papier ans Licht und prüfte den Datumsstempel.

 

Das Gepäckstück war vor vierzehn Tagen hinterlegt worden. Elk legte den Schein vorsichtig und zärtlich in seine Brieftasche.

 

Was den Überfall für Elk bemerkenswert machte, war, daß der Mann, der ihn ausgeführt hatte, sich für den Frosch ausgegeben haben sollte.

 

Elk begriff die Organisation gut genug, um zu wissen, daß keiner der untergeordneten Sklaven des Frosches es gewagt haben würde, dessen Namen zu mißbrauchen.

 

Elk begriff nicht, warum der Frosch gerade Johnson seiner persönlichen Anwesenheit für würdig gehalten haben sollte.

 

»Und Sie meinen, daß es der Frosch selber gewesen ist?« fragte er skeptisch.

 

»Es war entweder der Frosch selbst oder einer seiner vertrauten Gesandten«, sagte Johnson. »Sehen Sie her.«

 

In der Mitte eines rosafarbenen Löschblattes sah Elk das gestempelte Zeichen des unausbleiblichen Frosches.

 

Es erschien auch auf dem Türpaneel.

 

»Das war als Warnung gemeint, nicht wahr?« sagte Johnson. »Nun, ich hatte Zeit, mich an diese Warnung zu gewöhnen, bevor ich meinen Teil bekam.«

 

»Es gibt ärgere Dinge als den Knüppel«, sagte Elk fröhlich. »Vermissen Sie irgend etwas?«

 

Johnson schüttelte den Kopf. »Nein, nichts!«

 

»Haben Sie vielleicht irgendwelche Privatpapiere von Maitland hierhergebracht, die Sie ihm wiederzugeben vergaßen?« fragte Elk nachdenklich.

 

»Die Formulierung Ihrer Frage ist sehr liebenswürdig«, sagte Johnson lächelnd und mit seinen Augen zwinkernd. »Es gibt hier nicht ein einziges Dokument von geringstem Wert. Ich war allerdings früher daran gewöhnt, mir Arbeit von Maitlands Büro nach Hause zu nehmen und habe oft bis Mitternacht darüber gesessen. Das ist auch der Grund, warum meine Verabschiedung mir als ein solcher Beweis von Undankbarkeit erscheint. Aber wenn Sie wollen, können Sie den Inhalt meiner sämtlichen Schränke, Schubladen und Kasten durchsuchen, ich kann Ihnen versichern, daß ich ein reichlich pedantischer Mann bin und tatsächlich jedes Papier kenne, das sich bei mir befindet.«

 

Auf dem Nachhauseweg überdachte Elk die ganze Angelegenheit in allen ihren überraschenden Erscheinungen. Er war in Wahrheit froh, daß ein neues Problem ihn von dem Gedanken an die ihm bevorstehende Untersuchung ablenkte.

 

Hauptmann Gordon würde sicherlich alle Verantwortung dem Präsidium gegenüber auf sich nehmen, aber dem Kriminalpolizisten kamen »die Leute dort oben« ebenso furchtbar vor wie der Frosch selber.

 

Elk beabsichtigte, den Bahnhof von Kings Gross zeitig zu besuchen, um den Inhalt der deponierten Reisetasche zu prüfen, aber als er am nächsten Morgen erwachte, war er einzig von der kommenden Untersuchung erfüllt.

 

Obgleich er den Einbruch bei Johnson sorgfältig in sein Rapportbuch eintrug und den grünen Gepäckschein in seinen Safe versperrte, war er viel zu beschäftigt, um sofortige Nachforschungen anzustellen. Dick stellte sich zur Untersuchung ein, und Elk gab ihm eine kurze Skizze von dem Einbruch in Fitzroy Square. Und dann holte Elk den grünen Schein heraus.

 

»Der Schein ist an irgend etwas anderes angeheftet gewesen«, sagte Dick, der den Zettel gegen das Fenster gehalten hatte. »Hier ist der ganz frische Abdruck einer Papierklammer. Vielleicht kann das irgendwie zur Information beitragen.«

 

»Ach, ich fürchte, daß die Leute da oben uns jetzt die Hölle heiß machen werden«, sagte Elk seufzend.

 

»Machen Sie sich keine Sorgen darüber«, tröstete Dick. »Unsere Freunde dort oben sind so froh über die Auffindung des Vertrages, daß sie uns nicht allzusehr mit Hagn quälen werden.«

 

Es war dies eine bemerkenswerte Prophezeiung, die sich in ebenso bemerkenswerter Weise erfüllte.

 

Als Elk zu den Großen hereingerufen wurde, zu all diesen Polizeichefs und Räten, die um den grünen Untersuchungstisch herumsaßen, fand er zu seiner freudigen Überraschung, daß die Haltung seiner Vorgesetzten eher freundliches Interesse als kalte Mißbilligung verriet.

 

»Unter gewöhnlichen Umständen wäre das Entweichen Hagns der Anlaß gewesen, strenge Maßregeln gegen die verantwortlichen Stellen zu erlassen«, sagte der Polizeipräsident. »Aber in diesem besonderen Fall möchte ich keinen Tadel aussprechen. Die Wahrheit ist, daß die Frösche ungeheuer mächtig sind.«

 

Nicht alle Mitglieder der Untersuchungskommission waren so freundlich gesinnt wie der Polizeipräsident.

 

»Es ist Tatsache«, sagte ein weißhaariger Polizeirat, »daß im Zeitraum einer einzigen Woche zwei Gefangene unter den Augen der Polizei getötet würden und – ebenfalls vor den Augen der Polizei – ein Gefangener aus dem Gewahrsam entfloh! Das ist sehr schlimm, Hauptmann Gordon! Sehr schlimm!« Er schüttelte den Kopf.

 

»Vielleicht würden Sie, Herr Polizeirat, selber sich mit der Untersuchung befassen wollen«, sagte Dick. »Es handelt sich hier nicht um einen gewöhnlichen, unscheinbaren Verbrechertyp, und das hohe Präsidium wird wohl in diesem Falle eine, das gewöhnliche Maß übersteigende Geduld üben müssen. Aber ich kenne jetzt den Frosch«, sagte er einfach.

 

»Sie kennen ihn? Wer ist es?« fragte der Präsident ungläubig.

 

»Obgleich es ganz leicht für mich wäre, noch heute morgen einen Haftbefehl gegen ihn zu erlassen, so ist es doch keine so leichte Sache, einen überzeugenden Schuldbeweis zu scharfen. Ich muß noch um eine Spanne Zeit bitten!«

 

Als Gordon und Elk in ihr Büro zurückgekehrt waren, sagte Elk geheimnisvoll flüsternd: »Wenn das ein Bluff gewesen ist, so war es 4er schönste, den ich je gehört habe!«

 

»Es war kein Bluff«, sagte Dick ruhig.

 

»Also wer, um Himmels willen, wer ist es?«

 

Dick schüttelte den Kopf. »Ich möchte Sie bitten, sich jetzt über den Gepäckschein zu informieren«, sagte er mit Würde.

 

Elk hastete verstört nach dem Bahnhof. Er wies den grünen Schein vor, bezahlte die Extragebühr für die abgelaufene Aufbewahrungsfrist, und es wurde ihm eine braune Ledertasche durch den Beamten ausgehändigt.

 

»Nun, mein Sohn«, sagte Elk, indem er sich zu erkennen gab, »vielleicht können Sie mir jetzt sagen, ob Sie sich erinnern können, wer diese Handtasche gebracht hat?«

 

Der Beamte grinste. »So ein gutes Gedächtnis habe ich leider nicht«, sagte er.

 

»Da sympathisiere ich ganz mit Ihnen«, sagte Elk. »Aber wenn Sie versuchen würden, sich daran zu erinnern, könnten Sie vielleicht doch einige wichtige Aussagen machen. Gesichter sind doch schließlich keine Jahreszahlen.«

 

Der Beamte blätterte in seinem Buch.

 

»Stimmt, an dem Tage hatte ich Dienst. Aber wir bekommen so viel Gepäck herein, daß es mir unmöglich ist, mich an eine bestimmte Person zu erinnern. Ich weiß nur eins, daß ich mich erinnern würde, wenn diese Person etwas Merkwürdiges an sich gehabt hätte.«

 

»So. Sie glauben also, daß der, der das abgegeben hat, ganz gewöhnlich aussah? – War es vielleicht ein Amerikaner?«

 

Der Beamte dachte wieder nach. »Nein, das glaube ich nicht«, sagte er. »Wir haben schon seit Wochen keine Amerikaner hier gehabt.«

 

Elk trug die Handtasche in das Amt des Bahnhofspolizeiinspektors und öffnete sie mit Hilfe eines Dietrichs.

 

Der Inhalt war ganz ungewöhnlich. Ein kompletter Anzug, Hemd, Kragen und Krawatte. Ein funkelnagelneues Rasierzeug. Eine kleine Flasche Annatto – ein Färbemittel. Ein Paß auf den Namen »John Henry Smith« lautend, aber ohne Fotografie, eine Browningpistole mit gefülltem Magazin, ein Kuvert mit fünftausend Franc und fünf Einhundert-Dollar-Scheinen. Die Kleider trugen keine Marke, der Browning war belgisches Fabrikat, und der Paß mochte falsch sein, aber zumindest das Formular, auf dem er ausgestellt war, war zweifellos echt. Eine spätere Nachfrage beim Auswärtigen Amt ergab, daß er nicht amtlich ausgestellt war.

 

Elk beschaute die Gegenstände, die auf dem Schreibtisch des Inspektors in langer Reihe ausgebreitet waren.

 

»Das ist die wunderschönste Reiseausstattung, die ich je gesehen habe«, meinte der Bahnhofsinspektor. »Die schönste Ausstattung, um durchzubrennen.«

 

»Das ist auch meine Meinung«, sagte Elk. »Und wissen Sie, ich möchte wetten, daß eine gleiche Handtasche auf jeder Endstation von London zu finden ist. Ich werde die Sachen auf die Polizeidirektion bringen. Vielleicht wird der Mann zu Ihnen kommen, um nach der Tasche zu fragen, aber ich halte das für höchst unwahrscheinlich.«

 

Elk trat aus dem Büro des Inspektors.

 

Einer der Nordexpreßzüge war gerade mit zweistündiger Verspätung eingetroffen. Elk stand zerstreut und müßig da und beobachtete die Reisenden, die sich vor den Schranken stauten.

 

Und als er eine Weile so dagestanden hatte, bemerkte er ein bekanntes Gesicht. Da er aber völlig in andere Gedanken versunken war, erkannte er den Betreffenden erst, als dieser schon den Ausgang erreicht hatte.

 

Es war John Bennett. ELk schlenderte durch die Schranken zu dem Stationsbeamten.

 

»Woher kommt der Zug?«

 

»Aus Aberdeen, Herr.«

 

»Letzter Aufenthalt?« fragte Elk.

 

»Letzter Aufenthalt in Doncaster«, antwortete der Beamte.

 

Während sie sprachen, sah Elk zu seinem Erstaunen Bennett zurückkehren. Er arbeitete sich eilig durch den entgegendrängenden Strom der Reisenden durch, die eben die Schranken passiert hatten. Augenscheinlich hatte er etwas vergessen.

 

Als Bennett wieder erschien, trug er den gewohnten, schweren braunen Kasten, und Elk erkannte die Filmkamera, das Steckenpferd des seltsamen Mannes, durch das er seinen Verdienst zu erwerben suchte.

 

»Sonderbarer Kauz!« sagte Elk zu sich selber, rief einen Wagen an und brachte seinen Fund in die Polizeidirektion. Er schickte nach zweien seiner besten Leute.

