Poesie & Aufführungen

Aurelius Augustinus – Bekenntnisse

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Aurelius Augustinus

Bekenntnisse

(Confessiones)

Erstes Buch

Mit meinem frühsten Freunde, meinem Hort,

Darf ich noch reden von der Kindheit Tagen,

Ihn traulich mahnen an die kleinen Plagen;

Er war mein sanfter Morgenstern ja dort.

Früh führten mich die Menschen von ihm fort,

Doch muß ich mich, wie sie vor ihm verklagen;

Nach eitlen Spielen mochten wir nur fragen,

Der kleine Thor hing an der großen Wort.

Da uns des Stolzes Hülle dicht umnachtet,

In hohler Weisheit suchten wir den Preis,

Um den wir schnöde deinen Ruhm verachtet.

Du aber kamst geheimnisvoll und leis,

Und heiltest den, der an sich selbst vermachtet,

Der nichts mehr jetzt als deine Gnade weiß.

I.

Groß bist du Herr und hoch zu loben, groß ist die Fülle deiner Kraft und unermeßlich sind die Spuren deiner Weisheit. Und preisen will dich der Mensch, ein Theilchen deiner Schöpfung, der Mensch, sich tragend mit seiner Sterblichkeit, die das Zeugnis seiner Sünde über ihn ablegt, ein Zeugnis, daß du den Stolzen widerstehst. Auch ein solcher Mensch will dich preisen, will dich preisen, eben weil auch er ein Theilchen deiner Schöpfung ist. Du reizest zur Freude an deinem Lobe, weil du für dich uns erschufest und weil unser Herz ruhelos bleibt, so lang es nicht ruhet in dir. So gib denn, Herr, mir zu erkennen, was eher ist: dich anrufen oder dich preisen, dich erkennen oder dich anrufen. Wer vermöchte dich anrufen, ohne daß er dich erkennete? Kann er ja Eines statt des Andern anrufen, so lang er dich nicht erkennt. Oder wirst du zuvor angerufen, damit du erkannt werdest? Aber wie wollen sie den anrufen, an den sie nicht zuvor glaubten und wie wollen sie glauben ohne Prediger? Ja, loben werden den Herrn die nach ihm fragen, denn die ihn suchen werden ihn finden und die ihn fanden ihn loben. Ich will dich suchen, Herr, da ich zu dir rufe und will zu dir rufen, da ich dich glaube, denn du bist uns verkündigt. So ruft denn zu dir mein Glauben, mir von dir gegeben, den du mir einhauchtest durch die Menschwerbung deines Sohnes, durch den Dienst deines Predigers.

II.

Wie soll ich meinen Gott anrufen, meinen Gott und Herrn? Ich rufe ihn ja in mich selbst, so oft ich ihn anrufe. Und welches ist die Stätte in mir, wo Gott in mich eingeht, wo der Gott eingeht, der Himmel und Erde schuf? Herr, mein Gott, so ist in mir etwas, das dich faßt! Fraßen dich denn Himmel und Erde, die du schufst, in denen du mich erschufst? Oder faßt dich darum Alles, was da ist, weil ohne dich nicht wäre. Was da ist? Weil denn auch ich bin, was flehe ich zu dir, daß du in mich kommest, der ich nicht wäre, wenn du nicht in mir wärest? Noch lebe ich, noch sank ich nicht hinab in die Schattenwelt; und doch auch dort bist du, wenn ich hinabsteige in des Todtenreiches Tiefen. Ich wäre gar nicht, mein Gott, wäre niemals und nirgends, wenn du nicht in mir wärest. So wäre ich denn gar nicht, wenn ich nicht wäre in dir, von dem Alles, in dem Alles, durch den Alles ist? Auch so, mein Herr denn, auch so! Wohin soll ich dich rufen, der ich in dir bin? Von wannen ist dein Kommen in mich? Wohinaus soll ich dringen aus Himmel und Erde, daß von dorther mein Gott in mich eingehe, der Sprach: ich erfülle Himmel und Erde? (Jerem. 23, 24.)

III.

So fassen denn dich Himmel und Erde. Weil du sie erfüllst? Oder erfüllst? Oder erfüllst du sie und bleibt noch, das sie überragt, während sie dich nicht erfassen? Und wohin ergießest du den Ueberfluß, nachdem Himmel und Erde von dir sind? Ist dir nicht Noth, gehalten zu werden irgendwo, der du Alles hältst, weil du erfüllst, nur erfüllst, indem du es begreifst in dir? Denn die Gefäße, voll von dir, halten dich nicht fest; wirst ja du nicht ausgeschüttet, wenn sie zerbrechen. Und wenn du dich über uns ausschüttest, so liegst du nicht nieder in uns, du richtest uns auf, wirst nicht zerstreut, du sammelst uns. Aber der du alles erfüllst, erfüllst du auch Alles mit deinem ganzen Wesen? Oder weil nicht Jegliches dein ganzes Wesen fassen kann, faßt es einen Theil von dir, und faßt alles zugleich denselben Theil von dir? Faßt das Einzelne nur einzelne, das Große größere, das Kleine kleinere Theile? Ist damit ein Theil von dir größer und ein Theil von dir kleiner? Bist du der Ganze im Ganzen nur, und faßt dich kein einzelnes Wesen in deiner Fülle?

IV.

Mein Gott, was bist du? Was frage ich? Wer als mein Herr! Denn wer ist Herr außer dem Herrn, und wer ist Gott außer unserm Gott! Du Höchster, Bester Mächtiger, Allvermögender! Du Erbarmungsvoller und Allgerechter, Verborgenster und Allgegenwärtiger, voll Schönheit und voll Stärke! Der du fest stehst und doch nicht zu fassen bist; selber wandellos, Alles wandelst, niemals neu wirst und niemals alt, der du Alles erneuest und die Uebermüthigen hinhalten läßest und vergehen, ohne daß sie darauf merken! Du, immer thatenreich und immer ruhevoll, der sammelt und doch nichts bedarf, der trägt, erfüllt da nichts dir abgeht, liebest ohne aufzuwallen, eiferst ohne daß es dich anficht! Dich schmerzt deine Rene nicht; du zürnst und bleibst die Milde, wandelst deine Werke, und dein Rathschluß bleibt unwandelbar! Auf nimmst du, was du findest, und hast es doch nie verloren; bedarfst nichts, und freuest dich des Gewonnenen; nie habsüchtig treibst du dir Zinsen ein! Dir wird dargeliehen, daß du zum Schuldner werdest, und wer hat etwas, das nicht dein wäre? Schuld entrichtest du, die du Keinem schuldest; erläßest Schuld und verlierst nichts. – Wie vermögen wir dich auszusprechen, o du mein Gott und mein Leben, meine Süße, heilige Wonne! Was weiß der Mensch zu reden, wenn er redet von dir? Der Beredten Mund verstummt vor dir, aber webe denen, die von dir schweigen!

V.

Wer wird mir verleihen, in dir zu ruhen, wer wird mir helfen, daß du in mein Herz kommest und es beseligend sättigest, bis ich vergeße alle meine Schmerzen, und dich umfange, mein einziges Gut? Was bist du mir? Sieh mich erbarmend an, daß ich wage zu reden. Und was bin ich dir, daß du gebeutst von mir geliebt zu werden, und wenn ich’s nicht thue, mir zürnst und unermeßliches Elend drohst? O, ist denn das Elend klein, dich nicht zu lieben? Weh mir! Herr, mein Gott, bei deiner reichen Erbarmung verkünd’ es mir, verkünd’ es mir, was du mir bist! Meiner Seele sage: Ich bin Heil (Psalm 35, 5). So sprich du, daß ich vermöge zu hören. Siehe, meines Herzens Ohren sind vor dir, schließ sie auf und sprich zu meiner Seele: Ich bin dein Heil! Eilen will ich dieser Stimme nach und dich ergreifen. Verbirg dein Angesicht nicht vor mir; streben will ich, um nie zu sterben, damit ich diese sehe! Will ersterben der Welt und mir, damit ich zu leben beginne meine todesfreie Ewigkeit, bis ich in dir lebe und du in mir! Aber eng ist meiner Seele Haus. Wie wirst du einziehen? Mach’ es weit! Es ist hinfällig, bau’ es neu. Ja, in ihm ist, was deine Augen beleidigt; ich bekenne es, denn ich weiß es; wer kann es reinigen? Wen kann ich rufen, außer dir! Reinige mich von den verborgenen Fehlern und bewahre deine Knecht vor den Fremden. Ich glaube, darum rede ich. Herr, du weißest es; habe ich ja dir meine Schuld bekannt und mich vor dir verklagt, vergabest du mir doch die Sünde meiner Seele! Denn nimmer will ich mit dir rechten, der du die Wahrheit bist, will mich selbst nicht betrügen, damit meine Sünde nicht sich selbst belüge; nein, ich will nicht rechten mit dir; denn wer kann bestehen, wenn du die Sünden zurechnest!

VI.

Doch laß mich reden um deiner Erbarmung willen, reden laß mich, den Staub und die Asche. Denn siehe, ich rede zu deiner Erbarmung, rede nicht zu einem Menschen, der meiner spottet. Doch auch du findest mich wohl des Hohnes werth, aber du wendest es und erbarmst dich mein. Und was ist es denn, das ich sagen mag o Herr, mein Gott? Nichts anderes, als daß ich nicht weiß, von wannen ich hieher gekommen, ich weiß nicht soll ich sagen in dieß todbringende Leben oder in diesen lebenbringenden Tod. Aber empfangen haben mich die Tröstungen deiner Erbarmungen, wie ich vernahm von den Eltern meines Fleisches, vom Vater aus dem, und von der Mutter in der du mich gebildet in der Zeit, denn ich selbst weiß nicht davon. Dann stillte mich mild die Milch des Menschen. Meine Mutter nicht, noch meine Ammen füllten sich die spendende Brust, durch sie reichtest du mir die kindliche Nahrung, nach dem Reichthum der lenkenden Weisheit, den du austheilst bis an den kleinen Anfang deiner Erschaffenen. Auch gabst du mir ein, nicht mehr zu wollen als du gabst, und den Ernährerinnen, mir willig zu geben, was du ihnen gabst. Der Liebe Trieb war ja von dir, mit dem sie mir darboten was sie in Fülle von dir hatten; denn gut däuchte ihnen, was ich Gutes aus ihnen empfing, und das war aus ihnen nicht, nur durch sie; aus dir Gott fließt alles Gute und aus meinem Gott kommt mir alles Heil. Wohl erkannte ich das erst in den folgenden Zeiten, wo du an dich mich mahntest und zu dir mich ludest durch Alles, was du mittheilst an innern und an äußern Gaben. Denn damals vermochte ich nichts, als mich zu nähren an der Menschenbrust, zu ruhen im Behagen, zu meinen im Schmerz meines Fleisches. Hierauf begann ich zu lächeln, zuerst im Schlafe, dann im Wachen. Doch siehe allmählich empfand ich, wo ich war, wollte jetzt meine Wünsche denen kund thun, durch die sie sollten erfüllt werden, und vermochte es nicht; denn was ich wünschte, war in mir; die es erfüllen sollten, waren außer mir, und konnten mit keinem ihrer Sinne in meine Seele bringen. Nun erhob ich die Stimme und bewegte die Glieder, um sie, wie wenig ich es auch vermochte, zu Zeichen meiner Wünsche zu machen, aber sie waren nicht bezeichnend. Als man mir nicht zu Willen war, weil man mich nicht verstund, oder weil mir schädlich war was ich begehrte, da ward ich zornig auf die großen Leute, die sich mir nicht unterwarfen, und auf die von mir Unabhängigen, die mir nicht dienen wollten, und rächte mich an ihnen durch Geschrei. Das sah ich an andern Kindern, und die sagten mir deutlicher, als es meine Ernährer mir erzählten, daß auch ich ein solches Kind gewesen. Aber siehe, meine Kindheit ist längst gestorben und ich lebe. Du aber, Gott, der du immer lebst und in dem nichts stirbst, weil du vor der Zeiten Beginn und vor Allem bist, was vordem war, du bist der Gott und Herr von Allem, was du schufest; bei dir bleiben die beständigen Ursachen aller unbeständigen Dinge, die unwandelbaren Ursprüngliche aller wandelbaren Wesen und die ewigen Grundgedanken aller vernunftlosen und vergänglichen. So vertrau es denn mir, deinem Flehenden, vertrau es barmherzig deinem Erbarmenswerthen, ob meine Kindheit gefolgt sei einem ihr schon vorangeschiedenen Leben, oder ob dieß vorangegangene kein anderes war, als das ich zubrachte in meiner Mutter Leibe. War etwas auch vor diesem, du meine Süße Wonne, mein Gott? War ich irgendwo und war ich? Ich habe nicht, der mir es fragte; weder Vater noch Mutter, noch den Versuch Anderer, noch mein Gedächtnis. Aber du lächelst wohl mein, indem ich dieß frage, du gebietest mir, dich über dem zu loben und das zu bekennen, was ich weiß. So will ich dich bekennen, Herr des Himmels und der Erde, will dir danken für meinen Ursprung und für mein Kindesleben, ob ich mich ihrer auch nicht entsinne; denn von Andern sollen wir ihrer auch nicht entsinne; denn von Andern sollen wir in diesen Dingen auf uns selber schließen, sollen den Frauen viel glauben, was sie uns von uns selbst erzählen. Schon damals war ich und suchte nach Zeichen für meine Anliegen und Wünsche. Woher solch ein Lebendiges, als von dir! Denn wo wäre der Künstler, der sich selbst erschaffen hätte? Oder wo ist der Quell, aus dem unser Wesen strömt und seine bewegte Lebendigkeit, als in der Herr, der du uns schufest, in welchem des Daseins ewiger Grund und ausströmendes Leben dasselbe sind, weil du selber bist das tiefste Ursein und die höchste Lebensfülle. Der Höchste bist du und der Unveränderliche, in dir vergeht der heutige Tag nicht und doch vergebt er dir, denn in dir ist alles Leben, das durch die Zeiten fluthet, du läßest es an dir vorübergehen und hältst es doch in deiner mächtigen Hand. Vor dir ist nichts als Gegenwart, weil deine Jahre nicht vergehen. Doch wie viele von unsern Tagen und von den Tagen unsrer Väter sind durch diesen Heutetag deiner ewigen Gegenwart gegangen und haben von dir ihr zugemeßens Theil empfangen, und wie viele werden es noch empfangen! Du aber bist immer derselbe, wirst zum Heute machen alles Morgende uns Alles, was nach diesem folgt, wie du zum Heute gemacht alles Vergangene und längst Vergangene. Wie soll mich bekümmern, was Niemand begreifst? Nein, freuen will ich mich, wenn ich bekenne: das ist mir zu hoch! Und es beglückte mich mehr dich demuthvoll durch Nichtfinden zu finden, als dich übermüthig durch Finden nicht zu finden, du unergründlicher Freudenquell.

VII.

Erhör uns Gott, erbarm dich unser! Weh über unsere Sünden! So ruft der Mensch und du erbarmst dich sein, weil du ihn und nicht die Sünde in ihm schufest. Wer bringt meiner Kindheit Sünden vor mein Gedächtniß? Denn vor dir ist Niemand rein von Sünden, selbst das Kind nicht, dessen Leben nur einen Tag gewährt. Daran mahnt mich jeder dieser Kleinen, an dem ich das sehe, des ich aus meiner Kindheit mich nicht mehr erinnern kann. War es Sünde, daß ich damals auch so ungebärdig nach der Brust begehrte? Verlangte ich so noch jetzt nach meiner Nahrung, mit vollem Rechte würde ich verlacht und getadelt. So verübte ich schon damals Tadelnswerthes, und nur, weil ich den Tadler nicht verstehen konnte, verboten Vernunft und Sitte den Tadel. Zwar legen wir derlei ab, wenn wir älter werden, aber das eben beweist, daß es nichts Gutes war; denn wo man ein Gefäß reinigt, da wirst kein Verständiger weg, denn wo man ein Gefäß reinigt, da wirft kein Verständiger weg, was es Gutes enthält. Nicht gut, fürwahr, war es für jene Zeit, mit Schreien selbst das Schädliche zu verlangen, und denen ungestüm zu zürnen, die unser Verlangen nicht befriedigen, an denen, die über uns stunden, an den Zeugern unseres Lebens selbst, die zudem noch die Klügeren waren, gierig und stößig, verletzen wollend, aufzufahren, weil sie einer Gewaltthätigkeit nicht gehorchten, der sie nur zu des Kindes Schaden gehorcht hätten. Dabei war es Höchstens die Schwachheit der Kindesglieder, was die Sünde nicht gelingen ließ; nicht aber war schuldlos selbst die Kindesseele. Sah ich doch selbst einst einen hadernden Kleinen, der noch nicht einmal zu sprechen vermochte, und doch mit zorngelber, bitterer Miene auf seinen Milchbruder schaute. Die Mütter und Ammen sagen freilich, das mache sich, ich weiß nicht durch was, schon beßer; wenn es nicht gar für schuldlos gehalten wird, an dem reichlich strömenden Nahrungsquell den Mitgenoßen nicht zu dulden, der von der gleichen Nahrung nur am leben erhalten wird. – Aber man erträgt es liebkosend, nicht weil es unbedeutend ist, sondern weil man weiß, es werde mit den Jahren vergehen, in welchen es nicht mehr zu ertragen wäre. Du Herr, mein Gott, hast das Leben dem Kinde gegeben, hast seinen Leib gerüstet mit Sinnen; ihm die Glieder; ihm die Glieder geordnet und schön gebildet; hast ihm der Erhaltung und Unverletztheit Triebe alle ins Herz gepflanzt, und du willst, daß ich lobsinge dafür deinem heiligen Namen. Denn der allmächtige, gütige Gott wärest du, wenn du auch so viel nur an mir erschaffen hättest, das kein Anderer schaffen kann, als du allein, der Alles ordnet. Der Schönste bist du, der du Alles formst und ordnest. Zwar mag ich dieß Kindesalter kaum zu dem Leben rechnen, das ich jetzt durchlebe; mir fehlt sein Gedächtniß, ich glaube nur was mir Andere davon sagten und was ich darüber nur was mir Andere davon sagten und was ich darüber aus der Betrachtung anderer Kinder mit großer Zuverläßigkeit ist es dem gleich, das ich verlebte in meiner Mutter Leibe. Doch wenn ich in Sünden empfangen ward, wenn mich in Sünden schon die Mutter nährte in ihrem Leib, wo, ach, wo mein Gott, und wann, o Herr, war ich, dein Knecht, von Sünden rein! Ich laße jene Zeit nun, von der mir keine Spur geblieben.

VIII.

Aus der Kinderzeit kam ich in’s Knabenalter, oder vielmehr, es kam in mich, auf meine Kindheit folgend; denn diese gieng nicht, wo sollte sie auch hingehen? Und dennoch war sie nicht mehr. Jetzt war ich kein sprachloses Kind mehr, ich war ein gesprächiger Knabe. Das weiß ich noch, und woher ich sprechen lernte, habe ich nachher beobachtet. Aeltere Menschen lehrten mich nicht, theilten mir nicht die Worte mit nach festem Lehrplan, wie bald darauf, als sie mich lesen lehrten, sondern mit dem Verstand, den du mir gegeben, suchte ich damals durch Seufzer und andere Laute, sowie durch mein Gebärdenspiel was mein Herz bewegte und verlangte zu offenbaren. Da ich aber nicht Alles, was ich wollte, vermochte, noch es bei Allen vermochte, so sprach ich meinem Gedächtnisse das Wort vor, mit dem sie einen Gegenstand benannten. Und wenn sie dazu noch sich nach hinwendeten, so merkte ich, das müßte der Gegenstand sein, den sie genannten hatten. Aus ihren Gebärden offenbarte sich das, was sie wollten, denn sie sind die gemeinsame Natursprache aller Völker, wo Miene und Blicke, der Glieder Bewegung und der Stimme Ton es aussprechen was die Seele wünscht und begehrt, verweigert und flieht. So machte ich mir allmählich die Worte eigen, die ich oft genug am rechten Ort aus ihren Aussprüchen vernahm und sprach meine Willensmeinung mit dem Munde aus, den ich nach den vernommen Bezeichnungen zu Rechte stellte. Endlich lernte ich mit den Meinen des Gesprächs pflegen und schritt weiter hinein in die stürmische Geselligkeit des Menschenlebens, noch abhängig vom elterlichen Ansehen und vom Erwachsenen.

IX.

Herr mein Gott, welche Noth ich erfuhr und welche Plagen, da mir als Knaben schon aufgegeben wurde, recht zu leben, das ist, den Ermahnen zu gehorchen, um in der Zeit empor zu kommen und mich in den Künsten der Beredtsamkeit auszuzeichnen, die ja sowohl Ehre vor den Menschen, als trügliche Reichthümer uns bereiten. Hierauf gab man mich in die Schule, um mich die Wißenschaften zu lehren, deren Nutzen ich Unglückskind nicht einsah, während ich doch Schläge bekam, wenn ich träge war im Lernen. So gefiel es den Aeltern; und Viele, die vor uns diese Lebensart erwähnt hatten, bereiteten uns den mühevollen Weg, auf dem wir gehen mußten, in der vermehrten Pein und Mühsal der Söhne Adams. Aber du, Herr, ließest uns auch Menschen finden, die dich anbeteten, und von ihnen lernten wir, so weit wir vermochten, deine Größe fühlen, mit der du auch uns erhören und helfen könntest, ob du gleich unsern Augen nicht erschienest. Daher flehte ich stammelnd zu dir, meiner Hilfe und Zuflucht, so klein ich war, mir nicht kleiner Inbrunst, du mögest mich in der Schule vor Schlägen bewahren. Und da du mich nicht erhörtest, damit mich die scharfe Zucht weiser mache, lachten ältere Menschen, die Aeltern selbst, die doch nie bekam, was mir zum großen und schweren Leiden wurde. Lacht darüber nicht nur die fühllose Thorheit, Herr? Ist Jemand so stark genug, so mächtig fromm dir anhangend, daß er das Folterbrett und die Marterkralle und wie die Folterwerkzeuge sonst heißen, für nichts achten obwohl alle Welt in großer Furcht bittet von ihnen verschont zu werden und daß er verlacht, die sich vor ihnen fürchten, gleichwie Eltern der Marterwerkzeuge lachten, mit welchen die Knaben von ihren Lehrern gestäupt wurden? Wie aber fürchteten sie fürwahr nicht weniger, und flehten nicht mit minderer Angst zu dir um ihre Abwendung. Freilich sündigten wir dadurch, daß wir weniger schrieben, lasen und durchdachten, als es uns aufgegeben worden war. Gedächtniß und Gaben fehlten uns nach dem Maß unserer Alters nicht, aber das Spiel ergötzte uns, und die zerstreuende Lust an ihm wurde von denen an uns abgestraft, die selbst das Gleiche trieben. Aber die Spielereien der Erwachsenen nennt man Geschäfte und wenn die Knaben dasselbe thun, werden sie von den großen Leuten bestraft; bedauert wird keiner, weder sie von den großen Leuten bestraft; bedauert wird keiner, weder der Kleine, noch der Große. Jedermann billigte die Streiche, die ich bekam, weil ich gerne Ball spielte und dadurch am Erlernen jener Kenntnisse gehindert wurde, mit welchen ich in späteren Jahren noch häßlicher spielen sollte, wie es mein Lehrer that; denn er, der mich schlug, wurde mehr von Neid und Galle gequält, wenn ein Gelehrter in einer Streitfrage überwand, als ich es wurde, wenn mich mein Spielgeselle im Ballspiel übertraf.

X.

Und doch habe ich gesündigt, mein Herr und Gott, du Lenker und Schöpfer aller Dinge, aber der Sünde Lenker nur. Gesündigt habe ich gegen die Gebote der Eltern und der Lehrer, denn in der Folgezeichen hätte ich die Kenntnisse zum Guten zu verwenden vermocht, die ich nach dem Willen der Meinen gern oder ungern lernen sollte. Nicht durch die Wahl von etwas Beßerem wurde ich ungehorsam, sondern durch die Liebe zu Spielereien. Im Streit gefiel mir der stolze Sieg, erdichteten Märchen lieh ich die immer lüsterner werdenden Ohren und dieselbe Neugier leuchtete aus meinen Augen mehr und mehr nach den Schauspielen und Festen der Alten. Die Geber solcher Spiele erlangen einen Glanz, den fast alle Eltern ihren Kinder wünschen. Und doch laßen sie sie gerne züchtigen, wenn sie solche Schauspiele vom Lernen abhalten, während sie die Kinder nur dazu lernen laßen, daß diese einst in den Stand gesetzt werden, selbst solche Spiele zu geben. Sieh du erbarmend darein, o Herr, und befreie uns, die wir dich schon anrufen; befreie auch, die dich noch nicht anrufen, auf daß sie dich anrufen und du sie befreiest!

XI.

Schon als Knabe vernahm ich von dem ewigen Leben, das uns verheißen ist durch die Demuth unsers Herrn, der sich zu unserm Stolze niederließ. Ich wurde mit dem Zeichen seines Kreuzes bezeichnet, wurde mit seinem Salze geheiligt, seit ich aus meiner Mutter Leibe kam, die so viel auf dich hoffte. Du sahest es, Herr, wie ich schon als Knabe, von Magenkrampf und Fieberglut ergriffen wurde, die mich dem Tode nahe brachten; du sahest es, mein Gott, der du schon damals mein Hüter warst, mit welcher Seelenbewegung, mit welchem Glauben ich die Taufe deines Gesalbten, meines Gottes und Herrn, von der Treue meiner Mutter und von deiner Kirche verlangte, die unser Aller Mutter ist. Da wurde auch meines Leibes Mutter tief erschüttert, weil sie mein ewiges Seelenheil noch liebevoller unter dem reinen, dir vertrauenden Herzen trug. Sie eilte, dafür zu sorgen, daß ich durch die Sakramente des Heils aufgenommen und gereinigt werde, und dich, o Jesu, zur Versöhnung meiner Schuld bekenne. Aber plötzlich genas ich. Darum wurde meine Taufe aufgeschoben, als müßte ich noch, wenn ich am Leben erhalten würde, befleckt werden; vielleicht auch, weil meine Schuld in sündiger Befleckung nach der Taufe noch größer und gefahrvoller geworden wäre. So glaubten schon damals ich, die Mutter und mein ganzes Haus, nur allein mein Vater nicht, der aber, selbst noch nicht an Christus glaubend, der Muttertreue heiliges Recht an mein Seelenheil nicht beugen konnte. Denn gewissenhaft schärfte sie mir ein, du, o Gott, seiest mein Vater vor jenem; und du halfest ihr, daß sie auch hierin den Gatten übertraf, dem sie als die Bessere diente, weil sie auch hier dir diente, wie du es wolltest. Ich bitte dich Herr, laß mich wissen wenn du willst, aus welcher Absicht ich damals mit meiner Taufe hingehalten wurde und ob mir dadurch zu meinem Besten der Sünde Zügel gelockert wurden oder nicht. Von so Vielen hören wir das entschuldigende Wort: »Laß ihn, er mag thun, was er will, ist er ja noch nicht getauft!« Und doch sagen wir vom Körper nicht zu seinem Besten: »Laß ihn noch weiter verwunden, ist er ja noch nicht geheilt!« O, um wie viel beßer wäre es gewesen, wenn ich bald geheilt, wenn durch meinen und durch der Meinen Eifer meiner Seele Heil in deinen Schutz aufgenommen und behütet worden wäre von dir! Beßer gewis! Aber schon wußte jene Mutter, wie große Versuchungen nach meinem Knabenalter auf mich fluthen würden, und lieber wollte sie ihnen mein irdischen Theil überlaßen, in dem ich später umgewandelt wurde, als Gottes Bild in mir.

XII.

Wohl fürchtete man von meiner Knabenzeit weniger für mich als von meinen Jünglingsjahren, und doch schon in ihr liebte ich den Unterricht nicht und wurde nur mit Widerwillen dazu genöthigt, doch wurde ichs und mir widerfuhr Gutes, aber ich that nicht gut, denn ungezwungen hätte ich nicht gelernt. Niemand aber thut wider Willen wohl, wenn, was er thut, auch etwas Gutes ist. Auch thaten die nicht Gutes, die mich zwangen; das Gute kam von dir allein, mein Gott! Denn Jene sahen nicht ein, zu was ich lernen mußte, es wäre denn zur Sättigung unersättlicher Begierden, überflußvollen Mangels und schmachreichen Ruhmes. Du aber, von dem die Haare meines Hauptes gezählt sind, verwandeltest den Irrthum meiner Lehrer zu meinem Nutzen und meine Lernscheue zu meiner Bestrafung, deren ich würdig war, ein so kleiner Knabe und so großer Sünder. So thatest du Gutes mir durch diejenigen, die mir nicht Gutes thaten, und durch mich, den Sünder selbst, gabst du mir gerechte Vergeltung. Denn du hast es verordnet, und es ist so, daß jede unordentliche Seele sich selbst ihre Strafe ist.

XIII.

Warum aber war mir die griechische Sprache zuwider, in der ich als Knäblein unterrichtet wurde? Noch jetzt begreif ichs nicht. Die lateinischen Schriften aber liebte ich, nicht aber wie sie mich die Lehrer ihrer Anfangsgründe lehrten, sondern wie sie die mir beibrachten, die mich weiter in ihr führten; denn jene Anfangsgründe, bei denen es sich um Lesen, Schreiben und Zählen handelt, waren mir so lästig und peinlich wie alles Griechische. Doch auch das kam nur aus der Sündhaftigkeit und Eitelkeit eines Lebens, in welchem ich Fleisch war und irrer Geist, der keine Rückkehr suchte. Waren doch jene Anfangsgründe weit besser, weil sie zuverläßiger waren, denn durch sie geschieht es ja, daß ich behalte was ich Geschriebenes lese und selber niederschreibe was mir beliebt, waren weit besser als jene Irrfahrten des erdichteten Aeneas, bei denen ich aufgehalten wurde, um meine Irrfahrt zu vergessen. So mußte ich auch der Dido Tod beweinen, die sich aus Liebe getödtet hatte während ich Elender mir trockenen Augen es tragen konnte, daß ich von dir wegstarb, du mein Gott und mein Leben. Denn was ist elender, als ein Elender, der sich selbst nicht beklagt, der den Tod einer Dido beweint, die sich aus Liebe zu Aeneas entleibte, und nicht seinen Tod, den ihm die Lieblosigkeit gegen dich gibt? O Gott, du Licht meines Herzens, du Brot meiner Seele, du Kraft, die mein Gemüht und den Schoß meiner Gedanken befruchtet, die liebte ich nicht, und gab mich, von dir gewendet, der buhlenden Luft hin, und um den Buhler erklang es überall: freue dich, freue dich! Denn die Liebe dieser Welt ist ja doch die Buhlerei, die von dir sich wendet, und »freue dich, freue dich!« rufen sie, bis es für Schande gehalten wird, kein thörichter Knecht der Luft zu sein, wie sie. Aber das beklagte ich nicht, meine Klagen weihte ich Dido, der Verschiedenen, die ihr Ende mit dem Dolch erreicht, und gieng selbst dem verhüllten Gerichte entgegen, da ich dich verließ und Erde zur Erde gieng. Verhinderte mich Jemand am Lesen jener erdichteten Fabeln, so schmerzte mich, das nicht lesen zu dürfen, das mich schmerzte, wenn ich es las. Solche Albernheiten hielt man für edlere und ergiebigere Lehrfächer, als jene, die mich Lesen und Schreiben lehrten; und doch, so ist es nicht, o Gott, denn jene dichterischen Bilder vergaß ich viel leichter, als Lesen und Schreiben. Vorhänge sind vor den Thüren der Gelehrtenschulen, mehr des Irrthums Hülle, als ein hehres Geheimniß bezeichnend. Nicht mögen sie gegen mich auftreten, ich fürchte sie nicht mehr, seit dir meine Seele bekannt du mein Gott, seit ich Ruhe finde im Rücktritt von meinen bösen Wegen, in der Liebe zu deinen guten Pfaden. Nicht mögen gegen mich auftreten die Verkäufer und Käufer weltlicher Weisheit, denn frag ich sie, ob Aeneas wirklich, wie der Dichter sagt, nach Karthago kam, so werden sich die Ungelehrten mit ihrer Unwissenheit entschuldigen und die Gelehrten es verneinen. Frage ich aber, mit welchen Buchstaben des Aeneas Namen geschrieben werde, so werden Alle, die darin unterrichtet sind, das Richtige treffen nach dem Uebereinkommen und Belieben, wodurch die Menschen die Buchstabenzeichen unter sich festgesetzt. Ebenso, wenn ich frage, was man zu größerem Nachtheil vergesse, Lesen und Schreiben, oder jene Erdichtungen, so versteht sich von selbst, was Jeder antwortet, der sein selbst nicht vergaß. Und so sündigte ich als Knabe schon, der ich das Nutzlose dem Nutzreichen vorzog, ja jenes liebte, dieses hasste.

XIV.

Warum aber hasste ich der Griechen Schriften, die doch das Nehmliche sangen? Denn auch Homer weiß solche Fabeln zu weben, fabelt so süß und war dem Knaben doch so bitter. Aber ich glaube, es werde den Griechenknaben mit Virgil nicht besser gehen, wenn sie ihn lernen müssen wie den Homer. Wohl mag die Schwierigkeit, eine fremde Sprache zu erlernen, alle Süßigkeit griechischer Dichtung mit Galle besprengen. Kannte ich ja die Worte jener Sprache nicht und lag man mir mit gestrengen Strafen und rauhen Drohungen an, sie zu erlernen. Doch auch vom Lateinischen kannte einst das Kindlein gar nichts und lernte es doch aufmerksam, ohne Furcht und Qual, selbst unter dem schmeichelnden Kosen der Amme, die es mir in Spiel und Scherz zugelacht. Das lernte ich, ohne die lästige Peinigung der Dränger, denn mich drängte mein Herz zu gebären was es empfangen hatte, und das hätte ich ohne Worte nicht vermocht, die ich nicht vom Lehrenden, sondern von denen lernte, die sie sprachen, für deren Ohren ich zur Welt brachte, was ich empfand. Mehr lernt freie Neugier, als furchtsamer Zwang. Aber dieser hemmt der Neugier Flucht, o Gott nach deinen Gesetzen von den Ruthen der Lehrer bis zu den Qualen der Märtyrer, denn heilsame Bitterkeit weiß deine Vorsehung beizumischen, daß sie und zu dir zurückführe von der verpestenden Ergötzung, durch die wir gewichen sind von dir.

XV.

O Gott, laß meine Seele nicht würde werden deiner Zucht, laß sie nicht müde werden, deine Erbarmungen zu erkennen, mit welchen du mich aus alle Irrwegen reißest, damit du mir lieber werdest als alle Verführungen, denen ich gefolgt war in den Tagen meine Verblendung, damit ich dich liebe mit der ganzen Kraft meines Herzens, und fest deine Hand erfaßte, mit der du mich reißen wolltest aus aller Anfechtung bis ans Ende. Dem dir, mein Gott und mein König, muß nur dienen, was ich Nützliches als Knabe lernte, dienen muß dir nun, was ich rede und schreibe, lese und sinne. Du züchtigtest mich, wenn ich Eitles lernte, und vergabest mir die sündige Lust an jenen Eitelkeiten. Und ich lernte in ihnen viele nützliche Worte, die aber auch in Beschäftigungen erlernt werden können, welche nicht eitel sind, und das ist der Friedensweg für den Knabenwandel.

XVI.

Aber weh über dich, du Strömung der eitlen Sitte der Menschen! Wer mag dir wiederstehen? Wie lange willst du nicht vertrocknen? Wie weit willst du Evas Kinder ins große Meer deiner Schrecken wälzen, über das kaum hinüberschiffen, welche die rettende Arche des Glaubens besteigen? Mußt ich in deinen Fluchten nicht den Donnernden Jupiter lesen, den Ehebrecher, von denen des Dichters Comödie spricht? Zwar ist es nichts und vermag keines von beiden und doch verführt der erdichtete Donnerer kupplerisch zum wirklichen Ehebruch. Und welcher Redekünstler, wie er sich in seinem Mantel spreizt, kann es ruhig anhören, wenn ein Mensch aus Staub, wenn sein Cicero ausruft: »das hat Homer erdachtet und hat die Menschen zu den Göttern erhoben, lieber sagt ich, die Götter zu uns!« Besser sagte man über das was Homer erdichtet: er schrieb den lasterhaften Menschen Göttliches zu, damit man ihre Laster nicht mehr für Schandthaten hielte, weil Jeder, der sie begieng, nicht verworfene Menschen, sondern die himmlischen Götter nachzuahmen schien.

Und doch werden in diese Flucht des Verderbens die Menschenkinder geworfen, damit sie um theuer bezahlten Preis diese Schändlichkeit lernen. Großes meinen sie ausführen, wenn sie ihre verführerischen Schauspiele auf dem Forum öffentlich aufführen, in Gegenwart der Obrigkeit, die den Dichter noch neben dem Lohn besoldet, den er von seinen Hörern bezieht. Aber sie prahlten, als könnten sie Felsen spalten: bei uns lernt man reden! Bei uns wird die unentbehrliche Kunst gelehrt, Alles zu erklären, um Jedermann zu überreden. Nichts wüßten wir vom goldenen Regen, vom buhlerischen Scheingebilde, von den himmlischen Wohnungen, aus welchen Jupiter zu Danaë kam, wenn nicht Terenz seinen nichtswürdigen hätte, der sich Jupiter zum Vorbild seiner Unzucht nahm, als er ein Wandgemälde beschaute, das Jupiter darstellte, wie er als goldener Regen zu Danaë kam. Und Terenz ließ ihn in die Worte ausbrechen, von himmlischem Muster zur Wollust gereizt: »was für ein Gott! Dessen Donner die Himmel erschüttert! Und ich Menschenkind dürfte nicht thun, was er gethan? Ich thats wie er mit Freuden.« Solche Worte gehen leichter ein durch ihre schlüpfrige Schändlichkeit, und durch sie wird das Schändliche um so gieriger vollbracht. Nicht die Worte klag ich an, das auserlesene, köstliche Gefäß, sondern den Taumelwein, der aus ihnen uns von trunkenen Lehrern credenzt wurde. Tranken wir nicht, so wurden wir gepeitscht, und zu keinem nüchternen Schiedsrichter konnten wir uns werden. Und doch o Gott, vor dessen Angesicht Erinnerung und Gewissen Frieden fanden, ich habe das gerne gelernt, habe mich ergötzt, ich Elender, an diesen Schändlichkeiten, und wurde deßhalb ein Hoffnungsvoller Knabe genannt.

XVII.

Herr, laß mich durch deinen Beistand erforschen, in welchen Nichtswürdigkeiten ich meinen Geist aufrieb. Mir wurde eine Aufgabe gestellt, die mein Gemüth mit verheißenem Lobe und mit Furcht vor Schwach und vor Streichen verwirrte: ich sollte die virgilischen Worte der zürnend trauernden Juno vortragen, daß sie den Teukrerkönig nicht von Italien abhalten konnte, die ich Juno niemals sagen gehört: Den Dichterträumen nach irrend sollten wir in ungebundener Rede vortragen, was ihre Verse sagten, und der sprach sich zum Lobe, welcher den Zorn und Schmerz der erdichteten Person ihrem Stande gemäß in passend gekleideten Sätzen aussprach. Was half es mir, daß der Mitschüler viele mir Beifall zollten? O Gott, du mein wahres Leben, war dieß nicht Alles nur Rauch und Wind? Konnten mir Geist und Sprache mit nichts Anderem geübt werden? Dein Lob, o Herr, in dem uns Deine Bücher üben, hätte mein Herz gestützt, wie eine Rebe, und es wäre nicht der Raub jener Nichtswürdigkeiten, nicht die schmähliche Beute der Vögel geworden. Denn nicht nur auf Eine Weise opfert man den gefallenen. Denn nicht nur auf Eine Weise opfert man den gefallenen Engeln.

XVIII.

Aber was ist da zu verwundern, daß ich in solche Nichtswürdigkeiten fiel, und mich dir, mein Gott, entzog? Denn Menschen wurden mir zur Nachahmung aufgestellt, welche bitter getadelt wurden, wenn sie von ihren eben nicht bösen Handlungen mit ungebildeten, unrichtig gestellten Worten sprachen, während sie Aller Lob erhob, sobald sie von ihren sündigen Ausschweifungen nur in recht glatten, gezierten Redensarten zu erzählen wußten. Das siehest du, Herr, und schweigest in Langmuth und reichem Erbarmen; aber du bist die Wahrheit! Und Herr, wirst du immer schweigen? Aus dem abscheulichen Abgrund ziehst du schon jetzt den, der sucht und nach deinen Erquickungen dürstet, wenn nur sein Herz dir sagt: »Einst sucht’ ich dein Antlitz, o Herr, und siehe, ich such’ es wieder!« Denn in finstern Trieben leben, das ist das Fernesein von deinem Antlitz, weil man nicht mit Schritten, nicht durch der Orte Raum von dir geht und wieder zu dir zurückkehrt. Oder, von dem uns dein eingeborener Sohn ein Gleichnis erzählt, suchte jener verlorene Sohn Rosse, Wagen und Segel, flog er mit sichtbaren Schwingen, bewegte er die eilenden Kniee, daß er im fernen Land in seinem Lüsten lebe und verprasse, was du dem Dahinziehenden gegeben hattest? Ein milder Vater warest du, da du ihm gabest, ein milderer noch, da er, von Elend geladen, zurückkam. In üppigen Trieben leben, das ist Finsternis und weite Ferne von dem Lichte deines Angesichts.

Siehe es, Herr, und siehe es, wie du zu sehen pflegst, mit Geduld, wie sich die Menschenkinder so eifrig auf die Wort- und Sylbenstechereien legen, die sie von geschwätzigen Vorgängern erhielten, und wie sie des Heiles ewiges Wort vernachläßigen, das sie von dir empfiengen. Wer gegen ihre Sprachlehre das Wort Mensch (wenn er ominem statt hominem sagt) falsch ausspricht, der misfällt den Menschen mehr, als derjenige, welcher das Wesen Mensch gegen deine Lehre haßt. Als ob ihnen ein feindseliger Mensch verderblicher würde, als der Haß selbst, in dem sie gegen ihn entbrennen, als ob sie, den sie verfolgen, schwerer verletzten als ihr eigenes Herz. Und doch kann kein Wißenskram den innern Vorwurf zum Schweigen bringen, den man fühlt, wenn man einem Andern thut, was man sich selbst nicht will thun laßen. Aber du verborgen in heiligem Schweigen in der Höhe thronst, o Gott, du allein Herrlicher, du streust nach unermüdlichem Gesetz strafende Blindheit auf unlautere Leidenschaft. Ein Mensch, der Ruhm der Beredtsamkeit sucht und von der Menge umgeben, vor einem menschlichen Richter steht, wo er mit dem wildesten Haß seinen Feind verfolgt, hütet sich sorgfältig vor jedem falschgesetzten Wort, aber ohne Scheu vertilgt er den Feind aus dem Kreise der Menschen.

XIX.

An der Schwelle solcher Sitten lag ich als ein elender Knabe. Das war mein Kampfplatz, auf dem ich mich mehr hütete, einen Sprachfehler zu machen, als den zu beneiden, der ihn nicht machte. Löblich und gerecht dünkte mir mein Leben, Wenn ich in solchen Dingen Lob erwarb. Nicht sah den schändlichen Schlund, in den ich, fern von deinen Augen, geworfen war. Nichts Schändlicheres, als Ich damals, der ich selbst jenen Menschen misfiel, da ich mit unzähligen Lügen den Erzieher, die Lehrer und Eltern täuschte, alles aus Hang zum Spiel, nichtiger Schaulust uns spielerischer Nachahmungssucht. Ja, ich bestahl die Vorräthe und den Tisch meiner Eltern, von Nachgier getrieben, oder um den Knaben ihre Rollen im Spiel, das wir aufführten, abzumarkten, die sie mir verkauften, ob sie auch mit gleicher Lust daran hiengen, wie ich. In eitler Begierde nach Auszeichnung erschlich ich den Sieg in meinen Spielen. Und was konnte ich weniger ausstehen, was rügte ich härter, wenn ich’s von Andern erfuhr, als eben das, was ich an Andern selbst begieng? Und wenn ich ertappt wurde, tobte ich lieber, als daß ich nachgegeben und mich gefügt hätte. Ist das die Knabenunschuld? Denn wie größere Strafen an die Stellen der Ruthen treten, so geht es bei zunehmenden Jahren von Erziehern und Lehrern, von Nüssen, Kügelchen und Sperling zu Statthaltern und Königen, zu, Gold, Landgütern und zu Sclaven. Nur der Demuth Merkmal hast du, unser König, gebilligt an dem Knabenstande, da du sprachest: »Ihrer ist das Himmelreich.« (Matth. 19. 14.)

XX.

Doch, Dank dir, Herr, unser Gott, dem erhabensten, heiligsten Schöpfer und Lenker des Weltalls, wenn du auch nur gewollt hättest, daß ich ein solcher Knabe geworben wäre! Denn auch damals lebte ich und empfand, schon lag mir meine Erhaltung am Herzen, eine Spur meiner Verbindung mit deinem unerforschlichen Wesen, aus dem ich war. Mit meinem innern Sinn bewachte ich die äußern Sinne, und freute mich der Wahrheit selbst bei kleinen Gedanken über kleine Dinge. Ich wollte mich nicht täuschen laßen, frisch war mein Gedächtnis, durch Rede wurde ich unterwiesen, durch Freundschaft erfreut; ich floh den Schmerz, die Niederträchtigkeit und die Unwißenheit. Was ist an einem also Lebenden nicht wunderbar und preiswerth? Aber dieß Alles sind meines Gottes Gaben; nicht ich gab sie mir; gut sind sie und das Alles bin ich! Also gut ist, der mich schuf, und er selbst ist mein Gut, und ihm frohlocke ich für alles Gute, das ich schon als Knabe hatte. Aber darin sündigte ich, daß ich nicht in dir, daß ich in deinen Kreaturen, in mir und den andern, Lust, Herrlichkeit und Wahrheit suchte, und damit in Schmerz, Verwirrung und Irrthum sank. Dank sei dir, meine Wonne, meine Ehre, mein Vertrauen, o mein Gott! Dank dir für deine Gaben! Bewahre sie mir! Ja, du wirst mich bewahren, und zunehmen und vollendet werden wird, was du mir gegeben hast, und ich werde mit dir sein; denn daß ich bin auch hast du gegeben.

Zweites Buch

Mir bricht das Herz um meine Jugendzeit,

Wo ich die Sünde liebte, weil sie Sünde,

Wo ich nur dunkle Todeswege finde;

Ich hatte lachend ihnen mich geweiht.

Wagt ihr ihn auch, den frühentbrannten Streit,

Im unheilvollen Wirbeltanz der Winde,

Im Schwärmen um die nachtumwölkten Gründe,

Und lacht ihr mein, als säh’ ich euch zu weit?

Ich lachte so bei meiner Mutter Mahnen.

Durch ihre Stimme riefst du Herr zu mir,

Sanft wie im Lied aus lichten Engelplanen.

Nie sahst du still auf meine Sündengier,

Dann schrie dein Donner mich aus meinen Bahnen –

Dein bin ich endlich, und mir graut vor mir!

I.

Ich will beherzigen meine verübten Befleckungen und die fleischlichen Verderbnisse meiner Seele, nicht weil ich sie liebe, sondern damit ich dich liebe, mein Gott. Aus Liebe zu deiner Liebe thue ich das, und durchgehe meine schändlichen Wege in der Bitterkeit meiner Selbstprüfung, daß du mir süße werdest, o Süßigkeit, die nicht trügt, Süßigkeit, die Glück und Trieben bringt; daß du sammelst mich von meiner Zerstreutheit, in der ich stückweise zerrißen wurde, da ich abgewandt von dir, dem Einzigen, mich verflüchtigte in Vieles. Gierig wollte ich, ein Jüngling, einst mich sättigen an dem, das drunten ist; in meinen unsteten Neigungen wagte ich in’s Holz zu schießen, wie eine nicht beschnitte Rede. Und meine Gestalt zerfiel, und faul ward ich vor deinen Augen, mir selbst gefallend, und den Augen der Menschen gefallen stehend.

II.

Und was war es, das mich ergötzte, als nur Lieben und Geliebtwerden? Aber nicht blieb es bei der Liebe der Seele zur Seele, dieser Lichtschwelle der wahren Zuneigung; es stiegen Nebel aus dem Schlamm meiner Begierden, aus dem Aufbrausen meiner Jugend; die umwölkten und umnachteten mein Herz, bis sich die Heiterkeit der Liebe nicht mehr von der Nacht der sinnlichen Begierde unterscheiden ließ. Beides gohr unter einander, riß das schwache Jugendalter durch die jähren Tiefen der Lüfte und tauchte es in den Pfuhl der Laster. Ueber mir sammelte sich dein Zorn und ich sah es nicht. Betäubt ward ich von dem Kettenklirren meiner sterblichen Natur, von der Strafe des Stolzes meiner Seele. Immer weiter gieng ich von dir und du ließest es zu. Ich wurde gefällt und ausgegoßen, ich zerfloß und wallte auf in meinen Wollüsten, und du schwiegest! O wie wurdest du meine Freue! Damals schwiegest du, und ich gieng so weit, weit weg von dir, tiefer immer tiefer in die Unkrautsaat voll aufwuchernder Schmerzen, voll übermüthiger Verworfenheit und ruheloser Erschaffung. Wer mochte damals mildern mein Elend, zu meinem Nutzen wandeln des Neuen flüchtige Schönheit, und Gränzen setzten ihren Lockungen? Man hätte es vermocht, wenn man zum Ufer der Ehe die Wogen meiner Jugend hätte wallen laßen, da in ihnen keine Ruhe war; der Ehe, die sich genügen läßt mit dem Zwecke der Fortpflanzungen, wie dein Gesetz es gebeut, o Herr, der du auch den Sprößling unserer Sterblichkeit bildest und deine milde Hand lindernd kannst auf die Stacheln legen, die ausgeschloßen sind von deinem Paradiese! Denn nicht fern von uns ist deine Allmacht, auch wenn wir ferne sind von dir. – Oder hätte ich nur aufmerksamer beachtet deiner Stimme Wolkenschall: »Es werden Solche leibliche Trübsal haben. Ich verschonte aber eurer gerne.« (1. Cor. 7, 18.) Und: »Es ist Menschen gut, daß er kein Weib berührte.« (1. Cor. 7, 1. ) Und: »Wer ledig ist, der folgt, was dem Herrn angehört, wie er dem Herrn gefalle. Wer aber freiet, was der Welt angehört, wie er dem Weibe gefalle.« (1. Cor. 7, 32.) Hätte ich wachsamer dieser Stimme gehorcht, von der Sinnenlust abgeschnitten für dein Himmelreich hätte ich seliger dein Umfangen erwartet! Aber hilflos brauste ich auf, und folgend dem Drang meiner Wogen, verließ ich dich! Alles überschnitt ich, was dein Gesetz bestimmt, und entrann deiner Geißel nicht. Denn wer der Sterblichen entrinnt ihr? Du warst immer da mit deinem erbarmenden Eifer und trafest mit harten Stößen alle meine unerlaubten Freuden, damit ich suche, mich ohne Stöße zu vergnügen, wo ich, hätte ich’s vermocht, nichts gefunden als nur dich, o Herr, nur dich, der du den Schmerz legst in dein Gesetz, der du verwundest, um zu heilen, und uns tödtest, damit wir dir nicht sterben. – Wo war ich, wie weit entfernt von den Wonnen deines Hauses, in jenem sechszehnten Jahre meines leiblichen Lebens, da über mich der Wollust Raserei das Zepter schwang und ich ihr ganz die Hände bot, die da erlaubt wird von der Schändlichkeit der Menschen, und verboten durch deine Gebote! Aber die Meinigen sorgten nicht dafür, mich durch ein eheliches Bündnis vor dem Versinken zu bewahren, es war ihnen nur darum zu thun, daß ich eine Rede setzen lernte, so gut, so überredend als möglich.

III.

In jenem Jahre waren meine Studien unterbrochen worden. Von Madaura, in welcher Nachbarstadt ich den ersten Unterricht in Wißenschaft und Beredsamkeit empfangen, ward ich zurückgenommen, und man traf die Vorbereitungen zu einem längeren Aufenthalte in Karthago, wozu mehr meines Vaters Uebermuth, als seine Mittel halfen, da er ein sehr geringer Bürger von Tagastä war. Wem erzähl’ ich dies? Nicht dir, mein Gott, aber vor dir erzähl’ ich es meinem Geschlechte, wie ein kleiner Theil von ihm auch diese Schrift betrachte; ich erzähl’ es ihm, damit ich und jeder Leser bedenke, aus welchen Tiefen man rufen muß zu dir. Und doch was ist näher als dein Ohr, wenn ein Herz seine Schuld bekennt und ein Leben im Glauben erwacht? Aber wer erhob nicht mit Lob meinen menschlichen Vater, daß er über sein Vermögen auf den Sohn wendete, selbst wenn diesen seine Studien lange Zeit in der Ferne hielten? Denn viele weit bemitteltere Bürger machten keinen solchen Aufwand für ihre Kinder. Meinen Vater aber kümmerte nicht, wie ich dir entgegenreifte und wie ich war, wenn ich ihm nur sprachgewandt wurde; und doch in Schmach gewandt von deinem Dienst, o Gott, du einziger, wahrer gütiger Herr meines Herzens, deines Ackers! – Als ich in jenem sechszehnten Jahre, der häuslichen Vorbereitungen wegen, müßige Zeit hatte, von der Schule feierte und bei den Aeltern war, da drangen aus meinem Haupt die Dornen der Wollüste, und keine Hand raufte sie aus. Ja, als Jener, der mein Vater war, mich einst im Bade als üppig reifenden Jüngling sah, sagte er es freudig meiner Mutter, als wollte er sich schon auf Enkel freuen, in jener Trunkenheit, in der eine Welt dich ihren Schöpfer vergaß und die Kreatur statt deiner liebte, hingegeben in ihrer Herzen unreine Gelüste. Jeremia 51, 7. – Römer 1, 24. Aber in meiner Mutter Brust hattest du schon deinen Tempel, den Aufbau deiner heiligen Wohnung begonnen, der Vater war seit Kurzem erst Katechumene. Die Mutter aber bebte auf in Furcht und Zittern, für mich fürchtend die Irrwege des Verderbens, ob ich gleich noch kein getaufte Christ war, die Irrwege, auf welchen Alle wandeln, die den Rücken zukehren und nicht das Angesicht. Weh mir, und ich wage es, zu klagen, daß du, mein Gott, geschwiegen habest, da ich noch weiter mich von dir entfernte? Der frommen Mutter Worte, wessen waren sie als dein? Du sangest sie mir aus ihrem sanften Munde, und nichts davon drang in mein Herz. Sie mahnte, daß ich nie der Wolluft mich ergebe, nie entweihe der Ehe Band und noch weiß ich wohl, wie sie davon mit tiefem Gram mir sprach. Aber weibliche Mahnungen dünkten mich diese, denen zu gehorchen ich erröthen müßte. Die deinen waren es, und ich wußte es nicht. Ich glaubte, du schweigest, jene rede, durch die du mir nicht schwiegest, in der du von mir, ihrem Sohne verachtet wurdest, dem Sohne deiner Magd, deinem Knecht. Ich wußte es nicht und stürzte dem Abgrund zu mit einer Blindheit, in der ich kleiner Schädlichkeit, als die Genoßen sie begiengen, mich geschämt hätte, sobald ich hörte, daß sie mit ihren Zügellosigkeiten sich etwas wußten, und um so mehr mit ihnen prahlten, je schändlicher sie waren. So hat mich nicht nur die Begierde nach der That, mich hat auch dem Lobe verführt. Was ist des Tadels werth, wenn nicht das Laster? Um dem Tadel zu entgehen, wurde ich lasterhafter. Wenn ich nicht begangen, was den Verworfenen mich ähnlich machte, so gab ich vor, es begangen zu haben, um nicht desto verächtlicher zu erscheinen, je unschuldiger ich war, und nicht für desto geringer gehalten zu werden, je reiner ich lebte. Siehe, mit welchen Gesellen ich durch Babylons Straßen zog und mich in ihrem Koth wälzte, als wären es die herrlichsten Würzen. In ihrer Mitte war’s, da traf mich der unsichtbare Feind, daß ich mich fester nur anhieng, und er verführte mich, weil ich verführbar war. Zur Keuschheit mahnte die Mutter mich, die schon aus Babylons Mitte geflohen war, aber auf ihren übrigen Wegen noch zu langsam gieng, denn was sie durch ihren Gatten über mich gehört hatte, dünkte ihr schon verführbar und Gefahr drohend. Doch sie sorgte nicht, in die Schranken eheliche Neigung das zu leiten, was nicht mehr zu vertilgen war. Sie sorgte nicht dafür, aus Furcht, vereiteln möchte der Ehe Feßel ihre Hoffnung. Die Hoffnung nicht, die sie auf dich setzte und auf die das zu sehr von mir beide Eltern wünschten; der Vater, weil er über dich so viel als nichts, über mich nur Nichtswürdiges dachte, die Mutter in dem Wahne, dieß Wißen schade nicht, helfe vielmehr nur zu dir. So vermuthe ich, indem ich so gut ich kann, den Charakter der Eltern bedenke. Auch zum Spiel erhielt ich zügellose Freiheit, und zerstreute mich maßlos in den buntesten Neigungen. Nacht war in allen meinen Neigungen, die verschloß mir, o Gott, den heitern Tag deiner Wahrheit, Und wie auf fettem Boden sproßte meine Ungerechtigkeit auf.

IV.

Herr, den Diebstahl straft dein Gesetz, und das Gesetz, das geschrieben steht in den Menschenherzen, wo es selbst die Ungerechtigkeit nicht austilgt. Denn welcher Dieb erträgt den Dieb an ihm mit Gleichmuth? Nicht einmal der Reiche den durch Mangel dazu getriebenen. Und ich wollte stehlen und stahl, von keiner Noth und keinem Mangel getrieben, that es aus Widerwillen gegen die Gerechtigkeit, und aus Gier nach Ungerechtigkeit. Denn ich stahl, was ich im Ueberfluß und weit beßer besaß. Ich wollte nicht dessen froh werden, was ich durch den Diebstahl erlangte, nein, des Diebstahls und der Sünde selbst. – Es stund ein Birnbaum in der Nähe unseres Weinbergs, von Früchten schwer, die aber weder durch Schönheit reizten noch durch Wohlgeschmack. Um ihn zu plündern, machten wir verderbten Buben uns auf in später Nacht, denn so lange wurden die Spiele auf den Spielplätzen, nach der verderblichen Sitte, von uns fortgesetzt. Große Menge nahmen wir dem Baume, nicht um damit unser Mahl zu halten, wir warfen sie den Schweinen vor und kosteten nur Weniges davon. Das thaten wir, weil uns nach dem Unerlaubten gelüstete. Sieh mein Herz an, denn du hast dich sein erbarmt, da es in des Abgrunds Tiefen lag. Was es dort suchte, sage dir jetzt mein Herz: nicht Anderes, als ohne Zweck böse zu sein, damit die Ursache meiner Bosheit nur die Bosheit wäre. So schändlich sie war, ich liebte sie, liebte verloren zu gehen, den Abfall liebte ich, nicht das, worein ich fiel. Schändlich stürzte meine Seele sich von deiner Himmelsfeste in des Verderbens Tiefen; nicht durch Schande irgend etwas, nur die Schande selbst begehrend.

V.

Körperliche Schönheit reizt unsere Sinne und zwar jeden nach der Art seiner Empfänglichkeit; so der Schmuck von Gold und Silber, so das schöne Ebenmaaß der Glieder. Ebenso haben weltliche Ehre, Macht und Gewalt, und der Trieb nach Freiheit aus Sklavenbanden ihre Reize; aber bei all diesem dürfen wir nicht von dir und deinen Gesetzen weichen. Auch unser irdisches Leben ist um seiner selbst willen liebreizend und eint sich mit jenem niedrigern Schönen der Erde. Süß ist uns das teure Band der Zuneigung, das viele Seelen in Uebereinstimmung bringt. Doch Sünde wird alles, wenn man, in zügelloser Lust nach den niedrigern Gütern, die beßern und die höchsten, dich unsern Herrn und unsern Gott, und dein Gesetz und deine Wahrheit verläßt. Wohl hat auch dieß Niedere seine Freude, nicht aber wie mein Gott sie hat, der alles schuf, da in ihm selbst erfreut wird der Gerechte, da er selbst die Wonne tugendhafter Herzen ist. Fragt man nach der Ursache eines Verbrechens, so sucht man sie nur in der Begierde nach jenen niedrigen Gütern, oder in der Furcht vor ihrem Verluste. Wie schön und lockend sie auch sind, vor jenen höhern, seligen Gütern sind sie schlecht und ohne Werth. Und wo finden wir bei der Menschen Sünden jene Ursachen nicht? Jemand beging einen Mord. Warum wohl? Er liebte des Ermordeten Weib oder Gut; er wollte rauben um zu leben; fürchtete Schaden von dem, den er erschlug; oder dürstete beleidigt nach Rache. Wer möchte glauben, daß er ohne solchem Grund den Mord verübte, nur um am Morde selbst sich zu erfreuen? Von Catilina, dem Unsinnigen, höchst grausamen Menschen, der sich mit den Genoßen seiner Laster zum Untergange seiner Vaterstadt Rom verschwor, wird zwar erzählt, er sei, ohne etwas darin zu suchen, böse und grausam gewesen. Aber doch wurde von de Erzähler seiner Verbrechen als ihre Ursache angegeben, er habe nicht gewollt, daß ihm in der Unthätigkeit Hand und Muth erschlaffe. Er begieng doch nur sein Verbrechen, um durch Eroberung der Stadt Ehre, Gewalt und Reichthum zu erlangen, damit er, dessen Vermögen zerrüttet, dessen Gewissen von Verbrechen belastet war, Gesetz und Noth nicht mehr zu fürchten brauche. So liebte selbst ein Catilina seine Verbrechen nicht, sondern etwas Anderes, das ihn erst in sie stürzte.

VI.

Was liebte ich Erbärmlicher nun an meinem Diebstahl? Schön war er nicht, wie könnte das ein Diebstahl sein? Schön waren jene Früchte, die wir raubten, weil sie von dir geschaffen waren, du schönster von Allen, du guter Gott, du höchstes, du mein wahres Gut. Aber nicht sie verlangte meine erbärmliche Seele; ich hatte eine Menge beßerer, und pflückte jene nur, um zu stehlen. Ich warf sie weg, und die Speise, die mich ergötzte, war nur die Sünde selbst. Und wenn ich auch etwas davon kostete, so wurde es durch meine Sünde gewürzt. Ich finde den ergötzenden Gegenstand nicht, der mich zu jener Schandthat verführt hätte. Und doch, wo fehlte je der ergötzende Reiz? Er bietet sich freilich allem Menschlichen entgegen, aber ganz anders der Mäßigkeit und Klugheit, dem Scharfsinn, der Erinnerung, den Sinnen selber und unserer Lebenslust. Droben liegt er in der hohen Pracht der Gestirne, er liegt in der Erde und Meer, die so voll von keimendem Leben sind, das an die Stelle alles sterbenden tritt. Aber nicht einmal jenen Reiz empfand ich, jenen ärmlichen, heimlichen, der auch den trüglichen Lastern nicht fehlt. Der Stolz will die Hoheit nachahmen, während du, alleiniger Gott, über alles erhaben bist. Die Ehrsucht sucht de Ruhm und den Glanz, und du vor Allen bist einzig verehrungswürdig und ruhmreich in Ewigkeit. Die strenge Macht will gefürchtet sein, aber wer ist zu fürchten, als der alleinige Gott, dessen Macht nichts kann entzogen werden? Der liebkosende Muthwillen will geliebt sein, doch nichts ist liebkosender als deine Huld; und zuträglicher wird nichts geliebt, als deine vor Allem reizende, leuchtende Wahrheit. Die Neugier äfft die Wißbegierde nach, während du Alles am besten weißest. Unwissenheit und Thorheit geben sich den Namen der Unschuld und Unschändlichkeit, und doch ist Niemand unschuldiger als du, und Niemand unschändlicher, während der Bösen Thaten ihre Feinde sind. Für Seelenruhe will die Trägheit gelten, und wo ist wahre Ruhe, als in Gott? Die Schwelgerei will Reichlichkeit und Fülle heißen, du aber bist der nie abnehmende Reichthum und die nie verletzte Wonne. Freigebigkeit will die Verschwendung scheinen, aber du bist der reichliche Geber alles Guten. Vieles möchte die Habsucht, und d hast Alles. Um Vorzüge zankt sich die Scheelsucht, und wer ist vorzüglicher als du? Rache sucht der Zorn, wer rächt gerechter als du? Die Furcht bebt vor dem, das ungewöhnt und überraschend über das kommt, was wir lieben, und will für Sicherheit sorgen; aber was kommt dir ungewöhnt und überraschend? Wer trennt von dir denn, was du liebst? Wo als bei dir ist wahre Sicherheit? Die Traurigkeit verzehrt uns, wenn wir verloren haben, was uns freute, und sie sich nicht darein ergibt; aber dich kann nichts genommen werden. So schweift die Seele aus, wenn sie von dir sich abwendet, wenn sie außer dir sucht, was sie nur rein und klar findet, wenn sie wieder zurückkehrt zu dir. Verkehrt ahmen dich Alle nach, welche sich weit von dir entfernen und sich wider dich erheben. Aber selbst durch solche Nachahmung zeigen sie an, daß du der Schöpfer aller Natur bist und es unmöglich ist, sich ganz von dir zu wenden. – Was liebte nur ich an jenem Diebstahl, in was ahmte ich darin, wenn auch verkehrt und sündig, meinem Gott nach? Wollte ich darum handeln wider dein Gesetz, damit ich die den Beschränkten fehlende Freiheit nachahme, vergebens freilich, da es mir an Macht gebrach? Wollte ich in der ungestraften Ausübung des Verbotenen ein Asterbild deiner Allmacht zeigen?

VII.

Ziehe, das ist der Knecht, der seinen Herrn verließ und einem Schatten folgte. O du faulendes Scheusal aus Tod und Leben! Konnte dich gelüsten nach Unerlaubtem, nur eben weil es nicht erlaubt war? Was kann ich meinem Gott dafür geben, daß mein Gedächtniß dieß heraufruft und meine Seele nicht davon mit Furcht erfüllt wird? Lieben will ich dich, Herr, danken dir und deinem Namen bekennen, der du mir solche Sünde vergeben hast; denn wem dank ich’s, als deiner Gnade und Erbarmung, daß du meine Sünden schmelztest wie das Eis? Ja ihr danke ich, was ich auch nicht an Bösem begieng, denn zu was wäre ich nicht fähig gewesen, der ich selbst eine zwecklose Schandthat liebte? Und nun, o Wonne, ist mir Alles vergeben, was ich nach meinem Willen Böses verübte und Alles, was ich nach deiner Führung nicht verübte. Wo ist der Mensch, der seine Schwachheit erkennen kann, und doch es wagt, der eigenen Kraft es zuzuschreiben, wenn er reiner blieb, nur um dich weniger zu lieben? Denn minder nöthig hält er für sich dein Erbarmen, mit dem du Allen ihre Schuld vergibst, die sich zu dir bekehren. Und wer von dir berufen wird und deinem Rufe folgt, wer das vermied, was er hier von mir liest, und was ich selbst von mir bekenne, er lache mein nicht, daß mich derselbe Arzt von meiner Krankheit heilte, den ihn vor ihr bewahrte oder bewirkte, daß er weniger erkrankte. Er soll dich ebenso, ja mehr noch lieben, wenn er von so großer Sündenkrankheit mich geheilt sieht durch den, der ihn selbst davor bewahrt hat.

VIII.

Was hatte ich Elender einst für Frucht von dem, das mich jetzt erröthen macht, von jenem Diebstahl zunächst, in welchem ich nur den Diebstahl liebte, was für Frucht, als daß er nichts bot und ich durch ihn nur elender wurde? Und doch hätt’ ich es allein nicht gethan, so weit erinnere ich mich des damaligen Zustandes meiner Seele. So liebte ich dabei auch die Gesellschaft der Sünder, mit welchen ich es that, den Diebstahl nicht allein? Wahrlich nichts anderes als ihn, und war doch nichts an ihm. Lehre mich, Herr, der du mein Herz erleuchtest und zerstreuest seine Schatten! Hätte ich begehrt der entwendeten Früchte und gewünscht, sie zu genießen, so hätte ich auch allein die Sünde zu begehn vermocht, durch die ich zu meinem Vergnügen gelangt wäre, ohne daß ich durch die Reizung der Gemüther meiner Mitwißer meine Begierde noch mehr zu entzünden brauchte. Aber weil ich nicht Lust zu den Früchten hatte, so hatte ich sie zur Sünde selbst, die der Mitsünder Gesellschaft nur zugleich begieng.

IX.

O über meine schändliche Begierde, und weh mir, daß ich sie hatte! Was war sie doch, noch ergründete ich sie nicht, wer erkennt die Sünden? Das Lachen war sie, mit dem wir, gekitzelten Herzens, diejenigen hintergingen, die uns ein Solches nicht zutrauten, und sich darüber ärgerten. Ergötzte ich mich nun darum am gemeinschaftlichen Begehen, weil Niemand leicht allein lacht? Nicht leicht wohl Jemand; überwältigt auch einsame Menschen das Lachen ohne Zeugen, sobald ihnen etwas gar zu Lächerliches aufstößt. Aber, wäre ich allein gewesen, so hätte ich’s gar nicht verübt. Vor dir, o Gott, ist die lebendige Erinnerung meiner Seele! Ich hätte, allein stehend, diesen Diebstahl nicht begangen, bei dem wir nicht das Gestohlene, nur das Stehlen gefiel, dessen einsame Ausübung mich nicht erfreut hätte. O höchst feindliche Freundschaft, Verführung des Herzens, aus Spiel und Scherz unerklärlich hervorbrechende Lust zu verletzen, Gelüste nach fremden Verluste, von keiner Gewinnsucht noch Rachgier getrieben, sondern, da gesagt wird: »Laßet uns gehen, und es thun, es ist Schande nicht schandbar zu sein.«

X.

Wer wird diese so verworrene und verwickelte Verknotung lösen? Sie ist so häßlich, ich will mich nicht mehr nach ihr kehren, will sie nimmer sehen. Dich will ich, Gerechtigkeit und Reinheit, die du schön bist und geschmückt mit heiligen Lichtern voll nie ersättlicher Sättigung. Bei dir ist Ruhe und nie getrübtes Leben. Wer in dich eingeht, geht in die Freude seines Herrn ein, nichts wird er fürchten, wird sich am Besten befinden im Besten. Von dir verlief ich mich und weit irrte ich von meiner Stütze weg in meiner Jugend, mir selbst ein Land des Darbens werdend.

Drittes Buch

Gefallen bin ich, und ich lag so tief,

Von falscher Liebe sündenvoll umfangen,

Und konnte nie der Liebe Ruh erlangen,

Ob mich der Weisheit ernster Drang ergrif.

Denn eine falsche war es, die mich rief,

Sie kam in ihrer Truggestalten Prangen,

Ich bin ihr stolz und brünstig angehangen,

Ich träumte lange, ohne daß ich schlief.

In Wollust und im Pfuhl der Ketzerlehren

Floß meine ganze, heiße Jugend hin –

Spät, als ein Mann erst, mocht ich wiederkehren.

Warum so lang in eitlen Sündenmüh’n?

Ich hab’ ein Herz, und konnte dich entbehren!

O Wunderhuld, daß ich dein eigen bin!

I.

Ich kam nach Karthago, und mich umrauschte überall das Gewirre lasterhafter Liebeshändel. Noch liebte ich nicht und begehrte zu lieben, und in tief verhüllter Bedürftigkeit zürnte ich mir, daß ich mich nicht liebebedürftiger fühlte. Der Liebe hold sucht ich den Gegenstand meiner Liebe, aber ich haßte den Seelenfrieden und den von Fallstricken freien Weg. Der Hunger war mir eingepflanzt von dir selbst, meiner innerlichen Speise und ich hungerte doch nicht nach dir, mein Gott, war ohne Verlangen nach der unvergänglichen Nahrung, nicht als wär’ ich voll von dir gewesen, je leerer ich von ihr war, desto mehr widerte sie mich an. Uebel gieng es meiner Seele, wund schon warf sie sich hinaus in die eitle Sinnenwelt in elender Gier nach dem Sinnenkitzel, um meiner Wunden Pein an ihm abzureiben. Freilich würde auch das Sinnliche nicht geliebt, wenn es keine Seele hätte, aber Lieben und Geliebtwerden war mir am süßesten, wenn ich auch der Körperreize der Liebenden genoß. So beflecke ich den Quell der Zuneigung mit unreiner Begehrlichkeit und umwölkte ihr Licht mit der höllischen Wollust. Und doch geberdete ich mich, der ich so schmutzig und verunehrt war, ganz fein und artig in meiner überströmenden Eitelkeit. So stürzte ich denn in die Liebe, von der ich gefangen zu werden wünschte. Mein Gott und mein Erbarmer, mit welch bitterer Galle und mit welch süßer Huld hast du mir diesen Genuß vergällt, da ich geliebt wurde und so unvermerkt in die Feßeln des Genußes fiel, in meiner Freude gebunden von schmerzbringenden Banden, in denen ich geschlagen ward von den glühenden Eisenruthen der Eifersucht, des Argwohns, der Furcht, des Zorns und des Streites!

II.

Auch die Spiele des Theaters rißen mich hin, weil sie voll waren von den Bildern meines Elends und von dem Zunder zu meinen sündigen Flammen. Was ist es, daß dort der Mensch im Anblick des trauervoll Tragischen Schmerzen sucht, die er selbst nicht erdulden möchte? Und doch will der Zuschauer sich davon schmerzen lassen, und ist dieser Schmerz selbst seine Lust. Der kläglichen Thorheit! Nur um so mehr wird Jemand davon gerührt, je weniger er von der Leidenschaft für sie frei ist, mag er sie gleich nur Leiden nennen, wenn er sie selbst erduldet, und Mitleiden, wenn er sie duldet mit Andern. Aber was kann das für ein Mitleiden sein, das nur bei erdichteten Schauspielen empfunden wird? Da wird der Hörer nicht zu Hilfe gerufen, nur zum Schmerz geladen, da ist er dem Schauspieler um so günstiger, je mehr den ihn schmerzt. Und wenn jene ehemaligen, oder ganz erdichteten Menschenleiden bei ihrer Darstellung nicht des Zuschauers Schmerz erregen, so geht er gelangweilt und tadelnd von dannen; erregen sie seinen Schmerz, dann nimmt er aufmerksam Antheil und freut sich in Thränen. Also werden auch die Schmerzen geliebt, während Jedermann doch Freude sucht? Und wenn auch das Leiden Keinem gefällt, so gefällt doch das Mitleid, und weil dieß nicht ohne Schmerzen ist, so werden vielleicht nur die Schmerzen des Mitleids geliebt. Doch der Schmerz durchrinnt auch die Zuneigung. Warum verrinnt ihre Quelle in einen glühenden Pechstrom, der die Gräuel häßlicher Begierden heraufbrodelt, in die sich von Willkür die Liebe wandelt und sich wegreißt von ihrer himmlischer Heiterkeit. – Sollen wir das Mitleid verwerfen? Mit nichten, und so können zuweilen die Schmerzen geliebt werden. – Aber hüte dich vor der Unreinigkeit, meine Seele, hüte dich unter dem Schirm meines Gottes, des Gottes unserer Väter, des Preiswürdigen, in allen Ewigkeiten Erhabenen. – Auch jetzt noch fühl’ ich Mitleid; aber damals freute ich im Schauspielhaus mit den Verliebten mich, daß sie des Lasters Freuden an einander fanden, ob sie’s auch nur nachahmend spielten; mitleidsvoll wurde ich mitbetrübt, wenn sie einander verloren; und doch ergötzte mich Beides. Nun aber bedaure ich den mehr, der sich im Laster freut, als den, der Schweres leidet, sei sein Leiden die Folge schändlicher Lust oder der Verlust seines beklagenswerthen Glücks. Dies ist gewis das ächtere Mitleid fühlt, aber in ihm findet der Schmerz keine Ergötzung. Denn wenn auch Menschenliebe des Mitleidigen Schmerzen billigt, so wünschte doch Jeder, der brüderliches Mitleid fühlt, viel lieber, es möchte dieser Schmerz gar nicht vorhanden sein. Nur wenn es das Unmögliche, wenn es ein übelwollendes Wohlwollen gäbe, könnte der des waren, innigen Mitleids Fähige wünschen, es möge Elende geben, damit er sie bedauern könne. Mancher Schmerz ist somit zu billigen, aber keiner ist zu lieben. Darum, mein Herr und mein Gott, liebst auch du die Seelen weit reiner als wir, und erbarmst dich ihrer viel ächter; denn du nur wirst von keinem Schmerz verwundet. Doch wer ist hiezu tüchtig? Und ich elender liebte den Schmerz einst, und suchte auf, was mich schmerzte, da mir der Schauspieler in seinem fremden, unwahren, vorgegaukelten Schmerz desto beßer gefiel, je mehr er mir Thränen entlockte. So ward ich elendes Lamm – und wie war es zu verwundern – verunreinigt mit schändlichem Aussatz, seit ich von deiner Herde mich verlor und deiner Hut mich entzog. Daher meine Liebe zum Schmerz. Doch nicht tiefer wollt’ ich ihn eingehen, wünschte das nicht zu leiden, was ich zu sehen gewünscht, wollte nur oberflächlich von der angehörten Dichtung gerührt werden. Und doch folgte dieser Thorheit wie von zerfleischenden Klauen ein entzündendes Schwellen, Entkräftung und scheußlicher Eiter. So war mein Leben, und o mein Gott, war das ein Leben? –

III.

Aber dein treues Erbarmen schwebte über mir von Ferne! Ueberall züchtigtest du mich, in welchen Pfuhl von Schändlichkeiten ich mich auch warf, welch gottloser Neugier ich auch folgte, wie sie mich, der dich verlaßen, in den trüglichen Abgrund warf und ich den Dienst der bösen Geister, denen ich opferte mit meinen Uebelthaten. Wagt’ ich ja selbst, in deinem Haus, im feierlichen Gottesdienst, mich um die Todesfrucht meiner Begierden, um sinnlicher Liebe Gewährung, zu bewerben. Dafür hast du mit schweren Strafen mich geschlagen, und nichts doch diente zur Erkenntnis meiner Schuld, o du, mein großes Erbarmen, mein Gott, meine Zuflucht vor den schändlichen Verderben, denen ich vertrauend den Nacken bot, um nur recht weit von dir zu weichen, da ich in flüchtiger Freiheit meine Wege liebte, nicht die deinen!

Auch jene wissenschaftlichen Bestrebungen, für so ehrenvoll gehalten, reizten mich nur in Rücksicht auf die Verhandlungen der Gerichtsplätze, wo man, je trüglicher, desto löblicher, sich hervorthut; denn so verblendet sind die Menschen, daß sie auch ihrer Verblendung sich rühmen. Schon nahm ich in der Rednerschule zu; und freute mich des in schwellendem Stolz. Doch war ich, du weißest es, Herr – noch weit gemäßigter, hielt mich entfernt von dem Unheil, welches damals Karthago’s zügellose Studirende verübten, die man deshalb Verderber nannte. Und gilt diese Benennung albern und doch teuflisch genug jetzt noch als Bezeichnung seiner Lebensart. Unter ihnen lebte ich mit der schaamlosen Schaam, daß ich nicht war wie sie. Mit ihnen war ich, und freute mich der Freundschaft derer, vor deren verderblichen Thaten ich erschrak, mit welchen sie der Einfalt Unerfahrener Schlingen legten, um sie verführerisch um ihren Frieden zu bringen, und ihre boshafte Lust daran zu weiden. Nichts fürwahr ist den Thaten der bösen Geister ähnlicher und ganz nach der Wahrheit heißen sie Verderber, selbst verderbt und verkehrt von den höllischen Geistern, eben in dem, mit welchem sie Andere, sich selbst zum Vergnügen, zum Verderben umgarnen.

IV.

Unter solchen Menschen legte ich mich in meiner unmündigen Jugend auf die Schriften der Beredsamkeit, in welchen ich die Stillung der Eitelkeit suchte, die mein verwerfliches, trügliches Ziel war. Im Unterricht schon weiter fortgeschritten, gerieth ich an die Schrift eines Cicero, dessen Sprache, weniger dessen Geist man allgemein bewundert. Jenes Buch aber enthielt eine Einladung zur Philosophie und hieß Hortensius. Es änderte meinen Sinn, kehrte, o Herr, mein Gebet zu dir und lebte ganz andere Wünsche in mein Herz. Plötzlich sanken jene eitlen Hoffnungen, mit heißer Seelengluth sehnte ich mich nach unsterblicher Weisheit und machte mich auf zur Rückkehr zu dir. Das geschah zwei Jahre nach dem Tod meines Vaters in meinem neunzehnten Lebensjahre. Und nicht der Sprachübung wegen nahm ich dieß Buch vor; nicht seine Redeweise, sondern sein Inhalt hatte mich gewonnen. Wie glühte ich, mein Gott, mich zu dir wieder zu erheben vom Irdischen, und wußte nicht, was du mit mir thuest. Bei dir ist die Weisheit, aber Menschen gibt es, die uns durch Philosophie, der Weisheit Wissenschaft verführen, indem sie ihre Irrthümer färben und schminken mit prahlenden, einschmeichelnden Worten. Beinahe alle diese, wie aus Cicero’s, so aus frühern Zeiten, werden in seinem Buche berührt und beurtheilt. Auch dort wird deines Geistes heilsame Mahnung bestätigt, die du sprachest durch deinen frommen und getreuten Knecht: »Sehet zu, daß euch Niemand beraube durch die Philosophie und lose Verführung nach der Menschen Lehre und nach der Welt Satzungen, und nicht nach Christo. Denn in ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig.« (Koloss. 2, 8. 9.) Du weißest es, Licht meines Herzens, daß ich, dem damals jenes apostolische Wort noch nicht bekannt war, mich an jener Ermahnung Cicero’s erfreute, weil ich nicht diese oder jene Secte, weil ich die Weisheit selbst, in welcher Form sie kommen mochte, liebte suchte, ihr folgte und sie eifrig ergrif. Entzündet wurde ich von dieser Schrift, nur dämpfte es meine Glut, daß Christi Namen nicht in ihr war. Denn nach deiner Erbarmung hatte mein junges Herz schon mit der Muttermilch meines Erlösers, deines Sohnes, Namen eingesogen und werthgehalten, und auch das Gelehrteste, Ausgebildetste und wahr Gesprochene gewann nicht ganz mich, wenn ihm jener Name fehlte.

V.

Darum beschloß ich, mich an die heilige Schrift zu wenden, um zu sehen, was an ihr sei. Und siehe, ich sah, was den Stolzen verborgen ist und nicht offenbaret den Buben; so niedrig im Anfang, so erhaben in der Folge, so reizend verhüllt mit heiligen Geheimnissen. Nicht so war ich, daß ich vermocht hätte, in sie einzugehen und den Nacken zu beugen nach ihrem Gang. Ich fühlte nicht wie jetzt; die heilige Schrift schien mir, mit jener Cicero’s, keiner Vergleichung werth. Meine Aufgeblasenheit stieß sich an ihrer Weise, und meine Augen drangen nicht in ihre Tiefen. Und doch war es sie, welche wachsen will mit den Kleinen. Aber ich verschmähte, einer zu sein von diesen Kleinen, und dünkte mich groß in meinem Uebermuth.

VI.

Dadurch gerieth ich zu übermüthigen Menschen voll Fleischeslust und voll Geschwätzigkeit, in deren Mund die Stricke des Teufels, mit dem Scheine deines Namens, des Namens deines Sohnes und unseres Trösters, deines Geistes. Alle diese Namen tönten stets aus ihnen und von deiner Wahrheit. Und sie sprachen Wahrheit und Wahrheit, mir viel von ihr sagend, die in ihnen niemals war. Aber Lügen sprachen sie, von dir nicht nur, der du in Wahrheit die Wahrheit bist, auch von den Elementen dieser Welt, deiner Schöpfung, über welche ich selbst die wahreren Lehren der Philosophen verlaßen mußte, seit ich die Liebe fand zu dir, mein bester Vater, du Schönheit aller Schönheiten. O Wahrheit, Wahrheit, wie seufzte mein Herz nach dir, als jene mir mit Wort und Schrift so viel und häufig von dir sprachen! Nur Lockspeisen waren es, mit welchen sie mir, dem nach dir Hungernden, an deiner Statt Mond und Sonne reichten, deine schönen Werke, doch deine Werke nur, nicht selber du, noch selber deine ersten. Denn vor jenen körperlichen Werken, wie herrlich sie am Himmel strahlen, waren deine geistigen Doch ich hungerte und dürstete auch nach jenen ersten Werken nicht, nur nach dir selbst, du Wahrheit, die sich nie verändert, nie verdunkelt! Und mir wurden bei jenen Gerichten noch gleißende Traumbilder vorgesetzt! Beßer noch hätte ich jener Sonne begehrt, die doch wahrhaft da von unsern Augen ist, als jener Truggebilde, mit der vom Schein berückten Seele. Und dennoch, weil ich sie für dich hielt, ergriff ich sie, zwar nicht mit großer Begierde, da du in mir nicht nach deinem wahren Wesen schmecktest; sie waren nicht du, von ihnen ward ich nicht genährt, nur noch mehr erschöpft. So ist die Speise, die wir im Traume eßen, der Speise der Wachenden ganz ähnlich, und doch werden die Schlafenden nicht von ihr genährt, denn sie schlafen. Aber jene Trugbilder waren dir, der du jetzt offenbar bist, auf keine Weise ähnlich, sie waren nur erdichtete Körper, die himmlischen und die irdischen, die wir mit unsern leiblichen Augen sehen. Auch das Thier des Feldes sieht sie und der Vogel im Flug, und doch sind sie gewisser als jene eingebildeten karge Vorstellung noch der Wahrheit näher, als diejenigen, die wir aus ihnen uns als Wesen höherer Stufen, ja als unendliche zusammendichten, während sie gar nichts sind. Auch mit diesen Leerheiten ward ich gespeist. Aber du meine Liebe, gegen welche ich schwach bin, damit ich stark sei, du bestehst nicht aus jenen Körpern, die wir sehen, ob auch am Himmel, noch aus denen, die wir nicht sehen, denn du hast sie erschaffen und zählst sie nicht zu deinen höchsten Werken. Wie weit bist du gar von jenen meinen Trugbildern, die gar nichts sind! Selbst die Seele bist du nicht, die das Leben der Körper ist, wenn auch diese Seele, dieß Leben der Körper beßer ist, als diese. Du bist das Leben der Leben, die Seele der Seelen, du lebest dich selbst, du Unveränderlicher, der du auch das Leben meiner Seele bist. Wo warest du damals, und wie weit entfernt! Weit weg von dir war ich gezogen, selbst die Träbern, womit ich die Schweine nährte, waren mir versagt. Wie viel beßer sind selbst noch die Fabeln der Dichter, als jene Schlingen; denn Vers und Gedicht und die schwebende Medea sind noch nützlicher, als jene fünf verschieden gefärbten Elemente an den fünf Grotten der Finsterniß, die gar nichts sind und den zu Grunde richten, der an sie glaubt. Jene Verse und Gedichte wurden mir zur ächten Geistesnahrung. Jene schwebende Medea eignete ich mir nicht als etwas Wahres an, auch wenn ich sie sang, und glaubte nicht an sie, auch wenn man mir sie vorsang, an jene Trugbilder aber glaubte ich. Weh, weh, auf welchen Stufen ward ich geführt zu den Tiefen der Hölle, sauer mich abmüdend im Mangel des Wahren, da ich dich, mein Gott, suchte mit fleischlichem Sinn und nicht mit Geistesaugen, mit denen du mich über das Thier erheben wolltest! Das bekenne ich dir, der du mein dich erbarmtest, da ich dich noch nicht bekannte. Du aber warest innerlicher, als mein Innerstes, und warest höher, als mein Höchstes ist. Ich traf jenes freche, thörichte Weib, jenes Räthsel Salomo’s, die auf dem Stuhl in der Straße saß und sprach: die gestohlenen Waßer sind süße und wohlschmeckend sind die versteckten Brote. (Sprüche 9, 17.) Diese hat mich verführt, da sie mich draußen fand, mit meinen fleischlichen Blicken, wo ich wiederkäute, was ich mit ihnen verschlang.

VII.

Von nichts fast wußte ich, was es wirklich ist, und wurde beinahe tändelnd veranlaßt, mich von aberwizigen Betrügern fangen zu laßen, da sie mich fragten: woher das Böse denn rühre, ob Gott begränzt werde durch Körpergestalt, ob er Haare und Nägel habe, ob die im alten Bund für gerecht zu halten seien, die mehrere Weiber zugleich gehabt, Menschen getödtet und Thiere geopfert. In diesen Dingen unerfahren, ward ich verwirrt; von der Wahrheit mich entfernend, meinte ich in sie einzugehen, weil ich nicht erkannte, daß das Böse ein Raub am Guten ist und so weit führt, bis es das Gute vernichtet. Wie sollte ich’s erkennen, da meiner Augen Erkennen auf Körper nur und meiner Seele Erkennen auf Trugbilder gerichtet war? Nicht wußte ich, Gott sei ein Geist, der keine sich in den Raum ausdehnende Glieder hat und keine Körperlichkeit ist, weil diese kleiner in ihren Theilen ist, als in ihrem ganzen Gehalt, ja weil sie, selbst wenn sie unendlich ist, in einem Theile doch von einem Raume beschränkt wird, darin also kleiner ist, als ihr Unendliches, und damit nicht überall in ihrer Ganzheit ist, wie Gott es ist, der Geist ist. Ganz unbekannt war mir, was in uns sei, durch das wir Gott ähnlich werden, weshalb uns die Schrift mit Recht Gottes Bild nennt. Unverständlich war mir die wahre Gerechtigkeit, die nicht nach Gewohnheiten und Sitten richtet, sondern nach dem untrüglichen Gesetz des allmächtigen Gottes, nach welchem die Sitten der Länder und Zeiten sich eben nach jenen Ländern und Zeiten formen, während es selbst überall stets unverändert ist. Nach diesem sind Abraham und Isaak, Jakob, Moses und David, und Alle gerecht, die der Mund Gottes gerecht nennt. Nur von den Unerfahrenen werden sie für ungerecht gehalten, weil diese richten nach einem menschlichen Tage und alle Sitten des Menschengeschlechts nur nach ihrer Sitte beurtheilen. Aber darf ein in Waffen Ungeübter, der nicht weiß, was für jedes Glied passt, darf er murren, daß ihm nichts passe, wenn er mit den Fußschienen das Haupt bedeckt und mit dem Helm sich beschuht? Darf Einer schelten, wenn er auf einer auf den Nachmittag angesagten Gerichtsfeier nichts zum Verkauf ausstellen darf, da es ihm am Morgen erlaubt war, oder daß ein Diener mit seinen Händen etwas verrichtet, das nur dem Mundschenk zu unreinlich wäre; oder daß etwas hinter dem Stall geschieht, das nur vor dem Tische nicht schicklich ist? Darfst du zürnen, daß in einer Familie nicht Allen ganz das Gleiche zur Ausrichtung zugetheilt wird? Was tadeln denn Jene, daß damals den Gerechten erlaubt war, was jetzt ihnen nicht erlaubt ist, und daß Gott Diesen und Jenen Verschiedenes befahl nach den Umständen der Zeit, während sie beide doch derselben Gerechtigkeit dienten? Ist die Gerechtigkeit veränderlich und unbeständig, wenn wir an einem Menschen, an einem Tage, in einem Hause ein für jedes Glied, für jede Stunde, für jeden Bewohner eigenthümlich Geeignetes sehen; wenn viel schon lange Erlaubtes nach einer Stunde nicht mehr erlaubt ist; wenn etwas erlaubt und befohlen wird an einem Ort, das man verbietet und bestraft an einem andern? Nur die Zeiten, welchen die Gerechtigkeit vorsteht, gehen ungleich, denn es sind Zeiten; sie sind veränderlich, aber die Gerechtigkeit ist unveränderlich. Und die Menschen, mit ihrem kurzen Erdenleben, vermögen die Bräuche und Sitten frühere Jahrhunderte nicht mit den ihren zu faßen, ob sie auch an jedem Körper, Tage oder Hause zu erforschen wißen, was jedem Gliede schicklich sei, so wie jedem Augenblick und jedem Mitglied des Hauses: Diesem sich fügend, stoßen sie sich an Jenem. Das bot sich überall mir dar und ich mochte es nicht erkennen. So fertigte ich Gedichte und mußte nach des Versmaßes Ordnung hier so, dort anders verfahren, durfte selbst, wo das Versmaß dasselbe blieb, nicht an allen Stellen das gleiche Glied des Verses setzen, und doch enthielt mein Gedicht nicht nur diese oder jene Versart, sondern alle zugleich. Was sah ich nicht ein, daß die Gerechtigkeit, welcher heilige Menschen gehorchen, auf viel erhabenere Weise Alles zugleich enthalte, was Gott besieht, daß sie dieselbe bleibt unveränderlich, wenn sie such verschiedenen Zeiten nicht Alles zugleich, sondern nur das ihnen Zukommende besieht und ertheilt? Verblendet also tadelte ich die heiligen Väter, die Gott so hoch erhob, wenn er sie nicht nur für ihre Gegenwart mit seinem Geist erfüllte, wenn er sie selbst als Weißager der Zukunft offenbarte.

