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Elk wurde um die Mittagsstunde dringend nach Fitzroy Square Nummer 431 gerufen.

 

Es hatte ein Einbruch in Herrn Johnsons Wohnung stattgefunden, und als der Philosoph den Eindringling überraschte, war er mit einem schweren Gegenstand über den Kopf geschlagen worden, so daß er bewußtlos zusammengesunken war.

 

Als Elk ankam, war der Philosoph schon verbunden und saß bleich und zitternd auf seinem Sofa.

 

Das Haus wimmelte von Polizisten, und auf der Straße hatte sich eine erregte Menschenmenge angesammelt.

 

»Er hat Ihnen einen ganz schönen Hieb versetzt«, sagte Elk anerkennend. »Aber ich zweifle daran, daß es der Frosch selbst gewesen ist, obgleich Sie sagen, daß er sich dafür ausgegeben hat. Denn der Frosch hat, soweit ich mich erinnern kann, niemals irgendeinen Überfall selbst ausgeführt.«

 

Elk untersuchte die Wohnung auf das genaueste, und als er in das Schlafzimmer kam, fand er in der Nähe des offenen Fensters einen Gepäckschein. Es war ein grüner Zettel, der die Aufbewahrung einer Handtasche bestätigte. Und er war von der Endstation der Nordbahn ausgestellt.

 

Elk hielt das Papier ans Licht und prüfte den Datumsstempel.

 

Das Gepäckstück war vor vierzehn Tagen hinterlegt worden. Elk legte den Schein vorsichtig und zärtlich in seine Brieftasche.

 

Was den Überfall für Elk bemerkenswert machte, war, daß der Mann, der ihn ausgeführt hatte, sich für den Frosch ausgegeben haben sollte.

 

Elk begriff die Organisation gut genug, um zu wissen, daß keiner der untergeordneten Sklaven des Frosches es gewagt haben würde, dessen Namen zu mißbrauchen.

 

Elk begriff nicht, warum der Frosch gerade Johnson seiner persönlichen Anwesenheit für würdig gehalten haben sollte.

 

»Und Sie meinen, daß es der Frosch selber gewesen ist?« fragte er skeptisch.

 

»Es war entweder der Frosch selbst oder einer seiner vertrauten Gesandten«, sagte Johnson. »Sehen Sie her.«

 

In der Mitte eines rosafarbenen Löschblattes sah Elk das gestempelte Zeichen des unausbleiblichen Frosches.

 

Es erschien auch auf dem Türpaneel.

 

»Das war als Warnung gemeint, nicht wahr?« sagte Johnson. »Nun, ich hatte Zeit, mich an diese Warnung zu gewöhnen, bevor ich meinen Teil bekam.«

 

»Es gibt ärgere Dinge als den Knüppel«, sagte Elk fröhlich. »Vermissen Sie irgend etwas?«

 

Johnson schüttelte den Kopf. »Nein, nichts!«

 

»Haben Sie vielleicht irgendwelche Privatpapiere von Maitland hierhergebracht, die Sie ihm wiederzugeben vergaßen?« fragte Elk nachdenklich.

 

»Die Formulierung Ihrer Frage ist sehr liebenswürdig«, sagte Johnson lächelnd und mit seinen Augen zwinkernd. »Es gibt hier nicht ein einziges Dokument von geringstem Wert. Ich war allerdings früher daran gewöhnt, mir Arbeit von Maitlands Büro nach Hause zu nehmen und habe oft bis Mitternacht darüber gesessen. Das ist auch der Grund, warum meine Verabschiedung mir als ein solcher Beweis von Undankbarkeit erscheint. Aber wenn Sie wollen, können Sie den Inhalt meiner sämtlichen Schränke, Schubladen und Kasten durchsuchen, ich kann Ihnen versichern, daß ich ein reichlich pedantischer Mann bin und tatsächlich jedes Papier kenne, das sich bei mir befindet.«

 

Auf dem Nachhauseweg überdachte Elk die ganze Angelegenheit in allen ihren überraschenden Erscheinungen. Er war in Wahrheit froh, daß ein neues Problem ihn von dem Gedanken an die ihm bevorstehende Untersuchung ablenkte.