 

»Die Aufbewahrungsräume jedes Bahnhofs in London sollen nach Handgepäck von dieser Art untersucht werden«, sagte er, indem er die Tasche vorwies. »Alle Stücke sind wahrscheinlich schon wochenlang eingelagert. Stellen Sie die gewöhnlichen Fragen nach dem Mann, der die Sachen hinterlegt hat und, um ganz sicher zu gehen, öffnen Sie auf der Stelle jede der Taschen. Wenn Sie ein vollständiges Rasierzeug, einen Paß und Geld vorfinden, so bringen Sie sie nach Scotland Yard.«

 

Dick bewunderte die Organisation, als Elk ihm seinen Fund zeigte.

 

»Er hat dafür gesorgt, sich zu jeder Tages- und Nachtzeit in Sicherheit bringen zu können«, sagte Elk. »Bei jeder Endstation hätte er Geld, andere Kleider, den nötigen Paß, um ins Ausland zu fahren, Annatto, um Gesicht und Hände zu färben, gefunden, und brauchte nur seine eigene Fotografie mitzuhaben. – Übrigens, wissen Sie, daß ich John Bennett getroffen habe?«

 

»Wo? Auf dem Bahnhof?« fragte Dick.

 

Elk nickte. »Er kam aus dem Norden, aus einer der fünf Städte – Aberdeen, Arbroarth, Edinburgh, York oder Doncaster. Er hat mich nicht gesehen, und ich habe mich auch nicht vorgedrängt. Geben Sie mir Antwort, Herr Hauptmann, was halten Sie von dem Mann? Ist er vielleicht Ihr Frosch?« forderte ihn Elk heraus.

 

Aber Dick Gordon lächelte nur. »Sie können sich eine Menge Arbeit ersparen, wenn Sie sich den Gedanken aus dem Kopf schlagen wollten.«

 

»Das weiß ich ohnehin«, murmelte Elk. »Dieser John Bennett ist mir ein Rätsel. Wenn er wirklich der Frosch ist, so hat er doch gestern abend nicht in Johnsons Wohnzimmer sein können.«

 

»Außer, falls er mit einem Motorrad nach Doncaster gefahren wäre, um sich ein Alibi zu verschärfen«, sagte Dick lächelnd, und nach einer Pause fuhr er fort: »Ich bin wirklich neugierig, ob die Polizei von Doncaster unsere Direktion anrufen wird, oder ob sie sich auf ihr eigenes Nachrichtendepartement verläßt?«

 

»Nachrichten? Worüber denn?« fragte Elk überrascht.

 

»Mabberley Hall, das außerhalb Doncaster liegt, wurde ge stern von Einbrechern ausgeraubt«, sagte Dick, »und Lady Fitz Hermans Brillantendiadem wurde gestohlen. Das unterstützt Ihre Theorie wohl so ziemlich, Elk, was?«

 

Kapitel 14

 

14

 

Elk ging auf die Straße hinunter, um den Amerikaner zu begrüßen. Herr Broad war im Frack, und die Scheinwerfer seines Autos erhellten die schmutzige Straße.

 

»Sie haben wirklich eine gute Spürnase«, meinte Elk respektvoll.

 

»Als ich zwanzig Schutzleute aus dem Herons-Klub stürzen und in rasendem Tempo fortfahren sah, durfte ich wohl vermuten, daß ihre Eile nicht dem Bestreben galt, noch vor zwei Uhr ins Bettchen zu kommen«, sagte Broad. »Ich besuche den Klub gewöhnlich in den Morgenstunden. Seine Mitglieder sind ja vielleicht eine noch minder wünschenswerte Bekanntschaft als die übrige Rasse der Frösche. Aber sie amüsieren mich. – Ich wiederhole meine Frage: Haben Sie das liebe kleine Kindchen schon gesehen, das das Wort M-A-U-S buchstabieren lernt?«

 

Elk hatte das Gefühl, daß der liebenswürdige Amerikaner ihn verspottete. »Kommen Sie lieber herein und sprechen Sie mit dem Chef.«

 

Broad folgte dem Inspektor in das Schlafzimmer von Maitlands Wirtschafterin, wo Dick die bei dem eiligen Aufbruch von Nummer Sieben zurückgelassenen Papiere prüfte.

 

Außer der Kopie des Geheimberichtes über Mills hatte er ein Bündel von Zetteln gefunden, von denen viele unleserlich und unverständlich schienen. Sie waren maschinengeschrieben und glichen auffällig Armeebefehlen. Es waren tatsächlich des Frosches Befehle, vom Oberhaupt seines Stabes herausgegeben und trugen die Unterschrift: Nummer Sieben.

 

Auf einem Zettel stand: »Es muß rascher gehen mit Raymond Bennett! L. muß ihm sagen, daß er ein Frosch ist. Was immer mit ihm auch geschehen wird, es muß von einem ausgeführt werden, der als Frosch unbekannt ist.«

 

Auf einem anderen Zettel: »Gordon hat eine Einladung für Donnerstag zum Dinner der Amerikanischen Gesandtschaft. Ein Ende machen. Elk hat eine neue Alarmglocke unter der vierten Treppe anbringen lassen. Er geht morgen um 4.14 nach W., um M. zu verhören.«

 

Es gab da noch andere Zettel, die von Leuten handelten, von denen Dick nie gehört hatte. Er lächelte eben über die lakonische Instruktion, ein Ende mit ihm zu machen, als der Amerikaner eintrat.

 

»Setzen Sie sich, Herr Broad. Elks trauriger Blick sagt mir, daß Sie Ihre Anwesenheit hier hinreichend erklären konnten.«

 

Broad nickte lächelnd. »Und Herr Elk gibt sich solch riesige Mühe«, sagte er. Seine Blicke fielen auf die Papiere. »Wäre es indiskret, zu fragen, ob dies hier Froschakten sind?« fragte er.

 

»Sehr«, sagte Dick. »Jede Ihrer Bemerkungen über die Frösche bedeutet den Höhepunkt der Indiskretion, sofern Sie nicht gewillt sind, etwas zu unserer Aufklärung beizutragen.«

 

»Ich kann Ihnen, ohne mich ganz zu eröffnen, mitteilen, daß Ihr Frosch Nummer Sieben durchgebrannt ist«, sagte der Amerikaner kühl. »Ich hörte die Frösche jubeln, als sie unter Bewachung die Straße hinuntergeführt wurden. Die Verkleidung von Nummer Sieben war vollendet. Er trug die Uniform eines Polizisten.«

 

Elk fluchte leise, aber gründlich. »Also das war er«, sagte er. »Er war der Polizist, der Hagn unter dem Vorwand zu arretieren, abführte. Und wenn nicht einer meiner Leute zufällig ihm den Gefangenen weggenommen hätte, so wären sie beide entwischt. Bitte, warten Sie.«

 

Elk suchte den Detektiv auf, der Hagn hereingeführt hatte.

 

»Ich kenne den Schutzmann nicht«, sagte der Beamte. »Er war von einer mir fremden Abteilung. Ein größerer Mann mit einem dicken, schwarzen Schnurrbart. Wenn es eine Verkleidung war, dann war sie ausgezeichnet.«

 

Elk kehrte geknickt zurück.

 

»Ich möchte das eine nur gerne wissen, was für ein Spiel der Frosch mit Ray Bennett treibt?« sagte Joshua Broad. »Denn das ist jedenfalls die interessanteste Intrige der Froschstrategie.« Er erhob sich und nahm seinen Hut. »Gute Nacht! Vergessen Sie nicht, nach dem Kindergarten zu suchen, Inspektor.« Er lächelte beim Abschied, und Elk durchstöberte das Haus vom Boden bis zum Keller ohne das leiseste Resultat.

 

»Ich glaube, daß sich hier eine sehr wertvolle Spur verrät«, sagte Dick, indem er Elk ein Papier reichte. Dieser las: »Alle Ochsen müssen Mittwoch 3. 1. A. hören! L. V. M. B. Wichtig!«

 

»Es sind fünfundzwanzig Abschriften von dieser einfachen aber aufregenden Botschaft vorhanden«, sagte Dick. »Und da ich keine Briefumschläge für die Instruktionen finde, so kann ich nur vermuten, daß Hagn sie entweder vom Klub oder von seiner Wohnung aus expediert hatte. Soweit habe ich die Ziffern in der Organisation der Frösche festgestellt. Frosch Nummer Eins arbeitet durch ›Sieben‹ , der vielleicht – oder vielleicht auch nicht – den Chef kennt. Hagn, dessen Nummer, nebenbei erwähnt, dreizehn ist, die ihm auch noch viel Unglück bringen wird, ist der ausübende Chef vom Büro Sieben und verkehrt nur mit den Leitern der einzelnen Sektionen. Sieben bekommt seine Orders vom Frosch selbst, aber er darf auch ohne Anfrage arbeiten, wenn sich Notfälle ergeben. Hier zum Beispiel«, er klopfte mit dem Zeigefinger auf das Papier, »ist eine Entschuldigung für die Verwendung von Mills, was meine Annahme bestätigt.«

 

»Keine Handschrift?« – »Nein, auch keine Fingerabdrücke.«

 

Elk nahm einen der Zettel, auf denen die Nachrichten geschrieben waren, und hielt ihn gegen das Licht.

 

»Drei Löwen als Wasserzeichen«, sagte er. »Eine neue Schreibmaschine von jemand Geschultem geschrieben, dessen kleiner Finger der linken Hand schwach ist, denn das Q und A sind durchlaufend schwach. Das zeigt, daß er nach dem Fingersatz schreibt. Maschinenschreib-Amateure gebrauchen selten ihre kleinen Finger, besonders an der linken Hand. Ich erwischte einmal einen Bankdieb, nur weil ich das wußte.« Er las nochmals die Nachricht. »Alle Ochsen müssen am Mittwoch hören. – ›Ochsen‹ bedeutet hier die Anführer, die Ochsenfrösche. Hm, wo hören Sie zu? ›3. 1. A.‹, das gibt mir zu denken, Herr Hauptmann.« Dick sah ihn merkwürdig an.

 

»Am 3. 1. Mittwoch nachts werden wir das Codesignal L. V. M. B. abhören. Wir werden den großen Frosch sprechen hören, mein lieber Elk!«

 

Kapitel 15

 

15

 

Ray Bennett erwachte. Seine Schläfen hämmerten, seine Zunge lag trocken im Mund. Als er den schmerzenden Kopf vom Kissen zu heben versuchte, stöhnte er, aber es gelang ihm mit Willensanstrengung, aus dem Bett zu steigen und sich bis ans Fenster zu schleppen. Er stieß die bleigefaßten Fensterflügel auf und sah auf den grünen Hyde-Park hinaus.

 

Dann goß er ein Glas mit Wasser voll und trank es gierig, setzte sich auf den Rand des Bettes, den Kopf in den Händen, und versuchte die Ereignisse der vergangenen Nacht zu überdenken. Er konnte sich ihrer nur trübe entsinnen, aber er war sich dessen bewußt, daß etwas Schreckliches geschehen war. Langsam erhellte sich die Erinnerung mehr und mehr, und mit schwerem Herzen wurde er sich des furchtbaren Vorganges bewußt.

 

Er sprang auf und begann hin und her zu gehen, bemüht, Rechtfertigung vor sich selber zu ersinnen. Die Eitelkeit der Jugend weist Entschuldigungen für eigene Fehltritte nicht zurück, und Ray stellte keine Ausnahme unter der Jugend dar.

 

Nachdem er ein Bad genommen und sich angekleidet hatte, war er bereits zu der Ansicht gekommen, daß viel, viel Unrecht an ihm geschehen sei. Es war unverzeihlich von ihm gewesen, seinen Vater zu schlagen, und er wollte ihm sicherlich sogleich schreiben, um seinen Schmerz hierüber zu betonen. Aber es sollte kein kriecherischer Brief sein, gelobte er sich, sondern ein würdiger und distanzierender. Schließlich kamen doch in allen Familien derlei Streitigkeiten vor. Und eines Tages würde er als reicher Mann zu seinem Vater zurückkehren und . . .