VIII.

Immer und überall gilt das Gebot, zu lieben Gott von ganzem Herzen und von ganzer Seele, mit allen Kräften, und seinen Nächsten wie sich selbst. Und darum sind die Verbrechen gegen die Natur immer und überall zu verabscheuen gleich Sodoms Gräueln. Begiengen diese alle Völker, so würden sie nach Gottes Gesetz alle auch der nemlichen Strafe, wie Sodom, unterliegen; denn unsere Verbindung mit Gott wird verletzt, wenn die Natur, deren Urheber er ist, auf verkehrte Weise befleckt wird. Die Sünden aber, welche nur gegen die Sitten der Menschen sind, sind zu vermeiden nach der Verschiedenheit dieser Sitten; es soll der Brauch, den Gemeinde oder Volk durch Verjährung oder durch Gesetz bestimmte, durch keines Bürgers, keines Fremdlings Uebertretung verletzt werden, denn jenes Glied ist schändlich, das seinem Ganzen nicht entspricht. Wenn aber Gott gegen Sitten und Vertrag einiger Menschen Befehle gibt, so ist ein Gebot zu vollführen, wenn Gleiches dort auch nie vollführt worden, ist zu erneuen, wenn es unterlaßen ward, und einzuführen, wenn nicht eingeführt. Schon einem Könige steht es zu, seinem Volke etwas zu besehlen, was weder Jemand vor ihm, noch er selbst jemals befahl, und es ist nicht gegen die Ordnung der bürgerlichen Gesellschaft, wenn ihm gefolgt wird, aber gegen sie ist’s, wenn man ihm nicht folgt, denn Gehorsam gegen die Könige ist der allgemeine Rechtsbrauch der menschlichen Gesellschaft. Um wie viel mehr ist Gott, dem König der Schöpfung in Allem zu gehorchen ohne Widerrede, was er auch gebieten mag. Wie unter den Gewalten der Welt die größere der kleineren vorsteht, damit ihr von dieser gehorcht werde, so stehet Gott über Allen. – Gegen die Nächstenpflichten aber wird gefrevelt bei allen Schandthaten, welche zu schaden suchen durch Zufügung von Schmach und Unrecht, oder der Rache wegen gar durch beides, wie es der Feind gegen den Feind thut; oder um des Andern Gut sich zuzueignen, wie der Räuber auftritt gegen den Wanderer; oder um Uebel zu vermeiden, da, der es fürchtet, dem, den er fürchtet, schadet; oder aus Neid, da der Elende dem Glücklichen Schaden bringt; ja beim glücklichen Fortgang einer Sache, aus Furcht oder aus Aerger über den Wetteifer eines Andern, oder aus bloßem Vergnügen an fremdem Schmerz, wie die Zuschauer es fühlen bei den Fechterspielen, und die Spötter und Neckischer aller Art. Das sind die Häupter der Sünde, welche aus der Sucht zu herrschen, zu schauen und zu fühlen, entweder aus einer, oder aus zweien, oder aus allen diesen zugleich, herauswachsen. – So wird schlecht gelebt wider die drei Gebote der Pflichten gegen dich und wider die sieben Gebote der Pflichten gegen den Nächsten, wider deinen zehnsaitigen Psalter, deine zehen Gebote, du höchster und süßester Gott! Aber können denn Schandthaten gegen dich geschehen, der du nie verletzt wirst, dem Niemand schaden kann? Nein, du strafst das, was die Menschen gegen sich selbst begehen, weil sie gegen dich sündigend, an ihrer eigenen Seele sündig handeln. die Ungerechtigkeit mit ihrer trüglichen Macht verderbt und verkehrt die von dir geschaffene, gelenkte Menschennatur, bis sie das Erlaubte unmäßig genießt, oder bis sie entbrennt nach des Verbotenen widernatürlichem Genuß. Auch fallen sie in Schuld, wenn sie mit Herz und Worten gegen deine Lenkungen toben und wider den Stachel ausschlagen, der sie treibt. Oder sie zerreißen die Ordnung der Gesellschaft durch selbstsüchtige Trennungen und Verbindungen, je nachdem sie etwas beleidigt und ergötzt. So kommt es, wenn du, des Lebens Quelle, du einiger wahrer Lenker der ganzen Welt, veranlaßen wirst, und wenn man im selbstsüchtigen Hochmuth das Einzelne liebt, das falsch und trüglich ist, so es nicht geliebt wird in dir. Nur durch Kindesdemuth kehrt man zurück zu dir; dann reinigst du uns von der bösen Gewohnheit, siehst gnädig auf die Sünden der Bekennenden und hörest die Seufzer der Gefeßelten, du erlösest und von den Ketten, die wir selbst um uns wanden, wenn wir nicht mehr gegen dein sanftes Joch in Zügellosigkeit das Horn erheben, nicht mehr in der Gier, nur mehr zu besitzen, beharren, die uns in Gefahr bringt, Alles zu verlieren, und wenn wir mehr nicht unser Eigenes lieben, als dich, du Gut aller Güter, durch den alles Gute gut ist.

IX.

Unter der Sündenmenge sind auch noch die Unvollkommenheiten der im Guten Vorschreitenden, die nach dem Maßstab der Vollkommenheit getadelt, aber in der Hoffnung, sie dürften gute Frucht einst bringen, gebilligt werden, gleich des Feldes jungen Saaten. Auch sieht gar Manches wie Sünde aus, und ist es nicht, weil es weder dich, unsern Herrn und Gott beleidigt, noch die menschliche Gesellschaft. So wird Manches zeitgemäß zum Nutzen fürs Leben erworben, von dem es ungewiß ist, ob es aus Habsucht geschieht; Manches wird von der eingesetzten Gewalt, in der Absicht zu beßern, bestraft, von dem man nicht weiß, ob es nicht mit Lust bestraft wird nur um wehzuthun. Viel nach dem Urtheil der Menschen Verwerfliches, ist nach deiner Zustimmung zu billigen, und Vieles wird von dir verdammt, das von den Menschen gelobt wird. Denn oft verhält sich das äußere Ansehen einer That ganz anders, als des Handelnden Gemüth und wird von ihm in einem Zeitpunkt gethan, dessen Umstände uns verborgen sind. Wenn die Menschengesellschaft gerecht ist, die dir gehorcht, wer möchte dann zweifeln, daß gethan werden müße, was du, auch plötzlich, neu und ungewöhnlich besiehlst, selbst wenn du sonst es verboten hättest und die Ursache deines Befehls noch verbärgest, ja selbst wenn es gegen den geselligen Brauch mancher Menschen wäre. Glücklich, die wißen, daß du es besahlest; denn alles, was deine Diener so thun, geschieht entweder, um zu üben, was der Gegenwart Noth thut, oder um in die Zukunft zu weisen und sie anzubahnen.

X.

Dieß nicht erkennend, verlachte ich deine heiligen Knechte und Propheten. Aber da ich sie verlachte, wurde ich lächerlich vor dir. Denn allmählich kam ich im manichäischen Irrthum so weit, daß ich glaubte, die Feige sammt ihrem mütterlichen Baume weine milchweiße Thränen, wenn sie gepflückt werde. Wenn jedoch ein auserwählter, für heilig gehaltener Manichäer eine solche Feige gegeßen, und sich nur selbst nicht durch ihr Abpflücken versündigt habe, und wenn er sie nun verdaue, so hauche es aus ihr Engel, ja Theilchen Gottes aus, während er zwischen seinen Reden gähne, aufseufze oder es ihm aufstoße. Diese Theilchen des höchstwahren Gottes wären, meinte ich, an jene Frucht gebunden geblieben, wenn sie nicht die Auserwählten mit ihren Zähnen und ihrem Magen erlöst hätten! So glaubte ich Elender, man müße den Früchten der Erde mehr Mitleid als den Menschen zollen, wegen derer sie erschaffen sind. denn wenn ein Nichtmanichäer hungernd nach Speise begehrte, so hätten wir den Bißen gleichsam für verdammt gehalten, den wir ihm gerreicht hätten.

XI.

Und du recktest deine Hand aus der Höhe und rißest aus dieser tiefen Nacht meine Seele, da für mich meine Mutter, dir so treu, inniger zu dir weinte, als sonst Mütter ihre leiblich Todten beweinen. Sie sah mich dem Glauben und dem Geist gestorben, die sie von dir empfangen hatte, und du erhörtest sie. Du erhörtest sie und hast nicht verachtet ihre Thränen, mit welchen ihre Augen die Erde netzten, wo sie zu dir rief. O treues Erbarmen, und du erhörtest sie! Denn woher kam ihr jener tröstliche Traum, durch den sie mir wieder gestattete, mit ihr zu leben und ihren Tisch zu theilen, was sie mir verweigert hatte in der verabscheuenden Verwerfung meines lästernden Irrthums? – Ihr war, als stünde sie auf einem Richtscheite und träte zu ihr ein glänzender Jüngling, der heiter die vom Gram Erdrückte anlächelte und sie fragte um den Grund ihrer Thränen und ihrer täglichen Trauer, nicht um sie zu erfahren, sondern um zu belehren, wie das deine Gesichte thun. Und als ihm antwortete, mein Verderben beweine sie, gebot er ihr darüber ruhig zu sein und aufzublicken: »wo sie stehe, da stehe auch ich«. Und als sie aufblickte, sah sie mich neben sich auf dem Richtscheit stehen. – Woher dieser Traum, als von dir, der du erhörend dich zu ihrem Herzen neigtest! O du allmächtige Güte, der du dich eines Jeden von uns also annimmst, als nehmest du dich seiner allein an, und so Aller dich zusammt annimmst, wie jedes Einzelnen! – Und da sie mir ihr Traumgesicht erzählte, und ich mich erfrechte, dahin es zu deuten, sie dürfe die Hoffnung nicht aufgeben, einst dahin zu gelangen, wo ich sei: woher, als von dir ihr Wort, mit dem sie mir sagte ohne Bedenken: »Nicht wurde mir gesagt, wo er stehet, da stehest auch du, sondern, wo du stehest, da stehet auch er?« Nach meiner Erinnerung gesteh ich dir Herr, was ich auch sonst nicht verschwieg, daß ich mehr als durch ihren Traum selbst, durch deine Antwort bewegt wurde, die du mir durch die sorgsame Mutter gabst, weil sie durch meine falsche, so nahe liegende Auslegung verwirrt wurde und so schnell das Wahre fand, das mir vor ihrer Antwort verborgen geblieben war. So hast du gar lang zuvor der frommen Frau die tröstende Freude verheißen, die ihrem Grame folgen sollte. Denn neun Jahre folgten, in welchen ich in jenem Abgrund, in jenes Truges Nacht umhergeworfen wurde, aus der ich so oft mich erheben wollte, und doch nur fester gebunden ward. Während all’ dieser Zeit hörte die fromme, weise Witwe – o, wie liebst du eine solche! – nicht auf, in allen ihren Gebeten über mich zu dir zu weinen. Schon durch Hoffnung ermuthigt, wurde sie doch nicht läßiger in ihrem Weinen und Seufzen. Zu dir drang ihr Flehen, aber noch ließest du mich in jener Finsterniß umhergewälzt werden, die um mich ihre Hüllen breitete.

XII.

Inzwischen aber gabest du eine andere Antwort, deren ich noch wohl gedenke, Vieles übergehend, weil ich zu dem Dringenden eile, das ich dir bekennen muß und auch Manches vergaß. Jene Antwort gabst du durch deinen Priester, einen frommen Bischof, dessen Geist in deiner Kirche geübt und genähret war in deinem Wort. Ihn hat die Mutter, er möge einer Unterredung mich würdigen, um meine Irrthümer zu zerstreuen, mich vom Bösen wegzuführen und dem Guten zuzuführen. Und so bat sie Jeden, den sie dazu für tauglich hielt. Er jedoch verweigerte dieß, und wie ich später erkannte, war seine Weigerung weise. Denn er gab ihr zur Antwort, ich sei noch keiner Belehrung fähig, weil ich noch von der Neuheit jener Ketzerei befangen und stolz darauf sei, mit meinen verfänglichen Fragen der Unerfahrenen Viele schon verwirrt zu haben, wie sie ihm selbst ja anvertraut habe. – »Laß ihn dort,« sprach er, »und bete du zum Herrn für ihn, er wird durch Lesen selbst wohl finden, was Jener Irrthum, und wie groß dessen Gottlosigkeit ist.« Dabei erzählte er, wie er noch klein, von seiner verführten Mutter den Manichäern übergeben worden, alle ihre Bücher gelesen, sogar abgeschrieben, und dann von selbst, daß Jemand ihn überwiesen, eingesehen habe, wie verderblich diese Lehre sei, von der er sich dann losgemacht. Als sie sich dennoch nicht zufrieden geben, und mit vielen Thränen weiter in ihn dringen wollte, daß er mich sehe und spreche, erwiederte er mit scheinbarem Unwillen: »laß mich, es ist, so wahr du lebst, nicht möglich, daß ein Sohn solcher Thränen verloren gehe!« Oft erzählte mir meine Mutter, dieß Wort habe sie ergriffen, als wäre es vom Himmel erklungen.

Viertes Buch

Der meiner Seele lichte Hälfte war,

Sie trugen mir den lieben Freund zu Grabe;

Mein Jugendglück, all meine frohe Habe

Versanken mir mit seiner Todtenbahr.

Ich bot mich meinem Schmerz zum Raube dar,

Daß er sich voll am vollen Leben labe;

Er trank sich nimmer satt an seiner Gabe,

Als wär er ewig fessellos und wahr.

Da sprachst du tröstend in mein lautes Weinen:

Er ist bei mir, um den das Herz dir bricht,

Reich mir die Hand, ich will euch froh vereinen.

Ich lieb ihn jetzt in dir und deinem Licht,

Ich hab ihn wieder nach den wilden Peinen,

Herr, du mein Frieden, meine Zuversicht.

I.

In jener Zeit von neun Jahren, von meinem neunzehnten bis zu meinem achtundzwanzigsten Lebensjahre, wurde ich irre geführt und führte Andere irre; zeigte mich in meinen bunten Bestrebungen unwahr und trüglich, sowohl öffentlich durch das, was man die freien Künste nennt, als heimlich durch meine falsche Religion; war dort stolz, hier abergläubisch und nichtig in Allem. Dort suchte ich den eitlen Ruhm vor dem Volke bis zu theatralischem Beifallshaschen, Wettgedichten und Kämpfen um verwelkliche Kränze, ja bis zur Stillung der Zügellosigkeit des Fleisches; hier strebte ich wieder, mich von diesem Unrath zu reinigen, indem ich den für auserwählte Heilige Geltenden Speisen zutrug, von welchen sie uns in den Werkstätten ihres Leibes Engel und Götter machten, durch die wir befreit werden sollten. Das that ich mit meinen durch mich und mit mir betrogenen Freunden. Mögen mich die Uebermüthigen und Alle verlachen, die von dir noch nicht zu ihrem Heile gebeugt wurden; ich will dir zu deinem Lob meine Schande bekennen, will meines Irrthums Umwege durchgehen und dir das Opfer meines Jubels bringen. Denn was bin ich mir ohne dich, als mein eigener Führer ins Verderben; was selbst in meinem Wohlbefinden, wenn ich mich nicht mit dir, meiner milden Nahrung nähre, die nie verdirbt? Was für ein Mensch ist jeder Mensch auf Erden, da er ein Mensch von Erde ist! Mögen mich verlachen, die auf ihre Gewalt pochen, ich bekenne dir meine Mängel und Schwächen.

II.

In jenen Jahren lehrte ich die Redekunst und bot, besiegt von Ehrbegierde, die besiegende Geschwätzigkeit feil. Doch gute Schüler wünschte ich mir, wie man sie so gewöhnlich gut nennt, und lehrte sie ohne Verfänglichkeit die Verfänglichkeiten, mit welchen sie zwar nicht gegen die Unschuldigen, aber doch zu Gunsten der Schuldigen reden sollten. Und du, Gott, sahest von ferne meinen aus eitlem Rauch als schwachen Funken aufflackernden Glauben, den ich den Freunden der Eitelkeit noch unter den Lügen mittheilte, die sie suchten und die ich gab.

Damals hatte ich eine Freundin; sie war mit mir nicht in gesetzlicher Ehe verbunden, meine umherschweifende Leidenschaft hatte sie thöricht aufgespürt. Doch hatte ich nur sie und hielt ihr die Treue. Aber an ihr und mir bewies sich der Unterschied des ehelichen Bundes, der nur für Kindererzeugung geschloßen wird, und der sündhaften Neigung, wo man Kinder zeugt, ohne es zu wünschen, nöthigen sie auch durch ihre Geburt, sie zu lieben.

Auch erinnere ich mich, daß mir, da ich einen dichterischen Wettkampf eingehen wollte, ein Zeichendeuter um gewissen Lohn den Sieg versprach, dem ich aber, diese schändlichen Bräuche verabscheuend, erwiederte: selbst wenn der goldene Siegerkranz unsterblich wäre, gäbe ich nicht zu, für meinen Sieg nur eine Fliege zu tödten. Denn er pflegte Thiere bei seinen Gebräuchen zu opfern, und mir schien, als wollte er dadurch der bösen Geister Gunst erwerben. Aber auch diese Sünde verwarf ich nicht mit der Reinheit, die von dir stammt, du Gott meines Herzens; noch verstund ich ja nicht, dich zu lieben, der ich statt deiner nur von gleißenden Scheinbildern wußte. Denn schweift eine Seele nicht niedrig weg von dir, waidet sie nicht Winde, wenn sie sich nach solchen Truggestalten sehnt? Wollte ich auch nicht, daß man für mich den bösen Geistern opfere, so opferte ich mich doch ihnen selbst in jenem Aberglauben. Denn was ist Winde waiden und hegen anderes, als böse Geister hegen, durch seine Verirrungen ihnen zur Luft und zum Hohne werden?

III.

Dagegen hörte ich nicht auf, jene leichtfertigen Sterndeuter um Rath zu fragen, weil sie keine Opfergebräuche hatten und an keinen Geist Gebete richteten, während doch das ächte Christenthum auch ihr Thun verwirft; denn nur heilsam ist, dich zu bekennen, Herr, und in das Wort einzustimmen: »Herr sei mir gnädig, heile meine Seele, denn an dir habe ich gesündigt« (Psalm 41, 5.). Nicht soll man zur Freiheit im Sündigen deine Nachsicht misbrauchen, man soll dein Wort bedenken: »siehe zu, du bist gesund worden, sündige hinfort nicht mehr, daß dir nicht etwas Aergeres widerfahre« (Joh. 5, 14.). Dieses Gesunden zerstören wieder, die da mit den Sterndeutern lehren: vom Himmel kommt dir die unvermeidliche Ursache zum Sündigen; das hat Venus, oder Saturn gethan. Als wenn der Mensch, dieß stolz verwesende Fleisch und Blut, ohne Schuld – als wenn nur der Schöpfer des Himmels und seiner Gestirne zu beschuldigen wäre! Und wer ists, dem man dieß vorwirft, als du Gott, du Wonne und Quell der Gerechtigkeit, der du einem Jedem vergiltst nach seinen Werken, und doch ein zerstoßenes und gedemüthigtes Herz nicht verachtest. Es lebte damals ein weiser, in der Arzneikunde wohl erfahrener, und sehr berühmter Mann, welcher im Namen des Consuls mir einen Siegeskranz der Beredtsamkeit auf’s kranke Haupt, nicht eben als der beste Arzt für dasselbe, gesetzt hatte. Denn nur du bist der heilende Arzt solcher Kranken, der du den Stolzen widerstehst und den Demüthigen Gnade gibst. Aber fehltest du mir denn in jenem Greise, unterließest du denn, durch ihn meine Seele heilen zu wollen? Zu ihm hielt ich mich und hieng an seinen Reden, die ohne künstliche Ausbildung durch das Belebende ihrer Gedanken anmuthig und gewichtig wurden. Als er nun, durch unsere Gespräche, bemerkte, ich habe mich auf die Schriften der Sterndeuter gelegt, ermahnte er mich mit väterlicher Güte, von ihnen zu lassen und nicht Zeit und Mühe, die nützlichern Dingen gebühre, vergeblich an solche Nichtswürdigkeiten zu wenden. Auch er habe sie in seiner Jugend und in der Absicht erlernt, seinen Lebensunterhalt durch sie zu erwerben, und ob er sie gleich so gut als seinen Hippokrates zu verstehen geglaubt, habe er doch nur darum sie aufgegeben, und sich allein noch auf die Arzneikunde gelegt, weil er ihre Lügenhaftigkeit erkannt und es verschmäht habe, sich durch Täuschung seiner Mitmenschen Ansehen und Unterhalt zu verschaffen. »Du aber,« sprach er weiter zu mir, »suchst dir deinen Unterhalt durch die Redekunst zu erwerben und legst dich nur aus Liebhaberei auf diese Betrügereien, da du nicht nöthig hast, dich durch sie zu ernähren. Um so mehr mußt du mir glauben, der ich sie so gründlich erlernte, daß ich von ihnen leben wollte.« – Als ich ihm hierauf einredete, woher es denn aber komme, daß diese Künste doch viel Wahres verkündigten, antwortete er mit Ueberzeugung: das thue die Macht des Geschickes, welche über alle Welt sich ausgieße. Schon in einem Dichterwerke, in dem Jemand einen Vers aufschlage, um sich von ihm Rath zu holen, könne sich oft ein Vers darbieten, der auffallend mit der Sache stimme, über die man Auskunft gesucht, während das Gedicht selbst etwas ganz Anderes beabsichtige. Um so weniger dürfe man sich wundern, wenn aus einer Menschenseele gleichsam durch einen höhern Zug, ohne daß sie es wiße, Worte kämen, die nicht durch geheime Kunst, die durch das Geschick mit den Umständen übereinstimmen, um die man frage. Dieß ließest du mir durch Jenen sagen, auch fand ich es später selbst so. Doch damals konnte weder Jener, noch mein theurer Nebridius, ein sehr edler, tugendhafter Jüngling, der aller jener Vorherverkündigungen lachte, mich zu ihrer Verwerfung überreden, da mich das Ansehen der Sterndeuter weit mehr anzog und ich den von mir gesuchten Beweis noch nicht gefunden hatte, der mich überzeugt hätte, daß das was mir von den Befragten Wahres gesagt wurde durch Zufall oder Geschick eingetroffen sei und nicht durch die Kunst derer, die in den Gestirnen forschten.

IV.

In jener Zeit, in welcher ich in meiner Geburtsstadt zu lehren anfieng, hatte ich mir einen Freund erworben, der mir durch unsere gemeinschaftlichen Studien äußerst lieb und mit mir im gleichen, blühenden Alter war. Er war mit mir als Knabe aufgewachsen, zusammen giengen wir zur Schule, zusammen spielten wir. Und doch war er mir, weder in unserer Knaben- noch Jünglingszeit, so befreundet, wie es die wahre Freundschaft fordert, die nur die wahre wird, wenn du an dir hangende Seelen mit jener Liebe einander vereinst, die in unser Herz ausgegoßen ist durch den heiligen Geist, der in uns ist. Und dennoch war sie so süß, seit sie uns durch unsern Eifer in den gleichen Studien in einander verschmelzt hatte. Auch wahren Glauben weg, in dem der Jüngling noch nicht fest wurzelte, wendete ich diesen zu jenen abergläubischen, verderblichen Fabeleien, wegen deren meine Mutter mich beweinte. Schon irrte mit mir dieses Menschen Seele so vereint, daß es meine Seele ohne die seine nicht mehr konnte. Aber siehe, du, der du verfolgst, die dich fliehen, du Gott der Vergeltung und du Quell zugleich des Erbarmens, der du zu dir uns bekehrst auf wundervollen Wegen, siehe, du nahmest ihn weg von diesem Leben, da ihn kaum mit mir ein Jahr der Freundschaft verbunden hatte, die mir wonnig war über alle Wonnen dieses Lebens. Wie vermag der Mensch auch nur diejenigen deiner preiswürdigen Offenbarungen zu zählen, die er an sich selbst erfuhr? Welche unergründliche Tiefe deiner Gerichte lag in dem auch, das du damals mir thatest! Am Fieber erkrankt, lag Jener ohne Bewußtsein lang im Todesschweiß. Da man an seinem Aufkommen verzweifelte, tauften sie ihn, ohne daß er davon wußte, und ohne daß ich mich darum kümmerte, der ich voraussetzte, was er von mir empfangen, vermöchte sein Leben eher zu erhalten, als was, ohne sein Wißen, an seinem Körper geschah. Aber weit anders ist es gekommen; er hat sich erholt und ist genesen. Weil ich nie von ihm gewichen – so lieb waren wir uns – so vermochten wir bald wieder zusammen zu sprechen; und nun suchte ich, als würde er mit mir lachen, die Taufe zu verlachen, die er geistesabwesend empfangen hatte und von der er jetzt wußte. Da erschrack er vor mir, wie vor einem Feinde, und mahnte mich mit wundersam raschen Freimuth, solche Reden gegen ihn zu unterlaßen, wenn ich sein Freund sein wolle. Ich aber hielt in Betroffenheit und Verwirrung meine ganze Gemüthsbewegung zurück, damit er um so bälder genese und durch zunehmende Kraft der Gesundheit für das fähig werde, was ich mit ihm verhandeln wollte. Aber er wurde meiner Albernheit entrißen, damit er bei dir zu meinem Troste bewahrt werde. Nach wenigen Tagen raffte ihn, in meiner Abwesenheit, ein wiederholter Fieberanfall weg. Von Schmerz um ihn wurde mein Herz umnachtet, und Tod sah ich nur überall. Zur Marter ward mir die Heimath, zum tiefsten Leid das Vaterhaus; was ich mit ihm getheilt, hatte sich verwandelt in unendliche Qual, seit er mir entrissen war. Ueberall suchten ihn meine Augen, ach, er wurde mir nicht wieder gegeben! Ich haßte Alles; es hatte ja ihn nicht und konnte nicht zu mir sagen: er wird kommen, wie er so oft nach einer Abwesenheit kam, in der Zeit seines beglückenden Lebens. Ich wurde mir selbst wie eine große Klage; meine Seele fragte ich, warum sie so traurig sei und so sehr sich betrübe, aber nichts vermochte sie mir zu antworten. Und wenn ich zu ihr sprach: hoffe auf Gott, so hatte sie Recht, mir nicht zu folgen, weil der Freund, den sie verloren, wahrhaftiger und als Mensch etwas Beßeres war, denn das Trugbild, auf das sie hoffen sollte. Süß waren allein mir meine Thränen, die den Freund vertraten, die letzte Erquickung meiner Seele.

V.

Aber nun, Herr, ist auch das vorüber, und durch die Zeit ist meiner Wunde Schmerz geheilt. Doch darf ich es hören von dir, der du die Wahrheit bist, und meines Herzens Ohr legen an deinen Mund, daß du mir sagest, warum das Weinen den Elenden süß ist? Oder hast du, obgleich du überall bist, unser Elend weit von deinem Auge gethan? Du bleibst ewig friedenvoll in dir, wir aber werden durch viele Prüfungen umhergeworfen. Und doch wäre es aus mit unserer Hoffnung, wenn wir vor dir nicht mit unsern Klagen erscheinen dürften. Doch woher kommt es, daß wir von der Bitterkeit des Lebens diese süße Frucht, dieß Seufzen und Weinen, dieß Sehnen und Klagen pflücken? Ist unser Hoffen auf deine Erhörung das Süße darin? Wollen wir ja, um was wir bitten. Aber lag denn das in dem Schmerz, in der Trauer um den Verlust, der mich damals erdrückte? Nicht hoffte ich, er würde wieder lebendig werden, nicht flehte ich das in meinen Thränen, ich konnte nur mich grämen und weinen, denn ich war elend und hatte meine Freude verloren. Oder ist auch das Klagen und das Weinen bitter, und wird es nur süß, in Vergleichung mit dem Schauder vor dem Tode dessen, das durch sein Leben unsere Freude war? Schmilzt die entsetzende Qual hin in der sanften Thräne?

VI.

Was rede ich! Jetzt ist nicht Zeit zu fragen, Zeit ist jetzt, dir zu bekennen. Elend war ich, wie jedes Herz, das gefesselt ist von der Liebe zum Sterblichen. Zerrißen wird es, wenn es dasselbe verliert, und fühlt jetzt das Elend erst, in dem es schon schmachtete, ehe es verlor. So war ich damals, da ich so bitterlich weinte und nicht aus dieser Verbitterung heraus wollte. Aber wie elend ich war, doch liebte ich mein elendes Leben mehr, als den Freund. Ob ich auch den elenden Zustand meines Lebens zu ändern wünschte, wollte ich es doch nicht eher verlieren, als den Freund. Und schwerlich hätte ich das für ihn gewollt, was von Orest und Pylades erzählt wird, wenn es wahr ist, welche füreinander und miteinander zu sterben verlangten, weil ihnen nicht miteinander leben bitterer war, als Tod. Ich hingegen fühlte sowohl größten Lebensüberdruß, als größte Todesfurcht. Ich vermuthe, je mehr ich den Freund liebte, desto mehr haßte und fürchtete ich, gleich dem grausamsten Feinde, den Tod, der mir ihn entrißen hatte; und ich wähnte, er werde nun plötzlich alle Menschen verzehren, weil er es mit diesem vermochte. – So war ich fürwahr, ich weiß es noch; sieh mein Herz an, mein Gott, sieh in mein Tiefstes, da die Erinnerung mich trifft, o du meine Hoffnung, der du mich reinigst von der Unreinigkeit solcher Empfindungen, der du zu dir kehrst meine Blicke und von den Schlingen befreist meine Füße. – Ja, ich wunderte mich, daß die übrigen Sterblichen noch lebten, weil der gestorben war, den ich geliebt, als könnte er niemals sterben; und am meisten wunderte ich mich, daß ich selbst den überlebe, von dem ich der andere Theil war. Denn schön nannte Jemand die Hälfte seiner Seele. Auch ich empfand wie meine und seine Seele nur eine Seele in zwei Leibern waren; darum war mir das Leben so grauenvoll, weil ich nicht leben wollte als ein halber Mensch, und darum fürchtete ich zu sterben, damit der nicht ganz sterbe, den ich so viel geliebt.

VII.

O über die Thorheit, die Menschen nicht menschlich zu lieben weiß; über den thörichten Menschen, der das Menschliche nicht ertragen mag; und ein solcher war ich. Daher glühte ich und seufzte, weinte und kam außer mir, und fand weder Rath noch Frieden. Ein zerrißenes, blutendes Herz trug ich in mir, war nicht im Stande mehr, es zu tragen und fand den Ort nicht, wo ich es zur Ruhe legte. Nicht Ruhe fand es, weder in schattenden Hainen, noch in Spielen und Gesängen; weder in duftenden Räumen, noch bei bereiteten Gelagen; nicht in den Genüßen der Nacht, noch in Büchern und Gedichten. Alles erschreckte mich, das Licht selbst war mir verletzend und gehäßig, und Alles, was nicht war, was er war. Nur in Seufzern und Thränen fand ich noch kleine Erquickung. Wohin ich von ihnen mich kehrte, da drückte mich die schwere Bürde meines Jammers nieder. Herr, ach bei dir allein war Linderung und Genesung, das wußte ich, und konnte sie doch weder verlangen noch erlangen, weil du nichts Wahres mir, und nichts Vertrauenswerthes warest, so oft ich auch über dich dachte: denn nicht du, meines Irrthums nichtiges Trugbild war mein Gott. Wenn ich das festhalten wollte, zerrann es in’s Leere und stürzte sich von Neuem über mich; ich selbst blieb mir der unselige Ort, in dem ich nicht weilen, aus dem ich nicht eilen konnte. Wohin denn sollte mein Herz fliehen aus meinem Herzen? Wohin sollte ich vor mir selbst mich flüchten, wohin mußte ich mir nicht folgen? Doch floh ich aus der Heimath, denn wo ihn meine Augen nicht zu sehen gewöhnt waren, da suchten sie ihn weniger. Und so begab ich mich von der Stadt Tagastä wieder nach Karthago.

VIII.

Nicht leer sind die Zeiten, nicht wirkungslos wogen sie durch unser Bewußtsein, Großes wirken sie an der Seele. Aber siehe, sie kamen und schieden von Tage zu Tage, und im Kommen und Weichen boten sie mir andere Gestalten und andere Erinnerungen, flickten mich wieder mit den alten Ergötzungen, von denen mein Schmerz sich gewendet, und es folgten, wo nicht andere Schmerzen, doch Anläße zu andern Schmerzen; denn jener Schmerz hatte mich nur niedergeworfen, weil ich auf den Sand gebaut, da ich einen Sterblichen liebte, als stürbe er nicht. Den meisten Trost gewährten mir neue Freunde, mit welchen ich statt deiner noch der Manichäer große Fabel und lange Lüge liebte, durch deren treulose unser Geist verderbt wurde, da uns nach ihnen die Ohren jukten; denn wenn auch einer meiner Freunde starb, jene Fabeleien starben mir doch nicht. Vieles war, das nun wieder mein Herz ergriff: Gespräche und Scherze, wohlwollende, wechselseitige Hingebung, gemeinschaftliches Lesen süß redender Bücher, vereintes Schwärmen und Schönthun, zuweilen Uneinigkeiten ohne Haß, so wie der Mensch oft mit sich selbst uneins wird; durch seltene Uneinigkeiten selbst gestiftete häufigere Uebereinstimmung; einander lehren und von einander lernen; nach den Abwesenden mit Leid verlangen und die Wiederkehrenden mit Frohsinn empfangen. Solche Erweisungen treten aus den Herzen der einander Befreundeten, durch Mienen, Sprache, Blicke und tausend freundliche Gebährden und machen sie zusammenflammen wie durch zündende Funken, so daß aus vielen Seelen eine wird.

IX.

Das ist’s, was an Freunden geliebt wird, und so wird es geliebt, daß sich des Menschen Bewußtsein schuldig gibt, wenn es den Wiederliebenden nicht liebt und den Liebenden nicht wieder liebt, nichts Tieferes in seiner leiblichen Erscheinung suchend, als die Merkmale freundlicher Zuneigung. Daher jene Trauer, wenn ein Freund stirbt, und jene Schmerzensnacht; daher das thränenschwere Herz, dem seine Süßigkeit sich in Bitterkeit verwandelt hat, daher aus Sterbenden scheidendem Leben der Tod der Lebendigen. Selig ist, wer dich liebt, und den Freund in dir, und den Feind um deinetwillen! Der allein verliert keinen Theuren, dem sie theuer alle sind in dem, der nie verloren geht. Und wer ist der, als unser Gott, der Gott, der Himmel und Erde schuf, der sie erfüllt, weil er sie schuf, indem er sie mit sich selbst erfüllte. Dich verliert nur wer dich verläßt. Doch wo geht, wo flieht er hin, der dich entläßt, als von dir dem Gütigen zu dir dem Zürnenden? Denn wo findet er dein Gesetz nicht in seinen Strafen? Und dein Gesetz ist die Wahrheit, die Wahrheit aber, die bist du.

X.

Du Gott der Tugenden, bekehre uns, laß leuchten dein Antlitz, so genesen wir! Wohin auch des Menschen Seele sich wenden mag, wenn sie anderswo ist, als in dir, so wird sie an den Schmerz gebunden, mag sie auch an schöne Dinge gebunden sein, die außer dir nur Schein ohne inneren Werth sind. Diese wären nicht, wenn sie nicht wären von dir; sie gehen auf und gehen unter, durch ihren Aufgang treten sie ins Wachsthum des Lebens und werden vollendet; sind sie das, so altern sie und gehen unter, und Vieles geht unter, ehe es altert. Sie entstehen in Werde- und Lebenslust, und je mehr sie zu leben eilen, um so mehr eilen sie dem Tode entgegen. Nur so viel Leben gabst du ihnen, weil sie nur Theile sind, nicht das Ganze. Denn durch Verschwinden und Aufeinanderfolgen bilden sie alle die Welt, deren Theile sie sind. Auch in unsern Reden verklingt ein Wort nach dem andern, und die Rede wird kein Ganzes, wenn ihre einzelne Worte, nachdem sie sich ausgesprochen haben, nicht vergehen und andere ihnen folgen. Auch über dieses Vergängliche lobe dich meine Seele, mein Gott, der du das Alles schufst, aber nicht mehr an das, was vergeht, hefte sich meine Seele mit sinnlichen Liebesbanden. Von jeher gingen die vergänglichen Dinge nur dahin, um bald nicht mehr zu sein und zerreißen die Seele mit verpestenden Begierden, weil sie in ihnen nur leben und in dem ruhen will, das sie liebt. Aber in ihnen ist keine Ruhestätte, sie bestehen nicht, sie fliehen. Wer vermag ihnen zu folgen mit fleischlichem Sinn, wer kann mit ihm sie begreifen, selbst wenn sie da sind? Denn träge und langsam ist des Fleisches Sinn, weil er fleischlich ist und hat in seiner Natur seine Schranke. Nur für das reicht er zu, zu welchem er bestimmt ist, aber so weit reicht er nicht, daß er das Vorübergehende von dem ihm bestimmten Anfang bis zu dem ihm bestimmten Ende festhalte als ein Ganzes. Nur in deinem Wort, das sie schuf, vernehmen alle Dinge die Stimme: bis hieher sollst du gehen und nicht weiter. Hiob 38, 11.

XI.

So sei nicht eitel meine Seele, laß dich durch deines Herzens Sprache nicht ins Getümmel der Eitelkeit zu deiner Betäubung führen. Horch auf, das ewige Wort selbst ruft dich, daß du dahin zurückkehrest, wo der Ort der niegetrübten Ruhe ist, wo die Liebe nie verlassen wird, es sei denn, daß sie selbst verlasse. Sieh, Jenes vergeht und anderes folgt ihm und aus all seinem Einzelwesen besteht das Ganze der Welt. Vom Vergänglichen geh’ du zu deinem Gott, denn »geh ich irgendwo von dannen?« sagt Gottes Wort. (Jeremias 23, 23.) Bei ihm schlage deine Hütte auf, dort birg du, was du von dorther hast, meine Seele, genug schon bist du ermüdet von deinen Täuschungen allen. Ja, gib in der Wahrheit Hut, was dir irgend von der Wahrheit wurde, und du wirst nichts verlieren; wieder grünen wird, was dir vermoderte, geheilt werden deine Schäden alle; was dir zerrann, wird erneut mit dir verbunden, wird dich, von dem es niedersank, nimmer verlaßen, bestehen wird es mit dir und bleiben mit dir, bei Gott, dem immer Bleibenden. Solltest verkehrt du deinem Fleische folgen? Bekehrt folge es dir. – Das Einzelne der Sinnenwesen vergeht, das Ganze der Welt fassest du nicht, ob auch sein Einzelnes dich ergötze. Und wenn du es faßen könntest, und es nicht nur Eins ums Andere begriffest, so würdest du doch wünschen, daß vorüber gienge, was sich in Gegenwärtigkeit dir darbeut, damit dir so das Ganze beßer gefalle. Willst du ja, wenn du reden hörst, auch nicht, daß dieselben Worte da bleiben, sondern daß sie vorüberziehen und ihnen, bis du das Ganze hörtest, andere folgen. Das Ganze würde dich mehr erfreuen, als seine Bruchstücke, die in allmähliger Folge das Ganze bilden. Aber unser Gott, der es schuf, ist beßer, als Alles, er vergeht nicht, und nach ihm ist nichts, in ihm ist das All. Gefallen dir der Leiblichkeit Dinge, so lobe Gott in ihnen, und wende zu ihrem Schöpfer zurück deine Liebe, damit du nicht misfällig werdest in dem, das dir gefällt.

XII.

Selbst wenn Seelen gefallen, so sollen sie in Gott geliebt werden, denn auch sie sind wandelbar und werden in Gott nur unwandelbar befestigt, sonst giengen sie weg und giengen unter. In ihm nur sollst du sie lieben! Reiß mit dir hin zu ihm, so viele du kannst, und sage ihnen: laßt uns ihn lieben, lieben laßt uns ihn, er selber schuf ja, was da ist, und ist nicht fern. Nicht schuf er es und ging von dannen; aus ihm ist es in ihm. Seht wo er ist und wo die Wahrheit zum Verständnis kommt: tief innen ist er im Herzen, aber das Herz irrte weg von ihm. So stehet Antwort eurem Herzen, ihr Sünder, und hanget dem an, der euch schuf; stehet zu ihm und werdet bestehen, ruhet in ihm und ihr habt Frieden. Wo gehet ihr hin in die Bitterkeit, wo gehet ihr hin? Das Gute, das ihr liebet, ist von ihm, aber nur sofern es bei ihm ist und zu ihm führt, ist es gut und lieblich; mit Recht muß Alles bitter sein, was von ihm ist, sobald man es mit Unrecht liebt, indem man ihn verläßt. Wozu dient es auch, daß ihr fort und dort nur mühevolle Wege geht? Da ist die Ruhe nicht, wo ihr sie suchet; sucht was ihr sucht, da ist es nicht, wo ihr es sucht. Ihr suchet das selige Leben im Reich des Todes, da ist es nicht; wie könnte da die Seligkeit des Lebens sein, wo nicht einmal Leben ist?

Aber von des Lebens Seligkeit stieg Christus unser Leben herab und trug unsern Tod; es hat ihn getödtet durch die Fülle seines Lebens und ruft uns mächtig zu, daß wir vom Tode zu ihm in die geheime Stätte zurückkehren, aus der er zu uns heraustrat, in den ersten, jungfräulichen Schooß, wo sich mit ihm die menschliche Natur, das sterbliche Fleisch verband, damit es nicht sterblich bleibe; es ruft uns zu, daß wir im Geist von Neuem geboren werden von ihm, wie er für uns vom Menschenleib geboren ward im Fleisch; daß wir neu uns schaffen laßen im reinen Schooß der ewigen Liebe und Erbarmung, der keuschen, jungfräulichen Weißheit. Und vom jungfräulichen Schooß gieng er hervor, wie ein Bräutigam aus seiner Kammer, und freute sich wie ein Held, zu laufen den Weg (Psalm 19, 6.). Er säumte nicht, er lief, rief mit Worten und Thaten, mit Tod und Leben, mit seiner Höllenfahrt rief er, wir sollen zurückkehren zu ihm. Er verschwand von unsern Augen, daß wir in’s Herz gehen und ihn finden. Er gieng, und siehe, hier ist er. Er wollte nicht lange bei uns weilen, und hat uns nie verlaßen. Dorthin ging er, von wo er nie gegangen war, denn auch auf Erden war er im Himmelreich (Joh. 3, 13), weil Himmel und Erde durch ihn erschaffen ist. Und doch war er in dieser Welt und kam in sie, um die Sünder selig zu machen. Zu ihm bekennt sich meine Seele und er heilt sie, die an ihm gesündigt hat.

Ihr Menschenkinder, wie lange wollt ihr beschwerten Herzens bleiben? Wollt ihr nach eures Lebens Höllenfahrt euch nicht emporheben und leben? Aber wohin könnt ihr euch noch erheben, da ihr voll Stolz in der Höhe seid und im Uebermuth euer Haupt bis zum Himmel brachtet? O steiget herab, damit ihr aufsteiget, damit ihr aufsteiget zu Gott, denn gefallen seid ihr, da ihr euch gegen ihn erhobet! – Das verkünde ihnen, daß sie weinen im Thränenthal. Und so reiße sie mit dir zu Gott. Denn aus seinem Geiste redest du zu ihnen, wenn du entflammt redest mit dem Feuer der Liebe.

XIII.

Damals erkannte ich das nicht, und liebte nur das niedere, sinnliche Schöne, ich wandelte in die Tiefe, zu meinen Freunden sprechend: sollen wir außer dem Schönen etwas lieben? Was ist schön und was ist die Schönheit selbst? Was zieht uns zu dem hin, das wir lieben? Es zöge uns nimmer zu sich hin, wäre ihm nicht Gestalt und Schöne. Und ich bemerkte an den Körpern, wie das über ihr Ganzes ausgegoßene Schöne auch das bedürfe, daß sich seine einzelnen Theile passend ihm anfügen, wie die Ferse dem Fuße. Ich schrieb, angelegentlich diese Betrachtung auffassend, einige Bücher über das Schöne und Schickliche wie ich glaube zwei oder drei. Du weißest es, mir ist’s entfallen, denn ich besitze sie nicht mehr, sie kamen mir, ich weiß nicht wie, aus den Händen.

XIV.

Was veranlaßte mich, jene Bücher, Herr mein Gott, einem gewissen Hierius zuzueignen, einem Redner aus Rom, den ich nicht persönlich kannte? Aber ich liebte den Mann wegen des Ruhmes seiner Gelehrsamkeit und hatte einige seiner Worte durch Andre gehört, die mich ansprachen. Doch noch mehr gefiel er mir, weil er Andern gefiel, die ihn mit ihrem Lob erhoben und anstaunten, da er ein Syrer von Geburt, und früher mit der griechischen Beredtsamkeit vertraut, später sich auch in der lateinischen als ein ausgezeichneter Redner hervor that, und in Allem, was zum Studium der Weißheit gehört, sehr erfahren war. Gelobt wurde der Mensch und auch abwesend geliebt. Kommt wohl diese Liebe nur von des Preisenden Mund in des Hörers Herz? Nimmermehr, denn nur von einem Liebenden wird auch ein anderer Mensch entflammt. Geliebt wird ein Gepriesener, weil man überzeugt ist, der Preisende lobe ihn nicht mit trüglichem Herzen, da er ihn aus Liebe lobe. So liebte auch ich den Menschen nach der Menschen Urtheil und nicht nach deinem, o Gott, in dem Niemand getäuscht wird. Und doch, warum wurde Hierius nicht wie ein berühmter Wagenlenker oder Thierkämpfer durch Volksgunst berühmt, sondern viel anders und weit höher? Und warum wollte auch ich so gepriesen werden? Nicht wollte ich gelobt und geliebt werden wie die Schauspieler, obgleich ich sie lobte und liebte, lieber wäre ich verborgen geblieben, als so gelobt, lieber gehaßt, als so geliebt worden. Woher werden so verschiedene Arten von Liebe von einer und derselben Seele erwogen? Was ist es, das ich in einem Andern liebe und das ich, wenn ich es nicht selbst haßte, nicht an mir verwünschte und verwürfe, da wir doch beide Menschen sind? Denn nicht wie ein gutes Pferd von dem gelobt wird, der, wenn er auch könnte, kein Pferd sein möchte, kann es bei einem Schauspieler der Fall sein, da dieser ja gleicher Natur mit uns ist. Also liebe ich das im Menschen, dessen Dasein ich hasse, weil ich Mensch bin? Eine dunkle Tiefe ist der Mensch, dessen Haare du Herr gezählt hast, die ohne deine Vorsehung nicht vermindert werden, und doch sind seine Haare leichter zu zählen, als seine Neigungen und seines Herzens Bewegungen. Jener Redner jedoch war von der Art, daß ich ihm gleichen wollte, da ich ihn liebte. So irrte ich im Uebermuth und wurde von jedem Winde umhergetrieben und wunderbar verborgen doch von dir geleitet. Und daher weiß ich, und bekenne es dir aufrichtig, daß ich Jenen in der Liebe derer, die ihn priesen, mehr liebte, als in den Dingen selbst, über die er gelobt ward. Denn wäre er von ihnen, statt gelobt zu werden, getadelt worden, und hätten sie von ihm auch ganz dasselbe, aber mit Tadel erzählt und Verachtung, so wäre ich für ihn nicht begeistert worden. Und doch hätte sich nur die Gesinnung der Erzähler, nicht aber die Sache und der Mann selbst anders verhalten. Siehe wie die Seele so kraftlos darnieder liegt, so lange sie der ächten Wahrheit nicht anhängt. Wie nur der Worte Hauche aus der Brust derer wehen, die sie ausdenken, so wird der Seele das Licht gebracht und entzogen, hin und her gewandelt und verdunkelt, und die Wahrheit wird von ihr nicht gesehen, und siehe, sie ist vor uns. Ein Großes dünkte es mir, wenn mein Büchlein jenem Manne bekannt würde. Hätte er es gebilligt, so wäre mein eitles, deiner Wahrheit fremdes Herz noch mehr aufgeblasen, hätte er es misbilligt, so wäre es verwundet worden. Und doch habe ich jenes schön und schicklich Ausgedachte, über das ich ihm schrieb, vor meiner inneren Betrachtung mit Lust bewegt und bewundert auch ohne einen Mitwundernden.

XV.

Nicht sah ich ein, daß das Wesentliche des Schönen in deiner kunstvollen Vorsehung liege, Allmächtiger, der du allein Bewundernswerthes hervorbringst. Die einzelnen Körperformen durchgehend, versuchte ich zu erklären, zu unterscheiden und mit Beispielen zu belegen, was schön an sich ist und was durch sein einem Andern Angepasstes schicklich ist. Hierauf wandte ich mich zur Betrachtung der Natur der Seele; aber meine falsche Meinung über die geistigen Dinge ließ mich auch hier das Wahre nicht erkennen. Nur das Sinnliche hielt ich für wahr, daher richtete ich meinen schwankenden Verstand statt aufs Körperliche, seine Umrisse, Farben und Größen. Und weil ich das am Geiste nicht schon konnte, so glaubte ich meinen Geist nicht erkennen zu können. Weil ich aber in der Tugend den ihr eigenthümlichen Frieden liebte, im Bösen aber den ihm eigenen Streit haßte, so bemerkte ich in der Tugend Einheit, im Bösen Zerrißenheit, und in jener Einheit schien mir die Vernunft, die Natur der Wahrheit und des höchsten Guts selbst zu liegen. Kläglich aber wähnte ich, in jener Zerrißenheit des bösen, vernunftlosen Lebens liege irgend eine wesenhaft urböse Natur, die, ob sie gleich Leben sei doch nicht von dir erschaffen sei, du mein Gott, der doch Alles schuf. Jenes Gute nannte ich die unvermittelte Einheit, eine gleichsam geschlechtslose Seele, dieses Böse die zerrißene Zweiheit, weil ich Widerwillen und Lust zugleich in den Schandthaten bemerkte. Ach ich wußte nicht, was ich da fabelte! Ich hatte nicht erkannt, daß das Böse weder ein selbstständiges Wesen noch unser eigener Geist das höchste, unwandelbare Gut sei. Wie Sünden entstehen, wenn der Seele unreine Gier sich stolz und stürmisch erhebt, und wie Laster aus dem ungezügelten fleischlichen Trieb ersteigen, so beflecken Irrthümer und falsche Meinungen die Seele, wenn die Vernunft selbst unrein ist. So war sie damals in mir, der ich nicht wußte, daß sie erleuchtet werden müße von einem andern Lichte, wenn sie der Wahrheit theilhaftig werden wolle, weil sie nicht selbst die Natur der Wahrheit ist. Herr, mein Gott, nur wenn du meine Lampe erleuchtest, erhellt sie die Nacht, und von deiner Lichtfülle haben wir alle empfangen; denn du bist das wahre Licht, das alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen; in dir ist kein Wechsel des Lichts und der Finsternis. Aber ich strebte nach dir und wurde von dir weggestoßen, daß ich den Tod kosten mußte, weil du den Stolzen widerstehst. Und was gibt es Stolzeres, als in unfaßlicher Verblendung behaupten, das von Natur zu sein, was du bist? Denn da ich wandelbar war und mir dieß eben deutlich wurde, als ich durchaus weise zu werden wünschte, um beßer zu werden, da hielt ich lieber dich selbst für veränderlich, als daß ich dafür gehalten hätte, ich sei das nicht, was du bist. Darum wurde ich weggestoßen, darum widerstandest du meinem stolzen Nacken, und ich träumte mir leibliche Gestalten, klagte, selbst Fleisch, voll fleischlichen Sinnes das Fleisch an, das mich hemmte im Geistesflug; und ein irrender Geist kehrte ich noch nicht zu dir zurück. Ich verirrte mich in das was nicht ist, weder in dir, noch in mir, noch in den Körpern, und das mir nicht aus deiner Wahrheit ins Leben gerufen wurde, sondern das ich in meiner Eitelkeit aus den Körpern erdichtete. Und ich sprach zu den Kleinen der Gläubigen, zu meinen Mitbürgern in deinem Reich, von welchen ich in meiner Unwißenheit weggeirrt war, geschwätzig und ungereimt sprach ich zu ihnen: »Warum irrt die Seele, die Gott schuf? Darf ich mir nicht auch sagen laßen, warum irrt Gott?« So behauptete ich lieber, dein unwandelbares Wesen sei zu irren gezwungen, als daß ich bekannt hätte, mein wandelbares Wesen sei in frecher Willkühr abgeleitet und irre nun zu seiner Strafe. Ich war gegen sieben und zwanzig Jahre alt, als ich jene Hefte schrieb und mich mit Wahnbildern trug, die meiner Seele Ohr umschwirrten. Ich habe es wohl nach dir geneigt, du süße Wahrheit, daß es vernehme die Melodie deines Geistes, als ich dachte über das Schickliche und zuweilen wünschte, dich zu hören und mich hoch zu freuen über des Bräutigams Stimme. Und ich vermochte es nicht, weil ich hinausgezogen ward von meines Irrthums Stimme und in die Tiefe sank, unter der Last meines Stolzes. Denn noch ließest du mich nicht hören Freude und Wonne, daß meine Gebeine fröhlich würden, die du noch nicht geschlagen hattest.

XVI.

Was förderte es mich, daß ich in meinem zwanzigsten Lebensjahre die Schrift des Aristoteles von den zehn Kategorieen allein studierte, nach denen ich lechzte wie nach einem wunderbar Göttlichen, weil sie mir mein karthagischer Lehrer mit gar aufgeblasenen Backen anpries, sowie Andere, die man zu den Gelehrten zählte. Ich besprach sie mit denen, welche bekannten, daß sie ihnen kaum verständlich geworden seien, obgleich sie die gelehrtesten Lehrer hatten, welche, was sie mündlich lehrten durch Zeichnungen verständlich zu machen suchten, und sie konnten mir doch nichts Anderes sagen, als was ich für mich allein lesend schon verstanden hatte. Deutlich genug schienen sie mir zu sprechen von dem Wesen eines Dings und seinen Eigenschaften, wie zum Beispiel vom Menschen und seinem Beiwerk, als da ist seine Gestalt, Statur, seiner Füße Zahl, seine Blutsverwandten, sein Wohnort, seine Geburtszeit, und ob er sitze oder stehe, ob er beschuht, ob er bewaffnet sei, was er thue oder leide, und was derart noch in den neun folgenden Kategorieen des Aristoteles ist, obgleich an einer Substanz nicht neun, sondern unzählige Accidenzien gefunden wurden. Nichts half das mir, es schadete mir nur, denn auch dich, meinen Gott, den Einen, Unveränderlichen, wollte ich unter solche Kategorieen bringen, unter die deiner Größe und Schönheit, als wenn du ihnen unterworfen wärest, und als wenn sie an dir wären, wie an einem Körper, da du doch selbst deine Größe und deine Schönheit bist. Ein Körper könnte ein Körper sein, wenn er auch keine ansehnliche Größe und Schönheit hätte, aber du kannst nicht ohne Größe und Schönheit sein, du bist Größe und Schönheit selbst.

Falsches war es, nichts Wahres, was ich von dir dachte, Trugbild meines Elends, nicht Himmelsbild deiner Seligkeit. Was du befohlen hast, geschah an mir: Dornen und Disteln trug mir die Erde und im Schweiß meines Angesichts fand ich mein Brot. Was half es mir, daß ich alle Bücher über jene Künste las, die man die freien nennt, daß ich sie las, ein schnöder Knecht in bösen Lüsten, nicht wißend, woher das stammte, was etwa auch in ihnen wahr und zuverläßig gewesen? Den Rücken kehrte ich gegen das Licht und das Gesicht gegen das was erleuchtet wurde, daher mein Angesicht, mit dem ich das Erleuchtete sah, nicht erleuchtet war. Was ich in jenen freien Künsten, über Maaß, Musik, Zahlen und Beredtsamkeit so leicht verstehen lernte, ohne daß Jemand es mir erklärte, das weißest du, der du mir den schnellen Geist gabest und das scharfe Urtheil, aber ich dankte dir nicht dafür, und darum war es mir mehr zum Verderben, als zum Gewinn. So gieng ich weg von dir in ein fernes Land und verschwendete das Meine an buhlerische Lüste, da ich es ganz in meiner Gewalt haben wollte und meine Stärke nicht in dir bewahrte. Was half mir mein Vermögen, wenn ich es nicht gut verwendete. Wohl wurden jene Künste auch von Gelehrten und Geistreichen nur schwer verstanden, wenn ich sie ihnen nicht auslegte, und des Trefflichsten Vorzug bestand nur darin, daß er meiner Auslegung am schnellsten folgen konnte. Aber was half mir all mein Geist, so lang ich glauben konnte, du Herr, mein Gott, seiest eine ungeheure, körperliche Lichtmasse und ich davon ein Stückchen? Ich schäme mich nicht, mein Gott, dein Erbarmen gegen mich anzuerkennen und dich anzuflehen, der ich mich nicht schämte, meine Lästerung prahlend auszukramen und gegen dich zu bellen. Was half mir der lebhafte Geist, der jene Lehren bewältigte und ohne menschliche Lehrer jenes Buches verwickelten Knoten löste, während ich häßlich in gotteslästerlicher Schändlichkeit in der Lehre des Heils irrte? Oder was schadete deinen Kleinen der weit langsamere Geist, da sie von dir sich nicht zu weit entfernten, um geschirmt im Nest der Kirche flügge zu werden und der Liebe Schwingen in des gesunden Glaubens Nahrung sich zu stärken? O Herr, unser Gott, wir wollen hoffen unter dem Schatten deiner Flügel, schirme du uns und trag uns! Ja du wirst auch die Kleinen tragen, und wirst sie tragen bis ins Alter. Denn unsere Stärke ist Stärke nur, wenn du sie bist; ist sie unser, so ist sie Schwachheit. Bei dir lebt immer unser Gut: weil wir von ihm uns abkehrten, sind wir verkehrt worden. Wir wollen nun wiederkehren, auf daß wir nicht umgekehrt in Zerstörung werden, wollen wiederkehren, Herr, weil bei dir unser Gut lebt ohne alle Gefahr, da du es selber bist. Und wir fürchten nicht, wir möchten nicht mehr haben, wohin wir zurück könnten, weil wir von dort uns hinwegstürzten; denn uns, auch da wir ferne waren, stürzte unser Haus nicht ein, es ist deine Ewigkeit.

Fünftes Buch

Ein lichter Streifen sind sie in der Nacht,

Die dunkeln Wege, welche Gott bereitet.

So sanft, so heimlich hat er mich geleitet,

Und schnell umfloß mich seines Morgens Pracht.

Ich nahm so lang den Führer nicht in Acht,

Ich hatte mir den Sündenpfad geweitet,

Vermeßen alle Segel ausgebreitet,

Und bin doch froh im Friedensport erwacht.

Von meinen Bahnen fällt der Nebelschleier,

Ich sehe meines Herzens bösen Rath,

Ich sehe deine Vaterhand am Steuer.

Die böse Straße ward ein Gnadenpfad

Im Zweifelsmeer, im wilden Leidensfeuer;

Ich zog ihn wohl, doch ist er deine That.

I.

Nimm hin das Opfer meiner Bekenntnisse aus meinem Munde, den du mir gebildet und nur aufgeschloßen hast, daß er deinen Namen bekenne, und heile alle meine Gebeine, damit sie bekennen: Herr, wer ist dir ähnlich? Wer vor dir bekennt, lehrt dich nicht, was in ihm vorgehe, weil auch von einem verschlossenen Herzen dein Auge nicht ausgeschloßen, noch von des Menschen Härte deine zurückgeschlagen wird; du enthüllst sie erbarmend und rächend, wenn du willst, und Keiner ist, der sich verbergen kann vor deinem brennenden Eifer. Aber meine Seele lobe dich, damit sie dich liebe; sie bekenne sich zu deinem Erbarmen, damit sie dich lobe. Nicht weicht, noch schweigt von deinem Lobe das All deiner Schöpfung: nicht des Menschen Geist, der durch seines Mundes Bekenntnis sich zu dir wendet, nicht der Thiere, nicht der leiblichen Naturen Reich, die dich bekennen durch den Mund derer, die sie schauen, damit unsere Seele sich aus ihrer Läßigkeit zu dir erhebe, wenn sie nach dem sich wendet, das du schufest, und dann hintritt zu dir, der du es so wundervoll bildetest, daraus ihr Erquickung wird und wahre Stärkung.

II.

Ob sie auch gehen und friedenlos und sündig von dir fliehen, du schauest doch auf sie und scheidest die Schatten; und siehe, da ist Alles schön um sie, nur sie sind häßlich. Was vermochten sie dir zu schaden, wo konnten sie dein Reich verunehren, das gerecht bleibt und unverletzt von den uralten Himmeln bis zu den Jüngsten deiner Erschaffenen? Wo flohen sie hin denn, da sie flohen vor deinem Angesicht? Oder, wo ist der Ort, da du sie nicht findest? Aber sie flohen, um dich, der sie sieht, nicht zu sehen, um sich verblendet gegen dich zu empören; denn du läßest nicht von dem, das du schufest. Mit Unrecht empörten sie sich wider dich und werden geplagt mit Recht; sie entzogen sich deiner Milde, traten auf gegen deine Gerechtigkeit und fielen hin in ihre Verwilderung. Vielleicht wißen sie nicht, daß du, den kein Raum beschränkt, überall bist, daß du allein es bist, der gegenwärtig bleibt auch denen, die weit von ihm wegkamen. Daher sollen sie umkehren und dich suchen, denn nicht, wie sie ihren Schöpfer verließen, hast auch du dein Geschöpf verlaßen. Umkehren sollen sie und dich suchen, und siehe, da bist du in ihrem Herzen, im Herzen derer, die dir bekennen, die sich hinwerfen vor dich und in deinem Schooße weinen, nachdem sie den Weg ihres Widerwillens verließen. Und bereitwillig wischest du ihre Thränen ab, reichlicher weinen sie und freuen sich in ihren Thränen, daß du Herr und nicht ein Mensch von Fleisch und Blut, daß du Herr, der sie schuf, sie erquickest und tröstest. Und ich, wo war ich, da ich dich suchte? Du warest vor mir, ich aber war auch von mir gewichen, und mich selber fand ich nicht, wie viel weniger dich!

III.

Neun und zwanzig Jahre alt war ich, als nach Karthago ein manichäischer Bischof, mit Namen Faustus, kam, eine gewaltige Schlinge des Satans, der ihm Viele mit dem lockenden Laut seiner schmeichelnden Rede fieng. Wenn ich diese auch lobte, so unterschieb ich sie doch von dem Wesen der Dinge selbst, die ich eifrig zu lernen begehrte, und darum sah ich nicht auf das Gefäß, auf die Sprache, sondern auf das, was mir darin an gelehrter Nahrung Faustus vorsetzte, der von ihnen glücklich Gepriesene; denn groß war sein Ruf in diesen Dingen, und er ein in den Wißenschaften überhaupt wohl unterrichteter Mann. Weil ich aber in den Philosophen belesen war, und Vieles von ihnen im Gedächtnis behalten hatte, so verglich ich manches von ihnen mit den langen Fabeln der Manichäer, und mir schienen die Aussprüche der Philosophen bewährter, weil sie auf die Durchforschung der Welt gegründet waren, deren Herrn sie freilich nicht entdeckten, da du deine Größe zeigst, o Herr, indem du des Demüthigen dich annimmst, den Stolzen aber in seiner Entfernung kennst. Und so nahest du nur denen, die ein zerschlagen Gemüth haben, von den Stolzen aber wirst du nicht entdeckt. Auch jene Weisen entdecken dich nicht, wenn sie auch in ihrer vorwizigen Gelehrsamkeit die Sterne und den Sand zählen, den Sternenhimmel messen und der Gestirne Bahnen erforschen. Mit dem Geist unternehmen sie das, den du ihnen gegeben hast, viel fanden sie, viele Jahre zuvor wissen sie die Sonnen- und Mondsfinsternisse zu verkündigen und zwar auf Tag und Stunde hin, sowie von welchem Durchmesser sie sein werden und sie täuscht ihre Berechnung nicht, es kommt, wie sie vorhergesagt. Genau wird das von ihnen verzeichnet, und gelesen, jetzt was kommen wird auf den Tag und die Stunde, sowie auf den Umfang der Sonnen- und Mondsscheibe. Das bewundern die Menschen, die es nicht verstehen entsetzen sich, die Kundigen aber erheben sich und werden erhoben, fallen und weichen in ihrem Stolz von deinem Lichte, sehen lange vorher der Sonne Verfinsterung, aber die ihrige sehen sie nicht; denn nicht mit frommem Sinne fragen sie, woher ihr Geist sei, der da Jenes erforsche. Und wenn sie entdecken, nach was sie forschten, weil du sie so bereitetest, so geben sie sich selbst dir nicht, damit du bewahrest, was du bereitet hast. Zu was sie sich auch selber machten, sie richten dir sich zu Grunde; hetzen ihren vermessenen Flug, wie die Vögel der Lüfte, ihre Neugier wie die Fische des Meeres, mit welchen sie schweifen durch der Tiefe verborgene Pfade; ihre Lüste wie des Feldes Thiere, bis du Gott, ein freßend Feuer, ihre ersterbenden Sorgen zerstörest und sie wiederschaffst zu unsterblichem Leben. Noch lernten sie den Lebensweg, dein Wort nicht kennen, durch welches du schufest, was sie zählen, und sie, die da zählen, und den Sinn, mit dem sie sehen was sie zählen, und den Verstand, durch den sie zählen; aber deiner Weisheit ist keine Zahl. Er selbst, der Eingeborne ist uns gemacht zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung, wurde zu uns gezählt und zahlte in Demuth den Schoß dem Kaiser. Nicht lernten sie diesen Weg kennen, auf welchem sie von sich zu ihm hinabsteigen, und zu ihm hinaufsteigen sollen durch ihn: sie lernten Weg nicht kennen, und halten sich für leuchtend und erhaben wie die Sterne. Aber siehe, sie stürzten zur Erde und ihr unverständiges Herz ist verfinstert. Wohl sagen sie des Wahren viel von der Schöpfung, aber die Wahrheit der Schöpfung, den Bildner, suchen sie nicht mit frommen Herzen, und darum finden sie ihn nicht; oder wenn sie ihn finden und Gott erkennen, so ehren sie ihn nicht als Gott und danken ihm nicht. Ja in ihren Gedanken sich ins Leere verlierend, halten sie sich für weise, und schreiben sich zu, was dein ist. Daher suchen sie in verkehrter Blindheit dir zuzuschreiben, was das Ihre ist, häufen Lügen auf dich, der du die Wahrheit bist, und verwandeln die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes in ein Bild, gleich der vergänglichen Menschen und der Vögel, und der vierfüßigen und der kriechenden Thiere, verkehren deine Wahrheit in Lüge, ehren die Geschöpfe und dienen ihnen mehr als dem Schöpfer. Doch behielt ich von ihnen der wahren Aussprüche viele über die Schöpfung; ihre Berechnungsweise der Zeiten, von den sichtbaren Zeugnissen in den Gestirnen bestätigt, wurde mir einleuchtend und ich verglich sie mit den Aussprüchen des Manichäers, welcher viel darüber schrieb in unerschöpflichem Faseln, während mir daraus nichts verständlich wurde über Sonnenwenden, Tage- und Nachtgleichen und Finsternisse, wie denn von seinem Ausspruche auch nichts in den Schriften unserer Weltweisen stund. Hier mußte ich blindlings glauben, meine Kenntnisse, aus den Berechnungen und dem Augenschein entstanden, halfen mir nichts, da war alles ganz anders.

IV.

Gefällt dir der schon, der solches weiß, du Herr und Gott der Wahrheit? Unglückselig ist der Mensch, der das Alles kennt, und dich nicht, kennt, selig aber, wer dich kennt, ob er Jenes auch nicht kenne. Und wenn er auch dich und Jenes erkennt, so ist er Jenes wegen nicht glückseliger; er ist es allein durch dich, wenn er, da er dich erkennt, dich preiset als seinen Gott, Dank dir erstattet und sich mit seinen Gedanken nicht in’s Leere verliert. Beßer ist ja wohl daran, wer weiß, daß er einen Baum besitzt und für dessen Nutzen dir dankt, ob er gleich nicht weiß, wie hoch und wie breit sein Baum ist: als der, welcher ihn ausmißt und alle seine Zweige zählt, während er ihn weder besitzt, noch den Schöpfer desselben erkennt und liebt. So ist dem Glaubigen beßer, des die Welt mit allen ihren Schätzen ist; der Alles hat, wenn er auch nichts besitzt, weil er dir anhangt; dem Alles dient, ob er auch die Zonen der Mitternacht nicht kenne; beßer ist ihm, als dem, der den Himmel mißt, die Sterne zählt und die Elemente wägt, und dich vernachläßigt, der du Alles in Maaß, Zahl und Gewicht brachtest.

V.

Aber von Manes, dem Stifter der Manichäer erwartete man nicht einmal, daß er auch nur über jene Dinge richtig schreibe, die Erlernen der Frömmigkeit nicht nöthig waren. Denn du sprachst zum Menschen: siehe, Frömmigkeit ist Weisheit, in welcher er unerfahren sein konnte, wenn er auch jene Dinge völlig verstand; weil er sie aber nicht verstand und sie doch mit unerhörter Frechheit zu lehren wagte, so konnte er von der Frömmigkeit durchaus nichts wissen. Sich mit diesen Dingen spreizen, auch wenn man sie versteht, ist doch nur weltliche Eitelkeit, die Frömmigkeit bekennt vor dir. Und die Kenntnishabenden konnten aus seiner Unwißenheit in diesen Dingen, über die er so Vieles plauderte, leicht erkennen, welch eine Gesinnung er über die höheren, verborgenen Dinge hatte; ob er gleich für nichts Geringes gehalten werden wollte und die Menschen zu überreden suchte, der heilige Geist, der Tröster und Bereicherer aller deiner Treuen, sei in seiner Fülle in ihm persönlich worden und die Kenntnis der Gestirne und ihrer Veränderungen komme ihm als einer göttlichen Person zu. Und er besaß doch nicht einmal diese Kenntnis! War nicht auch hierin seine Vermeßenheit Gotteslästerung? Und so war seine Frechheit, auch wenn sie nicht eben eine Religionslehre berührte, doch offenbare Gotteslästerung. Denn wenn ich irgend einen christlichen Mitbruder über jene Dinge Folgewidriges reden höre, weil er sie nicht versteht, so habe ich doch Geduld mit ihm, und weiß, daß ihm seine falschen Meinungen keinen Schaden bringen, da er von dir, Herr und Schöpfer des Weltalls, nichts Unwürdiges glaubt, wenn er auch von Lage und Beschaffenheit der leiblichen Natur nichts weiß. Schaden brächte er ihm etwa nur, wenn er wähnte, das gehöre zur Lehre von der Gottseligkeit, und wenn er nun das, was er nicht verstände, hartnäckig zu behaupten wagte. Doch auch solche Schwäche in der Kindheit des Glaubens wird von der Liebe wie von einer Mutter ertragen, bis der neue Mensch zum vollkommenen Mann wird und nicht mehr von jedem Winde der Lehre sich umherwerfen läßt. Aber Jener wagte es, als der Lehrer, Stifter, Führer und Herrscher der von ihm Beredeten aufzutreten, so daß seine Schüler meinten, sie folgten nicht einem Menschen, sondern dem heiligen Geiste. Wer muß solchen Wahnsinn, auch wo er erweislich Irres ausspricht, nicht verdammlich und abscheulich finden? Doch mir war es noch nicht klar, ob nicht auch nach Manis Worten der Wechsel der Tag- und Nachtdauer und der Finsternisse gegen das, was ich in andern Schriften gelesen hatte, erklärt werden könnte, so daß ich ungewiß darüber blieb. Aber des Mannes Ansehen, das man für Heiligkeit hielt, ließ ihn mir als den Glaubwürdigeren erscheinen.

VI.

Fast neun Jahre hindurch, in welchen ich, umherschweifenden Gemüthes, solche Leute anhörte, hoffte ich mit brennender Sehnsucht auf die Ankunft jenes Faustus, auf den mich die Andern vertrösteten, so oft sie meinen Fragen nicht genügen konnten, indem sie mir versicherten, durch persönlichen Verkehr mit ihm werde mir das Alles und noch viel Höheres, wenn ich es erkunden wolle, bestens ausgelegt werden. Er kam, und ich lernte einen einnehmenden, anmuthig redenden Mann kennen, der über das, was Jene abzuhandeln pflegten, weit angenehmer schwatzte. Aber was frommte meinem Durste auch der gefälligste Darreicher der kostbarsten Gefäße? Schon war ich jener Dinge übersatt, sie schienen mir dadurch nicht beßer, daß sie beßer gesagt und dadurch nicht wahrer, daß sie mit Beredtsamkeit vorgetragen wurden; noch schien mir ein Geist darum weise, weil seine Miene sprechend, und seine Rede geschmackvoll war. Jene aber, die mich auf ihn vertröstet hatten, verstunden die Sache schlecht und sie schien ihnen klug und weise, weil sie seine Beredtsamkeit ergötzte. Aber auch eine andere Gattung von Menschen lernte ich kennen, welche die Wahrheit verdächtigen, so bald sie mit geschmückter, reicher Rede vorgetragen wurde. – Mich aber hattest du, mein Gott, schon gelehrt, auf wunderbare und verborgene Weise, und nur darum glaube ichs, weil du es mich gelehrt hast, denn darum ist es wahr und es gibt außer dir keinen Lehrer der Wahrheit, woher er auch kommen möge. Schon hatte ich von dir gelernt, man müße etwas nicht deshalb für wahr halten, weil es beredt gesagt werde, noch deshalb für falsch, weil die Rede ungebildet über die Lippen komme. Aber auch nicht darum sei es wahr, weil es kunstlos gesagt werde, noch darum falsch, weil die Rede glänzend sei. Mit Wahrheit und Thorheit verhalte es sich wie mit gesunden und ungesunden Speisen, mit geschmückten und schmucklosen Worten aber wie mit feinen und rohen Gefäßen, die beide Speisen enthalten können. So wurde meine lang harrende Begierde nach jenem Menschen zwar gestillt durch das einnehmende Wesen, mit welchem er bei seinen Auseinandersetzungen in gewandten Worten seine Sätze schmückte. Vielen that ich es mit Loben und Preisen zuvor; doch nahm ich es übel auf, daß ich im Hörerkreise nichts gegen ihn einwenden und ihm meine dringenden Fragen nicht zur Beantwortung vorlegen durfte, denn er ließ sich auf trauliches Wechselgespräch nicht ein. Als ich dies endlich konnte, als er mir und meinen Freunden zugleich Gehör gab und ich ohne zudringlich zu werden mit ihm disputirte und Einiges vorbrachte, das mich am meisten bewegte, fand ich in ihm einen Mann, der in den freien Künsten unbewandert war, die Grammatik ausgenommen, die er auch nur nach gewöhnlichem Maaß verstund. Er hatte einige Reden Cicero’s gelesen, sehr wenig von Seneka’s Schriften, Etliches aus den Poëten und das was in seiner Sekte in gutem Latein geschrieben war; dazu kam seine tägliche Uebung im Reden halten. Dadurch stand ihm eine Beredtsamkeit zu Gebot, die sich angenehm der Fassungskraft der Hörer einschmeichelte und mit natürlichem Witz geschmückt war. Ist es nicht so, Herr mein Gott, der du schon damals mich mit deiner geheimnisvoll verborgenen Vorsehung leitetest und meine schmählichen Irrthümer schon mir vor Augen brachtest, daß ich sie sah und haßte?

VII.

Nachdem ich mich von seiner Unwissenheit in den freien Künsten überzeugt hatte, in denen ich ihn für stark gehalten, verzweifelte ich an seiner Fähigkeit, mir das was mich bewegte zu eröffnen und auszulegen. Doch hätte er, auch in diesen Künsten unwissend, sich an die Wahrheit der Frömmigkeit halten können, wenn er nur kein Manichäer gewesen wäre. Denn ihre Bücher sind voll von den längsten Fabeln über den Himmel, die Sterne, Sonne und Mond und schon merkte ich, daß er mir keine genaue Auskunft geben konnte, ob die Vergleichung astronomischer Berechnungen, die ich anderswo gelesen hatte, auch die der Manichäer sei. Als ich ihm diesen Gegenstand zur Betrachtung und Besprechung vorlegte, beschied er sich, und wagte nicht in die schwierige Sache einzugehen, denn er wußte wohl, daß er sie nicht verstund, und schämte sich nicht, dieß zu gestehen. Jener Schwätzer einer war er nicht, von welchen ich so viele ertragen mußte, die mich über jene Dinge zu belehren trachteten und nichts sagten; sein Herz war zwar nicht zu dir gekehrt, aber es hielt nicht zu vermeßen auf sich selbst; so sehr unbekannt war er mit seiner Unbekanntschaft nicht, wollte sich nicht blind in Abhandlungen einlaßen, aus welchen er sich nicht herausziehen und von welchen er sich dann nicht leicht mehr zurückziehen konnte, und auch darin gefiel er mir beßer. Denn diese Bescheidenheit einer aufrichtigen Seele ist beßer, als daß, was ich zu wißen wünschte. Und so fand ich ihn bei allen schwierigen und verwickelten Fragen. Nun ließ ich ab von dem Eifer, den ich auf die Schriften der Manichäer gewendet hatte, und verzweifelte um so mehr an ihren anderen Lehrern, da dieser berühmte sich also erwies. Ich fieng an mit ihm in wissenschaftlichen Verkehr zu treten, weil er sich sehr auf die Wissenschaften warf, die ich damals in Karthago als Lehrer der Beredsamkeit die jungen Leute lehrte, und las mit ihm Schriften, die er nur vom Hörensagen her kannte und kennen zu lernen wünschte oder die ich einem solchen Geist für angemessen hielt. So wurde eben durch die Bekanntschaft mit diesem Manne mein Eifer, mich in der Sekte hervorzuthun, untergraben; aber da ich noch nichts Beßeres fand, als was sie mir gab, so wollte ich mich vorläufig zufrieden geben, bis etwa etwas Beßeres erschiene, das eher zu wählen wäre. Und so begann Faustus, der so Vielen eine Schlinge des Todes war, die zu lösen, in der ich gefangen lag, ohne daß er es wollte und wußte, denn deine Hände, o Gott, hatten mich nach dem verhüllten Rathe deiner Vorsehung nicht verlaßen. Meiner Mutter blutendes Herz brachte dir Tag und Nacht für mich das Thränenopfer, und du thatest mit mir auf wundervolle Weise. Von dir ja werden die Schritte des Menschen gelenkt, auf daß er Lust habe an deinen Wegen. Und wo sonst wird Heil geschafft, als durch deine Hand, die wiederbringt, was du schufest?

VIII.

Du veranstaltest es mit mir, daß mir gerathen wurde, nach Rom zu reisen, um dort bequemer zu lehren, was ich in Karthago lehrte. Auch wie mir dieß gerathen ward, will ich vor dir bekennen, weil auch hierin dein verborgener Rath zu erkennen, und dein allwaltendes Erbarmen zu preisen ist. Nicht des Erwerbes und der Ehre wegen wollte ich nach Rom, obgleich auch das mich ansprach, und mir von Freunden in Aussicht gestellt wurde. Ich wollte hin hauptsächlich, weil ich vernahm, die jungen Studirenden lebten dort ruhiger und würden durch geordnetere Zucht in Schranken gehalten, so daß sie nicht in die Schule dessen, den sie nicht zum Lehrer hatten, frech und schaamlos sich eindrängten, daß sie überhaupt dort ohne Erlaubnis des Lehrers gar nicht zugelaßen würden. Dagegen leben in Karthago die Studirenden in der ungebundensten Zügellosigkeit, sie drängen sich unverschämt ein und stören mit fast wüthender Frechheit die Ordnung, die Jeder seinen Schülern, zu ihrem Nutzen, auflegt. Mit unbegreiflicher Rohheit verüben sie viele Vergehungen, welche gerichtlich bestraft werden müßten, wenn sie die Gewohnheit nicht schirmte, die sie um so heilloser zeigt, als sie wie etwas Erlaubtes ausüben, was durch dein Gesetz nie erlaubt ist, und es ungestraft zu begehen meinen, während sie doch schon durch diese sündige Verblendung gestraft werden und über alle Vergleichung mehr böses leiden, als sie thun. Die Sitten, welche ich als Studirender mir nicht aneignen wollte, sollte ich als Lehrer an Andern ertragen und darum wollte ich dahin gehen, wo solches, nach dem Zeugniß Aller, nicht geschah. Aber du, meine Hoffnung und mein Theil im Lande der Lebendigen, bewegtest mich für das Heil meiner Seele, meine Wohnung zu ändern; du erregtest in Karthago die mich forttreibenden Stacheln, und veranlaßtest die nach Rom mich ziehenden Lockungen durch Menschen, welche das Leben des Todes liebten, darin unsinniges übend, und daher Werthloses verheißend. So benütztest du zu Lenkung meiner Schritte sowohl die Verkertheit Anderer, als die meine, denn die mich um meine Ruhe brachten, waren blind in schändlicher Verwilderung und die mich anderswohin luden, hingen an der Erde. Ich aber verwünschte hier das wahre Elend und suchte dort das falsche Glück. Du, Gott, wußtest, warum ich dort fortzog und dahin gieng; machtest es aber weder mir, noch der Mutter kund, die wegen meiner Abreise heftig um mich weinte und mich bis ans Meer begleitete. Ich betrog sie, die mich gewaltsam, um mich entweder zurückzuhalten, oder selbst mit mir zu gehen, festhielt, und gab vor, bei einem Freunde noch bleiben zu wollen, bis ihm günstiger Wind die Einschiffung möglich mache. So belog ich die Mutter, und welch eine Mutter! und entrann, während du mir erbarmend auch dieß vergabest und mich, der ich voll verdammlichen Unraths war, vor den Waßern des Meeres für das Waßer deiner Gnade aufbewahrtest, durch das ich gereinigt wurde, damit die Ströme der Mutteraugen getrocknet würden, mit welchen dir ihr Angesicht täglich für mich die Erde benetze. Ich vermochte sie, da sie sich weigerte, ohne mich zurückzukehren, mit Mühe zu überreden, daß sie in einer zum Gedächtniß des heiligen Cyprian errichteten Kirche, die unserem Schiffe nahe war, übernachtete. In dieser Nacht fuhr ich heimlich ab, und sie blieb zurück in Flehen und Weinen. Wohl bat sie von dir, mein Gott, mit solchen Thränen, du solltest mich nicht abreisen laßen; doch du erhörtest mit deinem erhabenen Rathe die Hauptsache all ihres Flehens um mich, und thatest nicht, um was sie damals bat, damit du in mir thuest, was sie immer bat. Der Wind wehte, unsere Segel füllend, und entzog unsern Augen das Ufer, an dem am Morgen meine Mutter in ihren Schmerzen jammerte und mit Klagen und Aechzen dein Ohr erfüllte, als hättest du ihr Gebet verachtet, während du mich durch meine Leidenschaften hinwegrißest, um diese Leidenschaften zu enden, und während du der Mutter fleischliches Verlangen mit der gerechten Geißel der Schmerzen schlugest. Denn sie wünschte mich bei sich zu haben nach der Mütter Weise, in der sie es freilich vielen zuvorthat; sie wußte nicht, welche Freude du ihr durch meine Abwesenheit bereiten wolltest. Sie wußte es nicht, darum weinte und klagte sie, mit diesen Qualen tragend, was seit der ersten Menschenmutter jede trägt, das Seufzen um ihrer Liebe Kind, das sie mit Seufzen gebar. Und doch, nachdem sie meinen Trug und meine Grausamkeit angeklagt, wendete sie sich wieder, dich für mich um Verzeihung anzuflehen und gieng zu ihrer gewohnten Lebensweise – ich aber nach Rom.

IX.

Und siehe, da wurde ich von der Geißel leiblicher Krankheit getroffen und zog hinab, den Todten zu, mit mir tragend alles Böse, das ich viel und schwer gegen dich und mich und Andere verübt hatte, zu der Erbsünde Feßel, durch die wir alle in Adam sterben. Denn keine meiner Sünden hattest du mir noch in Christus vergeben, noch hatte er am Kreuze die Feindschaft nicht gelöst, in die ich gegen dich durch meine Sünden eingegangen war; denn wie hätte er sie am Kreuze als jenes Scheinbild, für das ich ihn gehalten, zu lösen vermocht? So unwahr mir der Tod seines Leides schien, so wahr war der Tod meiner Seele, und so wahr der Tod seines Lebens war, so unwahr war das Leben meiner Seele, welche nicht daran glaubte. In schwerer werdendem Fieber ging ich schon dem Untergange zu; denn wo sollte ich hingehen, der ich von dir weggieng, als in Feuer und Qualen, meiner Thaten würdig nach der Wahrheit deiner Gesetzgebung? Die Mutter wußte nicht davon, und bat doch für mich auch, fern von mir; und du Allgegenwärtiger erhörtest sie, wo sie auch war, und wo ich war, da erbarmtest du dich mein, daß ich meine Gesundheit wieder erlangte, ob auch noch krank bleibend durch das gottlose Herz. Denn auch in solcher Gefahr verlangte ich nicht nach deiner Taufe! Ach, beßer war ich als Knabe einst, da ich sie, erweckt durch der Mutter Frömmigkeit, verlangte. Gewachsen war ich in meiner Schändlichkeit, wahnsinnig verlachte ich den Rath deines Heils, der du mich als einen solchen nicht zweimal wolltest sterben laßen. O wäre von diesem Schmerz meiner Mutter Herz verwundet worden, es wäre nimmer genesen, denn nicht genug kann ich es aussprechen, mit welcher Liebe sie mich liebte, und mit wie viel größerer Traurigkeit sie mich geistig gebar, als sie mich leiblich geboren hatte. Daher sehe ich ein, wie sie hätte genesen sollen, wenn mein Tod, wie er mich damals hätte treffen müßen, ihr Herz zerrißen hätte. Und wo wären jene großen, ohne Unterlaß vorgebrachten Bitten geblieben? Sie blieben bei dir; solltest wohl du, o Gott des Erbarmens, das zerstoßene und gedemüthigte Herz einer reinen und verständigen Wittwe verachtet haben, die anhaltend ihre Almosen gab, deinen Heiligen folgte und diente, an keinem Tage ihre Darbringung zu deinem Altar unterließ, zweimal täglich, am Morgen und am Abend, ohne auszusetzen, deine Kirche besuchte, nicht leerer Fabeln und altweibischer Geschwätze wegen, sondern damit sie dich höre in deinen Reden, und du sie hörtest in ihren Gebeten? Solltest du ihre Thränen verachten und versagt ihnen deine Hülfe haben, mit welchen sie nicht Gold und Silber von dir hat, noch sonst ein wandelbar, flüchtiges Gut, sondern das Seelenheil ihres Sohnes, du, durch dessen Wirken sie also war? Nein, du warest da, und thatest erhörend nach dem Rathschluße, dessen Erfüllungszeit du vorher bestimmt hattest. Ferne sei es, daß du sie in jenen Gesichten und Offenbarungen getäuscht hättest, die ich schon erwähnte, die sie bewahrte im treuen Herzen, um deren Erfüllung sie immer flehte, als mahnte sie dich an eine ihr ausgestellte schriftliche Versicherung; denn so lange dein Erbarmen währt in der Zeit, läßest du dich herab, denen Schuldner durch deine Verheizungen zu werden, welchen du alle ihre Schulden erläßest.

X.

So hast du mich denn von jener Krankheit hergestellt und den Sohn deiner Magd an seinem Leibe gefunden lassen, damit er fähig werde, deine beßere, bleibendere Heilung zu empfangen. Auch in Rom wurde ich jetzt mit jenen betrogenen und betrügenden Heiligen verbunden und nicht nur mit denen, welche noch den niederen Grad der sogenannten Hörer hatten, zu denen auch der Hausvater gehörte, bei dem ich krank gelegen und genesen war, sondern auch mit denen, welche man die Auserwählten nennt. Und schon schien es mir wie ihnen, nicht wir seien es, die da sündigten, sondern in uns sündige eine andere Natur. Und es freute meinen Stolz, ohne Sündenschuld zu sein, und wenn ich etwas Böses begangen hatte, nicht bekennen zu müssen, ich habe es begangen, worauf du doch meine Seele geheilt hättest, weil sie bekannt hätte, gegen dich gesündigt zu haben. Aber ich liebte es, meine Sünde zu entschuldigen und statt meiner etwas Anderes anzuklagen, das geheimnißvoll in mir sein sollte, ohne daß ich es selber war. Aber das Ganze war ich und wider mein Heil hatte mich meine Gottlosigkeit zertheilt. Und eben in dem bestand das Unheilbarste meiner Sünde, in welchem ich mich nicht selbst für einen Sünder hielt, und das war die fluchwürdige Ungerechtigkeit, daß ich lieber dich, o allmächtiger Gott, dich in mir zu meinem Verderben, als mich von dir zu meinem Heile überwunden haben wollte. Noch hattest du nicht behütet meinen Mund, noch nicht bewahrt meine Lippen, daß ich mein Herz nicht neige auf böse Reden, noch meine Sünden entschuldige mit den Uebelthätern (Psalm 141, 3. 4.). Doch wurde ich irre an der Manichäer Lehre und wurde in ihr läßiger, entschlossen wenigstens so lang mich ihr zu fügen, als ich nichts Beßeres fände. Auch war schon der Gedanke in mich gekommen, jene Weltweisen, die sogenannten Akademiker, seien die Klügsten, welche lehrten, man müße über Alles zweifeln, und der Mensch vermöge nichts wahres zu begreifen. Das schien mir, nach dem allgemeinen Urtheil, ihre Meinung zu sein, der ich nicht erkannte, worauf sie ausgiengen. Auch suchte ich ohne Scheu meinen Hausherrn von dem zu großen Vertrauen abzubringen, das er, wie ich merkte, in die Fabeln setzte, von welchen die Schriften der Manichäer voll sind. Doch blieb es bei der engern Verbindung mit den Manichäern, deren Viele Rom verbarg, und wenn ich ihren Lehren auch nicht mehr mit der frühern Glut zugethan war, so machte mich doch ihr Umgang träger gegen das Suchen eines Andern, da ich ja außerdem schon an der Möglichkeit verzweifelte, es könne das Wahre in deiner Kirche gefunden werden, Herr des Himmels und der Erde, Schöpfer alles Sichtbaren und Unsichtbaren, von der mich jene abgewendet hatten. Für gar häßlich hielt ich den Glauben, du habest die Gestalt des menschlichen Fleisches und werdest begränzt von den leiblichen Umrißen unserer Glieder. Aber weil ich, wenn ich über meinen Gott denken wollte, nichts zu denken wußte, als körperliche Massen, so war dieß die erste unvermeidliche Ursache meines Irrthums. Darum meinte ich auch, es gebe ein ähnliches Körperwesen des Bösen, das entweder seine ungestalte, plumpe Masse habe, welche die Manichäer Erde nannten, oder eine dünne, feinere, wie der Luftkörper ist, und von welcher sie sich einbildeten, sie durchschleiche als ein boshafter Geist die Erde. Und weil meine Religiosität, wie sie auch sein mochte, mich doch zu glauben nöthigte, der gute Gott habe keine böse Natur erschaffen, so nahm ich zwei einander entgegengesetzte Massen an, beide unendlich, aber die böse im engeren, die gute im weiteren Sinne. Aus diesem verderblichen Anfang folgten meine übrigen gottlosen Meinungen, und diese schreckten mich vom Glauben der Kirche ab, während dieser Glaube gar das nicht war, für was ich ihn hielt. O mein Gott, zu dessen Erbarmen ich mich bekenne, wenn ich von dir glaubte, du bestehest endlos aus allen Theilen des Weltalls, obgleich ich dich durch einen Theil, in dem sich dir die Masse des Bösen entgegensetzte, begränzt sehen mußte, so hielt ich mich in diesem Glauben für gottseliger, als wenn ich geglaubt hätte, du werdest, statt von allen Theilen, nur von der Gestalt des menschlichen Körpers eingegränzt. Denn ich vermochte das Geistige gar nicht zu denken, und hielt es nur für einen feinen Körper, der sich durch den Raum ausgieße. Selbst von unserem Erlöser, deinem Eingeborenen, meinte ich, er sei aus dem Stoffe deiner lichthellsten Masse zu unserem Heile herausgehalten worden, aber diese Lichtnatur könne nicht aus der Jungfrau Maria geboren werden, wenn sie nicht mit dem Fleische vermischt werde; diese Vermischung aber wäre ohne Befleckung nicht möglich, weil ich alles Fleisch für böse hielt. Und so fürchtete ich, an einem Fleisch Geborenen zu glauben, um nicht an einen im Fleisch Besteckten glauben zu müßen. – Wohl werden mich deines Geistes Kinder belächeln, wenn sie solche Bekenntnisse von mir lesen, aber so war ich.

XI.