 

Hauptmann Gordon würde sicherlich alle Verantwortung dem Präsidium gegenüber auf sich nehmen, aber dem Kriminalpolizisten kamen »die Leute dort oben« ebenso furchtbar vor wie der Frosch selber.

 

Elk beabsichtigte, den Bahnhof von Kings Gross zeitig zu besuchen, um den Inhalt der deponierten Reisetasche zu prüfen, aber als er am nächsten Morgen erwachte, war er einzig von der kommenden Untersuchung erfüllt.

 

Obgleich er den Einbruch bei Johnson sorgfältig in sein Rapportbuch eintrug und den grünen Gepäckschein in seinen Safe versperrte, war er viel zu beschäftigt, um sofortige Nachforschungen anzustellen. Dick stellte sich zur Untersuchung ein, und Elk gab ihm eine kurze Skizze von dem Einbruch in Fitzroy Square. Und dann holte Elk den grünen Schein heraus.

 

»Der Schein ist an irgend etwas anderes angeheftet gewesen«, sagte Dick, der den Zettel gegen das Fenster gehalten hatte. »Hier ist der ganz frische Abdruck einer Papierklammer. Vielleicht kann das irgendwie zur Information beitragen.«

 

»Ach, ich fürchte, daß die Leute da oben uns jetzt die Hölle heiß machen werden«, sagte Elk seufzend.

 

»Machen Sie sich keine Sorgen darüber«, tröstete Dick. »Unsere Freunde dort oben sind so froh über die Auffindung des Vertrages, daß sie uns nicht allzusehr mit Hagn quälen werden.«

 

Es war dies eine bemerkenswerte Prophezeiung, die sich in ebenso bemerkenswerter Weise erfüllte.

 

Als Elk zu den Großen hereingerufen wurde, zu all diesen Polizeichefs und Räten, die um den grünen Untersuchungstisch herumsaßen, fand er zu seiner freudigen Überraschung, daß die Haltung seiner Vorgesetzten eher freundliches Interesse als kalte Mißbilligung verriet.

 

»Unter gewöhnlichen Umständen wäre das Entweichen Hagns der Anlaß gewesen, strenge Maßregeln gegen die verantwortlichen Stellen zu erlassen«, sagte der Polizeipräsident. »Aber in diesem besonderen Fall möchte ich keinen Tadel aussprechen. Die Wahrheit ist, daß die Frösche ungeheuer mächtig sind.«

 

Nicht alle Mitglieder der Untersuchungskommission waren so freundlich gesinnt wie der Polizeipräsident.

 

»Es ist Tatsache«, sagte ein weißhaariger Polizeirat, »daß im Zeitraum einer einzigen Woche zwei Gefangene unter den Augen der Polizei getötet würden und – ebenfalls vor den Augen der Polizei – ein Gefangener aus dem Gewahrsam entfloh! Das ist sehr schlimm, Hauptmann Gordon! Sehr schlimm!« Er schüttelte den Kopf.

 

»Vielleicht würden Sie, Herr Polizeirat, selber sich mit der Untersuchung befassen wollen«, sagte Dick. »Es handelt sich hier nicht um einen gewöhnlichen, unscheinbaren Verbrechertyp, und das hohe Präsidium wird wohl in diesem Falle eine, das gewöhnliche Maß übersteigende Geduld üben müssen. Aber ich kenne jetzt den Frosch«, sagte er einfach.

 

»Sie kennen ihn? Wer ist es?« fragte der Präsident ungläubig.

 

»Obgleich es ganz leicht für mich wäre, noch heute morgen einen Haftbefehl gegen ihn zu erlassen, so ist es doch keine so leichte Sache, einen überzeugenden Schuldbeweis zu scharfen. Ich muß noch um eine Spanne Zeit bitten!«

 

Als Gordon und Elk in ihr Büro zurückgekehrt waren, sagte Elk geheimnisvoll flüsternd: »Wenn das ein Bluff gewesen ist, so war es 4er schönste, den ich je gehört habe!«

 

»Es war kein Bluff«, sagte Dick ruhig.