 

Ray verzog unangenehm berührt die roten Lippen. Es ging ihm ja jetzt recht gut, er hatte eine teure Wohnung, jede Woche wurden neue knisternde Banknoten durch die Post an seine Adresse gesandt. Er hatte auch ein Auto . . . aber wie lange würde es wohl so bleiben? Ray war kein Narr, nicht ganz so klug vielleicht wie er sich dünkte, aber auch nicht dumm. Warum sollte die japanische – oder irgendeine andere Regierung – ihn für Informationen bezahlen, die sich doch aus jedem erreichbaren Handbuch schöpfen ließen, die für ein paar Schillinge bei jedem Buchhändler zu kaufen waren. Er ließ den Gedanken fallen. Er besaß die Gabe, alles von sich zu schieben, was ihn störte. Er öffnete die Tür, die in sein Speisezimmer führte und erstarrte.

 

Ella saß an dem offenen Fenster, den Ellbogen auf dem Sims und das Kinn in der Hand. Sie war blaß, und tiefe Schatten lagen unter ihren Augen.

 

»Ella, was, um Gottes willen, machst du hier?« fragte er. »Wie bist du hereingekommen?«

 

»Der Portier hat mir mit seinem Schlüssel geöffnet, als ich ihm sagte, daß ich deine Schwester bin«, sagte sie apathisch. »Ich kam sehr zeitig heute morgen, und ich will dich fragen, ob du nicht nach Horsham kommen und mit Vater sprechen möchtest?«

 

»Nicht jetzt, nein – in ein paar Tagen«, sagte er hastig. Tatsächlich fürchtete er sich nicht davor, seinem Vater zu begegnen.

 

»Wäre es denn ein solch schreckliches Opfer, Ray, das alles aufzugeben?«

 

Er machte eine ungeduldige Handbewegung. »Das alles nicht, wenn du damit die Wohnung meinst. Aber du und Vater, ihr wollt doch, daß ich meine Arbeit aufgebe.«

 

»Ich glaube nicht, daß das dein Schaden wäre.« Das war ein neuer Ton, und Ray starrte sie an. Ella war ihm immer eine nachsichtige, billigende, entschuldigende Schwester gewesen. Ein Puffer zwischen ihm und den Ermahnungen seines Vaters.

 

»Komm zu Papa zurück, Ray, komm sofort!«

 

Er schüttelte den Kopf.

 

»Nein, ich kann nicht. Ich werde ihm schreiben. Ich gebe zu, daß ich unrecht an ihm gehandelt habe und werde ihm das auch in meinem Brief schreiben; aber mehr kann ich nicht tun.« Es klopfte an die Tür.

 

»Herein!« rief Ray.

 

»Wollen Sie Fräulein Bassano und Herrn Brady empfangen?« fragte der Diener im Flüsterton und sah bedeutsam nach Ella hin.

 

»Natürlich will er mich empfangen!« rief eine Stimme draußen.

 

»Wozu denn diese Formalitäten? Ach, ich verstehe . . .« Lola Bassano maß Ella aus halbgeschlossenen Lidern.

 

»Das ist meine Schwester Ella«, stellte Ray vor, »und dies sind Fräulein Bassano und Herr Brady.«

 

Ella blickte nach der zarten Gestalt in der Tür und vermochte nur zu bewundern, was sie erblickte. Lolas schönes Gesicht, ihre Haltung, ihre wundervolle Hand, ihre Art sich zu kleiden, entzückten sie.

 

»Gefällt Ihnen die Wohnung Ihres Bruders?« fragte Lola, die gegenüber Platz nahm und ihre Beine übereinanderschlug.

 

»Es ist sehr schön hier, und Horsham wird ihm ziemlich öde vorkommen, wenn er zu uns zurückkehrt«, sagte Ella.

 

»Ja, gehen Sie denn nach Horsham zurück?« Lola warf den Kopf in den Nacken und sah Ray voll in die Augen, während sie diese Frage stellte.

 

»Ich denke nicht daran!« sagte Ray energisch. »Ich habe Ella schon vorhin gesagt, daß meine Arbeit hier mir viel zu wichtig ist, um sie aufzugeben.«

 

Lola nickte zufrieden, und eine seltsame Kälte überkam Ella plötzlich. Eine Sekunde vorher war sie noch von Lolas Schönheit gefangengenommen gewesen. Nun aber schien ihr, als berge sich viel Grausamkeit in den Linien ihres schönen Mundes. »Sie müssen wissen, Fräulein Bassano, daß Gordon meiner Schwester die reinsten Spukgeschichten über uns erzählt hat.«

 

»Gordon ist Monomane«, sagte Lew Brady. »Er hat ja sogar Elk zu Ihrem Herrn Vater geschickt, um ihn verhören zu lassen. Er meint, daß es in der ganzen Welt lauter Verbrecher gibt und einen einzigen Mann, der sie zu fangen vermag, und das ist er selber . . .«

 

»Tapp, tapp, tapptapptappp, tapp.« Es klopfte an die Tür. Langsam, überlegt, unverkennbar. Die Wirkung auf Lew Brady war eine höchst merkwürdige. Sein mächtiger Körper schien zusammenzusinken, und sein braunes Gesicht wurde plötzlich ganz hohl.

 

»Tapp, tapp ,tapptapptapp, tapp.«

 

Die Hand, die Brady zum Mund führte, zitterte. Ella blickte von ihm zu Lola und sah zu ihrem Erstaunen, daß sie unter ihrem Rouge blaß geworden war. Brady stolperte zur Tür, und sein Atem ging schwer und laut in der Stille.

 

»Herein!« brachte er hervor. Aber er vermochte das Eintreten nicht abzuwarten, er riß selbst die Tür auf.

 

Es war Dick Gordon, der eintrat.

 

Er sah einen nach dem andern mit lachenden Augen an. »Das Froschzeichen scheint manchen von euch zu erschrecken?« sagte er vergnügt.

 

Kapitel 16

 

16

 

Lola gewann als erste ihre Fassung wieder. »Es war nicht nett von Ihnen, uns so zu erschrecken, ich fürchte mich sehr vor den Fröschen, seit man so viel über sie in den Zeitungen liest.«

 

»Das Zeichen ist meine neueste Errungenschaft«, sagte Dick mit spöttischem Ernst. »Ein Frosch des dreißigsten Grades hat es mich gelehrt. Und er sagte mir, es ist dies das Signal, das der Meister, der große, alte Ochsenfrosch gibt, wenn er seine Untergebenen aufzusuchen beliebt.«

 

»Ihr dreiunddreißigjähriger Frosch lügt wahrscheinlich«, sagte Lola, in deren Wangen der Zorn neue Farbe jagte. »Überhaupt hat Mills . . .«

 

»Ich habe Mills gar nicht erwähnt«, sagte Dick.

 

»Aber seine Verhaftung stand doch in allen Blättern.«

 

»Sie erschien in keinem einzigen Blatt!« sagte Dick. »Falls sie nicht in ›Die Neue Froschzeitung‹ eingeschaltet wurde. Vermutlich unter Personalnachrichten.«

 

Ray trat einen Schritt vor. »Was führt Sie her, Gordon?«

 

»Ich möchte privat mit Ihnen sprechen«, sagte Dick.

 

»Es gibt nichts, was Sie mir nicht vor meinen Freunden sagen könnten«, antwortete Ray, der unmutig zu werden begann.

 

»Die einzige, für die dieser Titel Geltung hat, ist Ihre Schwester«, antwortete Gordon.

 

»Gehen wir, Lew«,, sagte Lola achselzuckend. Aber Ray hielt sie zurück.

 

»Einen Augenblick! Ist das meine Wohnung oder nicht?« fragte er wütend. »Sie kommen ganz einfach her, beleidigen meine Freunde und werfen sie faktisch zur Tür hinaus. Ich bewundere Ihre Kühnheit. Dort ist die Tür!«

 

»Wenn Sie es so aufnehmen, so muß ich gehen!« sagte Dick. »Aber, ich kam hierher, um Sie zu warnen.«

 

»Pah, ich pfeife auf Ihre Warnungen!«

 

»Ich kam, um Ihnen zu sagen, daß der Frosch beschlossen hat, Sie Ihr Geld in Zukunft auch verdienen zu lassen. Das ist alles.«

 

Totenstille folgte, die endlich Ellas schwankende Stimme unterbrach.

 

»Der Frosch?« wiederholte sie mit aufgerissenen Augen. »Aber, Herr Gordon, Ray gehört doch nicht zu den Fröschen?«

 

»Es wird ihm vielleicht noch neu sein, aber es ist trotzdem wahr. Ihre beiden Gäste, Ray, sind treue Diener des Reptils, Lola wird von ihm ausgehalten, genauso wie ihr Gatte . . .«

 

»Lügner!« schrie Ray. »Lola ist nicht verheiratet. Sie sind ein elender Lügner. Hinaus, bevor ich Sie selbst hinauswerfe!«

 

Ellas stummes Flehen bewog Dick, wortlos zur Tür zu gehen. An der Schwelle wendete er sich um, und sein kalter Blick heftete sich auf Lew Brady.

 

»Im Froschbuch steht ein großes Fragezeichen bei Ihrem Namen, Brady! Seien Sie auf der Hut!«

 

Brady fuhr unter dem Schlag zusammen; denn es war ein Schlag. Hätte er es gewagt, so wäre er Gordon auf den Korridor nachgefolgt, um weitere Informationen zu erbetteln. Aber dazu fehlte ihm der Mut, und er stand in seiner ganzen Riesengröße da und sah hilflos und traurig auf die Tür, die der Besucher hinter sich geschlossen hatte.

 

»Um Gottes willen, lassen wir frische Luft herein!« rief Ray und riß das Fenster auf. »Dieser Kerl ist ja die reine Pest! Verheiratet! Und das will er mich glauben machen? . . . Du gehst schon, Ella?«

 

Seine Schwester nickte.

 

»Sage dem Vater, ich würde ihm schreiben. Sprich für mich und beweise ihm, daß auch er oft Unrecht an mir begangen hat!«

 

Sie hielt ihm die Hand entgegen. »Lebe wohl, Ray«, sagte sie. »Vielleicht wirst du eines Tages zu uns zurückkehren.« Die Bewegung überwältigte sie, und Tränen liefen über ihre Wangen. Sie drängte sich an ihn und flüsterte: »O, Ray, Ray, ist das denn wahr? Gehörst du zu den Fröschen?«

 

»Aber Ella, es ist ungefähr so viel Wahres daran, wie an der Geschichte von Fräulein Bassanos Verheiratung. – Sensationen! Gordon will immer nur Sensationen hervorrufen!«

 

Ella nickte Lola zum Abschied zu, ohne ihr die Hand zu reichen.

 

Lew Brady sah ihr mit hungrigen Augen nach, als Ray sie zum Lift begleitete.

 

»Was hat er gemeint, Lola?« fragte Brady, als die beiden zurückblieben. »Gordon weiß etwas! Hast du gehört? Es steht ein Fragezeichen bei meinem Namen! Das ist böse. Lola, ich habe genug von diesen Fröschen. Sie gehen mir auf die Nerven!«

 

»Du bist ein Narr«, sagte sie ruhig. »Gordon hat genau das erreicht, was er wollte, er hat dir Angst gemacht.«

 

»Angst?« antwortete Lew. »Du hast keine Angst, weil du keine Phantasie hast. Ich bin in Unruhe, weil ich einzusehen beginne, daß die Frösche zehnmal größer sind, als mir je geträumt hat! Sie haben neulich erst den Schotten Maclean getötet, sie werden sich’s nicht zweimal überlegen, bevor sie mir den Garaus machen. Ich kenne die Frösche, Lola. Sie sind imstande, jedes Verbrechen zu begehen, vom Mord angefangen! Der Frosch ist ihr Gott, ihr Idol. – Ein Fragezeichen bei meinem Namen? Ich könnte es beinahe glauben! Ich habe etwas über sie ausgeplaudert, und das werden sie mir nicht verzeihen.«

 

»Pst!« warnte sie. Schritte wurden hörbar, und Ray kam zurück.