Auch hielt ich für vertheidigungslos, was die Manichäer in deinen Schriften getadelt hatten, doch wünschte ich zuweilen mit gesunderem Geist, mich mit einem in der heiligen Schrift wohl Erfahrenen genauer zu besprechen, um seine Ansicht zu vernehmen. Schon in Karthago hatten mich die Reden eines gewissen Helpidius angeregt, mit welchen er Dinge über die Schrift von den Manichäern und gegen sie vorbrachte, welche sie nicht leicht widerlegen konnten; und schwach dünkte ihre Antwort mir, mit der sie, aus Furcht mehr heimlich als öffentlich, vorbrachten, die Schriften des neuen Testaments seien von unbekannten Händen verfälscht worden, die das jüdische Gesetz dem christlichen Glauben einpflanzen gewollt. Jedoch vermochten sie keine unverfälschten Exemplare vorzuzeigen und darum nicht zu sagen, was verfälscht sei. Aber immer noch erdrückten und erstickten mich jene Körpermassen in meinen das Geistige nicht begreifenden Gedanken, und unter ihnen seufzend vermochte ich nicht in der klaren, reinen Luft deiner Wahrheit zu athmen.

XII.

Mit Eifer führte ich nun das aus, wegen dessen ich nach Rom gekommen war; ich lehrte die Beredsamkeit und versammelte zuerst Einige zu Hause um mich, mit welchen und durch welche ich bekannt wurde. Und auch hier blieb ich nicht frei von Unrecht; zwar kamen hier jene Zügellosigkeit Karthago’s nicht vor, aber plötzlich betrügen hier oft viele junge Leute den Lehrer um seine Belohnung, indem sie ihn, ehe seine Vorlesungen geendet sind, verlaßen und zusammen zu einem Andern laufen. Ich haßte sie, wenn auch nicht mit gerechtem Haß, denn ich haßte was sie thaten nur deshalb, weil sie es mir gethan. Und wahrlich schändlich genug sind Alle, die so von dir in Untreue wegschweifen, die flüchtige Lust, den schmutzigen Gewinn liebend, der wenn er ergriffen wird, die Hand befleckt. Während sie die flüchtige Welt umfaßen, verachten sie dich, der du bleibest und sie zurückrufst, damit du vergebest der aus sündiger Buhlschaft rückkehrenden Seele. Ja ich haße sie noch und liebe sie doch, um sie zu bessern, damit sie die Lehre selbst, die sie lernen, dem Gelde, ihr aber dich, o Gott, vorziehen, der du die Wahrheit bist und der Reichthum des wahren Guten, und der seligste Friede. Ich haße ihre Bosheit und liebe, sie ihnen zu nehmen. Aber damals mochte ich weit eher die Bösen nicht lieben meinetwegen, den sie beleidigten, als daß ich sie gut gewollt hätte deinetwegen, der du sie selig machst.

XIII.

Als daher von Mailand aus um einen Lehrer der Beredsamkeit nach Rom geschrieben, und damit die kostenfreie Reise auf der Staatsreise verbunden wurde, so bewarb ich mich darum durch die vom manichäischen Irrthum Benebelten, während ich gieng, um von ihnen los zu werden; ob wir das gleich beide nicht wußten, als mich Symmachus, der damalige Stadtpräfekt nach genauer Proberede absandte. So kam ich nach Mailand zu dem Bischof Ambrosius, welcher der Erde als einer der Besten bekannt war, zu deinem frommen Verehrer, dessen Predigten damals eifrig das Beste deines Waizens, dein erfreuendes Oel und die nüchterne Trunkenheit deines Weines dem Volke boten. Zu ihm aber wurde ich, ohne daß ich es wußte, von dir geführt, damit ich von ihm, wohl darum wißend, zu dir geführt würde. Väterlich nahm mich dieser Gottesmann auf und freute sich mit Hirtenliebe meiner Uebersiedlung nach Mailand; und ich lernte ihn lieben, anfänglich zwar nicht als einen Lehrer der Wahrheit, weil ich verzweifelte, das Heil in der Kirche zu finden, sondern nur als einen gegen mich gütigen Mann. Eifrig hörte ich seine öffentlichen Vorträge, wohl nicht in der Absicht, die ich schuldig war, sondern nur, um zu prüfen, ob seine Beredtsamkeit ihren Ruf erreiche, ob sie herrlicher oder dürftiger ströme, als man von ihr pries. Von seinen Worten wurde meine Aufmerksamkeit gefeßelt, um die Gegenstände aber, die sie vortrugen, kümmerte ich mich nicht, und war als Verächter gegenwärtig. Mich ergötzte die Annehmlichkeit seines Vortrags, der gründlicher, aber weniger erheiternd und einschmeichelnd war, als der des Faustus, so weit er die Worte an sich betraf, denn die Gegenstände selbst litten keine Vergleichung; jener irrte ja durch die manichäische Trugfelder, dieser aber lehrte auf die heilsamste Weise das Heil. Doch das ist fern von den Sündern, deren einer ich damals mich einfand, und dennoch naht’ ich ihm allmählich und unvermerkt.

XIV.

Denn ob es mir auch nicht darum zu thun war, zu lernen, was er sprach, sondern nur zu hören, wie er sprach, so kamen doch in mein Gemüth mit den Worten die ich liebte, zugleich auch die Dinge selbst; die ich geringschätze; ich konnte sie nicht davon losreißen, obgleich noch voll eitlen Kummers daran verzweifeln, daß dem Menschen irgend ein Pfad zu dir sich aufthue. Während ich nun das Herz aufschloß, um zu erfaßen, was er so beredt sprach, gieng zugleich das auch ein, was er so wahr gesprochen hatte, aber nur allmählich. Zuerst kam mir vor, es sei möglich, auch diese Dinge zu vertheidigen und es sei nicht zwecklos, den kirchlichen Glauben zu behaupten, der mir bisher unhaltbar gegen die Angriffe der Manichäer geschienen. Mit Eifer hörte ich dieses und jenes erklären, nicht selten wurde mir ein Räthsel in den Schriften des alten Bundes gelöst, während ich es buchstäblich nehmend, den Geist verlor. Die meisten Stellen der Schrift wurden mir ausgelegt und schon tadelte ich meine Rathlosigkeit, in der ich meinte, Gesetz und Propheten vermöchten sich gegen die Verwünschungen und Spötereien nicht zu halten, welche die Manichäer gegen sie ausstößen. Doch war ich dadurch noch nicht der Ansicht, der kirchliche Glaubensweg müße schon darum betreten werden, weil er gelehrte Vertheidiger habe, die beredt und verständig die Einwürfe zurückweisen, und ich meinte, das, zu dem ich mich bekannte, müße deßwegen noch nicht verdammt werden, weil einige Theile seiner Vertheidigung zu Nichte gemacht wurden. So schien mir der Kirchenglaube nicht mehr überwunden, aber er konnte mir noch nicht als Sieger auftreten: Nun aber strengte ich mich nach bestimmten Beweisen an, mit welchen ich die Manichäer der Falschheit überweisen könnte, und hätte ich ein geistiges Wesen zu denken vermocht, so wären alle diese Trugwerke entschleiert und aus meiner Seele geworfen worden; doch ich vermochte es nicht. Nun urtheilte ich nach sorgfältiger Erwägung, die meisten Philosophen haben über die Körperwelt und über jedes Wesen, das sich der sinnlichen Betrachtung darbeut, richtiger gedacht. Nach der Weise, die man den Akademikern zuschrieb, zweifelte ich an Allem und wurde zwischen Allem unentschieden umhergeworfen, doch entschloß ich mich endlich, die Manichäer zu verlassen, denn ich mochte in meiner Zweifelzeit nicht mehr in einer Sekte bleiben, der ich bereits einige Philosophen vorzog. Aber ich wollte auch diesen meiner Seele Heilung nicht anvertrauen, weil sie ohne den heilsamen Namen Christi waren. Und so beschloß ich, so lange in der mir von den Eltern empfohlenen Kirche als Katechumen zu bleiben, bis ein helleres Licht meine Schritte lenke.

Sechstes Buch

Du führtest mich in deinen Tempel ein,

Wo mich beglückte deines Redners Treue.

Vor deinem Worte meine schnöde Scheue –

Sie wich, es klang mir himmlisch wahr und rein.

Und meiner Sünden Freundin wurde dein,

Sie gieng von mir in rührend tiefer Reue,

Daß sie ihr Herz in Tugend dir erneue,

Und ließ in meinen Thränen mich allein.

So locktest du mich an die Vaterhand,

So stund vor mir die Wahrheit und die Buße,

Der deine hohe Ladung nicht verstand.

Die böse Lust mit dem vertrauten Gruße

Sie zog mich wieder in ihr Zauberland,

Und ließ mich liegen wund vor deinem Fuße.

I.

Du meine Hoffnung von meiner Jugend an, wo warest du mir und wohin hattest du dich zurückgezogen? Hattest denn nicht du mich erschaffen und mich unterschieden von den Thieren des Feldes und von den Vögeln des Himmels? Du hattest mich weiser gemacht, aber ich wandelte auf dunkeln, schlüpfrigen Wegen, suchte dich außer mir und fand den Gott meines Herzens nicht; in die Tiefen des Zweifelmeeres gerieth ich, da versank mein Glauben und ich verzweifelte am Finden der Wahrheit. Schon war meine glaubensstarke Mutter zu mir gekommen, war mir gefolgt über Land und Meer, ruhig in dir bei allen Gefahren. Denn auch über die Bedrängnisse der See tröstete sie die Schiffleute, von welchen sonst die geschreckten, unkundigen Wanderer der Waßerwüste getröstet werden, und verhieß ihnen glückliche Ankunft, die du ihr in einem Gesichte verheißen. Sie fand mich bedrängt wohl von Zweifeln, und als ich ihr gesagt, daß ich zwar kein Manichäer mehr, aber noch kein rechtgläubiger Christ sei, brach sie nicht in Freuden aus, als ob sie Unerwartetes vernommen hätte. Aber diese Veränderung gab ihr Frieden in’s Herz, denn vorher hatte sie mich wie einen, von dir zu erweckenden, Todten beweint und mich hinausgetragen auf der Bahre ihrer Gedanken, daß du sprechest zu der Wittwe Sohn: »Jüngling, ich sage dir, stehe auf!« und daß er wieder lebendig werde und zu reden beginne, und du ihn seiner Mutter gebest. Von keiner ungestümen Freude also wurde ihr Herz erschüttert, als sie gehört, von so Vielem, um daß ich zwar der Wahrheit noch nicht errungen, aber der Falschheit entrungen sei. Doch gewis, du werdest auch das Uebrige verleihen, der du das Ganze verheißen, antwortete sie mir in Sanftmuth aus dem vertrauenden Herzen: sie glaubte im Herrn, mich noch als rechtgläubigen Christen zu sehn, ehe sie wandere aus diesem Leben. Dieses mir; dir aber, du Quell der Erbarmungen, anhaltendere Bitten und Thränen, auf daß du beschleunigen mögest deine Hilfe und erleuchten meine Finsternisse. Und sie gieng um so eifriger zur Kirche, an des Ambrosius Munde hangend, der Quelle, deren Wasser ins ewige Leben quillt. Sie liebte ihn wie einen Engel Gottes, weil sie erkannte, daß ich inzwischen zu jenem schwankenden Wogen gebracht worden, worin sie meinen Uebergang von Krankheit zur Gesundheit durch herzutretende dringendere Gefahr, wie durch jenen Zustand erwartete, den die Aerzte die Krisis nennen.

II.

Als sie daher einst zu den Kirchen der Heiligen, wie sie in Afrika pflegte, Brot und Wein brachte und vom Thürsteher der Kirche abgewiesen wurde, der ihr sagte, der Bischof habe solches verboten, fügte sie sich so willig und gehorsam, daß ich selbst mich verwunderte, wie leicht sie eher eine Anklägerin ihrer Gewohnheit, als eine ungünstige Beurtheilerin jenes Verbots geworden war. Denn ihren Geist beherrschte die Trunkliebe nicht, und die Liebe zum Wein reizte sie nicht zum Haß gegen die Wahrheit, wie so viele Männer und Frauen, welche zu der Mäßigkeit empfehlend Predigt kommend schon angetrunken nach dem Weine des Liebesmahles lechzten. Wenn meine Mutter ihren Korb mit den Weihegaben zum Verkosten und Mittheilen brachte, brachte sie nur ein kleines, ihrer Mäßigkeit angemeßenes Becherchen, in dessen Inhalt sie sich mit den Anwesenden theilte. Und wenn es auch viele Gedächtnißkirchen der Verstorbenen gibt, welche man mit solchen Libationen ehren wollte, sie brachte in alle nur ihr Becherchen mit dem stark gewässerten oft schon lauen Getränk für sich und die Ihrigen, weil sie Gottseligkeit, nicht aber Vergnügen dabei suchte. Als sie nun erfuhr, solches sei vom Bischof selbst denen verboten, welche es nüchtern und mäßig vollzögen, damit den Trunksüchtigen nie eine Gelegenheit zur Ausschweifung gegeben würde, und weil ohnehin diese todten Ceremonien dem heidnischen Aberglauben so ähnlich wären, so enthielt sie sich ihrer sehr gutwillig und lernte, für den von Erdenfrüchten vollen Korb, ein von reineren Gelübden volles Herz zum Gedächtnis der Märtyrer darbringen, damit sie ihr Uebriges den Armen übergebe. So wurde durch Liebe von ihr die Gemeinschaft des Leibes Christi gefeiert, durch dessen Leidensnachfolge die Märtyrer geopfert und gekrönt wurden. Doch scheint es mir, daß sie nicht leicht von dieser Gewohnheit abgegangen wäre, wenn sie ihr von einem Andern wäre verboten worden, den sie nicht, wie den Ambrosius – allermeist um meines Seelenheils willen – geliebt hätte. Aber auch er liebte sie wegen ihres gottseligen Wandelns, in welchem sie in guten Werken voll Geistesglut sich unabläßig zur Kirche hielt, so daß er oft, meiner ansichtig werdend, in ihr Lob ausbrach und mir Glück wünschte, solch eine Mutter zu haben, ohne daß er wußte, was für einen Sohn sie hatte, der ich an allem Heiligen zweifelte und nicht an den Weg glaubte, der zum Leben führt.

III.

Noch flehte ich nicht seufzend zu dir, daß du mir zu Hilfe kämest, nur aufs Forschen und Grübeln legte sich mein ruheloses Gemüth. Den Ambrosius hielt ich der Welt nach wohl für einen glücklichen Mann, da ihn die Mächtigen der Erde so sehr in Ehren hielten; nur sein eheloses Leben schien mir geplagt. Was für Hoffnungen er in sich trug, wie er kämpfte gegen die Anfechtungen des Bewußtseins seiner eigenen Vortrefflichkeit, welche Trost er in Widerwärtigkeiten hatte, und welch köstliche Freuden seines Herzens verborgener Mund von deinem Lebensbrote kostete, das konnte ich nicht ahnen, denn ich hatte es selbst nicht erfahren. Und auch er wußte nichts von meinen Unruhen, nichts von dem gefahrvollen Abgrunde, vor dem ich stand; denn nicht konnte ich, wie ich es wünschte, seinen Rath einholen, da mich der Haufen geschäftiger Leute, deren geistiger Schwachheit er aufhalf, von seinem Ohr und seinem Munde trennte. Die wenige Zeit über, die er nicht mit ihnen zubringen mußte, labte er entweder den Körper mit der nöthigen Nahrung, oder den Geist mit Lesen. Und wenn er las, schweifte sein Blick über des Buches Seite und forschte sein Geist nach dem Sinn, während er schwieg. Oft wenn wir gegenwärtig waren – denn Niemanden wurde der Eingang verwehrt, auch war es nicht Sitte, die Kommenden anzumelden – sahen wir ihn in ernster Stille lesen, und anders nie, und entfernten uns wieder, nachdem wir in langem Schweigen geseßen; denn wer hätte sich unterstanden, dem also Vertieften zur Last zu werden. Und wir schloßen, er wolle in der ihm zu seiner geistigen Erholung so knapp zugemessen Zeit von der Unruhe fremder Angelegenheiten ungestört ausruhen. Er mochte sein leises Lesen wohl auch deshalb sich angewöhnt haben, damit er nicht genöthigt werde, einem neugierigen aufmerksamen Zuhörer dunkle Stellen des von ihm eben gelesenen Buches zu erklären, oder sich auf schwierige Fragen einzulassen und so im Vollbringen dessen, was er zu lesen unternommen hatte, bei der ihm gegönnten Zeit verhindert zu werden. Vielleicht las er aber leise, um seine Stimme zu schonen, die leicht heiser wurde. Aus welchem Grunde er es gethan haben mag, er that wohl. So wurde mir keine Gelegenheit, von seinem Herzen, deinem heiligen Orakel, zu erfahren, was ich wünschte, und nur kurzes Gehör erlangte ich zuweilen. In einer ruhigen Stunde sich vor ihm auszuschütten, wünschte mein bedrängtes Herz so sehr, und fand ihn nie in einer solchen. Aber an jedem Sonntag hörte ich ihn, wie er in der Gemeinde das Wort der Wahrheit so lauter auslegte, und überzeugte mich mehr und mehr, daß alle Knoten der hinterlistigsten Lästerungen, welche unsere Betrüger gegen deine heiligen Bücher flochten, gelöst werden konnten. Da erfuhr ich denn auch, daß das göttliche Ebenbild, nach dem du den Menschen erschufest, von deinen Geisteskindern, die du aus Gnade durch die Mutter Kirche gebarest, nicht so verstanden werde, als glaubten und dächten sie dich von einer menschlichen Gestalt begränzt. Ob ich wohl noch nicht dunkel ahnte, wie das Wesen des Geistes sei, so mußte ich doch freudig erröthen, daß ich nicht den ächten Kirchenglauben, sondern Hirngespinste fleischlicher Gedanken angebellt hatte, und darin fand ich verwegen mich gottlos, daß ich das angeklagt, worüber mir nach reiflicher Erwägung erst ein Urtheil zugestanden wäre. Du aber, Erhabenster und Nächster, Verborgenster und Gegenwärtigster, du hast keine verschiedene, größere und kleinere Glieder, ganz bist du überall und doch keinem Ort; bist jene Körpergestalt nicht, die ich mir einbildete, und doch schufst du den Menschen nach deinem Bilde, und siehe, der ist vom Kopfe bis zum Fuße an seinem Orte, daß du ihn dort übest und dir heiligest.

IV.

Da ich nicht wußte, wie dieses dein Ebenbild beschaffen sei, so hätte ich mit der Frage anklopfen sollen, wie davon zu glauben sei und nicht das verspotten, was ich mir als den Kirchenglauben einbildete, ohne daß er es gewesen wäre. Eine desto größere Sorge über das, was ich festhalten sollte als das Rechte, nagte an meinem Herzen, je mehr ich mich schämte, daß ich so lange durch trügliche Verheißungen war verschloßen und betrogen worden und in knabenhaftem Irrthum und Uebermuth soviel Ungewisses auf eine Weise herausschwatzte, als wäre es gewis; ach später erst ward mir seine Falschheit klar. Soviel war mir nun doch gewis, daß das nicht von mir für gewis Gehaltene ungewis sei, als ich deine Kirche mit blindem Eifer angeklagt, die ich zwar noch nicht als die Lehrerin der Wahrheit anerkannte, von der ich aber soviel endlich wußte, daß sie das nicht lehre, wegen dessen ich sie so schwer angeklagt. So wurde ich verwirrt und bekehrt, und ich freute, mein Gott, mich, daß deine einige Kirche, deines Einigen Leib, in welcher mir als Kind Christ Namen beigelegt ward, keine kindische Nichtswürdigkeiten aushegte, und mit ihrer gesunden lehre dich, den Schöpfer von Allem, nicht in einem Raum, wenn auch in den herrlichsten, doch überall begränzten – daß sie dich nicht in die Menschengestalt einschloß. Auch freute ich mich, daß mir nicht mehr zugemuthet wurde, die Schriften des Gesetzes und der Propheten in der Auslegung zu lesen, in welcher sie mir früher unsinnig erschienen waren, so lange ich geschloßen, nach dieser Auslegung sei der Sinn und Wandel deiner Heiligen gewesen; aber so meinten sie es nicht. Als wollte er damit uns die Regeln des Verständnisses angelegentlich empfehlen, so hörte ich oft den Ambrosius öffentlich sagen: der Buchstabe tödtet, der Geist aber macht lebendig. Er selbst befreite das, was, buchstäblich verstanden, Verkehrteres zu lehren schien, von seiner geheimnisvollen Hülle und erklärte es geistig, und so trug er nichts vor, das mir anstößig gewesen wäre, wenn ich auch die Wahrheit des von ihm Vorgetragenen noch nicht verstund. Denn mein Herz hielt ich von aller Beistimmung zurück, aus Furcht, in die Tiefe zu fallen, und wurde doch durch diese Zurückhaltung weit eher in den Tod gestürzt. Ich wollte mich von der Wahrheit der unsichtbaren Dinge so gewis überzeugen, als ich überzeugt war, daß Sieben und Drei Zehn seien. So unsinnig war ich jedoch nicht, daß ich geglaubt hätte, auch das sogar lasse sich nicht begreifen, aber gleich diesem wünschte ich auch das Andere zu verstehen, sei es nun etwas Körperliches und meinen Augen Abwesendes, sei es etwas Körperliches und meinen Augen Abwesendes, sei es etwas Geistiges, an das ich nur denken konnte, wie ich an körperliche Dinge dachte. Geheilt konnte ich werden durch den Glauben, durch den mein geläuterter Geist zu deiner immer bleibenden, in nichts irrenden Wahrheit gelenkt worden wäre. Aber wie der einem schlechten Arzte in die Hände Gefallene auch einem guten sich anzuvertrauen fürchtet, so that es meine kranke Seele; allein nur durch den Glauben konnte sie geheilt werden, und aus Furcht, Falsches zu glauben, verschmähte sie die Heilung und that deinen Händen Widerstand, der du die Heilmittel des Glaubens bereitet, der du sie über die Krankheiten der Erde gegoßen und ihnen solche Wirksamkeit zugewiesen hast.

V.

Auch darum zog ich die Lehre der Kirche vor, weil in ihr so mild und arglos verordnet wurde, man solle glauben, was nicht erklärt werde, sei es nun etwas, was wirklich erklärt werden könnte, nur daß ein dafür Empfänglicher fehlte, oder sei es etwas, das man nicht zu erklären vermöchte; während bei den Manichäern solch ein Glaube in den vermeßenen Verheißungen tiefern Wissens verlacht ward, und hierauf doch der blinde Glaube an so viel Fabelhaftes und unsinniges, das gar keine Erklärung zuließ, befohlen wurde. Nach diesem aber hast du, Herr, mit deiner sanften, erbarmenden Hand mein Herz behandelt und belehrt, und mich erwägen laßen, wie unzählig Vieles ich glaubte, ohne daß ich es sah, ohne daß ich bei seinem Verlaufe gegenwärtig war; wie so Vieles in der Geschichte der Völker, so Vieles von Orten und Städten, die ich niemals gesehen, so Vieles von Freunden, von Aerzten, von diesen und von jenen Menschen, ohne dessen glaubige Annahme wir überhaupt gar nichts im Leben zu thun wüßten. Du ließest mich erwägen, wie unerschütterlich fest ich glaube, von meinen Eltern entsprungen zu sein, das ich doch nur wißen könnte, wenn ich es aufs Wort hin glaubte. So überzeugtest du mich, daß nicht diejenigen anzuklagen seien, welche an die heilige Schrift glauben, die du mit so großem Ansehen fast in allen Völkern Grund faßen ließest, sondern Diejenigen, die nicht an sie glauben, und daß ich Denen kein Gehör leihen dürfe, die etwa mir sagten: »Woher weißest du, daß diese Bücher durch den Geist des Einen, wahren wahrhaftigen Gottes dem Menschengeschlechte mitgetheilt wurden?« Um so mehr mußte ich das glauben, als ja auch kein Gezänke der Philosophen mich so weit hatte bringen können, daß ich auch nur einmal nicht geglaubt hätte, du seiest, während ich doch nicht wußte, was du sein mochtest, oder daß ich den Glauben aufgegeben hätte, die Lenkung der menschlichen Dinge gehöre dir zu. Wohl glaubte ich das bald stärker, bald schwächer, aber immer doch glaubte ich, du seiest und sorgest für uns, wenn ich auch nicht wußte, wie ich mir dein Wesen vorstellen sollte und den Weg nicht kannte, der zu dir führt und den Verirrten zurückführt. Wenn nun in solcher Schwachheit unsere Vernunft nicht klar genug zum Finden der Wahrheit ist, und uns darum das Ansehen deiner heiligen Schrift nöthig wird, so hättest du, das war meine Meinung, keineswegs dies hohe Ansehen der Schrift in allen Landen verbreitet, wenn du nicht gewollt hättest, man solle durch sie an dich glauben und solle dich suchen durch sie. Was mir früher ungereimt an ihr geschienen, hatte mir nun die Würde eines göttlichen Heiligthums; und um so ehrwürdiger und des heiligen Glaubens werther schien es mir, je offener sie aller Welt zum Lesen lag und ob auch die Herrlichkeit ihrer Geheimnisse nur tieferem Sinn bewahrend, doch mit der verständlichsten Sprache und den schlichtesten Worten sich Allen erschloß, den Eifer Aller übte, die nicht leichtfertigen Herzens waren, damit sie Alle ans weite freundliche Herz willig aufnehme und auf der engen Bahn Wenige zu dir hinüberführe, und doch weit Mehrere, als sie thäte, wenn sie nicht mit solchem Ansehen hervorleuchtete und die Menge nicht zuließe in ihren heiligen, demuthsvollen Schoß. Das bedachte ich, und du stundest mir bei; ich seufzte, und du vernahmest mich; umher stürmte ich, und du lenktest mich; ich gieng auf dem breiten Wege der Welt, und du verließest mich nicht!

VI.

Ich trachtete gierig nach Ehre, Gewinn und ehelicher Lust, und du lachtest mein. In diesen Begierden erlitt ich die bittersten Nöthe, denn du warest mir um so günstiger, je weniger du mir das, was du nicht warst, zur Wonne machtest. Sieh in mein Herz, Herr, der du wolltest, daß ich dieß bedenke und dir bekenne! Nun soll dir anhangen meine Seele, die du gezogen hast aus dem enggezogenen Netze des Todes. Wie elend sie war, du warst es, der sie mit dem Gefühl ihrer Wunde stach, damit sie Alles verlaße und sich zu dir wende, der du über Allen bist, ohne den Alles, was ist, Nichts wäre, damit sie sich zu dir wende und getheilt werde.

Wie elend ich war, und wie du mich mein Elend fühlen lassen wolltest, das merkte ich an jenem Tage, an welchem ich mich bereitete, auf den Kaiser Valentinian in Mailand eine Lobrede zu halten, in der ich viel lügen und mir durch meine Lügen Lob bei denen bereiten wollte, die sie durchschauten. Von diesen Sorgen und herzverpestenden Gedanken umhergetrieben, wandelte ich einst durch einen Flecken bei Mailand und bemerkte dort einen armen Bettler, der, schon betrunken, scherzte und guter Dinge war. Da seufzte ich und sprach mit den Freunden, die mit mir waren, von den vielen Nöthen unseres unnöthigen Strebens, da wir mit all diesem Trachten, dessen Last mir, je mehr ich sie zog, desto schwerer wurde, nur zu sorgenloser Freude gelangen wollten, in der es uns jener Bettler schon zuvorthat, während wir sie vielleicht nie erlangten. Denn was der sich verschafft hatte mit wenigem, erbettelten Groschen, die Lust des zeitlichen Behagens, darnach trachtete ich durch so mühsame Umwege und Umschweife. Wohl hatte er keine wahre Freude, doch eine weit trüglichere suchte ich mit meinen Planen; aber er freute sich doch, und ich war bange; sorgenlos war er und ich geängstet. Und wenn mich Jemand gefragt hätte, ob ich lieber mich ängsten, oder mich freuen wolle, so hätte ich gewiß geantwortet: mich freuen; hätte er mich aber gefragt: ob ich lieber sein möchte wie dieser Bettler, oder wie ich damals war, so hätte ich mich, den von Sorgen und Angst Gepeinigten, gewählt. Hätte ich recht gewählt? Dem Bettler durfte ich mich nicht meiner Gelehrsamkeit wegen vorziehen, da ich mich ja über sie nicht freute, sondern mit ihr selbst ein Bettler nur Wohlgefallen vor den Menschen suchte, ohne nur den Zweck zu haben, sie zu belehren. Ach meine ganze Absicht gieng nur aus auf Menschengunst, darum hast du mit deinem Zuchthause meine Gebeine zerschlagen. Und deshalb sollen von mir weichen, die da sagen: »es handelt sich davon, woran man sich freuen will; der Bettler freute sich der Trunkenheit, du wolltest dich des Ruhmes freuen.« Welch eines Ruhmes, o Herr? Eines Ruhmes, ach, der nicht in dir ist! Denn wie des Bettlers Freude nicht die wahre war, so war auch das nicht der wahre Ruhm und verkehrte nur noch mehr mein Gemüth. Jener mußte in derselben Nacht seinen Rausch ausschlafen, ich mußte mit dem meinen mich schlafen legen und aufstehen, siehe Herr, wie viele Tage lang! Freilich handelt es sich davon, woran man sich freue, ich weiß das wohl; aber die Freude der glaubensvollen Hoffnung ist so weit von jener nichtswürdigen verschieden, daß sie sich gar nicht mit ihr vergleichen läßt, und so war jene nichtswürdige die Scheidewand zwischen dir und mir. Ohne Zweifel war der Bettler glücklicher, nicht nur weil er voll guter Laune war, während ich von Sorgen zerrißen wurde, sondern auch, weil er durch Glück im Betteln sich doch etwas Wein verschafft hatte, indem ich durch Lügen nichtigen Ruhm suchte. Vieles in diesem Sinn sagte ich damals meinen Freunden, oft überlegte ich dabei, wie mir sei, grämte mich, daß mir so übel zu Muth war und verdoppelte dadurch nur das Uebel. Und wenn mir etwas Freude Verheißendes zuwinkte, so war ich zu verdroßen, um darnach zu greifen, während es doch, ehe es festgehalten werden konnte, entflog.

VII.

Darüber trauerten wir, die wir zusammen Freundschaft hielten, aber am vertrautesten pflegte ich solches mit Alypius und Nebridius zu besprechen, von welchen Alypius aus meiner Vaterstadt, der Sohn angesehener Aeltern, und jünger als ich war. Er ließ sich von mir unterrichten, sowohl da ich in unserer Vaterstadt, als später, da ich in Karthago lehrte, liebte mich innig, weil er mich für gut und gelehrt hielt; ich aber liebte ihn wegen seiner vielversprechenden Richtung auf die Tugend, die ihn schon in frühem Alter auszeichnete. Doch die Tiefe des Sittenverderbens in Karthago, in der nichtswürdige Schauspiele eine so große Rolle spielten, hatte auch ihn zur leidenschaftlichen Neigung für die Spiele der Wettkämpfer in der Rennbahn hingerißen. Er aber hörte in dieser Zeit seiner Verirrung noch nicht auf mich, wie auf seinen Lehrer, eines Zwistes wegen, der zwischen mir und seinem Vater ausgebrochen war; mich jedoch erfüllte seine Leidenschaft schon mit der Angst, solch einen hoffnungslosen Jüngling zu verlieren, ja ich meinte, ihn schon verloren zu haben. Aber weder durch die Gunst der Freundschaft, noch durch des Lehramts Recht erlangte ich die Gelegenheit, ihn zu ermahnen und zu beschränken, ich war ja der Meinung, er sei wie sein Vater gegen mich gesinnt. Doch dem war nicht so; denn des Vaters Willen hintansetzend, fieng er an, mich zu grüßen, besuchte meinen Hörsaal, hörte einige Zeit zu und setze wieder aus. Indessen vergaß ich, ihn zu vermögen, daß er seine gute geistige Natur nicht durch die blinde, verderbliche Leidenschaft für die nichtswürdigen Spiele verderbe. Aber du Herr, der du das Leben aller lenkest, die du schufest, du hattest sein nicht vergessen, der einst ein Vorsteher deines Heiligthums unter deinen Kindern werden sollte. Und damit seine Beßerung offenbar nur dir zugeschrieben würde, so bewerkstelligtest du sie zwar durch mich, aber ohne daß ich es wußte. Denn einst, da ich auf meinem gewöhnlichen Lehrstuhle saß und meine Schüler um mich waren, kam auch er, grüßte, setzte sich und schenkte dem, was verhandelt wurde, seine Aufmerksamkeit. Während ich nun die Schrift erkläre, die ich eben in Händen habe, finde ich eine Vergleichung mit den Spielen der Rennbahn passend, und um das, was ich erweisen will, annehmlicher und klarer zu machen, spreche ich mit beißendem Spott gegen die leidenschaftlichen Freunde dieser Spiele; doch das weißest du unser Gott, ohne daß ich daran gedacht hätte, den Alypius von dieser Sucht heilen zu wollen. Er aber bezog es auf sich, und meinte, ich hätte es seinetwegen allein gesagt. Und was ein Anderer nur auf sich angewandt hätte, um mir zu zürnen, das wandte der edle Jüngling zum Zürnen gegen sich selbst und zur glühenderen Liebe gegen mich an, nach deinem Worte: strafe den Weisen und er wird dich lieben. (Sprüchw. 9, 8.) Ich war es nicht, der ihn strafte; nur du, der du Alle, mögen sie wißen davon oder nicht, nach deinem bestimmten Plan, der stets der rechte ist, verwendest, du bereitest aus meinem Herzen und aus meiner Rede glühende Kohlen, mit welchen du das hoffnungsvolle, dem Erlöschen nahe Gemüth wieder entzündest und heiltest. Dein Lob verschweige, wer deine Erbarmungen nicht beherzigt, zu denen vor dir sich mein tiefstes Herz bekennt! Denn Jener riß sich nach meinen Worten aus der tiefen Grube, und reinigte mit muthiger Enthaltsamkeit seine Seele aus. Aller Unrath des Circus fiel von ihm, ihn selbst betrat er nie mehr. Hierauf brachte er den widerstrebenden Vater dahin, daß er ihm erlaubte, ganz mein Schüler zu werden. Aber nun ward er mit mir in den gleichen Aberglauben gestürzt, weil er an den Manichäern die zur Schau getragene Enthaltsamkeit liebte und sie für wahr und ächt hielt, während sie sinnlos und verführerisch die edlen Seelen fieng, welche die Erhabenheit der Tugend noch nicht an sich erfahren hatten, und sich leicht vom äußerlichen Schein verstellter Tugend blenden ließen.

VIII.

Nicht um den eiteln Weg zu verlassen, auf den ihn seine Aeltern gelockt hatten, zog er vor mir nach Rom, um dort der Rechtsgelehrsamkeit sich zu widmen. Und dort wurde er mit unglaublicher Hinreißung, ich möchte sagen, auf unglaubliche Weise zu den Fechterspielen hingerißen. Denn zu ihm, der sie anfangs verabscheute, traten einige Freunde und Mitschüler, denen er eben, als sie vom Frühmale zurückkehrten, begegnete, und führte ihn, wie er sich sträubte, mit vertraulicher Gewaltthätgkeit in’s Amphitheater, da eben die Zeit dieser grausamen Spiele war. Er sprach dabei zu ihnen: »möget ihr meinen Leib an diesen Ort schleppen und festhalten, könnt ihr damit auch meine Seele und meine Augen auf diese Spiele lenken? So will ich denn abwesend gegenwärtig sein und euch und diese Spiele überwinden!« Nichts desto weniger führten sie ihn mit sich fort, zu erfahren wünschend, ob er durchsetzen werde, was er gesagt hatte. Als sie dort anlangten und auf den gemietheten Sitzen Platz nahmen, brause schon Alles in blutdürstiger Lust auf. Er aber verbot mit geschlossenen Augen seiner Seele, sich dieser Sünde hinzugeben; o hätte er doch auch seine Ohren verstopft! Denn als bei eines Fechters Fall im Kampfe das wilde Geschrei alles Volks ihn überraschte, öffnete er von Neugier besiegt die Augen, als wäre er bereit, auch den Anblick, möge er zeigen was er wolle, zu verachten und zu besiegen; aber er wurde von einer schwereren Wunde in die Seele getroffen, als in den Körper jener Kämpfer, den er zu sehen wünschte, und stürzte kläglicher als jener. Getroffen und gefällt zeigte er, daß sein Muth nicht Stärke, und er selbst um so schwächer gewesen sei, je mehr er sich das selbst zutraute, was er nur von dir hätte erwarten sollen. Denn als er das Blut sah, sog er den Blutdurst zugleich mit ein, wandte sich nicht ab, heftete darauf die Augen, die Geister der Wuth in sich aufnehmend, ohne es zu wißen; und sich nun ergötzend an den verbrecherischen Kämpfen, wurde er trunken von blutdürstiger Freude. Nun war er Der nicht mehr, welcher er gekommen war, er war der Rotte einer, zu der er kam, der ächte Genoße derer, die ihn herbeigeführt hatten. Was soll ich mehr davon sagen? Er schaute, rief Beifall, entbrannte und trug mit sich den wilden Wahnsinn von dannen, durch den er gereizt wurde, wieder zu kommen, nicht nur mit denen, die ihn hingezogen, nein, vor ihnen, Andere nach sich ziehend. Und von dort auch hast du ihn mit deiner starken, erbarmenden Hand entrißen und ihn gelehrt, nicht sich, nur dir zu vertrauen; aber erst lange nachher erfuhr er dieß.

IX.

Doch auch folgende Begebenheit wurde zu seiner einstigen Heilung in seinem Gedächtnis bewahrt. Als er einst in Karthago, noch las mein Zuhörer, eines Mittags im Forum, nach der Weise der Studierenden, auf eine Rede sich vorbereitete, ließest du zu, daß ihn die Diener des Forums ergriffen, als wäre er ein Dieb. Auch das hast du, mein Gott, nur zugelassen, damit er, der später so wichtige Mann, frühzeitig lerne, daß beim Urtheilfällen kein Mensch so leicht von seinem Mitmenschen in unbesonnener Leichtgläubigkeit verdammt werden dürfe. Einsam nämlich gieng er mit Griffel und Schreibtafel vor der Gerichtsbühne auf und nieder, während ein anderer Jüngling aus der Zahl der Studierenden, der wahre Dieb, mit einem verbogenen Beil, ohne daß mein Freund davon etwas wußte, sich an das bleierne Geländer machte, welches über dem Platze der Geldwechsler angebracht war, und das Blei dort abblieb. Die Wechsler, durch den Klang des Beiles aufmerksam gemacht, besprachen sich drunten an ihrem Ort und sandten Häscher aus, die ergreifen sollten, wen sie fänden. Jener aber bloß, da er seine Stimme hörte, und ließ, aus Furcht, damit ergriffen zu werden, das Beil zurück Alypius, welcher ihn nicht hatte eintreten sehen, aber bemerkte, wie er sich schnell davon machte, wollte die Ursache wißen, betrat den Ort und blieb verwundert stehen, während er das gefundene Beil betrachtete. Die Häscher finden nur ihn, mit dem Beil in der Hand, dessen Klang sie herbeigezogen. Sie nehmen ihn fest, führen ihn fort, unter dem Zusammenlauf des Forums, und rühmen sich, den Dieb auf der That ertappt zu haben. Und so wurde er dem Richter zugeführt. Aber nur bis dahin sollte er belehrt werden, denn plötzlich kamst du, Herr, seiner Unschuld zu Hilfe, deren Zeuge du allein warst. Als man ihn hinführte, entweder zum Gefängniß, oder zum Tode, begegnete ihnen ein Baumeister, der die Aussicht über die öffentlichen Gebäude führte. Die Häscher freuten sich, eben ihm zu begegnen, der sie im Verdacht hatte, als pflegten sie das vom Forum abhanden Kommende zu entwenden; sie freuten sich, daß er nun endlich erkennen möchte, wer der Thäter sei. Aber er hatte den Alypius oft im Haufe eines Senators gesehen, dem er aufzuwarten pflegte; sobald er ihn daher erkannte, entriß er ihn eigenhändig der Schaar, erfuhr von ihm, was geschehen war, und befahl dem lärmenden, drohenden Haufen ihm zu folgen. Und sie kamen vor des Jünglings Wohnung, der die That verübt hatte. Dort war ein Knabe vor der Thüre, zu klein noch, als daß er für seinen Herrn – denn er war in des Jünglings Diensten – etwas zu fürchten vermocht hätte, so daß er Alles leicht angeben konnte. Alypius erkannte ihn und vertraute seinen Verdacht dem Baumeister; dieser zeigte dem Knaben das Beil und fragte ihn, wem es gehöre. Sogleich antwortete er: es gehört uns zu, und weiter ausgefragt, eröffnete er Alles. So kam der Proceß über jenes Haus und wurde der Haufen beschämt, der schon über Alypius triumphirt hatte. Er aber, der künftige Verwalter deines Wortes, der Schiedsmann so vieler Angelegenheiten deiner Kirche, gieng erfahrener und belehrter von dannen.

X.

Ihn also traf ich in Rom. Mit der innigsten Freundschaft hieng er an mir und wanderte mit mir nach Mailand, sowohl um bei mir zu sein, als um die Rechtswissenschaft auszuüben, die er mehr nach dem Willen seiner Eltern, als nach seinem eigenen erlernt hatte. Vorher hatte er dreimal das Amt eines Beisitzers in den Gerichten mit der edelhaften Uneigennützigkeit bekleidet, über die sich seine Kollegen wunderten, während er selbst sich noch viel mehr über sie verwunderte, daß sie das Gold der Unbestechlichkeit vorzogen. Dort wurde seine Jugend nicht nur durch lockenden Gewinn, sie wurde auch durch Anfechtung zur Furcht versucht. In Rom nemlich bekleidete er einst die Stelle eines Beisitzers im Schatzmeisteramte für Italien. Und damals war dort ein sehr angesehener Senator, dem Viele durch empfangene Wohlthaten verpflichtet, aber aus Furcht dienstwillig waren. Der machte einst, nach seiner gewaltthätigen Weise, ein gesetzwidriges Ansinnen, dem Alypius entgegen war, dargebotene Belohnung verlachend und angewandte Drohung verachtend, so daß Jedermann den ungewöhnlichen Muth bewunderte, mit dem er solch einen Mann weder zum Freunde wollte, noch als Feind fürchtete. Der Richter aber, dessen Rath Alypius war, verweigerte das Ansinnen nicht offen, ob er es gleich nicht gewähren wollte, sondern schob alle Schuld auf Alypius, der nicht einwilligen, und wenn der Richter selbst einwillige, gegen ihn stimmen würde. In dieser Stellung wurde er einmal bei einer literarischen Arbeit fast versucht sich um prätorianische Gerichtsgelder zu lassen, aber sein Rechtssinn brachte ihn auf beßeren Entschluß und er hielt die Billigkeit, die ihn abhielt für nutzbringender, als seine Gewalt, die ihm Jenes erlaubte. Das ist eine Kleinigkeit, aber wer im Kleinen treu ist, der ist auch im Großen treu. Und kein leeres Wort sprach der Mund deiner Wahrheit: wenn ihr im ungerechten Mammon nicht treu seid, wer wird euch das Wahrhaftige anvertrauen? Und wenn ihr im Fremden nicht treu seid, wer wird euch geben was euer ist? (Lut. 16, 10-12.) Ein Mann solcher Besinnungen hieng er an mir und berieth sich mit mir über die Wahl unserer Lebensweise.

Auch Nebridius hatte seine Heimath bei Karthago und Karthago selbst verlaßen, wo er sich aufzuhalten pflegte, und war von dem reichen väterlichen Erbe aus seinem andern Grunde nach Mailand gereist, als um mit mir im Feuereifer nach Wahrheit und Weisheit zu streben. In gleicher Seelennoth wurde er umhergetrieben, glühend das selige Leben suchend, der scharfsinnigste Erforscher der schwersten Fragen. Drei Hungernde klagten sich da ihre Noth, und sie erwarteten von dir, daß du ihnen Speise gebest zu rechter Zeit. Aber in aller Unannehmlichkeit, welche nach deiner Erbarmung auf unser weltliches Trachten folgte, legte sich Finsterniß über uns, wir nach dem Zwecke dieser Leiden fragten; seufzend widerstrebten wir und sprachen: wie lange soll das währen? So oft wir das sprachen, wir ließen doch nicht von unserem weltlichen Trachten ab, weil nichts Zuverläßiges aus Licht trat, das wir zu erfaßen vermocht hätten, wenn wir jenes verließen.

XI.

Mit Schmerz bedachte ich die lange Zeit, welche nun von meinem neunzehnten Lebensjahre an verstrichen war, seit welchem ich in brennendem Eifer die Weisheit mit dem Vorhaben gesucht, wenn ich sie gefunden hätte, alle meine verwerfliche Begierden und lügnerische Albernheiten aufzugeben; denn siehe, ich lebte im dreißigsten Jahre und klebte noch an diesem Unrath, voll Gier nach dem flüchtigen, zerstreuenden Genuß der Gegenwart. Und das waren in der langen Zeit meine Gedanken: »Morgen werde ich es finden, es wird sich mir darbieten und fest werde ichs halten; siehe, Faustus wird kommen und wird mir Alles erklären. – Und ihr große Akademiker, sollte wirklich nichts zu erfragen sein, nach dem man sein Leben einrichte? Nein, wir wollen um so eifriger suchen und nicht verzweifeln. Siehe, schon ist nicht mehr sinnlos in den heiligen Büchern der Kirche, was wir für sinnlos hielten; anders kann es und würdig verstanden werden. So will ich meine Schritte lenken auf die Bahn, auf die mich als Kind schon die Eltern stellten, bis ich sie finde dort, die einleuchtende Wahrheit. Und wo und wann werde ich sie finden? Es fehlt nicht an Ambrosius, es mangelt nicht an zu lesenden Schriften. Wie wollen wir nur die Zeit eintheilen fürs Heil unserer Seele? Große Hoffnung ist uns aufgegangen; nicht lehrt der katholische Glauben, was wir in solcher Meinung ihm vorwarfen. Seine Lehrer halten es für sündhaft, an einen in Menschengestalt eingeschlossenen Gott zu glauben, und wir zweifeln noch, in ihm das Licht für alles zu finden? Die Stunden des Vormittags müßen wir unsern Schülern widmen; was thun wir in den übrigen Stunden? Warum nicht das, was allein Noth thut? Aber wann sollen wir den Gönnern dann aufwarten, deren Kunst wir bedürfen? Wann uns auf das vorbereiten, was von uns die Studierenden um Lohn suchen? Wann uns von der Arbeit erholen? Weg mit dem Allen, wir wollen es verwerfen als eitel und unnütz, und uns allein der Erforschung der Wahrheit weihen. Des Elends voll ist dieses Leben und ungewiß ist die Stunde des Todes. Wie müßten wir aus diesem Leben scheiden, wenn er plötzlich über uns käme? Wo wollten wir erlernen noch, was wir hier versäumten? Müßten wir nicht weit eher die Strafe dieser Vernachläßigung büßen? Aber wie, wenn der Tod all unser Streben mit unserem Bewußtsein abschnitte und vernichtete? Auch das ist die Frage. Doch ferne sei, daß es also sei. Nicht leer, nicht ohne Wahrheit ist, was als der herrlichste Gipfel des christlichen Glaubens auf der ganzen Erde verbreitet ist und Geltung hat. Nimmermehr würde so Großes und so Herrliches für uns von Gott vollbracht, wenn bei des Leibes Tod auch der Seele Leben verzehrt würde. Nun, was zaubern wir, die Hoffnung aufzugeben auf diese Welt und uns von ganzer Seele dem Suchen Gottes und eines seligen Lebens zu weihen! Doch gemach! Auch das Weltliche reizt, und nicht klein ist sein süßer Genuß, nicht leicht ist’s, das Trachten nach ihm aufzugeben, während es schändlich ist, den Rückschritt wieder dahin zu nehmen. Siehe doch, wie viel daran liegt, daß uns Ehre werde! Der Gönner Menge fördert uns schnell vorwärts, selbst zu Amt und Ehren kommen wir dadurch; ein Weib läßt sich heimführen, mit erklecklichem Vermögen, damit sie uns im Aufwand für sie nicht lästig werde. Viele große, höchst nachahmungswürdige Männer weihten sich ja, trotz ihres Ehebündnisses, mit Eifer der Weisheit!« – Während ich also zu sprechen pflegte und solche Winde der Eitelkeit ihr wechselndes Spiel mit mir trieben, und hierhin mein Herz rißen, verstrich die Zeit, zauderte ich, mich, Herr, zu dir zubekehren, säumte von einem Tag zum andern, in dir zu leben und säumte doch nicht, täglich in mir selbst zu sterben. Ich liebte das selige Leben, und fürchtete, es in seiner Wohnung zu finden, ich floh vor ihm, da ich es suchte. Denn ich wähnte, ich würde gar zu elend werden, wenn ich des Weibes Umarmungen entbehren müßte, und dachte nicht an das Heilmittel deiner Erbarmung, das mich von diesem Uebel erlösen konnte, denn ich hatte es nie noch versucht. Ich hielt die Enthaltsamkeit für Sache der eigenen Kraft, von der ich wußte, daß sie mir fehlte, da ich in Thorheit nicht wußte, was geschrieben steht: »ich kann nicht anders züchtig sein, es gebe mirs denn Gott.« (Weish. 8, 21.) Wahrlich, mir hättest du es gegeben, wäre ich mit Seufzen zu dir gekommen und hätte mit festem Glauben mein Anliegen auf dich geworfen.

XII.

Wohl suchte mich Alypius von der Heimführung einer Gattin abzuhalten und mich zu überzeugen, wenn ich das ausgeführt hätte, könnten wir nicht ungestört der Liebe zur Weisheit leben, der wir schon so lange verlangten. Er selbst lebte rein, während er sich in der ersten Jugend befleckt, aber dem Laster nicht hingegeben hatte, und es in schmerzendem Gedächtnis seines Falls um so mehr verachtete und um so enthaltsamer lebte. Ich hielt ihm das Beispiel derer entgegen, welche sich auch in der Weisheit befleißigt, Gott erworben und ihre Freunde treu und werth gehalten hätten; und doch war ich weit entfernt von dem Seelenadel solcher Männer, war gebunden von der krankhaften Sinnenlust nach tödlichem Genuße und schleppte mich an meiner Kette. Ich fürchtete, von ihr gelöst zu werden, und da mir schon die Wunde geschlagen war, verschmähte ich die Worte des freundlich Rathenden, die doch einer heilenden Hand glichen. Ja, durch mich sprach die Schlange selbst zu Alypius und umstrickte mit meinen lockenden Worten seinen bisher reinen Pfad. Er selbst wurde mehr aus Neugier, als aus sinnlichen Frieden heirathslustig, da ich, den er so hoch achtete, ihm betheuerte, gar nicht ohne ehelichen Umgang leben zu können und als ich ihn versicherte, der Ehe Freuden seien etwas ganz Anderes, als jene von ihm genoßene, vorübergehende Lust. So wurde er nach dem begierig, ohne dessen Genuß ich mein Leben, das ihm so wohlgefiel, kein Leben, sondern eine Strafe nannte. Seine noch freie Seele wunderte sich über meine Sklaverei, im Verwundern schritt sie zur Neugier und war nahe am Fall und an der Verlobung mit dem Tode. Denn wer die Gefahr liebt, den stürzt sie. Keinen von uns veranlaßte ja das Würdige des Ehestandes, häusliches Walten, Kindes- und Elternliebe, kaum nebenbei dachten wir des; mich trieb gewöhnte Gier, ihn ihre neugierige Verwunderung. So waren wir, bis du Höchster, der du unser niedriges Leben nicht verließest, dich der elenden erbarmtest und wunderbar und verborgen halfest.

XIII.

Ohne Rast wurde nun darauf hingewirkt, daß ich eine Gattin heimführen möge. Schon freite ich und erhielt das Jawort, wobei sich meine Mutter die größte Mühe gab; denn sie hoffte, nach meiner Verehelichung sollte mich die heilsame Taufe reinigen, für die sie mich mit Freuden täglich tauglicher werden sah. Und fest war ihr Hoffen; wurde ja doch durch meine Bekehrung sowohl ihr Flehen, als deine Verheißung erfüllt. Da sie aber, sowohl auf meine Bitten, als nach ihrem Verlangen zu dir flehte, du mögest in einem Gesichte ihr Einiges von meiner künftigen Ehe offenbaren, erfülltest du niemals ihren Wunsch. Sie sah nur einige nichts bedeutende Traumgeschichte, die durch den Drang ihres mit dieser Ungelegenheit so sehr beschäftigten Geistes entstunden, und erzählte sie mir, aber nicht mit dem Vertrauen, das sie gewöhnlich hatte, wenn du ihr etwas offenbartest, sondern ohne Werth auf sie zu legen. Denn sie äußerte, sie wiße durch eine Empfindung, die sie mit Worten nicht auszusprechen vermöge, deine Offenbarungen von ihren natürlichen Träumen zu unterscheiden. Doch blieben wir bei unserer Wahl, die auf eine Jungfrau gefallen war, wegen deren Jugend wir mit der Vollziehung der Ehe noch zwei Jahre zu warten gedachten.

XIV.

Wir erwogen, viele Freunde zusammen, die lästigende Beschwerde des Menschenlebens; indem wir sie verwünschten, waren wir schon beinahe fest entschlossen, fern vom Weltgetümmel uns der Ruhe zu weihen und hofften sie zu erreichen, wenn wir das, was wir erwerben konnten, zusammenlegten und eine gemeinsame Familie bildeten, so daß in einem Freundesbund jeder eigene Besitz aufhöre und Alles Allen gehöre. Wir hofften unsere Verbindung auf zehn Männer zu bringen und sehr Begüterte waren unter uns, vor Allen unser Landsmann Romanianus, mein vertrautester Freund von Jugend an, den damals schwierige Geschäfte aus Hoflager nach Mailand gezogen hatten. Er nahm sich auch der Sache am meisten an, und bei seinem großen Vermögen hatten seine Rathschläge das meiste Gewicht. Wir bestimmten, daß je Zwei ein Jahr lang, wie es bei den Magistraten der Fall ist, das Nöthige besorgen sollten, während die Uebrigen in Ruhe leben möchten. Aber als wir endlich bedachten, ob das den Frauen wohl gefallen möchte, die Einige von uns schon hatten, und welche wir andern uns wünschten, da verschwand der ganze Plan, den wir so fein ausgesponnen hatten, aus unsern Händen. So giengen wir wieder trauervoll auf den breiten, zertretenen Wegen dieser Welt, während gar vielerlei Gedanken in uns wechselten. Denn Herr, nur dein Rath bleibt in Ewigkeit! Mit deinem Rathe lachtest du des unsern und bereitetest den deinen, daß du uns ernährest zu rechter Zeit, daß deine Hand du aufthuest und unsere Seelen erfüllest mit deinen segnenden Gaben.

XV.

Inzwischen mehrten meine Sünden sich. Und da Sie, ein Hinderniß gegen meine Vermählung, von meiner Seite gerißen wurde, mit welcher ich mein Lager zu theilen gewöhnt war, wurde mein ihr anhängliches Herz getroffen, verwundert und wollte in Schmerzen verbluten. Sie aber war nach Afrika zurückgekehrt und hatte dir gelobt, nie mehr von einem andern Manne zu wißen. Mir wurde von ihr ein natürlicher Sohn zurückgelassen. Ich Elender aber konnte nicht einmal eines Weibes Nachahmer werden, und den Aufschub nicht ertragen, durch welchen ich die Verlobte erst nach zwei Jahren heimführen sollte; denn ich war nicht ein Freund der Ehe, ein Knecht der Lust war ich; und so nahm ich eine Andere zu mir, ohne sie zum Weibe zu nehmen. Nicht wurde diese neue Wunde geheilt, wie die erste, deren Gift ausgeschnitten wurde, sondern nach Brand und Qal ging sie in Fäulnis über, schmerzte gleichsam kühler, aber hoffnungsloser.

XVI.

Dir sei Preis, dir sei Ehre, du Quell der Erbarmungen! Elender ward ich, da kamst du näher! Schon nahte sich mehr und mehr deine Rechte, mich aus dem Pfuhle zu reizen und mich zu reinigen, und ich wußte nicht davon. Nichts hielt mich vom tiefern Abgrund der fleischlichen Lust zurück, als Furcht vor dem Tode und vor dem Gerichte, die auch bei meinen wechselnden Meinungen nie aus meiner Brust verschwand. In dieser Furcht besprach ich mit meinen Freunden Alypius und Nebridius über das höchste Gut und das größte Uebel, und hätte dabei dem griechischen Philosophen Epikur, der im Vergnügen das hüchste Gut fand, den Preis zuerkannt, wenn ich nicht an ein anderes Leben und an eine Vergeltung nach dem Tode gedacht hätte, was Epikur läugnete. Da stellte ich die Frage auf, ob wir denn nicht glückselig wären und noch etwas zu wünschen hätten, wenn wir, ohne je zu sterben, in beständiger Sinnenlust, sonder Furcht vor ihrem Verluste, lebten. Nicht wußte ich, wie das meines Elendes Elend war, da ich zu versunken und zu verblendet war für die Gedanken an das Licht der Tugend, an eine um ihrer selbst willen zu umfassende reine Schönheit, die kein leibliches Auge schaut, da sie sich offenbart im Innersten der Seele. Aus der Liebe himmlischem Born quillt auch die Freundesliebe, aber nur im Befleckenden uns gefallend, erkannten wir ihr Edles nicht. Nicht konnte ich ohne Freunde glücklich, selbst nach der Besinnung sein, die mich damals in jeden Strom sinnlicher Lüfte riß; und ich liebte führwahr diese Freunde ohne Nutzen, und wußte, daß ich von ihnen auch ohne Nutzen geliebt wurde. O über den schlangengleich sich windenden Weg! Weh dem frechen Gemüthe, das da hofft, es werde etwas Besseres besitzen, wenn es von dir gewichen sei. Mag es sich wenden und drehen, rückwärts, zur Seite oder vorwärts, überall findet es nur den rauhen Weg seines Elends. Du allein bist die Ruhe; und siehe, da bist du und machst uns frei von den kläglichen Irrthümern, setzest uns in dein Leben ein, und richtest uns auf mit dem trötzlichen Wort: »Voran! Ich will euch tragen; will es ausführen, da ich euch trage.«

Siebentes Buch

Geboren bin ich unter deinem Licht:

Sie waren günstig, meines Sternes Zeichen,

Der Zukunft Wonnen wollten sie mir reichen –

Du warst der Stern, Herr, meine Zuversicht.

Ich sah den Strahl und seine Freuden nicht:

Da wo er leuchtet, muß die Macht entweichen;

Im Wolkenflug, mit ihrer Stürme Streichen

Umbrauste düster sie mein Angesicht.

Nichts ist die Nacht mit allen ihren Schrecken,

Das Böse nichts mit aller seiner Muth;

Das Leben bist du, Leben kannst du wecken.

Lang lag ich todt, und habe nicht geruht,

Da brachst du Herr, mein Licht, durch alle Decken –

Nun ruh’ ich, und dein Leben ist mein Gut.

I.

Sie war dahin, die Zeit des verwerflichen Jünglings, und ich trat in die männliche Jugend ein, je älter an Jahren, desto schändlicher an schnöder Eitelkeit. Ob ich nur Sichtbares zu denken vermochte, Gott, nie dachte ich dich doch in Menschengestalt, floh das, seit ich der Weisheit mein Ohr geliehen, und freute mich, daß ich das auch im Glauben unserer geistlichen Mutter, der katholischen Kirche, so stand. Aber, was ich Anderes dich denken sollte, wußte ich nicht; ich ein Mensch und solch ein Mensch versuchte dich zu denken, den höchsten, alleinigen wahren Gott und an dich, den Unzerstörbaren, Unverletzlichen, Umwandelbaren glaubte ich von Herzensgrund, aber ich wußte nicht woher und auf welche Weise ich meine Gedanken über dich zu ordnen habe; nur so viel sah ich ein, daß das Zerstörbare schlechter sei, als das Unzerstörbare und so zog ich alsbald das Unverletzliche dem Verletzlichen vor und hielt das Unwandelbare. Heftig schrie mein Herz gegen alle meine Truggebilde, und mit einem Streiche meinte ich ihre Schaar von meines Geistes Sehkraft abzutreiben. Aber kaum einen Augenblick zurückgeworfen, war sie vereint wieder da, stürzte gegen mein Angesicht und verdunkelte es, so daß ich dich, mein Gott, wenn auch nicht in der menschlichen Gestalt, doch als etwas Körperliches denken mußte, das den Raum erfülle, sei es nun durch die Welt, oder über die Welt hinaus in’s Unendliche ergoßen, wohl selbst auch unvergänglich, unverletzlich und wandellos, und dem Vergänglichen, Verletzlichen und Wandelbaren vorzuziehen. Denn was ich mir nicht räumlich denken konnte, schien mir gar nicht sein zu können, nicht einmal als ein Leeres, wie etwa ein von seinem Körper verlaßener Raum, sei dieser Körper nun von Erde, Wasser, Luft oder himmlischer Art, ein von ihm leerer Ort däuchte mir gleichsam ein räumliches Nichts. Verdickt im Herzen (Psalm 119, 70), ich selbst mir nicht sichtbar, meinte ich, das sei gar nicht, was nicht durch einen Raum ausgedehnt werde, sich ausgießend, oder zusammenballend, oder aufquellend und sonst noch der Raum ausgefüllt wird. Die Formen, die sich meinen Augen vergegenwärtigen, bildete sich mein Herz ein und ich sah nicht ein, daß das Vorstellungsvermögen, durch welches ich jene Einbildungen schuf, selbst nichts ihrer Art sei, und doch hätte es jene sich nicht gebildet, wenn es nicht selbst etwas Großes wäre. So dachte ich auch von dir, du meines Lebens Leben, du durchdringest als eine Größe die ganze Weltmasse durch gränzenlose Räume, und ragest gränzenlos, unendlich über sie hinaus, so daß dich Erde, Himmel und Alles habe und in dir begränzt sei, während du es nirgends seiest. Wie dem Sonnenlichte die, obgleich körperliche Lust, die über der Erde ist, nicht hindernd entgegensteht, so daß es sie nicht durchdringen und durchschneiden könnte – wie es sie ganz erfüllt, so glaubte ich auch von dir, es sei dir nicht nur Aether, Luft und Wasser zugänglich, sondern selbst die feste, undurchsichtige Erde. In allen ihren größten und kleinsten Theilen sei sie durchdringbar, um deine Gegenwart zu erfassen, der du innerlich und äußerlich alles was du erschufest, geheimnißvoll durchwehest. So vermuthete ich, weil ich mir es nicht anders zu denken vermochte. Aber ich irrte, denn nach dieser Vorstellung besäße ein größeres Geschöpf einen größern, ein kleineres einen kleineren Theil von dir und Alles wäre voll von dir dergestalt, daß der Elephant um so mehr von dir enthielte, als der Sperling, um wie viel er größer ist als dieser; und so würdest du stückweise dich den Einzelnwesen der Welt vergegenwärtigen und hätten die großen große, die kleinen kleine Theile von dir inne. Aber so bist du nicht! Und noch hattest du meine Finsternisse nicht erhellt.

II.

Mit diesem Wahne reichte ich aus, o Herr, gegen die Betrogenen und Betrüger, jene nichtssagenden Schwätzer, weil sie nichts dagegen aus deinem Worte vorzubringen wußten; ich reichte aus damit, seit vor langer Zeit solcher Wahn schon von Karthago her durch Nebridius aufgebracht war, und uns Alle durchdrang. Aus der entgegengesetzten, bösen Weltmasse setzten sie dir ein Volk der Finsternis entgegen, mit dem du zu streiten haben solltest. Was konnte dir dies thun, wenn du nicht mit ihm streiten wolltest? Konnt’ es dir schaden, so warest du verletzlich, konnt’ es das nicht, so war kein Grund zum Streite da, und zwar zu einem solchen Streite, in welchem nach dem Wahn der Manichäer irgend ein Theil, ein Glied von dir, oder ein Ableger deines Wesens mit den feindlichen, von dir nicht geschaffenen Naturen, kampfgemein werden mußte und von ihnen verderbt und elend gemacht wurde, so daß es zu seiner Befreiung und Reinigung der Hilfe bedurfte. Solch ein Theil, solcher Ableger von dir war nach dem manichäischen Irrthum die Seele, der dein Wort zu Hilfe kommen sollte, und zwar der dir dienenden in seiner Klarheit, der befleckten in seiner Reinheit, der verderbten in seiner Unverderbtheit, und doch selbst verderbbar, weil es aus derselben Substanz bestund, wie die Seelen. Wenn sie dich und was du bist, dein Wesen, unverderbbar nannten, so mußte ihnen das Erschaffene falsch und verabscheuungswerth erscheinen vor deinem Angesicht, fanden sie dich aber verderbbar, so warst du selbst das Grundfalsche und Allerabscheulichste. Es war also Veranlassung genug vorhanden, um mein Herz von dem Druck zu befreien, den die Manichäer darauf ausübten, indem ihr Herz und ihr Mund dich schaudervoll lästerten, während sie solches über dich verbrachten und aussprachen.

III.

Ich bekannte dich als den Unbeflecklichen und Unwandelbaren und erkannte dich fest als unsern Herrn, den wahren Gott, der du nicht nur unsere Seelen schufest, sondern auch unsere Leiber, und nicht nur unsere Seelen und Leiber, sondern alle, aber noch war mir die Ursache des Bösen nicht entwirrt und gelöst. Was sie aber auch sein mochte, ich glaubte sie so aufspüren zu müssen, daß ich durch sie nicht genöthigt würde, dich den unveränderlichen Gott für veränderlich zu halten, um nicht selbst das zu werden, was ich suchte. So suchte ich gesicherter des Bösen Ursache, fest überzeugt, unwahr sei, was die Manichäer lehrten, die ich nun mit ganzer Seele floh, weil ich einsah, sie forschten voll Bosheit nach des Bösen Grund, mit der sie erdachten, viel eher sei dein Wesen dem Bösen leidend unterworfen, als daß ihr Wesen das Böse thue. Ich suchte nun die anderswoher vernommene Lehre zu verstehen, nach der unser freier Willen die Ursache unseres bösen Thuns, und dein Gericht gerecht ist, das uns dafür leiden läßt. Aber diese Ursache vermochte ich mir nicht klar zu machen. Während ich meine Gedankenreihen aus der Tiefe heraufzuholen suchte, stürzte ich wieder hinab, und das wiederholte sich, wie oft ich den Versuch auch machte. Zum Lichte deiner Wahrheit half mir, daß ich so gewis wußte, ich habe freien Willen, als ich wußte, daß ich lebe. wenn ich etwas wollte oder nicht wollte, so war ich ja gewis, daß kein Anderer als ich das wollte, und schon begann ich zu bemerken, wie hierin die Ursache meiner Sünde liege. Was ich aber ungerne that, das sah ich eher für mein Leiden, als für meine That an, hielt es nicht für Schuld, hielt es für Strafe, und halb bekannte ich, du, den ich für gerecht hielt, strafest mich damit nicht ungerecht. Aber dagegen sprach ich: wer schuf mich? Nicht mein Gott, der nicht nur gut, der selbst das Gute ist? Woher will ich nun das Böse und nicht das Gute, und will’s auf eine Weise, daß ich dafür mit Recht bestraft werde? Wer legte das in mich, wer pflanzte in mich den Setzling der Bitterheit, da ja mein ganzes Wesen von meinem Gott, dem allersüßesten, geschaffen ward? Wenn der Teufel der Urheber ist, woher ist denn selbst ein Teufel? Wenn er durch seinen verkehrten Willen aus einem guten Engel zum Teufel wurde, woher kam in ihn selbst der böse Wille, der ihn zum Teufel machte, da er, der Engel, seinem Wesen nach vom vollkommen guten Urheber geschaffen ist? Durch solche Gedanken wurde ich wieder erdrückt, doch fiel ich nicht mehr in den manichäischen Irrthum zurück, in welchem Niemand dir seine Schuld bekennen kann, weil man da glaubt, du seiest eher der Dulder des Bösen, als der Mensch der Thäter desselben.

IV.

Nun strebte ich Weiteres zu finden und schon fand ich, das Unverletzliche sei besser, als das Verletzliche. Und nun bekannte ich, was du auch sein mögest, du seiest unverletzlich, denn welcher Geist vermöchte etwas Besseres zu denken, als dich, das höchste Gut? Weil aber wahrhaftig und gewis das Unverletzliche dem Verletzlichen vorgezogen wird, wie ich schon vorausgesetzt, so konnte ich mit meinem Forschen so viel erreichen, daß ich wußte, es müßte etwas Besseres als Gott geben, wenn du Gott verletzlich wärest. Sobald ich nur einfach, daß das Unverletzliche dem Verletzlichen vorzuziehen sei, mußte ich dich suchen und von da aus forschen, wo das Böse sei, nämlich jene Verderbniß, durch die dein Wesen nie verletzt werden kann; denn nimmermehr verletzt es unsern Gott, durch keinen Willen, keine Nöthigung, kein Ungefähr; er selbst ist Gott, und was er will, ist gut, er selber ist das Gute; verderbt werden aber, heißt nicht das Gute sein. Noch wirst du wider deinen Willen zu etwas je genöthigt, denn nicht ist dein Willen größer als deine Macht; er wäre größer nur, wenn du selbst größer wärest, als du bist; denn Gottes Wille und Gottes Macht sind Gott selbst. Und was käme dir, der Alles kennt, denn unvermuthet? Ist jegliche Natur ja dadurch nur, daß du sie kennst. Was sollen wir darüber viel sagen, warum unwandelbar das Wesen sei, das Gott ist! Wäre es nicht also, so wäre Gott nicht.

V.

Ich suchte, woher das Böse sei und suchte böse, und in meiner Untersuchung selbst sah ich das Böse nicht. Vor meinen Geist stellte ich die ganze Schöpfung, und was nur in ihr zu sehen ist, die Erde, das Meer und die Luft, die Gestirne, die Bäume und die sterblichen, lebenden Geschöpfe; eben so was nicht an ihr zu sehen ist, den Himmel droben, mit seinen Engeln allen und geistigen Kräften. Doch auch dieß ordnete meine Phantasie in Räume zusammen, als ob es aus Körpern bestünde, wie diese Erde. Nun machte ich mir deine Schöpfung zu einer großen Körpermasse, die sich theilte, in die Gattungen der Körperwesen, mochten sie nun wahre Körper sein, oder mochte ich mir die Geister als Körper vorstellen. Groß machte ich diese Masse mir, nicht wie sie wirklich war, was ich nicht wissen konnte, sondern nach meiner Willkühr, und begränzt von allen Zeiten, dich aber, Herr, bildete ich mir ein, als den sie überall Umfaßenden und Durchdringenden, aber allenthalben Unbegränzten. Gesetzt, allenthalben durch die unermeßlichen Räume wäre nur allein das Meer, und das enthielte in sich einen Schwamm von möglicher, doch begränzter Größe, so wäre dieser Schwamm ganz und in allen seinen Theilen voll von diesem gränzenlosen Meere. Auf diese Weise stellte ich mir die Schöpfung in ihrem Erfülltsein von dir, dem Gränzenlosen, vor und behauptete: »Siehe, so ist Gott, und so ist, was Gott schuf, und gut ist Gott, viel beßer als Jenes, doch hat der Gute Gutes erschaffen, und siehe, wie er’s umfaßt und erfüllt! Wo wohnt das Böse nun, und woher, und auf welchem Wege hat es sich hier eingeschlichen? Was ist seine Wurzel und sein Saamen? Ist es denn etwa nicht in Wirklichkeit? Für was dann fürchteten wir, und hüteten uns vor dem, was nicht ist? Oder aber, wenn wir ganz ohne Noth es fürchten, ist denn die Furcht selbst das Böse, von der das Herz somit vergeblich gemartert wird? Und um so schwerer ist das Böse, je weniger wirklich da ist, was wir zu fürchten haben, während wir uns doch wirklich fürchten; denn alsdann ist die Furcht unergründlich und ein Theil unseres Wesens. So besteht nun das Böse entweder in dem, das wir fürchten, oder in der Furcht selbst. Woher ist es doch, da Gott alles schuf, der Gute Gutes? Das größere, das höchste Gut schuf kleineres Gute, doch sind der Schöpfer und seine Erschaffenen gut zusammt. Woher das Böse? War es ein böser Stoff, aus dem er seine Kreaturen schuf, hat er dieselben gebildet und geordnet, und blieb etwas zurück in diesem Stoff, das er nicht wandeln konnte in’s Gute? Fehlte die Macht ihm, den ganzen Stoff zu wandeln, bis nichts Böses mehr darin blieb, da er doch Alles kann? Ja warum wollte er aus solcher Masse etwas machen, warum hat er sie mit seiner Allmacht nicht gänzlich vernichtet? Oder konnte sie gegen seinen Willen da sein? Wenn sie ewig war, warum doch ließ er sie so lange vor der gränzenlosen Dehnung der Zeiten sein, und wollte erst so lang hernach etwas aus ihr machen? Und wenn er nun plötzlich etwas mit ihr vornehmen wollte, warum hat der Allmächtige sie nicht vernichtet, damit er selbst allein das ganze, wahre, höchste, unbeschränkte Gute wäre? Und wenn nichts gut vorhanden war, aus dem er, der gut war, Gutes bilden und schaffen konnte, warum hat er nicht, die böse Masse aufhebend, eine gute bereitet, aus der er Alles schaffen mochte? Nicht der Allmachtvolle wäre er ja, wenn er nichts Gutes schaffen könnte, er würde dann von einer Masse unterstützt, die er nicht selber schuf.« Derlei bewegte ich im jämmerlichen Herzen, beschwert von nagendem Kummer und von der Furcht, mich möchte der Tod treffen, ehe ich die Wahrheit fände. Doch schon fest hielt sich in meinem Herzen der Mutterkirche Glauben an deinen Besalbten, unsern Herrn und Erlöser, in Vielem freilich noch gestaltlos. Aber auch über die Richtschnur des wahren Glaubens springend, ließ ihn doch meine Seele nicht, und täglich sog sie mehr von ihm ein.

VI.

Schon hatte ich auch die trüglichen Verkündigungen und Albernheiten der Sterndeuter verworfen. Auch das, mein Gott, dankt mein Herz nur deinen Erbarmungen. Denn du, nur du, wer Anders ruft uns weg von aller tödlichen Verirrung, als das Leben, das nicht zu sterben weiß, als die Wahrheit, die den bedürftigen Verstand erhellt und keines Lichts bedarf, die ihre Welt erhellt, bis zu der Bäume fliegenden Blättern? Du nahmst dich meiner Verkehrtheit, ihr zum Lichte helfend, an, mit der ich dem Vindician widerstund, dem weisen Greise und dem Nebridius, dem Jüngling mit der wunderbaren Seele; von welchen Jener mit eifriger Wahrheitskraft behauptete, dieser mit etwas Zweifel noch, doch beredt sprach: es sei das nicht die Kunst, Künftiges vorher zu sagen. Die Berechnungen der Menschen hätten oft die Macht des Zufalls für sich, und wenn man so viel spreche, so werde zufällig auch Manches gesagt, das künftig komme, ohne daß es diejenigen wüßten, die es sagen, während sie durch nicht Schweigen auf dasselbe gestoßen seien.

Da sorgtest du mir für einen männlichen Freund, der kein läßiger Frager der Sterndeuter war, doch ihre Schriften nicht gründlich verstund, sondern sie nur aus Vorwitz fragte und Einiges daraus wußte, das er von seinem Vater gehört haben wollte. Er wußte nicht, wie viel er beitrug, mir meine Meinung von dieser Kunst zu nehmen. Dieser Mann, mit Namen Firminus, in der Beredtsamkeit wohlbewandert, fragte mich mit Freundesvertrauen über Einiges, auf das er seine zeitlichen Hoffnungen baute, und wollte dabei wißen, was ich von der Constellation halte, unter der er geboren sei. Ich aber, der ich mich schon der Ansicht des Nebridius zu fügen begonnen, versagte ihm zwar nicht, mich auf das Verlangte einzulaßen, wendete ihm jedoch ein, ich sei beinahe von der Lächerlichkeit und Thorheit dieser Künste überzeugt. Da erzählte er mir: sein Vater sei auf derlei Bücher sehr erpicht gewesen und habe einen Freund von gleicher Neigung beseßen. Beide hätten sich mit wahrem Feuereifer auf diese Thorheiten gelegt, so daß sie selbst die Stunden beobachteten, in welchen ihre Hausthiere Junge gebaren, und die dabei erscheinenden Stellungen der Gestirne sich bemerkten, um Versuche für ihre Kunst zu sammeln. Als nun seine Mutter mit ihm, dem Firminus, guter Hoffnung war, befand sich eben eine Sclavin des väterlichen Freundes in gleichen Umständen, und konnte das ihrem Herrn um so weniger verbergen, als er es selbst an seinen Hausthieren mit größtem Fleiße beobachtete. Nun zählte Jener für die Gattin, dieser für die Sclavin Tage, Stunden und Minuten ganz genau. Die Weiber beide gebaren zugleich, und die Constellation wurde auf die Minute hin übereinstimmend und ganz gleich gefunden für den Sohn und für den kleinen Sclaven. Durch wechselseitige Boten konnten sie einander in ihrem kleinen Reiche die Nachricht von der Geburt auf’s Genaueste mittheilen; und es kam, daß beide Boten, jeder in gleicher Entfernung von dem Hause, das ihn entsandte, zusammentrafen, so daß keiner der Herrn einen andern Augenblick und eine andere Stellung der Gestirne sich bemerken konnte. Aber Firminus, in vornehmen Umständen geboren, ging den glänzenden Weg der Welt, überkam Reichthümer und wurde zu Ehren erhoben; der Andere dagegen wurde nie von seinem Sclavenjoche los und mußte seinem Herrn dienen. Da ich das hörte und glaubte, denn glaubwürdig war der Erzähler, sanken vollends alle meine Einwendungen gegen die Freunde. Und nun war ich der Erste, der den Firminus von seinem Vorwitze zurückzubringen suchte, indem ich ihm betheuerte, wenn ich nach der Einsicht seiner Constellation die Wahrheit sprechen wollte, so müßte ich durchaus aus ihr ersehen haben, daß seine Eltern vornehmen Standes, eine angesehene Familie in ihrer Stadt seien, daß er frei geboren sei, von feinerer Erziehung und höherem Unterrichte. Wenn mich aber jener Sclave über seine Constellation gefragt hätte, die ja bei ihm ganz dieselbe sei, so müßte ich in ihr der Wahrheit nach seine geringe Familie, seinen Sclavenstand und alles Uebrige, dem Vorigen so ganz Unähnliche, gesehen haben. Wie sollte es nur gekommen sein, daß ich dasselbe sah und doch sich Entgegengesetztes aussprach, oder Falsches aussagte, wenn ich beiden Gleiches zusprach? Daraus schloß ich mit Bestimmtheit, was durch jene Constellationen Wahres verkündet werde, sei nicht Sache der Kunst, sondern des Zufalls, ihr falsch Verkündigtes beruhe nicht auf Mangel an Kunstfertigkeit, sondern sei so zufällig falsch, als Jenes zufällig wahr gewesen. So war mir der rechte Weg aufgethan, und ich spann mir, zur Widerlegung jener Betrüger, die mit dieser heillosen Kunst Gewinn suchten, die Sache noch weiter aus, und wendete meine Betrachtung auf Diejenigen, welche als Zwillinge geboren werden, von welchen die meisten einander so schnell in’s Leben folgen, daß die Zwischenzeit nicht beachtet und in jenen Schriften aufgezeichnet werden kann, von denen der Sterndeuter zu seiner Vorherverkündigung Einsicht nehmen muß. Wollte er aber aus der gleichlautenden Schrift Gleichlautendes verkündigen, so verkündigte er falsch, denn da müßte er von Esau und Jakob ganz dasselbe sagen, was ihnen doch wahrlich nicht begegnet ist. Falsch also wäre sein Ausspruch, oder wenn er hie und da auch Wahres sagte, so dankte er das nicht seiner Kunst, sondern hätte es nur zufällig errathen. Aber du gerechter Herr, des Weltalls Lenker, handelst an den Fragenden, die selbst keinen Rath wißen, durch nur dir offenbare Lenkung also, daß jeder Frager das hört, was ihm, gemäß dem dir offenbaren Verdienst der Seelen, nach der Tiefe deines gerechten Urtheils zu hören ziemt, von dem der Mensch nicht sagen soll? Was ist das? Wie so das? Nicht sage er so, der kurzsichtige Mensch.

VII.

Aus diesen Banden hattest du mich losgemacht, aber noch fand ich kein Ziel meiner Forschungen nach der Ursache des Bösen. Doch hieltest du treu mich im Glauben an dich, dein unveränderlich Wesen, an dein Gericht über die Menschen und an Christus, deinen Sohn, unsern Herrn, so wie an deine heiligen Schriften, welche deine katholische Kirche den Seelen vertraut, daß sie den Weg zu seinem Leben, das da folgen wird diesem Tode. Das war gerettet und unerschütterlich in meiner Seele, und mit Sehnsucht fragte ich, woher das Böse sei. Welche Qualen meines kreisenden Herzens, o mein Gott, welche Seufzer! Und nahe war mir da dein Ohr, doch wußte ich nicht davon. Aber da ich also schweigend suchte, war der stille Gram meiner Seele eine laute Stimme vor deinem Erbarmen: nur du, der Menschen keiner, wußtest, was ich litt. Denn was war es, daß ich davon mit Worten meinen Trautesten vertraute? Brauste vor ihnen der ganze Aufruhr meiner Seele, für den weder die Zeit zureichte, noch mein Mund? Nur vor dein Ohr kam Alles, von meines Herzens stillem Seufzen bis zu seinem lauten Schreien, vor dir war all’ mein brennendes Sehnen! Doch meiner Augen Licht war nicht mit mir, denn es war in mir, ich aber war draußen. Nicht war es da an irgend einem Ort; ich lenkte meine Gedanken auf das, was der Raum einschließt, und fand dort die Stätte nicht, auf der ich ruhen konnte; nicht nahm es mich auf, daß ich zu sagen vermocht hätte: es ist genug und hier ist’s gut; nicht ließ es mich an einem Ort zurück, wo mir genugsam wohl gewesen wäre, denn ich war mehr als das, und weniger als du. Aber du bist meine wahre Freude, seit ich dir unterthan bin, und hast mir unterthan gemacht, was du geringer schufft als mich. Das war das rechte Maß und die sichere Gegend meines Heils, daß ich nach deinem Bilde blieb und in deinem Dienst den Leib beherrschte. Aber als ich mich übermüthig wider dich erhob und wider den Herrn anlief mit halsstarrigem Trotz, da wurde jenes Niedrige über mich gesetzt und presste mich, und nirgends war Linderung und Erholung. Haufenweise liefen jene Trugbilder von Körperwesen auf den Schauenden zu und stemmten sich dem in seine Gedanken Zurückkehrenden entgegen, als sagten sie: wohin du Unwürdiger, du Befleckter? Das wuchs heraus aus meiner Seelenwunde, weil du den Stolzen niederwirfst, gleich einem Verwundeten. Dann trennte mich meines Gemüthes Aufgedunsenheit von dir, und meines Geistes Licht wurde verschloßen, wie es die Augen werden, wenn das Angesicht allzusehr aufschwillt.

VIII.

Du aber, Herr, bleibst in Ewigkeit und zürnst uns nicht in Ewigkeit. Weil du erbarmt dich hast des Staubes und der Asche, so wolltest du, erbarmend mir nahend, meine Misgestalt wieder umbilden, und mit dem innern Stachel mich treiben, daß ich nimmer ruhen konnte, bis du mir gewis wurdest durch inneres Schauen. Da wich meine Aufgedunsenheit deiner verborgenen, heilenden Hand und die verletzte und verdunkelte Sehkraft meines Geistes wurde mit dem scharfen Augenbalsam der Schmerzen von Tag zu Tag mehr geheilt.

IX.

Vor Allem wolltest du mir zeigen, wie du den Stolzen widerstehest, den Demüthigen aber Gnade gebest, und wie groß sich dein Erbarmen den Menschen auf dem Pfade der Demuth erwiesen habe, da dein Wort Fleisch wurde und unter den Menschen wohnte. Du schafftest mir durch einen gewissen, von unbändigem Stolze aufgeblasenen Menschen einige aus der griechischen Sprache in die lateinische übersetzte Bücher der Platoniker, und darin las ich, daß sie zwar nicht mit diesen Worten, aber dem Sinn nach mit den vielfachsten Redewendungen dein Wort aufführten (Joh. 1): »Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort. Dasselbige war im Anfang bei Gott, alle Dinge sind durch dasselbige gemacht und ohne dasselbige ist nichts gemacht, das gemacht ist, in ihm war das Leben und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheinet in die Finsterniß, aber die Finsternisse habens nicht ergriffen.« Aber das las ich nicht in ihnen, daß die Menschenseele, obgleich sie Zeugnis vom Lichte ablegt, doch nicht selbst das Licht, daß nur Gottes Wort, Gott selbst, das Licht ist, das alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen; daß er in sein Eigenthum kam und die Seinen ihn nicht aufnahmen, und daß er denen, die ihn aufnahmen, Macht gab, Kinder Gottes zu heißen, die an seinen Namen glauben. – Auch las ich dort nicht, daß sich das ewige Wort zur Knechtsgestalt erniedrigte und gehorsam war bis zum Tode am Kreuz; daß er für uns Gottlose starb, und du deines eingeborenen Sohnes nicht verschontest, sondern ihn für uns Alle dahingabst. Denn das hast du den Weisen verborgen und hast es den Unmündigen geoffenbart, auf daß die Mühseligen und Beladenen zu ihm kämen und er sie erquicke, weil er sanft ist und von Herzen demüthig, und leitet die Sanftmüthigen mit Gerechtigkeit und lehrt die Gelaßenen seine Wege, indem er ansieht unsere Niedrigkeit und Mühsal, und vergibt uns alle unsere Sünden. Die sich aber, mit einer für höher sich ausgebenden Weisheit, groß machen, die hören ihn nicht, wenn er spricht: lernet von mir, denn ich bin sanftmüthig und von Herzen demüthig, so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Und wenn sie auch Gott erkennen, so ehren sie ihn nicht als Gott, und danken ihm nicht, sondern werden eitel in ihren Gedanken und ihr unverständiges Herz wird verfinstert, und indem sie sich für weise halten, werden sie Thoren. Daher sah ich auch in diesen platonischen Schriften, wie im übrigen Heidenthum, die Herrlichkeit deines unvergänglichen Wesens verwandelt in Bilder der Menschen, der Vögel, der vierfüßigen und der kriechenden Thiere (Röm. 1, 22). Mir kam dies Verlieren des Christlichen an heidnische Weisheit vor, wie Esau’s Linsengericht, um das er seine Erstgeburt verkaufte, oder wie dein erstgeboren Volk, das einst an deiner Statt eines Thieres Haupt angebetet, da es sein Herz nach Aegypten wandte, und dein Bild, seine Seele, beugte vor dem Bilde eines Gras kauenden Kalbes. Das fand ich dort, doch kaute ich nicht davon, denn du wolltest des Jüngern Entbehrung und Niedrigkeit von Jakob nehmen, daß der Größere dem Kleineren diene, und die Heiden riefest du in dein Erbe. Auch ich war von den Heiden zu dir gekommen und streckte die Hand nach dem Golde aus, das du von Aegypten dein Volk mitnehmen ließest, weil es dein Gold war, wo es auch war. Und zu den Athenern sprachst du durch deinen Apostel: »in ihm leben, weben und sind wir, wie auch Einige von den Euren sagen.« (Apostelgesch. 17, 28.) Von dieser Art waren jene Bücher, sie hatten sich aus dem lauteren Golde der evangelischen Wahrheit, mit ihren selbstsüchtigen Zuthaten, ein ägyptisches Götzenbild gemacht, das sie anbeteten und hatten so die Herrlichkeit in Lüge verwandelt.

X.

Dadurch gemahnt, zurückzukehren zu mir selbst, gieng ich unter deiner Führung ein in mein Innerstes, und ich vermochte es, denn du warest mein Helfer. Ein gieng ich mit dem Auge meiner Seele, wie schwach es auch war. Und siehe, ich schaute erhoben über meines Geistes Auge, erhoben über meinen Geist, das wandellose Licht; nicht dieß gemeine, jedem Fleische sichtbare, nicht auch, als ob es dieser Art, nur größer wäre, und weit, weit heller noch erglänzend über Alles schiene. Nicht war es dieß, es war hoch, hoch verschieden von dem Allen. Auch war es nicht so über meinem Geist, wie das Oel ist über dem Wasser, noch wie der Himmel ist über der Erde; es war erhabener, weil es mich selber schuf, und tiefer ich, weil ich geschaffen bin von ihm. Wer die Wahrheit kennt, der kennt es, und wer sie kennt, der kennt die Ewigkeit. Die Liebe kennt es. Die ewige Wahrheit und wahre Liebe und liebe Ewigkeit! Du bist mein Gott, und Tag und Nacht seufze ich zu dir! Sobald ich dich kannte, nahmst du mich auf, damit ich sähe, es sei da in Wahrheit, was ich sehe, und doch noch sei ich der nicht, der da sehe. Du schlugest weg die Schwäche meiner Sehkraft, da du strahltest über mir in deiner Kraft. Und beben mußte ich in Lieb und Schreck, und finden mußte ich, ich sei fern von dir in weiten Abstand meiner Unähnlichkeit mit dir; da war mir, als hörte ich aus der Höhe deine Stimme: »Ich bin die Speise der zur Mannheit Erstarkten; wachse, und genießen wirst du mein. Nicht wirst du mich in dich wandeln, gleich der Speise deines Fleisches, du wirst gewandelt werden in mich.« – Und ich erkannte, wie du den Menschen züchtigst um der Sünde willen, und wie du, gleich einem zerstörten Spinngewebe, meine Seele verschrumpfen ließest. Da rief ich: ist denn die Wahrheit nichts, da sie weder im endlichen, noch im unendlichen Raume verbreitet ist? Und du riefst aus der Ferne: »Ja sie ist, denn ich bin, der ich bin!« Da hörte ich, wie man hört im Herzen, und nimmer war, woran ich zweifeln sollte. Eher hatte ich daran gezweifelt, daß ich lebe, als daß nicht Wahrheit sei, die ich erkannte, an dem, das erschaffen ist.

XI.

Nun wendete ich mich zur Betrachtung dessen, das unter dir ist und bemerkte, daß es weder durchaus ist, noch durchaus nicht ist. Es ist zwar, weil es von dir ist, aber es ist nicht, weil es das nicht ist, was du bist. Denn nur das ist wahrhaft, was ohne Wandel bleibt. Mir aber ist mein Anhangen an Gott mein Gut, weil ich nicht in mir kann bleiben, wenn ich nicht in ihm bleibe. Er aber bleibt in sich und erneuert Alles. Und Herr, mein Gott bist du, der meines Gutes nicht bedarf.

XII.

Ich erkenne die verderbbaren Güter, welche weder, wenn sie die höchsten Güter wären, noch wenn sie keine Güter wären, verderbt werden können, weil sie als die höchsten unverderbbar wären, und wenn keine, sie nichts hätten, das an ihnen zu verderben wäre; denn die Verderbnis kann nur dem schaden, was gut ist. Also entweder schadet die Verderbnis nicht, was doch unmöglich ist, oder, was ganz wahr ist, alles was verderbt wird, wird eines Gutes beraubt. Wenn es aber alles Guten beraubt wird, so kann es gar nicht mehr da sein. Wenn es aber sein wird, und schon nicht mehr verderbt werden kann, so wird es etwas Besseres geworden sein, weil es unverderbbar bleiben wird. Und was wäre wahnsinniger, als die Behauptung: Besser sei geworden, was all sein Gutes verloren habe? Was alles Guten beraubt wurde, ist gar nichts mehr. So lange etwas ist, ist es gut, also ist Alles gut, was da ist. Und so kann das Böse, nach dessen Ursprung ich forschte, kein Wesen an sich sein, denn wenn es das wäre, so wäre es gut, weil ohne Gutes gar nichts ist. Entweder wäre es ein unverderbbares Wesen, also ein hohes Gut, oder es wäre ein verderbbares, das dann nicht verderbt werden könnte, wenn es nicht gut wäre. Und weil du, Gott, Alles Gute machtest, so ist kein Wesen, das du nicht gemacht hast. Aber weil du nicht Alles gleich gemacht, und alles Einzelne gut ist, so ist Alles zusammen sehr gut, denn unser Gott machte Alles sehr gut.

XIII.

An dir ist kein Böses; nicht an dir nur, auch nicht an deiner Schöpfung, wie du sie schufest, und lenkest; denn nichts ist außer ihr, das in sie einbräche und die Ordnung zerstörte, die du ihr gabest. Um Einzelnen aber hält man das für böse, was ihm nicht angemessen ist und ebendasselbe ist einem Andern angemessen und darum ist es in sich selber gut. Und alle diejenigen Dinge, welche mit einander nicht übereinstimmen, sind einem Niedrigeren angemessen, das wir die Erde nennen. So stehet der Erde selbst ihr wolkichter und stürmischer Himmel an. Fern sei der Wunsch von mir, daß dies Niedrige lieber gar nicht sein möchte, denn wenn ich es allein schaute, so würde ich Höheres suchen und doch dich schon über Jenem zu loben haben (Psalm 148): »weil dich in deiner Preiswürdigkeit offenbaren des Meeres Ungeheuer und alle seine Tiefen; des Feuers Flammen, Hagel und der Schnee; das Eis, des Sturmes Geister, deines Wortes Boten; die Berge und die Hügel alle, die fruchtbaren Bäume und die Cedern alle; die Thiere all zusammen; was kriecht und was befiedert fliegt. – Der Erde Könige und alle Völker; die Fürsten und die Richter all auf Erden; die Jünglinge und Jungfrauen; die Alten mit den Jungen loben deinen Namen.« – Und da sie dich auch vom Himmel zu loben haben, so sollen unsern Gott dich loben alle deine Engel in der Höhe; alle deine Kräfte, Sonne und Mond; die Sterne alle in ihrem Licht; der Himmel und die Wasser, die droben sind am Himmel, sie sollen loben deinen Namen. – Was gibt Besseres mir, der ich aller Dinge gedachte, und das Höhere zwar für besser als das Niedere hielt, aber mit noch besserem Urtheil erwog, daß das Weltall zusammengedacht noch besser und herrlicher sei, als seine einzelnen herrlichsten Theile für sich es sind.