 

»Also wer, um Himmels willen, wer ist es?«

 

Dick schüttelte den Kopf. »Ich möchte Sie bitten, sich jetzt über den Gepäckschein zu informieren«, sagte er mit Würde.

 

Elk hastete verstört nach dem Bahnhof. Er wies den grünen Schein vor, bezahlte die Extragebühr für die abgelaufene Aufbewahrungsfrist, und es wurde ihm eine braune Ledertasche durch den Beamten ausgehändigt.

 

»Nun, mein Sohn«, sagte Elk, indem er sich zu erkennen gab, »vielleicht können Sie mir jetzt sagen, ob Sie sich erinnern können, wer diese Handtasche gebracht hat?«

 

Der Beamte grinste. »So ein gutes Gedächtnis habe ich leider nicht«, sagte er.

 

»Da sympathisiere ich ganz mit Ihnen«, sagte Elk. »Aber wenn Sie versuchen würden, sich daran zu erinnern, könnten Sie vielleicht doch einige wichtige Aussagen machen. Gesichter sind doch schließlich keine Jahreszahlen.«

 

Der Beamte blätterte in seinem Buch.

 

»Stimmt, an dem Tage hatte ich Dienst. Aber wir bekommen so viel Gepäck herein, daß es mir unmöglich ist, mich an eine bestimmte Person zu erinnern. Ich weiß nur eins, daß ich mich erinnern würde, wenn diese Person etwas Merkwürdiges an sich gehabt hätte.«

 

»So. Sie glauben also, daß der, der das abgegeben hat, ganz gewöhnlich aussah? – War es vielleicht ein Amerikaner?«

 

Der Beamte dachte wieder nach. »Nein, das glaube ich nicht«, sagte er. »Wir haben schon seit Wochen keine Amerikaner hier gehabt.«

 

Elk trug die Handtasche in das Amt des Bahnhofspolizeiinspektors und öffnete sie mit Hilfe eines Dietrichs.

 

Der Inhalt war ganz ungewöhnlich. Ein kompletter Anzug, Hemd, Kragen und Krawatte. Ein funkelnagelneues Rasierzeug. Eine kleine Flasche Annatto – ein Färbemittel. Ein Paß auf den Namen »John Henry Smith« lautend, aber ohne Fotografie, eine Browningpistole mit gefülltem Magazin, ein Kuvert mit fünftausend Franc und fünf Einhundert-Dollar-Scheinen. Die Kleider trugen keine Marke, der Browning war belgisches Fabrikat, und der Paß mochte falsch sein, aber zumindest das Formular, auf dem er ausgestellt war, war zweifellos echt. Eine spätere Nachfrage beim Auswärtigen Amt ergab, daß er nicht amtlich ausgestellt war.

 

Elk beschaute die Gegenstände, die auf dem Schreibtisch des Inspektors in langer Reihe ausgebreitet waren.

 

»Das ist die wunderschönste Reiseausstattung, die ich je gesehen habe«, meinte der Bahnhofsinspektor. »Die schönste Ausstattung, um durchzubrennen.«

 

»Das ist auch meine Meinung«, sagte Elk. »Und wissen Sie, ich möchte wetten, daß eine gleiche Handtasche auf jeder Endstation von London zu finden ist. Ich werde die Sachen auf die Polizeidirektion bringen. Vielleicht wird der Mann zu Ihnen kommen, um nach der Tasche zu fragen, aber ich halte das für höchst unwahrscheinlich.«

 

Elk trat aus dem Büro des Inspektors.

 

Einer der Nordexpreßzüge war gerade mit zweistündiger Verspätung eingetroffen. Elk stand zerstreut und müßig da und beobachtete die Reisenden, die sich vor den Schranken stauten.