 

»Gott sei Dank, sie ist fort! Ach, was ist das heute für ein Morgen. Ich sehe schon überall grüne Frösche, wie ein Säufer im Delirium tremens weiße Mäuse sieht.«

 

Lola öffnete ihr goldenes Zigarettenetui, entzündete eine Zigarette und löschte das Zündhölzchen mit einem Knipsen des Fingers aus. Dann wendete sie über die Schulter hin ihr schönes, weißes Gesicht Ray zu. »Was hast du gegen die Frösche?« fragte sie kühl. »Sie zahlen gut und verlangen wenig.«

 

Ray starrte sie an.

 

»Wie meinst du das?« fragte er verblüfft. »Es sind doch niedrige Vagabunden, die die Leute umbringen?«

 

Sie schüttelte den Kopf.

 

»Nicht alle«, verbesserte sie. »Das ist nur die Masse. Die großen Frösche sind schon anderer Art. Ich bin einer und Lew ist einer.«

 

»Was, zum Teufel, plapperst du da?« fragte Lew halb in Angst und halb in Zorn.

 

»Er soll es nur wissen. Früher oder später muß er es wissen«, sagte Lola unbewegt. »Er ist ein viel zu gescheiter Junge, um für ewige Zeiten an die japanische Gesandtschaft zu glauben. Warum soll er nicht wissen, daß er ein Frosch ist?«

 

Ray taumelte zurück. »Ein Frosch?« wiederholte er mechanisch.

 

Lola trat hinter seinen Stuhl.

 

»Ich kann nicht begreifen, warum es schlimmer sein soll, ein Frosch zu sein, als der Agent einer fremden Regierung, der du die Geheimnisse deines Vaterlandes verkaufst«, sagte sie. »Man hat dich aus Tausenden auserwählt, weil man die richtige Intelligenz bei dir gefunden hat. Du solltest darüber geschmeichelt und nicht entrüstet sein.« Sie streckte ihm ihre schmalen Hände entgegen, die seine Seele wie Wachs zu formen wußten, und er küßte sie.

 

»Etwas wirklich Schlechtes wird man doch von mir nicht verlangen?« fragte er zögernd. »Ich bin auch absolut nicht dazu angetan, Leute mit dem Knüppel zu erschlagen, aber du hast vielleicht recht – man kann den Frosch nicht für alles verantwortlich machen, was seine Leute anstellen. Nur in einer Sache bleibe ich fest, Lola. Ich lasse mich unter keinen Umständen tätowieren!«

 

»Du dummer Junge!« sagte sie und streckte ihren weißen Arm aus. »Bin ich denn tätowiert?« fragte sie. »Oder Lew? Die Großen werden nicht gezeichnet! Du weißt nicht, was für eine große Zukunft du hast, Lieber.«

 

Ray nahm ihre Hand und streichelte sie. »Lola – und diese Geschichte, die Gordon erzählt hat – daß du verheiratet bist, ist das wahr?«

 

Sie strich über sein Haar.

 

»Gordon ist eifersüchtig«, sagte sie. »Nein, frage nicht, ich kann dir jetzt nicht alles erzählen. Aber hat er nicht seine guten Gründe?«

 

Ihre Augen strahlten ihn an, aber als er die Arme nach ihr ausstreckte, entwand sie sich ihm.

 

»Hör zu. Ich werde jetzt um einen Tisch telefonieren, und du kommst mit uns zum Lunch. Und wir werden auf das Wohl des großen, kleinen Frosches trinken, der uns alle ernährt.«

 

Aber als Lola den Hörer abhob, sah sie ein kleines schwarzes Metallkästchen, das an der Basis des Telefons befestigt war.

 

»Ist das eine neue Erfindung?« fragte sie.

 

»Man hat es gestern angebracht«, erwiderte Ray. »Der Monteur erzählte mir, daß jemand, der während eines Gewitters telefonierte, einen schrecklichen Schlag bekommen hat, und so machen sie jetzt das Experiment mit diesen Apparaten, die sie überall anbringen. Es macht das Telefon schwerer und ist auch häßlich, aber …«

 

Lola legte den Hörer nieder und beugte sich über den Apparat.

 

»Es ist ein Diktaphon«, sagte sie. »Und die ganze Zeit, während wir gesprochen haben, hat man unser Gespräch belauschen können.«

 

Sie ging zum Kamin, holte den Schürhaken und ließ ihn mit einem Krach auf den kleinen Kasten fallen.

 

Inspektor Elk, der, die Hörer auf dem Kopf, in seinem kleinen Büro auf dem Themse-Embankment saß, legte den Bleistift mit einem Seufzer nieder. Dann nahm er seinen Hörer von der Gabel auf und rief die Polizeizentrale an.

 

»Sie können das Diktaphon bei Nummer 93718 abschrauben«, sagte er.

 

Er sammelte seine Stenogrammnotizen, ging an sein Pult und legte sie gleich neben seinem Ablöscher zurecht. Zum Fenster schlendernd, blickte er auf den sonneblitzenden Fluß hinab, und Friede und Freude wohnten in seinem Herzen.

 

In derselben Nacht hatte sich der Gefangene Mills, nachdem ihm Straflosigkeit und freie Fahrt nach Kanada zugesichert worden waren, entschlossen, ein volles Geständnis in Aussicht zu stellen. Und Mills wußte viel, weit mehr, als er bis jetzt gestanden hatte.

 

»Ich kann Ihnen eine Spur angeben, die Ihnen Nummer Sieben in die Hände liefern wird«, hatte auf einem Zettel gestanden. »Nummer Sieben!« Elk holte tief Atem. Nummer Sieben war der Angelpunkt, um den sich das Rad drehte. Elk rieb sich die Hände, denn nun schien es, daß das Geheimnis des Frosches doch gelöst werden sollte. Vielleicht würde die Spur, auch zu dem fehlenden Vertrag hinführen.

 

Bei dem Gedanken an das fehlende Dokument seufzte Elk. Zwei Minister, ein großes Staatsdepartement und unzählige Untersekretäre füllten ihre Bürozeit mit wilden Erkundigungsschreiben an die Polizeidirektion aus, die alle Lord Farmleys Verlust zum Inhalt hatten.

 

»Sie fordern Wunder!« sagte Elk. »Und ich glaube nicht, daß heutzutage noch Wunder geschehen.«

 

Er ging zum Kleiderständer, um sich zum Trost die Zigarrentasche aus seinem Rock zu holen, und seine Hand berührte dabei eine dicke Papierrolle. Er zog sie heraus und warf sie auf sein Pult. Sie entfaltete sich, und sein Blick fiel auf die ersten Worte des ersten Blattes: »Im Namen von des Königs allerhöchster Majestät …«

 

Elk wollte aufschreien, aber die Stimme versagte ihm. Er riß die Papiere vom Pult und wendete mit zitternden Händen die Blätter um. Es war der verlorene Vertrag.

 

Elk hielt das kostbare Dokument in Händen und ließ die Ereignisse der heutigen Nacht an sich vorüberziehen. Wann hatte er nur den Überrock abgelegt? Wann hatte er nur zuletzt die Hand in die Tasche gesteckt? Er hatte den Rock in die Garderobe des Herons-Klubs gegeben und konnte sich nicht entsinnen, seither in die Tasche gegriffen zu haben. Also war es doch wohl im Klub geschehen! Vielleicht war einer der Kellner der Frosch gewesen.

 

Elk setzte sich nieder, um nachzudenken. »Du lieber Gott!« sagte er.

 

Er läutete, und Balder kam herein.

 

»Balder, Sie können sich erinnern, daß ich durch Ihr Zimmer gegangen bin. Trug ich da den Rock über dem Arm?«

 

»Ich habe gar nicht darauf geachtet«, sagte Balder mit Befriedigung.

 

Balder machte stets auf Elk den Eindruck, als ob es ihm herzliche Zufriedenheit bereite, wenn er nichts gesehen hatte, wenn er nichts wußte, wenn er nicht fähig war, zu helfen.

 

»Sehr merkwürdig«, sagte Elk.

 

»Etwas nicht in Ordnung, Herr Inspektor?«

 

»Nein, nein. – Haben Sie sich gemerkt, was mit Mills zu geschehen hat? Er darf mit niemandem sprechen. Im Augenblick seiner Ankunft soll er in das Wartezimmer geführt werden und ganz allein bleiben. Es ist nicht erlaubt, mit ihm zu reden, oder, falls er selbst sprechen sollte, zu antworten.«

 

Elk prüfte seinen Fund nochmals. Es fehlte nichts, auch die Anmerkungen des Ministers waren vorhanden. Elk rief Seine Lordschaft an und erstattete seinen erfreulichen Bericht. Zehn Minuten später kam eine kleine Abteilung vom Auswärtigen Amt, um das kostbare Dokument abzuholen und Elk im Namen des Ministeriums den Dank für seine wertvollen Dienste auszudrücken.

 

Hätte Elk die Papiere nicht wieder zu finden gewußt, so hätte man ihn von ganzem Herzen verflucht, und er wäre ebenso unschuldig daran gewesen. Es blieb noch eine Stunde bis zur Ankunft Mills‘, und Elk verbrachte diese mit Hagn, der nun eine besondere Zelle, entfernt von den gewöhnlichen Haftplätzen, in der Cannon-Row-Station einnahm.

 

Hagn weigerte sich, irgendwelche Geständnisse zu machen.

 

»Sie haben keine Beweise, Elk«, sagte er. »Und Sie wissen, daß ich unschuldig bin.«

 

»Sie waren der letzte, den man in Genters Gesellschaft gesehen hat«, sagte Elk fest. »Im übrigen hat auch Mills alles verraten.

 

Ich will es Ihnen gestehen, wir haben seit heute morgen Nummer Sieben unter Schloß und Riegel.«

 

Zu seinem Erstaunen brach Hagn in helles Gelächter aus.

 

»Bluff!« sagte er. »Und ein billiger Bluff. Damit können Sie kleine Diebe täuschen, aber mir machen Sie nichts weis. Wenn Sie ›Sieben‹ gefangen hätten, würden Sie nicht so fröhlich zu mir sprechen. Gehen Sie doch und finden Sie ihn, Elk. Und wenn Sie ihn gefunden haben, dann halten Sie ihn nur ja fest. Lassen Sie ihn nicht entkommen, so wie Mills Ihnen entkommen wird.«

 

Elk kehrte von dieser Unterredung mit dem Gefühl zurück, daß vielleicht doch nicht alles ganz nach seinem Wunsch gegangen war.

 

Aber als er das Gebäude verließ, winkte er dem Oberinspektor.

 

»Ich werde Hagn heute nachmittag einen Lockvogel schicken. Stecken Sie die beiden zusammen und lassen Sie sie allein.«

 

Der Oberinspektor nickte verständnisinnig.

 

Kapitel 1

 

1

 

Das Heißwerden des Kühlers traf mit dem Platzen eines Autoreifens zusammen. Und das nächste Zusammentreffen war, daß dies alles in der Nachbarschaft des Maytree-Hauses auf der Landstraße nach Horsham geschah. Das Landhaus war größer als die meisten dieser Art. Es hatte eine holzverzierte Fassade und ein Strohdach. Richard Gordon stand vor der Gartentür still, um es zu bewundern. Das Haus stammte noch aus der Elisabethanischen Epoche. Aber sein Interesse und seine Bewunderung waren nicht nur die eines Altertumsliebhabers.