XIV.

Der Vernunft entbehren, denen etwas in deiner Schöpfung misfällt, wie auch ich keine hatte, so lange mir so Vieles, das du schufest, nicht gefallen wollte. Und weil sich meine Seele nicht so weit wagte, daß du, mein Gott, ihr misfällig geworden wärest, so wollte ich das, was ihr misfiel, nicht für das Deine halten. So kam ich auf die Meinung von zwei Grundwesen, auf ein gutes und auf ein böses, fand keine Ruhe und sprach Widersprechendes. Davon zurückkommend machte sie sich einen Gott, der allenthalben durch die unendlichen Räume verbreitet sein sollte, den hielt sie für dich und stellte ihn im Herzen auf, sich selbst zum Tempel deines falschen Bildes machend, der abscheulich war vor deinen Augen. Doch darauf nahmst du, ohne daß ich es wußte, mein Haupt in deinen Schooß, schloßest meine Augen, damit sie nicht sähen, was eitel ist, ich nickte ein und meine Thorheit entschlief: da wachte ich auf in dir und sah dich unendlich anders, doch dieß Schauen kam nicht von meinem Fleische.

XV.

Ich betrachtete die andern Wesen, und fand, daß sie dir ihr Dasein schulden und in dich ausgehen, aber auf andere nicht räumliche Weise, sondern indem du Alles hältst mit der Hand deiner allmächtigen Vorsehung, der du allein enthältst das wahrhaftige Leben, das wandellos in sich und aus sich selbst und das Leben aller Leben ist. Alles ist so weit wahr, als es ist, und nichts ist Falschheit, als das, was nicht ist, während man glaubt, es sei; und nicht ist, was nicht ist aus dir. Und ich sah, daß Alles seinem Ort und seiner Zeit gemäß ist, da du, der allein Ewige, nicht erst nach unzählbaren Zeiträumen zu wirken angefangen, weil du von Ewigkeit an vor allen Zeiten wirkst und weil alle Zeitenreihen, die vergiengen und vergehen werden, weder giengen noch kämen, wenn du nicht wirktest und bliebest.

XVI.

Ich weiß es aus Erfahrung, daß man sich nicht verwundern darf, wenn dem kranken Gaumen das Brot zur Pein wird, das dem gesunden lieblich mundet, und daß dem kranken Auge das Licht zuwider ist, welches die hellen Augen lieben. Und eben so mißfällt deine Gerechtigkeit den Ungerechten. Aber nicht nur die Natter und der Wurm, welche du schufest, sind für die niedersten Reihen deiner Schöpfung passend, auch die Ungerechten passen für diese, je unähnlicher sie dir sind, sie werden aber für die höheren Reihen passen, je ähnlicher sie dir werden. Ich fragte, was die Ungerechtigkeit wäre, und fand sie nicht als ein wirkliches Wesen, nur als eine, von Gott dem höchsten Wesen zum Niedrigsten gewendete Verkehrtheit des Willens, der sein innerstes Heiligthum hinausstößt und sich fern von ihm in Stolz aufbläht.

XVII.

Ich wunderte mich, daß ich dich schon liebte und nicht ein Trugbild an deiner Statt. Aber nicht bestand ich fest darin, meines Gottes zu werden; ich wurde zu dir hingerißen von deiner Schöne und bald von dir hinweggezogen durch meine Last, so daß ich in’s Alte wieder mit Seufzen sank; und diese Last war meine fleischliche Gewohnheit. Doch noch war mit mir das Andenken an dich; nicht mehr zweifelte ich, daß der in Wahrheit sei, dem ich anhängen möchte, aber ich war der noch nicht, der anzuhöngen vermochte, weil der Leib, der verderbliche, das Gemüth beschwert, und was uns von der Erde anklebt, den vielsinnenden Geist niederdrückt. Und gewis war ich, daß dein unsichtbares Wesen, deine ewige Kraft und Gottheit, von der Schöpfung der Welt an durch das, was geschaffen ist, ersehen und erkannt werde. Denn als ich fragte, woher ich die Schönheit der Erd- und Himmelskörper zu fassen vermöge, und was sich mir vergegenwärtige, wenn ich richtig über die veränderlichen Dinge urtheile, und sprach: Das muß so sein und Jenes nicht so! da fand ich eine unveränderliche und wahre Ewigkeit der Wahrheit über meinem veränderlichen Geist. Nun stieg ich stufenweise vom Körperlichen zu der das Körperliche empfindenden Seele, von da zu ihrem tiefern Vorstellungsvermögen, durch das ihr die leiblichen Sinne, wie einem innern Sinn, die Außenwelt verkünden. So weit reichen auch die Vermögen der Thiere. Jetzt aber stieg ich zu dem Vermögen der Schlüße, vor deren Urtheil gebracht wird, was man mit den leiblichen Sinnen vernahm. Dieses erkannte sich selbst in mir als ein veränderliches und erhob sich damit zur Erkenntniß seiner selbst; entzog seine Gedanken der bisher gewöhnten Denkweise, entschlug sich der verworrenen, ihr widersprechenden Trugbilder, damit es das finde, das ihm Licht zuwerfe, da es ja selbst, von allen Zweifeln frei, behauptete, das Wandellose sei dem Wandellose sei dem Wandelbaren vorzuziehen. So suchte es das Wandellose selbst zu erkennen, das es nie mit Sicherheit dem Wandelbaren vorzuziehen vermochte, so lange es das Wandellose nicht irgendwo an sich selbst erkannte. Da gelangte es, plötzlich im heiligen Schauer schauend, zu dem, das ist. Nun sah und erkannte ich dein unsichtbares Wesen in deiner Schöpfung; aber ich vermochte meine geschärfte Erkenntnis nicht daran festzuhalten, mit meiner wieder über mich kommenden geistigen Schwäche wurde ich ins Altgewöhnte zurückgestürzt, und behielt nichts mehr in mir, als die liebende Erinnerung, die nach der Speise Duft begehrte, die selbst zu kosten ich noch nicht fähig war.

XVIII.

Jetzt suchte ich mir die Mittel zur beharrlichen Stärke, die da fähig wäre, dein zu genießen, und fand sie nicht, bis ich umfaßte den Mittler Gottes und der Menschen, den Menschen Christus Jesus, welcher ist über Alles, der in Ewigkeit hochgelobte Gott, der uns zuruft: ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; welcher jene Speise, für die ich zu schwach war, mit dem Fleisch vereinte; denn das Wort ward Fleisch, daß es unsere Kindheit stille mit der Milch deiner Weisheit, durch die du Alles geschaffen hast. So lange mir selbst die Demuth fehlte, hatte ich Jesum, meinen Herrn, in seiner Demuth nicht erhalten, hatte nicht erkannt, welche Dinge seine Niedrigkeit lehre. Denn dein Wort ist die ewige Wahrheit, das ist erhoben auch über die höheren Glieder deiner Schöpfung, und erhebt sie zu sich, indem es sie sich unterwirft. Aber unter den Niedrigen deiner Schöpfung hat es sich aus der Erde, von der wir gemacht sind, ein demuthvolles Haus erbaut, durch das es Alle, die es sich unterwerfen wollte, aus ihnen selbst heraustrieb und zu sich überführte, vom Stolz sie heilend, ihre Liebe nährend, damit sie nicht im eitlen Selbstvertrauen noch weiter verirrten, sondern ihr Trotz breche, wenn sie zu ihren Füßen sähen (Joh. 13, 5.) die Gottheit, ihnen dienend, da sie Theil nahm an unserer Schwachheit und sich theilhaftig machte unseres Pilgerkleides, und wir in unserer Ermattung uns vor Dem niederwürfen, der uns emporhebt in Kraft.

XIX.

Ich aber meinte anders und hielt nur so viel von meinem Herrn, als ich von einem Manne, voll unvergleichbarer Weisheit, gehalten hätte. Durch Gottes Fürsorge uns gegeben, schien er und seine Lehre mir ein solches Ansehen zu verdienen, mit seiner wunderbaren Geburt durch eine Jungfrau und mit seiner Verachtung des Zeitlichen aus Liebe zum Unsterblichen; nicht ahnen konnte ich das Gnadenzeichen des fleischgewordenen Wortes. Nur so viel erkannte ich aus den Schriften, die von ihm erzählen, weil er aß und trank, schlief, wandelte, sich freute, betrübt war und redete, so könne das Fleisch sich nur mit deinem Wort verbunden haben, wenn sich auch eine menschliche Seele und ein menschlicher Geist mit ihm verband, denn das erkennt Jeder, der die Umwandelbarkeit deines Wortes erkennt, die ich nun erkannte, soweit ich vermochte, ohne noch daran zu zweifeln. Und da ist Menschenseele und Menschengeist, wo sich nach dem Willen des Leibes Glieder bald bewegen, bald nicht bewegen, wo man bald von etwas gereizt wird, bald nicht, bald der Weisheit Gedanken ausspricht, bald stille schweigt. Wahrhaftig, denn redete die Schrift in diesen Aussagen nicht Wahres über ihn, so wäre Alles in Gefahr, nur Lüge zu sein, und bliebe der Schrift kein Glaubenstrost mehr für die Menschheit. Aber was von ihm geschrieben steht, ist Wahrheit. So erkannte ich ihn als einen wirklichen, völligen Menschen, doch hielt ich ihn nicht für die persönlich gewordene, wahrhaftige Gottheit, ich zog ihn nur den andern Menschen vor, weil ich ihm eine ausgezeichnete Menschennatur und höhere Weisheit zuschrieb. – Alypius war der Meinung, der Gott im Fleische werde von den Kirchlichen so geglaubt, daß neben Gott und dem Fleische in Christus keine menschliche Seele und kein menschlicher Geist sei; und weil er überzeugt war, das was von Christus uns erzählt ist, sei nur einem wirklichen, mit Seele und Vernunft begabten Menschen möglich, so hielt ihn dieß vom eifrigern Ergreifen des Christenthums ab. Später erkannte er in seiner Ansicht die Irrlehre der Apollinaristen und freute nun fügsam sich des ächten Glaubens; und später noch erkannte ich in meiner Meinung die Irrlehre des Photinus, von welcher die katholische Wahrheit verfälscht wird. Denn die Misbilligung der Häretiker stellt ans Licht, was deine Kirche denkt und an gesunder Lehre hat. Rotten müßen ja sein, auf daß die Bewährten unter den Schwachgläubigen offenbar werden.

XX.

Jene platonischen Bücher lehrten mich nun wohl deine unkörperliche Wahrheit und dein unsichtbares Wesen an den Werken der Schöpfung erkennen, ich fand, was mich meiner Seele Verfinsterung früher nicht hatte erkennen laßen, und ich wußte gewiß, du seiest, seiest unendlich gränzenlos, und werdest doch nicht in des Weltalls Räume ausgegoßen, so daß du nur durch sie zerstreut, und nicht in dir selbst wärest; gewiß war ich, du seiest in dir ewig unveränderlich und alles Andere sei aus dir, aus keinem andern Grunde, als weil es sei. Des war ich wohl gewis, doch weit zu schwach, um dein auch zu genießen und mich dein zu freuen. Wie ein Erfahrener that ich mich auf in meinen Reden, aber nicht erfahren, sondern in des Untergangs Gefahren war ich, so lange ich deinen Weg nicht in Christus, unserm Heiland, suchte. Schon hielt ich mich für weise, und war noch gestraft mit Thorheit, und, statt zu weinen unter des Strafenden Hand, erhob ich mich in meiner Weisheit, die vor dir Thorheit war. Wo war jene Liebe, die auf Christus Jesus, den Grund der Demuth, baut? Wie hätten jene Bücher vermocht, mich diese zu lehren? Doch glaube ich du wolltest mich, ehe ich deine heilige Schrift betrachtete, auf jene Bücher kommen laßen, damit ich nie vergeße, wie sie mich mehr zur stolzen Thorheit, als zur liebenden Demuth anregten, und damit ich, gezähmt von deiner Schrift, von deiner pflegenden Hand geheilt, erkennen lernte, welch ein Unterschied sei zwischen philosophischer Anmaßung und dem glaubigen Bekenntnis, zwischen denen, die da sehen, wohin zu sehen ist, und denen, die da sehen, auf welche Weise zu gehen ist, und den Weg erblicken zum seligmachenden Vaterland, das sie nicht schauen nur, das sie auch bewohnen sollen. Denn wäre ich zuerst von deinem Wort unterrichtet worden, hätte, vertraut mit ihm, deine Wonnen geschmeckt, und wäre nachher erst auf jene platonischen Bücher gekommen, so hätten sie mich leicht dem Grund der wahren Gottseligkeit entrißen; oder wenn ich auch festgeblieben wäre am dürstend eingesogenen Heil, so wäre ich wohl auf die Meinung gerathen, es könne auch allein aus jenen Schriften geschöpft werden. So aber fühlte ich, was sie gaben und was du gibst.

XXI.

Mit heißer Begierde griff ich nun zum heiligen Worte deines Geistes, besonders zu dem, das der Apostel Paulus schrieb; und der Irrthum schwand, mit dem ich gewähnt, Paulus widerspreche sich selbst und den Schriften des alten Bundes. Ein einziger Geist nur that sich kund in den reinen Reden; des lernte ich mich freuen mit Zittern. Nun fand ich, das was ich dort bei den Platonikern Wahres gelesen hatte, werde hier bei Paulus durch die Herrlichkeit deiner Gnade ausgesprochen, damit der es erkennt, sich nicht rühme, als hätte er es nicht empfangen. Er hat ja empfangen, nicht nur daß er es erkennt, sondern auch wie er es erkennt. Denn wer hat etwas, das er nicht empfangen hätte? Nicht nur wird er von dir an dich gemahnt, damit er dich sehe, er wird geheilt von dir, damit er dich halte und nimmer laße. Und wer dich auch in seiner Entfernung noch nicht vermag, er gehe nur den Gnadenweg, auf dem er hingelangt, dich zu schauen und zu halten; denn wenn auch sein inneres Vernunftgesetz Gefallen fand an Gottes Gesetz, was will er thun, da er ein anderes Gesetz in seinen Gliedern hat, das gegen das Gesetz seines Geistes ist und ihn gefangen nimmt in der Sünde Gesetz, welches ist in seinen Gliedern? Nur du Herr bist gerecht und wir sind Sünder, wir thaten Unrecht, führten Böses aus, und schwer liegt deine Hand auf uns, und zu Rechte sind wir dem alten Sünder, dem Fürsten, hingegeben, denn er hat unsern Willen überredet, daß er ähnlich ward dem seinen, mit dem er nicht bestanden ist in deiner Wahrheit. Was soll er thun, womit sich helfen, der Mensch des Elends? Wer wird ihn befreien von dem Leibe dieses Todes, als deine Gnade durch Jesus Christus, unsern Herrn, den du dir gleich ewig zeugtest und ließest ihn hervortreten im Anfang deiner schaffenden Liebeswege, an dem der Fürst dieser Welt nichts des Todes Würdiges fand; den er erschlug, wodurch vertilget ward die Handschrift, die wider uns zeugte. – Das enthalten jene Menschenschriften nicht; nicht haben sie die Züge dieser Gottseligkeit, nicht die Thränen des Bekenntnisses, nicht sein Opfer, nicht den zerknirschten Geist, nicht das zerschlagene und gedemüthigte Herz, des Volkes Heil, die Braut, die Gottesstadt, des heiligen Geistes Unterpfand, nicht den Kelch unserer Erlösung. Dort singet Keiner: »Meine Seele ist Stille zu Gott, der mir hilft. Denn er ist mein Hort, meine Hilfe, mein Schutz, daß mich kein Fall stürzen wird, wie groß er ist!« Keiner hört dort die Stimme des Rufenden: »Kommt her zu mir, alle die ihr mühselig und beladen seid!« – Und sie verschmähen, von ihm zu lernen, weil er sanftmütig ist und von Herzen demüthig. Denn das hast du den Weisen und Klugen verborgen, und hast es den Unmündigen geoffenbart. Wohl viel ein Anderes ist es, von des wilden Waldgebirges Gipfel das Friedensland zu schauen und doch den Pfad zu ihm nicht zu finden, dahin zu streben auf vergeblichen Umwegen, wo sie ringsum lauern und nachstellen, die Flüchtlinge und Ueberläufer, mit dem Löwen und Drachen, ihrem Anführer – und ein Anderes ist’s, zu halten den sicher dahin führenden Weg, der da geschirmt ist durch die Fürsorge des himmlischen Königs, wo die nicht rauben, welche verlaßen haben die himmlische Kämpferschaar, denn sie meiden ihn wie eine Marter. – Dieß Alles drang mir wundertief in’s Herz, da ich den geringsten deiner Apostel las, da ich betrachtete dein Werke und zitterte.

Achtes Buch

Ich durfte sie in ihrer Schöne sehn

Die himmlische Enthaltsamkeit der Frommen!

In Thränen ist der Seele Sturm verschwommen,

Und jetzt, ach jetzt ist wahr vor dir mein Flehn.

Du lässest deiner Gnade Ruf ergehn,

Von Engellippen ist er mir gekommen,

Sie sangen fröhlich, ich sei aufgenommen

Und hießen mich in neuem Muth erstehn.

Ich nahm dich auf, der nie mehr ist gegangen,

Du hieltest aus in meiner schwachen Brust,

Und läßest deine Stärke mich erlangen.

Ich kost’ in dir die reine Himmelslust,

In deinem Worte darf ich dich empfangen,

Und bin nur deiner Liebe mir bewußt.

I.

Mein Gott, dein will ich denken in preisendem Dank, und bekennen, wie du mein dich erbarmtest! Durchströmt sollen meine Gebeine werden von deiner Liebe, und sagen: Herr, wer ist wie du? Du hast gesprengt meine Bande, und dir sei geopfert das Opfer meines Lobes. Erzählen will ich, wie du sie sprengtest, dann werden sagen Alle, die dich anbeten, so sie’s hören: »Gepriesen sei der Herr im Himmel und auf Erden! Groß und wunderbar ist sein Name!« – Es hafteten in meinem Herzen deine Worte, und rings umschirmt war ich von dir. Gewis war ich deines ewigen Lebens, obwohl ich’s erschaute nur wie in einem Räthsel und wie durch einen Spiegel; genommen von mir war jeder Zweifel in dein unwandelbares Wesen, aus dem jedes Wesen hervorgeht. Nicht verlangte ich, deiner gewisser zu sein, aber standhafter zu sein in dir. In meinem irdischen Leben wankte noch Alles, vom alten Sauerteige mußte mein Herz gereinigt werden. Der Heiland, der selbst der Weg ist, gefiel mir, aber noch war der Gang auf seiner engen Bahn mir widerlich. Da legtest du es mir in’s Herz, und dünkte es mir gut vor meinen Augen, zu gehen zu Simplician, den ich kannte als deinen treuen Knecht, an dem offenbar war deine Gnade. Auch hatte ich über ihn vernommen, daß er von Jugend an nur dir sein Leben geweiht. Er war ein Greis geworden, und ich dachte, der hat im langen Leben voll treuen Eifers für deines Weges Nachfolge wohl viel erfahren und gelernt. Und wahrlich, so war er. Damit, das war mein Wunsch, sollte er mir zeigen, wie ein sturmvoll bedrängtes Herz, gleich dem meinen, deinen Weg zu wandeln vermöchte; denn auf verschiedene Weise gieng ihm die Menge der Kinder deiner Kirche. Mein menschliches Treiben war mir misfällig und zur schweren Last geworden, und nicht mehr entflammte mich die gewohnte Lust, um in Hoffnung auf Gold und Ehren diese schwere Sklavenbürde noch zu tragen. Sie hatte ihren Reiz verloren vor deiner Süßigkeit und vor deiner Herrlichkeit deines Hauses, das ich lieben gelernt. Nur an das Weib, das mir verlobte, war ich noch festgebunden; nicht verbot mir ja dein Apostel die Ehe, obgleich er zu Beßerem rieth und so sehr wollte, daß alle Menschen wären, wie er war. Aber zu schwach, wählte ich die weichlichere Lage, und wegen dieses Einen wurde ich träger für das Uebrige und ermattete in verzehrenden Sorgen, weil mich das eheliche Leben, an dem ich haften blieb, an Dinge wieder band, die ich nicht mehr ertragen wollte. Vernommen hatte ich aus der Wahrheit Munde auch: es gäbe jungfräuliche Seelen, welche für das Himmelreich ihre Jungfrauschaft bewahrten; aber nur wer es faßen könne, möge es faßen. (Matth. 19, 12) Es sind zwar alle Menschen natürlich eitel, die von Gott nichts wißen und an den sichtbaren Gütern den nicht erkennen, der ist. Aber ich war nicht mehr in solcher Eitelkeit, überschritten hatte ich sie, und unter dem Zeugnis deiner ganzen Schöpfung hatte ich dich gefunden, unsern Schöpfer, hatte gefunden dein Wort, das Gott ist in dir und Gott ist mit dir, und durch das schuftest du Alles, was ist. Aber es gibt noch eine andere Art von Gottlosen, welche Gott erkennen und ihn nicht ehren als Gott, und ihm nicht danken, und zu diesen hatte ich mich verirrt; aber deine Rechte faßte mich und zog mich hin an den Ort, da ich genesen konnte und dein Wort vernahm: »Die Gottesfurcht ist die Weisheit. Hiob. 28, 28. Dünke dich nicht weise zu sein. Sprüchw. 3. 7. Da sie sich für weise hielten, sind sie zu Narren geworden. Röm. 1, 22.« – Da hatte ich die köstliche Perle gefunden, sie war zu erkaufen um alle meine Habe, und ich stand an und zweifelte.

II.

So trat ich zu Simplician, dem väterlichen Berather des Bischofs Ambrosius, der ihn wie einen Vater liebte. Ich erzählte ihm die Umwege, auf die mich meine Irrtümer getrieben hatten; als ich aber erwähnte, ich habe einige Bücher der Platoniker gelesen, von dem ehemaligen römischen Redner Victorinus, der als Christ starb, in die lateinische Sprache übersetzt, wünschte er mir Glück, daß ich nicht in andere philosophische Schriften voll weltlichen Truges und Täuschung gerathen, während in diesen allenthalben auf Gott und auf sein ewiges Wort gedeutet werde. Hierauf, um mich zur demüthigen Nachfolge Christi zu bewegen, die den Weisen verborgen und den Unmündigen geoffenbart ist, kam er auf Victorinus selbst zu reden, mit dem er zu Rom in vertrauter Freundschaft gelebt hatte, und erzählte mir von ihm, was ich nicht verschweigen will; denn hoch zu preisen ist über diesem Mann deine Gnade. Ein hochgelehrter Greis, erfahren in allen Wißenschaften war er, hatte so viele philosophische Schriften gelesen und beleuchtet, war der Lehrer vieler angesehener Senatoren, so daß dem trefflichen Meister die in den Augen der Welt so hohe Ehre widerfuhr, daß man ihm ein Standblid auf Roms Forum errichtete. Aber bis ins Greisenalter war er ein Verehrer der Götzenbilder, und ihrem gottlosen Dienst mit ergeben, von dem beinahe der ganze römische Adel angesteckt war, durch welchen das Volk die Ungeheuer aller Arten von Göttern überkam samt dem hundsköpfigen Anrubis, welche von Aegypten stammend die altrömischen Götter Neptun, Venus und Minerva ausstachen. Aegypten war von Rom besiegt und nun betete er dessen Götter an. Und Victorinus, der Greis, hatte sie so viele Jahre mit Verderben tönendem Munde vertheidigt. Und dieser Mann schämte sich nicht, einer der Unmündigen Christi, ein Säugling seines Gnadenquells zu werden, beugte den Nacken unter der Demuth Joch, und zähmte den Stolz unter der Schmach des Kreuzes! – O Herr, Herr, der du neigtest die Himmel und fuhrest herab, der du die Berge berührtest, daß sie rauchten: wie bahntest du den Eingang dir in dieses Herz? Er las, wie mir Simplician sagte, die heilige Schrift, durchforschte eifrigst alle Bücher der Christen, und dann sprach er heimlich, im Vertrauen, zu Simplician: »wiße, jetzt bin ich ein Christ!« – Jener gab ihm zur Antwort: »ich glaube es nicht und zähle dich nicht zu den Christen Zahl, es sei denn, daß ich dich in der Kirche Christi sehe.« – Victorin erwiderte lächelnd: »so machen denn die Wände den Christen aus?« – Diese Worte wiederholten sich oft bei ihnen, denn er scheute sich, seine vornehmen, den Dämonen dienenden Freunde zu beleidigen, und fürchtete ihre Feindschaft, von der er glaubte, sie würde sich in ihrem babylonischen Uebermuth auf ihn stürzen, denn sie stunden stolz, wie Libanons vom Herrn noch nicht gebrochene Cedern. Nachdem er aber durch weiteres Lesen und Forschen Stärke erlangt hatte, fürchtete er, einst von Christus vor allen seinen heiligen Engeln verläugnet zu werden, wenn er sich scheute, ihn vor den Menschen zu bekennen, fürchtete, sich schwer zu verschulden, wenn er sich des Dienstes an deinem ewigen Worte schämte, während er sich doch nicht geschämt, götzendienerisch dem Stolze der bösen Geister, als ihres Stolzes Nachahmer, sich zu ergeben, Erröthend über seine Eitelkeit und schamroth vor deiner Wahrheit, sprach er plötzlich unvermuthet zu Simplician: »laß uns zur Kirche gehen, ich will ein Christ werden!« – Und jener ging mit ihm, kaum sich vor Freude faßend. Er gesellte sich zu denen, welche den ersten Unterricht empfiengen, und bald war er unter der Zahle derer, welche durch die Taufe wiedergeboren zu werden verlangten; Rom staunte und die Kirche freute sich. Die Stolzen knirschten mit den Zähnen in ohnmächtiger Wuth, aber du, Herr, bliebtest seine Hoffnung und nimmer kehrte er sich an den alten, unsinnigen Trug. Und als die Stunde kam, in der er seinen Glauben bekennen sollte – von erhabener Stätte, im Angesicht des glaubigen Volkes, geschieht dieß in Rom nach einer auswendig gelernten Formel von denen, die deiner Gnade nahen wollen – so wurde von den Geistlichen ihm der Antrag gemacht, sein Bekenntniß heimlich anzuhören, wie man das oft Solchen zugestand, von welchen man fürchtete, sie möchten sich unsicheraus Schüchternheit benehmen; er aber zog es vor, sich zu seinem Heil öffentlich vor der Gemeinde der Heiligen zu bekennen. Denn das Heil war es nicht, das er sonst als Lehrer der Beredsamkeit lehrte, und doch hat er das öffentlich gethan; wie sollte er, zu deinem Worte sich bekennend, deine sanfte Heerde scheuen, der einst bei seinen Vorträgern die Horde der Unsinnigen nicht gescheut! Als er daher die erhöhte Stätte bestieg, um sein Bekenntniß abzulegen, riefen sich Alle, die ihn kannten, glückwünschend und mit lautem Jubel seinen Namen zu; und wer war da, der ihn nicht gekannt hätte? Und Victorinus, Victorinus! schallte es einstimmig aus der Freudigen Munde. Plötzlich wie sie ihn sahen, brach ihr Jubel aus, und plötzlich schwiegen sie, um ihn zu hören. Mit hoher Zuversicht legte er das Bekenntnis des wahrhaftigen Glaubens ab. Da zogen ihn alle ins freudig jauchzende Herz hinein, und ihre Liebe und ihre Freude waren ihre umschlingenden Arme.

III.

O mein gütiger Gott, wie kommt es, daß sich der Mensch mehr des Glücks seiner Seele freut, wenn sie nimmer darauf hoffte und von großer Gefahr befreit wurde, als wenn sie immer ohne je in große Gefahr gekommen zu sein, gehofft hatte? Auch du ja, erbarmender Vater, freust dich mehr über den Sünder, der zurückkehrt, als über neun und neunzig Gerechte die der Buße nicht bedürfen. Und wir hören mit Wonne vom verirrten Lamm, das der treue Hirte im Jubel seiner Freunde auf seinen Schultern zurückbrachte, und wie unter der Mitfreude der Nachbarn das Weib den wiederfundenen Groschen zu ihrem Schatze legte. Thränen entlockt uns die festliche Freude deines Hauses, da wir in deinem Hause von jenem jüngeren Sohne lesen: er war todt und ist wieder lebendig geworden. Er war verloren und wurde wieder gefunden. Ja, du freuest dich in uns und in deinen Engeln, die da geheiligt sind durch heilige Liebe. Du bist immer derselbe, und kennst das, was weder immer ist, noch stets dasselbe ist, doch immer nur auf gleich Weise. Warum nun freut sich die Seele mehr des Geliebten, das sie wieder findet, als dessen, das sie stets besaß? Daß dem so ist, zeigen alle menschlichen Dinge. Es triumphirt der siegbeglückte Feldherr und hätte ohne Kampf nicht gesiegt; je größer seine Schlachtgefahr, desto größer ist seine Siegesfreude. Den Seefahrer peitschen die Stürme, der Schiffbruch droht; erblaßt erwarten alle ihr ende, aber ruhig werden Luft und Meer, und ohne Maaß, wie ihre Furcht war, ist ihre Freude. Ein Freund ist erkrankt, sein fieberischer Puls ist der Anzeiger schweren Uebels, und die Herzen Aller, die ihn gesund wünschen, erkranken mit ihm; ihm wird beßer, noch wandelt er nicht mit der vorigen Kraft, und jetzt ist die Freude größer, als sie es war, da er rüstig und gesund einst wandelte. Selbst ihre Vergnügungen erwerben sich die Menschen nicht durch Beschwerden, die unvermuthet und wider ihren Willen hereinbrechen, sondern durch gesuchte. Eßen und Trinken ergötzen nicht, es gehe ihnen denn die Beschwernis des Hungers und Durstes voran. Der Trunkliebende nimmt ein scharfes Reizmittel zu sich, damit ihm die Abkühlung des brennenden Schlundes im Trunk zur Lust gereiche. Die verlobte Braut gibt sich nicht alsbald dem Manne hin, damit er sie nicht gering achte, wenn er nicht zuvor nach der Zögernden seufzte. Das finden wir in der sündlichen, wie in der erlaubten Lust, ja in der reinsten Liebe, finden es in Dem, der gestorben war und wieder lebendig ward, verloren war und sich wieder fand. Allenthalben bahnt ein größere Schmerz die größere Wonne an. Wie kommt das, mein Gott, da du dir selbst die ewige Freude bist und da es Geister gibt in deiner seligen Nähe, die von nichts wißen, als von der Freude an dir? Warum wechselt bei Andern Schaden und Gewinn, sich Verlieren und Wiederfinden? Ist das die Bedingung ihres Lebens, o du, der du all deinem Guten und allen deinen heiligen Werken ihre Stätte anwiesest und ihre Zeit, von der Himmel Höhe bis zu der Erde Tiefen, vom Anfang bis zum Ende der Zeiten, vom Engel bis zum Wurm, von der ersten bis zur letzten Regung des Lebens? O wie hoch bist du in der Höhe und wie tief in den Tiefen, nirgends wendest du dich hinweg, und kaum kehren wir zurück zu dir!

IV.

Wohlan Herr, vollführe es! Rühre uns und rufe uns zurück, erhebe dich und reiße uns mit dir, entflamme uns und werd’ uns wonnereich, daß wir dich lieben und zu dir eilen! Aber so Viele kehren aus einer tiefern Höhe der Verblendung zu dir zurück, als Victorinus, erheben sich in deines Lichts Empfang, das sie zu deinen Kindern macht; doch wenn sie weniger berühmt im Volke sind, so freuen sich ihrer Rückkehr selbst ihre Bekannten weniger. Ist aber die Freude vielfach, so wird sie auch reichlicher in den Einzelnen, weil einander Alle wechselweise mit ihr durchbringen. Sind daher die Rückkehrenden Vielen bekannt, so wirkt ihr Beispiel in Vielen das Heil, und gehen sie zu ihm Vielen voran; darum freuen sich ihrer so reichlich auch Diejenigen, die selbst schon vorangiengen, denn sie haben sich nicht über sie allein zu freuen. Aber mit Nichten nimmst du die Reichen vor den Armen und die Vornehmen vor den Niedringen auf in dein Heiligthum, sondern was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, daß er zu Schanden mache, was stark ist. Und das Unedle vor der Welt und das Verachtete hast du erwählet, und das da nichts ist, daß du zu Nichte machest, was etwas ist (1. Cor. 1, 28). Und doch wollte selbst der geringste Apostel, durch den du diese Worte sprachest, statt Saulus Paulus heißen, des herrlichen Sieges wegen an Paulus, dem Proconsul, dessen Stolz er durch seinen heiligen Dienst überwand, da er ihn beugte unter das sanfte Joch deines Gesalbten, und ihn zum Stadthalter eines höheren Königs machte. Denn mehr wird der Feind in dem besiegt, den er fester in Banden hielt und durch den er Viele gefangen hatte; und fester hält er die Stolzen durch ihren hohen Rang unter den Menschen, durch den so Viele an ihn gefeßelt werden. Mit je größerem Danke deiner Kinder eines Victorinus Herz schauten, das der Satan gleich einem undurchbrechlichen Vollwerke beseßen, mit je größerem Danke sie die Sprache eines Victorinus jetzt vernahmen, die Satans scharfer Pfeil gegen Viele gewesen: desto voller mußt der Jubel ausbrechen, weil unser König den Starken band, weil sie das ihm entrißene Gefäß gereinigt sahen und geschickt gemacht für deine Ehre, nützlich seinem Herrn zu jedem guten Werke.

V.

Als mir Simplician, dein Heiliger, dieß von Victorius erzählte, entbrannte ich im Eifer, ihm nachzuahmen, und darum hatte er es mir auch erzählt. Dazu berichtete er mir, als zu des Kaisers Julian Zeiten ein Gesetz gegeben wurde, welches den Christen den Unterricht in Wißenschaften und Beredsamkeit verbot, habe Victorinus lieber die geschwätzige Schule verlaßen, als dein Wort, mit dem du der Unmündigen Zungen beredt machst. Da fand ich ihn nicht minder glücklich als stark, weil er nun Gelegenheit hatte, ganz dir zu leben. Und nach dem auch seufzte ich, nicht mit eisernen Ketten, nur mit meinem eisernen Willen gebunden; ach diesen hatte der Feind befangen und mir daraus dir umwindende Kette geschmiedet. Denn aus verkehrtem Willen entsteht böse Begierde und wird dieser gefröhnt, so wird sie zur Gewohnheit, die, wenn man ihr nicht widersteht, sich in Nöthigung verschlimmert. Dieß waren die Ringe der Ketten, die mich in harter Knechtschaft hielt. Der neue Wille aber, mit dem ich begann, dich dankbar zu ehren, mit dem ich verlangte, dein zu genießen, o Gott, der du allein wahre Wonne bist, der war noch nicht stark genug, um den alten durch Gewohnheit erstarkten, Willen zu überwinden. Zwei Willen bestritten sich in mir, ein neuer und ein alter, jener geistig, dieser fleischlich, und verwirrten in Zwietracht meine Seele; und so mußte ich an mir erfahren, wie das Fleisch wider den Geist und den Geist wider das Fleisch gelüstet. Von beiden wurde ich gehalten, dort mehr von dem, das ich billigte, als hier von dem, das ich misbilligte; auch war ich hier es nicht selbst mehr, da ich des Fleisches Gelüsten mehr wider Willen litt, als mit willen übte. Aber durch mich ward die Gewohnheit so mächtig in mir, und hatte mich in meinem Willen zu dem gerißen, was ich nicht wollte. Wer wollte sich daher beschweren, wenn dieß als seiner Sünden gerechte Strafe folgt? Nicht mit deiner Wahrheit unsicherer Erkenntnis konnte ich mich entschuldigen, daß ich fortfuhr, statt dir, der Welt zu dienen; denn heil und sicher war deine Wahrheit mir geworden. Gebunden an die Welt zögerte ich, in deine Dienst zu treten, und fürchtete so mich von allen Hindernissen loszureißen, wie diese Hindernisse selbst zu fürchten sind. So lag der Welt Last sanft, wie auf einem Schlafenden, auf mir, und die Gedanken, womit ich dein gedachte, waren gleich dem Streben derer, die gern aufstehn möchten, und von des Schlummers Macht gehalten wieder zurückfinden. Obwohl der Mensch oft verschiebt, den Schlaf abzuschütteln, indem große Schläfrigkeit auf seinen Glieder liegt, die zu der Zeit des Aufstehens selbst wider Willen ihr festbannt: so ist doch Keiner, der immer schlafen möchte, denn nach gesundem Urteil ist Wachen beßer; und ebenso war ich gewiß, beßer wäre es, mich deiner Liebe zu ergeben, als meinen Lüsten nachzugehen. Aber jenes gefiel und behiehlt Recht, dieß wirkte Lust und feßelte. Keine Antwort hatte ich auf deinem Ruf: wache auf, der du schläfst, vom Tod erstehe, so wird dich Christus erleuchten. – Du zeigtest überall, daß wahr du redest, und besiegt von der Wahrheit, hatte ich nichts zu antworten, als träge, schläfrige Worte: »sogleich, ja sogleich, wart’ ein wenig!« Aber das Sogleich und Sogleich hatte kein Ende, und das: wart’ ein wenig! zog sich in die Länge. Vergebens hatte ich Lust an deinem Gesetze nach de inwendigen Menschen, da ein ander Gesetz in meinen Gliedern wider das Gesetz meines Geistes war, und mich gefangen führte unter das Gesetz der Sünde in meinen Gliedern. Denn das Gesetz der Sünde besteht in der bösen Macht der Gewohnheit, die den Geist auch wider seinen Willen lenkt und beherrscht, zum Lohn, daß er sich freiwillig in sie warf. Wer sollte mich Elenden retten aus dem Leibe dieses Todes, als deine Gnade durch Jesus Christus, unsern Herrn?

IV.

Loben will ich deinen Namen, Herr, du mein Helfer und Erretter, und erzählen, wie du mich befreitest von der beherrschenden Sinnenglut und dem weltlichen Treiben. Ich that, was ich zu thun mir angewöhnt, aber mein Bangen wuchs und täglich seufzte ich zu dir, deine Kirche besuchte ich, so oft es die Arbeit erlaubte, unter deren Last ich ächzte. Alypius wohnte bei mir und hatte Muße nach den Arbeiten des Rechtsgelehrten, nachdem er darin das Amt eines Besitzers bei den Gerichten begleitet hatte. Er wartete auf diejenigen, an die er seinen Rechtsbeistand verkaufen konnte, wie ich meine Beredsamkeit als Lehrer zu Kaufe bot. Nebridius hatte es uns zu Liebe gethan, daß er einem unserer vertrautesten Freunde als Lehrgehilfe beistund, nämlich dem Verekundus, einem Bürger und Litteraturlehrer in Mailand, welcher eines Beistandes gar sehr bedurfte und ihn aus unserem Kreise verlangte, sich auf sein Freundesrecht dabei berufend. Nicht durch Gewinnsucht ließ sich Nebridius überreden, er hätte für sich allein Größeres zu erreichen vermocht, sondern der sanfte, hingegeben Freund folgte unserem Verlangen aus liebendem Pflichtgefühl. Und sehr weislich that er, den Weltruhm vermeidend und die damit verbundene Unruhe, denn frei und unabhängig wollte er der Herr seiner Zeit bleiben, um in dem was weise macht, sich durch Forschen, Lesen und Zuhören zu unterrichten. Einst, als ich mit Alypius zusammen war, besuchte uns Pontitian, unser Landsmann aus Afrika, der einen ansehnlichen Dienst am Hoflager bekleidete. Als wir mit ihm im Gespräche saßen, bemerkte er zufällig auf dem Tische vor uns ein Buch, öffnete es und fand, ihm unvermuthet, die Schriften des Apostels Paulus; denn er glaubte eines der Bücher über die Beredsamkeit, die mein Gewerbe war, zu finden. Lächelnd sah er mich an, verwundernd wünschte er mir Glück, weil er nun dieß, weil er kein anderes als dieß Büchlein bei mir gefunden, von dem ich ihm sagte, daß ich mich jetzt ausschließlich damit beschäftigte. Denn er war ein aufrichtiger Christ, de sich oft vor dir, o Gott, in deiner Kirche niederwarf und dich anhaltend anrief. Im Gespräch kam er auf den Antonius, den ägyptischen Mönch, dessen Gedächtnis bei deinen Verehrern in hoher Ehre steht, von dem wir aber bis dahin nichts gewußt hatten. Mit Staunen vernahmen wir, wie nahe an unsern Tagen, im ächten Glauben deiner Kirche, sich so unzweifelhaft Wunderbares ereignet habe; und ebenso staunte der Erzähler, daß wir von all dem nichts wußten. Seine Rede verbreitete sich nun weiter über die Menge der Klöster, über die gottgefälligen Sitten derselben, über das Prangen ihrer Einöden in Geistesfrüchten, von welch Allem wir nichts kannten. Selbst vor Mailands Mauern war unter des Ambrosius Pflege ein solches Kloster frommer Brüder, und wir wußten nichts davon. Pontitian, nun schon einmal am Klosterleben, erzählte weiter: er habe sich einst mit dem Kaiser im Amphitheater in Trier befunden, um der nachmittägigen Spiele willen. Das habe er mit drei Freunden verlassen, um in den der Stadt nahen Gärten zu lustwandeln, wo sie sich zu zwei Paaren auf ihrem Spaziergang getrennt hätten. Die beiden Andern seien bei ihrem Umherschweifen auf eine Hütte gestoßen, die von geistlich armen Gottesdienern, derer das Himmelreich ist, bewohnt wurde; und dort haben sie eine Schrift gefunden, welche das Leben des Antonius enthalten. Als einer von ihnen in ihr las, staunte er tief bewegt, und kam unter dem Lesen auf den Gedanken, ein solches Leben zu ergreifen und den Dienst der Welt mit deinem Dienste zu vertauschen; beide waren nämlich kaiserliche Provinzialbeamte. Plötzlich erfüllt von heiliger Liebe, und in geistlicher Schaam sich selbst zürnend, warf er die Blicke auf den Freund und sprach zu ihm: »Sag du mir, wohin gelangen wir mit allen unsern Anstrengungen? Was suchen wir? Weshalb dienen wir? Ist das unsere größte Hoffnung, daß wir in näheres Verhältnis mit dem Kaiser kommen? Aber auch dann, ist da nicht Alles hinfälliger noch und gefahrvoller? Durch die vielen Gefahren streben wir nach noch größeren Gefahren? Und wann erreichen wir das Ziel? Will ich aber Gottes Freund sein, siehe, sogleich kann ich es werden!« – So sprach er und in den Geburtswehen seines neuen Lebens heftete er die Augen auf das Buch und las weiter, bis er verwandelt war im Innersten, in das du siehst, und sein Herz von der Welt befreite, wie sich bald ergab. Denn während er liest und es im Herzen ihm wogt und stürmt, immer nach Beßerem ringend, und schon dein, spricht er zum Freunde: »Ich habe mich losgerißen von all unserm Hoffen, meinem Gott will ich dienen, und beginnen will ich’s an diesem Ort, in dieser Stunde. Willst du mir nicht nachahmen, so sei mir nicht entgegen.« Aber jener antwortete ihm, er wolle mit ihm Ein Herz und Eine Seele werden, in solchem Dienst, um solchen Preis. So schnell wurden sie dein, und erbauten sich die Hütte, ihren sicheren Thurm vor der Welt, alles verlaßend und dir nachfolgend. Pontitian und seine Begleiter fanden sie an diesem Ort nach langem Suchen, und ermahnten sie, zurückzukehren, weil der Tag sich geneigt habe. Aber jene erzählten ihnen ihren Entschluß und die Ursache seiner Entstehung und Befestigung, und baten, sie nicht zu beschweren, wenn sie sich nicht ausschließen wollten. Diese blieben, obwohl sie selbst darüber beweinend, in ihrem alten Stande, wünschten ihnen Heil und empfahlen sich ihrem Gebete; und ihr Herz zur Erde lenkend, kehrten sie in den Palast zurück; jene aber blieben in der Hütte, das Herz zum Himmel richtend. Beide hatten Bräute, die sich nun auch dir verlobten.

VII.

Das erzählte Pontitian. Du aber, Herr, drängtest mich bei diesen Worten zu mir selbst zurück, erhobest mich, der ich mich niedergelegt hatte und nicht erheben wollte, und stelltest mich vor mich selbst, daß ich sähe, wie schändlich ich wäre, wie verwildert und verunreinigt, wie befleckt, ach, und verwundert! Ich sah und schauderte und fand den Ort nicht, wohin ich fliehen könnte vor mir selbst. Und wenn ich von mir selbst den Anblick wenden wollte, da erzählte Jener und erzählte, und du stelltest mich mir selbst wieder gegenüber, und triebest mich selbst vor meinen Anblick, damit ich meine Ungerechtigkeit erkennte und haßte. Wohl kannte ich sie zuvor, aber ich entschuldigte mich, wendete mich weg von ihr und vergaß sie. Jetzt aber, je glühender ich die heiligen Regungen liebte, mit welchen sich jene deine Knechte ganz in dein Heil hingaben, um so flammender haßte ich mich, wenn ich mit ihnen mich verglich. Denn schon waren zwölf Jahre dahin, seit ich im ein und zwanzigsten Jahre meines Lebens den Hortensius des Cicero gelesen hatte und durch ihn zum Erlernen der Weisheit angeregt wurde, und noch verzog ich, mit Verachtung des Erdenglücks, mich ihr ganz zu weihen, die ich nicht nur suchen, die ich in ihrem Werth schätzen und lieben lernen sollte, selbst wenn ich alle Schätze und Reiche dieser Welt gefunden hätte und auf meine Wink mir alle sinnlichen Lüste dienten. Aber schon als Jüngling war ich elend genug, um beim Erwachen der unreinen Jugendlüste dich um die Gabe der Keuschheit und Zucht erst für eine spätere Zeit zu bitten; denn ich fürchtete, bald erhört und geheilt zu werden von der verzehrenden Sinnenglut, die ich lieber ganz erschöpfen, als erlöschen wollte. So wandelte ich auf der Sünde und des Aberglaubens Wege, ohne auf ihm Ueberzeugung zu finden, aber ihn den andren Wegen vorziehend, die ich nicht redlich suchte, sondern feindselig bekämpfte. Und ich miente mich von Tag zu Tag abzuquälen in Verachtung weltlicher Hoffnung und dir allein zu folgen, weil ich nach nichts Gewissem meinen Lauf richten konnte, bis der Tag kam, an dem ich mich sah in meiner Blöße, in dem mein Gewißen mich anrief: »Wie willst du dich entschuldigen? Wohl sagtest du so oft, weil dir die Wahrheit noch nicht gewiß sei, so wolltest du deiner Eitelkeit Bürde nicht ablegen; aber siehe, nun ist sie dir gewis und noch drückt dich die Bürde, während Solche auf die freie Schulter Flügel empfangen, die nicht, wie du, sich zehen Jahre und mehr nur in thatenloses Grübeln versenken.« – So wurde von Pontitians Erzählung mein Innerstes zerrißen und von tiefster Schaam erdrückt. Wie drang in mich, was ich zu mir sprach, als er gegangen war, mit welch strafenden Gründen schlug ich meine Seele, daß sie nachkomme meinem Vorhaben, dir zu folgen? Wie sie widerstund – sie hatte keine Entschuldigung mehr, nur das stumme Zagen blieb ihr übrig, mit dem sie das Entnommenwerden aus der Todesfluth der Gewohnheit fürchtete, wie den Tod.

VIII.

Und in diesem großen Kampfe, den ich tief im Herzen gegen meine Seele aufgenommen, Sturm in den Mienen und im Herzen, breche ich gegen Alypius los und rufe aus: »Wie geschieht uns? Was ist das? Was hast du gehört? Die Ungelehrten erheben sich und reißen das Himmelreich an sich, und wir, mit unserer herzlosen Gelehrsamkeit, siehe wie wir uns wälzen in Fleisch und Blut! Schämen wir uns, weil sie es uns zuvorgethan, und schämen uns nicht, ihnen nicht zu folgen?« So ungefähr waren meine Worte; dann riß ich mich los von ihm in meiner Aufregung, der schweigend und tief ergriffen mich ansah; denn nicht sprach ich, wie ich gewöhnt war; mehr als meine Worte sprachen die glühende Stirne, Wangen und Augen und das Beben meiner Stimme die Bewegung meiner Seele aus. – Es war ein Gärtchen an unserer Miethwohnung, das uns, sowie das ganze Haus, zur Verfügung stund, denn des Hauses Wirth und Herr wohnte nicht darin; dorthin trieb mich der Aufruhr meiner Brust, daß Niemand den heißen Streit störe, in dem ich mit mir rang, bis er im Frieden endete in der Stunde, die nur die bekannt war; denn mir zum Heile diente mein kämpfender Zorn, ich starb dem Leben entgegen, nur wißend, wie schlecht ich war, nicht wie gut ich werden sollte über ein Kleines. Ich begab mich in den Garten und Alypius folgte mir auf dem Fuße nach; denn er störte mich nicht in meinem tiefen Leid, und wie konnte er mich in solcher Aufregung verlaßen? Entfernt vom Hause saßen wir; ich ergrimmte im Geist, voll stürmischen Unwillens, daß ich nicht eingegangen in den vereinenden Bund mit dir, mein Gott; und alle meine Gebeine schrieen: da mußt du hin! und erhoben zum Himmel dieses Bundes Preis. Aber nicht geht man in ihn zu Schiffe, oder zu Wagen, oder zu Fuße, nicht einmal so weit, wie aus dem Hause zur Stätte, da wir saßen; denn Hingehen oder Hingelangen ist da nichts Anderes, als hingehen Wollen, aber Wollen mit ganzer Kraft, nicht zu wanken und hin und her sich zu werfen mit zerscheitertem Willen, der bald sich aufrichtet, bald niedersinkt im Kampfe. Wohl begann ich auch viel mit dem Körper in der Gluth meiner Unentschiedenheit, was die Menschen angeblich versuchen, wenn ihnen die dazu nöthigen Glieder fehlen, oder wenn diese in Fesseln geschlagen, durch Mattigkeit abgespannt oder sonst wie verhindert sind, denn der Körper drückt den Jammer der Seele aus. Wenn ich meine Haare ausraufte, meine Stirne schlug und die Knie umschlang mit gefalteten Händen, so that ich’s, weil ich es wollte. So Vieles that ich, wo der Wille selbst kleiner war, als das Vermögen; warum that ich das nicht, was mir so unaussprechlich wohl gefiel, und das vermochte ich doch, sobald ich es wollte, da ja, durch innigen Willen, Wollen und Thun plötzlich eins geworden wären? So folgte mein Körper leichter dem leisesten Wink meiner Seele, als die Seele selbst ihrem hohen Willen folgte, zu dessen Ausführung sie nur des Wollens selbst bedurfte.

IX.

Woher und warum diese Unnatürlichkeit? Laß leuchten dein Erbarmen, denn fragen will ich, ob die verborgenen Strafgerichte der Menschen und die dunklen Bedrängnisse der Söhne Adams mir Antwort geben können. Woher diese Unnatur und warum? Die Seele gebeut dem Körper, und sogleich wird ihr gehorcht; die Seele befiehlt sich selbst und ihr wird widerstanden. Die Seele befiehlt, daß die Hand sich bewegen soll, und so leicht geschieht es, daß Befehl und Folge kaum sich unterscheiden laßen. Die Seele befiehlt, daß die Seele es wollen soll, und keine andere ist’s und thut es doch nicht. Woher diese Unnatur und warum? Die Seele befiehlt, daß sie es wolle, sie würde es nicht befehlen, wenn sie es nicht wollte, und doch geschieht nicht, was sie befiehlt. Aber sie will es nicht mit ganzer Kraft, daher befiehlt sie es nicht mit ihr, denn nur so weit befiehlt sie es, als sie es nicht will. Der Wille befiehlt, weil er es will und kein anderer; befiehlt er nicht mit ganzer Kraft, so hat er nicht, da er zu befehlen hätte; und befähle er mit ganzer Kraft, so brauchte er nicht zu befehlen, daß etwas geschehe, denn schon wäre es geschehen. So ist dies Schwanken zwischen Wollen und nicht Wollen nichts Unnatürliches, sonder eine Krankheit der Seele, weil sie, von der Gewohnheit belastet, sich nicht ganz an der Wahrheit Hand erheben kann. Und zweierlei Willen hat sie, weil der deine Wille nicht ihr ganzer Wille ist, und der eine nur das hat, was dem andern fehlt.

X.

Vergehen müßen vor deinem Angesicht, o Gott, als die da Eitles reden und Herzen verführen, welche, da sie zwei Willen in ihres Herzen Rath vernehmen, zwei geistige Naturen, eine gute und eine böse, und zweierlei Geist behaupten. Derselbe Mensch ist böse, so lange sein Trachten böse ist, und gut, wenn er nach deiner Wahrheit trachtet, wie dein Apostel sagt: »ihr waret einst Finsterniß, und seid nun Licht im Herrn geworden.« (Eph. 5, 8) – Wollen sie Licht werden in sich und nicht in Gott, da sie wähnen, die natürliche Seele sei das, was Gott ist, so werden sie nur dichtere Finsternis, weil sie in gräulichem Stolz nur weiter weg von dir wandten, von dir, dem wahren Licht, das jeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt. Merket auf eure Rede und erröthet über sie, erhebet euch zu ihm, und ihr werdet Licht und euer Antlitz wird nimmer erröthen. – Da ich mit mir zu Rathe gieng, ob ich nun dienen wollte dem Herrn meinem Gott, wie ich so lange schon mir vorgenommen, so war ich es, der da wollte, ich, der da nicht wollte, ich, ich war es. Nicht wollte ich völlig, noch wollte ich völlig nicht; so stritt ich mit mir selbst und wurde von mir selbst verwirrt; und ob ich selbst auch diese Verwirrung nicht wollte, so kann sie doch nicht aus einem fremden Gemüthe, sie war die Strafe des meinen. Und so habe nicht ich sie versucht, sondern die Sünde, die in mir wohnte; vom ersten Sündenfalle her, denen ich war Adams Sohn. Wenn so viele einander entgegengesetzte Naturen sind, als sich Willen widersprechen, so sind nicht nur zwei, sondern mehrere. Wenn einer Anstand nimmt, ob er in den Conventikel der Manichäer oder ins Theater gehen soll, so schreien die Manichäer: da siehst du die zwei Naturen! die eine ist gut und führt dahin, die andere ist böse und führt dorthin; denn woher jenes Zaudern der beiden einander widersprechenden Willensrichtungen? In meinen Augen sind die beide schlecht, sowohl diejenige, welche in den Conventikel, als diejenige, die ins Theater will. Aber das glaube sie nicht, wenn man den Willen nicht gut nennt, der zu ihnen führt. Und wie nun, wenn Einer der Unsern unter dem Streit seiner beiden Willensrichtungen mit sich beräth, ob er ins Theater gehe oder in unsere Kirche, werden nicht auch diejenigen, die ihm rathen sollen, in Ungewißheit schwanken? Entweder werden sie bekennen, was sie nicht wollen, es werde mit vollem Willen in unsere Kirche gegangen, wie es diejenigen thun, welche von ihren Gnadengütern hingerißen sich an sie gebunden fühlen, oder sie werden glauben, in einem und demselben Menschen seien zwei böse Naturen und zwei böse Gemüther mit einander im Streit, und es wird nicht wahr sein, was sie zu behaupten pflegen, daß eine Natur gut, die andere böse sei; oder sie werden sich zur Wahrheit bekehren und anerkennen, wenn Jemand mit sich zu Rathe gehe, so sei es nur eine und dieselbe Seele, welche in verschiedenen Willensrichtungen sich umtreibe. So sollen sie also nicht behaupten, wenn sie zwei einander widersprechende Willen in sich spüren, zwei verschiedene Gemüther, ein gutes und ein böses, streiten miteinander, weil sie aus zwei entgegengesetzten Grundlagen kommen. Denn du, wahrhaftiger Gott, verwirrst die und überweisest sie gleichsam an ihre beiden bösen Willen. Jemand geht mit sich zu Rathe, ob er in Menschen mit Gift oder mit dem Schwerte morden soll; ob er in dieses oder in jenes Landgut einbreche, da er nicht in beide zugleich kann; ob er in verschwenderischen Lüsten lebe oder sein Geld habsüchtig zusammenhäufe; ob er auf die Rennbahn oder in’s Schauspielhaus gehe, wenn beide an Einem Tage offen sind; ob er noch zu diesen Beiden als Drittes einen gelegenen Hausdiebstahl, als Viertes einen Ehebruch begebe, der sich ihm eben darbeut; wünscht er das Alles nicht mit gleicher böser Lust, wenn er auch nicht Eines nach dem Andern üben kann, weil sie alle auf Einen Augenblick zusammenkommen? Sie zerreißen sich das Herz mit dem einander widerstrebenden vier Willensrichtungen oder mit mehreren, da so vielerlei begehrt werden kann, und doch behaupten sie keine so große Zahl von Grundlagen der Seele, sondern nur ihrer zwei. Dasselbe findet statt bei guten Willen: frage ich, was besser sei, sich an Paulus, am Evangelium oder an den Psalmen mit Lesen zu erquicken, so wird man wohl von jedem sagen, es sei gut. Wie nun, wenn sie alle zu gleicher Zeit in gleichem Grad uns erfreuen? Bringen da nicht verschiedene Willensansichten das Herz mit sich selbst in Zwiespalt, wenn wir berathen, was wir zuerst ergreifen sollen? Alle sind gut und streiten doch unter sich, bis das Eine erwählt wird, an das der ganze, eine Wille komme, der zuvor in mehrere Willen getheilt war. – Wenn nun die Ewigkeit das Höhere, die Erdenlust das Niedere in uns reizt, so trifft der Reiz dieselbe Seele, die nur nicht mit ganzem, vollem Willen Dieses oder Jenes will und so zerrißen wird in schwerem Druck, das Höhere vorziehend, dessen Wahrheit sie erkannte und noch das Niedere nicht laßend, mit dem sie so vertraut ist.

XI.

So elend war ich und gequält, mich schärfer verklagend las je, mich drehend und windend an meiner Kette, bis sie ganz von mir falle, die mich nicht ganz mehr, aber doch noch fest hielt. Und du, Herr, warest in meinem verborgenen Herzen, mit strengem Erbarmen, mit der doppelten Geißel der Furcht und Scham, daß ich nicht wieder ablaße im schmerzlichen Ringen und die lockere Kette nicht wieder fester mich umschnüre. Da sprach ich zu meinem Herzen: o siehe, bald, ach bald nun wird’s geschehen! Schon bekannte mein Mund meine Willigkeit, nahe war ich der That und that sie doch nicht, doch stürzte ich nicht zurück in’s Alte, nahe stund ich, tief aufathmend in Verlangen und Müdigkeit. Ich wiederholte den Versuch und schon war ich um ein Weniges entfernter und hielt mich schon weniger fest; ach nimmer war ich da und nimmer hielt ich mich, schwankend zwischen dem ewig tödtenden Sterben und dem ewig belebenden Leben; mehr vermochte in mir das Schlechtere, mir Angewachsene, als das Beßere, mir so Neue. Und der Augenblick, in dem ich ein Anderer werden sollte, je näher ich ihm entgegentrat, desto mehr schreckte er mich; er zog mich, ich konnte nicht nahen noch weichen. Zurück riefen mich die nichtigen Spielereien und die Eitelkeiten der eitlen Welt, meine alten Freundinnen zerrten mich an meinem Fleisch, wie an einem Kleide und lispelten: »Uns willst du von dir laßen? Und von dem Augenblick an werden wir nicht mehr bei dir sein in Ewigkeit, und von dem Augenblick an wird deine Wahl nicht frei sein in alle Ewigkeit!« – Aber, o Gott, was war es, das sie mir vorsetzten zur Wahl! Von deinem Knecht wende dein Erbarmen den Unrath weg und die Schmach, die sie mir vorsetzten. Schon hörte ich sie nimmer zur Hälfte an, schon sprachen sie, meinen Weg betretend, weniger frei zu mir, murrten nur hinter meinem Rücken, und zupften heimlich den Entweichenden, daß er zurücksehe. Aber sie verzögerten meinen Gang zu dem, der mich rief, denn die verderblichen Gewohnheit sprach: glaubst du es zu können ohne sie? Aber auch diese sprach schon läßiger, denn dorther, wohin ich mein Antlitz wandte und doch bebte hinzugehen, von dort her enthüllte sich mir die keusche Herrlichkeit der Zucht; heiter und so friedenvoll froh, so mit liebreizenden Wort mich lachend, daß ich doch komme und nicht mehr zage; nach mir breitend die segnenden Hände und die Arme all ihrer heiligen Frommen, die da umfangen und umschlugen waren, wie ich es werden sollte: Knaben und Mägdlein, der Jugendlichen reiche Zahl, ach! jedes Alter, vielgeprüfte Witwen, Alte im jungfräulichen Reize, der nimmt welkt. Und in Allen, Allen die selige Keuschheit, die gesegnete Mutter der himmlischen Freuden, gezeugt mit dir, o Herr, in deinem Umfaßen. Und sie legte den heiligen Spott in ihr Mahnen, als sagte sie: »Und du vermagst nicht, was diese vermochten? Nicht durch sich haben es diese vermocht, sie vermochten es in ihrem Herrn und Gott. Ja, ihr Gott, ihr Herr hat mich ihnen gegeben. Was suchst du in dir zu beharren, und siehe, du kannst es ja doch nicht! Wirf dich hinein in ihn, fürchte dich nicht, er entzieht sich dir nicht und läßt dich nicht fallen; wirf dich in ihn im Frieden, er wird dich aufnehmen, er wird dich heilen!« – O wie mußte ich erröthen, denn noch hörte ich das Murmeln jener Nichtswürdigkeit, noch hieng ich am Zaudern. Und wieder nahte die Himmlische: »Sei taub gegen des Fleisches und der Erde Reiz und er wird ersterben. Er verheißet dir Freuden, aber die Freuden nicht, die das Gesetz des Herrn, deines Gottes hat.« – So rang und kämpfte mein Herz mit sich; staunend saß Alypius mir zur Seite, und erwartete schweigend, wohin es kommen sollte mit der ungewöhnlichen Bewegung meiner Seele.

XII.

Als sich aber aus geheimnisvollen Tiefe die ernste Betrachtung sammelte und mein Herz mein ganzes Elend schauen ließ, brach es aus in mir, wie ein nie erfahrener Sturm und löste sich auf in einem Strom von Thränen. Ihn ganz zu ergießen, mit allen seinen Lauten, erhob ich mich von des Alypius Seite; denn passender schien mir die Einsamkeit für solche Thränen. Ich entfernte mich so weit, daß mir seine Gegenwart nicht mehr lästig werden konnte. Staunend blieb ich zurück, schon zuvor bemerkend, daß zurückgehaltene Thränen meine Stimme dämpften. Ich warf mich unter einen Feigenbaum nieder, da ließ ich meinen Thränen den Lauf, und ein dir wohlgefällig Opfer ergoßen sich die Quellen meiner Augen. Und Vieles rief ich zu dir, nicht mit diesen Worten, aber dieses Sinnes: »Und du, Herr, wie so lange! Wie lange, Herr, willst du zürnen! Sei nicht eingedenk unserer vorigen Missethat!« – Denn von ihr fühlte ich mich gehalten, und entsandte meine Klagelaute: »Wie lange? Wie lange? Morgen ach und wieder Morgen! Warum nicht jetzt? Warum in dieser Stunde nicht das Ende meiner Schmach?« – So reif ich und weinte bitterlich in der Zerknirschung meines Herzens. Und siehe, da höre ich eine Stimme vom benachbarten Hause her; sie klang wie die Stimme eines singenden Knaben oder Mägdleins, und wiederholte oft die Worte: »Nimm und lies! Nimm und lies!« Ich entfärbte mich und sann nach, ob etwa Kinder in einem ihren Spiele diese Worte zu singen pflegten, aber ich erinnerte mich nicht, dergleichen je gehört zu haben. Da drängte ich zurück meine Thränen, sprang auf, und konnte diese Stimme mir nur erklären als ein Geheiß von Gott, sein Buch zu öffnen, und zu lesen, auf was ich träfe, sogleich beim ersten Aufrollen der Schrift. – Denn ich hatte von Antonius gehört, er sei einst in eine Kirche getreten, als eben das evangelische Wort gelesen wurde: »Gehe hin, verkaufe Alles, was du hast, und gib’s den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach.« (Matth. 19, 21) – Und er habe das Wort angewendet, als wäre es zu ihm gesagt, und habe es, als eine Gottesstimme, sogleich befolgt. – Eilig gehe ich hin, wo Alypius sitzt und wo ich die Briefe des Paulus zurückgelaßen. Ich ergreife das Buch, öffne es, und lese für mich den Abschnitt, der mir zuerst in die Augen fällt: – »Nicht in Gelagen und Trunkenheit, nicht in Kammern und Unzucht, nicht in Hader und Neid; sonder ziehet an den Herrn Jesus Christ und wartet des Leibes nicht zur Stillung fleischlicher Lüste.« (Röm. 13, 13) Nicht las ich weiter, mehr bedurfte ich nicht. Ich hatte gelesen und das Licht des Friedens kam über mein Herz, und alle Zweifelsnächte flohen. Ich bezeichnete die Stelle mit dem Finger, oder irgend einem andern Zeichen, schloß das Buch und erzählte mit ruhiger Miene dem Alypius, was mir geschehen. Er aber zeigte, was in ihm, mir verborgen, vorgieng, zeigte es damit, daß er zu sehen wünschte, was ich gelesen, und als ich’s ihm aufschlug, las er das Folgende: »den Schwachen im Glauben nehmet auf,« (Röm. 14, 1.) es auf sich deutend und mir eröffnend. Diese Worte stärkten ihn; friedenvoll, ohne von Zweifeln bestürmt, zu werden, vereinigte er sich mit mir in gleichem Entschluß, seinen Sitten so gemäß, in welchen er stets viel reiner war, als ich. Nun gieng es zu Mutter; wir erzählen ihr, was geschehen, sie jauchzt und frohlockt, und preist dich, der überschwänglich mehr thun kann, als wir bitten und verstehen. Sie sah ja, wie sie weit mehr von dir für mich erhalten, als sie gebeten hatte im Flehen ihrer Seufzer und Thränen; denn du hattest mich zu dir bekehrt, keiner Ehe Band, keine weltliche Hoffnung suchte ich mehr, fest stand ich auf der Regel des Glaubens, auf welcher du mich vor vielen Jahren ihr im Traumgesichte gezeigt hattest. Du wandeltest ihre Trauer in Freude, thatest es reichlicher, als sie je gehofft, und holdseliger und reiner, als sie es erwartet, da sie durch mich auf Enkel gehofft.

Neuntes Buch

Du hast mir mein Heilige gesandt,

Die treubewährte an des Duldens Proben.

Sie hat für mich ihr flehend Herz erhoben

Bei meiner Sünden hartem Widerstand.

Da du erhörend dich zu ihr gewandt,

Und ich gerettet jauchzte, dich zu loben,

Da war sie reif für deine Liebe droben,

Und nichts mehr, das sie an die Erde band.

Was hast du mit der Einen mir gegeben,

Ach Mutter, Priesterin und Engel mir,

Der liebe Dienst, und Macht und Sieg und Leben!

Zum zweitenmal gebar sie mich, und dir,

Und mußte lang in Mutterwehen schweben,

Doch eine ew’ge Freude ward ich ihr.

I.

O Herr, ich bin dein Knecht und der Sohn deiner Magd! Du hast zerbrochen meine Bande, dafür will ich dir darbringen das Opfer meines Lobes. Es sollen dich loben mein Herz und meine Zunge und sagen sollen alle meine Gebeine: Herr, wer ist wie Du? So sollen sie sagen und du mögest mir antworten, und meiner Seele verkünden: ich bin dein Heil. Wer bin ich und was bin ich? Was war nicht böse an meinen Thaten, und waren es meine Thaten nicht, so waren es meine Worte, und waren es diese nicht, so war es mein Willen. Aber, du Herr, bist gut und erbarmend, deine Rechte langte nach der Todestiefe, in der ich lag, und aus dem Grunde meines Herzens schöpfte sie weg den Pfuhl des Verderbens. Und befreit wurde ich, da ich ganz nicht mehr wollte, was ich gewollt, und nur noch wollte, was du wolltest. Aber wie lange säumte ich, während so hoch und tief mein Willen berufen wurde, den Nacken unter dein sanftes Joch zu beugen, und die Schulter unter deine leichte Last, o Jesus Christus, mein Helfer, mein Versöhner! Und wie geschah mir auf einmal so lieblich, daß ich entbehren konnte der nichtigen Ergötzung, und mit Freuden verlaßen, das ich zu verlaßen mich gefürchtet hatte. Denn du warest es, der aus mir warf, du wahre und höchste Lieblichkeit; du warest es aus und tratest dafür ein, der du süßer bist denn alle Lust, nur nicht dem Fleische und Blute; der du heller bist, denn jedes Licht, aber innerlicher als Alles, das verborgen ist; der du höher bist, als alle Herrlichkeit, doch denen nicht, die sich selber herrlich dünken. Schon war meine Seele frei von den nagenden Sorgen des Beifallhasches und Erwerbens, des Wälzens und Scharrens im Aussatze der zügellosen Lust, und kindlich sprach ich mit dir, meiner Ehre, meinem Reichthum, meinem Heil, meinem Herrn und meinem Gott.

II.

Allmählich, nicht gewaltsam auffallend, wollte ich meinem Lehramte der Beredsamkeit mich entziehen, diesem Markte der Geschwätzigkeit, in welchem in den sich ihrer befleißenden Knaben weder dein Gesetz noch deinen Frieden, in welchem ich ihnen den unsinnigen Trug und der Gerichte Streitfertigkeit, als Waffen für die Sündenwuth, verkaufte. Noch waren es wenige Tage bis zu den Ferien der Weinlese; in ihnen beschloß ich noch auszuharren, und dann förmlich abzutreten und von dir erkauft, nicht käuflich mehr zurückzuweichen. Doch diese Vorhaben war nur dir und den Meinen bekannt, ohne daß wir es weiter verbreiteten, obwohl du uns, die wir in Lobgesängen wandelten durch’s Thränenthal, scharfe Geschoße gabst und versengende Kohlen gegen jede trügliche Sprache, die unsrem Vorhaben widersprechen und uns ihre Lockspeise wieder bieten konnte. Mit deiner Hand ja hattest du unser Herz bewahrt, wir fürchten deine, das Innerste durchbohrende Wort; die Vorbilder deiner Knechte, die du aus Schatten zu Kindern des Lichtes, aus Todten zu Lebendigen gemacht, entflammten unser Herz und machten uns fester gegen jeden Rückfall, so daß uns der trüglichen Sprache Widerrede, statt uns auszulöschen, nur noch mehr entflammen konnte. Doch weil deines Namens wegen, den du überall auf Erden heilig gemacht, unser Gelübde und Vorhaben allenthalben Loben gefunden hätte, so wären wir großsprecherisch erschienen, wenn wir die so nahe Zeit der Ferien nicht erwartet hätten, sondern aus unserem öffentlichen Beruf zuvor schon vor den Augen der Welt geschieden wären. Und Alle, vor deren Augen ich meine That vollbracht, ehe die Weinlese kam, hätten mir nachgefragt: ich wolle groß erscheinen. Was könnte freilich mich es kümmern, wie über meine Gesinnung hin und wieder geurtheilt und unser Gutes verlästert wurde. Auch war durch zu angestrengtes litterarisches Arbeiten im Sommer meiner Lunge angegriffen und hatte mir Heiserkeit, erschwerten Athem und Brustschmerzen zugezogen, was mich ohnehin genöthigt haben würde, mein Lehramt aufzugeben, oder wenigstens bis zur Genesung einzustellen. Da ich aber mit fest gewordenem Willen mein Amt aufgeben wollte, um zu sehen, daß du der Herr bist, dem ich nun dienen sollte, so freute ich mich auch über diesen nicht unwahren Grund meines Zurücktretens, weil sich nun die Menschen weniger daran stießen, die ihrer Kinder wegen nie wollten, daß ich dein Kind würde. Voll dieser Freude, fügte ich mich nun in die Zwischenzeit, die gegen zwanzig Tage betragen mochte, denn wenn auch die Liebe zu dieser schweren Beschäftigung erloschen war, so war mir doch Geduld geworden, ohne die ich mich jetzt sehr gedrückt gefühlt hätte. Vielleicht mag einer deiner Knechte, meiner Brüder einer sagen, ich habe gesündigt, daß ich, mit vollem Herzen mich deinem Dienst ergeben, nur eine Stunde noch auf dem Lehrstuhle der Lüge geseßen, und ich kann nichts dagegen vorbringen. Aber du Herr, Erbarmungsvollster, hast du nicht auch diese Sünde mit den übrigen schrecklichen und trauervollen in deinem heiligen Wasser verziehen und erlassen?

III.

Aber Verecundus, unserer Freunde einer, wurde von Bangigkeit bei unserem Glücke verzehrt, weil er seiner Bande wegen, die ihn so fest hielten, an unserem heiligen Bunde nicht theilnehmen konnte; denn der Mann einer glaubigen Christin, war er selbst kein Christ geworden. Eben aber sein christliches Gemahl hielt er für die hauptsächlichste Feßel, die ihn vom Mitgehen auf unserem Pilgerwege trennte; denn er wollte nur auf eine Weise Christ werden, auf die er es nicht vermochte, wollte es durch Befreiung von den sinnlichen Banden der Ehe. Er machte uns das gütige Anerbieten, auf seinem Landgute zu wohnen, so lange wir uns noch in der Gegend aufhielten. Du wirst es ihm wiedererstatten, Herr, bei der Auferstehung der Gerechten, der du ihm sein Erbe im Licht schon gegeben hast. Denn da wir bereits in Rom waren, wurde er in unserer Abwesenheit von einer Krankheit ergriffen, und, in ihr zum glaubigen Christ geworden, wanderte er aus diesem Leben. So hast du dich seiner und unser erbarmt, damit wir, seiner Freundesliebe denkend, nicht von unerträglichem Schmerz gemartert würden, wenn wir ihn nicht zählen dürften zu deiner Herde. Dank sei dir, unserem Gott, wir sind dein, und das sagen uns deine Mahnungen und Tröstungen, du treuer Verheißer, vergelten wirst du den Verecundus für Cassiacum, sein Landgut in den friedlichen Bergen, wo wir vom Treiben der Welt ruhten in dir; vergelten wirst du ihm dafür mit den Wonnen deines ewig grünenden Paradieses, auf dem Berge, da die ewigen Hütten stehn, auf deinem wonnenträufenden Berge, denn vergeben hast du ihm die Sünden der Erde. Damals wurde Verecundus bange, Nebridius aber, sein Gehülfe im Lehramt der schönen Wißenschaft, wurde mit Freude begnadigt. Kein Christ noch, war er, wie ich früher, in den Abgrund jenes verderblichsten Irrthums gefallen, daß er deines Sohnes Leib für einen Scheinkörper hielt; und aus diesem Irrthum sich erhebend war er noch kein Glied deiner Kirche, kein Theilnehmer ihrer Segnungen geworden, sondern suchte nur für sich mit brennendem Eifer nach Wahrheit. Aber kurze Zeit nach unserer Bekehrung und Wiedergeburt durch deine Taufe, wurde auch er ein glaubiges Glied deiner Kirche, und bewahrte sich in vollständiger Zucht und Reinheit. Nach Afrika zu den Seinen zurückkehrend, bekehrte er sein ganzes Haus zum Christenthum, wurde durch dich gelöst von des Leibes Banden, und lebt nun in Abrahams Schooße. Was wird mit diesem Schooße bezeichnet, in dem mein Nebredius lebt, mein holder Freund, Herr, einst ein Freigelaßener von der Sünde, nun von dir an Kindesstatt angenommen? Dort lebt er nun; welch andern Ort sollte solch eine Seele finden? Er lebt an dem Orte, über den er einst mich unerfahrenes Kind so Vieles fragte. Nun neigt er das Ohr nicht mehr zu meinem Munde, seines Geistes Mund neigt er ewig selig jetzt zu deinem Quell, in dürstendem Verlangen sich mit deiner Weisheit nährend. Doch in der Fülle des Genußes wird er mein nicht vergeßen, denn du, aus dessen Fülle er trinkt, bist unser eingedenk, und wir sind vereinigt in dir. So lebten wir, da wir den Verecundus trösteten in seiner Trauer, denn auch nach unserer Bekehrung hielt unsere Freundschaft fest und ermahnten wir ihn, den Glauben zu suchen im Bande seiner Ehe. Des Nebridius aber hatten wir geharrt, da er so nahe schon der Wahrheit mit dem verlangenden Herzen kam; und endlich kam auch ihm sein Tag, auf den wir, ihm die friedenvolle Freiheit wünschen, lang geharrt, an dem er aus vollem Herzen in den Lobgesang einstimmte: Dir sagt mein Herz, o Herr, daß ich dein Antlitz suche.

IV.

Endlich kam die Zeit, in welcher ich auch in der That, wie schon im Geiste es geschehen war, von dem Berufe des Redners befreit werden sollte; frei, wie mein Herz, hattest du nun auch meine Zunge gemacht, und, freudig dir dankend, zog ich mich mit all den Meinen auf das Landgut zurück. Ich ergab mich dort wissenschaftlichen Arbeiten, die dir schon dienten, aber gleichsam der Schule Stolz vollends ausschnaubten. Es entstand dort meine Schrift der Dialogen mit den Akademikern, sowie die meiner Selbstgespräche, sammt meinen Briefen an den abwesenden Nebridius. Die Zeit reicht nicht zu, um alle deine großen Wohlthaten zu preisen, die du uns erwiesen in jener Zeit, welche uns deinen höhern ewigen Wohlthaten zugeführt. Süß, o Herr, ist mir die Erinnerung, in der ich vor dir bekenne, mit welchen innerlichen Stacheln du mich bändigtest, wie du die Berge und Hügel meiner Gedankenwelt erniedrigtest, das Krumme richtig und das Unebene eben machtest; wie du Alypius, den Bruder meines Herzens, dem Namen deines eingeborenen Sohnes, unsers Herrn und Heilands Jesu Christi, unterthänig machtest, welchem er anfänglich unsere christliche Thätigkeit nicht weihen wollte; denn er wollte sich mehr am Dufte der stolzen Cedern unserer alten Bestrebungen, die der Herr schon gefällt hatte, laben, als an den Heilkräutern der Kirche, den Gegenmitteln gegen das Schlangengift der Sünde. – Wie pries ich dich, mein Gott, da ich die Psalmen Davids las, die glaubensvollen Gesänge, die mit ihrem frommen Schall den Geist des trotzigen Uebermuthes austreiben. Ich las sie, da ich noch, ein Neuling in deiner innigen Liebe, als Katechumene mit dem Kateschumenen Alypius auf dem Landgute der Ruhe lebte und die Mutter uns anhieng mit stiller Weiblichkeit, mit männlichem Glauben, mit des Alters Frieden, der Mutter Liebe und der Gottseligkeit des Christen. Wie pries ich dich bei diesen Psalmen, wie wurde ich von ihnen für dich entflammt und hätte sie gerne dem ganzen Erbkreis gegen den Stolz seines Menschengeschlechts verkündigt. Und werden sie denn nicht in aller Welt gesungen, und breitest du nicht aus mit ihnen deine allumfaßende Wärme? Voll Schmerz zürnte ich den Manichäern, die deine Schrift verwerfen, und bemitleidete sie wieder, daß sie nichts wüßten von diesem himmlischen Heilmittel und im Unsinn verschmähten, was sie heilen kann. Ich wollte, daß sie damals ohne mein Wißen in meiner Nähe gewesen wäre, mein Antlitz gesehen und meine Stimme gehört hätten, als ich in jener Ruhezeit den vierten Psalm las, damit sie bemerkten, was aus mir jene Psalmworte gemacht hatten: »als ich rief, erhörte mich der Gott meiner Gerechtigkeit. Der du mich tröstetest in Angst, sei mir gnädig und erhöre mein Gebet.« Sie hätten es gehört, ohne daß ich gewußt, was für einen Menschen sie gehört, damit sie nicht auf die Meinung gekommen wären, ich hätte ihretwegen gesagt, was ich unter jenen Worten sprach, weil ich es wahrhaftig gar nicht, oder nicht so gesagt hätte, wenn von mir bemerkt worden wäre, daß sie mich hörten und scheuten. Und wenn ich es auch gesagt hätte; so hätte sie es nicht so aufgenommen, wie ich mit mir und für mich vor dir in der traulichen Andacht meiner Seele sprach. Denn ich schrak in Furcht auf und wurde doch von Hoffnung und Freude entflammt über dein Erbarmen, Vater. Das sprach siech aus in meinen Augen und in meiner Stimme, während dein Geist, in Güte zu uns gewendet, spricht: »Lieben Herren, wie lange soll meine Ehre geschändet werden, wie habt ihr das Eitle so lieb und die Lügen so gerne?« (V. 3.) Denn ich hatte das Eitle lieb und die Lügen gerne. Und du, Herr, hattest erhöht schon deinen Heiligen, ihn erweckt von den Todten, ihn gesetzt zu deiner Rechten, von wannen er niedersendet den verheißenen Geist der Wahrheit. Und schon hatte er ihn gesandt und ich wußte es nicht; er hatte ihn gesandt, da er schon durch seine Auferstehung von den Todten und seine Auffahrt in den Himmel verherrlicht war. Denn vorher war der Geist noch nicht gegeben, weil Jesus noch nicht verherrlicht war. Doch die Weissagung rief: »Wie lange soll meine Ehre geschändet werden? Wißen sollt ihr, daß der Herr seinen Heiligen verherrlicht« (B. 4.) Sie rief: »wie lange?« sie rief: »wißen sollt ihr es!« Und ich, in banger Unwißenheit, hatte das Eitle lieb und die Lüge gerne; und darum hörte ich mit Zittern das Wort; zu solchen ja wird es gesagt, wie ich wußte, daß ich gewesen war. Denn Eitelkeit und Lüge war in jenen Trugbildern, die ich für die Wahrheit hielt; und laut klagte ich im Schmerz meiner Erinnerung: O hätten sie es vernommen, die das Eitle noch lieben und der Lüge noch anhängen! Sie wären erschüttert worden und hätten von sich geworfen ihre Verblendung, und du hättest sie erhört, wenn sie zu dir gerufen hätte, weil der für uns den wahren Leibestod gestorben ist, der für uns redet zu dir. Weiter las ich: »Zürnet ihr, so sündiget nicht.« Wie wurde ich bewegt, mein Gott, der ich gelernt hatte, auf mich zu zürnen über das Vergangene, damit ich fortan mich nicht versündigte. Ja wohl galt es, mir mit Recht zu zürnen, weil keine fremde Natur aus dem Volk der Finsterniß sich an mir versündigt hatte, wie diejenigen sagen, die sich selbst nicht zürnen und sich den Zorn häufen auf den Tag des Zorns und der Offenbarung deines gerechten Gerichtes. Meine Güter waren keine mehr von denen, die draußen sind in der Sinnenwelt; nicht mit fleischlichen Augen, nicht unter dieser Sonne hatte ich sie mehr zu suchen. Ach, die sich freuen wollen draußen, wie leicht werden sie eitel und in das geworfen und zerstreut, was nur scheinbar und zeitlich ist, an dessen trüglichem Schaugericht sie mit hungernden Gedanken lecken. O würden sie matt von Hunger und riefen dann: wer zeigt uns das Gute? Wir wollen ihnen Weiteres sagen und möchten sie es vernehmen: »Herr, erhebe über uns das Licht deines Antlitzes.« (B. 7.) Denn wir selbst sind nicht das Licht, das jeden Menschen erleuchtet, wir werden erleuchtet von dir, daß wir, die wir einst Finsterniß waren, Licht werden in dir. O daß sie sähen das innere, ewige Licht, das ich kostete und doch zürnte, weil ich es ihnen nicht zeigen konnte, wenn sie auch zu mir kamen und nach dem Guten fragten, mit nach Außen gekehrten Gedanken. Denn erst, da ich im Innersten mir zürnte, da ich getroffen war und meinen Alten Menschen zum Opfer schlachtete, und auf dich hoffte in meines Geistes Erneuerung, da erst begannst du süß mir zu werden und gabest Freude in mein Herz. Und mein Freudenruf erschallte, da ich das Wort las von Außen und es geschrieben sah in meinem Innern, und nimmer wollte ich reich werden an irdischen Gütern, das Zeitliche verschlingend und von ihm verschlungen; denn in ewigem Genügen hatte ich andere Früchte, andern Wein und anderes Oel. Und laut rief mein Herz beim folgenden Vers: o im Frieden, o in dir selbst darf ich ruhen und schlafen. (B. 9) Denn wer mag wider uns sein, seit geschrieben steht: der Tod ist verschlungen in den Sieg? In dir, der nicht wandelt, der du über Allem bist, in dir ist Ruhe, die aller Müh’ vergißt, da man nicht suchen geht nach andern Dingen, die doch nicht sind, was du bist, und darum, Herr, hilfst du allein uns, daß wir sicher werden. – So las ich und entbrannte, und fand nicht, wie ich helfen möchte jenen fühllosen Todten, deren einer ich gewesen war, o ein verpestender Verpesteter, ein unwirscher Beller, ein Blinder gegen die Worte, die da süß sind von himmlischem Honigsein, und lichtvoll von deinem Lichte. Und der Schmerz verzehrte mich über die Feinde dieser Schrift.

Nicht zu zählen ist, was ich von dir empfing in jenen Tagen ländlicher Ruhe; aber ich vergaß deiner nicht, noch will ich verschweigen deiner Geißel Zucht und die wunderbare Eile deines Erbarmens. Damals war es auch, daß du mich mit Zahnschmerzen züchtigtest, deren heftige Zunahme mich der Sprache unfähig machte, und da kam es mir in’s Herz, alle anwesenden Lieben zu ermahnen, sie sollten für mich zu dir beten, du Gott eines jeglichen Heiles. Ich mußte ihnen, in meiner Sprachunfähigkeit, mein Verlangen niederschreiben. Und alsbald, da wir die Kniee beugten in innigem Flehen, floh der Schmerz. Welch ein Schmerz, und wie ist er geflohen! Mein Herr und mein Gott, ich schauderte; denn nie, seit ich lebte, nie hatte ich Solches erfahren. Und ich erkannte deinen wundervollen Wink und lobte in des Glaubens Freude deinen Namen; aber dieser Glaube gab mir noch keine Ruhe über die Sünden meiner Vergangenheit, denn noch waren sie mir nicht durch deine Taufe vergeben; noch hatte ich es nicht empfangen dieß Unterpfand der Aufnahme in den Bund deiner Erlösten.

V.

Nach den Ferien der Weinlese entsagte ich meinem mailändischen Lehramte und ließ sie sich nach einem andern Wortverkäufer für ihre studierende Jugend umsehen, weil ich mich entschieden habe für deinen Dienst und meinem Lehramt wegen Athmungsbeschwerden und Brustschmerzen nicht mehr genügen könne. Nun machte ich deinen Bischof, den heiligen Mann Ambrosius, in einem Schreiben mit meinen ehemaligen Irrthümern bekannt, und bat um seinen Rath, was für ein Buch deiner Schrift mich vor allen bereitwilliger und geschickter für die Gnade der Aufnahme in deiner Kirche machen würde. Er rieth mir den Propheten Jesaias, wohl deswegen, weil dieser vorzüglich der Verkündiger des Evangelismus und der Berufung der Wörter ist. Da ich jedoch diese Schrift schon von vorne herein nicht verstand, und mich für das Verständnis auch des Uebrigen noch für zu unreif hielt, so schob ich sie auf spätere Zeit auf, in der ich geübter in deinem Worte wäre.

VI.

Als nun die Fastzeit kam, in welcher man um die Gnade der Taufe anzusuchen hatte, verließen wir das Land und kehrten zurück nach Mailand. Alypius wollte mit mir wiedergeboren werden, schon erfüllt mit der für deine Segnungen fähig machenden Demuth, mit Muth des Leibes niedere Lüste bändigend, so daß er den Winter hindurch, der unserer Taufe vorangieng, barfuß, was er nie gewöhnt war, auf dem Boden Italiens zu wandeln wagte. Auch den Knaben Adeodatus nahmen wir mit, den Sohn meiner Sünde, den mir die Afrikanerin geboren hatte. Und wohlgebildet hattest du ihn; denn erst fünfzehn Jahre alt, übertraf er an Geist viele Männer. Deine Gabe war es, Herr mein Gott, du Urheber von Allem, der du wiederherstellst, was die Sünde an uns entstellt hat, denn ich hatte kein Verdienst an dem Knaben, als die Sünde; und wenn wir ihn in deiner Zucht erzogen, so hattest nur du es uns eingegeben. Ich verfaßte ein Buch, das den Titel führt: »der Lehrmeister«. In diesem laße ich Adeodatus mit mir sprechen. Und Alles, was er dort spricht, bewegte er auch wirklich schon in seiner Seele, im sechzehnten Lebensjahre. Ich erschrack über das schnelle Reifen seines Geistes, das du so wunderbar hervortreten ließest. Aber nicht lange nachher nahmst du sein Leben von der Erde weg, und ruhiger denke ich sein nun, nichts fürchtend mehr für seine Knaben- und Jünglingsjahre, und für sein ganzes Leben. Wir hatten ihn als unsern Lehrling uns zugestellt, und doch war er, was die Gnade anbelangt, mit uns gleichen Alters, denn er war gleicher Gnade voll. So empfiengen wir zusammen die Taufe und von uns floh der Kummer und der Schmerz über unsere Vergangenheit. Ach, nicht satt war ich in jenen Tagen, voll wundervoller Wonne den hohen Rathschluß deiner Liebe für das Heil der Menschheit zu betrachten. Heiße Thränen weinte ich bei deinen Lobgesängen, tief ergriffen von dem Wohllaut, mit dem sie deine Kirche sang. In meine Ohren drangen die Töne und mit ihnen strömte deine Wahrheit in mein Herz und weckte in ihm die fromme Beseligung; reicher floßen meine Thränen, und mir war selig wohl in ihnen.

VII.

Vor Kurzem erst hatte die mailändische Kirche dieses Mittel der Erbauung aufgenommen, und mit heiligem Eifer waren Stimme und Herzen ihrer Glaubigen dabei. Denn ein Jahr etwa vor unserer Bekehrung verfolgte Justina, die Mutter des unmündigen Kaisers Valentinian, deinen Ambrosius ihrer Ketzerei wegen, zu der sie von den Arianern verführt worden war. Da flüchtete sich das Volk deiner Frommen in die Kirche, zu sterben bereit mit seinem Bischof, deinem Knecht; unter ihnen auch meine Mutter, deine Magd, die sich in diesen kirchlichen Nachtwachen als eine der Eifrigsten zeigte, und sich am Troste deines Wortes aufrichtete. Und auch wir, die wir noch nicht erwärmt waren von deiner Geistesglut, wurden doch von dem Bangen und der Beunruhigung deiner Gemeinde tief ergriffen. Damals wurden jene Lobgesänge, nach dem Gebrauche der morgenländischen Kirche, eingeführt, damit sie das Volk in seiner Trauer aufrecht hielten, und bis heute dauern sie beinahe überall in allen deinen Kirchen fort. Aber in jener Zeit seiner Noth hattest du deinem Bischof durch ein Gesicht geoffenbart, wo die Leiber der mailändischen Märtyrer und Brüder Protasius und Gervasius ruhten, die du so viele Jahre hindurch verborgen hattest, damit du sie zur rechten Zeit, zur Stillung der Wuth jenes Weibes, der Kaiserin herausgebest. Sie wurden ausgegraben und feierlich in die ambrosianische Kirche, welche der Bischof kurz zuvor erbaut hatte, gebracht, und da wurde nicht nur von bösen Geistern Beseßene, nach dem Bekenntnis ihrer bösen Geister selbst, getheilt, sondern auch ein seit vielen Jahren blinder, allgemeiner bekannter Bürger. Als er die laute Freude des bewegten Volkes und ihre Ursache hörte, sprang er auf und ließ sich von seinem Führer in die Kirche geleiten, bat dort, mit seinem Schweißtuche die Bahre deiner heiligen Todten berühren zu dürfen, und als er dieses auf seine Augen drückte, wurden sie ihm aufgethan. Der Ruf dieser Dinge verbreitet sich mit deinem Lobe, und hielt die Feindin von ihrer Verfolgungswuth ab, wenn er sie auch nicht im wahren Glauben genesen ließ. Dank sei dir, Herr, mein Gott! Wie wecktest du meine Erinnerung, daß ich das auch dir bekenne! So Großes konnte ich vergessen, das ich erwähnen gesollt, als ich dir die Zeit bekannte, die meiner Bekehrung vorgegangen. Und doch, da der Weiheduft deiner Salben brannte, machten wir uns nicht auf zu dir und darum weinte ich mehr unter deinen Lobgesängen. Aber der einst niedergedrückt war in Seufzen, in ihm athmete endlich die Freude auf, wie die Luft athmet in des Grafen Blumen.