 

Und als er eine Weile so dagestanden hatte, bemerkte er ein bekanntes Gesicht. Da er aber völlig in andere Gedanken versunken war, erkannte er den Betreffenden erst, als dieser schon den Ausgang erreicht hatte.

 

Es war John Bennett. ELk schlenderte durch die Schranken zu dem Stationsbeamten.

 

»Woher kommt der Zug?«

 

»Aus Aberdeen, Herr.«

 

»Letzter Aufenthalt?« fragte Elk.

 

»Letzter Aufenthalt in Doncaster«, antwortete der Beamte.

 

Während sie sprachen, sah Elk zu seinem Erstaunen Bennett zurückkehren. Er arbeitete sich eilig durch den entgegendrängenden Strom der Reisenden durch, die eben die Schranken passiert hatten. Augenscheinlich hatte er etwas vergessen.

 

Als Bennett wieder erschien, trug er den gewohnten, schweren braunen Kasten, und Elk erkannte die Filmkamera, das Steckenpferd des seltsamen Mannes, durch das er seinen Verdienst zu erwerben suchte.

 

»Sonderbarer Kauz!« sagte Elk zu sich selber, rief einen Wagen an und brachte seinen Fund in die Polizeidirektion. Er schickte nach zweien seiner besten Leute.

 

»Die Aufbewahrungsräume jedes Bahnhofs in London sollen nach Handgepäck von dieser Art untersucht werden«, sagte er, indem er die Tasche vorwies. »Alle Stücke sind wahrscheinlich schon wochenlang eingelagert. Stellen Sie die gewöhnlichen Fragen nach dem Mann, der die Sachen hinterlegt hat und, um ganz sicher zu gehen, öffnen Sie auf der Stelle jede der Taschen. Wenn Sie ein vollständiges Rasierzeug, einen Paß und Geld vorfinden, so bringen Sie sie nach Scotland Yard.«

 

Dick bewunderte die Organisation, als Elk ihm seinen Fund zeigte.

 

»Er hat dafür gesorgt, sich zu jeder Tages- und Nachtzeit in Sicherheit bringen zu können«, sagte Elk. »Bei jeder Endstation hätte er Geld, andere Kleider, den nötigen Paß, um ins Ausland zu fahren, Annatto, um Gesicht und Hände zu färben, gefunden, und brauchte nur seine eigene Fotografie mitzuhaben. – Übrigens, wissen Sie, daß ich John Bennett getroffen habe?«

 

»Wo? Auf dem Bahnhof?« fragte Dick.

 

Elk nickte. »Er kam aus dem Norden, aus einer der fünf Städte – Aberdeen, Arbroarth, Edinburgh, York oder Doncaster. Er hat mich nicht gesehen, und ich habe mich auch nicht vorgedrängt. Geben Sie mir Antwort, Herr Hauptmann, was halten Sie von dem Mann? Ist er vielleicht Ihr Frosch?« forderte ihn Elk heraus.

 

Aber Dick Gordon lächelte nur. »Sie können sich eine Menge Arbeit ersparen, wenn Sie sich den Gedanken aus dem Kopf schlagen wollten.«

 

»Das weiß ich ohnehin«, murmelte Elk. »Dieser John Bennett ist mir ein Rätsel. Wenn er wirklich der Frosch ist, so hat er doch gestern abend nicht in Johnsons Wohnzimmer sein können.«

 

»Außer, falls er mit einem Motorrad nach Doncaster gefahren wäre, um sich ein Alibi zu verschärfen«, sagte Dick lächelnd, und nach einer Pause fuhr er fort: »Ich bin wirklich neugierig, ob die Polizei von Doncaster unsere Direktion anrufen wird, oder ob sie sich auf ihr eigenes Nachrichtendepartement verläßt?«

 

»Nachrichten? Worüber denn?« fragte Elk überrascht.

 

»Mabberley Hall, das außerhalb Doncaster liegt, wurde ge stern von Einbrechern ausgeraubt«, sagte Dick, »und Lady Fitz Hermans Brillantendiadem wurde gestohlen. Das unterstützt Ihre Theorie wohl so ziemlich, Elk, was?«