 

Nein – obgleich er Blumen als ein richtiger Blumenfreund liebte und dieser weite Garten wie ein Teppich dalag, war es doch nicht der Duft der Provencerosen, der ihn gefangennahm. Es war auch nicht das Gefühl von Gemütlichkeit und Sauberkeit, das dieser Ort ausströmte, nicht dieser gescheuerte, mit roten Ziegeln bepflasterte Weg, der zum Haus führte, nicht die schneeweißen Vorhänge hinter den bleigefaßten Fensterscheiben.

 

Es war das Mädchen im rotbezogenen Korbsessel, das seinen Blick fesselte. Sie saß inmitten einer kleinen Rasenfläche, im Schatten eines Maulbeerbaumes, die wohlgeformten jungen Glieder ausgestreckt, ein Buch in der Hand, eine große Schachtel Bonbons zur Seite. Ihr Haar hatte die Farbe alten Goldes, aber eines Goldes, das Leben und Glanz bewahrt hat. Sie zog die Beine hastig an und erhob sich.

 

»Es tut mir leid, Sie zu stören«, entschuldigte sich Dick, den Hut in der Hand. »Aber ich brauche Wasser für meinen armen Wagen.«

 

»Wenn Sie mit mir hinter das Haus kommen wollen, werde ich Ihnen den Brunnen zeigen«, antwortete sie. Die Schönheit ihrer Stimme kam ihm sogleich zum Bewußtsein. Es war ein Alt, auf den alle Adjektive angewendet werden konnten, die die Wärme, Weichheit, Klangfülle und Süßigkeit einer Stimme zu kennzeichnen vermögen. Er folgte und hätte gerne gewußt, wer sie war. Sie hatte eine kleine patronisierende Färbung in der Stimme, die er wohl verstand. Es war der Ton eines erwachsenen Mädchens einem Jüngling ihres Alters gegenüber. Dick, der dreißig Jahre alt war und mit seinem glatten Knabengesicht wie achtzehn aussah, hatte diesen »Kleinen-Jungen-Ton« schon früher gehört und war immer durch ihn belustigt worden.

 

»Hier sind die Eimer, und da ist der Brunnen«, sagte sie. »Ich würde Ihnen ein Mädchen zur Hilfe schicken, aber wir haben keins, haben nie eins gehabt und werden wohl nie eins bekommen.«

 

»Da ist aber ein armes Mädchen um einen besonders guten Posten gekommen«, sagte Dick, »denn ich finde es hier entzückend.«

 

Sie schwieg, und während sie ihm beim Füllen der Eimer zusah, hatte er den Eindruck der verschlossenen Gleichgültigkeit von ihrer Seite. Aber als er die Eimer zum Auto auf der Landstraße trug, folgte sie ihm nach. Sie ging um den großen gelben Rolls Royce herum und prüfte ihn mit Neugier.

 

»Fürchten Sie sich nicht, einen so schweren Wagen allein zu fahren?« fragte sie. »Ich würde mich zu Tode fürchten. Er ist so gewaltig und so schwer zu handhaben.«

 

Dick richtete sich auf. »Angst?« rühmte er sich lachend. »Das ist ein Wort, das ich aus dem Lexikon meiner Jugend gestrichen habe.«

 

Eine Sekunde lang war sie verwirrt, dann lachte sie wie er.

 

»Sind Sie über Welford gekommen?« fragte sie. Er nickte. »Dann haben Sie vielleicht meinen Vater auf der Straße getroffen?«

 

»Ich bin nur einem trüb dreinschauenden Herrn mittleren Alters begegnet, der einen großen braunen Kasten schleppte.«

 

»Wo sind Sie ihm begegnet?« fragte sie mit Interesse.

 

»Es war zwei Meilen von hier, vielleicht noch näher.« Und dann, als ihn Zweifel überkam, fügte er hinzu: »Ich hoffe, daß ich nicht Ihren Herrn Vater beschrieben habe?«

 

»Ich glaube schon, daß er es gewesen ist«, sagte sie ohne Verstimmung. »Papa ist ein Naturforscherfotograf. Er nimmt Filme von Vögeln und anderes auf, natürlich als Amateur.«

 

Dick trug die Eimer nach dem Ort zurück, an dem er sie gefunden hatte, und verweilte noch zögernd. Er suchte nach einer Entschuldigung für sein Bleiben und glaubte, sie in dem Garten zu finden. Wie weit er jedoch dieses Gesprächsthema hätte ausschöpfen mögen, muß bloße Vermutung bleiben, denn eine Unterbrechung des Gespräches trat in Gestalt eines jungen Mannes aus dem Haustor. Er war groß, hübsch, athletisch gebaut. Dick schätzte ihn auf zwanzig Jahre.

 

»Hallo, Ella, ist Vater zurück?« fragte er.

 

»Mein Bruder«, stellte das Mädchen vor, und Dick Gordon war sich dessen bewußt, daß er die freie und leichte Art des Bekanntwerdens seinem jugendlichen Aussehen verdankte. Als unbedeutender Junge behandelt zu werden, hatte, wie es schien, seine Vorteile. »Ich habe ihm gesagt, daß man es jungen Burschen nicht erlauben sollte, so große Wagen zu lenken«, sagte Ella. »Erinnern Sie sich noch an den gräßlichen Zusammenstoß bei der Norham-Kreuzung?«

 

Ray Bennett kicherte. »Das gehört alles mit zu eurer Verschwörung. Nur damit ich kein Motorrad bekomme! Vater glaubt nämlich, daß ich damit jemanden zu Tode fahren würde, und Ella denkt, ich würde selbst dabei verunglücken.«

 

In diesem Augenblick sah Dick den Mann, dem er auf der Landstraße begegnet war, hereinkommen. Groß, mit lockeren Gliedern, grau und hager, blickte er ihm mißtrauisch entgegen.

 

»Guten Tag«, stieß er kurz hervor. »Panne gehabt?«

 

»Nein. Ich hatte nur kein Wasser, und Fräulein –«

 

»Bennett«, sagte der Mann. »Sie hat Ihnen Wasser gegeben? Nun also, guten Morgen.« Er trat beiseite, um Gordon an sich vorüber zu lassen, aber Dick öffnete von innen her das Tor und ließ den Besitzer von Maytree-Haus hereinkommen.

 

»Mein Name ist Gordon«, sagte er. »Ich danke Ihnen noch sehr für Ihre Gastfreundschaft.«

 

Mit einem Nicken ging der alte Mann, seine schwere Last tragend, ins Haus. Und Dick wendete sich, fast verzweifelt darüber, nun gehen zu sollen, an das junge Mädchen:

 

»Sie irren, wenn Sie das Steuern des Wagens für so schwierig halten, wollen Sie es versuchen? Oder vielleicht Ihr Bruder?« Das Mädchen zögerte. Aber der junge Bennett sagte eifrig:

 

»Ich würde es sehr gerne versuchen, ich habe noch nie einen starken Wagen gefahren!«

 

Daß er ihn zu fahren vermochte, wenn die Gelegenheit sich bot, zeigte er nun. Sie sahen zu, wie der Wagen um die Ecke glitt, das Mädchen mit einer kleinen Falte zwischen den Brauen, Dick alles außer dem einen vergessend, daß er noch einige Minuten in ihrer Nähe zu bleiben vermochte.

 

»Hätten Sie ihn doch nur nicht fahren lassen«, sagte das Mädchen. »Es nützt einem Jungen, der sich immer nach etwas Besserem sehnt, nichts, wenn man ihn solch ein schönes Auto steuern läßt. – Vielleicht verstehen Sie mich nicht? Ray ist sehr ehrgeizig und träumt von Millionen. So etwas bringt ihn immer ganz außer sich.«

 

Ihr Vater kam in dem Augenblick aus dem Haus, und sein Gesicht verfinsterte sich, als er die beiden am Tor stehen sah. »Sie haben ihn den Wagen fahren lassen?« sagte er grimmig. »Es wäre mir lieber gewesen, wenn’s nicht geschehen wäre.«

 

»Es tut mir leid«, sagte Dick ruhig. »Da kommt er!« Der große Wagen kam auf sie zu und hielt vor dem Tor.

 

»Er ist wundervoll!« Ray Bennett sprang heraus und überflog den Rolls mit einem Blick, in dem Bedauern und Bewunderung sich mengten. »Mein Gott! Wenn der mir gehörte!«

 

»Er gehört dir aber nicht«, fiel ihm der Alte ins Wort. Doch dann, als würde er seine Heftigkeit bereuen: »Vielleicht wird dir eines Tages ein ganzer Wagenpark gehören, Ray!« Dick trat vor, um sich zu empfehlen. Da fragte der alte Bennett zu Dicks freudiger Überraschung: »Wollen Sie vielleicht bleiben und eine einfache Mahlzeit mit uns teilen? Dann werden Sie meinem unklugen Herrn Sohn auch erzählen können, daß ein großes Auto zu besitzen nicht immer die reinste der Freuden ist.« Dicks erster Eindruck war des Mädchens Erstaunen. Anscheinend wurde er ungewöhnlich geehrt, was ihm, nachdem John Bennett gegangen war, bestätigt wurde.

 

»Sie sind der erste Mensch, den Vater je zum Essen eingeladen hat, nicht wahr, Ray?« sagte das Mädchen.

 

Ray lächelte. »Vater hält nicht viel von Geselligkeit, das stimmt«, sagte er. »Ich bat ihn neulich, Philo Johnson zum Weekend einzuladen, aber er verwarf diese Idee, noch ehe sie geboren war. Dabei ist der alte Philosoph ein guter Kerl und der Privatsekretär des Chefs. – Sie haben doch von den ›Vereinigten Maitlands‹ gehört?«

 

Dick nickte. Der Marmorpalast auf dem Strand-Embankment, in dem der märchenhaft reiche Herr Maitland seine Büros aufgeschlagen hatte, war eines der Prunkgebäude Londons.

 

»Ich bin Börsenbeamter in seinem Büro«, sagte der junge Mann. »Und Philo könnte sehr viel für mich tun, wenn mein Vater mit seiner Einladung herausrücken wollte. So aber bin ich wohl verdammt, mein ganzes Leben lang ein kleiner Angestellter zu bleiben.«

 

Die Hand des Mädchens legte sich auf seine Lippen. »Es ist töricht, Papa zu tadeln. Und du wirst sicherlich eines schönen Tages sehr, sehr reich werden.«

 

Der junge Mann brummte unter ihrer Hand und sagte ein wenig bitter: »Papa hat ohnehin schon jedes ›Wie–werde–ich– reich‹–System erprobt, das Menschenverstand und Geist nur –«

 

»Nun? Und?« Die Stimme klang rauh und bebte vor Zorn. Niemand hatte John Bennetts Wiederkommen bemerkt. »Du leistest jede Arbeit mit Unwillen, aber ich – ich versuche seit zwanzig Jahren mich emporzuarbeiten. Es ist wahr, ich habe jeden dummen Plan erprobt – aber es ist um euretwillen geschehen…« Er stockte plötzlich, als er Gordons Verlegenheit bemerkte. »Ich habe Sie eingeladen, und nun wasche ich die schmutzige Wäsche des Hauses vor Ihnen«, sagte er mit reuigem Humor. Er nahm Dicks Arm und führte ihn den Gartenweg zwischen den üppig wuchernden Buschrosen hindurch. »Ich weiß nicht, warum ich Sie zum Bleiben eingeladen habe, junger Mann«, sagte er. »Vielleicht ein Impuls, vielleicht auch mein schlechtes Gewissen. Ich verschaffe den jungen Leuten zu Hause nicht all die Geselligkeit, die sie genießen sollten, und ich selbst bin kein besonders guter Gesellschafter für sie. Aber es ist doch zu töricht, daß Sie Zeuge des ersten Familienzankes sein mußten, den wir seit Jahren hatten.« Seine Stimme und seine Manieren waren die des gebildeten Mannes. Dick hätte von Herzen gern gewußt, welchen Beruf er hatte.