VIII.

Der du Frieden bringst in die Wohnungen der Menschen, du verbandest mit uns den Evodius, einen jungen Mann aus unserer Vaterstadt. Er war kaiserlicher Sachwalter und hatte sich früher, als wir, zu dir bekehrten und früher auch die Taufe empfangen, den Weltdienst verlaßend und sich zu deinem Dienste gürtend. In heiligem Wohlwollen lebten wir zusammen, und da wir uns eine Stätte suchten, an der wir ungestörter dir dienen möchten, beschloßen wir miteinander nach Afrika zurückzureisen. Als wir bei Ostia, an der Tiber, waren, starb die Mutter. Vieles übergehe ich, weil ich sehr in Eile rede. Nimm hin meine Bekenntnisse und meinen Dank, mein Gott, nimm sie aus meinem Schweigen auch hin über unzähliche Wohlthaten. Doch das kann ich nicht verschweigen, was mir in der Seele auflebt über deine Magd, die mich in’s Leben, dem Leibe nach für’s zeitliche, dem Herzen nach für’s ewige Licht, gebar. Nicht ihre, deine Gaben waren es, in ihr mir gewähret. Denn nicht hatte sie selbst sich also gemacht und erzogen, du schufest sie, da Vater und Mutter nicht wußten, welch einem Herzen sie das Leben gaben. In deiner Furcht erzog sie der Hirtenstab deines Gesalbten, das Walten deines eingeborenen Sohnes; er erzog sie in einer glaubigen, deiner Kirche treuen Familie. Doch nahm sich weniger ihre Mutter ihrer Erziehung an, als eine alte Dienerin, welche schon ihren Vater in seiner Kindheit als junges Mädchen auf den Armen getragen hatte. Deswegen und wegen ihres Alters und ihrer reinen Sitten wurde sie von ihrer christlichen Herrschaft werth gehalten, so daß man ihr die Aussicht über des Hauses Töchter überließ, die sie mit treuem Eifer, und wo es für ihre Zucht nöthig war, mit heiliger Strenge und besonnener Umsicht führte. So erlaubte sie ihnen, außer den Stunden ihrer mäßigen Mahlzeiten, selbst wenn sie dürsteten, nicht einmal Wasser, um für die Zukunft einer bösen Gewohnheit vorzubeugen, und sie sprach dabei das verständige Wort: »Jetzt trinket ihr Waßer, weil ihr noch keinen Wein habt; wenn ihr aber einmal verheirathet und Herinnen über Speise-und Vorrathskammer sein werdet, da wird euch das Waßer zu schlecht sein und euch die angewöhnte Trinklust doch bleiben.« – So zügelte sie die Gier des zarten Alters, und half den Mädchen zu mäßigem Dürften, auf daß sie nur das Schickliche wollen sollten. Und dennoch schlich sich bei meiner Mutter, wie sie mir erzählte, die Lust zum Weine ein. Die Aeltern pflegten ihr das Herbeiholen des Weines aus der Kufe aufzutragen; ehe sie nun die Flasche mit dem an der Kufe hängenden Schöpfbecher füllte, nippte sie ein wenig daran, nicht in roher Begierde, nur in kindischer Naschsucht, wie sie der Muthwillen erzeugt, den das Gewicht älterer Personen in den Kinderherzen zu unterdrücken pflegt. Zu diesem Wenigen, das sie nippte, fügte sie täglich noch ein Weniges hinzu, denn wer Mäßigkeit nicht achtet, der kommt allmählich zu Falle. Und so kam es mit ihrer Gewohnheit bald dahin, daß sie ganze Becherchen Weines gierig austrank. Wo war da die verständige Alte mit all ihren strengen Verboten? Was hilft uns gegen die verborgene Krankheit der Sünde, wenn deine heilende Macht nicht über uns wacht? Auch da Vater, Mutter und Pflegerin ferne waren, warest du da, Schöpfer und warnender Rufer, ob du wohl uns auch Menschen versetzest zu unserm Heil. Und was thatest du damals, mein Gott, wie halfest und heiltest du? Du machtest eine harte Schmährede einer Andern zum heilenden Eisen und schnittest mit einem Schnitt die Fäulnis aus; denn eine Magd, mit welcher sie zur Kufe zu gehen pflegte, gerieth, wie das oft so geschieht, in Streit mit der kleinern Gebieterin, warf ihr ihr Vergehen vor und schalt sie eine Weinsäuferin. Von diesem Schimpf getroffen, erkannte sie ihr Vergehen, verdammt es sogleich und machte sich frei davon. So wie uns schmeichelnde Freunde verderben, beßern uns gewöhnlich zankende Feinde; aber nicht das Gute, das du durch sie vollbringst, nur das Böse, das sie ausüben wollten, vergiltst du ihnen. Jene wollte in ihrem Zorn die kleine Herrin nur aufbringen, nicht beßern. Sie that es heimlich, denn sie war allein mit ihr, entweder weil ihr Ort und Zeit zu Händeln gelegen schien, oder damit sie nicht selbst bestraft würde, wenn sie so spät erst Anzeige machte. Aber, Herr, du Lenker von Allem, was im Himmel und auf Erden ist, der du zu deinen heiligen Zwecken die Wogen der tiefe aufregst, und den stürmischen Lauf der Zeiten ordnest, du auch hast mit der Heillosigkeit der Einen nur die Andere geheilt, damit Niemand, der dieß bedenkt, auch wenn er es gut gemeint, seiner Macht es zuschreibe, wenn durch sein Wort Jemand, den er beßern will, gebeßert wird.

IX.

Züchtig und verständig, mehr von dir den Eltern als von den Eltern dir untergeben, erreichte sie die jungfräulichen Jahre und wurde an einen Mann vermählt, dem sie als ihrem Herrn diente, und den sie dir zu erwerben sich bemühte, dich mit ihren Sitten ihm verkündend, mit welchen du sie verschönt und ihrem Manne so liebenswürdig und bewunderswerth gemacht hattest. Sie mußte seine eheliche Untreue ertragen, und that es, ohne je mit ihm deshalb sich in Hader einzulaßen; denn sie hoffte durch dein Erbarmen auch ihn im Glauben gereinigt zu sehen. Zudem war er, obwohl in hohem Grade gutmüthig, doch äußerst jähzornig; aber sie befolgte die Regel, einem zornigen Manne weder mit That noch Wort zu widerstreben. Erst wenn er sich wieder von seiner heftigen Uebereilung gefaßt hatte, suchte sie sich gelegentlich mit ihm zu verständigen. Wenn daher manche Frauen sanftmüthigere Männer mit den Spuren erlittener Misshandlungen auf dem beschimpften Angesichte, in traulichem Gespräche sich über ihre Männer beschwerten, so nannte sie scherzend ihre Zunge die Ursache des Erlittenen, und mahnte sie ernstlich an die ihnen bei ihrer Verheirathung vorgehaltene eheliche Ordnung, nach welcher sie Dienerinnen geworden seien und sich daher gegen ihre Herrn nicht ungeberdig stellen dürften. Und an diesen ihren Grundsatz mahnte sie auch jene Frauen, wenn sie sich wunderten, daß man noch nie vernommen habe, sie sei von Patricius, ihrem so zornmüthigen Gatten, je misshandelt worden, habe je mit ihm auch nur einen Tag lang in häuslichem Unfrieden gelebt. Die ihr folgten, wünschten sich Glück zu der gemachten beßern Erfahrung, die ihre Worte aber nicht beachteten, blieben der alten Unbill unterworfen. Auch ihre Schwiegermutter, die anfänglich durch Zuflüsterungen boshafter Mägde gegen sie eingenommen war, gewann sie so sehr durch Hingebung, anhaltende Verträglichkeit und Sanftmuth, daß sie aus freien Stücken ihrem Sohne die Zuflüsterungen der Mägde verrieth, durch welche der Friede zwischen ihr und der Schwiegertochter gestört wurde und Bestrafung verlangte. Er aber, der Mutter zu Willen, des Hauses Zucht im Auge behaltend, für die Eintracht der Seinen sorgend, hielt die Mägde durch Streiche im Zaum und verhieß ihnen, das werde fortan die Belohnung für Jede sein, welche über seine Gattin, sei es wo es wolle, Uebles rede. Keine wagte es mehr und sie lebten nun in lieblichstem Wohlwollen zusammen. Auch die große Gabe hattest du, mein Gott und mein Erbarmer, deiner treuen Magd, durch die du mir das Leben gabest, verliehen, daß sie, wo sie konnte, zur Friedensstifterin der Herzen wurde, und nichts der Andern wieder sagte, als was die Versöhnung förderte, wenn auch die beiden in Zwietracht Lebenden in den bittersten Reden über die Gegnerin wechselseitig zu ihr sprachen; wie das die ergrimmte, unversöhnte Zwietracht zu thun pflegt, wo so oft durch feindselige Gespräche der Haß der anwesenden Freundin gegen die abwesende Feindin gesteigert wird. Wohl schiene mir dieß eine kleine Gabe, wenn ich nicht selbst zu meiner Trauer so unzählige Feindseligkeiten erfahren hätte, da sich die abscheuliche Sündenpest so allgemein verbreitet, mit der man dem zürnenden Feinde nicht nur die Worte seines Feindes hinterbringt, sondern noch Erdichtetes dazu häuft; während der Menschenfreundliche es sich nicht nur angelegen sein laßen muß, die Feindseligkeit der Menschen durch böse Reden weder zu wecken, noch zu mehren, sondern sie auch durch freundliche Rede auszulöschen. Das lernte meine Mutter; ihr Herz war die Schule, du warst der Lehrer. Endlich hat sie auch ihren Gatten noch am Ende seines Zeitlichen Lebens dir gewonnen, und seit er glaubig geworden, hatte sie nicht mehr über das zu weinen, was sie nur in der Zeit seines Unglaubens von ihm ertragen mußte. Auch war sie die Magd deiner Knechte. Wer von ihnen sie kennen lernte, der mußte dich in ihr loben, ehren und lieben, denn er sah dich gegenwärtig in ihrem Herzen, unter dem Zeugnis der Früchte ihres heiligen Wandels. Sie war eines Mannes Weib gewesen, hatte ihrer Eltern Liebe vergolten, fromm ihr Haus verwaltet und das Zeugnis guter Werke, hatte treu erzogen ihre Söhne, und sie so oft im Schmerz geboren, als sie sie von dir weichen sah. Und für uns Alle, die wir vor ihrem Entschlafen, nach unserer Gnadentaufe, in dir zusammenlebten, sorgte sie, als hätte sie uns Alle geboren, und diente uns, als wäre sie von uns Allen gezeugt worden.

X.

Als aber der Tag nahte, nun dir, nicht uns bekannt, an dem sie scheiden sollte aus diesem Leben, begab es sich, durch dein verborgenes Walten, daß ich und sie allein an einem Fenster stunden, vor uns der Garten des Hauses, indem wir uns aufhielten bei Ostia, vom Sturme nach langen Reisebeschwerden zurückgeworfen, und uns auf’s Neue zur Schiffahrt bereitend. Da sprachen wir so süß mit uns, vergaßen alles Vergangene, nur nach dem uns streckend, das vor uns ist, und befragten uns bei der ewigen Wahrheit, die du bist, wie das ewige Leben deiner Heiligen sein möge, das kein Auge sieht, kein Ohr vernimmt und zu dem kein Menschenherz sich erheben kann. Aber unseres Herzens dürftigender Mund schmachtet nach der himmlischen Flut deiner Quelle, nach der Quelle des Lebens, die bei dir ist, damit wir, nach unserem Vermögen, von ihr besprengt, den erhabenen Gegenstand sorgsam bedächten. Alls nun unsere Rede dahin gelangte, daß uns auch die höchste sinnliche Freude, wie sie das leibliche Auge nur zu schauen vermag, vor der Wonne jenes Lebens keiner Vergleichung, ja keiner Erwähnung werth schien, suchten wir uns, glühenden Sehnens voll, zum Gegenstande unserer Betrachtung selbst zu erheben, und durchgiengen stufenweise alles Körperliche, den Himmel selbst, von dem sie sonne, der Mond und die Sterne zur Erde niederleuchten. Weiter bringend im Bedenken, Versprechen und Bewundern deiner Werke, kamen wir auf unsere Geister, und auch über diese erhoben wir uns, damit wir gelangten in’s Reich der unverwelklichen Fülle, wo du Israel weidest mit der wahren Nahrung ewiglich, und wo die Weisheit ist durch die Alles gemacht ist, was da war und sein wird. Aber sie selber wird nicht, sie ist, wie sie war, und wird so immer sein; denn Gewesensein und Seinwerden sind nicht in ihr, sondern das Sein allein, weil sie ewig ist, und Gewesensein und Seinwerden nicht das Ewige wäre. Und während wir so sprachen und nach ihr verlangten, berührten wir sie leise mit voll schlagendem Herzen, seufzten auf und ließen dort geborgen die Erstlinge unseres Geistes zurück; denn nur kurz dauerte die Entzückung der ihre Himmelswonne vorausahnenden Seele. Und wir wendeten uns zurück zum Laut unseres Mundes, wo das Wort beginnt und endet. Und was gleicht deinem Wort, unserem Herrn, das in sich bleibt, ohne zu altern, und Alles erneut? Wir sprachen nun: wenn Jemand schwiege der Tumult seines Fleisches, sammt den Vorstellungen von der Erde, den Waßern und der Luft, und Allem, was im Raume ist, wenn selbst die Seele sich schweigend und nicht mehr sich denkend sich über sich selbst erhöbe, wenn auch die Träume und die Bilder der Einbildungskraft schweigen würden, ja wenn die Worte und Zeichen schwiegen und Alles, was vorübergeht – denn wer sie hört, dem sagen sie: wir machten uns nicht selbst, uns machte, der da bleibt in Ewigkeit – wenn sie schweigen und unser Gehör nur zu dem erhöben, der sie schuf; und wenn er selbst nun spräche allein, nicht durch sie, durch sich selbst, auf daß wir hörten sein Wort, nicht mit Menschenzungen, nicht durch eines Engels Stimme, noch durch der Wolke Schall, noch durch irgend eines Gleichnisses Räthsel, sondern ihn selbst, den wir lieben in jenen; wenn wir hörten ihn selbst ohne diese, so wie wir uns jetzt erhoben und im reißenden Fluge der Gedanken an die ewige Weisheit rührte, die über Allem bleibt; und wenn dieß fortdauerte, und keine andern ihr fremdartigen Vorstellungen sich einmischten, und ach, diese eine die Schauenden hinriße, und verschlänge und versenkte in die innigste Wonne, wenn das, wenn das geschähe, wenn so das ewige Leben wäre, wie dieser Augenblick der Erkenntnis war, bei dem wir in Seligkeit aufseufzten; – wären wir da nicht, wo es heißt: geh ein in deines Herrn Freude? Und das, wann wird es sein? Wird es sein, wenn wir Alle auferstehen, aber nicht Alle verwandelt werden? – So sprach ich; wenn nicht auf diese Weise und nicht mit diesen Worten, doch sprach ich es, das weist du, Herr, da unter solchen Worten diese Welt uns zurückwich mit allen ihren Freuden. Und darauf sprach meine Mutter: Sohn, ich habe keine Lust mehr an irgend etwas dieses Lebens. Was ich noch thun soll hienieden, und warum noch hier sein, weiß ich nicht; ich habe nichts zu hoffen mehr für diese Welt. Nur Eines war, warum ich noch zu weilen wünschte – daß ich dich sehen möge einen glaubigen Christen, ehe denn ich sterbe. Und reichlicher hat mein Gott mir dieß gewährt, da ich dich sehen darf als seinen Knecht, der nimmer achtet das Glück dieser Erde. Was thu ich hier?

XI.

Ich weiß nicht mehr, was ich hier darauf antworte. Fünf Tage etwa nachher erkrankte sie an Fieberanfällen. Während ihrer Krankheit sank sie einst in Ohnmacht und verlor auf kurze Zeit das Bewußtsein. Wir eilten herbei, aber bald erlangte sie das Bewußtsein wieder, sah mich und meinen Bruder Navigius, die wir um sie waren, an, und fragte uns: wo war ich? Als sie unsere Trauer sah, sprach sie: ihr werdet hier eure Mutter begraben. Ich schwieg und bezwang meine Thränen. Mein Bruder aber erwiederte: er wünschte, daß sie nicht in der Fremde, daß sie im Vaterland sterbe, es wäre ihr Sterben dort wohl glücklicher. Als sie dieß vernahm, legte sich Kummer auf ihre Mienen, und sie strafte den Bruder mit den Augen über solche Gedanken, sah dann mich an und sprach: hör doch, was der spricht! Und darauf zu uns Beiden: Begrabt diesen Leib, wo es auch sei, und laßet euch deßhalb von keiner Sorge beunruhigen. Nur darum bitte ich euch: gedenket mein, am Altare des Herrn, wo ihr auch wandelt. Mit Mühe brachte sie diese Worte hervor, und erschwerender ward ihre Krankheit. Ich aber dachte deiner Gaben, du unsichtbarer Gott, die du in die Herzen deiner Glaubigen legst, damit aus ihm ihre wunderbare Früchte sproßen; ich freute mich und dankte dir, weil mir einfiel, wie ängstlich sie immer um ihr Grab besorgt war, das sie sich neben der Leiche ihres Gatten bestimmt und bereitet hatte. Denn weil sie friedlich mit ihm gelebt hatte, so wollte sie auch hier mit ihm verbunden werden, wie denn des Menschen Seele ist, so lange für das Göttliche noch weniger empfänglich bleibt; sie wollte, es möge den Menschen im Gedächtnis bleiben, wie ihr gewährt worden sei, daß nach ihrer Wanderung über Land und Meer vereinte Erde beider Gatten Erde decke. Nicht erfuhr ich, wann deine Güte diesen Wunsch der Schwachheit von ihr nahm und freudenvoll staunte ich, daß sie sich also gegen mich ausgesprochen, obwohl sie schon damals nicht verlangte im Vaterlande zu sterben, als sie während unseres Gespräches am Fenster zu mir sprach; was thu ich noch hier? Doch hörte ich nachher, daß sie, da wir in Ostia waren, mit einigen meiner Freunde in mütterlicher Traulichkeit von der Verachtung dieses Lebens und dem Gute des Todes in meiner Abwesenheit sprach. Und als sie die Tugend, die du ihr gegeben hattest, bewunderten und sie fragten: ob ihr nicht bange sei, so ferne von ihrer Heimath begraben zu werden, gab sie zur Antwort: »Nichts ist fern von Gott, und nicht ist zu fürchten, er werde am Ende der Zeit die Stätte nicht kennen, von der er mich auferweckte.« Ihre gottselige, treue Seele wurde am neunten Tage ihrer Krankheit, im sechs und fünfzigsten Jahre ihres Alters, und im drei und dreißigsten des meinen vom Leibe gelöst.

XII.

Ich drückte ihr die Augen zu. Große Trauer ergoß sich in mein Herz und wollte in Thränen überströmen; aber ich that mir Gewalt an, ihren Quell zurückzudrängen, und sehr übel ward meine Seele in diesem Ringen mit ihrem Schmerz. Bei ihrem letzten Athemzug weinte Adeodatus, der Knabe, laut auf, und wurde von uns mit Mühe zum Schweigen gebracht. Und so wurde auch in mir das knabenhaft Empfindsame, das sich bei des Herzens jugendlautem Klageton in Thränen ergießen wollte, zurückgedrängt und mußte schweigen. Denn wir hielten es für unwürdig, eine solche Leiche mit thränenden Klagen und Seufzern zu betrauern, mit welchen man die Sterbenden nur beklagen mag, deren Elend im Tode, oder deren gänzliches Erlöschen man beweint. Sie ist nicht elend gestorben, sie ist nicht ganz gestorben, davon gab uns sichern Beweis ihr Leben und ihr ungeheuchelter Glauben. Aber tiefen Schmerz brachte die neue Wunde mir, die ich empfieng durch die plötzliche Zerreißung des süßen, lieblichen Umgangs mit ihr. Wohl fand ich trost in dem Zeugniß, das sie mir noch in ihrer letzten Krankheit gab, mit Zärtlichkeit meine Sorge für sie sehend, da sie mich ihren treuen Sohn nannte und mit aller Innigkeit ihrer Liebe aussprach: ich habe sie nie mit einem harten oder schmähenden Wort beleidigt. Doch was will das sagen, mein Gott, der du uns schufest? Wie konnte ich die Ehre, die ich ihr erwies, mit der Hingebung vergleichen, die sie mir gewährte? Darum, verlaßen von ihrer hilfreichen Nähe, wurde meine Seele verwundet und mein Leben zerrißen; es war ja ein Leben worden aus dem ihren und dem meinen. Als aber der Knabe sein lautes Weinen ließ, ergriff Evodius die Harfe und begann den Psalm zu singen, in den wir Alle einstimmten: »Von Gnade und Recht will ich singen, Herr, und dir lobsingen!« (Psalm 101, 1.) Da ihr Abschied bekannt wurde, kamen viele Brüder und fromme Frauen, und während, am die Leiche besorgte, sprach ich zu denen, die sich zu mir versammelt hielten, was dieser Stunde gemäs war. Durch dieses Linderungsmittel, das aus der Wahrheit kommt, die von dir ist, suchte ich meine Qual zu mildern, die dir nur, nicht Jenen bekannt war, welche aufmerksam auf meine Rede hörten und mich ohne Schmerzgefühl wähnten. Aber zu dir, da Niemand es vernahm, flehte ich um die Linderung meiner Herzensqual und preßte der Trauer Flut zurück; sie wich ein wenig und wogte wieder auf in ihrem Drang, nicht bis zum Ausbruch von Thränen, nicht bis zur Aenderung meiner Mienen, aber ich wußte, was ich hinabdrücken mußte in mein Herz. Und weil mir so sehr misfiel, daß das Menschliche, das unser Aller nothwendiges Loos ist, so viel über mich vermöge, so wurde ich noch von Schmerz über meinen Schmerz erfüllt und von zwiefacher Trauer gemartert. Wir hatten die Leiche eingesargt, waren mit ihr zu ihrem Grabe gegangen und von dort zurückgekehrt ohne Thränen. Und auch da weinte ich nicht, als man sie, ehe sie bestattet wurde, nach der Sitte am Grabe ausstellte und wir für sie das Opfer unserer Gebete brachten. Aber den ganzen Tag brachte ich in verschloßener Trauer zu und bat dich, mit bestürmtem Gemüthe, um die Heilung meines Schmerzes. Du thatest es nicht, wohl um mich zu erinnern, wie wir gebunden seien an der Gewohnheit Band, selbst gegen des Geistes Billigung, der schon von deinem untrüglichen Worte genährt wird. Es dünkte mir auch gut, mich zu baden, weil ich gehört hatte, die Griechen nannten das Bad deswegen Balaneion, das ist, Trauertilger, weil es den pressenden Schmerz aus dem Herzen nehme. Auch das bekenne ich deiner Barmherzigkeit, du Vater der Waisen, ich blieb nach dem Bade derselbe wie zuvor, denn der Trauer Bitterkeit entzog sich meiner Seele nicht; darauf legte ich mich schlafen, erwachte mit besänftigtem Gram; und allein auf meinem Lager, suchte ich Ruhe in dem frommen Liebe deines Ambrosius:

Gott, du bist Schöpfer aller Welt,

Der alle Himmel lenkend hält,

Dem Tage gibt des Lichtes Pracht,

Des Schlummers Gnade jeder Nacht;

Da sich die Ruh dem Müden beut,

Für seine Pflicht die Kraft erneut,

Erleichtert den bedrängten Geist,

Zum Frieden seinen Kummer weist.

Dank sei dir, da der Tag vergeht,

Und Flehen, da die Nacht ersteht.

Wir singen dir des Lobes Pflicht,

O hilf uns, unsre Zuversicht.

Vom Herzen tief erschall’ es dir,

Es rausche sanft dein Lied aus mir –

Dich wähle keusche Liebe sich,

Und Geistesreinheit ehre dich.

Und ob uns tiefe Nacht umfängt,

Des Tages letzte Spur verdrängt,

Der Glaube weiß von keiner Nacht,

Ihm müße weichen ihre Macht.

Laß meinen Geist enschlafen nicht,

Entschafen Schuld nur und Gericht,

Sie weichen vor des Glaubens Hut,

Der hütet jeden Schlummer gut.

Fern von der Sinne Trug und Raum,

Sei du des Herzens hoher Traum.

Vom Neid des falschen Feindes sei,

Von seinem Schreck die Ruhe frei. –

Den Christ und Vater flehend preist

Des Sohnes und des Vaters Geist:

Dreieiniger, unser dich erbarm,

Schließ uns in deiner Allmacht Arm!

Und allmählich dachte ich wieder deiner Magd mit der Empfindung, mit welcher ich immer ihrer gedacht hatte; dachte an ihren gottseligen Wandel vor dir, und an ihren lieberfüllten, reinen Wandel vor uns, von dem ich so plötzlich getrennt wurde, und um sie und für sie, um mich und für mich floßen vor dir meine Thränen. Jetzt ließ ich ihnen den freien Lauf, und mein Herz schwamm in ihnen und ruhte in ihnen: denn da warest nur du, nicht ein Mensch, der mit kalter Geringschätzung meine strömenden Thränen beurtheilt hätte. Hier bekenne ich es dir, mag es lesen, wer da will, und es beurtheilen, wie er will. Der lächle mein nicht, der es mir zurechnet, daß ich eine Stunde lang um meine Mutter weinte, um meine Mutter, die auf ein Kleines nur meinen Augen gestorben war, und viele Jahre lang um mich geweint hatte, daß ich ewig leben möge vor deinen Augen. Und wenn ihm reiche Liebe ward, so weine er selbst, weine über meine Sünde zu dir, dem Vater aller Brüder deines Gesalbten.

XIII.

Aber, da mein Herz von dieser Wunde geheilt war, an welcher ich des Fleisches und der Erde zu überwindenden Schmerz erkannte, vergoß ich vor die, unserm Gott, noch ganz andere Thränen für deine Magd, wie sie rinnen aus dem zerschlagenen Geist, der die Gefahren jeder Seele betrachtet, die in Adam gestorben ist. Denn ob sie wohl von Christus neu belebt war, und, auch von des Leibes Banden nach nicht befreit, doch so gelebt hatte, daß über ihr Leben und ihre Sitten dein Name zu preisen war, so wage ich doch nicht zu behaupten, es sei, seit ihrer Wiedergeburt durch die Taufe, auch nie ein Wort gegen dein Gebot aus ihrem Munde gegangen. Und er hat es gesagt dein Sohn, die Wahrheit selbst; wer zu seinem Bruder sagt: du Narr! der ist höllischen Feuers schuldig. Wehe auch dem lobwürdigsten Leben des Menschen, wenn du es beurtheilen wolltest, ohne dein Erbarmen in dein Urtheil zu legen! Und nur, weil du nicht mit Strenge unsere Fehler ansiehst, hoffen wir vertrauend, Schonung finde der Mensch bei dir. Wer dir sein Verdienst vorhält, kann dir damit nichts vorhalten, als nur deine Gaben. O würden sich die Menschen als Menschenerkennen, so würde Jeder, der sich rühmen wollte, sich nur des Herrn rühmen. Darum du, mein Lob und mein Leben, du Gott meines Herzens, will ich ihre guten Thaten, für die ich dir danke mit Freuden, ein wenig zur Seite legen, und will zu dir um Vergebung flehen für die Sünden meiner Mutter. Erhöre mich bei dem Heiland unserer Wunden, der am Holze hieng, und zu deiner Rechten sitzend uns vertritt. Ich weiß von ihr, daß sie erbarmend handelte, und von Herzen denen die Schuld vergab, die sich an ihr verschuldet hatten; vergib auch du ihr ihre Schuld, die sie in der langen Zeit nach ihrer Gnadentaufe noch über sich gebracht haben mag. Vergib, Herr, vergib, ich beschwöre dich im Flehen meiner Liebe – gehe nicht mit ihr in’s Gericht! Es erhebe sich dein Erbarmen über dein Gericht, weil wahr deine Worte sind und du Erbarmen verhießest, den Erbarmenden. Und daß sie das wurden, haben sie von dir allein, der du gnädig bist dem, welchem du gnädig sein willst, und dich dessen erbarmest, welches du dich erbarmest. (Röm. 9, 15.) Ich glaube es, du habest schon gethan, um was ich dich bitte, aber, Herr, nimm gnädig auf meines Mundes williges Opfer! Denn da ihr nahte der Todestag, dachte sie nicht des Gepränges ihrer Verstattung, nicht wünschte sie ihrer Leiche köstliche Specereien und ein auserlesenes Denkmal, verlangte nicht nach dem Grabe ihrer Väter; sie bat nur, wir sollten eingedenk sein an deinem Altare, vor dem sie dir gedient hatte, ohne nur an einem Tage auszusetzen, an deinem Altare, von dem ihr das heilige Opfer gespendet wurde, das die Handschrift austilgte, die gegen uns war; das den Feind überwand, der unsre Sünden aufrechnet, der sucht, was er gegen uns finde, und an Dem nichts gefunden hat, in welchem wir siegen. Wer kann ihm erstatten sein schuldloses Blut, wer ihm den Preis erstatten, um den er uns losgekauft, damit er dem Feinde uns entreiße? An dieses Gnadengut band sich deine Magd mit dem Band des Glaubens und Niemand entreißt sie deinem Schutz, nicht mit Gewalt und List kann sich der Löwe und Drache entgegensetzen; nicht kann sie zwar antworten, sie schulde nichts, an dem sich zu halten vermöge der listige Ankläger, aber antworten wird sie, die Schuld sei ihr von dem erlaßen, dem Niemand wiedererstatten kann, was er für uns, selbst nichts schuldend, erstattet hat. Sie ruhe im Frieden mit ihrem Gatten, vor dem und nach dem sie keinem vermählt war; dem sie unterthänig war, da sie dir Frucht brachte in Geduld, und auch ihn dir gewann. Und du, Herr, mein Gott, lege es in’s Herz deinen Knechten, meinen Brüdern, deinen Söhnen, meinen Herren, welchen ich diene mit Wort und Herz und Schrift, daß sie, so oft sie dieß lesen, eingedenk seien vor deinem Altar Monica’s, deiner Magd, und Patricius, ihres einstigen Gatten, durch deren Fleisch du mich in dieß Leben eingeführt, ich weiß nicht wie. Laß sie mit frommer Liebe ihrer denken, die meine Eltern waren in diesem vergänglichen Lichte, meiner Eltern, die zugleich mir Geschwister sind unter dir, dem Vater, in der Mutter der Kirche, und meine Mitbürger in der himmlischen Jerusalem, nach der dein Volk seufzet auf seiner Pilgrimschaft vom Ausgang bis zum Eingang. So wird meiner Mutter letzte Bitte an mich ihr reichlicher gewährt werden durch die Fürbitten Vieler, die durch meine Bekenntnisse dazu bewegt wurden, als sie ihr gewährt würde durch meine Bitten allein!

Zehntes Buch

Du schlugst mich brausend wie der Sturm den Strand,

Brachst mich in Trümmer, heiliger Zerstörer,

Du zeigst mich mir ein gnädiger Erhörer:

Du kommst die Flammenfackeln in der Hand.

Da liegt zerschellt des Stolzes Mauerwand,

Des Trotzes Turm, der Gotteshuld Verwehrer,

Des Irrthums Götzentempel und Ernährer,

Der Luft Altar, die mich als Opfer fand.

Ich bin erhellt von deinem hehren Schimmer,

Ich glühe auf in deinem reinen Licht,

Hin schmilzt es mich mit jeder meiner Trümmer.

Und neu gestaltet aus dem Feuer bricht

Der neue Mensch, dein Tempel nun und immer,

O du mein Leben, meine Zuversicht.

I.

Ich werde dich erkennen, mein Schöpfer; werde erkennen dich, wie auch ich erkannt bin. Deine Kraft gehe ein in meine Seele, gehe ein in sie und bereite sie dir, daß du sie habest ohne Flecken und besitzest ohne Falten. Das ist meine Hoffnung, darum rede ich, und in dieser Hoffnung freue ich mich, so oft ich wahre Freude habe. Was das Leben noch hat außer diesem. das ist um so weniger zu beweinen, ja mehr in ihm geweint wird, und um so mehr zu beweinen, je weniger, man in ihm weint. Denn siehe, du liebtest die Wahrheit, und wer sie thut, der kommt an’s Licht. Ich will sie von Herzen thun vor dir in meinen Bekenntnissen und vor vielen Zeugen mit diesen Worten.

II.

Und was wäre dir von mir unbekannt, auch wenn ich es nicht bekennen wollte, dir, vor dem der verborgene Grund unseres Bewußtseins offen liegt? Dich würde ich mir, nicht mich dir verbergen. Nun aber, wenn mein Seufzen sagt, wie ich mir misfalle, da leuchtest du mir entgegen, da gefällst du und wirst geliebet und verlangt, daß ich erröthe über mich selbst, und mich verwerfe und dich erwähle, und weder dir noch mir gefalle, wenn ich nicht wohlgefällig gemacht wurde durch dich. Dir also, Herr, bin ich offenbar, wie ich auch sein mag, und warum ich dieß dir bekenne, sprach ich aus. Denn nicht thue ich das mit fleischlichem Wort und leidlicher Stimme, sondern, mit der Seele Wort und mit der Gedanken Stimme, die du kennest; wenn ich böse bin, so sind mein Misfallen an mir und mein Bekennen vor dir eins; und wenn ich fromm bin, so ist mein Bekenntnis nur, daß ich mein Frommsein nicht mir zurechne; denn du, Herr, segnest den Gerechten, aber vorher machst du ihn dazu aus einem Ungerechten. Still, und doch schweigend nicht, ist daher mein Bekenntnis vor dir, o Herr, es schweiget dem Ohr und ruft so laut doch aus dem Herzen. Nichts kann ich Gutes den Menschen sagen, du habest es denn zuvor vernommen, und du hörst es nicht von mir, du habest es mir denn zuvor gesagt.

III.

Warum aber will ich auch die Menschen meine Bekenntnisse hören laßen, als wäre auch sie fähig, mich von allen meinen Schwächen zu heilen? Neugierig will ihr Geschlecht ein fremdes Leben kennen lernen, und ist so träge doch, sein eigenes zu beßern. Was wollen sie von mir denn hören, wer ich sei, wenn sie von dir nicht hören wollen, wer sie sind? Und woher sind sie denn gewis, daß, was sie durch mich über mich hören, auch nur wahr ist, da Niemand weiß, was im Menschen vorgeht, als der Geist des Menschen, der in ihm selbst ist? Wenn sie aber dich hören über sich, so werden sie nicht sagen können: der Herr lügt. Und was ist dich hören über sich Anderes, als sich selbst erkennen? Wer aber das Erkannte für falsch ausgibt, ist selbst ein Lügner. Weil jedoch die Liebe Alles glaubt, weil sie es hauptsächlich bei denen thut, die sie in ihren Bund vereint, so will auch ich, o Herr, meine Bekenntnisse vor dir den Menschen hörbar machen, und wenn ich ihnen auch nicht beweisen kann, daß ich Wahrheit rede, so werden mir doch diejenigen glauben, die mich in Liebe vernehmen. Aber du, Arzt meiner Seele, offenbare es mir, warum ich dieß thun soll. Wenn gelesen und gehört werden die Bekenntnisse meiner vergangenen Sünden, welche du vergeben und bedeckt hast, damit du mich selig machst in dir, und meine Seele umwandelst durch Glauben und Gnadenmittel – so erwecken sie das Herz, daß es nicht schlafe in Verzweiflung und sage: ich kann nicht, sondern erwache in der Liebe deines Erbarmens und in der Süßigkeit deiner Gnade, durch die der Schwache stark, durch die er seiner Schwäche sich bewußt wird. Und die Guten freuet, von meinem vergangenen Sünden zu hören, von denen sie schon frei sind, es freuet sie, nicht weil es Sünden sind, sondern weil sie es waren und nicht mehr sind. Zu welchem Nutzen aber, mein Gott, dem täglich mein Gewißen Bekenntnis ablegt – sicherer durch seine Hoffnung auf dein Erbarmen, als durch seine Unschuld – zu welchem Nutzen bekenne ich dir vor den Menschen auch mit diesen Worten, wer ich noch bin, nicht nur wer ich war? Denn jenen Nutzen sah und erwähnte ich. Aber was ich noch bin, jetzt eben in der Zeit meiner Bekenntnisse, das wollen Viele wißen, die mich kennen und nicht kennen, aber von mir hörten; aber ihr Ohr ist nicht an meinem Herzen, wo ich doch bin, ich mag sein, wie ich will. So wollen sie denn hören, was ich sei im inwendigen Menschen, zu dem ihr Auge, ihr Ohr und ihr Verstand nicht bringt, sie wollens im Glauben und werden sie’s erkennen? Ihnen sagt die Liebe, in der sie mir gut sind, ich lüge nicht, wenn ich über mich bekenne, und die Liebe selbst, die in ihnen ist, glaubt mir.

IV.

Aber zu welchem Nutzen wollen sie das? Wollen sie mir Glück wünschen, wenn sie vernehmen, wie ich zu dir komme durch deine Gnade; wollen sie beten für mich, wenn sie hören, wie sehr ich von meiner Last zurückgehalten werde? Ja, diesen will ich mich entdecken. Denn groß ist der Nutzen, o Herr, wenn Viele für uns danken und zu dir beten. Es liebe in mir des Bruders Seele, was du ihr Liebenswerthes zeigst, sie fühle Schmerz um mich, wo du ihr Schmerzendes in mir offenbarst. Nicht kann das eine fremde Seele, eines andern Vaters Kind thun; Solcher Mund redet Eitelkeit und Solcher Rechte häuft Unrecht; nur der Bruder kann es, welcher mein sich freut, wenn er meine Thaten billigt, und über mich trauert, wenn er sie misbilligt, weil er mich liebt, er mag mich loben oder tadeln. Solchen will ich mich entdecken, damit sie sich freuen meines Guten und trauen über mein Böses. Mein Gutes ist deine Schickung und dein Geschenk, mein Böses meine Fehle und dein Gericht; sie mögen freuen sich über jenes, und trauern über dieses, ja Loblied und Thränen mögen zu dir aufsteigen aus der Brüder Herzen, deinen Weihrauchschalen. Und du, Herr, der du mit Wohlgefallen annimmst deines Tempels süßen Geruch, erbarme dich mein, nach der Größe deines Erbarmens, um deines Namens willen. Der du nie aufgibst, was du begannest, mein Unvollendetes wollende du. Das ist die Frucht meiner Bekenntnisse, die nicht aussprechen was ich war, sondern was ich bin, daß ich es bekenne nicht nur vor dir in heimlichem Jubel mit Schrecken, in heimlicher Trauer mit Hoffnung, sondern auch vor den Ohren der glaubigen Menschenkinder, der Genoßen meiner Sterblichkeit, meiner Mitbürger und Mitwanderer, meiner Vorgänger und Nachfolger, der Gefährten meines Lebens. Deine Knechte sind sie und meine Brüder. Und du machtest sie zu deinen Söhnen und zu meinen Herren, denen ich dienen muß, wenn ich durch dich mit dir leben will. Von wenig Heil wäre mir dein ewiges Wort, wenn es mir nur geböte mit Worten, und nicht als mein Vorbild mir vorangienge. Ich will das thun mit Wort und That, aber ich thäte es in größter Gefahr, wenn unter dem Schatten deiner Flügel sich meine Seele dir nicht ergäbe, wenn dir meine Schwachheit nicht bekannt wäre. Wohl bin ich klein, aber mein Vater lebt immerdar und hat Macht, mich zu schirmen. Er selber ist’s, der mich schuf und schirmt. O du bist all mein Gut. Allmächtiger, der du mit mir bist, noch ehe ich mit dir bin. So will ich mich denn entdecken, welchen ich nach deinem Befehl dienen soll, nicht als den, der ich war, sondern als den, der ich schon bin und noch bin, aber mich selbst will ich nicht beurtheilen. Nur so will ich vernommen werden.

V.

Du allein, Herr, richtest mich; denn wenn auch Niemand weiß, was im Menschen ist, außer des Menschen Geist, der in ihm ist, so ist doch etwas im Menschen, das selbst der Geist nicht weiß, der in ihm ist. Du, Herr, der du ihn schufest, weißest Alles in ihm. Ich aber, obgleich ich vor dir mich verachte, der ich Staub und Asche bin, weiß doch etwas von dir, das ich von mir nicht weiß, ob wir auch jetzt dich nur durch einen Spiegel in Räthseln sehen, und noch nicht von Angesicht zu Angesicht. So lange ich hienieden als dein Fremdling walle, bin ich mir näher als dir und weiß doch von dir, du könnest auf keine Weise verletzt werden; ich aber weiß nicht von mir, welchen Versuchungen ich zu widerstehen vermag, und welchen nicht. Doch Hoffnung ist, du, Getreuer, werdest uns nicht versuchen laßen über unser Vermögen, und werdest machen, daß die Versuchung so ein Ende gewinne, daß wir sie ertragen können. Und so will ich bekennen, was ich von mir weiß, und will mich zu dem bekennen, was ich nicht von mir weiß, zu den verborgenen Schwächen und Fehlern, von denen ich noch nicht weiß, wie sie mich versuchen werden, und wie ich sie durch dich überwinden werde. Denn was ich von mir weiß, das weiß ich nur, wenn du mir leuchtest, und was ich nicht von mir weiß, das werde ich wißen, wenn einst meine Finsternisse werden, wie der Mittag vor deinem Angesichte.

VI.

Mein Bewußtsein bezeugt mir in fester Zuversicht, daß ich dich liebe, Herr, denn mit deinem Wort hast du mein Herz getroffen, da mußte ich dich lieben. Ja auch Himmel und Erde, und Alles was darin ist, siehe, sie sagen mir überall, ich soll dich lieben, sie sagen es ohne Aufhören Allen, also daß sie keine Entschuldigung haben. Und derer du dich erbarmt hast, ihrer wirst du dich weiter erbarmen, daß sie nicht taub bleiben, da Himmel und Erde dein Lob verkünden, daß sie dich fühlen in Liebe, du Leben ihres Lebens. Aber was liebe ich, wenn ich dich liebe? Nicht Körpergestalt, nicht zeitliche Schöne, nicht des Lichtes Glanz, der diesen Augen so freundlich ist, nicht das süße Tönen alles dessen, was da singt und klingt, den lieblichen Duft der Blumen nicht, und alles dessen, was ihn aushaucht, nicht Manna und Honig, nicht der Glieder Reiz, der die Umarmung empfängt. Das Alles liebe ich nicht, wenn ich, meinen Gott liebe, und liebe doch irgend ein Licht und eine Stimme, einen Duft und eine Speise, liebe eine Umarmung, wenn ich meinen Gott liebe, ihn, das Licht und die Stimme, den Duft, die Speise und die Umarmung meines innern Menschen; wo meiner Seele zustrahlt, was kein Raum erfaßt, wo ihr tönet, was in keiner Zeit verhallt, wo ihr duftet, was kein Lufthauch verweht, wo sie kostet, was durch kein Speisen vermindert wird, wo sie nimmer satt wird, zu liegen in der seligen Umarmung. Das liebe ich, wenn mein Gott liebe. Und was ist dieses? Ich fragte die Erde und sie sprach: ich bin es nicht, und Alles was auf ihr ist, hat mir dasselbe bekannt. Das Meer fragte ich und seine Gründe alle und belebten Wesen, und sie antworteten: wir sind nicht dein Gott, such’ ihn über uns. Ich fragte die wehenden Lüfte, und der Luftraum sprach mit allen seinen Bewohnern: Anaximenes irrt, ich bin nicht Gott. Den Himmel fragte ich, die Sonne, den Mond und die Sterne, und ihre Rede war: wir sind Gott nicht, den du suchst. Da sprach ich zu Allen, die sich darstellten meiner Augen Gesichtskreis: wohl sagtet ihr mir, ihr wäret nicht mein Gott; was ist es, das ihr von ihm mir sagen könnt? Und sie riefen zusammen Alle mit großer Stimme: er selber schuf uns! Und siehe, ihre Schönheit war ihre Antwort. – Da wendete ich mich zu mir und fragte mich: Du, was bist du? Und ich antwortete: ich bin ein Mensch aus Leib und aus Seele, die sind an mir das Aeußere und Innere. In was hier habe ich meinen Gott zu suchen, der ich mit meinem Leibe schon suchen gieng von der Erde bis zum Himmel, so weit ich senden konnte meine Boten, die Strahlen meiner Augen? aber höher steht mein innerer Mensch, denn der war der Herr jener Boten, er sandte sie, und vor sein Urtheil brachten sie der Antworten jede, die ihnen Himmel und Erde gaben, da sie sprachen: wir sind nicht Gott, aber er schuf uns. Das erfuhr der innere Mensch durch den Dienst des äußern; ich, ich die Seele erkannte das durch die leiblichen Sinne. Die ganze Welt fragte ich über meinen Gott und sie hat mir geantwortet: ich bin er nicht, aber er selbst hat mich bereitet. Und derselbe Anblick wird Allen, denen gesunde Sinne wurden, und doch nicht Alle vernehmen die hohe Runde. Die Thiere alle, die kleinen und großen, sehen dasselbe und vermögen doch nicht zu fragen, denn ihre Boten, die Sinne, haben keine Vernunft, die sie sendet und ihre Antwort beurtheilt. Die Menschen aber vermögen zu fragen, damit Gottes unsichtbares Wesen von ihnen erkannt werde durch die leibliche Schöpfung. Aber sie werfen ihre Liebe nur auf diese und werden ihr unterthan, und in ihrer Unterwerfung vermögen auch sie nicht, jene hohe Runde zu beurtheilen; denn die Körperwelt steht denen nur Antwort, die mit des befreiten Geistes Urtheil forschen. Und doch spricht die Körperwelt keine verschiedenartige Sprache, sie hat verschiedenerlei Gestalt, so daß der gedankenlos und der im Geiste fragende Verschiedenes schaute und sie dem Einen so, dem Andern anders erschiene. Sie ist dieselbe überall, aber Jenen ist sie stumm, zu Diesem redet sie: ja sie redet zum Allen, aber die nur vernehmen ihre Sprache, welche sie mit der urtheilenden Wahrheit vergleichen, die in ihnen selber spricht. Denn diese Wahrheit sagt mir: weder Himmel noch Erde, noch alles Leibliche sind dein Gott. Das sagt ihre Natur dem Schauenden, und sie ist nur Körpermasse, kleiner im Einzelnen als im Ganzen. Schon du bist höher, meine Seele, denn du belebst deine Körpermasse, du reichst ihr das Leben, was kein Körper kann dem Körper reichen; dein Gott aber, meine Seele, ist das Leben deines Lebens, der es belebt, der es dir erhält.

VII.

Was liebe ich denn nun, wenn ich meinen Gott liebe? Was ist er hoch über meiner Seele? Durch meine Seele selbst steige ich zu ihm empor. aber ich muß über jene Seelenkraft hinaus, durch die ich an meinem Leibe hange und ihn belebend erfülle. Fände ich ihn mit dieser, so fände ihn auch Ross und Maulthier, die wie ich jene Kraft, nur ihnen nicht bewußt, haben. Es ist noch eine andere Kraft in mir, durch welche ich meinen Leib nicht nur belebe, sondern lenke an dem Bande seiner Sinne; darum wies Gott jedem meiner Sinne seine eigene Verrichtung an, dem Auge gebietend, nicht zu hören, und dem Ohr gebietend, nicht zu sehen, sondern jenem das Gesicht, diesem das Gehör. Und wie Verschiedenartiges ich durch die Sinne auch thue, doch bin ich dabei immer ein und dieselbe Seele. Doch auch über diese Seelenkraft muß ich hinaus, wenn ich meinen Gott erkennen will, denn auch dem Ross und Maulthier ist sie gegeben, auch sie führen ein fühlendes Leben durch das Band ihrer leiblichen Sinne.

VIII.

Ueber die Sinnlichkeit erhob ich mich auf meinem Wege zu Gott, und komme nun in die weiten Paläste meines Gedächtnisses, wo der Schatz unzähliger Bilder aufgehäuft liegt, die aller Art durch die Sinne eingezogen. Dort ist aufbewahrt, was wir je gedacht; bald ist es mehr, bald weniger als das, was die Sinne vernahmen und in vielfach wechselnder Gestalt, indem die Seele selbst dazu oder davonthat oder änderte. So ist alles, was da eingegangen und aufbewahrt ist, wenn es von der Vergeßlichkeit nicht verzehrt und bestattet wurde. Von dort aus kann ich, so lang ich bin, Befehl thun, daß hervortrete, was ich will. Manches tritt sogleich vor, Manches nach längerem Suchen; Anderes muß ich erst aus dem verworrenen sich mir Darbietenden auslesen; wieder Anders stürzt sich geschaart heraus; während etwas ganz Anderes verlangt und gesucht wird, springt es auf den Plan und ruft: ich bin auch noch da! Da weise ich es mit meiner geistigen Hand zurück aus dem Blick meiner Erinnerung, bis sich enthüllt was ich will, und aus der Verborgenheit vor die innern Augen tritt. Vieles stellt sich leicht in ununterbrochener Reihe auf, sobald es gefordert wird. Das Frühere weicht dem Späteren und verbirgt sich um neu vorzutreten, wenn ich ihm rufe. Das Alles geschieht, so oft ich etwas aus dem Gedächtniß erzähle. Dort liegt Alles nach seiner Gattung geordnet aufbehalten, jedes fand seinen eigenen Weg herein: durch die Augen fand ihn das Licht sammt allen Farben und körperlichen Gestalten, durch die Ohren alles was schallt, durch die Nase jeglicher Duft, durch den Mund jeder Geschmack, durch das im ganzen Körper verbreitete Gefühl das Harte und Weiche, das Warme und Kalte, das Gelinde und Herbe, das Schwere und Leichte, sowohl im Geistigen als im Leiblichen. Das Alles nimmt der große Sammelort des Gedächtnisses in Wohnung und zum Herausholen; ich weiß nicht, in welche geheime, unerforschliche Kammer geht es durch seine besonderen Pforten ein und wird dort zurecht gelegt. Aber nicht die Dinge selbst gehen ein, nur ihre Bilder sind dort den Gedanken des sich Erinnernden gegenwärtig. Wer kann es aussprechen, wie diese Bilder gemacht wurden, da nur offenbar ist, durch welche Sinnen sie aufgefangen und im Innern niedergelegt wurden. Denn selbst in der schweigenden Nacht ruft mein Gedächtniss die Farben herauf, unterscheide ich zwischen Weiß, Schwarz und allen andern. Und die rauschenden Töne verwirren nicht, was ich mit den innern Augen heraufhole, obgleich sie selbst auch dort sind in besonderem Bergungsort. Ich rufe sie und sie sind da, und ich singe sie lautlos im Geist. Auch sie werden von Farben-und Gestaltenbildern nicht gestört, denn dort hat Alles seine eigene Schatzkammer. So ist’s mit Allem, was durch die Sinne eingegangen, sein erinnere ich mich, wenn ich will, unterscheide Lilien- und Veilchenduft und rieche doch nichts, Honig und Most, Süßes und Saures und schmecke doch nichts.

Innerlich thu ich’s am großen Hof meines Gedächtnisses. Dort sind mit Himmel, Erde und Meer zu Gebot, sammt Allem was ich in ihm fand, mit Ausnahme dessen, was ich vergaß. Auch mir selbst begegne ich hier und wiederhole mich selbst mit Allem, was ich that, sammt Zeiten und Raum darin ich’s that, und der Stimmung, die ich damals hatte. Dort ist Alles, was ich selbst erfuhr oder Andern glaubte. Aus derselben Schatzkammer vergegenwärtige ich mir die Bilder des Erfahrenen und Geglaubten und verbinde sie mit einander, ja selbst mit künftigen Thaten, Hoffnungen und Erfolg. Ich will Dieses oder Jenes thun, so sprach ich zu mir inmitten der unermeßlichen Bilderheere meiner Seele und es muß geschehen. Ach, daß es schon wäre! Ach, daß Gott es abwende! Und während ich so zu mir rede, ist Alles da, aus dem Gedächtnißschatz, von dem ich rede, nur das nicht, von dem ich rede.

Ja, mein Gott, unendlich groß ist das Reich des Gedächtnisses, dieß geheimnißvolle Heiligthum. Wer kommt zu seinem Grunde? Es ist eine Kraft meiner Seele und gehört meiner Natur an und doch faß’ ich nicht ganz, was ich bin. Zu eng ist die Seele um sich selbst zu erfaßen. Wo ist, was sie nicht erfaßt? Ist es außer ihr, nicht in ihr? Auf welche Weise ist es ihr unerfaßlich? Deß wundere ich mich mit Staunen. Da ziehen die Menschen hin, um zu bewundern der Berge Höhe, des Meeres mächtige Wogen, der Ströme weiten Fall, des Ozeans und des Sternenkreises Weiten und verlassen sich selbst und staunen nicht, daß ich alles das, von dem ich sprach, nicht mit den Augen sah, und doch nur von Bergen, Wogen, von Strömen und Gestirnen sprach, die ich gesehen und vom Weltmeere, daß ich nie gesehn und schaute das Alles im ungeheuren Raum meines Gedächtnisses, als wäre es mir vor die Augen getreten, und doch haben es meine Augen nicht aufgezehrt und verschlungen, als sie es einst gesehen. Die Dinge sind nicht selbst in mir nur ihre Bilder sind in mir, und bewußt ist mir, durch welchen Sinn meines Körpers sie in mich eingezogen.

IX.

Mit noch mehr trägt sich die unermeßliche Faßungskraft unseres Gedächtnisses. In ihm ist auch Alles, was auch von erlernten Wissenschaften behielt, in einem Raum bewahrt, der doch kein Raum ist, und die habe ich selbst in mir, nicht nur ihre Bilder. Denn was ich an Wortvorrath, an Disputirkunst und gelehrten Untersuchungen weiß, ist darin nach Grad meines Wißens; nicht als ob ich die Sache selbst draußen gelaßen und nur ihr Bild in mich aufgenommen hätte. Was mir je getönt, tönt mir wieder ohne Ton, wie der Wind verwehte Duft von meinem Gedächtnis noch gerochen wird, wie die längst verdaute Speise dem Gedächtnis noch nachmundet, wie was ich Körperliches berührte auch fern von mir Gedächtnis berührt wird. Nicht jene Dinge selbst, nur ihre Bilder werden wunderbar schnell vom Gedächtnis ergriffen, in wunderbaren Zellen aufgehoben und wunderbarlich durch Erinnerung herausgeholt.

X.

Ich höre dreierlei gelehrte Fragen: ob etwas sei, was es sei und welcher Art es sei. Der Worte Schall zwar, von dem ich hier erlernte, prüfte und ergründete, ist verhallt, die Sache selbst aber ist mir geblieben. Sage mir, wer es kann, wie das in mich eingieng? Ich frage an allen Pforten meiner leiblichen Sinne, und sie sagten es nicht; denn das schallende oder gelesene Wort waren diese Dinge nicht selbst; und da ich sie lernte, glaubte ich keinem Fremden, in mir selbst erkannte ich, was wahr gewesen, und behielt es in mir, daß ich es vortrüge, wann ich wollte. Wohl war es da, ehe ich es lernte, aber nicht in meinem Gedächtnis. Wo war es, und wie lernte ich es und hielt es für wahr, noch ehe es in meinem Gedächtnis gewesen? Aus einem andern, verborgenen Schatz wurde es mir angeboten; wäre das nicht, ich hätte nicht vermocht es zu denken.

XI.

Lernen wir jene Gegenstände, so schöpfen wir nicht ihre Bilder ein, sondern sehen sie selbst, wie sie sind, in uns. Was aber allmählich und ungeordnet das Gedächtnis enthielt, das sammeln wir durch Nachdenken und verarbeiten es, als etwas, das uns im Gedächtnis zur Hand ist, wo es zerstreut und vernachläßigt lag und nun leicht dem wohlbewanderten Suchen entgegenkommt. Wie viel der Art trägt mein Gedächtnis was schon aufgespürt und, wie gesagt, mir zur Hand ist, wovon man sagt, wie hätten es eingelernt. Aber wenn ich das Erlernte nach einem Zwischenraum der Zeit wieder hervorrufen will, so weicht es wieder in einem tiefer verborgenen Ort zurück, so daß es von Neuem wieder denken, aus seiner Tiefe und Zerstreuung holen und sammeln muß.

XII.

Ebenso enthält mein Gedächtnis Zahl und Maas von allem und auch das kommt nicht in mich durch leibliche Sinne, hat nicht Farbe und Ton, nicht Geruch und Geschmack und läßt sich nicht betasten. Mit Worten wurde es mir erklärt, aber Wort und Sinn war nicht das Gleiche, denn jene töne anders in griechischer, anders in lateinischer Sprache, der Sinn aber ist weder griechisch, noch lateinisch, noch einer andern Sprache. So sah ich auch die Linien der Künstler, oft zart, wie Spinngewebe hingezeichnet. Aber jene Linien der Mathematiker sind in meinem Gedächtnis nicht nur Bilder sinnlich wahrnehmbarer Linien, wie diese, die man auch ohne Nachdenken in sich aufnimmt. Und denk ich vollends der unbenannten Zahlen, die kein Körperliches zählen und meßen, so sind sie, was sie sind, an sich schon, ohne alles Bild. Mag mich verlachen, wer sie nie gesehen, er dauert mich.

XIII.

Das Alles behalte ich im Gedächtnis, sammt der Weise, in der ich es erlernt. Auch viel Irrthümliches habe ich darüber gehört und behalten. Aber ob es gleich falsch ist, so ist doch sein Behalten nicht falsch. Und auch das behielt ich, daß ich jenes Falsche mit Wahrheit aufhellte, ganz anders unterschiede ich es jetzt, als damals, da ich erst den Unterschied aufsuchte und mein Gedächtnis sagt mir von beidem. Ich erinnere mich dessen, was ich einst erlernt, nehme in mein Gedächtnis auf, was ich jetzt lerne, damit ich mich in Zukunft seiner erinnere. Ich erinnere mich meines früheren Erinnerns, so wie ich das nicht zu Herzen nehmen werde, dessen ich mich jetzt erinnere.

XIV.

Auch die Gefühle meiner Seele sind mir im Gedächtnis geliebten, aber nicht, wie sie die Seele empfand, während sie von ihr empfangen wurden. Ich erinnere mich ohne Freude empfangener Freuden und ohne Trauer empfundener Traurigkeit; ohne Furcht bin ich gefühlter Furcht, ohne Begierde früherer Begierde eingedenk. Ja ich denke an manche Trauer mit Freude und an manche Freude mit Trauer.

Bei den Leiden und Freuden des Körpers wäre dieß nicht zu verwundern, denn er ist etwas anderes als die Seele, und das Gedächtnis ist nur Sache der Seele. Aber der Schmerz trifft auch die Seele, wie wandelt ihn das Gedächtnis nun in Freude? Ich möchte es, selbst wenn das Bild lächerlich wäre, ich möchte es den Magen der Seele, Schmerz und Freude seine bittere und süße Speise nennen. Werden die nun im Gedächtnis aufbewahrt, so können sie in ihm nicht mehr den Geschmack haben, den sie nur hatten, während sie gekostet wurden, und so ist ihr Geschmack dahin, auch wenn das Gedächtnis sie wieder heraufbringt. So werde ich denn auch von jenen Gemüthserschütterung, von Begierde und Lust, Furcht und Trauer nicht mehr erschüttert, wenn ich sie aus meinem Gedächtnis zurückrufe.

XV.

Und vom Gedächtnis rede ich, wenn ich von den vier Bewegungen der Seele spreche, von der Begierde, Freude, Furcht und Traurigkeit; wenn ich sie nach ihren Eigenthümlichkeiten von einander trenne, so kann ich das Gedächtnis. Ihre Bewegungen erfaßen mich nicht mit ihrer Unruhe, wenn ich mich ihrer erinnere und doch wecke ich sie aus der Ruhe, in der sie im Schatzhause des Gedächtnis lagen. Sie stoßen mir daraus auf, wie die Speisen aus dem Magen, aber der Freude fehlt nun ihre Süßigkeit und der Trauer ihrer Bitterkeit. Ist das darum unähnlich, weil es nicht allerwegs ähnlich ist? Wer möchte über etwas Trauriges und Furchtbares reden, wenn er dadurch jedesmal mit Trauer und Furcht erfüllt würde? Und doch redeten wir nicht darüber, wenn wir nur die Bilder körperlicher Eindrücke und nicht auch die Begriffe fänden, die wir durch keine Sinnenpforte empfiengen. Die Seele selbst hat sie in ihrem Leidensgefühl dem Gedächtnis eingepflanzt, oder das Gedächtnis hat sie behalten, ohne solche Einpflanzung.

Aber wer mag leicht behaupten, ob das Gedächtnis die Vorstellung der Bilder sei oder nicht? Ich nenne einen Stein, oder die Sonne da diese selbst nicht vor meine Sinne treten und nur ihre Bilder dem Gedächtnis sich stellen. Einem Körperschmerz nenne ich, während nichts von ihm da ist, und mir nichts weh thut. Wäre aber sein Bild nicht in meinem Gedächtnis, so könnte ich ihn in meiner Aussage nicht von der Lust unterscheiden, wüßte gar nicht, was ich sagte. Ich nenne ein körperliches Behagen, während mir wohl ist. Da ist mir die Sache selber gegenwärtig, aber wäre ihr Bild nicht in mein Gedächtnis, so würde ich mich nicht erinnern, was das Wort bedeutet, mir dem ich diesen Zustand benenne. Auch die Kranken würden, wenn man ihnen vom Wohlbefinden spräche, nicht verstehen, was des Wortes Sinn ist, wenn nicht, troz ihres Uebelbefindens, die Vorstellung des Wohlbefindens in ihrem Gedächtnis lebte. Nenne ich die Zahlen, mit welchen wir zählen, sie selbst, nicht ihr Bild, sind in meinem Gedächtnis. Rede ich von der Vorstellung der Sonne, so ist diese Vorstellung in meinem Gedächtnis, ich aber meine nicht die Vorstellung von dieser Vorstellung, sondern sie, die Vorstellung, selbst, sie schwebt mir vor. Ebenso nenne ich das Gedächtnis und erkenne, was ich nenne. Erkenne ich es wo anders, als im Gedächtnis selbst? Nur seine Vorstellung ist mir gegenwärtig, nicht es selbst.

XVI.

Erkenne ich, was ich nenne, wenn ich die Vergeßenheit nenne? Woher würde ich erkennen, wenn ich mich erinnerte? Ich rede nicht vom Wort, sondern von dem Gegenstande, den es bezeichnet; hätte ich den vergeßen, was sollte mir das Wort? Nenne ich das Gedächtnis, so ist es selbst von mir, nenne ich die Vergeßenheit, so sind Gedächtnis und Vergeßenheit vor mir, das Gedächtnis, durch das ich mich erinnere, die Vergeßenheit an die ich mich erinnere. Aber was ist Vergeßenheit als Beraubung des Gedächtnisses? Wie kann sie da sein um mich an sie zu erinnern, da ich mich nicht erinnern kann, wenn sie da ist? Wenn wir das, dessen wir uns erinnern, im Gedächtnis behalten, so wird auch die Vergeßenheit im Gedächtnis behalten, wenn ihr Nennen nicht sinnloser Schall sein soll. Sie ist also da, damit wir sie nicht vergeßen, während wir vergeßen, wenn sie da ist. Ist sie vielleicht nicht selbst da, sondern nur ihre Vorstellung? Wäre sie selber da, so würden sie bewirken, daß wir sie vergäßen und nicht, daß wir uns ihrer erinnerten. Wer vermag das zu erforschen, wer kann begreifen, wie es damit zugeht?

Ich mach mir, o Herr, Arbeit in mir selber, bin mir der Acker voll vom Schweiß der Mühsal. Nicht gilt es jetzt des Himmels Zonen zu erkunden und die Sternenräume zu messen, noch der Erde Gewicht zu erwägen, ich bins der sich seiner erinnert, ich die Seele. Es ist nicht zu verwundern, wenn das mir fern ist, was ich nicht selbst bin; aber was ist mir näher als ich selbst? Und meines Gedächtnisses Macht wird nicht von mir begriffen und ich bin doch selbst nicht außer ihm. Was soll ich sagen, wenn mir gewiß ist, ich erinnere mich meiner Vergeßenheit? Soll ich sagen, das, dessen ich mich erinnere, sei nicht in meinem Gedächtnis? Oder die Vergeßenheit sei darum in meinem Gedächtnis, damit ich nicht vergeße? Beides ist ganz sinnlos. Oder gilt es Drittes? Soll ich sagen, nicht die Vergeßenheit, nur die Vorstellung von ihr werde von meinem Gedächtnis behalten? Aber das Bild einer Sache kann sich nur als ihr Abbild einprägen, vor ihm muß sie selbst da sein. So erinnere ich mich Karthagos und aller meiner Wohnorte, so der Menschengestalten, die ich sah und alles sinnlich Wahrnehmbaren, so selbst des Wohl- und Uebelbefindens meines Leibes. Das Alles ließ seine Vorstellung dem Gedächtnis, nur diese rief ich hervor, statt der abwesenden Dinge selbst. So mußte also die Vergeßenheit selbst sich vergegenwärtigen, wenn ihre Vorstellung im Gedächtnis stattfand. Wie konnte sie aber ihr Bild in’s Gedächtnis zeichnen, während sie doch alles darin Verzeichnete auslöscht, sobald sie auftritt? So unbegreifliches es ist, ich bin gewiß, daß ich mich auch der Vergeßenheit erinnere, die alles auslöscht, wessen ich mich erinnere.

XVII.

Eine große Kraft ist das Gedächtnis, mein Gott, voll unergründlicher, unzähliger Fälle, und so ist meine Seele, und so bin ich selbst. Was bin ich also, mein Gott, und welche Natur bin ich? Ein unaussprechlich vielfaches Leben bin ich. Siehe in den unzähligen Gefilden und Gründen meines Gedächtnisses die Arten unzähliger Dinge, mögen sie in mich gekommen sein als Bilder, wie sie von der Körperwelt kommen, oder als die Sachen selbst, wie bei den Wissenschaften, oder gar unergründlich, wie bei den Gefühlen der Seele! Durch das Alles bewege ich mich und finde das Ende nicht. Solche Lebenskraft ist das Gedächtnis im sterblicher Menschen! Und auch über sie muß ich mich erheben, wenn ich zu dir gelangen will, zu dir, mein süßes Licht, denn durch meine Seele hindurch muß ich zu dir, der du über ihr bleibest, der ich dich erreichen will, wo du erreichbar bist und dir anhangen um an dir zu bleiben. Denn auch die Thiere haben Gedächtnis – wie könnten sie sonst ihre Lager und Nester wiederfinden – und finden dich nicht; du aber erhebst mich über sie, du machtest mich weiser als sie. Aber wo finde ich dich nun, meine Friedenswonne? Wo find ich dich? Wenn ich dich außerhalb meines Gedächtnisses finde, vergeß ich dich und wie soll ich dich finden, wenn ich dein vergaß?

XVIII.

Jenes Weib verlor ihren Groschen und suchte ihn mit der Leuchte; wäre er ihr nicht im Gedächtnis gewesen, so hätte sie ihn nicht gefunden. Und hätte sie ihn gefunden, so hätte sie nicht gewußt, daß er es war. Auch ich suchte und fand schon viel Verlorenes.

Als man mir, dem Suchenden, Verschiedenes mit der Frage zeigte: ist es das? verneinte ich es bis ich gefunden hatte, was ich suchte. Hätte ich mich seiner nicht erinnert, so hätte ich es, selbst wenn man mir es gezeigt hätte, nicht gefunden, denn ich hätte es ja nicht erkannt. Aber was aus den Augen schwindet, das schwindet nicht aus dem Gedächtnis, im Innern ruht sein Bild und wird gesucht, bis es geschaut wird, gleich einem sichtbar Körperlichen und aus dem Bild wirds erlernt, das in meinem Innern ist. Verlorenes halten wir nur für gefunden, wenn wir es erkennen und erkennen es nicht ohne Erinnerung, wohl aus den Augen wars, doch nicht aus dem Gedächtnis.

XIX.

Selbst wenn das Gedächtnis etwas verliert, wie das geschieht durch Vergeßen, so können wir es nun darum suchen, damit wir uns sein wieder erinnern. Wir suchen es also allein im Gedächtnis. Mag uns Eins ums Andere darauf hervortreten, wir verwerfen es, bis das uns entgegentritt, was wir suchen und nun sprechen wir: das ist es! was wir nicht sagen würden, wenn wir es nicht erkennten und was wir nicht erkennen würden, wenn wir uns seiner nicht erinnerten. Wir hatten es also zuverläßig vergeßen gehabt. Oder war es uns nicht ganz ausgefallen? War etwas daran geblieben, bei dem man nach dem Uebrigen fragen konnte? Denn das Gedächtnis merkt wohl, daß nicht alles zumal und zugleich in sich in Bewegung setzt, was es zusammt in sich hat, daß es damit nur zeitweisen, oberflächlichen Umgang pflegt, bis es nach dem wieder verlangt, was ihm fehlt. So können wir den Namen eines an- oder abwesenden Menschen vergeßen haben und werden nun alle Namen, die uns über ihn einfallen, abweisen, bis der uns aufkommt, mit dem wir an ihn zu denken pflegten. Und woher kommt er, als aus dem Gedächtnis? Selbst dann kommt er daraus, wenn ihn uns ein Anderer sagt. Diesem glauben wir nichts Neues, sondern unsere Erinnerung bejaht, was er spricht. Wäre der Name im Gedächtnis ganz erloschen, wir erinnerten uns seiner nicht, wie oft man ihn uns auch sage. Wir müßen uns ja erinnern, daß wir ihn vergeßen haben und nichts ganz Vergeßens werden wir ja wieder suchen können.

XX.

Wie nun such ich dich, Herr? Wenn ich meinen Gott suche, so suche ich das selige Leben. Ich will dich suchen, auf daß meine Seele lebe, denn mein Leib lebt durch meine Seele, sie aber lebt durch dich. Wie soll ich suchen das selige Leben? Noch habe ich nicht, daß ich sagen könnte: es ist genug, noch muß ich es suchen durch Erinnerung, als hätte ich es vergeßen und wüßte noch, daß ich es vergaß? Oder soll ich es suchen, nach ihm verlangend als einem noch Unbekannten, von dem ich noch nie wußte, oder das ich so ganz vergaß, daß ich nicht einmal mehr weiß, ich habe sein vergeßen? Ist es nicht ein seliges Leben, was Alle wollen, und ist wirklich Keiner, der nicht wollte? Woher kennen sie es, daß sie alle so nach ihm verlangen? Wo sahen sie es, daß sie es lieben? Wir haben es, ich weiß nicht wie. Aber verschieden ist die Weise, in der Jeder glücklich ist, wenn er es hat. Und es gibt welche, die in der Hoffnung glücklich sind. Sie haben es in niedererem Grade, als diejenigen, welche schon glücklich im Besitze sind, und doch sind sie beßer daran, als solche, die wieder sein Besitz noch seine Hoffnung beglückt. Und hätten diese gar nichts von Glückseligkeit je beseßen, so wollten sie nicht so glücklich sein, wie sie es waren, was sie doch zuverläßig wollen. Wie lernten nun sie es kennen? Sie haben es durch irgend eine Kunde, und ist diese nicht in ihrem Gedächtnis? Ist sie in ihm, so waren wir schon einmal glücklich. Waren das alle Einzelnenen schon, oder waren sie es in dem Menschen, welcher der erste Sünder war, in welchem wir Alle gestorben sind, aus dem wir Alle im Elend geboren wurden. Wenn ich das auch jetzt nicht frage, so frag ich doch, ob uns das selige Leben im Gedächtnis sei. Wir liebten es ja nicht, wenn wir nichts von ihm wüßten. Wir hören das Wort und bekennen, daß wir Alle die Sache selbst verlangen, denn nicht am Worte finden wir die Freude. Hört es der Grieche latein aussprechen, so freut es ihn nicht, denn er versteht das ihm fremde Wort nicht. Wir Lateiner freuen und dann, wie sich der Grieche freuen würde, wenn er das Wort in seiner Sprach hörte. Der Gegenstand selbst ist ja weder lateinisch, noch griechisch. Könnte man alle Menschen und Völker in einer Sprache: wollet ihr selig werden? Sie würden alle antworten: wir wollen! Die Seligkeit selbst also, nicht ihr Name nur, ist in Aller Gedächtnis.

XXI.

Ist es mit diesem Gedächtnis, wie mit dem Gedächtnis einer Stadt, die man gesehen? So ist es nicht; das selige Leben wird nicht gesehen, es ist nicht körperlich. Ist es, wie mit dem Gedächtnis der Zahlen? Nein, wer dieses hat, der hat die Zahlen selbst und braucht sie nicht erst zu verlangen; vom seligen Leben aber haben wir Kunde, darum lieben wir es, und doch sehen wir uns erst, seine Wonne zu erreichen. Ist es damit, wie mit der Erinnerung der Beredsamkeit? Nein, wenn auch Manche, welche noch nicht selbst beredet sind, es zu werden wünschen, so liegt zwar Erinnerung von Beredsamkeit in ihnen, jedoch von einer gehörten fremden; das selige Leben aber sehen wir nicht durch leibliche Sinne im Besitze Anderer. Ist es damit, wie mit dem Gedächtnis der Freude? Vielleicht ist es so. Denn meiner Freude Gedächtnis bleibt mir auch in meiner Trauer, wie das seligen Lebens in meinem Elend. Denn nie habe ich mit einem leiblichen Sinn meine Freude selbst gesehen, gehört, gerochen, geschmeckt und betastet, sondern das war Erfahrung meiner Seele, dessen mein Gedächtnis eingedenk ist, so daß ich mich sein mit Geringschätzung oder Sehnsucht erinnere nach seinem Werth. Denn auch die schändlichen Genüße durchdringen mich mit einer Freude, deren Erinnerung ich jetzt verwerfe und verwünsche, der edlen Freuden aber denk ich mit Trauer darüber, daß sie nicht mehr sind. Aber wann und wo erfuhr ich von meinem seligen Leben, daß ich sein gedenke, daß ich es liebe und sein begehre? Und so Alle, wie ich nicht ich allein, nicht nur Wenige mit mir. Und kennten sie’s nicht, so wollten sie es nicht. Zwar, wenn man zwei Menschen fragte, ob sie Kämpfer werden wollten im Kriege, so könnte der eine es wollen, der andere nicht, und doch wollten beide dasselbe, beide wollten Glück, der Eine im Kampf, der Andere ohne Kampf. So mögen die Menschen auf verschiedenen Wegen ihre Freunden suchen, alle stimmen doch darin überein, daß sie Freude wollen, und nennen ihre Freude ihre Glückseligkeit. Mögen sie dieselbe von hierher, oder von dorther erreichen, sie wollen Alle doch zum gleichen Ziel, zur Freude. Und weil sie im Gedächtnis liegt und aus ihm erkannt wird, so oft man sie nennt, so kann Keiner sagen, ich kenne sie nicht.

XXII.

Lerne sei es, Herr, ferne sei es von dem Herzen deines Knechts, der dir bekennt, ferne sei es, daß ich in jeder Freude, der ich mich freue, mich für glückselig halte. Denn eine Freude gibts, die kein Gottloser empfängt, aber die empfangen sie, die dich ehren, ohne es sich zum Verdienst anzurechnen, und ihre Freude bist du. Das selige Leben ist, sich freuen nach dir, aus dir und deinetwegen, und kein selig Leben gibt es außer diesem. Die ein anderes dafür halten, suchen auch andere Freude, aber sie ist nicht wahre Freude; nach irgend einem Freudenbild wendet sich doch ihr Willen.

XXIII.

So ist es also nicht erwiesen, daß alle glückselig zu sein wünschen, da ja Alle, welche sich nicht dein freuen wollen, der allein das selige Leben ist, das selige Leben gar nicht verlangen? Oder, ist es dennoch so, wollen es Alle? – Wohl, weil das Fleisch gelüstet wider den Geist und den Geist wider das Fleisch – also daß sich nicht thun, was sie wollen, so fallen sie in das, zu dem sie vermögend sind, und sind mit ihm zufrieden, weil sie das, zu dem sie nicht vermögend sind, nicht so weit wollen, daß es sie vermögend machte. Denn ich fragte Alle, ob sie nicht lieber sich der Wahrheit als des Irrthums freuen wollen? Und sie werden so wenig anstehen, sich zur Freude an der Wahrheit zu bekennen, als sie anstehen, zu bekennen, sie wollen sich des seligen Lebens freuen; denn das selige Leben ist Freude an der Wahrheit, und das ist die Freude aus dir, der du die Wahrheit bist, Herr, mein Licht, meines Angesichtes Heil, mein Gott. Dieß selige Leben wollen Alle, dieß Leben, das allein selig ist, wollen Alle; die Freude, die aus der Wahrheit kommt, wollen Alle! Ich lernte zwar Viele kennen, die betrügen wollten, aber kein Einzigen, der betrogen werden wollte. So lieben auch sie das selige Leben, das nur aus der Wahrheit zu erkennen ist, die sie lieben, weil sie nicht betrogen werden wollen. Und die Wahrheit liebten sie nicht, wäre ihrem Gedächtnis nicht Kunde von ihr geliebten. Warum aber freuen sie sich ihrer nicht, warum sind sie nicht glückselig? Weil sie mächtiger von andern Dingen befangen werden, die sie elend machen, da sie sich dessen, was sie glückselig macht, nur schwach erinnern. Denn noch ist ein schwacher Lichtschein in den Menschen; sie mögen eilen, eilen, daß sie die Finsternis nicht ergreife. – Warum aber zeugt die Wahrheit den Haß, warum behandeln sie als Feind den Mann, der ihnen die Wahrheit verkündigt, wenn doch das ewige Leben geliebt wird und dieß nichts Anders ist, als die Freude an der Wahrheit? Weil sie die Wahrheit also lieben, daß sie nur das, was sie lieben, für Wahrheit gehalten wißen wollen; und weil, die nicht betrogen werden wollen, sich doch selbst nicht wollen überweisen laßen, daß sie falsch sind. Wegen dessen, was sie für Wahrheit halten, haßen sie die Wahrheit. Sie lieben ihr Licht und haßen sie, wenn sie von ihr an’s Licht gebracht und überwiesen werden. Denn weil sie nicht betrogen werden wollen, und doch selbst betrügen wollen, so lieben sie die Wahrheit, wenn sie sich offenbart, und haßen sie, wenn sie selbst vor ihr geoffenbart werden. Und deswegen wird sie ihnen damit vergelten, daß sie wider ihren Willen sie offenbar macht, und sich selbst ihnen doch nicht offenbart. So, auch so will die blinde und schlafsüchtige, die sündliche und schmachvolle Seele verborgen bleiben, und will doch nicht, daß vor ihr etwas verborgen bleibe. Aber es wird ihr vergolten werden, daß sie vor der Wahrheit nicht verborgen bleibe, sondern die Wahrheit vor ihr. Und doch auch, wenn sie so elend ist will sie lieber sich des Wahren freuen, als des Falschen. Und darum wird sie nur selig sein, wenn sich kein selbstverschuldetes, lastendes Hindernis entgegen stellt, da sie sich freuen will allein an der Wahrheit, durch welche Alles wahr ist.

XXIV.

Siehe, Herr, wie weit ich mich immer nur in meinem Gedächtnis ergangen habe, da ich dich suchte und dich doch nicht außer ihm fand. Denn ich fand nichts von dir, dessen ich mich nicht erinnert hätte, seit ich dich lerne; seit ich dich ja lerne, habe ich dein nicht vergeßen. Und wo ich die Wahrheit fand, da fand ich meinem Gott, die Wahrheit selbst, die ich, seit ich lerne, nie vergaß. Darum, seit ich dich lerne, bleibst du in meinem Gedächtnis, und da finde ich dich, wenn ich dein gedenke und mich dein erfreue. Das sind meine heiligen Wonnen, die du mir schenktest durch dein Erbarmen, weil du ansahest meine Armut.

XXV.

Aber, o Herr, wo weilest du in meinem Gedächtnis? Welch ein Lager hast du dir darin bereitet, welch ein Heiligthum dir in ihm erbaut? Du hast mein Gedächtnis gewürdigt, in ihm zu weilen, aber in welchem Theile desselben du weilest, möchte ich erfahren. Dein gedenkend durchgieng ich den niedern Raum der Erinnerung, welchen auch die Thiere besitzen; und als ich dich, unter den Bildern der leiblichen Dinge, nicht fand, wandte ich mich dahin wo ich die Empfindungen meiner Seele aufbewahrte, und fand dich auch dort nicht. Da gieng ich zum Sitz meiner Seele selbst, der in meinem Gedächtnis ist, weil sich die Seele auch ihrer selbst erinnert, und auch da warst du nicht. Denn du bist nicht das Bild eines Körperlichen; du bist nicht das Gefühl des Lebens, wir mögen uns freuen oder trauern, begehrten oder fürchten, eingedenk sein oder vergeßen, und was dieser Art ist; du bist nicht meine Seele weil du der Herr und Gott meiner Seele bist. Das Alles wandelt sich, du aber bleibest unwandelbar über Allem. Und du hast mich gewürdigt, in meinem Gedächtnis zu wohnen, seit ich dich lerne. Was frage ich noch, an welchem Ort meines Gedächtnisses du wohnest, als ob dort Orte wären? Du wohnest in ihm zuversichtlich, weil ich dein eingedenk bin, seit ich dich lerne, und in ihm dich finde, so oft ich dein gedenke.

XXVI.

Wo nun fand ich dich, daß ich dich lernte? Denn ehe ich dich lernte, warest du nicht in meinem Gedächtnis. Wo fand ich dich, daß ich dich lernte, als nur in dir selbst und über mir? Und nirgends ist dieser Ort, wir mögen ihm zu weichen oder ihm zu nahen suchen; nirgends ein solcher Ort! Die allgegenwärtige Wahrheit, waltest du über Allen, die nach dir fragen, und antwortest Allen, wie verschieden sie auch fragen. Klar antwortest du, aber klar hören dich nicht Alle. Alle fragen, über was sie wollen, aber nicht immer vernehmen sie das, was sie wißen wollen. Der aber ist dein bester Diener, welcher mehr das will, was er von dir gehört, als daß er das hören wollte, was er will.

XXVII.

Ich habe spät dich geliebt, die Schönheit, so uralt und so neu, ich habe spät dich geliebt! Und siehe, du warst im Innern, aber ich war draußen und suchte dich dort. Und in deine schöne Schöpfung stürzte ich mich in meiner Häßlichkeit, denn du warest mit mir und ich nicht mit dir! Ferne von dir hielt mich die Außenwelt, und wäre doch nicht, wenn sie nicht wäre in dir. Du riefest laut und lauter und durchbrachtest meine Taubheit. Du schimmertest strahlend und strahlender und schlugest meine Blindheit. Du wehte stund ich kam zu Odem wieder und Leben, und athme in dir. Ich kostete dich und hungre und dürste. Du berührtest mich und ich lebte auf in deinem Frieden.

XXVIII.

Wenn ich einst in dir leben werde mit Allem, was in mir ist, dann wird mich nimmer treffen Schmerz und Ungemacht; ganz von dir erfüllt, wird Alles an mir Leben sein. Nun aber, da du nur den erleichterst, den du erfüllst, bin ich mir selbst zur Last, weil ich noch nicht völlig erfüllt bin vor dir. Noch streiten in mir zu beweinende Freuden mit erfreulicher Traurigkeit, und wer den Sieg gewinne, weiß ich nicht. Weh mir, Herr, erbarme dich mein! Auch unreine Trauer ist mit reinen Freuden in mir in Streit, und wer den Sieg gewinne, weiß ich nicht. Weh mir! Herr, erbarme dich mein! Weh mir! Siehe, meine Wunden verberge ich nicht; du bist der Arzt ja, ich bin der Kranke; der Erbarmer bist du, und ich bin der Eebarmenswerthe; denn aller Menschen Leben ist Anfechtung, so lange es auf Erden dauert. Wer wünschte aber seine Widerwärtigkeiten und Beschwerden? Du heißest sie tragen uns, nicht lieben, und Niemand liebt, was er trägt, wenn er auch lieber zu tragen; ihm dünken die Lasten leicht, und er hofft sie mit Freuden zu tragen; aber wird die Last seine Last, so dünkt sie ihm zu schwer, und nun will er lieber, es wäre nicht, das er zu tragen hätte. Und darum sehne ich nach Glück mich im Unglück und fürchte vor Unglück mich im Glück. Läßt sich zwischen diesem die Mitte finden, in der das Leben keine Anfechtung ist? Doppelt Weh dem Glück dieser Welt über der Furcht vor Unglück und seiner zerstörlichen Freude! Und dreifach Weh dem Unglück der Welt, über dem Sehnen nach Glück, über seiner eigenen Härte, über dem Schiffbruch, den die Geduld an ihm leidet! Ja, Aller Leben auf Erden ist ununterbrochene Anfechtung!

XXIX.

Alle meine Hoffnung ruht nur in deinem reichen Erbarmen, so gibt denn, was du befiehlst, und befiel, was du willst. Du befiehlst uns Enthaltsamkeit – gib sie mir; denn ich kann nicht anders enthaltsam sein, es gebe mir sie denn Gott; und Weisheit ist, erkennen was solche Gnade ist. Durch Enthaltsamkeit werden wir gesammelt und wiedergebracht zu dem Einen, von dem wir uns in Vieles zerstreuten. Denn weniger liebt dich, der neben dir etwas liebt, das er nicht liebt deinetwegen. O Liebe, du immer brennende und immer erlöschende Liebe, die du mein Gott bist, entzünde mich! Enthaltsamkeit gebeutst du mir; gib, was du gebeutst, und gebeut, was du willst.

XXX.

Du gebeutst mir, daß ich enthalte mich von des Fleisches Lust und der Augen Lust und hoffährtigem Leben. Du gebeutst Enthaltsamkeit von fleischlicher Lust, denn du gestattest die Ehe; aber mahnst auch zu Beßerem, zum bräutlichen Bunde allein mit dir. Und das gabest du mir, ehe ich noch in ein Amt deiner Kirche trat. Aber in meinem Gedächtnisse sind noch die alten Bilder meiner Verirrung, denn dort hat Gewohnheit sie eingebürgert, und wenn ich sie von mir banne im Wachen, so kommen sie lockend und verlockend in meine Träume. Und so mächtig ist dann das Trugbild in meiner Seele und in meinem Fleisch, daß es dem Träumenden als wahr erscheint, was es am Wachenden nicht zu thun vermag. Herr, mein Gott, bin ich im Traum nicht, der ich bin? Es ist ein so großer Unterschied zwischen mir und mir im Augenblick des Einschlafens und Aufwachens. Wo ist die Vernunft des Schlafenden, die im Wachen solchen Einwirkungen widerstehen, die da unerschüttert bleibt, wenn jene lüsternen Bilder sich zeigen? Schließt sie sich mit den Augen zu? Woher kommt es, daß wir ihnen oft auch im Traum widerstehen, unseres Vorsatzes auch da eingedenk, und rein bleiben, den Lockungen nicht bestimmend? Und doch welch ein Unterschied zwischen mir und mir! Stimmte ich jenen Lockungen bei, so kehrt mir beim Erwachen die Ruhe des Bewußtseins zurück und ich finde, daß ich das selbst nicht gethan habe, daß es an mir zu meinem Leid gethan worden ist. Aber sollte deine Hand nicht mächtig sein, allmächtiger Gott, alle Schlafsucht meiner Seele zu heilen und mit reichlicher Gnade selbst der Träume Lüsternheit zu vertilgen? Du wirst mir mehr und mehr deine Gabe reichen, daß mir meine Seele folge zu dir und selbst im Traume voll Reinheit bei dir sei, der du mehr kannst, als wir bitten und verstehen. So freue ich mich mit Zittern dessen, was du gabst, ich traure über das, in dem ich noch nicht vollkommen bin, und hoffe, völlig werde dein Erbarmen werden an mir, bis zum vollen, ungestörten Frieden des äußern und innern Menschen mit dir, wenn der Tod verschlungen sein wird in den Sieg.

XXXI.

Noch eine andere, schlimme Versuchung hat jeglicher Tag; wäre es genug an ihr! Des Leibes Hinfälligkeit müßen wir täglich mit Speise und Trank begegnen, bis du Nahrung und des Leibes Nahrungswerkzeuge von uns abthust und unsern Mangel endest mit wundervoller Sättigung, wenn du dieß Vergängliche in ewige Unvergänglichkeit wandelt. Nun ist mir diese Nothwendigkeit der täglichen Nahrung angenehm und streiten muß ich gegen dieß ergötzende Gefühl, daß ich nicht von ihm gefangen werde. Aber wie ich auch täglich mit Enthaltung gegen mich streite und meinem Leib zu unterwerfen suche, der Schmerz davon wird doch zum Vergnügen, denn gegen des Hungers und des Durstes Schmerzen wird die Nahrung zum Heilmittel, das du uns reichest von der Erde, den Waßern und den Lüften, aber der Genuß dieses Heilmittels bringt Ergötzung nach des Mangels Schmerz. Und doch lehrst du mich damit, ich soll meine Nahrung nur als Heilmittel empfangen; aber nach des Mangels Beschwernis befängt sie mich mit den Schlingen der Begehrlichkeit: denn dieser Uebergang vom Mangel zur Sättigung ist Vergnügen. Und so heftet sich dem Heilmittel der Speise und des Trankes die gefährliche Lust an die Ferse, ja geht ihm gewöhnlich voran und wird zur Hauptsache, und was für des Hungers und Durstes Heilung genug wäre, das ist für die begehrliche Lust noch zu gering, so daß es oft ungewis ist, ob die Sorge für des Leibes Wohl noch mehr verlange, oder ob die trügliche Lüsternheit noch Befriedigung forderte. An dieser Ungewisheit freut sich die unglückliche Seele, und wendet sie als Entschuldigung vor, sich vergnügend an dem, was über des Körpers und seiner Gesundheit Bedürfnis ist und unter dem Vorwand der Gesundheit nur der Lust fröhnt. Diesen Versuchung muß ich täglich widerstehen und anrufen zu meinem Heil deine Rechte, weil ich hier noch nicht in Klarheit bin. Ich höre die gebietende Stimme meines Gottes: »hütet euch, daß eure Herzen nicht beschweret werden mit Freßen und Saufen.« (Luk. 21, 34.) Wohl ist das ferne von mir, aber erbarme dich, daß es ferne von mir bleibe. Denn zu große Lust an Speis und Trank ließ deinen Knecht doch schon mehr genießen, als ihm kann nicht enthaltsam sein, es werde mir denn durch dich. Du gibst uns Vieles auf unsere Bitten, und was wir Gutes empfangen, noch ehe wir darum baten, haben wir von dir empfangen wir, daß wir hernach es erkennen. Nie war ich ein Knecht der Unmäßigkeit und Trunksucht, aber ich lernte Trunksüchtig kennen, die du zu Mäßigen machtest. Und so hast du bewirkt, daß ich nie war, was diese waren, damit wir beide wißen, es komme allein von dir, was ich gewesen sei nicht, und was wir Beide jetzt seien. Auch vernahm ich dein Wort: »Folge nicht bösen Lüsten, sondern brich deinen Willen«. (Sir. 18, 30.) Und: »Eßen wir, so werden wir darum nicht beßer sein; eßen wir nicht, so werden wir darum nicht weniger sein« (1. Cor. 8, 8.) Auch hörte ich: »Ich habe gelernt, bei welchem ich bin, mir genügen zu laßen; ich kann übrig haben und Mangel leiden. Ich vermag Alles durch den, der mich mächtig macht.« (Phil. 4, 12.) So spricht der Streiter im himmlischen Herr, der Staub nicht, der wir sind. Aber ich weiß, daß du es bist, der aus Staub den Menschen machte, der verloren war und wieder gefunden wurde. Auch Paulus konnte das nicht durch sich: auch er war Staub, er, der mir so lieb ist, weil er dieß sagen konnte, angeweht von deines Geistes Beseligung. Er sagt: ich vermag Alles durch den, der mich mächtig machte. Stärke auch mich, daß ich das könne! Gib, was du befiehlst, und befiehl, was du willst! Paulus gesteht, es empfangen zu haben, und wenn er sich rühmt, so rühmt er sich des Herrn. Einen Andern hörte ich flehen um diese Gnadengabe: »wende von mir alle unreinen Lüste.« (Sir. 23, 5.) So gibst du, wenn geschieht, was du befiehlst. Du lehrtest mich, gütiger Vater: »es ist zwar Alles rein, aber es ist nicht gut dem, der es ißet mit dem Anstoß seines Gewißens. (Röm. 14, 20.) Und alle Kreatur Gottes ist gut und nichts verwerflich, das mit Danksagung empfangen wird. (1. Tim. 4, 4.) Aber die Speise fördert uns nicht vor Gott«. (1. Cor. 8, 8.) Das lernte ich, Lob und Dank dir, meinem Gott und Lehrer, der du mein Ohr mir aufgethan und mein Herz mir erleuchtet hast. Reiße mich aus aller Versuchung! Ich fürchte nicht die Unreinigkeit der Speise, ich fürchte die Unreinigkeit der Begierde. Ich weiß, daß Noa alle eßbaren Thiere erlaubt waren (1. Mos. 9, 3.) und daß Elias mit dem Fleisch der Thiere sich labte (1. Kön. 17, 7), daß Johannes in seiner hohen Enthaltsamkeit Heuschrecken aß, ohne sich zu beflecken. Aber ich weiß auch, daß Eschau durch seine Lüsternheit nach Speise betrogen wurde; daß David einst seine Eier nach einem labenden Waßertrunke selber tadelte (2. Sam. 23, 7.) und daß unser himmlischer König nicht mit Fleisch, sondern mit Brot versucht ward; daß das Volk in der Wüste misfällig wurde vor Gott, weil es um Speise murrte. – In diese Versuchungen gestellt, muß ich täglich, so oft ich mich der lüsternen Begehrlichkeit streiten und meiner Kehle den Zügel halten; denn ich kann es damit nicht halten, wie mit der geschlechtlichen Lust, die ich aufgab für immer. Und wer ist, o Herr, der nicht etwas über das Maaß des Nothwendigen schritte? Gibt es einen Solchen, so steht er hoch und erhöhe dankend deinen Namen. Der Art aber bin ich nicht; ich bin noch ein sündiger Mensch. Doch auch ich erhöhe dankend deinen Namen und bitte meiner Sünden wegen zu dir, der die Welt überwand, der mich zählt zu den schwachen Gliedern seines Leibes, auf dessen unvollkommene Theile auch in Gnaden deine Augen sehen, denn du wirst deine Treuen alle in das Buch des Lebens schreiben.