 

Während der Mahlzeit saß Ella Bennett Dick zur Linken. Sie sprach wenig, und wenn er sie verstohlen ansah, so hoffte er heimlich, es wäre um seinetwillen, daß sie so verwirrt und innerlich beschäftigt schien. Sie bediente selbst bei Tisch und hatte eben das Obst aufgetragen, als der Alte fragte: »Ich kann Sie doch nicht für so jung halten, wie Sie aussehen, Herr Gordon. Wie alt sind Sie wohl?«

 

»Ich bin schon furchtbar alt«, sagte Dick. »Einunddreißig.«

 

»Einunddreißig?« rief Ella erglühend, »und ich sprach mit Ihnen, als wären Sie ein Kind!«

 

»Denken Sie, ich sei im Grunde ein Kind«, sagte er ernst. »Obwohl ich ein Verfolger von Dieben und Mördern und schlechten Charakteren im allgemeinen bin. Ich bin Hilfsdirektor der Staatsanwaltschaft.«

 

Das Messer fiel klappernd aus Bennetts Hand, und sein Gesicht wurde weiß.

 

»Gordon! Richard Gordon«, sagte er hohl. Eine Sekunde lang trafen sich die Augen der beiden Männer.

 

»Ja, so heiß‘ ich«, sagte Gordon beherrscht, »und ich bin der Meinung, daß Sie und ich schon irgendeinmal zusammengetroffen sind!«

 

Die blassen Augen blinkten nicht. John Bennetts Gesicht war kalt wie eine Maske. »Nicht beruflich, hoffentlich«, sagte er, und es klang wie eine Herausforderung. Auf dem ganzen Rückweg nach London strengte Dick vergeblich sein Gedächtnis an, aber er konnte John Bennett von Horsham mit keinem Geschehnis in Zusammenhang bringen.

 

Kapitel 2

 

2

 

Die Vereinigten Maitlands waren aus einem kleinen Büro in verhältnismäßig kurzer Zeit zu ihren jetzigen palastähnlichen Proportionen herangewachsen. Maitland war ein Mann in vorgerückten Jahren, patriarchalisch im Aussehen und knapp in seiner Rede. Er war ohne jede Protektion nach London gekommen und war groß geworden, bevor London seiner Existenz noch gewahr wurde.

 

Dick Gordon sah den Spekulanten zum ersten Male, als er in dem marmorprunkenden Vestibül wartete. Ein Mann von mittlerer Größe, kräftig gebaut, mit einem Bart, der bis zur Brust reichte, und Augen, die fast unter den dichten weißen Brauen verborgen lagen. Mit schwerem Gang kam er langsam aus dem äußeren Büro, wo etwa zwanzig Beamte unter ihren grünen Lampenschirmen arbeiteten. Er sah weder nach rechts noch nach links, stieg in den Lift und verschwand.

 

»Das ist der Alte, haben Sie ihn schon jemals früher gesehen?« fragte Ray Bennett, der vor einem Augenblick herausgekommen war, um den Besucher zu begrüßen. »Er ist ein verehrungswürdiger alter Bursche, aber so dicht wie eine schallsichere Tür. Sie können aus ihm kein Geld herausziehen, und wenn Sie Dynamit verwendeten. Philo zahlt er ein Gehalt, das man einem durchschnittlichen Sekretär nicht einmal anzubieten wagen würde, aber Philo ist eine viel zu gutmütige Seele.«

 

Dick Gordon fühlte sich recht unbehaglich. Seine Gegenwart in Maitlands Haus war verwunderlich, seine Entschuldigung für diesen Besuch so schwach wie nur irgend möglich. Hätte er dem geschmeichelten jungen Mann, den er in den Geschäftsstunden aufstörte, die Wahrheit offenbart, so würde sie gelautet haben: »Ich habe mich närrisch in Ihre Schwester verliebt. Ich bin an Ihnen selbst nicht besonders interessiert, aber ich betrachte Sie als Bindeglied, das mir zu einer neuerlichen Begegnung verhelfen kann. Deshalb benütze ich meine Anwesenheit in der Nachbarschaft als Ausrede für diesen Besuch, und ich bin sogar bereit, Ihren Philo kennenzulernen, der mich sicher von Herzen langweilen wird!«

 

Statt all dem aber sagte er nur: »Warum nennen Sie ihn so?«

 

»Weil er ein alter Philosoph ist. Sein richtiger Name ist Philipp. Jeder Mann ist Philos Freund. Er gehört zu der Art von Menschen, mit denen man leicht gut Freund wird.«

 

Die Tür des Aufzuges öffnete sich in diesem Moment, und Dick Gordon wußte intuitiv, daß der kahlköpfige, in mittleren Jahren stehende Mann mit dem gutmütigen Gesicht, der nun heraustrat, soeben Gegenstand ihrer Diskussion gewesen war. Sein rundes fettes Antlitz wurde von einem gutmütigen Lächeln überstrahlt, als er Ray erkannte, und nachdem er ein Bündel von Dokumenten einem der Angestellten übergeben hatte, kam er zu ihnen herüber. »Das ist Gordon«, stellte Ray vor, »und das ist mein Freund Johnson.«

 

Philo ergriff warm die ausgestreckte Hand. Warm war ein Wort, das wie kein anderes Herrn Johnsons Wesen kennzeichnete. Sogar Dick Gordon, der nicht allzu schnell bereit war, sich fremden Einflüssen hinzugeben, unterlag dem unmittelbaren Eindruck seiner Freundlichkeit.

 

»Sie sind Herr Gordon von der Staatsanwaltschaft, Ray hat es mir erzählt«, sagte er. »Ich würde mich freuen, wenn Sie eines Tages herkämen, um den alten Maitland einzustecken. Er ist von allen Männern, denen ich je begegnet bin, sicherlich derjenige, den Sie am ehesten verfolgen sollten. – Ich muß jetzt gehen, er ist heute morgen in einer schrecklichen Laune. Man könnte glauben, die Frösche hüpften hinter ihm her.«

 

Mit fröhlichem Nicken eilte er in den Lift zurück. »Jetzt muß ich aber auch wieder hineingehen«, sagte Ray, und ein fast ängstlicher Blick aus seinen Augen traf Gordon. »Ich danke Ihnen, daß Sie Ihr Versprechen wahrgemacht und mich besucht haben. Ja – ich möchte gern einmal mit Ihnen zum Lunch gehen. Meine Schwester wird sicherlieh ebensogern mit dabeisein. Sie ist oft in der Stadt.«

 

Sein Abschied war hastig und ein wenig zerstreut, und Dick trat mit einem Gefühl der Beschämung auf die Straße.

 

Als er in sein Amt zurückkehrte, fand er einen verstört aussehenden Polizeichef vor, der auf ihn wartete und bei dessen Anblick Dick blinzelnd die Augen zusammenkniff. »Nun?« fragte er. »Was ist mit diesem Genter?«

 

Der Polizeichef machte eine Grimasse wie ein Kranker, der eine unangenehme Arznei herunterschlucken muß. »Sie sind mir entwischt«, sagte er. »Der Frosch kam im Auto an, und weg waren sie, bevor ich mir überhaupt klar wurde, was geschehen war. Ich bin nicht besorgt um ihn, denn Genter hat einen Revolver, und er ist ein zäher Bursche in schweren Unternehmungen, aber …«

 

Gordon blickte nach dem Mann und durch ihn hindurch. »Ich glaube, Sie hätten auf das Auto vorbereitet sein müssen«, sagte er. »Wenn Sie Genters Botschaft für wohlbegründet hielten und er den Fröschen auf der Spur war, wie Sie sagten, so hätten Sie das Auto erwarten müssen. Nehmen Sie Platz, Wellingdale.«

 

Der grauhaarige Mann gehorchte. »Ich versuche nicht, mich zu entschuldigen«, sagte er. »Die Frösche haben mich überrumpelt. Früher habe ich sie als einen Spaß betrachtet.«

 

»Es mag sein, daß wir klüger wären, wenn wir sie auch jetzt noch als einen Spaß betrachteten«, meinte Dick und, biß das Ende seiner Zigarre ab. »Sie mögen nichts sein als ein verrückter geheimer Verein. Schließlich dürfen sogar Stromer ihre Vereinslokale haben, ihre Losungsworte, Griffe und Zeichen.«

 

Wellingdale schüttelte den Kopf. »Sie kommen über das Fazit der letzten sieben Jahre nicht hinweg«, sagte er. »Es ist nicht nur die Tatsache, daß jeder zweite Straßenräuber, den wir einfingen, den Frosch auf das Handgelenk tätowiert hatte, das mag bloße Nachahmung sein, und auf jeden Fall haben alle Gauner von niedriger Mentalität Tätowierungszeichen. Aber in diesen sieben Jahren hatten wir eine Serie der unangenehmsten Verbrechen. Zuerst den Angriff auf den Chargé d’affaires von der Gesandtschaft der Vereinigten Staaten, den sie im Hyde-Park niederschlugen. Dann den Fall des Präsidenten der Northern Trading Co., der mit einer Keule getötet wurde, als er aus seinem Auto in Park-Lane ausstieg. Dann das große Feuer, das Rohgummi im Werte von vier Millionen Pfund in Rauch aufgehen ließ. Es war sicherlich das Werk von etwa einem Dutzend Bomben, denn die Lagerhäuser bestanden aus sechs großen Wagenschuppen, und jeder einzelne wurde gleichzeitig an beiden Enden angezündet. Wir fingen zwei Leute aus der Gummiaffäre. Beide waren Frösche, beide trugen das Totem ihres Stammes. Sie waren Ex-Sträflinge, und einer von ihnen gab zu, daß er Instruktionen gehabt hätte, um diese Arbeit auszuführen, aber er nahm seine Worte am nächsten Tag sogleich wieder zurück. Ich habe nie einen geängstigteren Mann gesehen als ihn. Ich könnte Ihnen noch Dutzende von Fällen anführen. Sie wissen, daß Genter jetzt seit zwei Jahren auf ihrer Spur ist. Aber was er in diesen zwei Jahren hat erdulden müssen, das wissen auch Sie nicht. Er hat im Lande herumvagabundiert, hat hinter Hekken geschlafen, hat sich mit jeder Art von Landstreichern befreundet und hat mit ihnen gestohlen und geraubt. Als er mir schrieb, daß er mit der Organisation in Verbindung getreten sei und eingeweiht zu werden hoffe, dachte ich, er wäre jetzt nahe daran, sie zu haben. Aber der heutige Morgen hat mich ganz krank gemacht.«

 

Dick Gordon öffnete eine Schublade seines Pultes, entnahm ihr eine Ledermappe und wendete die Blätter um, die sie enthielt. Er studierte sie sorgfältig, als sähe er sie zum ersten Male. In Wahrheit hatte er diese Gefangenenprotokolle durch Jahre hindurch fast Tag um Tag geprüft. Es waren Handgelenksfotografien vieler Männer. Er schloß nachdenklich die Ledermappe und legte sie in die Schublade zurück. Ein paar Minuten lang saß er still und trommelte mit den Fingern auf den Rand seines Schreibtisches. Ein Schatten zog über seine Stirn. »Der Frosch ist immer auf das linke Handgelenk tätowiert, immer ein wenig schief, und immer ist ein kleiner Punkt darunter gesetzt«, sagte er. »Scheint Ihnen das irgendwie bemerkenswert?« Aber der Polizeichef fand keineswegs etwas Merkwürdiges daran.

 

Kapitel 11

 

11

 

Dick Gordon und sein Assistent erreichten Wandsworth zehn Minuten, nachdem ihnen die Neuigkeit zugekommen war, und fanden das Wrack eines Polizeiautos von einer großen Menschenmenge umgeben, die von Polizei in Schach gehalten wurde.