XXXII.

Die Wohlgerüche sind mir nicht sehr zur Versuchung; ich suche sie nicht und verschmähe sie nicht, und konnte sie auch immer entbehren. Doch die Seele liegt in kläglicher Finsternis und kann sich über ihre Kräfte nicht trauen, es sei denn, daß ihre Erfahrung den Schleier lüfte. Und Niemand soll in diesem Leben sicher werden; denn muß nicht der Mensch immer im Streit sein auf Erden, damit er, aus einem Schlechtern ein Beßerer geworden, nicht wieder ein Schlechterer werde? Deine Erbarmung ist die einzige sichere Verheißung.

XXXIII.

Hartnäckiger und beherrschten mich die Vergnügungen der Ohren, aber du hast mich gelöst und befreiten. Wohl ruhe ich etwas in den Tönen, welche deine Worte beseelen, wenn sie lieblich und kunstreich gesungen werden; doch feßeln sie mich nicht, ich kann von ihnen gehen, wenn ich will. Aber mit den Worten selbst, aus denen sie ihr Leben ziehen, verlangen sie in meinem Herzen einen Ehrenplatz und ich weiß ihnen kaum einen paßenden, gleich dem der Worte selbst, zu gewähren. Oft mein ich, sie zu hoch zu stellen, weil uns die heiligen Worte durch ihren Sang mehr zur Andacht entstammen, als ohne ihn. Aber auf mir verborgene Weise entsprechen in unsere Seele den Liedertönen verwandte Regungen. Das Gemüth darf nicht durch sinnliche Ergötzungen entnervt, und doch hat mich diese oft auch bei jenen Tönen befangen, so daß der sinnliche Eindruck den geistigen nicht nur als Beiwerk begleitete. So fehlte ich auch hierin, ob ich es gleich hernach erst merke. Bin ich aber zu behutsam gegen jene Trugmacht der Töne, so irre ich aus zu großer Strenge. Und gar oft wollte ich, alle die lieblichen Sangweisen der davidischen Psalmen möchten von mir und von der Kirche fern bleiben und scheint mir gefahrloser, was mir von Athanasius, Alexandriens Bischof, hinterbracht wurde, welcher den Vorleser die Psalmen nur mit wenigen Tönen psalmodiren ließ, so daß der Vertrag mehr ein Sprechen als ein Singen war. Wenn ich aber der Thränen denke, welche ich am Anfang meiner Bekehrung bei deinen Kirchenmelodien vergoß und wenn ich auch jetzt noch von ihnen gerührt werde, wo mit reiner Stimme und paßender Melodie gesungen wird, freilich nicht vom Sang nur, sondern auch von seinen Worten, so erkenne ich den großen Nutzen unserer ambrosianischen Einrichtung wieder. So schwanke ich zwischen der vergnügenden Gefahr und der erfahrenen heiligen Wirkung unserer Einrichtung und ohne maßgebend reden zu wollen, ist sie mir doch lieber, damit schwächere Gemüther durch Ohrenlust zu frommer Andacht erhoben werden. Wenn es mir jedoch widerfährt, daß mich mehr der Sang, als seine Worte rührt, so fehle ich sträflich und wollte lieber den Sänger nicht hören. So steht es um mich! Weint um mich und mit mir weinet, die ihr des Guten etwas im Herzen bewegt, aus dem ihm angemeßene Thaten folgen. Die ihr nichts davon in euch bewegt, wie könnte euch rühren, was ich rede? Du aber, Herr, mein Gott, sieh erhörend auf mich nieder, erbarme dich mein und heile mich, du von dessen Augen ich mir selbst zum Räthsel werde, o du, dem meine schwankende Schwäche bekannt ist.

XXXIV.

In meinen Bekenntnissen, welche hören mögen die Ohren deines Tempels, die Ohren der Brüder und Frommen, muß ich noch reden von der fleischlichen Augenergötzung, um alle fleischliche Lust zu erwähnen, welche mich seufzen macht nach meiner Behausung, die vom Himmel ist, nach der ich verlange, daß ich damit überkleidet werde. Die Augen lieben schöne und verschiedene wechselnde Formen, leuchtende und reizende Farben. Sie sollen meine Seele nicht feßeln, die feßle Gott, der diese Dinge schuf, der gut sie schuf; er ist mein Gut, nicht sie. Sie treffen mich, so lange ich wache, die ganzen Tage über; nicht wird mir Ruhe vor ihnen, wie vor den Stimmen de Gesangs, die mir verstummen, wenn ich in Einsamkeit mich von ihnen trenne. Denn der Farben Königin ist das Licht, das alles Sichtbare durchströmt, das mich unabweisbar schmeichelnd umwallt, was ich auch thun mag; das sich so lieb uns macht, daß wir sein begehren, wenn es einen Augenblick nur uns fehlt und traurig sind, so es lange entfernt ist. – O Licht, das Tobias schaute, da er mit erblindeten Augen den Sohn den Weg des Lebens lehrte, den er ihm in Liebe vorangieng, ohne irgendwo irr zu gesehen, als ihm das Alter seine leiblichen Augen verdunkelte und ihm nicht gegeben war, seine Söhne zu segnen, indem er sie mit leiblicher Augen erkannte, sondern sie durch seinen Segen als das anzuerkennen, was sie werden sollten, und er es nicht erlangte, seine Kinder zu segnen, weil er sie erkannte, aber sie durch den Segen, den er ihnen gab, als seine Kinder erkannte mit der Liebe innerem Auge. Jakob schaute dich, da ihn das Alter des Lichtes beraubt, und seine Söhne segnend, sprach er mit erleuchtetem Herzen über die Söhne das aus, was ihren Nachkommen, dem Volke Gottes, widerfahren sollte. Und Josephs Söhnen legte er die Hände auf, mit erleuchtetem Herzen des Volkes kommenden Geschlechtern, nicht wie es ihr Vater verlangte, sondern wie er ihres Stammes geheime Zukunft sah im inneren Licht. (1. Mos. 48, 19.) Das ist das alleinige Licht, das wahre Licht allein, und eins sind Alle, die es schauen und lieben. – Aber das leibliche Licht verbringt das Leben mit lockend gefährlichen Reiz vor den blinden Anhängern dieser Sinnenwelt. Doch, die dich zu loben wißen auch über dieses Licht, Gott, Schöpfer von Allem, sie wenden es an zu deinem Lobgesang und laßen sich nicht von ihm abwenden in geistigem Schlaf, dem du fehlst, du Licht des Lichtes. So wünsche ich zu sein. Ich widerstehe der Augen sinnlicher Lockung, damit sie meinen Wandel auf deinem Wege nicht umstricke; und erhebe zu dir die unsichtbare Augen, daß du meinen Wandel von allen Schlingen befreiest. Du hörst nicht auf, mich loszumachen, ob ich auch oft noch an den überall gelegten Netzen hafte, denn du schläfst nicht und wirft nimmermehr schlafen, der du Israel hütest. Wie unzählig Vieles, in Kleidern und Geräthen, in Gemälden und andern Bildwerken, bereiten sich die Menschen, um die Augen zu befragen, wie Vieles, das weit das Bedürfnis und die auch im Bilde mögliche Bezeichnung des Heiligen überschreitet, und kehren sich nach dem nur, das sie äußerlich schaffen, im Innern den verlaßend, von dem sie geschaffen sind, und vergeßend, daß sie selbst nur geschaffene Wesen bleiben. Aber, o Gott du, meine Schönheit, auch für die Werke und Kunst und des Fleißes singe ich dir meinen Lobgesang und opfere mein Lob dem, der sich für mich geopfert hat, weil auch, was des Künstlers Seele mit seiner Hand in’s Dasein rief, von der Schönheit kommt, die über unsern Seelen ist, nach der Tag und Nacht meine Seele seufzt. Doch die Meister und Liebhaber des äußern Schönen wißen dieß Schöne zu loben, und nicht zu nützen, und du, der du selbst dieser Nutzen bist, du bist da in allem Schönen, und sie sehen dich nicht. Möchten sie ihre bildende Kraft in deinem Schirm geben, damit sie nicht weiter irren, und sich nicht zerstreuten in ergötzender Entkräftung! Davon befreie du mich, du, dessen Erbarmung vor meinen Augen ist, denn auch ich werde befragen, oft, ohne daß ich es weiß, weil ich nur aus Uebereilung hineinfiel, oft zu meinem Schmerz, weil ich mich fester befangen ließ.

XXXV.

Noch nenne ich eine andere, vielseitiger gefährliche Versuchung; denn außer der fleischlichen Lust, welche in dem Reiz aller Sinne und ihrer Vergnügung ist, und die den, der sich in ihrem Dienste von dir entfernt, zu Gnade richtet, ist in der Seele noch eine andere, welche sie zwar nicht sinnlich ergötzen will, aber die Sinne zu Werkzeugen ihrer Eitelkeit und Neugier macht und sich hinter den Namen des Erkenntnisdranges verschanzt. Sie ist die Neugier, und zu ihr frühen die Augen vor allen Sinnen, daher wird sie von deinem Wort auch der Augen Lust genannt. Denn das Auge will sehen, wir sprechen freilich auch ein Sehen den andern Sinnen zu, wenn wir mit ihnen etwas erkennen wollen. Wir sagen zwar nicht: horch was schimmert, riech wie es glänzt, schmeck wie es strahlt, greif wie es leuchtet, man sagt bei diesem Allem, es werde gesehen. Und doch sagen wir nicht nur: sieh was leuchtet, was allein mit den Augen vernommen wird, sondern wir sagen auch: sieh was tönt, sieh was riecht, sieh was schmeckt, sieh wie hart das ist, und so wird alles, was die Sinne begehren, ausgedrückt als geschehe es durch die Augen, weil auch die übrigen Sinne sich der Augen Beruf, das Sehen zuschreiben, so oft sie den Augen Aehnliches thun, auf etwas ausgehen nämlich, um es zu erkunden.

Nach diesem wird genau unterschieden, was die Sinne für Vergnügen suchen und was sie für eine Neugier treibt. Vergnügen bringt das Schöne, Wohllautende, lieblich Duftende, Geschmackvolle und weich Anzufühlende, die Neugier will auch das Gegentheil von diesen versuchen, nicht um sich damit zu belästigen, sondern aus Wißbegierde. Was ist denn für ein Vergnügen, den erschreckenden Anblick eines zerfleischten Leichnams zu haben? und doch laufen sie da zusammen wo er liegt, um zu bedauern und zu erschrecken. Nicht einmal im Traume möchten sie so etwas sehen, sie gehen wachend darnach, als hätte sie Jemand genöthigt, oder etwas schön Ausgegebenes zu schauen. So ists auch mit den andern Sinnen, bei denen ich mich jetzt nicht aufhalte. Um diese krankhafte Neugier zu befriedigen, gibt man im Theater Effektstücke; will man die außermenschliche Natur ergründen, nur aus Neugier, ohne Nutzen. Die Neugier verblendet den Menschen zum Glauben an magische Künste, sie versucht Gott, Zeichen und Wunder von ihm fordernd, nicht um Heil damit zu erwerben, nur um sich zu vergnügen. Unzählig sind ihre Lockungen: viele davon half deine Gnade mir überwinden. Aber es ist nicht auszusprechen, wie vielfach sie das tägliche Leben umschwirren; und ich kann nicht behaupten, niemehr von ihnen ergriffen zu werden. Wohl lockt mich kein Schauspieler mehr, noch der Sterndeuter Trug, wohl suche ich keine Kunde bei den Todten und verabscheuen gottlose Gebräuche; aber, mein Gott, dem ich in Demuth und in Einfalt dienen soll – wie versucht mich der Feind noch mit seinen Eingebungen, daß ich ein Zeichen zuweilen von dir fordern möge? Ich beschwöre dich bei unserm König, bei der reinen Heimat der Einfalt, bei der himmlischen Jerusalem – wie ich schon ferne bin, dem Versucher beizustimmen, so laß mich ferner immer davon werden und verleiht mir immer dir zu folgen, der du an mir thust nach deinem Wohlgefallen. Von wie unzähligen werthlosen Kleinigkeiten wird unsere Neugier täglich erregt! Fade Schwätzer hören wir anfänglich an, um diese Schwachen nicht zu beleidigen, allmählich aber hören wir ihnen gerne zu. Ich seh dem Hund nicht nach, der den Hasen verfolgt, wenn das im Circus geschieht, aber auf dem Felde draußen stört er mich vielleicht an nichtigen Gedanken und ich lauf ihm wenigstens mit der Seele nach. Gedankenlos starr ich hin, wenn du mir nicht diese Schwäche vorhältst und mich durch beßere Gedanken zu dir erhebst. Und zu Hause erregt oft meine Aufmerksamkeit eine Eidechse, die Fliegen fängt, oder eine Spinne, die sie umkrallt, wenn sie in ihr Netz gerathen. Es geht mir dabei, wie dort auf dem Felde, so klein auch diese Thierchen sind. Und lob ich dich dann, den weisen Schöpfer und Ordner aller Wesen? Nicht von dir aus schaue ich ja zu deinem Lob auf diese Dinge. Ein Anders aber ist, schnell sich wieder faßen, ein Anderes, gar nicht in Zerstreuung fallen. Von solcher Dingen voll ist mein Leben, und meine Hoffnung ist nur dein reiches Erbarmen. Wird unser Herz der Sammelplatz solch werthloser Dinge, so werden selbst unsere Gebete oft unterbrochen und gestört, und vor deinem Angesicht, da wir des Herzens Stimme vor dich bringen, wird diese große Sache durch das Einschleichen jener nichtigen Gedanken zerrißen. Wenn wir solches Zerstreutsein verwerfen, so können wir nur hoffen, dein Erbarmen werde uns davon befreien, der du begonnen hast uns zu erneuern.

XXXVI.

Du weißest, wie du mich wandeltest, der du zuerst nicht heiltest von der Sucht, mich für gerecht zu halten in meinem Uebermuth, auf daß du gnädig alle meine übrigen Sünden vergebest, und heilest alle meine Gebrechen: daß du mein Leben vom Verderben erlösest und mich krönest mit Gnade und Barmherzigkeit, daß du mein Verlangen sättigest mit deinen Gütern, der du mit deiner Furcht meinen Stolz gebeugt und meinem Nacken hast unter deinem Joch gebändigt. Und nun trage ich es und es liegt sanft auf mir, weil geschehen ist, was du verhießest; und so war es und ich wußte es nicht, da ich mich fürchtete es aufzunehmen. Aber Herr, der du allein herrschest ohne Stolz, weil du allein bist der wahre Herr, der keinen Herrn du hast – ist endlich nach des Fleisches und der Auge Lust auch die dritte Hauptversuchung, die Hoffahrt, von mir gewichen oder kann sie welchen in diesem Leben? Gefürchtet und geliebt sein wollen von den Menschen, nicht wegen etwas Anderem, sondern damit daraus schon Freude entstehe, die doch keine Freude ist, das ist ein elend Leben und ein unfläthig Prahlen. Daraus kommt es vor Allem, daß man dich nicht liebt, und dich nicht in Lauterkeit fürchtet. Darum widerstehst du den Hoffährtigen, den Demüthigen aber gibst du Gnade; darum donnerst du über dem Prahlen der Welt und machst zittern die Gründe der Berge. Wohl müßten wir, wegen mancher Aemter und Pflichten in der Menschengesellschaft, von den Menschen gefürchtet und geliebt werden, und da erhebt sich der Feind unserer Seligkeit und schreit in die Schlingen, die er uns legt: wohlauf, wohlauf! Und wenn wir gierig uns herzumachen, werden wir, in unserer Unvorsichtigkeit, gefangen, und setzen unsere Freude nicht mehr in die Wahrheit, setzen sie nur in die Trüglichkeit der Menschen, wollen geliebt und gefürchtet werden nicht deinetwegen, sondern an deiner Statt. So hat der Feind uns und macht uns sich ähnlich, nicht zu liebender Eintracht, sondern zur Genoßenschaft im Gerichte; er, der seinen Thron gesetzt hat gegen Mitternacht, daß ihm, der auf verkehrtem, qualvollem Wege dich nachäfft, die dunkeln und die kalten Herzen dienen. Wir aber, Herr, siehe, wir sind deine kleine Heerde, besitze du uns und breite über uns deine Flügel, daß wir uns unter sie flüchten. Sei du unser Ruhm; deinetwegen wollen wir geliebt werden, dein Wort nur werde in uns gefürchtet. Wer da gelobt will werden von den Menschen, wenn du ihn tadelst, der wir nicht vertheidigt werden von den Menschen, wenn du ihn richtest, und nicht befreit werden, wenn du ihn verdammst. Der Sünder wird nicht gelobt über seinen Muthwillen, noch gesegnet für seine Uebelthaten, sondern gelobt wird der Mensch über eine Gnadengabe, die er von dir empfieng, und freut er sich mehr nur des Lobes, als der löblichen Gabe, so wird auch er von dir getadelt, da er gelobt wird, und ist der Lobende beßer als der Gelobte; denn jenem gefiel die Menschengabe mehr als die Gottesgabe.

XXXVII.

Täglich, o Herr, ohne Aufhören werden wir von diesen Versuchungen angefochten. Und eine täglich aufglühende Feueresse ist unsere Zunge. Auch hier gebeutst du uns Enthaltsamkeit. Gib was du befielst, und befiel, was du willst. Auch darüber kennst du die Seufzer meines Herzens und die Ströme meiner Augen. Nicht leicht faße ich, wie weit ich von dieser Pest frei sei, und sehr fürchte ich meine verborgenen Fehler, welche von deinen Augen erkannt werden, nicht von den meinen. In allen andern Versuchungen kann ich mich erforschen, in dieser fast nicht. Bei des Fleisches und der Augen Lust sehe ich, wie weit ich meine Seele zügeln kann, sobald diese Lockungen – durch meinen Willen, oder durch ihre Abwesenheit – von mir sind; denn so kann ich mich fragen, wie ich ihr Entbehren ertrage. Auch die Reichthümer, welche verlangt werden, damit man diese Lüste alle oder theilweise sich mit ihnen erkaufe, können verlaßen werden, damit die Seele beweisen könne, daß sie dieselben verachte, was sie nicht kann, wenn sie dieselben besitzt. Ein größerer Unsinn könnte allerdings weder behauptet noch gedacht werden, als wenn Jemand, um nicht gelobt zu werden, so schlecht und verworfen lebte, daß er von Jedermann verwünscht würde. Wenn das Lob der Begleiter eines guten Wandels und guter Werke zu sein pflegt und sein soll, so soll man weder den guten Wandel, noch seinen Begleiter verlaßen. Ob ich aber diesen Begleiter mit Gleichmuth oder entbehren kann, empfinde ich erst, wenn er mir fehlt. Ich muß dir, Herr, bekennen, daß das Lob, mehr aber noch die Wahrheit mich erfreuen; denn wenn mir die Wahl gegeben würde, ob ich verrückt und in Allem irrend von allen Menschen gelobt, oder in der Wahrheit bestehend von allen getadelt werden wollte, so weiß ich was ich wählte. Ich wollte nicht, daß mir die Freude an einem Gut erst durch Menschengunst erhöht würde. Und doch erhöht mir das Lob die Freude und der Tadel mindert sie, und wenn ich davon beunruhigt werde, so suche ich mich, ich weiß nicht warum, zu entschuldigen. Du hast uns nicht nur Enthaltsamkeit von der Liebe zu Manchem, du hast uns auch Gerechtigkeit geboten, mit der wir die Liebe Manchem zuwenden sollen. Und so wolltest du nicht nur, daß wir dich, du wolltest auch, daß wir den Nächsten lieben. Und oft glaube ich mich über die Fortschritte oder das Hoffnungsvolle meines Nächsten zu erfreuen, wenn ich mich an seinem verständigen Lob erfreue, und über ihn zu trauen, wenn ich ihn tadeln höre, was er an mir nicht versteht, oder was gar an mir gut ist. Oft aber traure ich auch über mir gewordenes Lob, wenn das an mir gelobt wird, über dem ich mir selbst misfalle, oder wenn kleineres und werthloseres Gute höher geschätzt wird, als es zu schätzen ist. Geschieht das deswegen, weil ich nicht will, daß, der mich lobt, anders über mich denke, als ich selbst? Geschieht es nicht deswegen, weil mir sein Nutzen am Herzen liegt, sondern nur weil mein mir wohlgefallendes Gute mir noch wohlgefälliger wird, wenn es auch einem Andern gefällt? Gewissermaßen ist das kein Lob für mich, wenn man an mir übertrieben lobt oder das lobt, was mir an mir misfällt, da man damit die Meinung, die ich von mir selbst habe, nicht lobt. Ich bin mir darüber nicht gewis. Aber in dir sehe ich, o heilige Wahrheit, daß mich das Lob nicht meinetwegen, sondern wegen des Nutzens, den es dem Nächsten bringt, bewegen darf. Aber ob es so sei, weiß ich nicht. Ich bin mir darin selbst weniger bekannt, als du, dessen Lob Jeden beglückt, der dich lobt. Mein Gott, zeige mich mir selbst, daß ich den Brüdern, die für mich beten, bekenne, wo ich mich verwundet weiß. Noch genauer will ich mich fragen: wenn mich des Nächsten Nutzen bei dem Lob bewegt, das ich empfange, warum bewegt es mich weniger, wenn ein Anderer, als ich, ungerecht getadelt wird? Warum werde ich von demselben Schimpfe mehr gequält, wenn er mich, als wenn er in meiner Gegenwart meinen Nächsten, ganz mit derselben Ungerechtigkeit, trifft? Weiß ich auch das nicht? Ist auch das noch übrig, daß ich mich selbst verführe, und mit Herz und Mund das Wahre nicht thue in deiner Gegenwart? Entferne weit von mir diese schädliche Thorheit, o Herr, damit nicht mein eigener Mund meine Sünde schmücke. Ich bin elend und arm, und beßer bin ich, wenn ich in verborgenem Seufzen mir selbst misfalle, und dein Erbarmen suche, bis meinem Mangel abgeholfen, bis es im Frieden vollendet wird, den nimmer kennt das Auge des Stolzen.

XXXVIII.

Die dem Munde entgehende Rede aber, und die bekannt werdenden Thaten werden höchst gefährlich durch die Lobsucht, mit welcher wir den erbettelten Beifall nur zur Erhöhung unserer Selbstsucht verwenden. Ja die Lobsucht versucht mich selbst da, wo ich sie in mir verwerfe, denn eben durch ihr Verwerfen komme ich mir lobwürdig vor. Und oft rühmt sich selbst der Mensch, durch seine Verachtung des eitlen äußerlichen Ruhmes noch viel eitler, und hat sich jetzt doch über die Verachtung des Ruhmest nicht zu rühmen, denn er verachtet ihn ja nicht, wenn er ihn zwar nicht zwar nicht mehr durch Andere, aber durch sich selbst sucht, wenn er verschmäht, von Andern gerühmt zu werden, nur um sich selbst zu rühmen.

XXXIX.

Innerlich, tief kommt auch ein versuchendes Uebel dieser Gattung vor, wodurch an geistlichen Güter leer werden, die ein Wohlgefalle an sich selber haben, obwohl sie Anderen nicht gefallen, oder misfallen, oder sich über ihren Beifall hinwegsetzen. Aber die sich selbst gefallen, misfallen dir sehr, mögen sie sich nun gefallen über Gütern, die keine Güter sind, oder deinen Gütern, als wäre sie die ihren, oder wenn sie solche zwar für die deinen halten, aber ihren Empfang dem eigenen Verdienst zuschreiben; ja selbst wenn sie in solchen die Gaben deiner Gnade sehen, aber sich ihrer nicht in gemeinnütziger Verwendung freuen, sondern sie den Andern in neidischer Ungunst nicht mittheilen. In allen diesen Gefahren siehst du beben mein Herz, und ich erkenne nicht, daß ich von ihnen nie verwundert wurde, sondern nur, daß du solche Wunden heilest.

XL.

O Wahrheit, du warest mein Geleite und lehrtest mich, was ich meiden und verlangen sollte, so oft ich, was ich in mir sehen konnte, vor dich brachte und deinen Rath erbat. Ich durchgieng die Welt, die vor meinen Sinnen liegt, und fand, daß mein Leib und meine Sinne ihr Leben aus meiner Seele haben. Dann zog ich mich zurück in die weiten Räume meines Gedächtnisses, so wunderbar voll von Unzähligem; ich betrachtete und staunte und konnte nichts davon unterscheiden ohne dich, und fand doch, daß du selbst nichts von diesem Allem seiest. Ich selbst aber war der Erfinder dieser Dinge nicht, ob ich sie alle auch durchmusterte und nach ihrem Werth beurtheilte, denn einige davon nahm ich mit den Sinnen in mich auf, andere fand ich in mir selbst, sie als deine Boten unterscheiden und aufzählend, indem ich sie in den weiten Wohnung meines Gedächtnisses musterte, zurückwies oder vortreten ließ. Aber nicht ich, nicht meine Kraft war es, mit der ich das gethan, auch du warest sie nicht, denn du bist das ewig unveränderliche Licht, das ich bei Allem fragte, das zwischen mir und dir gewesen, ob es sei, was es sei und wie hoch zu schätzen. So hörte ich deine Lehren und Mahnungen, und thue das oft noch, denn das ist meine Freude, zu der ich fliehe, so oft mich des Tages Arbeit entläßt. Aber in diesem Allem, das ich, dich fragend, durchgehe, finde ich keine Ruhestätte für meine Seele; nur in dir ist sie, in dem ich sammle von meiner Zerstreutheit; o nichts von dir weiche mehr aus mir! Und zuweilen nimmst du mich auf in selige Gefühle und Wonnen, die nicht von dieser Welt sind; o was wird es sein und wo werde ich sein, wenn diese Wonnen in mir einst völlig sind und bleibend? Aber jetzt falle ich von diesen Wonnegefühlen wieder zurück in die Sorgenlasten dieser Erde und werde wiederverschlungen vom Gewöhnten und von ihm festgehalten; da weine ich so viel, denn ich werde so vielfach gehalten. Ach eine wahre Last ist nur die Gewohnheit! Hier kann ich sein und will nicht, dort will ich sein und kann nicht; so bin ich elend in beidem.

XLI.

So lernte ich meiner Sünden Uebel in der dreifachen Lust, in des Fleisches, der Augen und der Hoffahrt Lust, erkennen, und flehe deine Rechte zu meiner Hilfe an. Da sah ich deinen Lichtglanz mit verwundetem Herzen, und rief zurückgeschlagen von seinem Strahl: wer kann dorthin? Ich bin verworfen vor deinen Augen! Denn du bist die allwaltende Wahrheit, und in meiner Habsucht wollte ich dich nicht verlieren und doch neben dir noch im Besitz der Lüge bleiben: so wie niemand so weit im Lügen kommen möchte, daß er selbst nicht mehr wüßte, was wahr ist. Und so verlor ich dich, denn du verschmähst es dich besitzen zu laßen neben der Lüge.

XLII.

Wo finde ich den, der mich wieder mit dir vereint? Sollte ich an die Engel mit Gebeten und Mysterien mich wenden? Viele, die zu dir zurückkehren wollten, und dazu die Kraft nicht in sich selbst hatten, versuchen das, und stürzten sich in die vorwitzige Sucht nach Visionen, während sie nur Täuschungen sich bereiteten. Im stolz ihrer falschen Lehren suchten sie dich und erhoben ihr Herz statt es zu zerschlagen und so wurden sie eins mit den bösen Geistern, die in der Luft herrschten, denn gleicher Hochmuth brachte beide zusammen. Durch magische Kräfte ließen sie sich fangen und statt des Mittlers, den sie suchten, kam der Satan, in einen Engel des Lichts sich verstellt, über sie. Und vielfach verlockte er das übermüthige Fleisch, der selbst keinen fleischlichen Leib hat. Sie waren sterblich und waren Sünder, du aber, Gott, mit dem sie in Uebermuth sich vereinen wollten, bist unsterblich und ohne Sünde. So mußte der Mittler zwischen Gott und den Menschen etwas Gott und etwas den Menschen Aehnliches haben, damit er nicht in Beidem den Menschen ähnlich fern von Gott sei, oder in Beidem Gott ähnlich fern von den Mensch, also nicht ihr Mittler. Er konnte mit den Menschen ihre Natur, nicht ihre Sünde gemein haben, und mit Gott seine Natur, nicht seine Unsterblichkeit. Jener Lügengeist, der sich den Irrenden als Mittler bot, und durch den der Uebermuth, nach deinem verborgenen und gerechten Rathschluß, irre geleitet wird, hat Eins mit den Menschen gemein: die Sünde; das Andere, sagt er, habe er mit Gott gemein, seine Unsterblichkeit, deren er sich rühmt, weil er nicht von der Sterblichkeit umfangen ist. Aber weil der Tod der Sold der Sünden ist, so hat er auch den mit den Menschen gemeinen, denn er wird mit ihnen zum Todeselend verdammt.

XLIII.

Der wahrhaftige Mittler, den du mit tiefem Erbarmen den Gedemüthigten gezeigt und gesendet hast, damit sie von ihm die Demuth selber lernten, der Mittler zwischen Gott und Menschen, der Mensch Jesus Christus ist gestorben mit den sterblichen Menschen und gerecht geblieben mit dem gerechten Gott. Und weil die Frucht der Gerechtigkeit Leben und Frieden ist, so hat er mit seiner göttlichen Gerechtigkeit den Tod der gerechtgemachten Gottlosen vertiligt, den er mit ihnen wollte gemein haben. Es ist geoffenbart worden den Heiligen des alten Bundes, daß sie gerettet würden durch den Glauben an sein künftiges Leiden, wie wir gerettet werden durch den Glauben an sein vergangens Leiden. So weit er Mensch ist, so weit ist er Mittler, so weit er das ewige Wort ist, steht er nicht nur in der Mitte zwischen Gott und den Menschen, er ist Gott gleich, Gott mit Gott, zugleich mit dem heiligen Geist der alleinige Gott.

Wie hast du geliebt uns, Vater der Güte, der du deines eingebornen Sohnes nicht verschont hast, sondern hast ihn für uns Gottlose dahin gegeben! Wie hast du geliebt uns, für die Der gehorsam war bis zum Tod am Kreuze, der seine Gottgleichheit nicht zur Schau trug, der allein todesfrei war unter den Kindern des Todes, da er Macht hatte, sei Leben zu laßen, und Macht, es wieder zu nehmen: für uns Sieger und todt und Sieger, weil er gestorben war, Priester für uns und Opfer war, der unser Knecht ist und aus Knechten uns zu deinen Kindern macht; aus dir gezeugt von Ewigkeit an und uns dienend. Wohl habe ich in ihm sichere Hoffnung, daß du heilen wendest alle meine Gebrechen, durch ihn, der sitzt zu deiner Rechten und uns vertritt. Und ich müßte verzweifeln ohne ihn! Denn groß und viel sind meine Gebrechen, aber größer und weiter ist deine heilende Gnade. Wir können nicht glauben, dein Wort sei ferne von uns und habe uns aufgegeben, daß wir verzweifelnd uns selbst müßten aufgeben, denn es ward Fleisch und wohnte unter uns. Von meinen Sünden geschreckt und von der Last meines Elends, bewegte ich’s im Herzen und dachte zu fliehen ins ewige Verlaßensein, einsam, ohne Trost; aber du hast mich gehalten und mich aufgerichtet, denn gesprochen hast du: »Er ist darum für Alle gestorben, auf daß die, so da leben, hinfort nicht ihnen selbst leben, sondern ihm, der für sie gestorben und auferstanden ist«. (2. Kor. 5, 15.) Siehe, Herr, auf, auf dich warf ich mein Anliegen, auf daß ich lebe und sehe die Wunder in deinem Gesetz. Dir ist bekannt meine Unerfahrenheit und Schwäche; lehre mich und gib mir Kraft. Er selbst, dein Eingeborner, in welchem verborgen liegen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis, hat mich losgekauft mit seinem Blut. Nicht sollen mich schmähen die Stolzen, weil ich gedenk bin des Preises meiner Erlösung, eße und trinke und darum flehe, weil ich in meiner Armut Sättigung suche aus ihm, mit denen wallend, die da eßen und satt werden, und den Herrn loben, da sie ihn finden.

Johann Christian Bach – Il Catone in Utica

Johann Christian Bach

Il Catone in Utica

Drama per musica

Personaggi

Catone

Cesare

Marzia, Figlia di Catone, ed Amante occulta di Cesare

Arbace, Principe Reale di Numida, amico di Catone, ed Amante di Marzia

Emilia, Vedova di Pompeo

Fulvio, Legato del Senato Romano a Catone, del partito di Cesare, ed Amante di Emilia

La Musica è del Signor D. Giovanni Bach all’ attual servizio di S. M. la Regina d’ Inghilterra.

Mutazioni Di Scene.

Nell’ Atto Primo.

Sala d’Armi.

Parte interna delle mura di Utica con porta della Città in prospetto chiusa da un ponte, che poi si abbassa.

Fabriche in parte rovinate vicino al soggiorno di Catone.

Nell’ Atto Secondo.

Alloggiamenti militari su le rivo del fiume Bagrada con varie Isole che comunicano fra loro per diversi Ponti.

Camera con sedie.

Nell’ Atto Terzo.

Cortile.

Luogo ombroso circondato d’Alberi con fonte d’ Iside da un lato, e dall’ altro ingresso praticabile d’ acquedotti antichi.

Gran piazza d’armi dentro le mura di Utica, parte di dette diroccate. Campo di Cesariani fuori della Città, con padiglioni, tende, e macchine militari.

Argomento.

Doppo la morte di Pompeo, il di lui contraditore Giulio Cesare fattosi perpetuo Dittatore si vide rendere omaggio non solo da Roma, e dal Senato, ma da tutto il rimanente del Mondo, fuor che da Catone il minore, Senatore Romano, che poi fu detto Uticense dal luogo della sua Morte: Uomo già venerato come Padre della Patria non meno per l’avstera integrità de’ Costumi, che per il valore; grand’ amico di Pompeo, ed acerbissimo difensore della libertà Romana. Questi avendo raccolti in Utica i pochi avanzi delle disperse milizie Pompejane, con l’ ajuto di Juba Rè de’ Numidi, amico fedelissimo della Republica, ebbe costanza di opporsi alla felicità del Vincitore. Cesare vi accorse con esercito numeroso, e benchè in tanta disugualianz a di forze fosse sicurissimo di opprimerlo, pure in vece di minacciarlo, innamorato della virtù di lui, non trascurò offerta, o preghiera per renderselo amico; ma quegli ricusando aspramente qualunque condizione, quando vide disperata la difesa di Roma, volle almeno morir libero uccidendo se stesso. Cesare nella morte di lui diede segni di altissimo dolore, lasciando in dubbio alle posterità, se fosse più ammirabile la generosità di luì, che venerò a si alto segno la virtù ne’ suoi Nemici, o la costanza dell’ altro, che non volle sopravvivere alla libertà della Patria.

La Scena è in Utica Città dell’ Africa.

Atto Primo

Scena Prima.

Sala d’Armi.

Catone, Marzia, e Arbace.

MARCIA.

Perchè si mesto, o Padre? Oppressa è Roma,

Se giunge a vacillar la tua costanza.

Parla: al cor d’ una figlia

La sventura maggiore

Di tutte le sventure è il tuo dolore.

ARBACE.

Signor che pensi? In quel silenzio appena

Riconosco Catone.

Ah se del tuo gran core

L’ardir primiero è in qualche parte estinto;

Non v’ è più libertà, Cesare ha vinto.

CATONE.

Figlia, Amico, non sempre

La mestizia, il silenzio

E segno di viltà. Tutto ha sconvolto

Di Cesare il furor: In me ripone

La speme, che le avanza,

Roma, che geme al suo Tiranno in braccio:

E chiedete ragion s’ io penso, e taccio?

MARCIA.

Chi sa? Figlio è di Roma

Cesare ancor.

CATONE.

Ma un dispietato figlio

Che serva la desia.

ARBACE.

Tutta Roma non vinse

Cesare ancora. A superar gli resta

Il riparo più forte al suo furore.

CATONE.

E che gli resta mai?

ARBACE.

Resta il tuo core.

E se dal tuo consiglio

Regolati saranno ultima speme

Non sono i miei Numidi.

CATONE.

M’ è noto, e ‘l più nascondi,

Tacendo il tuo valor; l’anima grande,

A cui, fuor che la sorte

D’esser figlia dí Roma, altro non manca.

ARBACE.

Deh tu Signor correggi

Questa colpa non mia. La tua virtude

Nel sen di Marzia io da gran tempo adoro.

Nuovo legame aggiungi

Alla nostra amista, soffri ch’io porga

Di Sposo a lei la mano:

Non mi sdegni la figlia, e son Romano.

MARCIA.

E tu Padre vorrai, ch’ una che nacque

Cittadina di Roma, e fu nudrita

All’ avra trionfal del Campidoglio,

Scenda al nodo d’un Rè?

ARBACE.

(Che bell’ orgoglio!)

CATONE.

Come cangia la sorte,

Si cangiano i costumi.

Principe, non temer, fra poco avrai

Marzia tua Sposa. In queste braccia in tanto

Del mio paterno amore

Abbraccia Arbace.

Prendi il pegno primiero, e ti rammenta

Ch’ oggi Roma è tua patria. Il tuo dovere

Or che Romano sei

E di salvarla, o di cader con lei.

Con si bel nome in fronte

Combatterai più sorte:

Rispetterà la sorte

Di Roma un figlio in te.

Libero vivi, e quando

Te’l nieghi il Fato ancora;

Almen come si mora

Apprenderai da me.

Scena II.

Marzia, Arbace.

ARBACE.

Poveri affetti miei,

Se non sanno impetrar dal tuo bel core

Pietà, se non amore

MARZIA.

Ma qual prova finora

Ebbi dell’ amor tuo?

ARBACE.

Nulla chiedesti?

MARZIA.

E s’ io chiedessi, o Prence,

Questa prova or da te?

ARBACE.

Fuor che lasciarti,

Tutto farò.

MARZIA.

Bramo. che in questo giorno

Non si parli di nozze: a tua richiesta

Il Padre vi acconsenta,

Non sappia ch’ io l’imposi; e son contenta.

ARBACE.

Perchè voler, ch’ io stesso

La mia felicità tanto allontani?

MARCIA.

Servi al mio cenno, e pensa

A quanto promettesti, a quanto imposi.

ARBACE.

Ma poi quegli occhi amati

Mi saranno pietosi, oppur sdegnati?

MARCIA.

Non ti minaccio sdegno,

Non ti prometto amor:

Dammi di fede un pegno,

Fidati del mio cor,

Vedrò se m’ ami.

E di premiarti poi

Resti la cura a me:

Nè domandar mercè,

Se pur la brami.

Partono.

Scena III.

Parte interna delle mura di Utica con porta della Città in prospetto chiusa da un Ponte, che poi si abbassa.

Catone, poi Cesare, e Fulvio.

CATONE.

Dunque Cesare venga. Io non intendo

Qual cagion lo conduca. E inganno? E tema?

Nò: d’un Romano ìn petto

Non giunge a tanto ambizion d’impero,

Che dia ricetto a così vil pensiero.

Cala il Ponte, e si vede venir Cesare con Fulvio.

CESARE.

Con cento squadre e cento

A mia difesa armate in campo aperto

Non mi presento a te. Senz’ armi, e solo

Sicuro di tua fede

Fra lc mura nemiche io porto il piede.

Tanto Cesare onora

La Virtù di Catone, emulo ancora.

CATONE.

Mi conosci abbastanza, onde in fidarti

Nulla più del dovere a me rendesti.

CESARE.

E ver, noto mi sei. Fu poi la sorte

Prodiga all’ armi mie del suo favore.

Ma l’ acquisto maggiore,

Per cui contento ogn’ altro acquisto io cedo,

E l’ amicizia tua, questa ti chiedo.

FULVIO.

E’l Senato la chiede: a voi m’invia

Nuncio del suo volere.

CATONE.

Chi vuol Catone amico,

Facilmente l’ avrà: sia fido a Roma.

CESARE.

Chi più fido di me! Spargo per lei

Il sudor da gran tempo, e’l sangue mio.

CATONE.

E tu dunque mi credi

Mal accorto così?

FULVIO.

Signor che dici?

Di ricomporre i disuniti affetti

Non son queste le vie: di pace io venni,

Non di risse ministro.

CATONE.

E ben si parli.

(Udiam che dir potrà.)

FULVIO.

(Tanta virtude

Troppo acerbo lo rende.)

A Cesare.

CESARE.

(Io l’ammiro però, sebben m’offende.)

Pende il mondo diviso

Dal tuo, dal cenno mio: sol che la nostra

Amicizia si stringa, il tutto è in pace.

Se del sangue latino

Qualche pietà pur senti, i sensi miei

Placido ascolterai.

Scena IV.

Emilia, e detti.

EMILIA.

Che veggio, o Dei!

Questo è dunque l’ asilo

Ch’io sperai da Catone? Un luogo istesso

La sventurata accoglie

Vedova di Pompeo col suo nemico!

FULVIO.

(In mezzo alle sventure

E bella ancor.)

CATONE.

Tanto trasporto, Emilia,

Perdono al tuo dolor.

CESARE.

Se tanto ancora

Sei sdegnata con me, sei troppo ingiusta

FULVIO.

Signor, questo non parmi

Tempo opportuno a favellar di pace.

Chiede l’ affar più solitaria parte,

E mente più serena.

CATONE.

Al mio soggiorno

Dunque in breve io v’attendo. E tu frattanto

Pensa Emilia, che tutto

Lasciar l’ affanno in libertà non dei,

Giacchè ti fe la sorte

Figlia a Scipione, ed a Pompeo consorte

Parte.

Scena V.

Cesare, Emilia, e Fulvio.

CESARE.

Tu taci Emilia? In quel silenzio io spero

Un principio di calma.

EMILIA.

T’inganni. Allor ch’io taccio,

Medito le vendette.

FULVIO.

E non ti plachi

D’ un Vincitor si generoso a fronte?

EMILIA.

Io placarmi? Anzi sempre in faccia a lui

Se fosse ancor di mille squadre cinto,

Dirò, che l’odio, e che lo voglio estinto.

CESARE.

Ma ciò Emilia non basta

A turbar la mia pace;

L’odio tuo perchè imbelle non mi spiace

Fiumicel che s’ ode appena

Mormorar fra l’erbe e i fiori

Mai turbar non sa l’arena,

E alle Ninfe, ed ai Pastori

Bell’ oggetto è di piacer.

Venticel che appena scuote

Picciol mirto, o basso alloro;

Mai non desta la tempesta:

Ma cagione è di ristoro

Allo stanco passaggier.

Parte.

Scena VI.

Emilia, e Fulvio.

EMILIA.

Quanto da te diverso

Io ti riveggio, o Fulvio! E chi ti rese

Di Cesare seguace a me nemico?

FULVIO.

Allor ch’io servo a Roma,

Non son nemico a te. Troppo ò nell’ alma

De’ priegi tuoi la bella imago impressa.

EMILIA.

Mal si accordano insieme

Di Cesare l’amico,

E l’amante d’Emilia: o lui difendi,

O vendica il mio Sposo: a questo prezzo

Ti permetto che m’ami.

FULVIO.

(Ah che mi chiede!

Si lusinghi.)

EMILIA.

Che pensi?

FULVIO.

Penso, che non dovresti

Dubitar di mia fe.

EMILIA.

Dunque sarai

Ministro del mio sdegno.

FULVIO.

Un tuo comando

Prova ne faccia.

EMILIA.

Io voglio

Cesare estinto. Or posso

Di te fidarmi?

FULVIO.

Io ti precedo, e sia

Tuo del colpo il consiglio, e l’opra mia.

Parte.

Scena VII.

EMILIA sola.

Se gli altrui folli amori ascolto, e soffro.

E s’io respiro ancor dopo il tuo fato,

Perdona, o Sposo amato,

Perdona; a vendicarmi

Non mi restano altr’armi. A te gli affetti

Tutti donai, per te gli serbo, e quando

Termini il viver mio, saranno ancora

Al primo nodo avvinti

S’ è ver ch’ oltre la tomba amin gli estinti.

O nel sen di qualche stella,

O su’l margine di Lete

Se mi attendi, anima bella,

Non sdegnarti, anch’io verrò.

Si verrò: ma voglia pria,

Che preceda all’ ombra mia

L’ ombra rea di quel tiranno,

Che a tuo danno

Il mondo armò.

Parte.

Scena VIII.

Fabbriche in parte rovinate vicino al soggiorno di Catone.

Cesare, e Fulvio.

CESARE.

Giunse dunque a tentarti

D’ infedeltade Emilia? E tanto spera

Dall’amor tuo?

FULVIO.

Si, ma per quanto io l’ ami,

Amo più la mia gloria.

CESARE.

A Fulvio amico

Tutto fido me stesso.

FULVIO.

E Catone?

CESARE.

A lui vanne, e l’ assicura

Che pria che giunga a mezzo il corso il giorno,

A lui farò ritorno.

FULVIO.

Andrò, ma veggio

Marzia che viene.

CESARE.

In libertà mi lascia

Un momento con lei.

FULVIO.

Io so che l’ami,

So che t’ adora anch’ ella, e so per prova

Qual piacer si ritrova

Dopo lunga stagíon nel dolce istante

Che rivede il suo bene un fido amante.

Scena X.

Marzia, e Cesare.

CESARE.

Pur ti riveggo, o Marzia. Agli occhi miei

Appena il credo, al par di tua bellezza

Crebbe il tuo amore, oppur scemò? Qual parte

Anno gli affetti miei

Neglì affetti di Marzia?

MARZIA.

E tu chi sei?

CESARE.

Chi sono! E qual richiesta? è scherzo? è sogno?

Cesare non ravvisi?

Quello che tanto amasti,

Quello a cui tu giurasti

Per volger d’ anni, o per destin rubello

Di non essergli infida.

MARCIA.

E tu sei quello?

No: tu quello non sei, n’usurpi il nome.

Un Cesare adorai, no’l niego, ed era

Del mondo intier dolce speranza, e mia:

Questo Cesare amai, questo mi piacque

Pria che l’ avesse il Ciel da me diviso.

Questo Cesare torni, e lo ravviso.

CESARE.

Che far di più dovrei? Catone adoro

Nel sen di Marzia: il tuo bel cor ammiro

Come parte del suo: quà più mi trasse

L’Amicizia per lui, che ‘l nostro amore:

MARCIA.

Ecco il Cesare mio. Comincio adesso

A ravvisarlo in te: così mi piaci

Così m’ innamorasti. Ama Catone

Io non ne son gelosa; un tal rivale

Se divide il tuo core,

Più degno sei ch’io ti conservi amore.

CESARE.

Questa è troppa vittoria. Ah mal da tanta

Generosa virtude io mi difendo.

Ti rassicura, io penso

Al tuo riposo, e pria che cada il giorno

Dall’ opre mie vedrai

Che son Cesare ancora, e che t’ amai.

Chi un dolce amor condanna,

Vegga la mia nemica;

L’ascolti, e poi mi dica

S’è debolezza amor.

Quando da si bel fonte

Derivano gli affetti,

Vi son gli Eroi soggetti,

Amano i Numi ancor.

Parte.

Scena XI.

Marzia, e poi Catone.

MARZIA.

Mie perdute speranze

Rinascer tutte entro il mio sen vi sento;

Chi sa? Gran parte ancora

Resta di questo dì.

CATONE.

Andiamo, o Figlia.

MARZIA.

Dove?

CATONE.

Al tempio, alle nozze

Del principe Numida.

MARCIA.

(Oh Dei!) Ma come

Sollecito così?

CATONE.

Non soffre indugio

La nostra sorte.

MARCIA.

(Arbace infido!) All’ Ara

Forse il Prence non giunse.

CATONE.

Un mio fedele

Già corse ad affrettarlo.

In atto di partire.

MARCIA.

(Ah che tormento!)

Scena XII.

Arbace, e detti.

ARBACE.

Deh t’ arresta, o Signor.

A Catone.

MARCIA.

(Sarai contento.)

Piano ad Arbace.

CATONE.

Vieni, o Principe, andiamo

A compir l’imeneo.

ARBACE.

Ah se pur vuoi,

Che si renda più grato; all’ altra avrora

Differirlo ti piaccia.

CATONE.

Nò: già fumano l’are,

Son raccolti i Ministri, ed importuna

Sarebbe ogni dimora.

ARBACE.

(Marzia, che deggio far?)

MARCIA.

(Me’l chiedi ancora?)

CATONE.

Ma qual freddezza è questa? Ah qualche arcano

Quì si nasconde – Arbace

Non ti sarebbe già tornato in mente,

Che nascesti Africano?

ARBACE.

Io da Catone

Tutto sopporto, e pure –

CATONE.

E pur assai diverso

Io ti credea.

ARBACE.

Vedrai –

CATONE.

Vidi abbastanza,

E nulla ormai più da veder m’avanza.

Parte.

ARBACE.

Brami di più crudele?

MARCIA.

Ad ubbidirmi,

Incominciasti appena, e in faccia mia

Già ne fai si gran pompa?

ARBACE.

O tirannia!

Scena XIII.

Emilia, e detti.

EMILIA.

In mezzo al mio dolore a parte anch’io

Son de’ vostri contenti, illustri Sposi.

ARBACE.

Riserba ad altro tempo

Gl’ avgurj, Emilia: è ancor sospeso il nodo.

EMILIA.

Io non l’intendo, e parmi

Il vostro amore inusitato, e nuovo.

ARBACE.

(Anch’io poco l’intendo; e pur lo provo)

E in ogni core

Diverso amore.

Chi pena, ed ama

Senza speranza;

Dell’ incostanza

Chi si compiace:

Questo vuol guerra,

Quello vuol pace;

V’ è fin che brama

La crudeltà.

Frà questi miseri

Si vivo anch’ io,

Ah non deridere

L’affanno mio:

Che forse merito

La tua pietà.

Parte.

Scena XIV.

Marzia, ed Emilia.

EMILIA.

Se manca Arbace alla promessa fede,

E Cesare l’indegno,

Che l’ha sedotto.

MARCIA.

I tuoi sospetti affrena.

E Cesare incapace

Di cotanta viltà benchè, nemico.

EMILIA.

E ragioni così. Che più diresti

Cesare amando? Ah ch’io ne temo, e parmi

Che ‘l tuo parlar lo dica.

Nò, non pensa in tal guisa una nemica.

Parte.

Scena XV.

MARZIA sola.

Ah troppo dissi, e quasi tutto Emilia

Comprese l’amor mio. Ma chi può mai

Si ben dissimular gli affetti sui,

Che gli asconda per sempre agli occhi altrui?

E van turbar la calma

Amanti al vostro core,

Se a discoprir un’ alma

Basta un sguardo ancor.

Se sia celar follia

Quel che celar non giova,

Ben lo conosce a prova

Chi sa che cosa è amor.

Fine dell’ Atto Primo.

Siegue il Ballo.

Atto Secondo

Scena Prima.

Alloggiamenti militari su le rive del fiume Bagrada con varie Isole, che comunicano fra loro per diversi Ponti.

Catone con seguito, poi Marzia, indi Arbace.

CATONE.

Romani, il vostro Duce,

Se mai sperò da voi prove di fede,

Oggi da voi le spera.

MARCIA.

Io veggio, o Padre,

Segni di guerra; e pur sperai vicina

La sospirata pace.

CATONE.

In mezzo all’ armi

Non v’è cura che basti: il solo aspetto

Di Cesare seduce i miei più fidi.

ARBACE.

Signor, già dé’ Numidi

Giunser le schiere: eccoti un nuovo pegno

Della mia fedeltà.

CATONE.

Non basta Arbace

Per togliermi i sospetti.

ARBACE.

Che l’Imeneo nel nuovo dì succeda,

Sì gran colpa non è.

CATONE.

Vio, si conceda.

Ma dentro a queste mura,

Finche Sposo di lei te non rimiro,

Cesare non ritorni.

MARCIA.

(Oh Dei!)

ARBACE.

(Respiro.)

Scena II.

Fulvio, e detti.

FULVIO.

Signor, Cesare è giunto.

MARCIA.

(Torno a sperar.)

CATONE.

Dov’ è?

FULVIO.

D’ Utica appena

Entro le mura.

ARBACE.

(Io son di nuovo in pena.)

CATONE.

Vanne Fulvio: al suo Campo

Digli che rieda: Io farò noto a lui

Quando giovi ascoltarlo.

FULVIO.

In van lo speri.

Si gran torto non soffro.

CATONE.

E che farai?

FULVIO.

Il mio dover.

CATONE.

Ma tu chi sei?

FULVIO.

Son io

Il legato di Roma.

CATONE.

E ben, di Roma

Parta il Legato.

FULVIO.

Si, ma leggi pria

Che contien questo foglio, e chi l’invia.

Fulvio da a Catone un soglio.

ARBACE.

(Marzia perchè si mesta?)

MARCIA.

Eh non scherzar, (che da sperar mi resta?)

Catone apre il foglio, e legge.

CATONE.

Il Senato a Catone. E nostra mente

Render la pace al Mondo. Ognun di noi,

I Consoli, i Tribuni, il Popol tutto,

Cesare istesso, il Dittator la vuole.

Servi al publico voto, e se ti opponi

A così giusta brama,

Suo nemico la Patria oggi ti ebiama.

FULVIO.

(Che dirà!)

Un tal comando

Improviso ti giunge.

CATONE.

E ver. Tu vanne,

E a Cesare – –

FULVIO.

Dirò, che quì l’ attendi,

Che ormai più non soggiorni.

CATONE.

Nò; gli dirai che parta, e più non torni.

FULVIO.

E’l foglio – –

CATONE.

E un foglio infame

Che concepì, che scrisse

Non la ragion, ma la viltade altrui.

FULVIO.

E Roma – –

CATONE.

E Roma

Non sta fra quelle mura, ella è per tutto

Dove ancor non è spento

Di gloria, e liberta l’ amor natio:

Son Roma i fidi miei, Roma son io.

Va, ritorna al tuo Tiranno,

Servi pur al tuo Sovrano;

Ma non dir, che sei Romano

Se non vanti libertà.

Se al tuo cor non reca affanno

D’ un vil giogo ancor lo scorno

Vergognar faratti un giorno

Il pensier di tua beltà.

Scena III.

Marzia, Arbace, e Fulvio.

FULVIO.

A tanto eccesso arriva

L’ Orgoglio di Catone?

MARCIA.

Ah Fulvio. e ancora

Non conosci il suo zelo? Ei crede –

FULVIO.

Ei creda

Pur ciò che vuol, conoscerà fra poco

Se di Romano il nome

Degnamente conservo,

E se a Cesare sono amico, o servo.

Parte.

ARBACE.

Marzia, posso una volta

Sperar pietà?

MARCIA.

Dagli occhi miei t’ invola,

Non aggiungermi affanni

Colla presenza tua. Io ti disciolgo

D’ ogni promessa.

ARBACE.

E acconsenti, ch’io possa

Libero favellar?

MARCIA.

Tutto acconsento,

Purchè le tue querele

Più non abbia a soffrir.

ARBACE.

Marzia crudele.

Parte.

Scena IV.

Marzia, poi Emilia, indi Cesare.

MARZIA.

E qual sorte è la mia! Di pena in pena

Di timore in timor passo, e non provo

Un momento di pace.

EMILIA.

Al fin partito

E Cesare da noi. Come sofferse

Quell’ Eroe si gran torto?

Che disse? Che fara? Tu lo saprai,

Tu che sei tanto alla sua gloria amica.

MARCIA.

Vanne, e chiedilo a lui, egli tel dica.

Parte.

EMILIA.

Che disprezzo, che orgoglio:

Quanto deggio soffrir; ma quì il tiranno

Vien di nuovo! che tenta?

CESARE.

A tanto eccesso

Giunse Catone? Ei brama

Che al mio Campo mi renda?

Io vò; di che m’aspetti, e si difenda.

In atto di partire.

EMILIA.

E si difenderà;

Sarò contenta

Del sangue tuo, ma non in tutto, oh Dio!

Poichè nel petto mio

Del tradito Consorte

Solo non giungi a esacerbar la morte.

Nacqui agl’ affanni in seno,

Ognor così penai,

Ne vidi un raggio mai

Per me sereno in Ciel.

Quell’ empia traditore

Pensa di lusing armi

Ma non potrà ingannarmi

Perchè lo sò infedel.

Parte.

Scena V.

Cesare, e Marzia.

CESARE.

Partì al fine: d’ aletto l’ire atroci

Puoi serbar nel sen, ch’io non le temo.

Del mio bene mi spiace

Solo il tormento, ma che far poss’io,

Se il Padre è l’ostinato? Eccola oh Dio!

MARCIA.

Cesare dove vai?

CESARE.

Io riedo al Campo.

Da Catone schernito in questo giorno.

MARCIA.

Oimè! pace una volta;

Fine all’ire, e alle stragi.

CESARE.

Sitibondo

Sol di sangue è Catone, ei vuol che parta.

MARCIA.

Ti piaca:

Sei sdegnato a ragion, ma con ragione

Il Padre dubitò de’ suoi sospetti,

M’ è nota la cagion, tutto saprai.

CESARE.

Ma che far posso?

Scena VI.

Fulvio, e detti.

FULVIO.

Ormai

Consolati, Signor, la tua fortuna

Degna è d’invidia: ad ascoltarti al fine

Scende Catone. Io di favor si grande

La novella ti reco.

CESARE.

E così presto

Si cangiò di pensiero?

FULVIO.

Aspramente assentì: quasi da lui

Tu dipendessi, e la comun speranza.

CESARE.

Che fiero cor, che indomita costanza!

(E tanto ho da soffrir?) Ah Marzia –

MARCIA.

Io dunque

A moverti a pietà non son bastante?

CESARE.

(Quanto costa al mio cor l’esser amante)

FULVIO.

(Ha vinto amor.)

CESARE.

Per poco ti allontana.

FULVIO.

Vuò a riveder le squadre.

Parte.

CESARE.

Fa quel che vuoi. Marzia, di nuovo al Padre

Vuò chieder pace, e se soffrir conviene

Nuovamente il suo orgoglio,

Ie soffrirò fintanto,

Che di giovargli possa averne il vanto.

MARCIA.

Sì, Cesare mio ben

(Vuò dirlo ancora a dispetto del fato)

Soffri, che lo vedrai mio ben placato.

Se ti è caro l’ amor mio,

Se mi brami a te fedele,

Deh mi salva il Genitor.

CESARE.

Cara, sai che sol desio

Di non essergli crudele:

Cara, sai ch’ io l’ amo ancor.

MARCIA.

Sì, mio ben, in te sol spero.

CESARE.

Spera pur, sarò sincero.

CESARE, MARCIA.

Secondate amiche stelle

L’innocente nostro amor.

Partono.

Scena VII.

Camera con sedili.

Catone, indi Marzia.

CATONE.

Si vuole ad onta mia

Che Cesare s’ ascolti?

L’ ascolterò; ma in faccia

Agli uomîni, ed ai Numi io mi protesto

Che da tutti costretto

Mi riduco a soffrirlo, e con mio affanno

Debole io son per non parer tiranno.

MARCIA.

Oh di quante speranze

Questo giorno è cagion! Da due si grandi

Arbitri della Terra

Incerto il Mondo, e curioso pende;

E da voi pace, o guerra

O servitude, o libertade attende.

CATONE.

Inutil cura.

MARZIA.

Or viene

Guardando verso la scena.

Cesere a te.

CATONE.

Lasciami seco.

MARZIA.

(Oh Dei!

Per pietà secondate i voti miei.)

Parte.

Scena VIII.

Cesare, e detto.

CATONE.

Cesare, a me son troppo

Preziosi í momenti, e qui non voglio

Perdergli in ascoltarti:

O stringi tutto in poche note, o parti.

Siede.

CESARE.

T’appaghero. Ad ogni costo io voglio

Siede.

Pace con te: tu scegli i patti, io sono

Ad accettargli accinto,

Come faria col Vincitor il vinto.

(Or che dirà?)

CATONE.

Tanto offerisci?

CESARE.

E tanto

Adempirò, che dubitar non posso

D’ un’ ingiusta richiesta.

CATONE.

Giustissima sarà. Lascia dell’ armi

L’ usurpato comando: il grado eccelso

Di Dittator deponi: e come reo

Rendi in carcere angusto

Alla Patria ragion de’ tuoi misfatti.

Questi, se pace vuoi, saranno i patti.

CESARE.

Ed io dovrei – –

CATONE.

Di rimaner oppresso

Non dubitar, che allora

Sarò tuo difensore.

CESARE.

(E foffro ancora!)

Tu sol non basti: io so quanti nemici

Con gli eventi felici

M’irritò la mia sorte, onde potrei

I giorni miei sagrificare in vano.

CATONE.

Ami tanto la vita, e sei Romano?

S’ alza.

CESARE.

Ferma, Catone.

CATONE.

E vano

Quanto puoi dirmi.

CESARE.

Un sol momento aspetta

Altre offerte io farò.

CATONE.

Parla, e t’ affretta.

Torna a sedere.

CESARE.

(Quanto sopporto!) Il combattuto acquisto

Dell’ impero del Mondo, il tardo frutto

De’ miei sudori, de perigli miei,

Se meco in pace sei

Dividerò con te.

CATONE.

Si, perchè poi

Diviso ancor fra noi

Di tante colpe tue fosse il rossore.

CESARE.

Perchè fra noi sicura

Rimanga l’ amistà, darò di sposo

La destra a Marzia.

CATONE.

Alla mia figlia?

CESARE.

A lei.

CATONE.

Ah prima degli Dei

Piombi sopra di me tutto lo sdegno;

E a proposte si ree – –

CESARE.

Taci una volta:

S’ alzano.

Hai cimentato assai

La tolleranza mia.

In atto di partire.

Scena IX.

Marzia, e detti.

MARZIA.

Cesare, e dove?

CESARE.

Al Campo.

MARCIA.

Oh Dio t’ arresta.

Questa è la pace?

A Catone.

E questa

L’ amistà sospirata?

A Cesare.

CESARE.

Il Padre accusa:

Egli vuol guerra.

MARCIA.

Ah Genitor.

CATONE.

T’ accheta.

Di costui non parlar.

MARCIA.

Cesare.

CESARE.

Ho troppo

Tollerato fin’ora: quasi con lui

Vile mi resi. Addio –

In atto di partire.

MARCIA.

Fermati.

CATONE.

E lascia

Che s’involi al mio sguardo.

MARCIA.

Ah nò, placate

Ormai l’ire ostinate. Ah più non cada

Al figlio, che l’uccise, il Padre accanto.

Basti alfin tanto sangue, e tanto pianto.

CATONE.

Non basta a lui.

CESARE.

Non basta a me? Se vuoi,

A Catone.

V’ è tempo ancor: pongo in oblio le offese

E la tua scelta attendo.

Chiedimi guerra, o pace,

Sodisfatto sarai.

CATONE.

Guerra! guerra mi piace.

CESARE.

E guerra avrai.

Se in Campo armato

Vuoi cimentarmi,

Vieni: che ‘l fato

Frà l’ ire, e l’ armi,

La gran contesa

Deciderà.

Delle tue logrime,

A Marzia.

Del tuo dolore

Accusa il barbaro

Tuo Genitore:

Il Cor di Cesare

Colpa non bà.

Parte.

Scena X.

Catone, e Marzia, indi Emilia.

MARCIA.

Ah Signor che facesti? Ecco in periglio

La tua, la nostra vita.

CATONE.

Il viver mio

Non fia tua cura, a te pensai.

EMILIA.

Qual via

D’ uscir da queste mura

Cinte d’ assedio?

CATONE.

In solitaria parte

A me noto è l’ingresfo

Di sotterranea via.

EMILIA.

(Può giovarmi il saperlo.)

Scena XI.

Arbace, e detti.

ARBACE.

Signor, so che a momenti

Pugnar si deve. Imponi

Che far degg’io. Senz’aspettar l’aurora,

Ogn’ingiusto sospetto a render vano

Vengo Sposo di Marzia, ecco la mano.

(Mi vendico così.)

MARCIA.

Temo. ed ammiro

L’incostante tuo cor.

ARBACE.

D’ogni riguardo

Disciolto io sono, e la ragion tu sai.

CATONE.

Che tardi?

A Marzia.

EMILIA.

(Che farà!)

MARCIA.

(Numi, consiglio.)

CATONE.

Più non s’aspetti, a lei

Porgi, Arbace, la destra.

ARBACE.

Eccola; in dono

Il cor, la vita, il soglio

Così presento a te.

MARCIA.

Va: non ti voglio.

ARBACE.

Come!

EMILIA.

(Che ardir!)

CATONE.

Perchè?

A Marzia.

MARCIA.

Finger non giova

Tutto dirò. Mai non mi piacque Arbace

Mai no ‘l soffersi, egli può dirlo: ei chiese

Il differir le nozze

Per cenno mio: sperai che al fin più saggio

L’autorità d’un Padre

Impegnar non volesse a far soggetti

I miei liberi affetti.

Ma giacchè sazio ancora

Non è di tormentarmi, e vuol ridurmi

A un’ estremo periglio,

A un’ estremo rimedio anch’io m’ appiglio.

CATONE.

Son fuor di me, onde tant’ odio, e d’onde

Tant’ avdacia in costei?

Ad Emilia, e ad Arbace.

EMILIA.

Forse altro foco

L’accenderà.

ARBACE.

Oh Dio!

EMILIA.

Chi sa?

CATONE.

Parlate.

ARBACE.

Il rispetto – –

EMILIA.

Il decoro – –

MARCIA.

Tacete, io lo dirò. Cesare adoro.

CATONE.

Cesare?

MARCIA.

Si, perdona,

Amato Genitor.

CATONE.

Togliti indegna,

Togliti agli occhi miei.

MARCIA.

Padre –

CATONE.

Che Padre?

D’ una perfida figlia

Ch’ ogni rispetto oblia, che in abbandono

Mette il proprio dover, Padre non sono.

Dovea svenarti allora

A Marzia.

Che apristi al dì le ciglia.

Dite, vedeste ancora

Ad Emilia, e ad Arbace.

Un Padre, ed una figlia

Perfida al par di lei

Misero al par di me?

L’ira soffrir saprei

D’ ogni destin tiranno

A questo solo affanno.

Costante il cor non è.

Parte.

Scena XII.

Marzia, Emilia, e Arbace.

MARCIA.

Sarete paghi al fin. Volesti al Padre

Ad Arbace.

Vedermi in odio? Eccomi in odio. Avesti

Ad Emilia.

Desio di guerra? Eccoci in guerra. Or dite,

Che bramate di più?

ARBACE.

M’ accusi a torto

Tu mi togliesti, il sai,

La legge di tacere.

EMILIA.

Io non t’ offendo,

Se vendetta desio.

MARCIA.

Ma uniti intanto

Contro me congiurate.

Ditelo, che vi feci, anime ingrate?

So, che godendo vai

Del duol che mi tormenta;

Ma lieto non sarai,

Ad Arbace.

Ma non sarai contenta;

Ad Emilia.

Voi penerete ancor.

Nelle sventure estreme

Noi piangeremo insieme.

Tu non avrai vendetta,

Ad Emilia.

Tu non sperare amor.

Ad Arbace.

Parte.

Scena XIII.

Emilia, ed Arbace.

EMILIA.

Udisti, Arbace? Il credo appena. A tanto

Giunge dunque in costei

Un temerario amor? A tale oltraggio

Si riscuota una volta il tuo coraggio.

Scena XIV.

ARBACE solo.

L’ingiustizia, il disprezzo,

La tirannia, la crudeltà, lo sdegno

Dell’ ingrato mio ben senza lagnarmi

Tollerar io saprei. Tutte son pene

Soffribili ad un cor. Ma su le labbra

Della nemica mia sentire il nome

Del felice rival: saper che l’ama;

Udir che i pregi ella ne dica, e tanto

Mostri per lui di ardire:

Questo, questo è penar, questo è morire.

Così talor rimira

Fra le procelle, e i lampi,

Nuotar sù l’ onde, e i campi

L’afflitto agricoltor.

Geme, e si lamenta

E nel suo cor rammenta

Quanto vi sparse in vano

D’ affanno, e di sudor.

Parte.

Fine dell’ Atto Secondo.

Siegue il Ballo.

Atto Terzo

Scena Prima.

Cortile.

Cesare, e Fulvio.

CESARE.

Tutto, amico, ho tentato: Andiamo ormai

Giusto è il mio sdegno, ho tollerato assai.

In atto di partire.

FULVIO.

Ferma, tu corri a morte.

CESARE.

Perchè?

FULV.

Già su le porte

D’ Utica v’ è, chi nell’ uscir ti deve

Privar di vita.

CESARE.

E chi pensò la trama?

FULVIO.

Emilia: altro riparo

Offre la sorte.

CESARE.

E quale?

FULVIO.

Un che fra l’ armi

Milita di Catone, infino al Campo

Per incognita strada

Ti condurrà. Ti attende

D’ Iside al fonte. Egli m’è noto, a lui

Fidati pur; intanto al campo io riedo.

E per renderti più la via sicura,

Darò l’assalto alle nemiche mura.

CESARE.

E fidarsi così?

FULVIO.

Vivi sicuro.

Avran di te, che sei

La più grand’ opra lor, cura gli Dei.

La fronda

Che circonda

A’ vincitori il crine,

Sogetta alle ruine

Del folgore non è.

Compagna della cuna

Apresse la fortuna

A militar con te.

Parte.

Scena II.

Cesare, e poi Marzia.

CESARE.

Quanti aspetti la sorte

Cangia in un giorno!

MARCIA.

Ah Cesare, che fai?

Come in Utica ancor?

CESARE.

L’insidie altrui

Mi son d’inciampo.

MARCIA.

Per pietà, se m’ami,

Come parte del mio

Difendi il viver tuo: Cesare, addio.

In atto di partire.

CESARE.

Fermati, dove fuggi?

MARZIA.

Al germano, alle navi. Il Padre irato

Vuol la mia morte. (Oh Dio

Guardando intorno.

Giugesse mai.) Non m’arrestar, la fuga

Sol può salvarmi.

CESARE.

Abbandonata, e sola

Arrischiarsi così? Ne’ tuoi perigli

Seguirti io deggio.

MARCIA.

Nò; s’ è ver che m’ami,

Me non seguir, pensa a te sol, non dei

Meco venir, addio.

In atto di partire.

CESARE.

Così t’ involi?

MARCIA.

Chi sa se più ci rivedremo, e quando,

Chi sa, che’l fato rio

Non divida per sempre i nostri affetti!

CESARE.

E nell’ ultimo addio tanto ti affretti!

MARCIA.

Confusa, smarrita

Spiegarti vorrei

Che fosti – che sei –

Intendimi oh Dio!

Parlar non poss’ io,

Mi sento morir.

Fra l’ armi se mai

Di me ti rammenti,

Io voglio – tu sai –

Che pena! Gli accenti

Confonde il martir.

Parte.

Scena III.

Cesare, poi Arbace.

CESARE.

Quali insoliti moti

Al partir di costei prova il mio core!

ARBACE.

Quale ardir, qual disegno

T’ arresta ancor fra noi?

CESARE.

E tu chi sei?

ARBACE.

Non mi conosci?

CESARE.

Nò.

ARBACE.

Son tuo rivale

Nell’ armi, e nel’ amor.

CESARE.

Dunque tu sei

Il Principe Numida

Di Marzia amante, e al Genitor sì caro?

ARBACE.

Si quello io sono.

CESARE.

Ah se pur l’ ami, Arbace

La siegui, la raggiungi, ella s’ invola

Del Padre all’ ira intimorita, e sola.

ARBACE.

Dove corre?

CESARE.

Al germano.

ARBACE.

Ammiro il tuo gran cor, tu del mio bene

Al soccorso m’affretti, il tuo non curi;

E colei che t’ adora

Con generoso eccesso

Rival confidi al tuo rivale istesso.

Parte.

Scena IV.

CESARE solo.

Del rivale all’ vita

Or che Marzia abbandono, ed or che ‘l fato

Mi divide da lei, non so qual pena.

Incognita fin or m’ agita il petto,

Taci importuno affetto.

Nò, fra le cure mie luogo non hai,

Se a più nobil desio servir non sai.

Quell’ amor che poco accende

Alimenta un cor gentile;

Come l’ erbe il nuovo Aprile,

Come i fiori il primo albor.

Se tiranno poi si rende

La ragion ne sente oltraggio;

Come l’ erba al caldo raggio,

Come al gielo esposto il fior.

Parte.

Scena V.

Luogo ombroso circondato d’ Alberi con fonte d’ Iside da un lato, e dall’ altro ingresso praticabile d’ acquedotti antichi.

MARZIA sola.

Pur veggo al fine un raggio

D’ incerta luce in fra l’ orror di queste

Dubbiose vie; ma non ritrovo il varco

Gardando attorno.

Che al mar conduce. Ah se d’ uscir la via

Rivenir non sapessi – Eccola. Al lido

S’ avvede della porta.

S’affretti il piè. Ma s’io non erro il passo

Chiuso mi sembra. Oh Dei!

Pur troppo è vero: ma quali io sento

Di varie voci, e di frequenti passi

Suono indistinto? Ove n’ andrò?

S’ avvanza.

Forza è celarsi. E quando

I timori, e gli affanni

Avran fine una volta, astri tiranni.

Si nasconde.

Scena VI.

Emilia con spada nuda, e gente armata, e Marzia in disparte.

EMILIA.

E’ questa, amici, il luogo, ove dovremo

La vittima svenar. Fra pochi istanti

Cesare giungerà. Chiusa è l’ uscita

Per mio comando, onde non v’è per lui

Via di fuggir. Voi fra que’ sassi occulti

Attendete il mio cenno.

La gente di Emilia si ritira.

MARCIA.

(Ahimè che sento!)

Scena VII.

Cesare, e dette in disparte.

CESARE.

Quì il calle si dilata; ai noti segni

Questo il varco sarà. Io di mia sorte

Feci in rischio maggior più certa prova.

EMILIA.

Ma, questa volta il suo favor non giova.

Esce.

MARCIA.

(O sorte!)

CESARE.

Emilia armata!

EMILIA.

E giunto il tempo

Delle vendette mie.

CESARE.

Fulvio ha potuto

Ingannarmi così?

EMILIA.

No, dell’ inganno

Tutta la gloria è mia. Forse volevi

Che insensati gli Dei sempre i tuoi falli

Soffrissero così?

CESARE.

Alfin che chiedi?

EMILIA.

Il sangue tuo.

CESARE.

Sì lieve

Non è l’ impresa.

EMILIA.

Or lo vedremo.

MARCIA.

(Oh Dio!)

EMILIA.

Olà costui svenate.

Esce la gente d’ Emilia.

CESARE.

Prima voi caderete.

Cava la spada.

MARCIA.

Empj fermate.

CESARE.

(Marzia!)

EMILIA.

(Che veggio!)

MARCIA.

E di tradir non sente

Vergogna Emilia?

EMILIA.

E di fuggir con lui

Non ha Marzia rossore?

CESARE.

(O strani eventi!)

MARCIA.

Io con Cesare! Menti.

L’ ira del Padre ad evitar m’ insegna

Giusto timor.

Scena VIII.

Catone con spada nuda, e detti.

CATONE.

Pur ti ritrovo, indegna,

Verso Marzia.

MARCIA.

(Misera.)

CESARE.

Non temer.

Si pone avanti a Marzia.

CATONE.

Che miro!

Vedendo Cesare.

EMILIA.

O stelle!

Vedendo Catone.

CATONE.

Tu in Utica, o superbo?

A Cesare.

Tu seco, o scellerata?

A Marzia.

Voi quì senza mio cenno?

Alle genti.

Emilia armata?

Che si vuol? che si tenta?

CESARE.

La morte mia, ma con viltà.

EMILIA.

Eh s’ uccida.

A Catone.

MARZIA.

Padre pietà.

CATONE.

Deponi il brando.

A Cesare.

CESARE.

Il brando

Io non cedo così.

S’ ode di dentro rumore.

EMILIA.

Qual’ improviso

Strepito ascolto!

CATONE.

Insidia è questa. Ah prima

Ch’ altro ne avvenga, all’ onor mio si ferva.

L’ empia figlia uccidete,

Disarmate il tiranno, io vi precedo.

Alle genti.

Scena IX.

Fulvio con gente armata, e detti.

FULVIO.

Venite, amici.

EMILIA, MARZIA.

O Ciel!

CATONE.

Numi che vedo!

EMILIA.

Inutil ferro.

Getta la spada.

MARZIA.

Oh Dei!

FULVIO.

Parte di voi rimanga

Di Cesare in difesa. Emilia, addio.

EMILIA.

Va, indegno.

FULVIO.

A Roma io servo, e al dover mio.

Parte Fulvio, e restano alcune guardie con Cesare.

CESARE.

Catone, io vincitor –

CATONE.

Taci, se chiedi

Ch’io ceda il ferro, eccolo; un tuo comando

Getta la spada.

Udir non voglio.

CESARE.

Ah nò, torni al tuo fianco,

Torni l’ illustre acciar.

CATONE.

Sarebbe un peso

Vergognoso per me, quando è tuo dono.

MARCIA.

Caro Padre –

CATONE.

T’ accheta:

Il mio rosfor tu sei.

MARCIA.

Si plachi almeno

Il Cor d’ Emilia.

EMILIA.

Il chiedi in vano.

CESARE.

Amico

A Catone.

Pace pace una volta.

CATONE.

In van la speri.

MARCIA.

Ma tu che vuoi?

Ad Emilia.

EMILIA.

Viver fra gli odj, e l’ ire.

CESARE.

Ma tu che brami?

A Catone.

CATONE.

In libertà morire.

MARCIA.

Deh in vita ti serba.

A Catone.

CESARE.

Deh sgombra l’ affanno

Ad Emilia.

CATONE.

Ingrata, superba.

A Marzia.

EMILIA.

Indegno, Tiranno.

A Cesare.

CESARE.

Ma t’ offro la pace.

A Catone.

CATONE.

Il dono mi piace.

MARCIA.

Ma l’odio raffrena.

Ad Emilia.

EMILIA.

Vendetta sol voglio.

CESARE.

Che duolo!

MARCIA.

Che pena!

EMILIA.

Che fasto!

CATONE.

Che orgoglio!

CESARE, MARCIA, CATONE, EMILIA.

Più strane vicende

La sorte non bà.

MARCIA.

M’ oltraggia, m’ offende

Da se.

Il Padre sdegnato.

CESARE.

Non cangia pensìero

Verso Catone.

Quel core ostinato.

EMILIA.

Vendetta non spero.

Da se.

CATONE.

La figlia è ribelle.

Da se.

EMILIA, CATONE, CESARE, MARCIA.

Che voglian le stelle,

Quest’ alma non sà.

Partono.

Scena X.

Arbace con spada nuda, ed alcuni seguaci, indi Emilia.

ARBACE.

Dove mai l’ Idol mio,

Dove mai si celò? Compagni, amici,

Ah per pietà si cerchi,

Si diffenda il mio ben – Ma avrà già forse

Fulvio con l’ armi – Ardir, miei fidi, andiamo

Contro lo stuolo audace

A vendicarci Arbace.

Parte furioso con gli altri.

EMILIA.

Fermati Arbace

Ei non m’ ode, e mi lascia

Così incerta a penar. Numi di Roma

Assisteteci voi – ma no; voi siete

Tutti sordi per me – più non amate

Che l’ inganno, e l’ error – Che dissi! ah oppressa

Dal dolor, non ravviso omai me stessa.

Se un’ istante io m’ abbandono

All’ affanno, che mi guida,

E’ ragion ch’ io mi divida

Frà la speme, ed il timor.

E men grata (ancorchè fida)

So ben io che a voi sarei,

Se sprezzare, eterni Dei,

Io potessi il vostro amor.

Parte.

Scena XI.

Gran piazza d’armi dentro le mura di Utica, parte di dette diroccate. Campo di Cesariani fuori della Città, con padiglioni, tende, e macchine militari.

Nell’ aprirsi della Scena si vede l’ attacco sopra le mura, Arbace al di dentro, che tenta respinger Fulvio già entrato con parte de’ Cesariani dentro le mura, poi Catone in soècorso d’ Arbace, indi Cesare difendendosi da alcuni, che l’ anno assalito. I Cesariani entrano le mura, Cesare, Catone, Fulvio, ed Arbace si disviano combattendo. Siegue gran fatto d’ armi fra i due eserciti. Cade il resto delle mura, suggono i Soldati di Catone respinti: I Cesariani li seguitano, e rimasta la Scena vuota, esce di nuovo Catone con spada rotta in mano.

CATONE solo.

Vinceste, inique stelle. Ecco distrugge

Un punto sol di tante etadi e tante

Il sudor, la fatica. Ecco soggiace

Di Cesare all’ arbitrio il mondo intero.

Dunque (chi’l crederia?) per lui sudaro

I Metelli, i Scipioni? Ogni Romano

Tanto sangue versò sol per costui?

E l’ istesso Pompeo pugnò per lui?

Misera libertà, patria infelice,

Ingratissimo figlio! Altro il valore

Non ti lasciò degli Avi

Nella terra già doma

Da soggiogar, che ‘l Campidoglio, e Roma.

Ah non potrai, Tiranno,

Trionfar di Catone. E se non lice

Viver libero ancor; si vegga almeno

Nella fatal ruina

Spirar con me la libertà Latina.

In atto d’ uccidersi.

Scena XII.

Marzia da un lato, Arbace dall’ altro, e detto.

MARCIA.

Padre.

ARBACE.

Signor.

MARCIA, ARBACE.

T’ arresta.

CATONE.

Al guardo mio

Ardisci ancor di presentarti ingrata?

MARCIA.

Perdono, o Padre,

S’ inginocchia.

Caro Padre, pietà. Questa che bagna

Di lagrime il tuo piede, è pur tua figlia.

ARBACE.

Placati alfine.

CATONE.

Or senti.

Se vuoi, che l’ ombra mia vada placata

Al suo fatal soggiorno, eterna fede

Giura ad Arbace, e giura

All’ oppressore indegno

Della patria, e del mondo, eterno sdegno.

MARCIA.

(Morir mi sento.)

CATONE.

E pensi ancor? Conosco

L’ animo avverso. Ah da costei lontano

Volo a morir.

MARCIA.

Nò, Genitore: ascolta:

S’alza.

Tutto farò. Vuoi che ad Arbace io serbi

Eterna fè? La serberò. Nemica

Di Cesare mi vuoi? Dell’ odio mio

Contro lui t’ assicuro.

CATONE.

Giuralo.

MARCIA.

(Oh Dio!) Su questa man lo giuro.

Prende la mano di Catone, e la baccia.

ARBACE.

Mi fa pietade.

CATONE.

Or vieni

Fra queste braccia, e prendi

Gli ultimi amplessi miei, figlia infelice.

Son Padre alfine, e nel momento estremo

Cedi ai moti del sangue

La mia fortezza. Ah non credea lasciarti

In Africa così.

MARZIA.

Questo è dolore.

Piange.

CATONE.

Non seduca quel pianto il mio valore.

Per darvi alcun pegno

D’ affetto il mio core;

Vi lascia uno sdegno,

Vi lascia un amore;

Ma degno di voi,

Ma degno di me.

Io vissi da forte,

Più viver non lice:

Almen sia la sorte

Ai figli felice,

Se al Padre non è.

Parte.

Scena XIII.

A suono di giolivi stromenti vien portato Cesare sopra Carro trionfale formato di scudi, e d’ insegne militari, preceduto dall’ esercito vittorioso de’ Numidi, istromenti bellici, e Popolo.

Cesare, e Fulvio.

CESARE.

Il vincere, o Compagni,

Non è tutto valor: la sorte ancora

Ha parte ne’ trionfi. Il proprio vanto

Del vincitore è il moderar se stesso,

Nè incrudelir sù l’ inimico oppresso.

Conservate in Catone

L’ esempio degli Eroi

A me, alla patria, all’ universo, a voi.

FULVIO.

Cesare non temerne, e già sicura

La salvezza di lui. Corse il tuo cenno

Per le schiere fedeli.

Scena ultima.

Marzia, Emilia, e detti.

MARCIA.

Lasciatemi, o crudeli.

Verso la Scena.

Voglio del Padre mio

L’ estremo fato accompagnare anch’ io.

FULVIO.

Che fù?

CESARE.

Che ascolto!

MARCIA.

Ah quale oggetto! Ingrato

A Cesare.

Và, se di sangue hai sete, estinto mira

L’ infelice Catone. Eccelsi frutti

Del tuo valor son questi. Il più dell’opra

Ti resta ancor. Via quell’ acciaro impugna

E in faccia a queste squadre

La disperata figlia unisci al Padre.

Piange.

CESARE.

Ma come! per qual mano? –

Si trovi l’ uccisor.

EMILIA.

Lo cerchi in vano.

MARCIA.

Volontario morì. Catone oppresso

Rimase, è ver, ma da Catone istesso.

CESARE.

Roma, chi perdi!

EMILIA.

Roma

Il suo vindice avrà.

Parte.

CESARE.

Tu, Marzia, almen rammenta –

MARCIA.

Io mi rammento,

Che son per te d’ ogni speranza priva,

Orfana, desolata, e fuggitiva.

Giurai d’ odiarti; e per maggior tormento

Che un ingrato adorai pur mi rammento.

Parte.

CESARE.

Quanto perdo in un di!

FULVIO.

Quando trionfi,

Ogni perdita è lieve.

CESARE.

Ah se costar mi deve

I giorni di Catone il serto, il trono,

Repigliatevi, o Numi, il vostro dono.

Getta il lavro.

Fine dell’ Atto Terzo.

Siegue l’ultimo Ballo.

Johann Christian Bach – Cato in Utica

Johann Christian Bach

Cato in Utica

Ein Musikalisches Singe-Spiel

Personen

Cato

Cesar

Marcia, Tochter des Cato, und heimliche Liebhaberin des Cesars

Arbaces, Königlicher Numidischer Prinz, Freund des Caro, und Liebhaber der Marcia

Emilia, des Pompejus Witwe

Fulvio, Abgesandter des Römischen Raths an den Cato, von der Parthey des Cesars, und Liebhaber der Emilia

Die Musik ist von dem bey Ihro Königlichen Majestät der Königin von England in Diensten stehenden Kapellmeister, Herrn D. Johann Bach.

Veränderung der Schaubühne.

In der ersten Abhandlung.

Waffensaal.

Innerer Theil der Maure von Utika, und in Prospekt das Thor der Stadt, mit einer Zugbrücke verschlossen, die sich aber nachhero herunter läßt.

Gebäude so zum Theil verwüstet sind, nahe bey der Wohnung des Cato.

In der zweyten Abhandlung.

Kriegeslager an dem Ufer des Flusses Bagrada, mit verschiedenen Inseln, welche durch Brücken zusammen vereiniget sind.

Zimmer mit Stühlen.

In der dritten Abhandlung.

Vorhof.

Ein von Bäumen umgebener schattigter Ort, auf der einen Seite Quellen der Ists, auf der andern ein bequemer Eingang mit alten Canälen.

Ein großer Waffenplatz in den Mauren von Utika. Stücke der schon gedachten verfallnen Häuser. Ausser der Stadt das Lager von Cesars Truppen mit Zelten, und kriegerischen Maschinen.

Inhalt.

Nach dem Tode des Pompejus, machte sich sein Gegner Julius Cesar zum beständigen Diktator. Man sahe, daß ihm nicht allein Rom und der Rath, sondern die ganze Welt huldigte, ausser dem jüngern Cato, ein Römischer Rathsherr, welcher nachhero nach dem Orte, wo er gestorben war, Cato von Utika genannt wurde: Ein Mann, welcher als Vater des Landes, nicht blos wegen seiner strengen Beobachtung der alten Gebräuche, sondern auch seiner Tapferkeit wegen, verehrt wurde. Er war ein großer Freund des Pompejus, und ein strenger Beschützer der Römischen Freyheit. Diese hatten in Utika den kleinen Rest der zerstreueten Armee des Pompejus, mit Hülfe des Juba Königs der Numidier, eines aufrichtigen Freundes der Republik zusammengezogen, und hatte den Muth sich dem Glücke des Siegers entgegen zu stellen. Cesar kam hier mit einem zahlreichen Heer an, und ob er ihn gleich mit einer so überwiegenden Macht unterdrücken konnte, so wandte er doch statt der Drohungen nur Bitten an, um sich ihm zum Freunde zu machen, weil er seine Tugend sehr hoch schätzte; allein Cato, nachdem er alle Anträge verächtlich abschlagen, und von dem Schutz der Römer sich verlassen sahe, wollte lieber als ein freyer Mann sterben, indem er sich selbst tödtete. Cesar ließ bey dessen Tode Zeichen der grössesten Betrübniß blicken, daß die Nachwelt in Zweifel blieb, ob sie mehr seine Großmuth, welche die Tugend auch im Feinde verehret, oder die Standhaftigkeit des andern bewundern sollte, welcher die verlohrne Freyheit des Vaterlandes nicht überleben wollte.

Der Schauplatz ist in Utika, einer Afrikanischen Stadt.

Erste Handlung

Erster Auftritt.

Ein Waffensaal.

Cato, Marcia und Arbaces.

MARCIA.

Warum bist du so betrübt, o Vater?

Wenn auch deine Standhaftigkeit

An zu wanken fängt, so ist Rom schon unterdrückt.

Rede: deine Betrübniß

Ist dem Herzen einer Tochter

Weit schmerzlicher

Als alles Unglück.

ARBACES.

Woran denkst du Herr? Bey diesen Stillschweigen

Kenne ich kaum den Cato mehr.

Ach, wenn das erste Feuer

Deines großen Herzens schon einigermaßen erlöscht ist;

So ist keine Freyheit mehr für uns übrig, und Cesar hat gesiegt.

CATO.

Tochter, Freund, die Traurigkeit

Und das Stillschweigen sind nicht allezeit

Merkmale der Niederträchtigkeit. Die Wuth des Cesars

Hat alles verändert. Die Hoffnung

Wohnt noch in mir, die ihm zuvorkömt;

Rom ists, welches in den Armen seines Tyrannen seufzet,

Und ihr fraget, warum ich tiefsinnig bin, warum ich schweige?

MARCIA.

Wer weiß? Cesar ist vielleicht noch

Roms Sohn.

CATO.

Aber ein unbarmherziger Sohn

Welcher seinen Leidenschaften dienet.

ARBACES.

Cesar bat noch nicht ganz Rom besiegt,

Seiner Wuth bleibt noch

Der stärkste Widerstand zu überwinden übrig.

CATO.

Und was bleibt denn Rom noch übrig?

ARBACES.

Dein Herz bleibt ihm übrig,

Und wenn nicht durch deinen Rath

Unsre letzte Hoffnung einschlägt,

So würde ich meine Numidier nicht keñen.

CATO.

Es ist mir bekannt, und ich habe viel verborgen,

Da ich deine Tapferkeit verschwiegen; erhabene Seele

Welcher nichts ermangelt, als das Glück

Eine Geburth Roms zu seyn.

ARBACES.

Ach Herr, verbessere diesen Fehler

Der nicht von mir herkömt; deine Tugend

Verehre ich schon seit langer Zeit in der

Brust der Marcia. Verknüpfe also

Unsre Freundschaft noch stärker.

Erlaube, daß ich als Bräutigam ihr die Hand reiche:

Die Tochter haßt mich nicht, so bin ich ein Römer.

MARCIA.

Und du, Vater, könntest zugeben, daß die, welche als eine Bürgerin

In Rom gebohren, und ernährt ist,

Zum Verbündnisse mit einem Könige

In das Capitolium gienge?

ARBACES.

(Welch ein edler Stolz!)

CATO.

So wie sich das Schicksal verändert,

Verändern sich auch die Gebräuche.

Prinz, fürchte nichts; in kurzem

Soll Marcia deine Braut seyn. Nimm bis dahin

Das erste Pfand meiner väterlichen Liebe

In dieser Umarmung

Er küßt ihn.

Und bedenke, daß von heute an

Rom dein Vaterland sey. Du bist nun

Ein Römer, und deine Pflicht ist

Rom zu erretten, oder mit ihm zu fallen.

Mir diesen schönen Namen auf der Stirn

Wirst du weit tapferer fechten

Und das Geschick wird in dir

Einen Sohn Roms verehren.

Lebe frey, und wenn das Schicksal

Dir auch dieses versagt,

So wirst du wenigstens von mir lernen,

Wie man sterben muß.

Zweyter Auftritt.

Marcia, Arbaces.

ARBACES.