 

Litnows Leichnam war nach dem Gefangenenhaus überführt worden, wohin man auch einen seiner Angreifer gebracht hatte, einen Mann, der von einer Abteilung von Gefängniswärtern festgenommen worden war, als sie gerade von ihrer Mittagspause zurückkehrte. Eine kurze Untersuchung des Toten sagte Dick nicht mehr, als er ohnehin wußte. Das Herz war durchschossen, und der Tod mußte sofort eingetreten sein.

 

Der neue Gefangene, der gebracht wurde, war ein Mann von ungefähr dreißig Jahren und gebildeter als der Durchschnitt der Frösche. Es wurden keine Waffen bei ihm gefunden, und er beteuerte, an dem Komplott in keiner Weise beteiligt gewesen zu sein. Er behauptete, er sei ein arbeitsloser Beamter, der gerade über die Wiese schlenderte, als das Scharmützel begann. Er sei unschuldig arretiert worden, während er den Mörder verfolgte.

 

»Frosch, du bist ein toter Mann!« sagte Elk mit seiner tiefsten Grabesstimme und sah ihn über den Stahlrand seiner Brille hinweg an. »Wo hast du gewohnt, als du noch am Leben warst?« Der Gefangene gestand, daß er im Norden Londons zu Hause sei. »Nord-Londoner kommen nicht nach Wandsworth, um auf der Gemeindewiese spazierenzugehen«, sagte Elk.

 

Er hatte eine kurze Unterredung mit dem Obergefangenenaufseher und führte den Arrestanten in den Hofraum hinunter.

 

Elk blickte um sich. Der Hof war ein kleines, steingepflastertes Viereck, von hohen verblaßten Mauern umgeben. In einer Ecke stand ein kleiner Schuppen mit grauen Schiebetüren.

 

»Komm hier herein!« sagte Elk. Er nahm den Schlüssel, den der Oberaufseher ihm gegeben hatte, schloß die Türen auf und schob sie auseinander. Man sah in ein reines kahles Gelaß mit weißgestrichenen Wänden. Quer über die Decke liefen zwei starke Balken, und zwischen denselben drei stählerne Stangen hin. Der Gefangene runzelte die Stirn, als Elk zu einem langen Stahlhebel trat.

 

»Gib acht, Frosch!« sagte er und zog an dem Hebel. Die Mitte des Bodens öffnete sich mit einem Krach, und man sah in eine tiefe, mit Ziegeln ausgelegte Grube hinab.

 

»Sieh dir die Falltür an. Siehst du das T, das mit Kreide gezeichnet ist? Dort muß der Mann seine Füße hinstellen, wenn der Henker ihm die Beine zusammenbindet. Das Seil hängt von dem Balken dort herunter.«

 

Des Mannes Gesicht wurde fahl, und er schreckte zurück. »Sie können mich nicht hängen«, keuchte er. »Ich habe nichts getan!«

 

»Sie haben einen Menschen getötet«, sagte Elk, trat hinaus und versperrte die Tür hinter ihnen. »Sie sind der einzige, den wir gefangen haben, und Sie werden für die übrige Bande büßen müssen.«

 

Der Gefangene hob seine zitternde Hand zu den Lippen. »Ich werde Ihnen alles sagen, was ich weiß«, sagte er heiser.

 

Eine Stunde später fuhr Dick mit beträchtlichen Informationen bereichert in die Polizeidirektion zurück. Seine erste Tat war, nach Joshua Broad zu schicken, und der Vagabund kam fröhlich und zum Reden aufgelegt herauf.

 

»Nun, Herr Broad, lassen Sie uns Ihre Geschichte hören«, sagte Dick und hieß den andern Platz nehmen.

 

»Viel ist ja nicht zu vermelden«, meinte Broad. »Seit einer Woche bin ich mit den Fröschen näher bekannt. Ich hielt es für höchst unwahrscheinlich, daß sie sich untereinander nicht kennen sollen und blieb gleich an dem ersten hängen, den ich fand. Ich traf ihn in einem Logierhaus in Deptford. Ich hörte heute, daß ein höchst eiliger Aufruf für ein großes Unternehmen ergangen sei, und schloß mich an. Auf dem Weg nach Scotland Yard hat man mir erzählt, daß eine Gruppe beordert worden sei, Litnow, der nach Wandsworth fuhr, abzupassen.«

 

»Haben Sie einen von den Großen gesehen?« Broad schüttelte den Kopf.

 

»Sie haben alle gleich ausgesehen. Aber es waren unzweifelhaft zwei oder drei von den Hauptanführern mit im Dienst. Ich habe nie daran geglaubt, daß man Litnow retten würde. Die Frösche wußten, daß er alles gestanden hatte, und er mußte büßen. Das heißt – sie haben ihn ja wohl umgebracht?«

 

»Ja«, nickte Dick. »Aber sagen Sie mir – warum nehmen Sie selber solch ein Interesse an den Fröschen?«

 

»Bloß aus reiner Abenteuerlust«, antwortete Broad. »Ich bin ein reicher Mann, habe nichts zu tun und interessiere mich unendlich für Kriminalfälle. Vor ein paar Jahren hörte ich zum ersten Male von den Fröschen, sie reizten meine Phantasie, und damals nahm ich mir vor, ihnen auf die Spur zu kommen.«

 

»Ich möchte nur noch wissen, wieso es geschah, daß Sie ein reicher Mann wurden?« fragte Dick. »Im vorletzten Kriegsjahr sind Sie mit einem Viehtransport nach England gekommen und hatten ungefähr zwanzig Dollar in der Tasche. Sie selbst haben es Elk erzählt, daß Sie auf diese Weise ankamen, und haben damit die Wahrheit gesprochen. Ich interessiere mich fast ebenso für Sie, wie Sie sich für die Frösche interessieren. Und ich habe einige Erkundigungen eingezogen. Sie kamen 1917 nach England und verließen Ihr Schiff. Im Mai 1917 verhandelten Sie wegen des Kaufes einer alten baufälligen Bude in‘ der Nähe von Hampshire. Dort wohnten Sie, indem Sie die elende Hütte zusammenflickten, und lebten, soviel ich erforschen konnte, von den paar Dollars, die Sie mitgebracht hatten. Plötzlich waren Sie verschwunden und sind erst in Paris am Weihnachtsabend desselben Jahres wieder aufgetaucht. Sie waren es anscheinend, der eine Familie gerettet hat, die anläßlich eines Luftangriffes in ihrem Haus verschüttet wurde, und Ihr Name wurde von der Polizei notiert, damit Ihnen eine Belohnung ausgezahlt werden konnte. Der französische Polizeibericht besagt, daß Sie ziemlich ärmlich gekleidet waren. Man hielt Sie für einen Deserteur der amerikanischen Armee. Aber im Februar wohnten Sie in Monte Carlo, eine Menge Geld in der Tasche und mit exquisiter Garderobe wohl versorgt.«

 

Joshua Broad blieb während dieses Vortrages unbeweglich. Nur der Schein eines Lächelns zeigte sich in seinen unrasierten Mundwinkeln.

 

»Aber, Herr Hauptmann, in Monte Carlo muß man Geld besitzen!«

 

»Wenn man es hingebracht hat«, sagte Dick und fuhr fort: »Ich meine ja nicht, daß Sie das Geld anders als ehrlich erworben hätten. Ich stelle bloß fest, daß Ihr persönlicher Aufstieg von Armut zum Reichtum, gelinde gesagt, sehr merkwürdig war.«

 

»Das war er auch«, pflichtete der Amerikaner bei. »Und dem Anschein nach ist meine Veränderung vom Reichtum zur Armut ebenso plötzlich wie merkwürdig.«

 

»Sie meinen, daß, wenn es für Sie möglich ist, sich jetzt zu maskieren, es auch damals für Sie möglich war und Sie im Jahre 1917, obgleich anscheinend mittellos, ebensowohl ein reicher Mann gewesen sein können?«

 

»Das stimmt«, sagte Joshua Broad.

 

»Ich würde vorziehen, daß Sie das respektablere Selbst blieben. Ich liebe es nicht, einem Amerikaner sagen zu müssen, daß ich ihn des Landes verweise, denn das klingt, als ob es eine Strafe wäre, in die Vereinigten Staaten zurückzukehren.«

 

Joshua Broad erhob sich. »Das, Herr Hauptmann Gordon, ist ein Wink mit einem zu dicken Zaunpfahl und eine zu liebenswürdige Drohung. Von nun an wird Joshua Broad wieder ein ehrbares Mitglied der Gesellschaft werden. Das einzige, worum ich Sie bitte, ist, daß Sie die Polizei nicht anweisen, meine Erlaubnisscheine zurückzuziehen.«

 

»Erlaubnisscheine?« fragte Dick.

 

»Ja, ich führe zwei Revolver mit mir, und die Zeit ist nahe, wo auch diese beiden nicht genügen werden«, sagte Joshua Broad.

 

Kapitel 12

 

12

 

Es fand ein Konzert in Queens Hall statt, und die Verlockung, den großen Violinspieler zu hören, war so stark, daß selbst in diesen Sommertagen der riesige Zuschauerraum überfüllt war.

 

Es fiel Dick Gordon mitten in seiner dringenden Abendarbeit ein, daß auch er längst eine Karte bestellt hatte. Er fühlte sich übermüdet, von den rätselhaften Ereignissen genarrt und fast hoffnungslos, sie zu lösen. Ein Brief von Lord Farmley, der heute angekommen war, forderte schleunige Anstalten, um den verlorenen Handelsvertrag wiederzuerlangen. Es war ein Brief, wie ihn ein schwer überarbeiteter Mann schreiben mochte, ohne sich darüber Rechenschaft abzulegen, daß er damit seine eigene Panik auf den Empfänger übertrug, den er doch keinesfalls zu überstürzten Maßnahmen verleiten durfte. Dick entschloß sich, alle Sorgen zur Seite zu werfen und das Konzert zu besuchen. Er rief seine Garage an, ließ aber statt seines eigenen einen geschlossenen Mietwagen vorfahren und war nach zehn Minuten einer von den zweitausend Bezauberten, die dem Spiel des Meisters lauschten. In der Pause schlenderte er ins Foyer, und die erste Person, die er traf, war ein Zentralpolizeibeamter, der seinen Blick vermied. Ein zweiter Geheimdetektiv stand auf der Treppe, die zur Bar führte. Ein dritter rauchte seine Zigarette auf den Stufen vor der Halle. Das Glockenzeichen ertönte, und Dick wollte eben die halbgerauchte Zigarette fortwerfen, als eine prachtvolle Limousine vorfuhr und ein diskret livrierter Lakai absprang, um die Tür zu öffnen. Ein einzelner Herr stieg aus, und Dick erkannte ihn sogleich. Es war Ezra Maitland.

 

»Heiliger Moses!« murmelte jemand hinter ihm, und als Dick den Kopf wendete, sah er Elk in dem einzigen alten Frack, den dieser je im Leben besessen hatte, hinter sich stehen. Sie waren beide von fassungslosem Erstaunen gelähmt. Denn nicht nur, daß Herr Maitland gleich einem regierenden Monarchen vorfuhr, mit silbernen Beschlägen, mit lackiertem Kupee und livrierter Dienerschaft, der alte Mann trug auch einen vorbildlichen Frack, gebaut nach den Gesetzen der allerletzten Mode. Sein Bart war um ein paar Zoll gekürzt, und über seine fleckenlose weiße Weste spannte sich eine schwere goldene Kette. Im Revers seines Abendmantels steckte eine Kamelie, und es war der glänzendste aller Zylinder der Welt, den er trug, der eleganteste Stock aus Ebenholz und Elfenbein, auf den er sich beim Gehen stützte.