Ihr meine unglücklichen Triebe,

Wenn sie von deinen schönen Herzen kein Mitleid

Erlangen können, wenn nicht Liebe –

MARCIA.

Allein was habe ich bis hieher

Für Proben von deiner Liebe?

ARBACES.

Du hast noch keine gefodert?

MARCIA.

Und wenn ich, o Prinz

Nun jetzt diese Proben von dir verlangte?

ARBACES.

Ausser dich nicht zu verlassen,

Werde ich sonst alles thun.

MARCIA.

So verlange ich denn, daß an diesen Tage von keiner

Vermählung geredet werde: Deiner Foderung

Hat der Vater beygestimmt,

Er muß nicht wissen, was ich dir aufgelegt, und ich bin zufrieden.

ARBACES.

Allein, warum willst du, daß ich selbst

Meine Glückseligkeit so weit entferne?

MARCIA.

Erfülle meinen Befehl, und bedenke

Wie viel du versprochen, und wie viel ich befohlen habe.

ARBACES.

Werden mir hernach diese geliebten Augen

Mitleid oder Haß bringen?

MARCIA.

Ich drohe dir keinen Haß,

Ich verspreche dir keine Liebe:

Gieb mir nur ein Merkmal der Treue,

Verlaß dich auf mein Herz,

Ich will sehn, ob du mich liebst.

Dich hernach zu belohnen,

Laß meine Sorge seyn

Verlange keine Belohnung,

So sehr du sie wünschest.

Gehn ab.

Dritter Auftritt.

Innerer Theil der Mauer von Utika, nebst dem Stadtthore, welches im Prospekt mit einer Zugbrücke geschlossen ist, die sich hernach herabläßt.

Cato, hernach Cesar und Fulvius.

CATO.

So komme denn Cesar. Den Grund

Welcher ihn herführt, begreife ich nicht.

Ist es Betrug? Ist es Furcht?

Nein: einen Römer wird der Ehrgeitz

Zum herrschen nicht so ins Herze kommen,

Daß er darüber niederträchtig denken solte.

Die Brücke wird herunter gelassen, und man sieht den Cesar mit den Fulvius kommen.

CESAR.

Ich zeige mich nicht vor dir mit vielen hundert Kriegsschaaren,

Die ich bewaffnet zu meiner Vertheidigung

In offnen Felde habe. Ohne Waffen, und

Allein mich auf deine Treue verlassend

Komme ich in diese feindseligen Mauren.

So sehr ehrt Cesar

Des Cato Tugend, und bestrebt sich selbige nachzuahmen.

CATO.

Du kennest mich genung, und da du dich auf mich verläßt,

Thust du nichts als deine Schuldigkeit.

CESAR.

Es ist wahr, ich kenne dich. Und gegen meine Waffen

War das Schicksal

Zu verschwenderisch mit seiner Gunst.

Aber ich verlange noch eine weit grössere Eroberung,

Wofür ich alle andern hingebe.

Es ist deine Freundschaft, hierum ersuche ich dich.

FULVIUS.

Auch der Senat wünscht sie; und dieses Verlangens wegen

Schickt er mich als Abgesandter hieher.

CATO.

Wer den Cato zum Freunde haben will,

Kann ihn sehr leicht erlangen: Er sey Rom getreu.

CESAR.

Wer ist ihm getreuer als ich? Ich vergieße für selbiges

Mein Schweiß und Blut.

CATO.

So hälst du mich denn

Für so wenig unterrichtet?

FULVIUS.

Herr, was sprichst du?

Dieses ist nicht der Weg

Die Zwistigkeiten zu dämpfen: ich komme als ein Gesandter des Friedens,

Und nicht des Streites.

CATO.

Nun wohlan, rede!

(Wir wollen hören, was er sagen wird.)

FULVIUS.

(Die zu große Tugend

Hat ihn zu erbittert gemacht.)

Zum Cesar.

CESAR.

(Doch bewundere ich sie, ob sie mich gleich beleidigt.)

Zu Fulvius.

Durch deine und meine Macht

Ist die Welt getheilt, sobald als die

Freundschaft uns wieder verbindet, so ist alles in Ruhe.

Und wenn du für das römische Blut

Noch einiges Mitleiden hegst, so wirst du meinen Antrag

Gefällig anhören.

Vierter Auftritt.

Emilia, und Obgedachte.

EMILIA.

O Götter! was sehe ich!

Ist dieses die Freystatt

Die ich vom Cato hoffte? Die unglückliche Witwe des Pompejus

Muß sich an einem Orte

Mit ihrem Feinde befinden.

FULVIUS.

(Mitten in ihren Unglück

Ist sie noch schön.)

CATO.

Emilia, deiner Betrübniß wegen

Verzeihe ich dir diese Uebereilung.

CESAR.

Du bist zu ungerecht, wenn du mich

Noch immer so sehr hassest.

FULVIUS.

Herr, dies scheint mir

Keine gelegene Zeit, um von Frieden zu reden.

Die Sache erfodert einen weit einsamern Ort,

Auch ein weit heiteres Gemüth.

CATO.

Ich erwarte euch also in kurzen

In meiner Wohnung. Und du, Emilia

Denke indessen, daß du deinem Schmerz

Nicht alle Freyheit verstatten mußt,

Ob dich gleich das Schicksal zur Tochter des Scipio

Und zur Gemahlin des Pompejus gemacht hat.

Geht ab.

Fünfter Auftritt.

Cesar, Emilia und Fulvius.

CESAR.

Du redest nicht Emilia? Bey diesen Stillschweigen

Hoffe ich einen Anfang deiner Beruhigung.

EMILIA.

Du betrügst dich. Indem ich schweige,

Denke ich auf Rache.

FULVIUS.

Und du kannst dich nicht besänftigen,

Ob du gleich einen so großmüthigen Sieger vor dir hast?

EMILIA.

Ich, mich besänftigen? Vielmehr will ich

Wenn er auch mit tausend Kriegsschaaren umringt wäre,

Ihm ins Gesicht sagen, daß ich ihn hasse, und seinen Tod wünsche.

CESAR.

Alles dieses ist nicht fähig genug, Emilia

Meine Ruhe zu stören.

Weil dein Haß ohnmächtig ist, so mißfällt er mir nicht ganz.

Ein Bach, den man kaum durch Blumen und Gras

Hinmurmeln hört,

Ran den Sand nicht einmal aufrühren,

Und den Nymphen und Hirten

Ist er ein Gegenstand des Vergnügens.

Das sanfte Lüftchen

Welches kaum einen Myrten- oder Lorbeerbaum bewegt,

Kan das Ungewitter nicht herzurufen,

Und ist den ermüdeten Wanderer

Nur eine Erquickung.

Geht ab.

Sechster Auftritt.

Emilia und Fulvius.

EMILIA.

Wie sehr von dir selbst verschieden,

Sehe ich dich wieder, o Fulvius. Und wer hat dich

Zum Begleiter des Cesars, und zu meinem Feinde gemacht?

FULVIUS.

Da ich jetzo Rom diene,

So bin ich nicht dein Feind. Zu stark habe ich

Die schöne Vorstellung deiner Bitten in mein Herz gedrückt.

EMILIA.

Ein Freund des Cesars,

Und ein Liebhaber der Emilia

Stimmen schlecht zusammen, entweder vertheidige ihn,

Oder räche meinen Gemahl; zur Belohnung

Erlaube ich dir, daß du mich lieben kanst.

FULVIUS.

(Ach was schmeichelt sie sich!

Sie irrt sich!)

EMILIA.

Was denkst du?

FULVIUS.

Ich denke, daß du an meiner

Treue nicht zweifeln solltest.

EMILIA.

So sollst du also

Meinen Zorn ausrichten.

FULVIUS.

Befiehl mir eine Probe

Von deinem Verlangen.

EMILIA.

Ich verlange,

Daß Cesar sterbe. Kan ich mich

Jetzt auf dich verlassen?

FULVIUS.

Ich komme dir zuvor, und der Streich

Geschehe nach deinen Rath; das Werk verrichte ich.

Geht ab.

Siebenter Auftritt.

EMILIA allein.

Wenn ich noch andre thörichte Liebe anhöre, oder erdulde,

Wenn ich nach deinem Tode noch Oden schöpfe,

So verzeihe mir, liebster Gemahl,

Ja verzeihe es mir; denn es bleiben

Mir keine andre Waffen mich zu rächen übrig. Dir habe ich

Alle meine Triebe gewidmet, und dir erhalte ich sie auch,

Selbst wenn sich mein Leben endet, soll doch

Die ersten Bande unsrer Liebe noch verknüpft bleiben,

Wenn es wahr ist, das Todte sich noch jenseit der Gruft lieben.

Wenn du mich im Schooße irgend eines Gestirns,

Oder am Ufer des Flusses Lethe erwartest;

So werde nicht unwillig, theure Seele,

Auch ich werde dahin kommen.

Ja ich will kommen, doch verlange ich vorher,

Daß der schuldige Schatten dieses Tyrannen,

Welcher zu deinen Unglück

Die Welt bewaffnete,

Vor dem meinigen vorhergehe.

Geht ab.

Achter Auftritt.

Gebäude zum Theil verwüstet, nahe bey der Wohnung des Cato.

Cesar und Fulvius.

CESAR.

So unterstand sich Emilia

Dich zur Untreue zu verleiten? Und hofft

So viel von deiner Liebe?

FULVIUS.

Ja, allein so sehr ich sie auch liebe,

Liebe ich doch mehr meine Ehre.

CESAR.

Ach mein Freund Fulvius,

Ich setze mein ganz Vertrauen auf mich selbst.

FULVIUS.

Und Cato?

CESAR.

Eile zu ihm mit der Versicherung,

Daß ich, ehe es Mittag würde,

Wieder hieher komme.

FULVIUS.

Ich gehe, allein dort seh ich

Die Marcia herannahen.

CESAR.

Laß mich einen Augenblick

Mit ihr in Freyheit.

FULVIUS.

Ich weiß du liebst sie;

Sie betet dich an, und ich weiß aus der Erfahrung

Was für Freude man in dem

Augenblick empfindet,

Wenn der getreue Liebhaber seine Geliebte wieder sieht.

Zehnter Auftritt.

Marcia und Cesar.

CESAR.

So sehe ich dich wieder, o Marcia?

Kaum trau ich meinen Augen! Nimmt mit deiner Schönheit

Auch deine Liebe zu? Welchen Antheil

Nehmen der Marcia Triebe

An den meinigen?

MARCIA.

Und wie bist du gesinnt?

CESAR.

Wie ich gesinnt bin? Welch eine Frage?

Ist es Scherz, oder ein Traum?

Kennest du den Cesar nicht?

Welchen du so sehr geliebt,

Welchen du geschworen,

Weder durch die Zeit, noch durch ein feindliches Schicksal

Ihm ungetreu zu werden.

MARCIA.

Und so denkst du noch jetzo?

Nein: du bist nicht, wer du gewesen, und nimst nur den Namen an.

Den Cesar betete ich an, ich läugne es nicht, und er war

Der ganzen Welt süßeste Hoffnung, und auch die meinige.

Diesen Cesar liebte ich, dieser gefiel mir,

Ehe mich der Himmel von ihm trennte.

Dieser Cesar kömmt zurück, und ich sehe ihm wieder.

CESAR.

Was kan ich mehr thun? ich bete den Cato

In dem Herzen der Marcia an: Dein schönes Herz

Bewundre ich wie einen Theil des seinigen

Hier hat mich mehr die Freundschaft, als unsre Liebe für ihn, hergezogen.

MARCIA.

Dies ist mein Cesar. Ich fange jetzo an

Ihn in dir zu erkennen: so gefällst du mir,

So hast du mich verliebt gemacht. Liebe nur den Cato,

Ich bin nicht eifersüchtig, wenn ein solcher Nebenbuhler

Dein Herze theilt,

So bist du nur noch würdiger, daß ich dir meine Liebe erhalte.

CESAR.

Dieses ist ein zu großer Sieg. Ach ich vertheidige

Mich zu schlecht wieder eine so großmüthige Tugend.

Erheitere dich, ich bin auf deine Ruhe

Bedacht, und ehe der Tag vergeht,

Sollst du durch Thaten sehen,

Daß ich noch eben der Cesar bin, der dich geliebt hat.

Der welcher eine süße Liebe verdammt

Sehe nur meine Feindin an;

Er höre sie, und sage mir nachher,

Ob die Liebe Schwachheit ist.

Wenn die Triebe aus einer

So schönen Quelle entstehen;

So sind ihr die Helden unterthan

Und selbst die Götter lieben.

Geht ab.

Eilfter Auftritt.

Marcia, und hernach Cato.

MARCIA.

Jetzt empfinde ich, daß alle meine

Verlohrne Hoffnungen sich wieder in meiner Brust entzünden.

Doch wer weiß es? Es ist noch ein großer

Theil von diesen Tage übrig.

CATO.

Laß uns gehen, Tochter.

MARCIA.

Wohin?

CATO.

In dem Tempel, zu der Hochzeit

Des Numidischen Peinzen.

MARCIA.

(O Götter!) Aber warum

So eilfertig?

CATO.

Unser Schicksal leidet

Keinen Aufschub.

MARCIA.

(Treuloser Arbaces!) Der Prinz

Wird sich vielleicht dem Altar nicht nähern.

CATO.

Einer meiner Getreuen ist schon gegangen

Ihn aufzumuntern.

Im Begrif wegzugehen.

MARCIA.

(Welche Qual!)

Zwölfter Auftritt.

Arbaces, und Obgedachte.

ARBACES.

Ach verweile, o Herr.

Zu dem Cato.

MARCIA.

(Du wirst befriedigt werden.)

Leise zu den Arbaces.

CATO.

Kom, o Prinz, laß uns gehen,

Das Beylager zu vollziehen.

ARBACES.

Ach wenn du willst,

Daß ich noch dankbarer werde; so laß es dir gefallen,

Solches bis auf den künftigen Tag zu verschieben.

CATO.

Nein: die Altäre rauchen schon,

Die Priester sind zusammen, und der geringste

Aufschub würde itzo zur Unzeit kommen.

ARBACES.

(Marcia, was soll ich thun?)

MARCIA.

(Du frägst mich noch darum?)

CATO.

Allein was ist dieses für ein Kaltsinn?

Gewiß hierunter

Verbirgt sich ein Geheimniß.

Es kömmt dir doch nicht in den Sinn, Arbaces,

Daß du ein Afrikaner bist?

ARBACES.

Ich erdulde alles

Für den Cato, und wenn –

CATO.

Und ich habe dich,

Für sehr was anders gehalten.

ARBACES.

Du wirst sehen –

CATO.

Ich habe genug gesehen,

Und verlange weiter nichts zu sehen.

Geht ab.

ARBACES.

Verlangst du noch mehr? Grausame!

MARCIA.

Mir zu gehorsamen

Hast du kaum angefangen, und vor meinen

Angesicht erhebst du dich schon so sehr?

ARBACES.

O Grausamkeit!

Dreyzehnter Auftritt.

Emilia und Obgedachte.

EMILIA.

Erhabene Liebhaber, mitten in meinen

Schmerz nehm ich Antheil an eurer Freude.

ARBACES.

Erhalte bis zu einer andern Zeit

Die Wünsche, Emilia: das Bündniß ist noch nicht fest.

EMILIA.

Ich verstehe es nicht, und eure Liebe

Scheint mir ungewöhnlich und sehr neu.

ARBACES.

(Ach ich verstehe es nicht; und doch empfinde ichs.)

In jeder Brust

Herrscht eine verschiedene Liebe.

Der eine leidet, und seufzt

Ohne Hoffnung.

Der andre liebt

Die Unbeständigkeit;

Dieser verlangt Krieg,

Und der andre Frieden.

Und was ihr wünscht

Ist Grausamkeit.

Unter diesen Elenden

Lebe ich auch,

O verlache

Meinen Schmerz nicht:

Der vielleicht

Dein Mitleid verdienet.

Geht ab.

Vierzehnter Auftritt.

Marcia und Emilia.

EMILIA.

Wenn Arbaces die versprochene Treue nicht halten sollte,

So ist Cesar der Unwürdige

Der ihn verführt hat.

MARCIA.

Mäßige deinen Argwohn,

Cesar ist so vieler Niederträchtigkeit nicht fähig,

Ob er gleich unser Freund ist.

EMILIA.

Und du redest so? was würdest du sagen,

Wenn du den Cesar liebtest? Ach ich fürchte nichts,

Und doch scheint es, daß deine Reden es sagen.

Nein, eine Feindin denket nicht auf eine solche Art.

Geht ab.

Fünfzehnter Auftritt.

MARCIA allein.

Ach ich habe zu viel gesagt; und Emilia

Hat meine ganze Liebe gesehn. Allein wer kann

Wohl seine Leidenschaften so verstellen,

Welche man allezeit in andern Augen sieht?

Es ist vergebens, ihr Liebhaber,

Die Ruhe in euren Herzen zu stören

Da ein Blick schon genung ist

Selbige zu entdecken.

Es ist thöricht etwas zu verhehlen,

Was zu verbergen nichts hilft;

Und der sieht es bald in Handlungen,

Der weiß, daß dies Liebe ist.

Ende der ersten Abhandlung.

Es folgt der Tanz.

Zweyte Handlung

Erster Auftritt.

Kriegeslager an dem Ufer des Flusses Bagrada, mit verschiedenen Inseln, welche durch Brücken zusammen vereiniget sind.

Cato, nebst Gefolge, Marcia, und nachher Arbaces.

CATO.

Römer, euer Anführer hoffet,

Wenn er es jemals gethan hat,

Heute Proben eurer Treue zu sehn.

MARCIA.

O Vater, ich sehe hier

Kriegeszeichen, und doch hoffte ich

Daß der erwünschte Friede nahe wäre.

CATO.

Mitten unter Waffen

Ist die Vorsorge nicht hinreichend: schon der Anblick

Des Cesars verführt meine Getreuesten.

ARBACES.

Herr, die Fahnen der Numidier

Kommen schon näher, siehe hier

Ein neues Band meiner Treue.

CATO.

Es ist nicht genug, Arbaces,

Mir den Argwohn zu benehmen.

ARBACES.

Daß das Beylager an einem andern Tage vollzogen wird

Ist kein so groß Verbrechen.

CATO.

Wohlan, es wird dir zugestanden.

Allein in diese Mauren,

Soll Cesar, ehe ich dich nicht als ihren Gemahl sehe,

Nicht wieder kommen.

MARCIA.

(O Götter!)

ARBACES.

(Ich schöpfe wieder Odem.)

Zweyter Auftritt.

Fulvius und Obgedachte.

FULVIUS.

Herr, Cesar ist angekommen.

MARCIA.

(Ich kann noch hoffen.)

CATO.

Wo ist er?

FULVIUS.

Er ist eben in die Mauren

Von Utika eingetreten.

ARBACES.

(Jetzt bin ich wieder in Angst.)

CATO.

Geh Fulvius: sag ihm, daß er in sein

Lager sich begebe, sage ihm; ich würde ihn bekannt machen,

Wenn ich ihn anhören will.

FULVIUS.

Vergebens hoffest du.

So viel Unrecht erdulde ich nicht.

CATO.

Und was willst du denn thun?

FULVIUS.

Meine Schuldigkeit.

CATO.

Aber wer bist du?

FULVIUS.

Ich bin

Der Römische Gesandte.

CATO.

Nun wohlan, der Römische Abgesandte

Kann wieder gehen.

FULVIUS.

Ja, aber erst lies was dieses Blatt

In sich hält, und sieh wer es schickt.

Fulvius giebt den Cato ein Blatt.

ARBACES.

(Marcia, warum bist du so traurig?)

MARCIA.

Ach scherze nicht. (Was bleibt mir zu hoffen übrig?)

Cato eröffnet das Blatt und lieset.

CATO.

Der Rath an den Cato. Unser Wille ist

In der ganzen Welt Friede zu stiften. Ein jeder von uns

Die Consuls, die Tribunen, das ganze Volk,

Cesar selbst, und der Dictator wollen es.

Erfülle den allgemeinen Wunsch; wenn du dich

Einer so gerechten Foderung widersetzest,

So ist heute das Vaterland dein Feind.

FULVIUS.

(Was wird er sagen?)

Einen solchen unverhofften

Befehl bringe ich dir.

CATO.

Es ist wahr, und du gehe

Und sage dem Cesar –

FULVIUS.

Ich will sagen, daß du ihn hier erwartest,

Daß du nicht den Tag über mehr da bleibst.

CATO.

Nein, du sollst sagen, daß er gehe, und niemals wieder komme.

FULVIUS.

Und der Brief – –

CATO.

Es ist ein schändliches Blatt,

Welches nicht die Vernunft, sondern eine fremde Niederträchtigkeit

Aufgesetzt und geschrieben hat.

FULVIUS.

Und Rom – –

CATO.

Rom

Bestehet nicht in diesen Mauren, und es ist allerwegen,

Wo die Vaterlandsliebe

Noch nicht von Ruhm und Freyheit getrennt ist:

Meine Getreuen sind Rom! Rom bin ich selbst.

Kehre zurück nach deinem Tyrañen

Und gehorche deinem Oberherrn.

Allein sage nicht, daß du ein Römer bist,

Wenn du dich nicht der Freyheit rühmen kannst.

Wenn der Schimpf eines niedrigen Joches

Deinem Herzen keinen Kummer macht,

So wird der Gedanke von deiner Schönheit

Dich noch eines Tages erröthend machen.

Dritter Auftritt.

Marcia, Arbaces und Fulvius.

FULVIUS.

Zu einem so hohen Grade

Steigt der Hochmuth des Cato?

MARCIA.

Ach Fulvius, und du kennst noch nicht

Seinen Eifer? Er glaubt – –

FULVIUS.

Er glaube, was er wolle; ob ich in kurzen

Den Namen Römer

Würdig verdiene,

Oder ob ich ein Freund des Cesars bin, und ihm diene.

Geht ab.

ARBACES.

Marcia, darf ich einmal

Mitleid hoffen?

MARCIA.

Entferne dich aus meinen Augen,

Und füge mir keine Angst mehr

Durch deine Gegenwart zu. Ich entbinde

Dich von allen deinen Versprechen.

ARBACES.

Und du bewilligst, daß ich

Frey reden kann.

MARCIA.

Ich willige in alles,

Wenn ich nur deine Klagen

Nicht mehr zu erdulden habe.

ARBACES.

Grausame Marcia.

Geht ab.

Vierter Auftritt.

Marcia, hernach Emilia und Cesar.

MARCIA.

Was wird mein Schicksal seyn? Ich gerathe aus einer Qual

Und aus einer Furcht in die andere, und

Finde keinen Augenblick Ruhe.

EMILIA.

Endlich ist Cesar abgereiset.

Wie konnte dieser Held

So großen Schimpf ertragen?

Was sagte er? Was wird er thun? Du wirst es wissen,

Du, die du für seinem Ruhm so besorgt bist.

MARCIA.

Gehe, und frage ihn darum, er kann es dir sagen.

Geht ab.

EMILIA.

Welche Verachtung, welch ein Stolz!

Wie viel muß ich erdulden! allein der

Tyranne kömt von neuen wieder zurück; was sucht er?

CESAR.

So weit konnte Cato gehn!

Er verlangt, daß ich mich

Auf dem Kampfplatz stellen soll?

Ja, sage ihm, daß er mich erwarte, und sich vertheidige.

Im Begriff wegzugehn.

EMILIA.

Er wird sich vertheidigen; und ich werde,

O Götter! wiewol nicht gänzlich,

Durch dein Blut versöhnt werden,

Da ich mir doch nicht

Den Tod meines verrathenen Gemahls

Aus den Gedanken bringen kann.

Ich bin zu den Qualen gebohren,

Die ich in dieser Brust itzt leide,

Und nie habe ich für mich

Einen heitren Strahl des Himmels erblickt.

Der treulose Verräther

Sucht mich zu hintergehen,

Allein er wird mich nicht betrügen

Weil ich es weiß, daß er ungetreu ist.

Geht ab.

Fünfter Auftritt.

Cesar und Marcia

CESAR.

Laß uns fortgehn: du kannst in deiner

Brust das Vergnügen des heftigen Zorns behalten; ich fürchte ihn nicht,

Nur die Qual meiner geliebten

Peinigt mich; aber was kan ich machen,

Da der Vater unbeweglich ist. O Himmel, sie kömt!

MARCIA.

Cesar, wo gehst du hin?

CESAR.

Auf dem Kampfplatz,

Dem mir Cato auf diesen Tag bestimt hat.

MARCIA.

O Weh mir! würde doch einmal Friede,

Einmal ein Ende des Zorns, und des Mordens!

CESAR.

Cato kan nur blos

Durch Blut gesätigt werden; er verlangt daß ich es vergieße.

MARCIA.

Beruhige dich:

Du erzürnst dich mit Recht, allein mein

Vater hat auch Ursach zu seinen Argwohn,

Der Grund davon ist mir bekannt, und du sollst alles erfahren.

CESAR.

Allein, was kann ich thun?

Sechster Auftritt.

Fulvius und Obgedachte.

FULVIUS.

Beruhige dich,

O Herr, denn dein Glück

Ist beneidenswerth, endlich komt Cato

Um dich anzuhören. Ich bringe dir

Von einer so großen Gnade die Bothschaft.

CESAR.

Und so hat er

So schnell die Gedanken verändert?

FULVIUS.

Zornig bewilligte ers: als ob du,

Und die allgemeine Hoffnung von ihm abhänge.

CESAR.

Welch ein stolzes Herz, welch eine ungebändigte Beständigkeit!

(Und ich muß so viel erdulden?) Ach Marcia –

MARCIA.

So vermag ich denn nicht

Dich zum Mitleid zu bewegen?

CESAR.

(Wie viel kostet es meinen Herzen, daß ich itzt Liebhaber bin.)

FULVIUS.

(Die Liebe hat gesieget.)

CESAR.

Entferne dich auf eine kurze Zeit.

FULVIUS.

Ich eile wieder zu den Kriegsschaaren.

Geht ab.

CESAR.

Thue was du gut findest. Marcia ich will aufs neue

Deinen Vater um Frieden bitten, und wenn ich

Seinen Stolz auch annoch einmal erdulden muß,

So will ich es thun

Um den Ruhm zu haben, ihn zu retten.

MARCIA.

Ja, mein geliebter Cesar,

(Ich will ihn zum Trotz des Schicksals so nennen:)

Erdulde, du wirst ihn, mein Geliebter, versöhnen.

Wenn dir meine Liebe theuer ist,

Wenn du mich getreu zu sehn wünschest,

O so erhalte mir meinen Vater!

CESAR.

Geliebte, du weißt, daß ich nur blos

Gegen ihn nicht grausam zu seyn wünsche,

Du weißt es, daß ich ihn liebe.

MARCIA.

Ja, mein Leben, ich hoffe auf dich

CESAR.

Hoffe nur, ich werde aufrichtig seyn.

MARCIA, CESAR.

Beglücker ihr gütigen Sterne

Unsre unschuldsvolle Liebe!

Gehn ab.

Siebenter Auftritt.

Zimmer mit Stühlen.

Cato, hernach Marcia.

CATO.

Man verlangt, daß ich wider meinen

Willen den Cesar anhöre?

Ich will ihn hören, aber vor den Augen der Welt

Und den Göttern bekräftige ich,

Daß ich von jedermann gezwungen werde,

Ihn zu ertragen, und zu schwach bin

Bey meiner Qual grausam zu seyn.

MARCIA.

Wie viel läßt uns doch

Dieser Tag hoffen? Von zwey so großen

Befehlshabern der Erde hängt die ganze Welt ab,

Und von euch erwartet sie

Krieg, oder Frieden, Sklaverey oder Freyheit.

CATO.

Unnütze Sorge.

MARCIA.

Jetzt kömt

Sieht nach der Bühne hinauf.

Cesar zu dir.

CATO.

Laß mich mit ihm allein.

MARCIA.

(O Götter!

Erfüllet aus Mitleiden meine Wünsche.)

Geht ab.

Achter Auftritt.

Cesar und Obgedachte.

CATO.

Die Augenblicke, Cesar, sind mir

Zu kostbar, und ich will sie dich anzuhören

Nicht verliehren,

Rede kurz, oder entferne dich.

Er setzt sich nieder.

CESAR.

Ich will dir gehorchen, ich will, es koste was es wolle,

Wie oben.

Mit dir Friede haben. Schreibe mir das Bündniß vor,

Ich bin bereit es anzunehmen,

Wie es der Sieger mit den Besiegten fordern kann.

(Was wird er jetzt sagen?)

CATO.

Und zu so viel erbietest du dich?

CESAR.

So viel will ich erfüllen,

Weil ich keiner ungerechten Forderung vermuthen bin.

CATO.

Sie wird die gerechteste seyn. Lege das geraubte Commando

Des Krieges ab, und verlaß den erhabnen

Stand eines Dietators; und als ein Schuldiger

Bekeñe dem Vaterlande deine Uebelthaten

In einem finstern Gefängnisse,

Wenn du Frieden verlangst, so sind dieses die Bedingungen.

CESAR.

Und ich sollte – –

CATO.

Besorge nicht,

Daß du unterdrücket bleiben sollst, denn ich bin alsdenn

Dein Vertheidiger.

CESAR.

(Und ich erdulde dies alles?)

Du allein vermagst dies nicht, denn ich weiß

Wie viel Feinde, mein glückliches Schicksal

Mir entgegen gestellt hat,

So daß ich mein Leben also vergeblich hingeben würde.

CATO.

Du bist ein Römer, und liebst das Leben so sehr?

Steht auf.

CESAR.

Halt ein Cato.

CATO.

Es ist alles vergebens

Was du mir sagen kannst.

CESAR.

Noch einen Augenblick warte!

Ich will dir noch andre Anerbietung thun.

CATO.

Rede, und endige bald.

Setzt sich wieder.

CESAR.

(Wie viel ertrage ich!) Das durch die Schlacht erlangte

Reich der Welt, und die späten Früchte

Meines vergossenen Schweisses, und meiner Gefahren,

Will ich, wenn du mit mir in Frieden leben willst,

Mit dir theilen.

CATO.

Ja, so wäre hernach der Schimpf

Deiner großen begangenen Uebelthaten

Auch unter uns getheilt.

CESAR.

Und damit die Freundschaft

Unter uns fester bleibe, so will ich

Als Bräutigam der Marcia die Hand geben.

CATO.

Meiner Tochter?

CESAR.

Ja ihr selbst.

CATO.

Ach viel eher falle auf mich

Der Götter gänzlicher Zorn!

Und solche Vorschläge – –

CESAR.

Schweige endlich einmal;

Sie stehn auf.

Du hast nun

Meine Geduld genug beleidigt.

Im Begriff wegzugeben.

Neunter Auftritt.

Marcia und Obgedachte.

MARCIA.

Cesar, wohin?

CESAR.

Auf dem Kampfplatz.

MARCIA.

Um des Himmels willen bleibe.

Ist dieses der Friede?

Zu Cato.

CESAR.

Ist dieses die erseufzete Freundschaft?

Zum Cesar.

CESAR.

Dein Vater klagt mich an:

Er verlangt Krieg.

MARCIA.

Ach Vater!

CATO.

Schweige,

Und rede nicht von ihm.

MARCIA.

Cesar.

CESAR.

Ich habe bis anjetzt

Zu viel erlitten; ich habe mich gleichsam

Mit ihm erniedrigt. Lebe wohl –

Im Begriff zu gehen.

MARCIA.

Halt ein.

CATO.

Erlaube ihn,

Daß er sich meinen Augen entziehe.

MARCIA.

Ach nein, mäßige einmal

Die erregten Zwistigkeiten. Ach der Vater

Falle nicht, auch, da der Sohn getödtet ist, an seine Seite.

Laß so viel Blut, so viel Thränen genug seyn.

CATO.

Es ist ihm nicht genug.

CESAR.

Mir nicht genug? wenn du willst,

Ist es noch Zeit: ich vergesse die Beleidigungen,

Und erwarte deine Wahl!

Wähle Krieg, oder Frieden,

Du sollst befriedigt werden.

CATO.

Krieg! Krieg vergnüget mich.

CESAR.

Du sollst Krieg haben.

Wenn du bewaffnet auf dem Kampfplatz

Mich zu sehn verlangst;

So komm: das Schicksal

Soll unter Zorn und Waffen

Den wichtigen Streit

Entscheiden.

Wegen deiner Thränen

Zu der Marcia.

Wegen deiner Leiden

Klage deinen grausamen

Vater an.

Cesars Herz ist

Daran unschuldig.

Geht ab.

Zehnter Auftritt.

Cato und Marcia, hernach Emilia.

MARCIA.

Ach Herr, was hast du gethan? Siehe dein Leben

Und das meinige ist in Gefahr.

CATO.

Sey nicht um mein

Leben besorgt; ich dachte nur an dich!

EMILIA.

Welch einen Weg nimmt man

Um aus diesen völlig verschloßnen

Mauren zu kommen.

CATO.

Mir ist der Eingang

Eines einsamen

Unterirdischen Weges bekannt.

EMILIA.

(Dies zu wissen kann mir sehr nützlich werden.)

Eilfter Auftritt.

Arbaces und Obgedachte.

ARBACES.

Herr, ich weiß, daß man alle Augenblick

Zum Fechten bereit seyn muß. Lege mir den Befehl auf,

Was ich thun soll; bevor die Morgenröthe aufgeht

Will ich allen falschen Argwohn zernichten.

Da ich der Marcia Gemahl werde, so siehe hier meine Hand.

(Auf diese Art will ich mich rächen.)

MARCIA.

Ich fürchte, und bewundre

Dein unbeständiges Herz.

ARBACES.

Ich bin in aller Absicht entschuldigt,

Die Ursache weißt du.

CATO.

Was verweilest du?

Zu der Marcia.

EMILIA.

(Was wird sie thun?)

MARCIA.

(Götter steht mir mit Rath bey.)

CATO.

Zaudre nicht länger,

Arbaces gieb ihr die Hand.

ARBACES.

Hier ist sie; das Herz ist dein,

Das Leben, den Thron

Biete ich dir hiermit an.

MARCIA.

Entferne dich: ich verlange dich nicht.

ARBACES.

Wie!

EMILIA.

(Welch ein Entschluß!)

CATO.

Und warum?

Zu der Marcia.

MARCIA.

Es hilft kein weiteres Verstellen,

Ich will alles sagen. Arbaces hat mir niemals gefallen,

Und habe ihn nie ausstehn können, er wird es sagen müssen,

Er suchte auf meinen Befehl

Den Aufschub der Vermählung.

Ich hoffte, daß das Ansehen

Eines Vaters meine freyen Triebe

Nicht einschränken würde.

Allein da er noch nicht müde ist

Mich zu quälen, und mich

In die allergrösseste Gefahr stürzen will,

So nehme ich zum allerletzten Mittel meine Zuflucht.

CATO.

Ich bin ausser mir! woher kommt so großer Haß

Und so viele Verwegenheit in ihr?

Zu Emilia und den Arbaces.

EMILIA.

Vielleicht ist sie durch

Ein andres Feuer entzündet.

ARBACES.

O Götter!

EMILIA.

Wer weiß es?

CATO.

Redet!

ARBACES.

Die Ehrfurcht – –

EMILIA.

Der Wohlstand – –

MARCIA.

Schweigt, ich will es sagen. Ich bete den Cesar an.

CATO.

Den Cesar?

MARCIA.

Ja, verzeihe es mir,

Geliebter Vater.

CATO.

Fort von hier, Undankbare,

Fort aus meinen Augen!

MARCIA.

Mein Vater –

CATO.

Was für ein Vater?

Der Vater einer treulosen Tochter,

Die alle Ehrfurcht vergißt; und ihre Schuldigkeit

Aus den Augen setzt! Ich bin nicht Vater mehr.

Als du das Tageslicht erblicktest

Zu der Marcia.

Hätte ich dich tödten sollen.

Sagt habt ihr jemals

Zu Emilia und Arbaces.

Einen unglücklichern Vater

Und eine treulosere Tochter gesehen?

Ich konnte den Zorn

Von jedem grausamen Schicksal erdulden,

Aber bey dieser einzigen Qual

Bleibt mein Herz nicht standhaft.

Geht ab.

Zwölfter Auftritt.

Marcia, Emilia und Arbaces.

MARCIA.

Ihr werdet zuletzt zufrieden seyn. Ihr wünschtet

Zu Arbaces.

Daß mein Vater mich hassen sollte. Seht er haßt mich!

Zu Emilia.

Ihr verlangtet Krieg? Und Krieg ist da.

Sagt, was verlangt ihr noch mehr?

ARBACES.

Du beschuldigst mich mit Unrecht.

Du weißt es, du hast mir

Das Stillschweigen auferlegt.

EMILIA.

Ich beleidige dich nicht

Wenn ich Rache wünsche.

MARCIA.

Sagt es mir, was habe ich euch gethan, undankbare Seelen?

Daß ihr euch wider mich

Verschworen habt.

Ich weiß, daß du bey meinen Schmerz

Der mich quält, dich freuest,

Aber deine Freude wird nicht dauren,

Zu Arbaces.

Und du wirst nicht zufrieden seyn,

Zu Emilia.

Ihr werdet es noch bereuen.

In dem äußersten Unglück

Werden wir bald zusammen weinen

Du wirst dich nicht rächen,

Zu Emilia.

Und du keine Liebe hoffen können.

Zu Arbaces.

Geht ab.

Dreyzehnter Auftritt.

Emilia und Arbaces.

EMILIA.

Hast du es gehört, Arbaces? Ich glaube es kaum.

So weit ist denn doch bey ihr

Eine verwegene Liebe gekommen!

Bey einer solchen Beleidigung zeige einmal deinen Muth.

Vierzehnter Auftritt.

ARBACES allein.

Ist es möglich, daß ich die Ungerechtigkeit,

Die Verachtung, die Tyranney, die Grausamkeit,

Den Haß einer undankbaren Geliebten,

Ohne mich zu beklagen, erdulden kann?

Dieses sind alles noch dem Herzen erträgliche Qualen,

Aber in dem Munde meiner Feindin den Namen

Eines glücklichen Nebenbuhlers nennen zu hören,

Zu wissen, daß sie ihn liebt,

Zu hören, daß sie bittet:

Dies, dies ist Leiden; dies ist Sterben.

So sieht der bekümmerte Landmann

Unter Stürmen und Blitzen

Seine Felder verschwemmt

Von der Fluth.

Er seufzet und weint,

Und erinnert sich in seinem Herzen,

Wie viel Mühe und Schweiß

Er umsonst angewandt.

Geht ab.

Ende der zweyten Abhandlung.

Es folgt der Tanz.

Dritte Handlung

Erster Auftritt.

Ein Vorhof.

Cesar, und Fulvius.

CESAR.

O Freund, ich habe alles versucht. Laß uns gehen,

Denn mein Zorn ist gerecht, und ich habe genug erduldet.

Im Begriff wegzugehn.

FULVIUS.

Bleib, denn du gehst sonst zum Tode.

CESAR.

Warum?

FULVIUS.

Es ist schon jemand

An den Thoren von Utika bereit,

Im Hinausgehen dich zu tödten.

CESAR.

Und wer hat dieses angegeben?

FULVIUS.

Emilia. Doch das Glück

Hat dir einen andern Ausweg aufbehalten.

CESAR.

Und was für einen.

FULVIUS.

Einer, der unter den Waffen

Des Cato steht, soll dich bis in das Lager

Durch einen unbekannten Weg fahren,

Er erwartet dich am Quell Isis,

Er ist mir bekannt, du kannst dich auf ihn verlassen.

Inzwischen eile ich ins Lager, und

Um dir den Weg noch sicherer zu machen.

Will ich einen Anfall auf die feindlichen Mauren thun.

CESAR.

Und dem soll ich mich so anvertrauen?

FULVIUS.

Du kannst es sicher thun.

Die Götter werden für dich sorgen,

Da du eines ihrer größten Werke bist.

Die Lorbeerzweige,

Welche das Haupt

Eines Siegers kränzen,

Sind der Verwüstung des Blitzes

Nicht unterworfen.

Schon von der Wiege an,

War das Glück an deiner Seite,

Um mir dir zu kämpfen.

Geht ab.

Zweyter Auftritt.

Cesar, und hernach Marcia.

CESAR.

Wie oft verändert sich

Nicht das Schicksal in einen Tage.

MARCIA.

Ach Cesar, was machst du?

Du bist noch in Utika?

CESAR.

Anderer Nachstellungen

Sind mir hinderlich.

MARCIA.

Ach aus Mitleiden, wenn du mich liebst,

So vertheidige dein Leben,

Als einen Theil des meinigen: Cesar, lebe wohl.

Im Begriff wegzugehn.

CESAR.

Bleib! wo fliehst du hin?

MARCIA.

Zu meinen Bruder, zu den Schiffen.

Mein erzürnter Vater

Verlangt meinen Tod. (Ach Himmel!)

Sieht sich um.

(Wenn er sich doch näherte.) Halt mich nicht auf,

Denn blos die Flucht kan mich retten.

CESAR.

Allein, und verlassen

So viel zu wagen? ich sollte dir wenigstens

In deiner Gefahr folgen.

MARCIA.

Nein; wenn es wahr ist, daß du mich liebst

So folge mir nicht, denke an dich selbst,

Du darfst nicht mit mir gehn, lebe wohl!

Im Begriff wegzugehen.

CESAR.

So entreissest du dich von mir?

MARCIA.

Wer weiß, ob wir uns je wieder sehn!

Wer weiß, ob nicht das grausame Schicksal

Unsre Triebe auf ewig trennet.

CESAR.

Und bey dem letzten Lebewohl, eilest du so?

MARCIA.

Ganz verwirrt, ganz beklemmt,

Möchte ich dir sagen,

Daß du warest – daß du bist –

O Himmel vernimm meine Gedanken.

Ich kan nicht reden,

Und fühle nur, daß ich sterbe.

Wenn du unter den Waffen

Dich noch meiner erinnerst

So verlange ich – du weißt es –

Welche Qual! der Schmerz

Verwirrt meine Worte.

Geht ab.

Dritter Auftritt.

Cesar, hernach Arbaces.

CESAR.

Welche ungerechte Bewegungen

Empfindet mein Herz bey ihren Weggehn.

ARBACES.

Welche Bemühung, welches Vorhaben,

Hält dich noch so lange unter uns auf?

CESAR.

Und wer bist du?

ARBACES.

Kennest du mich nicht?

CESAR.

Nein.

ARBACES.

Ich bin dein Nebenbuhler,

Sowol in Waffen, als in der Liebe.

CESAR.

So bist du denn

Der Numidische Prinz,

Der Liebhaber der Marcia, der du ihrem

Vater so theuer bist?

ARBACES.

Ja, der bin ich!

CESAR.

Ach wenn du sie liebst Arbaces,

So folge ihr, du begegnest ihr; sie floh

urchtsam und allein vor dem Zorne des Vaters.

ARBACES.

Und wohin eilt sie?

CESAR.

Nach ihrem Bruder.

ARBACES.

Ich bewundre dein großes Herz, du treibst mich an,

Meiner Geliebten zu Hülfe zu eilen, deine

Sicherheit achtest du nicht;

Und sie, die dich anbetrift

Tritst du selbst großmüthig

An deinen Nebenbuhler ab.

Geht ab.

Vierter Auftritt.

CESAR allein.

Ich weiß nicht, welche unbekannte Qual

Mein Herz in Bewegung setzt,

Da ich meinen Nebenbuhler Hülfe leiste,

Und die Marcia verlasse.

Weil mich itzt das Schicksal von ihr trennt,

Schweig verhaßte Leidenschaft!

Nein, bey meinen Sorgen findest du keinen Platz,

Wenn du keinen edlern Verlangen zu dienen weißt.

Die Liebe welche nur wenig entzündet,

Ernährt ein zartes Herz,

Wie der neue April das Gras,

Wie die Morgenröthe die Blumen.

Aber wenn sie sich zum Tyrannen macht,

So wird die Vernunft eben so sehr durch sie verwüstet,

Als das Gras durch den heissen Mittagsstral,

Als die Blume durch den rödtenden Frost.

Geht ab.

Fünfter Auftritt.

Ein von Bäumen umgebener schattigter Ort, auf der einen Seite Quellen der Isis, auf der andern ein bequemer Eingang mit alten Canälen.

MARCIA allein.

Endlich sehe ich einen Strahl

Von einem ungewissen Lichte,

Auf diesen schreckens- und zweifelsvollen

Wege; aber ich finde den Weg nicht,

Der zum Meere führt. Ach wenn ich den Weg

Hier herauszukommen nicht wüßte –

Man wird des Thors gewahr.

Zum Ufer eilt der Fuß, aber wenn ich den Weg nicht fehle,

So scheint er mir ungewiß zu seyn. O Götter!

Zu sehr ist es wahr; allein was höre ich

Für Stimmen? was für beständiges Gehen?

Wo eile ich hin? Es nähert sich.

Ich muß mich verbergen! Und wenn wird die Furcht

Und die Qual einmal

Sich endigen, grausames Gestirn!

Sie verbirgt sich.

Sechster Auftritt.

Emilia mit bloßen Degen, und bewaffneten Gefolge, und Marcia beyseite.

EMILIA.

Dieses ist der Ort, Freunde,

Wo man das Opfer tödten soll,

In wenig Augenblicke wird Cesar kommen

Der Ausgang ist auf meinen Befehl verschlossen,

Weswegen für ihn kein Weg zur Flucht übrig ist.

Ihr aber erwartet indessen unter

Diesen Felsen verborgen meinen Befehl.

Das Gefolge der Emilia zieht sich zurück.

MARCIA.

(O Weh mir, was hör ich!)

Siebenter Auftritt.

Cesar und Obgedachte beyseite.

CESAR.

Hier erweitert sich das Gewölbe; nach den mir gegebenen Merkmalen

Muß dieses der Ausgang seyn. Ich habe in viel grösserer Gefahr

Von meinem Glücke noch gewissere Proben gehabt.

EMILIA.

Allein diesesmal hilft dir die Gunst des Glückes nichts.

Kommt hervor.

MARCIA.

(Grausames Schicksal!)

CESAR.

Emilia bewaffnet!

EMILIA.

Die Zeit mich zu rächen

Ist herbey gekommen.

CESAR.

Hat mich denn Fulvius

Auf solche Art hintergehen können?

EMILIA.

Nein, von dieser List

Ist der ganze Ruhm meine.

Denkst du vielleicht, daß die unbedachtsamen Götter

Deine Verbrechen immer so begünstigen sollen?

CESAR.

Wohlan! was verlangst du?

EMILIA.

Dein Blut.

CESAR.

Dies ist nicht so leicht

Zu vergießen.

EMILIA.

Wir werden es bald sehen.

MARCIA.

(O Götter!)

EMILIA.

Hier! man erwürge ihn.

Das Gefolge der Emilia kömt hervor.

CESAR.

Ihr müßt zuerst sterben!

Entblößt den Degen.

MARCIA.

Haltet ein, Treulose!

CESAR.

(Marcia!)

EMILIA.

(Was sehe ich?)

MARCIA.

Und Emilia schämt sich

Dieser Verrätherey nicht?

EMILIA.

Und Marcia erröthet nicht,

Daß sie mit ihm fliehen will?

CESAR.

(Was für seltsame Zufälle!)

MARCIA.

Ich mit dem Cesar? Du lügst,

Der Zorn und die gerechte Furcht

Für meinen Vater ermunterte mich zur Flucht.

Achter Auftritt.

Cato mit entblößten Degen, und Obgedachte.

CATO.

So finde ich dich denn wieder, Undankbare.

Zu Marcia.

MARCIA.

(Ich Unglückselige.)

CESAR.

Fürchte nichts!

Stellt sich vor die Marcia.

CATO.

Was sehe ich!

Da er den Cesar sieht.

EMILIA.

O Sterne!

Da sie den Cato sieht.

CATO.

Du in Utika, Stolzer!

Zum Cesar.

Und du bist bey ihm, Gottlose?

Zu der Marcia.

Ihr seyd hier ohne meinen Befehl?

Zur Wache.

Emilia bewaffnet!

Was hast du für Absicht? Was willst du unternehmen?

CESAR.

Sie sucht meinen Tod, aber auf eine niederträchtige Art.

EMILIA.

Tödtet ihn!

Zu den Cato.

MARCIA.

Vater, ich bitte um Mitleiden.

CATO.

Lege dein Schwerdt ab.

Zum Cesar.

CESAR.

Mein Schwerd

Gebe ich nicht so weg.

Man hört hinten Lärm.

EMILIA.

Was höre ich

Für einen ungewohntem Lärm?

CATO.

Dieses ist eine Hinterlist. Ach ehe

Noch andre herzukommen, so rettet meine Ehre,

Tödtet die gottlose Tochter,

Und entwaffnet den Tyrannen, ich gehe voraus.

Zu der Wache.

Neunter Auftritt.

Fulvius nebst bewaffneten Gefolge und Obgedachte.

FULVIUS.

Kommet, Freunde.

EMILIA, MARCIA.

O Himmel!

CATO.

Götter, was seh ich!

EMILIA.

Unnützes Schwerdt.

Wirft den Degen weg.

MARCIA.

O Götter!

FULVIUS.

Ein Theil von euch bleibe

Zu Cesars Vertheidigung, Emilia, lebe wol.

EMILIA.

Gehe, Undankbarer.

FULVIUS.

Ich diene Rom, und erfülle meine Pflicht.

Fulvius geht ab, und einige von der Wache bleiben bey den Cesar.

CESAR.

Cato, ich bin Sieger –

CATO.

Schweige, wenn du verlangst

Daß ich den Degen abgebe, so nim ihn hin,

Wirft den Degen weg.

Ich will von dir keinen Befehl anhören.

CESAR.

O nein, stecke dein Schwerdt wieder an deine Seite,

Nimm dein tapferes Schwerdt wieder.

CATO.

Es wäre für mich ein Schimpf,

Wenn ich es als ein Geschenk von dir annähme.

MARCIA.

Geliebter Vater –

CATO.

Schweig!

Du machst mir Schande.

MARCIA.

Man befriedige doch endlich

Das Herz der Emilia.

EMILIA.

Du verlangst es vergeblich.

CESAR.

Freund

Zu dem Cato.

Friede! einmal Friede!

CATO.

Du hoffest dies vergebens.

MARCIA.

Was verlangst du denn?

Zu Emilia.

CATO.

Unter Zorn und Haß stets zu leben.

CESAR.

Und was willst du denn?

Zum Cato.

CATO.

In Freyheit zu sterben!

MARCIA.

Laß mich dir im Leben dienen!

Zum Cato.

CESAR.

Bezwinge deinen Zorn.

Zur Emilia.

CATO.

Stolze, Undankbare!

Zur Marcia.

EMILIA.

Grausamer, Tyranne.

Zum Cesar.

CESAR.

Aber ich biete dir Frieden an.

Zum Cato.

CATO.

Das Geschenk gefällt mir.

MARCIA.

Aber mäßige deinen Zorn.

Zu Emilia.

EMILIA.

Ich verlange blos Rache!

CESAR.

Welch ein Schmerz!

MARCIA.

Welche Qual!

EMILIA.

Welch ein Stolz!

CATO.

Welch ein Hochmuth!

CESAR, MARCIA, CATO, EMILIA.

Grausamere Begebenheiten

Kann das Schicksal nicht haben.

MARCIA.

Der erzürnte Vater

Für sich.

Reizet mich zum Zorn und beleidiget mich.

CESAR.

Dieses widerspenstige Herz

Gegen Cato.

Verändert die Gedanken nicht.

EMILIA.

Ich hoffe keine Rache.

Für sich.

CATO.

Die Tochter ist aufrührisch.

Für sich.

EMILIA, CATO, CESAR, MARCIA.

Diese Seele weiß nicht

Was die Sterne verlangen.

Gehn ab.

Zehnter Auftritt.

Arbaces mit bloßen Degen, und einige vom Gefolge, hernach Emilia.

ARBACES.

Wo verbirgt sich doch

Meine Geliebte? Gefolge, Freunde,

Aus Mitleiden suche man sie,

Man vertheidige meine Schöne – Muth, meine Getreuen,

Laßt uns den Kühnen entgegen gehen,

Um den Arbaces zu rächen.

Geht wüthend mit den andern weg.

EMILIA.

Halt, Arbaces!

Er höret mich nicht, und läßt mich

In Ungewißheit seufzen – Götter Roms

Steht uns bey – aber nein, ihr seyd

Alle gegen mich taub – ihr liebet weiter nichts

Als Betrug und Falschheit – Was habe ich gesagt?

Ach von Schmerz unterdrückt, kenne ich mich fast selbst nicht.

Wenn ich mich einen Augenblick

Dem Schmerz, der mich leitet überlasse,

So ist der Grund, daß ich mich

In Furcht und Hoffnung theile.

Sie ist nicht dankbar, meine Hoffnung, aber doch standhaft.

Ich weiß, ich würde euch angenehm seyn,

Wenn ich, ewige Götter,

Eure Liebe verachten könnte.

Geht ab.

Eilfter Auftritt.

Ein großer Waffenplatz in den Mauren von Utika. Stücke der schon gedachten verfallnen Häuser. Ausser der Stadt das Lager von Cesars Truppen mit Zelten, und kriegerischen Maschinen.

Bey Eröffnung der Schaubühne siehet man die Schlacht auf der Mauer. Arbaces, welcher sucht, den schon mit einem Theil der Truppen des Cesars in die Mauren gekommenen Fulvius zurück zu treiben; hernach Cato dem Arbaces zu Hülfe. Cesar sich vertheidigend gegen einige die ihn anfallen. Cesars Soldaten dringen in die Mauern. Cesar, Cato, Fulvius und Arbaces theilen sich streitend. Es folgt ein großer Streit zwischen beyden Armeen. Es fällt der Rest der Mauer, und die Soldaten des Cato fliehn. Cesars Soldaten verfolgen sie, und da die Schaubühne leer ist, kömt Cato mit zerbrochenen Degen wieder heraus.

CESAR allein.

Ihr habt gesiegt, unbillige Sterne! Siehe

Ein einziger Augenblick vernichtet den Schweiß und die Arbeit

So großer Länder und Staaten! Und nun liegt die ganze Welt

Unter dem Joche des Cesars. Für ihn also

(Wer sollte es glauben?)

haben die Metallen, die Scipionen gearbeitet?

Jeder Römer hat für ihn sein Blut vergossen?

Und sogar Pompejus stritt also blos für ihn?

Arme Freyheit! unglückliches Vaterland!

Undankbarster seiner Söhne! Keine andre Tapferkeit laß ich dir

Von deinen Vorfahren zu überwinden,

Als Rom und das Capitol.

Aber doch sollst du Tyranne,

Nicht über den Cato triumphiren!

Und kan er nicht mehr frey leben; so soll man wenigstens

Unter seinen Ruinen,

Die Freyheit mit vergraben sehen.

Er will sich erstechen.

Zwölfter Auftritt.

Marcia von der einen Seite, und Arbaces von der andern, und Obgedachter.

MARCIA.

Vater.

ARBACES.

Herr.

MARCIA, ARBACES.

Bleib.

CATO.

Undankbare! du unterstehst dich noch

Meinen Augen dich zu zeigen?

MARCIA.

Verzeihe, o Vater,

Kniet nieder.

Geliebter Vater, Mitleiden! Diese

Die deine Füße mit Thränen benetzt, ist noch immer deine Tochter.

ARBACES.

Beruhige dich doch endlich!

CATO.

Höre,

Wenn du willst, daß mein Schatten sich beruhigen soll,

So schwöre dem Arbaces

Eine ewige Treue, und dem gottlosen Unterdrücker

Des Vaterlandes und der Welt, einen ewigen Haß.

MARCIA.

(Ich sterbe bereits!)

CATO.

Du bedenkst dich noch? Ich erkenne

Dein widerspenstiges Gemüth. Ach weit von dieser

Eile ich zu sterben.

MARCIA.

Nein, Vater, höre mich an:

Steht auf.

Ich will alles thun Du willst, daß ich den Arbaces

Ewige Treue schwöre? Ich will es thun. Du verlangst

Daß ich des Cesars Feindin sey? Ich versichere dich

Ich will ihn hassen.

CATO.

Schwöre es.

MARCIA.

(O Götter!) bey dieser Hand schwöre ichs.

Nimt des Cato Hand und küßt sie.

ARBACES.

Sie bewegt mich zum Mitleid.

CATO.

So komm

In diese Arme, und empfange

Die letzte Umfassung, unglückliche Tochter,

Ich bin Vater, und in dem letzten Augenblicke

Weicht meine Strenge

Den Bewegungen des Bluts.

Ach ich glaubte nicht,

Dich in Afrika so zurück zu lassen.

MARCIA.

Dieses nenne ich Schmerz

Sie weint.

CATO.

Dieses Weinen macht meine Tapferkeit nicht abwendig.

Um euch ein Zeichen

Von der Neigung meines Herzens zu geben;

So hinterlasse ich euch Haß,

Und hinterlasse euch Liebe;

Aber die eurer,

Und die meiner würdig ist.

Da mir nicht mehr

Tapfer zu leben erlaubt ist:

So mag das Schicksal

Den Söhnen günstig seyn,

Wenn es solches nicht gegen den Vater ist.

Geht ab.

Dreyzehnter Auftritt.

Nach einer angenehmen Musik wird Cesar auf einem Triumpfsitze von Schildern und Siegszeichen hergetragen. Das siegreiche Heer der Numidier geht voraus; mit kriegerischen Instrumenten und Soldaten.

Cesar und Fulvius.

CESAR.

O Gefährte, zu siegen

Kömt nicht immer von Tapferkeit allein:

Auch das Glück

Hat Theil an dem Triumpf. Der größte Ruhm

Eines Siegers ist, sich zu mäßigen,

Und nicht zu grausam gegen den unterdrückten Feind zu seyn.

Erhaltet im Cato

Das Beyspiel der Helden

Mir, dem Vaterlande, der Welt, und euch.

FULVIUS.

Fürchtet nichts Cesar, seine Rettung

Ist schon geschehn. Dein Befehl ist

Durch alle deine treue Schaaren bekannt gemacht worden.

Letzter Auftritt.

Marcia, Emilia und Obgedachte.

MARCIA.

Laßt mich, o ihr Grausamen,

Gegen das Theater.

Ich will in seinem letzten Unglück

Meinen Vater nicht verlassen.

FULVIUS.

Was ist geschehen?

CESAR.

Was höre ich!

MARCIA.

Ach, welch ein Gegenstand! Geh, Undankbarer,

Zum Cesar.

Wenn du so blutdürstig bist,

So betrachte den Tod des Unglücklichen Cato. Dieses sind

Die schönen Früchte deiner Tapferkeit. Das größte

Ist noch zu thun übrig. Nimm diesen Säbel

Und vor dem Angesicht dieser Krieger

Vereinige die verzweiflungsvolle Tochter mit ihrem Vater.

Sie weint.

CESAR.

Aber wie! durch welche Hand? –

Man entdecke den Mörder!

EMILIA.

Den suchest du vergebens.

MARCIA.

Er ist freywillig gestorben. Cato ward besiegt,

Es ist wahr, aber durch niemand als durch sich selbst.

CESAR.

Rom! was verlierst du?

EMILIA.

Rom

Wird seinen Rächer finden.

Geht ab.

CESAR.

Und du, Marcia, bedenke wenigstens –

MARCIA.

Ich erinnere mich,

Daß ich durch dich aller Hoffnung beraubt

Daß ich eine trostlose Waise bin, und die Flucht ergreifen muß.

Ich habe geschworen dich zu hassen, und erinnere mich,

Daß ich zur größten Qual einen Undankbaren angebetet habe.

Geht ab.

CESAR.

Wie viel verliere ich in einem Tage?

FULVIUS.

Wenn du siegst

Ist aller Verlust leicht.

CESAR.

O wenn der Lorbeerkranz und der Thron

Mit dem Leben des Cato erkauft werden muß,

So nehmet, o ihr Götter! euer Geschenk zurück.

Wirft den Lorbeerkranz weg.

Ende der dritten Abhandlung.

Es folgt der letzte Tanz.

Aristophanes – Die Wolken

Aristophanes

Die Wolken

(Nephelai)

Personen.

Sokrates

Chairephon

Schüler des Sokrates

Strepsiades

Pheidippides

Pasias

Amynias

Der Anwalt der guten Sache

Der Anwalt der schlechten Sache

Der Chor der Wolken

Zeugen, Sklaven

Erste Szene

Morgendämmerung. Straße einer Vorstadt von Athen. Wohnung des Sokrates. In deren Nähe das Haus des Strepsiades, in dessen Schlafzimmer man hineinsieht.

Strepsiades. Pheidippides. Im Hintergrund Sklaven. Alle schlafend auf ihrem Nachtlager.

STREPSIADES erwacht und gähnt.

I – uh! I – uh!

Allmächtiger Zeus, welch ewig lange Nächte!

Nein, zum Verzweifeln! – Will’s denn gar nicht tagen?

Den Hahnenschrei hab’ ich doch längst gehört. –

Die Sklaven schnarchen – – Sonst vertrieb man’s ihnen!

Mit der Faust agierend.

Auffahrend.

Ein wahres Elend, der verdammte Krieg!

Man muß sich scheu’n sogar, die Kerls zu prügeln.

Und auch mein hoffnungsvoller Junker dort,

Der wacht die ganze Nacht nicht auf und farzt,

In Geißfelldecken fünffach eingewickelt! –

Meinthalb! – Ich deck’ mich zu und schnarche mit. –

Nach einer Pause.

Ja, wenn ich schlafen könnte! – Au, das zwickt,

Das Zahlen, Rossefüttern, Schuldenmachen

Für dieses Früchtchen da! – Und er? – Mit langen

Gelockten Haaren reitet er und fährt,

Und träumt von nichts als Rossen. – Ich – verzweifle,

Sooft der Monat halb vorüber ist:

Da rückt der Zins heran. – He, Bube, Licht!

Und bring das Hausbuch! – Muß doch nachsehn, wem

Ich alles schuld’, und was die Zinsen machen.

Ein Sklave bringt Licht und Buch.

Laß sehn: was bin ich schuldig? – Pasias –

Zwölf Pfund! – dem Pasias zwölf? – wofür? – Aha!

Der Goldfuchs, den ich kauft’! – Ein Auge gäb’ ich

Darum, hätt’ ich gespart die goldnen Füchse!

PHEIDIPPIDES im Schlafe.

Philon, das geht nicht! Fahr auf deiner Bahn!

STREPSIADES.

Da habt ihr’s! Das ist grade mein Ruin!

Von nichts als Rossen spricht er selbst im Traum.

PHEIDIPPIDES wie oben.

Wie viele Fahrten gilt’s mit dem Gespann?

STREPSIADES.

Mir gilt’s! Mich, deinen Vater, jagst du ‘rum!

Liest weiter im Buch.

Pasias! – »Was lastet sonst für Schuld auf mir?« –

Amynias – für Rad und Sitz: drei Minen.

PHEIDIPPIDES wie oben.

Fort mit dem Roß zur Schwemm’, und dann nach Haus!

STREPSIADES lauter.

Mich schwemmst du weg von Haus und Hof, du Schlingel!

Der will sein Geld zurück, zehn andre drohn

Mich aufzupfänden für die Zinsen –

PHEIDIPPIDES erwachend.

Vater,

Was stöhnst und wälzt du dich die ganze Nacht?

STREPSIADES.

Die Brummer beißen mich zum Bett hinaus.

PHEIDIPPIDES.

Hör, Alter, laß mich noch ein wenig ruhn!

STREPSIADES.

Schlaf du nur zu; die ganze Schuldenlast,

Das sag’ ich dir, fällt doch auf deinen Kopf! –

Verdammte Kupplerin, die mich beschwatzt,

Daß ich zum Weibe deine Mutter nahm!

Das schönste Leben hätt’ ich auf dem Lande:

Hübsch durcheinander, recht im Speck und Dreck,

Behaglich unter Honig, Woll’ und Trestern!

Da nahm ich, Bauer, aus dem Haus Megakles

Megakles’ Nichte, städtisch, üppig, stolz

Und flott, die eingefleischte Koisyra:

Als ich mit der das Hochzeitsbett bestieg,

Roch ich nach Hefe, Käs und schmutz’ger Wolle,

Sie nach Pomade, Schmink’ und Zungenküßchen,

Hoffart, Verschwendung, Schlemmerei und Buhlschaft.

Faul war sie nicht, o nein, sie zettelte

Am Webstuhl, und ich zeigt’ ihr oft mein Wams

Und sprach verblümt: ›Frau, du verzettelst viel!‹

SKLAVE.

In unsrer Lamp’ ist nicht ein Tropfen Öl!

STREPSIADES.

Was brennst du denn auch die versoffne Ampel?

Komm her, ich will dir!

Schlägt nach ihm.

SKLAVE.

Aber, Herr, warum denn?

STREPSIADES.

Was steckst du grad den dicksten Docht hinein?

Sklave ab.

Danach, als uns dies Söhnchen ward beschert,

Will sagen, mir und meiner wackern Ehfrau,

Gleich zankten wir uns über seinen Namen:

Sie wollt’ ein ›Hippos‹ dran, ‘nen Ritternamen,

Philipp, Charipp, Xanthipp, Kallipides,

Ich, nach dem Großpapa: Pheidonides.

Wir stritten hin und her, bis wir zuletzt

Eins wurden, ihn Pheidippides zu nennen.

Sie nahm ihn auf den Arm und streichelt’ ihn:

›Wenn du mal groß bist und im Purpurrock

Zur Stadt fährst wie Megakles‹ – ›Nein, wenn du

Im Schafpelz‹ – fiel ich ein – ›vom Phelleuswald

Heim mit den Ziegen fährst, wie einst dein Vater – –‹

Was half’s? Auf meine Lehren hört’ er nicht,

Und hat mir nun auch Hab und Gut verrösselt.

Da sinn’ ich nun die Nacht durch hin und her,

Und einen Ausweg hab’ ich jetzt gefunden,

Nein, göttlich, einzig! – Folgt er mir, bin ich

Geborgen! – Vorderhand will ich ihn wecken;

Doch ja recht sanft! – Laß sehn, wie mach’ ich das? –

Pheidippides!

Geht an sein Lager.

Pheidippides’chen!

PHEIDIPPIDES.

Vater?

STREPSIADES.

Komm, küsse mich und gib mir deine Hand!

PHEIDIPPIDES steht auf.

Da! Und was weiter?

STREPSIADES.

Sag: hast du mich lieb?

PHEIDIPPIDES.

Das weiß Poseidon dort, der Gott der Rosse!

STREPSIADES.

Ich bitt’ dich, laß den Roßgott aus dem Spiel:

Der hat mich in das Herzeleid gebracht;

Nein, wenn du in der Tat mich zärtlich liebst,

Dann folge mir, mein Sohn!

PHEIDIPPIDES.

Was soll ich denn?

STREPSIADES.

Kehr um von Stund’ an, führ’ ein andres Leben,

Und geh und lerne, was ich dir empfehle!

PHEIDIPPIDES.

Sag nur, was willst du?

STREPSIADES.

Folgst du auch?

PHEIDIPPIDES.

Ich folge,

Beim Dionys!

STREPSIADES.

Komm her, da schau hinaus:

Siehst du das Pförtchen und das Häuschen dort?

PHEIDIPPIDES.

Ich seh’ es, Vater! Und was ist’s damit?

STREPSIADES.

Das ist die Werkstatt tiefgelehrter Denker,

Da wohnen Männer, die beweisen dir:

Der Himmel sei ein mächtiger Backofen,

Der uns umgibt, und wir die Kohlen drin;

Die lehren dich fürs Geld die Kunst, mit Worten

Recht oder Unrecht glücklich zu verfechten.

PHEIDIPPIDES.

Wer sind denn die?

STREPSIADES.

Die Namen weiß ich nicht:

Ideologen, Herrn von Stand und Bildung.

PHEIDIPPIDES.

Pah! Schurken sind’s, die kenn’ ich wohl; du meinst

Die blassen windigen Barfüßer, jenen

Beseßnen Sokrates und Chairephon!

STREPSIADES.

Pst! Pst! So schwatze doch nicht wie ein Kind!

Und liegt dir was am Brotkorb deines Vaters,

Dann halte dich an sie, und laß das Rösseln!

PHEIDIPPIDES.

Nein, beim Dionys, und wenn du auch die schönsten

Wallachen des Leogoras mir schenktest!

STREPSIADES.

»Mein Liebstes auf der Welt!« Geh hin, studiere

Mir dort!

PHEIDIPPIDES.

Was soll ich denn für dich studieren?

STREPSIADES.

Sieh, die verstehn sich auf zwei Künste dort,

Die Kunst der guten und der schlechten Sache.

Der Redner, der der schlechten sich bedient,

Gewinnt, und wenn er zehnmal unrecht hätte.

Nun sieh, wenn du die schlechte Kunst mir lernst,

Dann kriegt kein Gläubiger von allem Geld,

Das ich für dich geborgt, ‘nen Obolos.

PHEIDIPPIDES.

Das kann ich nicht: so käsegelb, wie die –

Wie könnt’ ich noch ins Aug’ den Rittern sehn?

STREPSIADES.

Dann, bei Demeter, friß wo anders, du,

Ja, du, dein Rennpferd und dein Sattelgaul!

Ich jag’ dich aus dem Haus, verdammter Schlingel!

PHEIDIPPIDES.

Was scher’ ich mich um dich? Mein Ohm Megakles

Läßt mich nicht ohne Roß: ich geh’ zu dem!

Ab.

STREPSIADES allein.

Da lieg’ ich nun! – – Ich steh’ auch wieder auf!

Mit Gottes Hilfe lern’ ich selbst noch was;

Ich selber geh’ jetzt in die Denkerklause.

Geht auf Sokrates’ Wohnung zu, bleibt stehen.

Doch – werd’ ich, alt, vergeßlich, langsam, wie

Ich bin – kapieren all die Tüftelei’n?

Entschlossen.

Nur zu! Was zaudr’ ich da noch lang? – Wohlan,

Ich klopf’ einmal! He, Junge, Jüngelchen!

SCHOLAR kommt heraus.

Zum Henker auch! Wer klopft da an die Tür?

STREPSIADES.

Strepsiades, Sohn Pheidons, von Kikynna.

SCHOLAR.

Du roher Mensch, bar aller Zucht des Denkens,

So barsch zu klopfen! – Ein Begriff, soeben

Im Werden, ward durch dich zur Fehlgeburt.

STREPSIADES.

Verzeih! Ich bin halt bäurisch aufgewachsen;

Doch sag: was ist das mit der Fehlgeburt?

SCHOLAR.

Nur den Scholaren wird das anvertraut.

STREPSIADES.

Dann sag du mir’s nur frei: denn als Scholar

Komm’ ich hierher zur Philosophenklause.

SCHOLAR.

Nun denn: – allein betracht’ es als Geheimnis! –

Den Chairephon fragt Sokrates soeben:

›Wieviel Flohfüße weit ein Floh wohl hüpft?‹

Dem Meister nämlich sprang just auf den Kopf

Ein Floh, der Chairephon am Aug’ gestochen.

STREPSIADES.

Wie hat er das gemessen?

SCHOLAR.

Hör und staune:

Er fängt den Floh, läßt Wachs zergehn und taucht

Ihn mit den Füßen drein, das Ding erkaltet,

Pantoffeln trägt der Floh, ganz angegossen,

Die nimmt er ab und mißt damit die Weite.

STREPSIADES.

Großmächt’ger Zeus! Das nenn’ ich Geist und Scharfsinn!

SCHOLAR.

Was sagst du erst, wenn du von einer andern

Idee des Meisters hörst?

STREPSIADES.

Von welcher? Sprich!

SCHOLAR.

Denk! Chairephon aus Sphettos fragt ihn jüngst,

Wofür er sich entscheid’: ob durch das Mundstück

Die Schnaken singen oder durch den Bürzel?

STREPSIADES.

Ei, und wie löst’ er dann die Schnakenfrage?

SCHOLAR.

Er sprach: ›Der Darmkanal der Schnaken ist

Sehr eng: da drängt die eingepreßte Luft

Nun mit Gewalt sich durch, dem Bürzel zu;

Und weil die Öffnung plötzlich sich erweitert,

Fährt mit Musik der Wind zum Loch heraus.‹ –

STREPSIADES.

So wär’ ein Schnakenloch ‘ne Art Trompete! –

Heil dem aposteriorisch tiefen Forscher!

Wer so durchdringt den Hintern einer Schnake,

Kriecht leicht auch durch die Gänge der Justiz.

SCHOLAR.

Jüngst freilich kam um einen Kraftgedanken

Er durch ‘ne Eidechs.

STREPSIADES.

Ei, wieso? Laß hören?

SCHOLAR.

Nacht war’s! Des Mondes Bahn und Wechsel eben

Erforschend, sah er auf mit offnem Mund;

Da schmeißt vom Dach herab auf ihn das Tierchen.

STREPSIADES lachend.

Ein lustig Tierchen! – Schmeißt auf Sokrates?!

SCHOLAR.

Hör! Gestern abend – hatten wir nichts zu essen. –

STREPSIADES.

Ei nun, wie griff er’s an, euch Brot zu schaffen?

SCHOLAR.

Im Ringhof streut’ er feine Asche hin,

Nahm einen Bratspieß, bog ihn krumm, und – husch!

Hatt’er ein Opferstück vom Tisch gezirkelt.

STREPSIADES.

Was? Und wir staunen noch den Thales an?

Geschwind! Mach auf die Philosophenklause!

Ich muß, ich muß ihn sehn, den Sokrates!

Mich schülert’s ganz entsetzlich: tu mir auf!

Durch die geöffnete Türe sieht man in die gemeinsame Studierstube der Philosophen hinein: der Meister hoch oben in einer Hängematte, die Schüler zusammengekauert am Boden zwischen mathematischen Instrumenten und Bücherrollen.

STREPSIADES fährt zurück.

Herakles! Was sind das für Wundertiere?

SCHOLAR.

Du staunst? Wie kommen sie dir vor?

STREPSIADES.

Wie die

Von Pylos, die spartanischen Gefangnen. –

Was sehn denn die so bleich und stier zur Erde?

SCHOLAR.

Sie suchen, was die Erde birgt.

STREPSIADES.

Ha ha,

Sie suchen Zwiebeln: o bemüht euch nicht!

Ich zeig’ euch, wo recht schöne, große stecken. –

Was tun denn die, gebückt, die Nas’ am Boden?

SCHOLAR.

Sie spähn dem Urgrund nach tief unterm Hades.

STREPSIADES.

Ihr Hinterer aber schaut ja auf zum Himmel?

SCHOLAR.

Der treibt Astronomie auf eigne Hand.

Leise zu den Scholaren, die neugierig her beikommen.

Hinein! Wenn Er uns jetzt bemerkte! Fort!

STREPSIADES.

So laß sie doch, sie sollen bleiben, bis

Ich ihnen mein Geschäftchen vorgetragen.

SCHOLAR.

Nein, nein, beileib, sie dürfen nicht so lang

Hier außen bleiben an der frischen Luft!

STREPSIADES folgt den Scholaren, die sich zurückziehen, bis an die Schwelle und erblickt einen Globus.

Bei allen Göttern, sprich, was ist denn das?

SCHOLAR.

Astronomie, mein Freund!

STREPSIADES auf einen Meßtisch deutend.

Und dieses da?

SCHOLAR.

Geometrie.

STREPSIADES.

Wofür ist das denn gut?

SCHOLAR.

Um Land zu messen.

STREPSIADES.

Wie? Verlostes Land?

SCHOLAR.

Land überhaupt, das Erdreich.

STREPSIADES.

Ganz scharmant!

Das ist doch was fürs Volk, erklecklich, praktisch.

SCHOLAR auf eine Landkarte zeigend.

Hier ist die ganze Erde: siehst du hier

Athen?

STREPSIADES.

Das soll Athen sein? Seh mir einer!

Wo sitzt denn da auch nur ein einz’ger Richter?

SCHOLAR.

Verlaß dich drauf, hier siehst du Attika!

STREPSIADES.

Wo sind denn meine Landsleut’ in Kikynna?

SCHOLAR.

Da drinnen stecken sie! Sieh her, daneben

Liegt auch Euboia, hier, lang hingestreckt.

STREPSIADES.

Weiß schon: wir und Perikles streckten’s hin. –

Wo ist denn Lakedaimon?

SCHOLAR.

Wo? Da, hier!

STREPSIADES kopfschüttelnd.

So nah bei uns? – Studiert doch ernstlich drauf,

Daß ihr das Nest da wegschafft weit von uns!

SCHOLAR.

Du Narr, das geht nicht.

STREPSIADES.

Ei so geht zum Schinder!

Sieht in die Höhe und erblickt den Sokrates.

Wer ist denn der dort in der Hängematte?

SCHOLAR mit gedämpfter Stimme.

Er!

STREPSIADES laut.

Wer Er?

SCHOLAR.

Sokrates.

STREPSIADES.

Du, Sokrates! – – –

Sokrates bleibt unbeweglich.

Zum Scholaren.

Du, schrei mir ihn einmal recht tüchtig an!

SCHOLAR.

Ruf du ihn selbst, ich habe keine Zeit.

Geht hinein und macht sich zu tun.

STREPSIADES.

He, Sokrates! – – – Sokrates’chen – –

Du dort!

STIMME AUS DER HÖHE.

Was rufst du mich, du Sohn des Staubes?

STREPSIADES.

Nein, aber sag, was machst du denn da oben?

SOKRATES langsam und feierlich.

In Lüften schweb’ und Helios überseh’ ich.

STREPSIADES.

So? Über unsre Götter siehst du weg? –

Warum denn hoch im Korb und nicht am Boden?

SOKRATES.

Wie könnt’ ich wahr das Überird’sche deuten:

Wenn schwebend nicht des Geistes zarter Äther

Mit dem verwandten Element sich mischte?

Umsonst vom Boden unten schaut’ ich auf

Nach oben: denn die Erde zieht zu sich

Unwiderstehlich des Gedankens Tau: –

Ein Beispiel hast du an der Brunnenkresse.

STREPSIADES.

Was sagst du da? – –

Das Denken zieht den Tau der Kresse zu? –

Hör, Sokrates’chen, komm zu mir herunter,

Ich will was lernen, komm und sei mein Lehrer!

SOKRATES läßt sich herab.

Was willst du lernen?

STREPSIADES.

Reden, lieber Mann!

Die Zinsen und die groben Gläub’ger, denk,

Die plündern, pfänden, ziehn mich völlig aus.

SOKRATES.

Wie kamst du denn in Schulden, dummer Mensch?

STREPSIADES.

Roßfieber heißt die Krankheit, die mich frißt. –

Jetzt lehre mich von deinen beiden Künsten

Die: Nichts zu zahlen, und das Honorar

Erleg’ ich gleich, das schwör’ ich bei den Göttern!

SOKRATES.

Bei welchen Göttern? – Denn die Götter sind

Hier abgeschätzte Münz’.

STREPSIADES.

Wie schwört denn ihr?

Bei eisernen, wie’s in Byzanz gebräuchlich?

SOKRATES.

Willst du der Götter Wesen aus dem Grund

Begreifen lernen? –

STREPSIADES.

Ja, bei Zeus, womöglich.

SOKRATES.

Und mit den Wolken selber Zwiesprach halten,

Die unsre Götter sind?

STREPSIADES.

Das möcht’ ich gern.

SOKRATES deutet nach einem Lotterbett.

So setze dich auf diesen heil’gen Sitz!

STREPSIADES.

Das kann ich schon! Da sitz’ ich.

SOKRATES.

So! Jetzt nimm

Den Kranz!

STREPSIADES.

Wozu den Kranz?

Ängstlich.

Ach, Sokrates,

Wollt ihr mich opfern, wie den Athamas?

SOKRATES.

Mitnichten! – Solches tun wir stets, wenn einer

Wird eingeweiht.

STREPSIADES.

Was hab’ ich denn davon?

Sokrates setzt ihm einen mit Sand und Staub bedeckten Kranz aufs Haupt.

SOKRATES.

Ein Sprecher wirst du, flink, gewandt, gerieben,

Wie Mehlstaub fein –

Strepsiades, dem der Sand ins Gesicht fällt, schüttelt sich.

So halt doch still!

STREPSIADES.

Wahrhaftig,

So ist’s, schon bin ich um und um voll Staub.

SOKRATES mit Salbung.

Andächtiges Schweigen geziemt dem Greis, und es lausche sein Ohr dem Gebete! –

Betend.

Allwaltende Herrin, unendliche Luft, die du hältst in der Schwebe den Erdball!

Und du, strahlender Äther, ihr Göttinnen hehr, blitzdonnerundhagelgewaltig,

Erhebt euch, erscheinet, erhabene Frau’n, in den Höhen dem sinnenden Forscher!

STREPSIADES.

Nein, ich bitte, noch nicht! Laß den Mantel mich erst um den Kopf ziehn wider die Nässe!

Verdammt, daß ich heut auch gerade von Haus bin gegangen ohne den Filzhut!

SOKRATES.

Kommt, kommt, hochheilige Wolken, und gönnt ihm den Anblick eurer Gestalten!

Wo ihr immer verweilt, auf Olympos’ Höh’n, den beschneiten, heiligen, oder

In Vaters Okeanos’ Gärten, vereint mit den Nymphen zum festlichen Reigen,

Ob am flutenden Nil ihr soeben die Flut in goldenen Eimern heraufzieht,

Ob ihr schwebt am maiotischen See oder fern auf dem schneeigen Gipfel des Mimas:

Wo ihr seid, o erhört mich und schauet mit Huld auf das Opfer der heiligen Weihe!

CHOR DER WOLKEN noch unsichtbar.

Blitz und Donner.

Schwimmende Wolken, ans Licht

Ziehn wir, die leuchtenden, ewig beweglichen,

Unversieglichen,

Ziehen herauf aus dem Schoße des tosenden

Vaters Okeanos, auf zu den waldigen

Gipfeln der Berge, schaun

Nieder auf fernhin erglänzende Zinnen, auf

Saaten, hinab auf die säugende, heilige

Erd’ und die göttlichen, rauschenden Ströme bis

Hin zu des wogenden, stöhnenden Meeres Flut:

Denn unermüdet ja leuchtet das Auge des Äthers

Schwimmend in heitrer Klarheit! –

Auf denn! Wir schütteln von unsern unsterblichen

Leibern die tauige Hüll’, und mit leuchtendem

Aug’ überschaun wir die weite Erde.

Blitz und Donner.

SOKRATES.

Ihr erhabenen Wolken, ihr habt mich erhört und erscheint mir von Auge zu Auge!

Zu Strepsiades.

Und vernahmst du die göttliche Stimm’ und den Knall des rollenden heiligen Donners?

STREPSIADES.

O gewißlich, ich bet’, ihr Erhabnen, euch an, und es drängt mich, den Knall zu erwidern;

Ach, es kommt mir, es kommt: so entsetzliche Furcht solch Zittern und Beben ergreift mich,

Ob ihr gut dazu seht oder nicht, ich vermag es nicht länger zu halten – ich kacke!

SOKRATES.

Mensch, laß mir die Possen, geriere dich nicht wie die teuflischen Hefengesichter!

Andächtige Stille! Der Göttinnen Schar, sie naht sich mit heil’gem Gesange!

CHOR.

Jungfraun mit tauendem Haar

Schweben wir hin zu Athenes gesegneten

Gauen, des Kekrops

Heldenerzeugende, liebliche Flur zu schaun,

Die das Geheimnis mystischer Feier wahrt,

Wo sich das Heiligtum

Öffnet am Feste der Weihe den Schauenden,

Dort, wo Geschenke, Bilder und ragende

Tempel die himmlischen Götter verherrlichen,

Festliche Züge der Frommen, der Seligen,

Jubel der Blumenbekränzten und Schmausenden,

Wechselnd im Tanz der Horen;

Heut, mit dem nahenden Lenze, des Bakchos Fest,

Fröhlich mit Tanz und Gesang um die Wette zum

Helltönenden Klang der Flöten!

STREPSIADES.

Ich beschwöre dich bei dem allmächtigen Zeus, wer sind sie denn, Sokrates, die da,

Die so prächtig singen, so furchtbar schön? Halbgöttinnen, sollte man glauben!

SOKRATES.

Bewahre, die himmlischen Wolken sind’s, der Müßigen göttliche Mächte,

Die Gedanken, Ideen, Begriffe, die uns Dialektik verleihen und Logik,

Und den Zauber des Worts, und den blauen Dunst, Übertölplung, Floskeln und Blendwerk.

STREPSIADES.

Drum ist mir doch auch, da ihr Lied ich vernahm, meine Seel’ in den Äther entflogen

Und versucht jetzt schon dialektisch den Rauch zu zerlegen in seine Atome,

Jeden Satz zu zersetzen mit Sätzchen und fein auf die Silben mit Silben zu stechen;

Drum verlangt es mich sehr, wenn es irgend erlaubt, sie von Antlitz zu Antlitz zu schauen.

SOKRATES.

So blicke nur hin nach dem Parnes dort: schon seh’ ich gemessenen Schrittes

Sie herniederwandeln.

STREPSIADES.

Ei zeig mir doch, wo?

SOKRATES.

Dort rücken heran sie in Masse,

Durch Schluchten und Büsche, dort seitwärts herab, siehst du?

STREPSIADES.

Das begreif’ mir ein andrer!

Ich seh’ sie ja nicht!

SOKRATES.

An dem Eingang dort!

STREPSIADES.

Eine Spur kaum seh’ ich von ihnen!

Der Chor der Wolken tritt in die Orchestra ein.

SOKRATES.

Aber jetzt doch wohl: sonst glaub’ ich, du hast Schmalzklumpen, wie Kürbsen, im Auge.

STREPSIADES.

Beim Zeus, ja, ja! Ihr Erhabnen, ich seh’, schon wimmelt der Boden von Wolken.

SOKRATES.

Und du wußtest es nicht, und du glaubtest es nicht, daß sie Göttinnen sind und unsterblich?

STREPSIADES.

Meiner Seel’, ich sah sie mein Lebtag an für Tau und Nebel und Dünste.

SOKRATES.

So, so? Und du weißt also nicht, daß sie die Sophisten, die vielen, ernähren,

Quacksalber, Propheten echt thurischen Stamms, brillantringfingrige Stutzer,

Dithyrambische Schnörkelverdrechsler zu Hauf, sternschnuppenbeguckende Gaukler:

Sie füttern sie alle, das müßige Volk, das ihnen zu Ehren lobsinget.

STREPSIADES.

Drum singen sie auch von »des feuchten Gewölks blitzschlängelndverheerendem Sturmschritt«,

Von »der duftigen, tauig krummklauigen Schar luftmeerdurchschwimmender Vögel«

Und von »Wassergüssen des Regengewölks«; und für diese Ergüsse verschlingen

Sie die leckersten Stücke des prächtigsten Aals und die köstlichsten Krammetsvögel!

SOKRATES.

Und verdienen sie das um die Wolken denn nicht?

STREPSIADES.

Meinthalben! Erklär’ mir nur eines:

Wenn sie Wolken doch sind, leibhaftig, wie kommt’s, daß wie sterbliche Weiber sie aussehn?

Die droben, die sind doch wahrhaftig nicht so!

SOKRATES.

Ei nun, und wie sehen denn die aus?

STREPSIADES.

Das kann ich so recht nicht beschreiben, ich mein’: wie ein Haufen verzettelter Wolle;

Von Weibern einmal nicht die mindeste Spur! Und die da – die haben ja Nasen!

SOKRATES.

Du, gib einmal Antwort! Ich frage dich –

STREPSIADES.

Schnell, nur heraus damit, ohne Präambel!

SOKRATES.

Hast du nie in der Höh’ eine Wolke gesehn, an Gestalt gleich einem Kentauren,

Oder Panthertier, oder Wolf, oder Stier?

STREPSIADES.

Ei warum nicht? Aber was soll das?

SOKRATES.

Sie geben sich jede belieb’ge Gestalt; zum Exempel, sie sehn einen geilen,

Langhaarig verwilderten Bubenfreund, unter andern den Sohn Xenophantos’,

Gleich äffen sie nach des Verrückten Figur, und verwandeln sich selbst in Kentauren.

STREPSIADES.

Was machen sie denn, wenn sie Simon sehn, mit der Hand in dem Säckel des Staates?

SOKRATES.

Sie zeichnen ihn treu ganz nach der Natur und verwandeln sich selber in Wölfe.

STREPSIADES.

So, drum! Als sie gestern Kleonymos sahn, den Schildwegwerfer, da wurden

Sie beim ersten Blick auf die Memme sogleich in flüchtige Hirsche verwandelt.

SOKRATES.

Und weil sie den Kleisthenes, den dort, erblickt, du siehst ihn? Drum wurden sie Weiber.

STREPSIADES zum Chor.

Nun, so seid mir gegrüßt, ihr erhabenen Frau’n! Wenn einem, tut mir den Gefallen

Und laßt, ihr Durchlauchtigen, tönen einmal die himmeldurchrollende Stimme!

CHOR zu Strepsiades.

Sei mir auch gegrüßt, du bemooster Greis, du ideenverfolgender Weidmann!

Zu Sokrates.

Hoherpriester des Gallimathias, auch du! Tu kund dein Verlangen! Wir hören!

Denn der Überschwenglichen keinem, fürwahr, von der Zunft der Sophisten verleihen

Wir Gehör, als etwa dem Prodikos, der es verdient durch Weisheit und Tiefsinn,

Und dir, weil du breit durch die Straßen stolzierst und die stierenden Augen umherwirfst,

Stets barfuß gehst und den Leib kasteist und die Nas’ – als der Unsre – so hoch trägst.

STREPSIADES.

Alle Welt! Wie erhaben die Stimme tönt, majestätisch, übernatürlich!

SOKRATES.

Kein Wunder; die einzigen Götter sind sie, und das andre ist all Larifari!

STREPSIADES.

Wie, – Zeus, der olympische Zeus, der soll kein Gott sein? – nicht existieren?

SOKRATES.

Nur nicht albern! Was faselst du da mir von Zeus? Es gibt keinen Zeus!

STREPSIADES.

Ei, was sagst du?

Und wer regnet denn dann? Das mußt du nun doch mir vor allen Dingen erklären!

SOKRATES.

Wer? Diese, sonst niemand! Das will ich dir gleich mit gewichtigen Gründen beweisen!

Du, sag mir einmal, ob du jemals den Zeus hast regnen sehn ohne Wolken?

Bedenk doch: ein Regen aus blauer Luft, und die Wolken sind dann wohl auf Reisen?

STREPSIADES.

Bei Apollon! Das sitzt ja wie angeschweißt: das hast du vortrefflich bewiesen!

Sonst freilich, da glaubt’ ich: wenn Zeus durch ein Sieb sein Wasser abschlage, dann regn’ es.

Jetzt sag mir: wer macht denn den Donner? Denn sieh: da fahr’ ich halt immer zusammen.

SOKRATES.

Sie donnern, wenn übereinandergerollt sie sich wälzen.

STREPSIADES.

»Tollkühner, was sagst du?«

SOKRATES.

Wenn in reichlichem Maße mit Wasser gefüllt sie von innen getrieben dahinziehn,

Erdwärts durch die Schwere des Regens gedrückt, dann stürzen die wogenden Wasser

Sich übereinander und bersten entzwei und krachen und poltern im Platzen.

STREPSIADES.

Wer treibt sie denn aber? Das ist doch Zeus, der sie nötigt, sich fortzubewegen?

SOKRATES.

Nein, Mensch! Der ätherische Wirbel ist’s!

STREPSIADES.

Wirr – Wirbel? Ich kenne den Gott nicht!

Zeus also ist nicht, und an seiner Statt regiert so ein Zeisig – der Wirbel?

Doch immer noch hast du mir eins nicht erklärt, dies Donnern und Krachen und Wettern.

SOKRATES.

Ei, hörst du denn nicht, was ich eben gesagt von den Wolken, den wassergefüllten,

Wie sie übereinander sich stürzen gebläht, und zusammengeworfen zerplatzen?

STREPSIADES.

Wie versteh’ ich denn das?

SOKRATES.

Nun, so merk einmal auf: an dir

selber mach’ ich’s dir deutlich.

Ist dir’s nie an den Panathenaien passiert, daß dein Magen, mit allerlei Brühen

Überfüllt, dir mit Knurren Molesten gemacht, mit Reißen und Blähn und Rumpumpeln?

STREPSIADES.

Beim Apollon, gar oft; und da währt es nicht lang, und es wurmt mir und fährt durch die Därme.

So ‘ne lumpige Brüh’, die verführt einen Lärm und tut akkurat wie der Donner:

Erst halblaut nur: bumbum, bumbum, dann vernehmlicher schon: bububumbum!

Bis donnernd gerad wie die Wolken zuletzt es herausfährt: bubububumbum!

SOKRATES.

Drum sieh: wenn dein Bäuchlein, winzig und klein, so gewaltige Bumbums herausfarzt,

Wie entsetzlich muß erst im erhabenen Raum rumoren das Rollen des Donners?

STREPSIADES.

Ich verstehe: drum sind sich auch Donner und Furz so ähnlich im brummenden Tone!

Nun aber der Blitz, wo kommt er denn her, und sein feuriges Leuchten und Zünden,

Der, wenn er uns trifft, uns zu Asche verbrennt, und wenn er nicht tötet, doch röstet:

Den sendet doch Zeus, das ist klar wie der Tag, meineidige Sünder zu strafen?

SOKRATES.

O du antediluvianischer Kauz, o du märchengläubiges Mondkalb!

Meineidige soll er erschlagen? Warum zerschmettert er dann nicht den Simon,

Den Kleonymos nicht, den Theoros nicht, und was machen sich die aus ‘nem Meineid?