 

Die Vision des Glanzes zog an ihnen vorbei durch die Halle.

 

»Er ist verrückt geworden!« flüsterte Elk hohl. Von seinem Platz aus konnte Dick den Millionär beobachten. Er saß während des zweiten Teiles des Programms mit geschlossenen Augen da. Nach jedem Stück applaudierte er mit seinen riesigen, weißbehandschuhten Händen. Dick war dessen sicher, daß er schlief und erst das Klatschen ihn erweckte. Einmal entdeckte er, wie der alte Mann ein Gähnen unterdrückte. Es war im zweiten Satz von Elgars Violinkonzert, das durch seine wundervolle Wiedergabe alle Zuhörer im Bann hielt.

 

»Das ist der reiche Maitland!« hörte Dick einen Herrn sagen.

 

»Er hat jetzt das Haus des Prinzen von Caux in Berkeley Square gekauft.«

 

Elk kam mit noch andern Neuigkeiten zurück.

 

»Was halten Sie vom Musikverständnis des alten Maitland, Hauptmann Gordon? Nun, er hat im voraus Plätze für jedes große Konzert der nächsten Saison bestellt. Sein Sekretär kam heute nachmittag mit diesem Auftrag her. Der war auch nicht wenig verdutzt darüber, und er sollte einen Tisch für heute abend im Herons-Klub bestellen.«

 

Elks Gesicht war während seines ganzen Berichtes todernst geblieben. Er winkte einen seiner Begleiter heran.

 

»Wie viele Leute brauchen Sie, um den Herons-Klub zu besetzen?«

 

»Sechs«, war die prompte Antwort. »Zehn, um ihn auszuheben und zwanzig, wenn es schlimm zugeht.«

 

»Nehmen Sie dreißig«, sagte Elk.

 

Der Klub sah von außen völlig unscheinbar aus, aber befand man sich einmal hinter seinen geschlossenen Türen und zugezogenen Vorhängen, so vergaß man das ärmliche und düstere Aussehen. Ein luxuriöser Gang, mit dicken Teppichen bedeckt und mild erleuchtet, führte nach dem Tanzsaal und Restaurant. Dick wartete auf die Ankunft des Direktors und bewunderte, in der Tür stehend, den Reichtum des Saales. Die Tische standen in einem länglichen Viereck auf dem polierten Parkett, von einer Galerie kamen die Klänge eines Negerorchesters, und innerhalb des ausgesparten Raumes tanzte ein Dutzend Paare und bewegte sich nach dem schnellen, aufpeitschenden Rhythmus der Stakkatomelodie.

 

»Vergoldetes Laster!« brummte Elk verächtlich. »Ich möchte wissen, was man hier die Frechheit hat für ein Essen zu verlangen. Da ist ja unser Methusalem.«

 

Methusalem saß am besten Tisch des Saales. Sein kahler Schädel leuchtete im Licht des Kristallüsters, und in seinem Schatten verschmolz sein Patriarchenbart mit der schneeigen Hemdbrust, so daß Dick ihn einen Moment lang nicht erkannte. Vor ihm stand ein großes, mit Bier gefülltes Glas.

 

»Er trinkt! Er ist immerhin menschlich«, sagt Elk.

 

Hagn kam heran, freundlich lächelnd, in dem Bestreben, ihnen gefällig zu sein. »Das ist ein unerwartetes Vergnügen, Herr Hauptmann«, sagte er. »Sie wünschen, daß ich Sie hereinlasse? Aber, meine Herren, das ist doch gar nicht nötig. Jeder Polizeioffizier von Rang ist Ehrenmitglied meines Klubs.«

 

Er ging geschäftig voran, führte sie zwischen den Tischen durch und fand eine leere Loge. Es gab Zecher, deren Mienen sich bei der Ankunft der neuen Gäste umwölkten. Einer zumindest stahl sich hinaus und ward nicht wieder gesehen.

 

»Wir haben heute abend sehr feine Gäste«, sagte Hagn und rieb sich die Hände. »Hier ist Lord und Lady Belfin, dieser Herr mit dem Bart ist der reiche Maitland, und sein Sekretär ist ebenfalls hier.«

 

»Johnson?« fragte Dick überrascht. »Wo sitzt er?«

 

Da bemerkte er auch schon den rundlichen Philosophen. Er saß in einer entfernten Ecke und sah in seinem altmodischen Frack entsetzlich ungeschickt und unglücklich aus. Wie er so auf der Kante seines Sessels saß, machte er ein feierliches und erschrockenes Gesicht und hielt die Hände auf dem Tisch gefaltet.

 

»Gehen Sie hinüber und holen Sie ihn her«, flüsterte Dick Elk zu. Elk marschierte durch das Wirbeln der Tänzerpaare und erreichte Herrn Johnson, der ihn erlöst ansah und ihm so kräftig die Hand schüttelte, als hätte Elk ihn von einer verlassenen Insel errettet.

 

»Es war lieb von Ihnen, mich herüberzuholen«, sagte Johnson, als er Dick begrüßte. »Ich fühle mich hier so gar nicht am Platze. Es ist mein erster und mein letzter Besuch.« Und er blickte nach einer kleinen Gesellschaft in der gegenüberliegenden Loge. Gordon war ihrer schon beim Eintritt gewahr geworden. Da waren Ray, in seiner üppigsten Laune, Lola Bassano, herrlich und exzentrisch gekleidet, und der massive Expreisboxer Lew Brady. Johnson wies mit den Blicken nach dem alten Maitland.

 

»Ist das nicht ein Wunder?« fragte er mit Flüsterstimme. »In einem einzigen Tag hat er seine Lebensweise geändert. Kauft ein Haus in Berkeley Square, beruft eine Armee von Schneidern, schickt mich aus, um Theaterplätze zu bestellen, kauft Juwelen! Ich verstehe nicht«, gestand er kopfschüttelnd. »Besonders, weil er im Büro ganz unverändert ist. Dort ist er noch immer derselbe alte Geizhals. Er wollte, daß ich auch seine Privatunternehmungen führen sollte, aber ich schlug es aus. Was mich ängstigt, ist nur, daß er mich auch an die Luft setzen kann, wenn ich nicht einwillige. Er ist in dieser Woche recht unverdaulich gewesen. – Ob Ray ihn wohl gesehen hat?«

 

Ray hatte seinen früheren Chef noch nicht bemerkt. Er war zu sehr von der Freude erfüllt, in solch eleganter Umgebung mit Lola zusammenzusein, um ein Interesse an irgend etwas außer sich selbst und dem unmittelbaren Objekt seiner Zärtlichkeit zu nehmen.

 

»Du machst dich lächerlich, Ray, halb Scotland Yard ist hier und beobachtet dich«, warnte Lola.

 

Er blickte um sich und schien zum ersten Male zu bemerken, daß sie nicht allein waren. Ihm gegenüber saß Dick, der ihn ernsthaft betrachtete, und dieser Anblick und das Bewußtsein des Beobachtetwerdens machten ihn irrsinnig vor Zorn.

 

Er sprang auf, lief über das Parkett hin, stieß mit den tanzenden Paaren zusammen und stolperte mehrmals, bis er vor Dick stand.

 

»Suchen Sie mich?« fragte er laut. »Brauchen Sie mich vielleicht?«

 

Dick schüttelte den Kopf.

 

»Sie verfluchter Polizeispitzel, hetzen Sie Ihre Bluthunde auf mich?« tobte der Jüngling blaß vor Wut. »Johnson, was machen denn Sie bei der Bande? Sind Sie vielleicht auch Polizeispion geworden?«

 

»Aber lieber Ray«, murmelte Johnson.

 

»Lieber Ray!« spottete der andere. »Sie sind ja eifersüchtig, Sie armer Hund! Eifersüchtig, weil ich aus den Klauen Ihres Blutsaugers entkommen bin! Aber Sie . . .!« Er fuchtelte mit geballter Faust vor Dicks Gesicht umher. »Sie werden mich in Ruhe lassen, Sie! Suchen Sie sich eine andere Beschäftigung, als meiner Schwester Geschichten über mich zu erzählen!«

 

»Ich glaube, Sie sollten lieber zu Ihren Freunden zurückkehren«, sagte Dick, »oder besser noch, Sie gehen nach Hause.«

 

All dies hatte sich während einer Tanzpause abgespielt, jetzt fiel das Orchester von neuem ein. Aber die Anteilnahme des überfüllten Klubsaales verringerte sich keineswegs, obwohl Rays hohe Stimme die Trommeln nicht zu übertönen vermochte.

 

Dick war dessen sicher, daß der Direktor oder einer der Diener des Klubs sogleich intervenieren würde. Der Oberkellner kam auch sofort herbei, um Ray zurückzudrängen. An allen Tischen war man aufgestanden und sah mit langgestreckten Hälsen nach dem zornigen jungen Mann, der sich wütend gegen die beschwichtigenden Kellner wehrte.

 

So sah niemand den Fremden, der eine ganze Weile die Vorgänge beobachtet hatte, bevor er, die Zuschauer beiseite schiebend, in die Mitte des Saales kam. Der grauhaarige Mann stach in seinem abgetragenen Tweedanzug auffallend von der elegant gekleideten Menge ab. Er stand, die Hände auf dem Rücken, mit leichenblassem, ernstem Gesicht da und betrachtete Ray, der im Augenblick fast nüchtern wurde, als er seinen Vater erkannte.

 

»Ich muß dich sprechen, Ray«, sagte John Bennett einfach. Sie standen allein inmitten eines großen Zuschauerkreises, der vor ihnen zurückgewichen war. Die Musik wurde abgebrochen, als habe der Dirigent ein Zeichen empfangen.

 

»Komm mit mir nach Horsham, Junge.«

 

»Ich geh‘ nicht!« sagte Ray störrisch.

 

»Gehen Sie mit Ihrem Vater, Ray.« Johnson legte die Hand eine Sekunde lang auf des jungen Mannes Schulter. Ray schüttelte ihn ab.

 

»Ich bleibe hier!« sagte er, und seine Stimme klang laut und trotzig. »Du hast kein Recht, hierherzukommen, Vater, und mich lächerlich zu machen.« Er blitzte seinen Vater zornig an. »Du hast mich in all diesen Jahren niedergehalten und mir das Geld verweigert, um das ich dich bat. Und jetzt erlaubst du dir, darüber entsetzt zu sein, daß ich mich in einem anständigen Klub befinde und anständig gekleidet bin. Mit mir ist alles in Ordnung. Kannst du das auch von dir sagen? Und selbst wenn nicht alles bei mir in Ordnung wäre, könntest du mich dann tadeln?«

 

»Komm fort von hier.« John Bennetts Stimme klang heiser.

 

»Ich bleibe!« sagte Ray heftig. »Und.in Zukunft wirst du mich in Frieden lassen. Der Bruch hat einmal kommen müssen, und es ist gut, daß er gekommen ist.«

 

Vater und Sohn standen einander gegenüber, und in John Bennetts müden Augen lag ein Blick grenzenloser Trauer.

 

»Komm mit mir«, sagte er bittend.

 

Da sah Ray Lolas Gesicht, sah das unterdrückte Lächeln um ihre Lippen, und seine verletzte Eitelkeit machte ihn rasend.

 

Mit einem Wutschrei brach er los. Der Schlag, der den alten Bennett traf, ließ ihn wanken, aber er fiel nicht. Er sah seinen Sohn lange an, dann senkte er den Kopf und ließ sich wortlos von Dick hinwegführen.

 

Ray Bennett stand vor Schrecken gelähmt da, sprachlos.

 

Die Musik begann schmetternd, dudelnd, quietschend von neuem, und Lew Brady holte Ray an den Tisch zurück, wo er reglos, den Kopf in die Hand gestützt und vor sich hinstarrend, sitzen blieb.

 

Lola bestellte Champagner.