Wo schlägt er denn ein? – In sein eigenes Haus auf Sunions heiliger Spitze,

Und in stämmige Eichen – was fällt ihm denn ein? Meineidige Eichen! Man denke!

STREPSIADES.

Weiß nicht! – doch es scheint, was du sagst, das ist wahr. Nur erkläre mir noch, was der Blitz ist?

SOKRATES auf die Wolken deutend.

Wenn in diesen ein trockener Wind sich verfängt, der empor in die Lüfte gewirbelt,

Dann schwellt er sie auf, wie Blasen, und fest zusammengepreßt durch die Spannung

Zersprengt er sie plötzlich und drängt mit Gewalt sich heraus aus der platzenden Masse,

Und vom Stoß und der heftigen Reibung entflammt, mit Sausen und Zischen verglüht er.

STREPSIADES.

Ei der Tausend! Aufs Haar ganz dasselbe ist mir am Diasienfeste begegnet:

Meine Vetterschaft hatt’ ich zu Gast und briet eine Magenwurst; potz, da vergess’ ich

Sie zu stechen zur Zeit, und da schwillt sie nun auf, und plötzlich zerplatzt sie und spritzt mir

Gerad in die Augen den ganzen Dreck und verbrennt das Gesicht mir erbärmlich!

CHORFÜHRERIN zu Strepsiades.

O du Menschensohn, der du trachtest, von uns ausströmende, heilige Weisheit

Zu erlernen, wie groß, wie beglückt wirst du, wie berühmt in Athen und in Hellas,

Wenn stark dein Gedächtnis, tiefsinnig dein Geist, für Strapazen und Hunger und Kummer

Unempfindlich, und wenn du nicht müde wirst vom Spazierengehen und Stehen,

Wenn du frierst ohne Murren, wenn ohne Verdruß du ein Frühstück weißt zu entbehren,

Wenn du meidest den Wein und den Turnplatz fliehst und die übrigen Werke der Torheit,

Wenn du allzeit, wie dem verständigen Mann es geziemt, für das Höchste es achtest,

Im Handel und Wandel mit fertiger Zung’ als Sieger das Feld zu behaupten.

STREPSIADES.

Was das nun betrifft: starrsinnigen Kopf, bettdeckenumwälzendes Grübeln,

Unverwöhnten, nüchternen Magen dazu, gegen Wasser und Brot nicht rebellisch –

Da sei du nur ruhig, da lass’ ich auf mir, wenn es sein muß, hämmern und schmieden.

SOKRATES.

Und erkennst du nun auch gleich uns fortan, daß kein anderes göttliches Wesen

Existiert, denn allein diese heiligen Drei: das Chaos, die Wolken, die Zunge?

STREPSIADES.

Mit den andern verlier’ ich, und wenn sie mir auch auf der Straße begegnen, kein Wörtchen,

Noch werd’ ich an sie Speis’opfer und Trank und Weihrauchkörner verschwenden.

CHORFÜHRERIN.

So rede getrost: was verlangst du von uns? Wir werden dich sicher erhören,

Da du Ehr’ uns gern und Bewund’rung zollst und bemüht bist, weise zu werden.

STREPSIADES.

Durchlauchtige Fraun! Dann bitt’ ich euch nur um ein Kleines: gewährt mir die Gnade,

Laßt hundert Meilen, als Rednergenie, mich vor allen in Hellas voraus sein!

CHORFÜHRERIN.

Wir gewähren die Bitte; von Stund’ an soll es nicht einem gelingen, daß öfter

Als du, er Gesetzesentwürfe beim Volk durchsetze mit glänzender Mehrheit.

STREPSIADES.

Nach politischer Größe gelüstet mich’s nicht, ich befasse mich nicht mit Gesetzen,

Strepsiades strebt für sich selbst nur das Recht zu verdrehn, zu entschlüpfen den Zinsherrn.

CHORFÜHRERIN.

Eine Kleinigkeit das! Den bescheidenen Wunsch, wie sollten wir den nicht erfüllen?

Übergib dich getrost nur mit Leib und Seel’ der Behandlung unserer Priester!

STREPSIADES.

Das tu’ ich im vollen Vertrauen auf euch: ich muß – denn ich steck’ in der Klemme,

Ruiniert durch die Füchs’ und die Rappen, und dann durch die unglückselige Heirat.

Ich gehöre den Herrn mit Leib und Seel’:

Was sie wollen, ich tu’s und ich trag’ es ja gern,

Durst, Hunger und Prügel und Hitz’ und Frost!

Ja, laßt sie das Fell mir vom Leibe ziehn!

Und studier’ ich mich nur aus den Schulden heraus,

Tituliere mich dann nach Belieben die Welt:

Frech, naseweis, grob, maulfertig, infam,

Unflat, Aufschneider und Lügenschmied,

Rechtsfälscher, mit allen Hunden gehetzt,

Schwadroneur, Windfahne, Fuchs, Klappermaul,

Nasrümpfer, Scharwenzler, aufdringliche Klett’,

Aas, Neidhard, Galgenstrick, Lumpenhund,

Arschleckergesicht – –

Mag, wem es beliebt, auf der Gasse mir nach

Diese Titel schreien: nur zugeschimpft!

Meintwegen, verhackt

Mich zu Würsten, bei der Demeter, und gebt

Sie den Herrn Philosophen zu fressen!

CHORFÜHRERIN.

Nun, das nenn’ ich einmal herzhaft,

Unerschrocken,

Rasch entschlossen! – Sei gewiß:

Lernst du hier fleißig, so ragt an das Himmelsgewölbe

Deines Namens Glorie!

STREPSIADES.

Und was wird’s dann mit mir?

CHORFÜHRERIN.

Die seligsten Tage mit uns,

Beneidet von allen, verlebst du, Hochbeglückter!

STREPSIADES.

Aber werd’ ich es auch noch

Wirklich erleben?

CHORFÜHRERIN.

Scharenweis werden an deiner

Schwelle die Leute sich

Tagtäglich lagern,

Um sich mit dir zu besprechen,

Dich, wenn es glückt, zu befragen

Und in Prozessen und Händeln um schwere Summen

Mit dem erfahrnen Anwalt

Sich zu beraten, mit dir!

Zu Sokrates.

Nimm du ihn jetzt vor, diesen Alten, und gib von dem Unterricht ihm einen Vorschmack;

Jag auf die Gedanken in seinem Kopf, sieh, ob er kapiert, und sondier’ ihn!

SOKRATES.

Nun denn! Sag an, wie ist dein Naturell,

Damit ich weiß, mit welchen neuen Waffen

Ich demgemäß dich anzufassen habe!

STREPSIADES.

Was Henkers? Denkst du Sturm auf mich zu laufen?

SOKRATES.

Nein! Laß mich vor der Hand nur eins dich fragen:

Hast du Gedächtnis?

STREPSIADES.

Zweierlei, bei Zeus!

Eins – wenn mir jemand schuldet – sehr verläßlich:

Das andre – schuld’ ich einem – sehr vergeßlich.

SOKRATES.

So wirst du doch Geschick zu Reden haben?

STREPSIADES.

Zum Reden? Nein! Doch desto mehr zum Rapsen.

SOKRATES.

Du willst studieren?

STREPSIADES.

Sei nur ruhig, ‘s geht!

SOKRATES.

Nun gut, so paß mal auf: Lass’ ich was Tiefes,

Was Metaphysisches fallen, schnapp’ es auf!

STREPSIADES.

Aufschnappen soll ich, wie ein Hund, den Tiefsinn?

SOKRATES.

Barbarisch roher Bauer, der du bist,

Du brauchst wohl, fürcht’ ich, Prügel, alter Kerl! –

Was machst du, wenn dich einer schlägt?

STREPSIADES.

Ich lasse

Mich schlagen, pass’ auf Zeugen, und dann fasse

Vor Amt ich ihn und fülle mir die Kasse.

SOKRATES.

Komm, leg den Rock ab!

STREPSIADES ängstlich.

Was verbrach ich denn?

SOKRATES.

Nichts! Unbekleidet tritt man hier nur ein.

STREPSIADES.

Ich kam ja nicht, gestohlnes Gut zu suchen.

SOKRATES.

Leg ab: wozu die Possen?

STREPSIADES legt Oberkleid und Schuhe ab.

Nur noch eins!

Wenn ich recht fleißig bin und eifrig lerne,

Sag’, welchem deiner Schüler gleich’ ich dann?

SOKRATES.

Du wirst an Geist ein zweiter Chairephon!

STREPSIADES.

Um Gottes willen, ein lebend’ger Leichnam?

SOKRATES.

Genug der Faxen! Komm und folge mir

Sogleich – nur schnell!

STREPSIADES.

So gib mir in die Hand

Doch einen Honigkuchen: denn mir bangt,

Als wenn ich in Trophonios’ Höhle stiege.

SOKRATES.

Geh zu! Was tappst du um die Tür herum?

Beide hinein.

CHOR.

So gehe mit Glück, wie dein Mut es verdient,

Dein entschlossener Sinn! –

Heil und Gelingen dem Mann,

Der, soweit er im Alter

Vorgerückt schon, dennoch den Geist

In Studien taucht, jugendlich frisch,

Und seinen Kopf, hart und ergraut,

Gibt in die Zucht des Denkens.

CHORFÜHRERIN.

Laßt mich, ihr Athener, einmal euch die Wahrheit sagen frei,

Lautre Wahrheit, beim Dionys, der mich großgezogen hat!

So gewiß ich heute den Preis wünsch’ als Meister meiner Kunst,

Traun, so wahr ist’s, daß ich gebaut nur auf eure Kennerschaft

Und den Wert des komischen Stücks, das ich für mein bestes hielt,

Als ich euch zu kosten es bot, euch zuerst, dies Stück, das mir

Wohl die meiste Mühe gemacht! – Dennoch zog man plumpe Kerls

Unverdienterweise mir vor. – Dieses Unrecht klag’ ich euch

Weisen Kennern, denen zulieb’ ich mir all die Mühe gab –:

Nicht als gäb’ ich unter euch selbst die Vernünft’gen treulos auf:

Weiß ich doch, daß Männern wir ihr, die man anzureden schon

Glücklich ist, mein ›Liederlich und Tugendsam‹ einst wohlgefiel,

Jenes Erstlingsfrüchtchen –: ich war Jungfer noch, und heimlich mußt’

Ich’s gebären, mütterlich nahm auf das ausgesetzte Kind

Eine andre, aber ihr selbst wart ihm Vater, Lehrer, Freund.

Seitdem ist mir sicher verbürgt eure Einsicht, eure Gunst.

Gleich Elektra kommt sie denn nun diesmal, die Komödie,

Um zu finden, wenn es ihr glückt, solch erprobte Kennerschar:

Ihres Bruders Locke, wofern sie sie findet, kennt sie wohl.

Seht, wie sie sich züchtig gebärd’t! Vorn herunter, angenäht,

Läßt sie nicht das lederne Ding hängen, baumeln, feuerrot

An der Spitz’ und fürchterlich dick, schlimmen Buben nur zum Spaß;

Spottet auch Kahlköpfe nicht aus, hopst im Kordax nicht herum,

Läßt nicht alte Männer den Stock deklamierend schwingen auf

Die Mitspieler – ärmlicher Spaß – Antwort auf gemeinen Witz!

Stürmt auch nicht mit Fackeln herein, heult und brüllt nicht Ju, Juhu!

Nein, sich selbst und ihrem Gehalt stolz vertrauend tritt sie auf.

Und obwohl ich weiß, was ich bin, trag’ ich doch nicht hoch den Busch.

Zwei- und dreimal bring’ ich euch nie einen Witz und täusch’ euch nicht,

Bin euch nagelneue Sujets vorzuführen stets bedacht,

Witzige Figuren und keck, keine je der andern gleich.

Stieß ich nicht den mächtigen Mann Kleon mächtig auf den Bauch?

Doch ich trat, sobald er im Staub lag, nicht mehr auf ihm herum.

Andre – seit Hyperbolos sich einmal eine Blöße gab –

Trampeln auf dem ärmlichen Kerl stets und seiner Mutter ‘rum.

Eupolis vor allen – er schleppt seinen ›Marikas‹ herein:

Schmählich! ein gewendeter Rock! meine ›Ritter‹ dumm verhunzt!

Nebenbei, dem Kordax zulieb, ein versoffnes altes Weib,

Die er stahl dem Phrynichos, wo sie das Ungeheuer frißt. –

Gleich drauf kommt Hermippos und macht auch was auf Hyperbolos,

Auch die andern werfen sofort all’ sich auf Hyperbolos,

Und mein Gleichnis äffen sie nach: wie man Aal’ im Trüben fischt. –

Nein, wer solche Stümper belacht, dessen Beifall wünsch’ ich nicht;

Aber wenn das sinnige Spiel meiner Mus’ euch Freude macht,

Dann für alle Zeiten erscheint ihr als Männer von Geschmack.

ERSTER HALBCHOR.

Zeus, den erhabenen, ruf’ ich zuerst:

Mächt’ger Fürst der Götter, o schau

Gnädig auf unsern Reigen!

Dich auch, Gewalt’ger, der du den Dreizack

Schwingst und die Erd’ und das salzige Meer

Mächtig erschütterst und aufwühlst!

Vater der Menschen, auch dich, den Gepriesenen,

Himmlischer Äther, Ernährer von allem, was atmet!

Dich auch, Rosselenker, der du

Rings in leuchtende Gluten die Welt

Tauchst, unter Göttern und Sterblichen

Hochgefeiert und strahlend!

CHORFÜHRERIN.

Jetzt, ihr hochwohlweisen Männer, bitten wir euch um Gehör.

Unrecht tut ihr uns: wir müssen euch verklagen vor euch selbst.

Mehr als alle andern Götter segnen wir doch eure Stadt:

Gleichwohl bringt ihr nie zum Opfer weder Trank noch Speis’ uns dar,

Uns, die wir euch treu beschirmen: immer wenn im Unverstand

Ihr beschließet auszurücken, donnern oder regnen wir.

Neulich, als den gottverhaßten, paphlagon’schen Gerber ihr

Auserkoren euch zum Führer, runzelten wir gleich die Stirn,

Schnitten grimmige Gesichter, »Blitz und Donner sprühten wir«,

Und es trat der Mond aus seiner Bahn, die Sonne zog zurück

In sich selbst den Docht der Lampe und erklärt’ euch rund heraus,

Daß sie keinen Strahl euch sende, wenn euch Kleon kommandiert.

Dennoch nahmt ihr ihn zum Feldherrn; denn man sagt: verkehrter Rat

Sei in eurer Stadt zu Hause; dumme Streiche, die ihr macht,

Werden aber durch der Götter Huld zum besten stets gekehrt.

Dieser Fall auch kann zum Vorteil sich euch wenden, hört mich an:

Wenn ihr Kleon, den bestochnen Schuft, den überwies’nen Dieb,

An dem Kragen packt und unters Holz ihm niederdrückt den Kopf,

Dann, trotz eurer vielen Böcke, wird zurück ins alte Gleis

Alles kehren und zum besten euch und eurer Stadt gedeih’n!

ZWEITER HALBCHOR.

König Apollon, Delier,

Hoch auf dem kynthischen Felsenhorn

Thronend, erschein, o erhör uns! –

Du auch, o Sel’ge im goldnen Tempel

Prangend zu Ephesos, wo dich verehrt

Lydischer Jungfrau’n Andacht! –

Komm, o Beschirmerin unserer Burg und Stadt,

Pallas Athene, gewaltige, Aigisbewährte! –

Du auch, der auf Parnassos’ Höh’n

Schwärmt und im Kreise der delphischen Frau’n

Unter flammenden Fackeln beim Tanz

Strahlt, o komm, Dionysos!

CHORFÜHRERIN.

Als wir uns zur Reise fertig machten, hier zu euch herab,

Gab Selene, die uns eben traf, uns diesen Auftrag mit:

Grüßen läßt sie schön die Bürger und Verbündeten Athens;

Doch sie sei euch ernstlich böse, daß ihr sie so schlecht belohnt,

Sie, die so reelle Dienste augenscheinlich euch erwies

Und an Fackeln nur euch jeden Monat eine Drachme spart;

Wenn die Leut’ am Abend ausgehn, sagen sie zum Sklaven: ›Bursch,

Fackeln brauchst du nicht zu kaufen, heut ist prächtger Mondenschein!‹ –

Andrer Dienste zu geschweigen! Dennoch habt auf ihre Tag’

Ihr nicht pünktlich acht und werft sie durcheinander kunterbunt.

Darum lesen ihr die Götter ein Kapitel jedesmal,

Wenn sie nach der alten Rechnung zählend kommen und kein Fest

Treffen, und um Schmaus und Opfer schnöd geprellt nach Hause gehen:

Denn am Tage, wo ihr opfern solltet, richtet, foltert ihr;

Wenn wir Götter aber einen Fasttag haben, etwa wenn

Wir um Memnon trauern oder um Sarpedon, opfert ihr

Wein und lacht und scherzt. – Drum haben wir auch dem Hyperbolos,

Der Amphiktyonenbote heuer war, vom Haupt den Kranz,

Wir die Göttinnen, gerissen: merken soll er sich’s fortan,

Daß man »seine Lebenstage nach dem Mondlauf ordnen« soll!

Zweite Szene

Der Chor. Sokrates. Strepsiades.

SOKRATES allein; tritt ärgerlich aus dem Hause.

Beim Atem schwör’ ich’s, bei der Luft, beim Chaos!

Nein, solchen Tölpel sah ich doch noch nie,

So bäurisch, linkisch, so stupid vergeßlich,

Der nicht die kleinste Tüftelei kapiert

Und kaum gelernt vergißt! Ich will’s einmal

Mit ihm probieren hier in frischer Luft! –

Ruft hinein.

Strepsiades, komm ‘raus mit deinem Faulbett!

STREPSIADES innen.

Ich bring’s vor lauter Wanzen nicht vom Fleck!

SOKRATES.

Nur hurtig!

Strepsiades kommt heraus.

Stell’s da hin, paß auf!

STREPSIADES.

Da steht’s!

SOKRATES.

So! – Willst du jetzt was lernen, das für dich

Ganz nagelneu? Und was zuerst? – Die Lehre

Vom Wort, vom Rhythmus, den verschiednen Maßen?

STREPSIADES.

Die Maße, bitt’ ich! Um zwei Mäßchen hat

Mich kürzlich erst geprellt ein Mehlverkäufer.

SOKRATES unwillig.

Ich frag’ dich, welches Maß dir mehr gefällt:

Das mit drei Füßen oder das mit vier?

STREPSIADES.

Potz Welt! Hat denn bei euch ein Fruchtmaß Füße?

SOKRATES.

Du schwatzst verkehrtes Zeug!

STREPSIADES.

Da frag’ ich jeden,

Ob ihm ein Maß mit Füßen vorgekommen?

SOKRATES.

Zum Henker! Wie stupid, wie ochsendumm! –

Vielleicht daß du vom Rhythmus was begreifst?

STREPSIADES.

Rhythmus? – Verschafft mir der mein täglich Brot?

SOKRATES.

Das kommt dir in Gesellschaft wohl zustatten:

Da weißt du, wenn man musiziert, doch gleich,

Wie sich der Takt, im Marsch zum Beispiel, macht.

STREPSIADES.

Im Arsch den Ticktack – o das kenn’ ich gut!

SOKRATES.

Was meinst du denn?

STREPSIADES mit einer unanständigen Gebärde.

Den Pendel mein’ ich da:

Das hab’ ich schon als kleiner Bub gelernt.

SOKRATES.

Gemeine Bestie!

STREPSIADES.

Aber nein, du Narr!

Dergleichen wünsch’ ich nicht zu lernen.

SOKRATES.

So?

Was denn?

STREPSIADES.

Die Kunst, die Unrecht macht zum Recht.

SOKRATES.

Du mußt zuvor noch manches andre lernen:

Vierfüß’ge Tiere nenne mir, die männlich!

STREPSIADES.

Wer das nicht wüßte, wär’ ein Esel! Männlich

Sind Widder, Stier und Bock und Hund und Spatz.

SOKRATES.

Siehst du? So geht’s: das Weibchen nennst du Spatz,

Und dann das Männchen wieder ebenso.

STREPSIADES.

Und dann?

SOKRATES.

Bedenk nur einmal, Spatz und – Spatz!

STREPSIADES.

Wahr, beim Poseidon! Nun, wie muß ich sagen?

SOKRATES.

Spatz heißt das Männchen, Spätzin heißt das Weibchen.

STREPSIADES.

Hem, Spätzin also! Bei der Luft, recht hübsch!

Da muß ich wohl für diese Lehre schon

Dir bis zum Rand mit Mehl den Backtrog füllen.

SOKRATES.

Ein neuer Bock! Der Backtrog sagst du, männlich?

Das muß ja weiblich enden!

STREPSIADES.

Ei, wieso?

Die Endung weiblich?

SOKRATES.

Wie Kleonymos

Sollt’ enden!

STREPSIADES.

Nun, wo will denn das hinaus?

SOKRATES.

Dein Backtrog, sieh, geht nach Kleonymos.

STREPSIADES.

Der ging ja dem Kleonymos grad ab!

Drum knetet er sein Mehl im runden Mörser. –

Allein im Ernst, wie muß ich sagen?

SOKRATES.

Wie?

Backtrögin! wie du sagst: die Demagögin.

STREPSIADES.

Backtrögin? Sonderbar!

SOKRATES.

Das einzig Richt’ge!

STREPSIADES.

Backtrögin also und Kleonymin?

SOKRATES.

Ich sehe schon: von Eigennamen weißt

Du nicht, was männlich und was weiblich ist.

STREPSIADES.

Was weiblich ist, das kenn’ ich gut.

SOKRATES.

Zum Beispiel?

STREPSIADES.

Lysilla, Philina, Kleitagora, Demetria.

SOKRATES.

Und Männernamen?

STREPSIADES.

Weiß ich dir die Meng’!

Philoxenos, Melesias, Amynias.

SOKRATES.

Dummkopf! Die sind nichts weniger als männlich!

STREPSIADES.

Die sind bei euch nicht männlich?

SOKRATES.

Nein: wie sagst

Du denn, wenn du Amynias zärtlich grüßt?

STREPSIADES.

Ich denk’: Amynchen, grüß’ dich Gott, Amynchen!

SOKRATES.

Nun sieh: Amynchen sagst du, wie: Philinchen: –

Ein Weib!

STREPSIADES.

‘S ist wahr! Er zieht auch nicht zu Feld!

Allein du lehrst mich da, was jeder weiß.

SOKRATES.

Tut nichts! Da setz dich hin –

Aufs Faulbett zeigend.

STREPSIADES.

Was soll ich tun?

SOKRATES.

Denk deinen Handel philosophisch durch!

STREPSIADES.

Nur dort nicht, möcht’ ich bitten! Muß es sein,

Kann ich die Sach’ am Boden auch durchdenken.

SOKRATES.

Nein, ‘s geht nicht anders! Setz dich!

STREPSIADES setzt sich.

Weh und Jammer!

So muß ich heut der Wanzen Opfer werden?!

Sokrates geht gravitätisch auf und ab. Strepsiades philosophiert.

CHORFÜHRERIN.

Jetzt, Freund, studier’ und spekulier’,

Nimm deinen Kopf und deine

Fünf Sinne zusammen;

Behend, wenn du je dich verwickelst, spring

Auf einen andern

Gedanken ab; und der labende Schlaf

Bleibe fern deinem Augenlid!

STREPSIADES vom Faulbett auffahrend.

Au au au au, au au au au!

CHORFÜHRERIN.

Was heulst du? Was ist dir?

STREPSIADES.

Ich bin des Tods! Da beißt ein Trupp Korinthier,

Die aus dem Bett gekrochen, mich zuschanden.

Und sie zwacken das Fleisch an den Rippen mir ab,

Uhuhu, und sie zapfen die Seele mir ab,

Und sie zwicken, Gott straf’ mich, die Hoden mir ab,

Und sie bohren sich ein in den Steiß – und hinab

Muß ich ins Grab!

CHORFÜHRERIN.

Ei, so jammre doch nicht so überlaut!

STREPSIADES.

Nicht jammern? – Und doch,

Was ich hatt’, ist dahin, meine Börse, mein Teint,

Meine Seel’ ist dahin, meine Schuhe dahin,

Und zu alle der Not muß ich Armer mich noch

Wach singen, bis daß

Auch dahin mein erlöschendes Leben!

SOKRATES geht auf ihn zu.

He du, was machst du? Spekulierst du?

STREPSIADES.

Ich?

Ja, beim Poseidon!

SOKRATES.

Nun, worüber denn?

STREPSIADES.

Ob mir am Leib ein Stück die Wanzen lassen!

SOKRATES.

Verdammter Kerl!

STREPSIADES.

Verdammt? Das bin ich schon!

SOKRATES.

Nicht so empfindlich! Wickle dich brav ein,

Besinn dich jetzt auf eine Wolfsidee,

Auf einen guten Griff!

Geht wieder auf und ab.

STREPSIADES.

Mein Gott, wie sollen

Mir auf dem Schafspelz Wolfsideen kommen?

Sitzt vertieft.

SOKRATES.

Ich muß doch sehen, was der Gimpel macht!

Rüttelt ihn.

Du, Alter, schläfst du?

STREPSIADES.

Beim Apollon, nein!

SOKRATES.

Was hast du da?

STREPSIADES.

Nicht das geringste!

SOKRATES.

Nichts?

STREPSIADES.

Nichts – als in meiner rechten Hand das Ding da.

SOKRATES streng.

Einwickeln sollst du dich und meditieren!

STREPSIADES.

Worüber? Gib ein Thema, Sokrates!

SOKRATES.

Durchdenke, was du willst, und sag mir’s dann!

STREPSIADES.

Ja, was ich will, das hab’ ich tausendmal

Dir schon gesagt: die Gläubiger will ich prellen.

SOKRATES.

Gut! Wickle dich brav ein, nimm deine Sinne

Zusammen, haarscharf denk der Sache nach,

Recht kritisch, logisch und exakt!

STREPSIADES sich kratzend.

Au weh!

SOKRATES.

Sei ruhig! Und verwirrt dich ein Gedanke,

Dann laß ihn fahren! Später lenkst du wieder

Den Geist darauf und wiegst ihn hin und her.

STREPSIADES.

Ha, bester Sokrates!

SOKRATES.

Was hast du, Alter?

STREPSIADES.

‘Nen guten Griff – in meiner Gläubiger Tasche!

SOKRATES.

Laß hören!

STREPSIADES.

Sag, wie wär’s, wenn ich ‘ne Hexe

Mir in Thessalien holt’ und nachts für Geld

Den Mond herunterziehen ließ’ und ihn

In eine runde Spiegelkapsel packte

Und fest verschlossen im Gewahrsam hielte?

SOKRATES.

Was soll dir das denn nützen?

STREPSIADES.

Was? Wenn nirgends

Der Mond mehr aufging’ in der Welt, da braucht ich

Auch keine Zinsen mehr zu zahlen.

SOKRATES.

Wie?

STREPSIADES.

Nun, weil man monatlich das Geld verzinst.

SOKRATES.

Nicht übel! – Nun ein zweites Probstück! Höre!

Wenn man auf fünf Talente dich verklagte,

Wie schafftest du den Handel dir vom Hals?

STREPSIADES windet und dreht sich.

Wie? – Wie? – Das weiß ich nicht – die Frag’ ist ernst!

SOKRATES.

Dreh nicht so eingeschrumpft dich um dich selbst,

Laß die Gedanken in die Lüfte fliegen,

Wie Maienkäfer, an dem Fuß den Faden!

STREPSIADES.

Ich weiß ein Mittel wider diese Klage,

Ganz schlau, das wirst du selbst gestehen!

SOKRATES.

Welches?

STREPSIADES.

Hast du in Krämerbuden je ein Glas

Gesehn – du weißt, durchsichtig, schön und hell,

Womit man Feuer macht?

SOKRATES.

Du meinst ein Brennglas?

STREPSIADES.

Das mein’ ich.

SOKRATES.

Nun, was soll dir das?

STREPSIADES.

Wie wär’s,

Wenn vor Gericht ich in die Sonne träte

Und dann dem Schreiber unterm Griffel weg

Das Wachs der Klagschrift gegen mich zerschmelzte?

SOKRATES.

Schön, bei den Grazien!

STREPSIADES.

Ei, wie gut ist’s doch,

Daß ich die Fünftalentenklag’ beseitigt!

SOKRATES.

Jetzt mach dich noch an etwas! Schnell!

STREPSIADES.

An was?

SOKRATES.

Wie wehrst du dich, wenn dir ein Kläger zusetzt

Und du, weil ohne Zeugen, siehst, du mußt

Verlieren?

STREPSIADES.

Lump’ge Kleinigkeit!

SOKRATES.

Wieso?

STREPSIADES.

Nun – während der Verhandlung, just bevor

Mein Handel käme, ging’ und henkt’ ich mich.

SOKRATES.

Dummheit!

STREPSIADES.

Bei allen Göttern, nein! Wenn ich

Gestorben bin, wer will mich da verklagen?

SOKRATES.

Unsinn! Geh fort! Den Schüler hab’ ich satt!

STREPSIADES.

Warum denn aber, liebster Sokrates?

SOKRATES.

Was? Du vergißt ja alles, kaum gelernt!

So sprich: was hab’ ich dich zuerst gelehrt?

STREPSIADES.

Laß sehn: was war das Erste doch – das Erste –?

Wie hieß das Ding, worin man Brotteig knetet? –

Ach Gott, was war’s doch –?

SOKRATES.

Geh zu allen Teufeln,

Vergeßlich dummer, alter Eselskopf!

STREPSIADES.

Um Gottes willen, ach, wie wird mir’s gehn?

Werd’ ich kein Rabulist, bin ich verloren!

Zum Chor.

Ihr Wolken, hört: gebt ihr mir guten Rat!

CHORFÜHRERIN.

Der Rat, den wir dir geben, Alter, ist:

Schick deinen Sohn her, wenn du einen hast

Im rechten Alter, um für dich zu lernen.

STREPSIADES.

Den hab’ ich – ist ein hübscher, wackrer Junge:

Nur lernen will er nichts! – Wie wird mir’s gehn?

CHORFÜHRERIN.

Das duldest du?

STREPSIADES.

Er ist voll Kraft und Mark,

Aus Koisyras hochfliegendem Geschlecht! –

Gut denn! Ich will ihn holen! – Will er nicht,

Dann ist’s vorbei: ich werf’ ihn aus dem Haus!

Zu Sokrates.

Du, geh indes hinein und wart ein bißchen!

Ab.

CHORFÜHRERIN zu Sokrates.

Nun siehst du wohl, welchen Gewinn

Uns du, vor allen Göttern

Uns hast zu danken?

Bereit ist der Mann zu vollbringen, was

Du immer forderst.

Du siehst, wie angeschossen, wie

Gläubig erhitzt er auf Wunder sich spitzt;

Faß ihn und saug ohne Verzug gründlich ihn aus!

Denn du weißt: so ein Fang entschlüpft gar leicht –

Bester, dann hast du das Nachsehn!

Sokrates ab ins Haus.

Dritte Szene

Der Chor. Strepsiades. Pheidippides. Dann: Sokrates. Später: Der Anwalt der guten Sache. Der Anwalt der schlechten Sache.

STREPSIADES kommt mit seinem Sohn.

Beim Nebel, länger füttr’ ich dich nicht mehr!

Geh hin, nag’ an den Säulen des Megakles!

PHEIDIPPIDES.

Wie wunderlich! Was hast du denn, mein Vater?

Dir fehlt’s im Kopfe, beim olymp’schen Zeus!

STREPSIADES lachend.

»Olymp’scher Zeus!« Hör’ einer diesen Narren:

So groß, so alt – und glaubt noch an den Zeus!

PHEIDIPPIDES.

Was lachst du denn?

STREPSIADES.

Ich seh’, du bist ein Kind

Und hast den Kopf voll alter Ammenmärchen.

So komm mal her; ich putze dir ihn aus;

Doch – hörst du? – aus der Schule schwatz’ mir nicht!

PHEIDIPPIDES.

Fang an!

STREPSIADES.

Du schwurst da eben bei dem Zeus? –

Pheidippides! Es existiert kein Zeus!

PHEIDIPPIDES.

Wer denn?

STREPSIADES.

Der Wirbel, der ihn abgesetzt.

PHEIDIPPIDES.

Pah, Faselei!

STREPSIADES.

So ist’s einmal, nicht anders!

PHEIDIPPIDES.

Wer sagt das?

STREPSIADES.

Sokrates, der Melier,

Und Chairephon, der Flohfußgeometer.

PHEIDIPPIDES.

Steckst du so tief schon in der Narrheit, daß

Du so verbrannten Köpfen glaubst?

STREPSIADES.

Halt ein!

Verleumde nicht die weisen, braven Männer,

Von denen keiner – rein aus Sparsamkeit –

Sich je den Kopf rasiert, gesalbt, noch je

Ein Bad besucht, um sich zu waschen! – Du

Verbadest mir mein Geld, als wär’ ich tot! –

Jetzt geh nur und studiere dort für mich!

PHEIDIPPIDES.

Was kann ich denn von ihnen Gutes lernen?

STREPSIADES.

Was? – Alle Weisheit, die’s auf Erden gibt!

Da wirst du sehn, wie roh, wie dumm du bist!

Halt! Wart ein bißchen hier! Ich komme gleich! –

Ab.

PHEIDIPPIDES.

Was fang’ ich an? Mein Vater ist verrückt!

Soll ich vor Amt als Narren ihn verklagen?

Soll ich beim Schreiner ihm den Sarg bestellen?

STREPSIADES kommt zurück mit zwei Spatzen.

Geh her, was ist das? Sag mir deine Ansicht!

PHEIDIPPIDES.

Ein Spatz!

STREPSIADES.

Getroffen! Aber dieses da?

PHEIDIPPIDES.

Ein Spatz!

STREPSIADES lachend.

Wie albern! Beides Spatzen? he? –

In Zukunft drück dich besser aus! Da sieh:

Das ist ein Spatz und dies da eine Spätzin!

PHEIDIPPIDES.

Was? Spätzin? – Gingst du darum nur zur Schule,

Um bei den Himmelsstürmern dies zu lernen?

STREPSIADES.

O sonst noch viel! Nur hat mein alter Kopf

Auch gleich vergessen wieder, was ich lernte.

PHEIDIPPIDES.

Drum kam dir wohl dein Mantel auch abhanden!

STREPSIADES.

Abhanden? – Verstudiert nur hab’ ich ihn.

PHEIDIPPIDES.

Und deine Schuh’ – wo sind sie, kind’scher Alter?

STREPSIADES.

»Zum Nötigen vertan« – just wie Perikles! –

Geh, lauf jetzt! Vorwärts! Mach auch deinem Vater

Zulieb ‘nen dummen Streich einmal! – Ich tat

Dir’s auch zulieb – du lalltest noch, sechs Jahr’ alt –

Als für den ersten Richtersold ich dir

Ein Wägelchen kaufte zum Diasienfest!

Geht auf die Philosophenklause zu.

PHEIDIPPIDES folgt ihm zögernd.

Sieh zu! Du wirst es mit der Zeit bereuen!

STREPSIADES.

Schön, daß du folgst!

An der Türe.

He, Sokrates, komm ‘raus!

Da bring’ ich meinen Sohn; er hat sich lang

Genug gesträubt!

Sokrates tritt heraus.

SOKRATES.

Gelbschnabel, der er ist!

Nach der Hängematte zeigend.

Noch ungewohnt ist ihm das luft’ge Schweben.

PHEIDIPPIDES.

Geh, henk dich! So gewöhnst du dich ans Schweben.

STREPSIADES.

Was Teufels! Unserm Lehrer so zu fluchen?

SOKRATES zu Strepsiades.

›Henk dich!‹ – Da sieh, wie dumm, wie kindisch er

Zu diesem Wort das Maul verzieht und dehnt.

Der lernt es nie, wie man Prozess’ einfädelt,

Ausficht und übern Haufen schwatzt die Richter. –

Hyperbolos gab ein Talent für das!

STREPSIADES.

Nimm in die Lehr’ ihn doch: er hat Geschick!

Als kleines Bübchen baut’ er schon daheim

Sich Häus’chen, schnitzte Schiffchen, macht’ aus Leder

Sich Roß und Wagen, und aus Äpfelschalen

Recht art’ge Frösche, ja, du kannst mir’s glauben! –

Daß er mir nur die beiden Künste lernt,

Die gute – ja, so heißt sie – und die schlechte;

Auf jeden Fall die schlechte, und das gründlich!

SOKRATES.

Die soll er von den Meistern selbst jetzt lernen!

Ich werde gehn!

STREPSIADES zu Sokrates, der hineingeht.

Sei nur besorgt, daß er

Auf jedes Pro ein Contra setzen lernt!

Es treten auf: der Anwalt der guten Sache, der Anwalt der schlechten Sache.

ANWALT DER GUTEN SACHE.

Nur heraus und laß vor dem Publikum hier

Dich sehn, wie du bist, du kecker Gesell!

ANWALT DER SCHLECHTEN SACHE.

»Geh hin deine Bahn nur immer!« – Je mehr

Zuschauer, für dich – um so schlimmer mein Sieg!

ANWALT DER GUTEN SACHE.

Dein Sieg? und wer bist du?

ANWALT DER SCHLECHTEN SACHE.

Der Anwalt –

ANWALT DER GUTEN SACHE.

Der Schmach!

ANWALT DER SCHLECHTEN SACHE.

Und ich schlage dich, wenn du dich stärker als ich

Auch vermissest zu sein!

ANWALT DER GUTEN SACHE.

Und wie fängst du das an?

ANWALT DER SCHLECHTEN SACHE.

Mit den neuen Ideen, die mir stehn zu Gebot.

ANWALT DER GUTEN SACHE.

Die florieren jetzt –

Gegen die Zuschauer.

Dank dem abnormen Geschmack

Des verbildeten Volks –

ANWALT DER SCHLECHTEN SACHE.

Des gebildeten Volks!

ANWALT DER GUTEN SACHE.

Ich vernichte dich doch!

ANWALT DER SCHLECHTEN SACHE.

Bin begierig nur, wie?

ANWALT DER GUTEN SACHE.

Mit den Waffen des Rechts!

ANWALT DER SCHLECHTEN SACHE.

Die parier’ ich und werf’ in den Sand dich sogleich,

Denn ich sage: das Recht ist ein Unding, ein Nichts!

ANWALT DER GUTEN SACHE.

Ein Nichts?

ANWALT DER SCHLECHTEN SACHE.

Existiert es, so sage doch: wo?

ANWALT DER GUTEN SACHE.

Bei den Himmlischen dort!

ANWALT DER SCHLECHTEN SACHE.

Wenn es dort ist, warum ist es längst nicht um Zeus,

Der in Fesseln doch schlug seinen Vater, geschehn?

ANWALT DER GUTEN SACHE.

Hilf Himmel! Das wird mir zu arg, und es kehrt

Sich der Magen mir um: o ich bitt’, ein Geschirr!

ANWALT DER SCHLECHTEN SACHE.

Du altväter’scher Kauz! Du vernagelter Kopf!

ANWALT DER GUTEN SACHE.

Du neumodisches Schwein! Du verhurter Gesell!

ANWALT DER SCHLECHTEN SACHE.

Wie du Rosen mir streust! –

ANWALT DER GUTEN SACHE.

Du Schmarotzer, du Hund!

ANWALT DER SCHLECHTEN SACHE.

Mich mit Lilien bekränzst!

ANWALT DER GUTEN SACHE.

O du Dieb, du Bandit!

ANWALT DER SCHLECHTEN SACHE.

Und du merkst es noch nicht, wie in Gold du mich faßt?

ANWALT DER GUTEN SACHE.

Und du hältst es für Gold – das verächtliche Blei?

ANWALT DER SCHLECHTEN SACHE.

Ich wüßte für mich keinen köstlichern Schmuck!

ANWALT DER GUTEN SACHE.

Ha, wie trotzig, wie frech!

ANWALT DER SCHLECHTEN SACHE.

Wie veraltet, wie platt!

ANWALT DER GUTEN SACHE.

Deine Schuld ist’s allein,

Daß kein Bube mehr jetzt in die Schule will gehn!

Doch erkennen wird bald das athenische Volk,

Welch verderbliches Zeug die Betrognen du lehrst!

ANWALT DER SCHLECHTEN SACHE.

Du verfaulst ja im Schmutz!

ANWALT DER GUTEN SACHE.

Umso schmucker bist du!

Wohl gab’s eine Zeit, wo du betteln gingst

Und dem Mysier Telephos selbst dich verglichst

Und Sentenzen fraßt

Von Pandeletos, frisch aus dem Bettelsack ‘raus –

ANWALT DER SCHLECHTEN SACHE.

Tiefsinniger Fund –

ANWALT DER GUTEN SACHE.

Wahnsinniger Schund –

ANWALT DER SCHLECHTEN SACHE.

– Den du eben getan!

ANWALT DER GUTEN SACHE.

– Den du predigst der Stadt,

Die den Dienst dir bezahlt,

Daß die Jugend des Volks du zum Laster verführst!

ANWALT DER SCHLECHTEN SACHE auf Pheidippides weisend.

Unterricht’ ihn doch du, griesgrämlicher Zopf!

ANWALT DER GUTEN SACHE.

Gern, wenn ich zum Guten ihn führen soll

Und nicht ihn dressieren zu faulem Geschwätz!

ANWALT DER SCHLECHTEN SACHE.

Komm, Lieber, zu mir, laß ihn rasen, den Narrn!

ANWALT DER GUTEN SACHE drohend.

Probier’ es und rühr ihn nur an mit der Hand!

CHORFÜHRERIN.

Laßt endlich den Zank und das Keifen und Schmähn,

Und entwickelt einmal,

Zum Guten.

Du, was du vor alters die Leute gelehrt,

Zum Schlechten.

Du, das neue System

Der Erziehung, damit, wenn er beide gehört,

Er den Meister sich wählt, der ihn bilden soll.

ANWALT DER GUTEN SACHE.

Ich versteh’ mich dazu!

ANWALT DER SCHLECHTEN SACHE.

Ohne Widerspruch, ja!

CHORFÜHRERIN.

Wer nimmt nun zuerst von euch beiden das Wort?

ANWALT DER SCHLECHTEN SACHE.

Das gönn’ ich ihm gern!

Er verhaue sich nur mit Geschwätz! Ich beschieß’

Ihn mit neuen Sentenzen, mit neuen Ideen,

Bis ein Hagel von Pfeilen zu Boden ihn streckt;

Und wenn er zuletzt nur zu mucksen noch wagt,

Dann zerstechen ihm Augen und Backen und Maul

Meine stachligen Reden, ein Hornissenschwarm,

Der ihn zwickt, bis er völlig kaputt ist!

ERSTER HALBCHOR.

Nun werden die beiden, auf ihr

Fertiges Mundstück trotzend,

Gelehrt, scharfsinnig und haar-

Spaltend im Kampf sich uns zeigen:

Wem von den zwei’n Meistern des Worts

Des Wettkampfs Preis werden soll?

Ernst ist das Spiel, wo es das Los

Gilt des Prinzips! – ›Alt oder neu?‹

Fragt sich’s im Kampf, welchen mit Macht

Jetzt ihr beginnt, o Freunde!

CHORFÜHRERIN.

Wohlan denn du, der die Väter geschmückt mit dem Kranz untadliger Sitte,

Laß ergehen dein Wort, wie dein Herz es erfreut, und erkläre dein Dichten und Trachten!

ANWALT DER GUTEN SACHE.

So verkünd’ ich euch denn, wie vor alters es stand um die Zucht und die Bildung der Knaben,

Als ich in der Blüt’, als Vertreter des Rechts, und die Sittsamkeit erstes Gesetz war.

Da durfte den Knaben kein trotziger Laut, kein störrisches Mucksen entfahren,

Da kamen im Schwarm sie die Straßen daher, nach der Singschul’, all’ in der Ordnung,

Aus jeder Gemeinde, nur spärlich bedeckt, und wenn es auch Roggenmehl schneite!

Nicht übereinander geschlagen die Bein’, anständig saßen und lernten

Sie ihr: »Pallas, die Städteverwüsterin«, oder: »Horch, was ertönt aus der Ferne?«

In gehaltenem Ton, in gemessenem Takt, wie die Väter von jeher es sangen.

Und wenn einer aus Eitelkeit Sprünge versucht’ und die Lieder mit Schnörkeln verhunzte,

Wie es jetzo der Brauch, in des Phrynis Manier, mit verkünstelten Koloraturen,

Dann regnet’ es Schläg’ auf den Sünder, der frech an den heiligen Musen gefrevelt! –

Und im Ringhof dann, wenn sie saßen zu ruhn auf dem Sande, da mußten sie züchtig

Vorbeugen das Bein, um Unziemliches nicht den Umstehenden draußen zu zeigen.

Und erhoben sie sich, so verwischten sie stets in dem Sande die Spuren mit Vorsicht,

Daß die blühenden Formen nicht, abgedrückt, unreine Begierden erweckten.

Da salbte sich über den Nabel hinab kein Knabe, drum blüht’ ihm auch wollig

Und weich um die Scham das gekräuselte Haar, wie der Flaum auf dem reifenden Pfirsich.

An die Männer drängte der Knabe sich nicht mit zärtlichem Girren und Flüstern

Und begehrlichen Blicken, schmachtlappig und frech, an den Buhler sich selber verkuppelnd.

Bei Tische stand es dem Knaben nicht zu, nach den Rettichköpfchen zu greifen

Und erwachsenen Leuten hinweg vor dem Mund Salat und Gemüse zu schnappen

Und Backwerk, Fische, Geflügel; ihm war es verpönt, zu verschränken die Beine.

ANWALT DER SCHLECHTEN SACHE.

Altvätrisches Zeug! Diipolischer Brauch! Urmode der goldnen Zikaden!

Kekeidasgeleier! Buphonienzeit!

ANWALT DER GUTEN SACHE.

Ja freilich! Doch war es dieselbe,

Wo erzogen durch mich das Heroengeschlecht der Marathonkämpfer heranwuchs!

Du aber verzärtelst die Jugend von heut und vermummst sie in Windeln und Kleider,

Daß ich oft fast ersticke, beim Waffentanz an den Panathenäen zu schauen,

Wie sich einer den Schild vor das Schamglied hält – ein Greuel der Tritogeneia! –

Wohlan denn, vertraue mir, Jüngling, und nimm mich zum Lehrer, den Anwalt des Guten,

Dann gewöhnst du dich, stets zu verachten den Markt und die Bäder, die warmen, zu meiden,

Dich dessen zu schämen, was schandbar ist, zu erglühn, wenn darob sie dich necken,

Und vom Sitze dich schnell zu erheben, sobald sich ein würdiger Alter dir nähert.

Deine Eltern kränkst du durch Unart nie und bestehst in jeder Versuchung,

Weil für heilige Pflicht du es achtest, ein Bild der Scham aus dir selber zu schaffen.

Nie wirst du vors Haus einer Tänzerin ziehn und, vom Dirnchen mit Äpfeln beworfen,

Als Mädchenjäger, der läuft in der Brunst, deinen ehrlichen Namen verlieren.

Nie wirst du den Vater beleidigen, nie ihn Iapetos schelten, noch grollend

Ihm die Streiche gedenken, die einst du empfingst, da du saßest im Nest wie ein Küchlein!

ANWALT DER SCHLECHTEN SACHE.

Ich sage dir, Junge, vertraust du dich dem, dann macht er dich, beim Dionysos,

Zu ‘nem Bübchen, Hippokrates’ Püppchen gleich, und man wird dich ein Mutterkind schelten.

ANWALT DER GUTEN SACHE.

Nein! Blühend und strotzend in Jugendkraft auf dem Turnplatz wirst du dich tummeln,

Kein verschrobener Schwätzer und Witzling des Markts, nach der Weise der heutigen Jugend,

Kein Zänker, der stets vor den Richtern sich balgt in Lausbagatellenprozessen;

Lustwandeln wirst du im friedlichen Hain Akademos’, im Schatten des Ölbaums,

Mit schimmerndem Laube die Stirne bekränzt, an der Seite des sittsamen Freundes,

Von Eiben umduftet und müßiger Ruh’ und den silbernen Blättern der Pappel,

In der Wonne des Lenzes, wenn flüsternd leis zu der Ulme sich neigt die Platane!

Wenn du also wirst tun, wie mein Wort es dich lehrt,

Wenn du eifrig es hörst und zu Herzen es nimmst,

Dann wird dir zum Lohn eine kräftige Brust,

Ein blühend Gesicht, breitschultriger Wuchs,

Und die Zunge hübsch kurz, und ein mächtig Gesäß,

Und ein mäßig Gemächt!

Doch wenn du es treibst nach der Mode von heut,

Dann wird dein Gesicht bleichsüchtig und gelb,

Deine Schultern gedrückt und schmächtig die Brust,

Deine Zunge wird lang, weitoffen dein Maul,

Und groß dein Gemächt, und klein dein Gesäß!

Der redet dir ein,

Auf den Anwalt der schlechten Sache deutend.

Daß das Schöne gerade das Häßliche sei,

Und das Häßliche schön;

Und am Ende beschmutzt er dir Leib und Seel’

Mit Antimachos’ säuischer Wollust!

ZWEITER HALBCHOR zum Anwalt der guten Sache.

Du Hüter der strahlenden Burg

Züchtiger, ernster Weisheit,

Welch tugendlich süßen Duft

Haucht deiner Reden Blüte!

Glückselige waren’s, die einst

In der Vorzeit lebten mit dir!

Zum Anwalt der schlechten Sache.

Rüste dich, du, prunkender Kunst

Meister, du mußt Neues zu Markt

Bringen; denn er, den du bekämpfst,

Hat sich erprobt als Redner!

CHORFÜHRERIN.

Mit Gründen stark und trotzig mußt du ihm entgegentreten,

Willst du ihn schlagen und nicht selbst ein Spott der Leute werden.

ANWALT DER SCHLECHTEN SACHE.

Längst drückt es mich und kocht in mir, ich brenne vor Verlangen,

Mit Gegenreden sein Geschwätz ihm in den Staub zu treten.

Was tät’ ich mit dem Namen, den die Denker mir gegeben,

Handhabt’ ich kräftig nicht die Kunst, die ich zuerst erfunden,

Den Rechten und Gesetzen stets schnurstracks zu widersprechen!

Das heißt etwas, mit Tonnen Golds ist das nicht aufzuwiegen,

Im Dienst der schlechten Sache doch zuletzt mit Glanz zu siegen!

Zu Pheidippides.

Gib acht, wie ich die Zucht, auf die er pocht, zuschanden mache!

Er sagt, vor allem müssest du die warmen Bäder meiden;

Zum Anwalt der guten Sache.

Was ist der Grund, warum du ihm verbeutst die warmen Bäder?

ANWALT DER GUTEN SACHE.

Weil sie, verderblich durch und durch, aus Männern Memmen machen.

ANWALT DER SCHLECHTEN SACHE.

Halt! Sieh, da hab’ ich dich am Schopf! Du kannst mir nicht entrinnen!

Ich frage dich: wen hältst du für den tapfersten der Söhne

Des Zeus? und wer bestand mit Ruhm die meisten Abenteuer?

ANWALT DER GUTEN SACHE.

Ich denke: tapfrer ist kein Mann gewesen als Herakles!

ANWALT DER SCHLECHTEN SACHE.

Hast du nun kalte Bäder je gesehn – Heraklesbäder?

Und doch, wer war so stark wie er?

ANWALT DER GUTEN SACHE.

Ja, solch Geschwätz ist’s eben,

Das überfüllt die Bäder, das entvölkert die Palaistra!

ANWALT DER SCHLECHTEN SACHE.

Dann tadelst du das Leben auf dem Markt: ich muß es loben;

Denn wär’s nicht gut, so hätte wohl Homeros nicht den Nestor

Als Redner auf dem Markt gerühmt, noch andre kluge Männer.

Und nun die Zungenfertigkeit – er meint, der Jüngling brauche

Sich nicht darin zu üben: daß er’s muß, ist meine Meinung.

Dann, sagt er, sittsam müss’ er sein: o Unsinn über Unsinn!

Hast du gesehn, daß je ein Mensch mit Sittsamkeit was Gutes

Gewonnen? Sprich und halte mir ein Beispiel nur entgegen!

ANWALT DER GUTEN SACHE.

Nur eins statt vieler! Peleus hat durch sie ein Schwert gewonnen!

ANWALT DER SCHLECHTEN SACHE.

Ein Schwert? Ein herrliches Geschenk für ihn, den Mann des Jammers!

Talente hat Hyperbolos, der Lampenhändler, hundert

Mit seiner Schlechtigkeit verdient, allein ein Schwert? – mit nichten!

ANWALT DER GUTEN SACHE.

Der Thetis Hand erhielt allein durch seine Tugend Peleus.

ANWALT DER SCHLECHTEN SACHE.

Der Thetis, die im Stich ihn ließ, weil er sich schlecht gehalten

Im Bett und aufgelegt nicht war, die ganze Nacht zu schäkern!

Denn brav gedrillt sein will ein Weib: du bist ein alter Klepper!

Zu Pheidippides.

Du siehst, mein Junge, was du hast von Sittsamkeit und Tugend,

Wie viele Lebensfreuden du entbehren mußt: die Knaben,

Die Weiber, Schmaus und Becherspiel und Wein und Spaß und Lachen;

Und ohne diese Freuden, sag, was ist dann noch am Leben? –

So ist’s! – Dann kommt der Triebe Macht, die die Natur uns schenkte –:

Du liebst – vergißt dich – und der Mann ertappt dich in flagranti –

Du bist verloren: denn dir fehlt die Suada! Sei mein Jünger,

Folg deinen Trieben, spring und lach und halte nichts für Sünde!

Und trifft der Mann bei seiner Frau dich an, dann haranguier’ ihn:

Du seist dir keiner Schuld bewußt, er soll’ an Zeus nur denken,

Der selbst der Lieb’ und schönen Frau’n nicht widerstehen konnte:

Wie solltest du, der Sterbliche, mehr als der Gott vermögen?

ANWALT DER GUTEN SACHE.

Brennt deinen Zögling dann im Arsch der Rettichkeil, die Kohle –

Mit welchen Gründen wird er dann dartun: er sei kein Klaffarsch?

ANWALT DER SCHLECHTEN SACHE.

Ist er ein Klaffarsch – ei, was schadet’s ihm?

ANWALT DER GUTEN SACHE.

Gibt’s denn ein größres Unglück noch für ihn?

ANWALT DER SCHLECHTEN SACHE.

Du! – wenn ich jetzt dich ad absurdum führe –?

ANWALT DER GUTEN SACHE.

Ja, dann verstumm’ ich!

ANWALT DER SCHLECHTEN SACHE.

Nun, so sage mir!

Was sind die Advokaten denn?

ANWALT DER GUTEN SACHE.

Klaffärsche!

ANWALT DER SCHLECHTEN SACHE.

Recht! das mein’ ich auch!

Und dann: was sind die Tragiker?

ANWALT DER GUTEN SACHE.

Klaffärsche!

ANWALT DER SCHLECHTEN SACHE.

Wieder gut bemerkt!

Die Demagogen aber, he?

ANWALT DER GUTEN SACHE.

Klaffärsche!

ANWALT DER SCHLECHTEN SACHE.

Wird dir’s endlich klar,

Daß du ins Blau’ hinein geschwatzt? –

Sieh unterm Publikum dich um,

Was siehst du rund herum?

ANWALT DER GUTEN SACHE.

Ich seh’ –

ANWALT DER SCHLECHTEN SACHE.

Was siehst du, sprich?

ANWALT DER GUTEN SACHE.

Weitaus die meisten – großer Gott!

Klaffärsche sind’s! Ich kenne sie,

Nach einzelnen Zuschauern deutend.

Hier einer, da ein zweiter, dort

Der Lockenkopf, und der! und der! –

ANWALT DER SCHLECHTEN SACHE.

Was sagst du nun?

ANWALT DER GUTEN SACHE.

Ihr geilen Böcke jung und alt,

Ich bin besiegt!

Wirft sein Oberkleid in die Orchestra hinunter und springt dann hintendrein.

Fangt meinen Mantel auf, ich geh’

In euer Lager über!

ANWALT DER SCHLECHTEN SACHE.

Wie nun? Gedenkst du deinen Sohn zurück

Zu nehmen, oder soll ich jetzt ihn lehren?

STREPSIADES.

Ja, lehr ihn, halt ihn scharf und stutz ihn zu:

Zweischneidig muß sein Maul sein, wie ein Schwert,

Die eine Schneide nur für Lumpenhändel,

Die andre scharf für Kapitalprozesse.

ANWALT DER SCHLECHTEN SACHE.

Wart nur! Er wird ein tüchtiger Sophist!

PHEIDIPPIDES.

O freilich, so ein blasser, armer Schlucker!

CHORFÜHRERIN.

Geht hin!

Der Anwalt der schlechten Sache mit Pheidippides ab in Sokrates’ Haus.

Zu Strepsiades.

Ich fürchte nur: du wirst

Es bitter einst bereuen!

Strepsiades ab.

CHORFÜHRERIN an die Zuschauer.

Was die Richter profitieren, wenn sie unserm Chor sein Recht

Heute widerfahren lassen, das eröffnen wir euch jetzt.

Nämlich: Wenn ihr euer Brachfeld pflügen wollt zur Frühlingszeit,

Sollt zuerst ihr Regen haben, und die andern hintennach.

Eure Saaten, eure Reben nehmen wir in unsre Hut,

Daß sie nicht durch Dürre leiden noch durch lange Regenzeit.

Doch will einer uns nicht ehren, er, ein Mensch, uns Göttinnen,

Mag er wohl erwägen, welche Strafen unser Zorn ihm droht!

Weder Wein noch andre Früchte tragen wird ihm dann sein Gut;

Fängt der Ölbaum an zu knospen, setzt der Rebstock Augen an,

Schlagen wir sie ihm mit Hagel, mächt’ge Schleudern schwingen wir.

Sehen wir sein Dach ihn decken, regnen und zertrümmern wir

Ihm mit eiergroßen Schloßen alle Ziegel auf dem Haus.

Wenn er oder einer seiner Freund’ und Vettern Hochzeit macht,

Soll’s die ganze Nacht durch regnen, daß er lieber wünscht’, er wär’

In Ägypten heut gewesen, als so dumm beim Urteilsspruch!

Vierte Szene

Der Chor. Strepsiades kommt mit einem Mehlsack auf dem Rücken. Dann: Sokrates. Pheidippides. Später: Pasias mit einem Begleiter. Amynias.

STREPSIADES.

Noch fünf, dann vier, dann drei, dann nur noch zwei,

Und dann der Tag der Schrecken, den ich mehr

Als alle fürcht’ und hasse, der verfluchte,

Dann ist er da, o weh, der Alt’ und Neue.

Da kommen denn die Gläubiger, hinterlegen

Die Sporteln, drohn und schwören, mich vom Hof

Zu jagen, taub für all mein Flehn und Bitten:

›Nimm, Bester, nicht mein Letztes! Gib Termin!

Erlaß mir das!‹ – Was hilft’s, sie sagen: ›Nein!

Wir wollen unser Geld, sonst geht’s zum Teufel!‹

Ich sei ein Lump, Betrüger! Kurz, sie klagen. –

Klagt ihr, solang ihr wollt! Das schiert mich wenig,

Wenn nur Pheidippides brav reden lernt! –

Muß doch einmal an die Butike klopfen

Und sehn, wie’s geht. Heda!

Klopft. Sokrates kommt heraus.

SOKRATES.

Strepsiades? –

Willkommen!

STREPSIADES.

Dank! Da nimm den Sack einmal!

Stellt den Mehlsack ab.

Muß doch dem Lehrer mich erkenntlich zeigen!

Was macht er denn, mein Sohn? Kapiert er? Kann er

Die neue Kunst, die du erfunden hast?

SOKRATES.

Er kann sie.

STREPSIADES.

Dank dir, Göttin Schelmerei!

SOKRATES.

Laß klagen, wer da will! Er haut dich durch!

STREPSIADES.

Auch wenn der Gläubiger Zeugen hat?

SOKRATES.

Nur um

So besser, und wenn’s tausend Zeugen wären!

STREPSIADES.

»Juheisa! laut jubilier’ ich, überlaut!

Heil mir!« und ihr – heult, ihr Pfenningfuchser! Weh

Euch, eurem Kapital und Zinseszins!

Versucht es jetzt und spielt mir einen Streich!

Hab’ ich da innen im Haus

Doch einen trefflichen Sohn,

Zweischneidig blitzt seine Zunge!

Mein Hort, mein Retter, meiner Feinde Schrecken,

Der, mein Erlöser, die Last wälzt von des Vaters Herz!

Zu Sokrates.

Ruf ihn heraus! Geschwind! Lauf, lauf, ich muß ihn sehn!

Sokrates geht hinein.

»Komm, o mein Sohn, mein Sohn!

Liebstes Kind, höre, dein Vater ruft!«

Sokrates kommt mit Pheidippides heraus.

SOKRATES.

Da hast du den Mann!

STREPSIADES ihn umarmend.

Teurer Sohn! Teurer Sohn!

SOKRATES.

Nimm ihn hin und geh!

Geht wieder hinein.

STREPSIADES.

Juhe, mein Sohn,

Juheirassa!

Das ist ‘ne Freude! Wie gelehrt du aussiehst!

Aus deinen Augen blitzt der Widerspruch,

Das Leugnen; und das übliche: »Was schwatzst du?«

Zuckt um den Mund dir, und der Ernst, womit

Man sich beleidigt stellt, wenn man beleidigt.

Das kenn’ ich: echt athenisch ist dein Blick!

Einst mein Ruin, jetzt sei mein Retter, Sohn!

PHEIDIPPIDES.

Was fürchtest du?

STREPSIADES.

Ach Sohn, den Alt’ und Neuen!

PHEIDIPPIDES.

Was soll denn das? Der alt’ und neue Tag?

STREPSIADES.

Der Tag, wo sie die Sporteln hinterlegen –

PHEIDIPPIDES.

Und ihre Hinterlag’ auch schön verlieren:

Denn ein Tag ist doch nicht zugleich auch zwei.

STREPSIADES.

Wie? wirklich nicht?

PHEIDIPPIDES.

So wenig als dieselbe

Person ein Mädchen und ein altes Weib.

STREPSIADES.

So heißt’s doch im Gesetz?

PHEIDIPPIDES.

Sie deuten’s falsch:

So ist es nicht gemeint.

STREPSIADES.

Wie anders denn?

PHEIDIPPIDES.

Der alte Solon war ein Mann des Volks –

STREPSIADES.

Was geht denn das den Alt’ und Neuen an?

PHEIDIPPIDES.

Zu Vorladungen setzt’ er fest zwei Tage,

Den Alt’ und Neuen, daß die Klage dann

Mit Hinterlag’ erfolgen kann am Neumond.

STREPSIADES.

Was soll denn dann der Neue noch?

PHEIDIPPIDES.

Wie dumm!

Damit der Angeklagte tags zuvor

Erscheinen und sich lösen kann; wo nicht,

Geht man am Neumond morgens ihm zu Leib.

STREPSIADES.

Wie kommt’s, daß das Gericht die Hinterlage

Am Alt’ und Neuen, nicht am Neumond fordert?

PHEIDIPPIDES.

Vorschmeckerbrauch – gerade wie beim Opfern:

Die Hinterlage, die sie wegzuschnappen

Gedenken, kosten sie schon tags zuvor.

STREPSIADES gegen die Zuschauer.

Wie sitzt ihr da so dumm, ihr armen Narren,

Ein Fraß für uns, die Klugen! Stöck’ und Steine!

Ihr Schöpse, Klötze, Nullen, leere Kacheln!

Wir Glücklichen! Ich darf auf meinen Sohn

Und mich wahrhaftig wohl ein Loblied singen:

Singt.

»Strepsiades, wie du glücklich bist!

Du selber so weis’, und welchen Sohn

Besitzst du dazu!«

Also preisen die Freunde mich

Bald und die Nachbarn voll Neid,

Wenn deine Kunst in jedem Prozeß

Siegerin bleibt!

Komm jetzt nach Haus mit mir, ich will

Festlich dich bewirten!

Beide ab in Strepsiades’ Haus.

Pasias, ein wohlbeleibter Kapitalist, geht in Begleitung eines Zeugen auf Strepsiades’ Haus zu.

PASIAS.

Was? Soll man da sein eignes Geld verlieren?

Das wäre schön! – Ich hätte freilich klüger

Ihn rundweg abgewiesen, statt mich jetzt

Mit ihm herumzuschlagen! – Jetzo muß

Ich dich bemühn als Zeugen und verfeinde

Mich obendrein mit einem alten Nachbarn. –

Streng halt’ ich auf die Ehre unsrer Stadt,

Drum lad’ ich dich, Strepsiades –

Strepsiades tritt heraus.

STREPSIADES.

Wer ruft?

PASIAS.

– Vor auf den Alt’ und Neuen!

STREPSIADES zum Chor.

Ihr seid Zeugen:

Zwei Tage sagt er! hört ihr?

Zu Pasias.

Was betrifft’s?

PASIAS.

Zwölf Minen, die du, wie du weißt, empfingst,

Als du den Goldfuchs kauftest –

STREPSIADES.

Ich! ein Roß?

Hört ihr? Ihr wißt, wie ich das Rösseln hasse!

PASIAS.

Beim Zeus! Du schwurst, mich redlich zu bezahlen.

STREPSIADES.

Beim Zeus! Das lass’ ich bleiben! Damals wußte

Pheidippides noch nichts vom neuen Recht!

PASIAS.

Und deshalb leugnest du die Schuld mir ab?

STREPSIADES.

Was hätt’ ich sonst vom Studium meines Sohns?

PASIAS.

Schwörst du mir sie auch bei den Göttern ab,

Wenn ich zum Eid dich treib’?

STREPSIADES.

Bei welchen Göttern?

PASIAS.

Bei Zeus, Poseidon, Hermes!

STREPSIADES.

Ja, bei Zeus,

Drei Obolen drein noch, wenn ich schwören darf!

PASIAS.

Ha, unverschämt! Das sollst du mir entgelten!

STREPSIADES auf Pasias’ Bauch zeigend.

Brav durchgelaugt gäb’ der ‘nen hübschen Schlauch –

PASIAS.

So? auch noch Hohn?

STREPSIADES.

– der seinen Eimer faßt!

PASIAS.

Beim großen Zeus und allen Göttern, das

Geht dir nicht hin!

STREPSIADES.

Wie spaßhaft: ›Götter!‹ und

›Bei Zeus!‹ – Da lacht ein Wissender sich krank!

PASIAS.

Das wirst du bitter büßen, warte nur!

Jetzt sag mir: willst du zahlen oder nicht?

Damit ich fortkomm’!

STREPSIADES.

Wart ein bißchen! Gleich

Will ich dir klar und bündig Antwort geben.

Läuft ins Haus.

CHORFÜHRERIN zu Pasias.

Was, meinst du, wird er tun?

PASIAS.

Ich denk’, er zahlt.

Strepsiades kommt mit einer Mulde.

STREPSIADES.

Wo ist der Mensch, der Geld von mir verlangt?

Du, was ist das?

PASIAS.

Was das ist? Nun, ein Backtrog.

STREPSIADES.

Und du willst Geld von mir, du Ignorant?

Nicht einen Heller geb’ ich einem Mann,

Der Backtrog mir anstatt Backtrögin sagt!

PASIAS.

Also, du zahlst mich –

STREPSIADES.

Nicht, soviel ich weiß!

Drum mach dich auf die Bein’ und schere dich

Vor meiner Türe weg!

PASIAS.

So wahr ich leb’,

Ich geh’ und hinterlege die Gebühren!

STREPSIADES.

Und die sind hin, so gut als die zwölf Minen!

Zwar tut mir’s leid: denn Einfalt war’s doch nur,

Statt ›die Backtrögin‹ ›der Backtrog‹ zu sagen!

Pasias mit dem Zeugen ab. Ebenfalls mit einem Zeugen kommt Amynias, ein junger Herr, die Peitsche in der Hand.

AMYNIAS.

O weh! o weh!

STREPSIADES.

Ei, ei!

Wer plärrt da so erbärmlich? Ist’s vielleicht

Ein Gott aus des Karkinos Jammerstücken?

AMYNIAS.

»Ihr fragt mich, wer ich bin? – Ach Gott, ein Mann

Des Unglücks!«

STREPSIADES.

So? Dann geh, woher du kamst!

AMYNIAS.

»O hartes, wagenradzertrümmerndes

Geschick! O Pallas, so verließt du mich?«

STREPSIADES.

Was tat Tlepolemos dir denn zuleide?

AMYNIAS.

Hör du! Anstatt zu spotten, mache du,

Daß endlich mir dein Sohn mein Geld bezahlt,

Zumal ich eben selbst im Unglück bin!

STREPSIADES.

Was denn für Geld?

AMYNIAS.

Das er von mir geborgt.

STREPSIADES.

Da ist dir’s, scheint mir, wirklich schlecht gegangen.

AMYNIAS.

Weiß Gott! Beim Wagenrennen fiel ich ‘runter. –

STREPSIADES.

Drum faselst du, wie auf den Kopf gefallen.

AMYNIAS.

Ich fasle? So? wenn ich mein Geld verlange?

STREPSIADES.

Gewiß! Du bist bedenklich krank.

AMYNIAS.

Wieso?

STREPSIADES.

Ich glaub’, ein Erdstoß hat dein Hirn lädiert.

AMYNIAS.

Und ich, beim Hermes, glaub’, du wirst zitiert,

Wenn du mich nicht bezahlst!

STREPSIADES.

Du, sage mir,

Was meinst du, schickt uns Zeus wohl jedesmal,

Wenn’s regnet, frisches Wasser, oder zieht

Das gleiche Wasser immer ‘rauf die Sonne?

AMYNIAS.

Das weiß ich nicht, das ist mir einerlei.

STREPSIADES.

Du glaubst, du hast das Recht mir Geld zu fordern,

Und weißt kein Wort von überird’schen Dingen?

AMYNIAS.

Nun, bist du nicht bei Geld, so zahl mir doch

Den Zins!

STREPSIADES.

Den Zins? Was ist das für ein Tier?

AMYNIAS.

Ein silbern Ding, das im Verlauf der Zeit

Stets größer wird und wächst von Tag zu Tag,

Von Mond zu Mond.

STREPSIADES.

Nicht übel definiert!

Nun weiter! Glaubst du, daß das Meer zur Zeit

Viel größer ist als sonst?

AMYNIAS.

Das bleibt sich gleich;

Ich seh’ nicht ein, warum es wachsen sollte.

STREPSIADES.

Das also wächst trotz aller Ströme, die

Sich drein ergießen, nicht, und du, Kujon,

Du willst, dein Geld soll wachsen mit der Zeit?

Willst du dich packen, auf der Stelle, he?

Reißt ihm die Peitsche aus der Hand.

Her mit der Peitsche!

Haut ihn.

AMYNIAS zum Chor.

Ihr alle seid mir Zeugen!

STREPSIADES.

Hott! Willst du traben, Schimmel? Hott, hott, hott!

AMYNIAS.

Ha, schändliche Mißhandlung!

STREPSIADES.

Wart, ich stupfe

Dir unterm Schwanz, du Klepper! Willst du ausziehn?

Amynias entflieht.

Ha, läufst du? Gut! Sonst hätt’ ich dich mobil

Gemacht samt deinem Fuhrwerk, Sitz und Deichsel!

Ab ins Haus.

ERSTER HALBCHOR.

Das heißt denn doch die bübische Lust zu weit

Getrieben! Der Alte

Ist nun darauf erpicht, das Geld

Zu unterschlagen, das er lieh!

Es kann nicht fehlen, ihm passiert

Unversehns noch heute was,

Wo der abgefeimte Schalk,

Der Sophist,

Für seine Bubenstückchen all’,

Wie er’s verdient, belohnt wird!

ZWEITER HALBCHOR.

Ich denk’, ihm wird nur allzubald der Wunsch

Erfüllt, der ihn plagte:

In seinem Sohn den Mann zu sehn,

Der stets mit Gegengründen weiß

Das Recht zu beugen, der gewandt

Jeden Gegner, den er trifft,

Bei dem schlecht’sten Handel selbst

Niederschlägt;

Gib acht, gib acht! Er gäb’ was drum,

Sein Söhnchen wäre stockdumm!

Fünfte Szene

Chor. Strepsiades. Pheidippides. Später Schüler des Sokrates. Sokrates. Chairephon.

Strepsiades stürzt aus dem Hause, hinter ihm drein sein Sohn, der nach ihm schlägt.

STREPSIADES.

Au, au!

Ihr Nachbarn, Freunde, Vettern, steht mir bei!

Helft! helft mir, wie ihr könnt! Er prügelt mich!

Mein Kopf, ach meine Backen! – O du Scheusal,

Du prügelst deinen Vater?

PHEIDIPPIDES.

Ja, mein Vater!

STREPSIADES zum Chor.

Seht, er gesteht’s, daß er mich schlug!

PHEIDIPPIDES.

Warum nicht?

STREPSIADES.

Spitzbube, Straßenräuber, Vatermörder!

PHEIDIPPIDES.

Ich bitte, noch einmal und derber noch!

Du glaubst es nicht, wie mich dein Schimpfen freut!

STREPSIADES.

Schandbube!

PHEIDIPPIDES.

Streu mir doch noch mehr der Rosen!

STREPSIADES.

Du prügelst deinen Vater?

PHEIDIPPIDES.

Und mit Recht!

Das will ich dir beweisen!

STREPSIADES.

Was, du Unmensch?

Recht soll es sein, wenn man den Vater prügelt?

PHEIDIPPIDES.

Ich diene dir mit triftigen Beweisen.

STREPSIADES.

Das willst du mir beweisen?

PHEIDIPPIDES.

Ohne Müh’!

Nach welcher Logik soll ich dir’s erhärten?

STREPSIADES.

Nach welcher –?

PHEIDIPPIDES.

Nach der guten oder schlechten?

STREPSIADES.

So? Hab’ ich darum dich studieren lassen

Die Kunst, dem Recht ein Schnippchen zu schlagen, um

Mir weiszumachen, daß mit Fug und Recht

Der Vater von dem Sohne Prügel kriegt?

PHEIDIPPIDES.

So gründlich hoff’ ich dich zu überzeugen,

Daß du, du selbst mir nichts entgegenhältst.

STREPSIADES.

Nun, auf die Rede bin ich doch begierig!

CHORFÜHRERIN.

Jetzt, Alter, ist’s an dir, dich zu besinnen, wie

Du ihn überwältigst.

Denn wär’ er seiner Sache nicht gewiß, er wär’

Doch nicht so vermessen!

Wer weiß, worauf er pocht! So zuversichtlich spricht

Nur, wer sich gedeckt weiß!

Wie hat sich aber zwischen euch doch dieser Zank entsponnen?

Das muß der Chor doch wissen: drum erzähl’ es unverhohlen!

STREPSIADES.

So hört denn, was die Ursach’ war, daß wir in Streit gerieten:

Wir schmausten eben, wie ihr wißt, die Tafel war vorüber,

Da fordert’ ich ihn auf, ein Lied zur Leier mir zu singen,

Das von Simonides, ihr kennt’s: »der Widder war geschoren!«

Da fuhr er auf: Altmodisch sei das Leiern und das Singen

Beim Trinken – wie die Weiber, wenn sie dürre Gerste mahlen.

PHEIDIPPIDES.

Hast du nicht Tritt und Prügel schon verdient, indem du singen

Mich hieß’st bei Tisch, als hättest du Zikaden zu bewirten?

STREPSIADES.

Ja, ja, so sprach er, auf ein Haar ganz ebenso, schon drinnen,

Und der Simonides – kurzweg, der sei ein schlechter Dichter!

Kaum hielt ich mich: doch wollt’ ich nicht gleich anfangs mich ereifern

Und bat ihn: ›Nimm ein Myrtenreis zur Hand und rezitiere

Mir etwas aus dem Aischylos!‹ – ›Was?‹ fuhr er auf und sagte:

›Weißt du, daß Aischylos der Arsch ist unter den Poeten,

Pausbäckig, klaffend, ungeschlacht, hart, schwülstig, aufgedunsen?‹

Nun denkt euch, wie vor Ingrimm mir das Herz im Leibe pochte!

Gleichwohl verbiß ich meinen Zorn und sagte: ›Laß mich lieber

Was hören von den Neueren, was geistreich Elegantes!‹

Da sprach er aus Euripides die Stelle, wo der Bruder

– Gott helf’ uns! – seiner Mutter Kind, die eigne Schwester schändet.

Jetzt hielt ich mich nicht mehr und riß ihn fürchterlich herunter

Und schimpft’ ihn aus und schalt ihn derb: da gab nun, wie gebräuchlich,

Ein Wort das andre, bis zuletzt er aufsprang, fest mich packte,

Zu Boden warf und trat und schlug und fast zu Tod mich würgte!

PHEIDIPPIDES.

Mit Recht! Da du Euripides, den weisesten der Dichter,

Nicht lobtest.

STREPSIADES.

Was? Den Weisesten? O du – wie soll ich sagen?

Das setzt nun wieder Prügel!

PHEIDIPPIDES.

Ja, bei Zeus, und wohlverdiente!

STREPSIADES.

So? Wohlverdient? Du frecher Bub! Hab’ ich dich nicht erzogen

Und immer gleich erraten, was du lallend sagen wolltest?

Und schriest du: ›Bäh!‹ da lief ich gleich und brachte dir zu trinken.

Und sagtest du: ›Pap, pap!‹ da rannt’ ich fort, den Brei zu holen.

Kaum hattest du: ›Äh! äh!‹ gesagt, da nahm ich dich und setzte

Dich vor die Tür und hielt dich – – Ha! und jetzt, du Bube, würgst du

Mich also? Und so laut ich rief

Und schrie: ich müsse kacken, trugst

Du doch mich nicht, verruchter Sohn,

Zur Tür hinaus, du klemmtest mich,

Bis drin ich Ääh machte!

CHORFÜHRERIN.

Ha, voll Erwartung hüpft jetzt wohl den jungen Herrn

Das Herz, was der Sohn spricht!

Denn wenn nach dem, was er getan, es ihm gelingt,

Sich sauber zu waschen:

Wer wird dann noch ‘ne taube Nuß für euer Fell

Euch geben, ihr Alten?

Wohlan! Jetzt gilt’s, du Held der neurhetorischen Manöver,

Die Sache zu beleuchten so, als wärst du ganz im Rechte.

PHEIDIPPIDES.

Wohl ist’s ein Glück, vertraut zu sein mit dem System des Tages

Und hoch herabzusehen auf den Quark der alten Sitte:

Solang ich die Gedanken nur auf Roß und Wagen lenkte,

Vermocht’ ich ohne Anstoß nicht drei Worte vorzubringen.

Seit mich mein Vater selbst von all den Possen abgezogen

Und ich mir Dialektik und Rhetorik angeeignet,

Jetzt zeig’ ich klar: der Sohn hat recht, der seinen Vater prügelt!

STREPSIADES.

Ach, rößle doch, soviel du willst! Ich füttre dir ja lieber

Vier teure Gäul’, als daß, o Greu’l, ich voller Beulen heule!

PHEIDIPPIDES.

Ich komme wieder auf den Satz, wo du mich unterbrochen,

Und frage dich vor allem: hast du mich als Kind geschlagen?

STREPSIADES.

Nun ja, aus Lieb’ und Sorge nur für dich!

PHEIDIPPIDES.

Aha! Nun sage:

Ist’s da nicht billig, daß auch ich dir meine Liebe zeige?

Warum soll deine Haut allein gesichert sein vor Prügeln,

Die meine nicht? Ich bin doch auch, bei Gott, ein Freigeborner!

»Die Kinder sollen heulen, doch der Vater nicht!« Weswegen?

Du sagst vielleicht, das sei einmal der Brauch so bei den Kindern?

Gut, sag’ ich dann, die Alten sind bekanntlich zweimal Kinder,

Und zweimal mehr verdienen sie drum Prügel als die Jungen,

Da ihre Schuld auch größer ist, wenn sie sich doch vergehen.

STREPSIADES.

Nein, das verbeut in aller Welt doch das Gesetz den Kindern!

PHEIDIPPIDES.

Hat denn nicht aber dies Gesetz ursprünglich vorgeschlagen

Ein Mensch, wie ich und du, und dann es durchgesetzt mit Gründen?

Und was die Alten durften – darf ich ein Gesetz den Neuen nicht schaffen, demgemäß die Schläg’ heimgibt der Sohn dem Vater?

Die Prügel, die wir kriegten, eh’ noch dies Gesetz erlassen,

Die schenken wir euch überdies als längst verjährte Schulden. –

Da sieh einmal die Hahnen an und andre solcher Tiere,

Die schenken ihren Vätern nichts: und doch – was unterscheidet

Sie denn von uns, als daß sie nicht wie wir Beschlüsse kritzeln?

STREPSIADES.

Ei, wenn in allem du es doch nachmachen willst den Hahnen,

Scharr doch dein Futter aus dem Mist, und schlaf auf einer Stange!

PHEIDIPPIDES.

Das ist ein andres, Freund, das ließ’ auch Sokrates wohl bleiben!

STREPSIADES.

So laß auch du das Schlagen sein, sonst wirst du’s noch bereuen!

PHEIDIPPIDES.

Wieso?

STREPSIADES.

Wie ich berechtigt bin, dich abzustrafen, also

Auch du, wenn dir geboren wird ein Sohn – –

PHEIDIPPIDES.

Und wird mir keiner,

Dann hab’ ich ganz umsonst geheult, du – lachtest noch im Tode!

STREPSIADES gegen die Zuschauer.

Ihr Herren meines Alters, mir zwar scheint er recht zu haben:

Einräumen, denk’ ich, muß man doch, was billig ist, den Jungen:

Tun wir, was wir nicht sollten, dann gehört auch uns die Rute!

PHEIDIPPIDES.

Noch einen Satz! Merk auf!

STREPSIADES.

Ich muß, sonst geht es mir ums Leben!

PHEIDIPPIDES.

Nein, leichter tröstest du danach dich über deine Schläge.

STREPSIADES.

Was meinst du? Welcher Vorteil soll mir noch daraus erwachsen?

PHEIDIPPIDES.

Die Mutter prügl’ ich ebenso wie dich!

STREPSIADES.

Wie, was? Was sagst du?

Noch einen ärgern Frevel?

PHEIDIPPIDES.

Wie? und wenn ich nun als Anwalt

Der schlechten Sach’ erhärten kann,

Pflicht sei’s, die Mutter durchzubläun?

STREPSIADES.

Vermagst du das, dann bleibt dir nichts

Mehr übrig, als vom Felsen dich

Zu stürzen ins Verbrecherloch

Mit Sokrates

Und deiner schlechten Sache!

Zum Chor.

Und das verdank’ ich alles euch, ihr Wolken,

Auf die ich leider all mein Sach’ gestellt!

CHORFÜHRERIN.

An allem bist du selber schuld! Warum

Hast du aufs Schlechte deinen Sinn gestellt?

STREPSIADES.

Warum habt ihr mir das nicht gleich gesagt?

Warum mich alten Esel noch gestachelt?

CHORFÜHRERIN.

Das tun wir immer, wenn wir einen sehn,

Der blind dem Trieb zu bösen Werken folgt,

Bis wir ihn endlich ins Verderben stürzen,

Auf daß der Tor die Götter fürchten lerne.

STREPSIADES.

Weh, weh mir! Hart, ihr Wolken, doch gerecht!

Warum versucht’ ich meine Gläubiger

Zu prellen um ihr Geld? –

Zu Pheidippides.

Jetzt komm, mein Sohn,

Komm! – Nieder mit dem Chairephon, dem Schurken,

Und Sokrates, die mich und dich betrogen!

PHEIDIPPIDES.

Nein, meinen Lehrern tu’ ich nichts zuleide!

STREPSIADES.

Doch! »Fürchte Zeus, den väterlichen Gott!«

PHEIDIPPIDES.

Nun hört mir: ›Zeus!‹ – Altvätrisches Gewäsch!

Ist denn ein Zeus?

STREPSIADES.

Er ist!

PHEIDIPPIDES.

Er kann nicht sein!

Der Wirbel herrscht, der hat ihn abgesetzt.

STREPSIADES.

Was? Abgesetzt? – Ich freilich glaubte das,

Auf eine alte verwitterte Vase, die bei dem Hermesbilde steht, zeigend.

Und dieses Ding da, meint’ ich, sei der Wirbel,

Ich armer Narr, dies irdene Gefäß!

PHEIDIPPIDES.

Schwatz Unsinn mit dir selbst, verrückter Alter!

Ab.

STREPSIADES.

Verrückt, das war ich, toll genug, die Götter

Dem Sokrates zulieb hinauszuwerfen!

Vor die Hermessäule tretend.

Ach, lieber Hermes, zürne mir nicht drob,

Vernichte mich nicht ganz, vergib mir, daß

Durch das Geschwätz ich mich betören ließ!

O rate mir: Soll ich sie vor Gericht

Belangen? oder wie? Was meinst du sonst?

Legt sein Ohr an den Hermeskopf.

– – Hast recht! Wozu Prozess’ anzetteln? Lieber

Steck’ ich den Rabulisten überm Kopf

Das Haus an!

Ruft in sein Haus hinein.

Holla! Heda, Xanthias!

Komm ‘raus und bring mir Leiter, Axt und Hacke,

Und steig hinauf auf die Studierbutike;

Hau, wenn du deinen Herren liebst, das Dach

Zusammen, daß die Balken sie zerschmettern!

Der Sklave steigt hinauf und fängt an einzureißen.

Und du!

Einem zweiten Sklaven rufend.

Bring mir ‘ne Fackel, aber brennend!

Der Sklave tut es.

Wart nur, ich will dir diesmal, du da drinnen,

Und euch, ihr unverschämten Scharlatans!

EIN SCHOLAR im Innern.

Au weh, au weh!

STREPSIADES die Fackel schwingend.

Ha, Fackel, halt dich gut und speie Flammen!

SCHOLAR.

Mensch, was beginnst du?

STREPSIADES.

Was ich mach’? Ich löse

Nur dort den Dachstuhl dialektisch auf.

CHAIREPHON im Innern.

Wer steckt das Haus uns überm Kopf in Brand?

STREPSIADES.

Der Mann, dem ihr den Mantel abgenommen.

CHAIREPHON.

Mordbrenner!

STREPSIADES hinaufsteigend.

Ja, das möcht’ ich eben werden,

Wenn diese Axt nicht meine Hoffnung täuscht

Und ich nicht ‘runterstürz’ und brech’ den Hals.

SOKRATES von innen.

Was machst du denn da oben auf dem Dach?

STREPSIADES.

»In Lüften schweb’ und Helios überseh’ ich!«

CHAIREPHON wie oben.

Entsetzlich, weh mir Armen! Ich ersticke!

SOKRATES.

Dämonisches Verhängnis! Ich verbrenne!

STREPSIADES heruntersteigend.

Recht so! Wer hieß euch auch der Götter spotten

Und nach Selenes Heimlichkeiten spähn?

Zu Xanthias, der ebenfalls heruntersteigt.

Schlag zu

Xanthias schlägt nach den herausspringenden Scholaren.

und hau und schmettre drein! Du weißt,

Zehnfach verdienen sie’s, die Atheisten!

Die Philosophenklause steht in Flammen.

CHORFÜHRERIN zum Chor.

Nun ziehet hinaus: denn wir haben uns heut gehörig im Reigen geschwungen!

Aristophanes – Die Vögel

Aristophanes

Die Vögel

(Orinthes)

Personen.

Pisthetairos

Euelpides

Ein Bettelpoet

Ein Wahrsager

Meton, der Feldmesser

Ein Ausrufer

Ein Kommissär

Ein ungeratener Sohn

Kinesias, der Poet

Ein Sykophant

Sklaven (stumm)

Der Wiedehopf

Der Zaunschlupfer

Vögel als Priester, Musiker, Boten, Herolde, Sklaven

Chor der Vögel

Iris

Prometheus

Herakles

Poseidon

Der Triballe

Basileia (stumm)

Erste Szene

Hochgelegene Wald- und Felsgegend.

Pisthetairos und Euelpides, durch ihr Gepäck als Auswanderer kenntlich, jeder mit einem Vogel auf der Hand, treten auf.

EUELPIDES zu der Dohle, die er auf der Hand trägt.

Gradaus, dort nach dem Baum zu weist du mich?

PISTHETAIROS zu seiner Krähe.

Ei, berste du! – Die krächzt uns nun zurück.

EUELPIDES.

Verdammt! Da stolpern wir nun auf und ab

Und laufen kreuz und quer hinein ins Blaue!

PISTHETAIROS.

Ich Tor! – zu folgen einer Kräh’, und mehr

Als tausend Stadien Wegs herumzuirren!

EUELPIDES.

Ich Narr! – zu folgen einer Dohl’, und mir

Die Nägel an den Zehen abzulaufen!

PISTHETAIROS.

Wo mögen wir in aller Welt nur sein?

EUELPIDES.

Du – fändest du von hier die Vaterstadt?

PISTHETAIROS.

Unmöglich – selbst für Exekestides!

EUELPIDES stolpernd.

Au weh!

PISTHETAIROS.

So geh doch diesen Weg, Kam’rad!

EUELPIDES.

Der Vogelhändler hat uns schön geprellt,

Philokrates, der hirnverbrannte Krämer,

Der log: die beiden führten uns zum Tereus,

Dem Wiedehopf, nunmehrigem Vollblutvogel.

Die Dohle – Tharrheleides’ Kind – verkauft’ er

Uns für ‘nen Obolos, und hier die Krähe

Für drei! und beide können nichts als beißen!

Die Dohle pickt nach ihm.

Was schnappst du wieder? Willst du uns die Felsen

Hinabspedieren? – Hier ist weit und breit

Kein Weg!

PISTHETAIROS.

Beim Zeus, auch nicht der schmalste Fußpfad!

EUELPIDES.

Sagt deine Krähe dir denn nichts vom Weg?

PISTHETAIROS.

Ach nein! die kreischt das alte Lied mir vor.

EUELPIDES.

Was sagt sie denn vom Weg?

PISTHETAIROS.

Was wird sie sagen?

Weghacken wolle sie mir noch die Finger!

EUELPIDES gegen die Zuschauer.

Ist das nicht arg, daß wir, die doch zum Geier

Zu gehn parat und voll Verlangen sind,

Nun erst den Weg dahin nicht finden können?

Denn wißt, ihr Herrn Zuschauer, unsre Krankheit

Ist just das Widerspiel von der des Sakas:

Der, Nichtstadtbürger, drängt sich ein, doch wir,

Von Stamm und Zunft und Haus aus makellos,

Vollbürger, nicht verjagt, aus eignem Antrieb

Entflogen spornstreichs wir der Heimat; – nicht

Als wär’ uns diese Stadt verhaßt und wäre

Nicht herrlich, groß und weit und allen offen,

Die drin ihr Geld verprozessieren wollen!

Denn einen Monat oder zwei nur zirpen

Im Laub die Grillen: doch ihr ganzes Leben

Verzirpen im Gerichtshof die Athener.

Dies ist der Grund, warum wir hier marschieren

Mit Korb und Topf und Myrtenreis; wir streifen

Herum und suchen einen Friedensort,

Um allda unsre Wohnung aufzuschlagen.

Gerad zu Tereus geht jetzt unsre Fahrt,

Zum Wiedhopf, um zu fragen, ob er als

Gereister Vogel so ‘ne Stadt gesehn.

PISTHETAIROS.

Du?

EUELPIDES.

Was?

PISTHETAIROS.

Die Krähe winkt mir immer dort

Hinauf.

EUELPIDES.

Und meine Dohle reckt den Schnabel

Weit offen in die Höh’, mir was zu zeigen.

Kein Zweifel mehr, hier müssen Vögel sein:

Wir schlagen Lärm, da sind wir gleich im klaren.

PISTHETAIROS.

Hör, stoß doch mit dem Fuß hier an den Felsen!

EUELPIDES.

Stoß du doch mit dem Kopf, dann klopft es doppelt.

PISTHETAIROS.

So poch mit einem Stein!

EUELPIDES.

Wie du befiehlst!

He, Bursch!

PISTHETAIROS.

Was rufst du? Nennst den Wiedhopf Bursch?

Nicht Bursch, du mußt Huphup dem Wiedhopf rufen

EUELPIDES.

Huphup! Wie lange muß ich denn noch klopfen?

Huphup!

Zaunschlupfer mit langem, weitoffenem Schnabel tritt heraus; Pisthetairos und Euelpides fahren zurück; Dohle und Krähe fliegen fort.

ZAUNSCHLUPFER.

Wer klopft? Wer ruft hier meinem Herrn?

EUELPIDES.

Apollon, sei uns gnädig! Welch ein Schlund!

ZAUNSCHLUPFER.

Ich Unglücksel’ger, weh, zwei Vogelsteller!

EUELPIDES in höchster Not.

Weh, was passiert mir? Unaussprechliches!

ZAUNSCHLUPFER.

Hol’ euch –

EUELPIDES.

Für Menschen hältst du uns?

ZAUNSCHLUPFER.

Was sonst?

EUELPIDES.

Ich bin der Vogel Graus aus Afrika.

ZAUNSCHLUPFER.

Du lügst!

EUELPIDES.

Da frag die Sauce an meinen Beinen!

ZAUNSCHLUPFER zu Pisthetairos.

Und welch ein Vogel bist denn du? sag an!

PISTHETAIROS.

‘Ne Art von Goldfasan – der Diarrhöling.

EUELPIDES zum Zaunschlupfer.

Was bist denn du nun aber für ein Tier!

ZAUNSCHLUPFER.

Ein Vogelsklave!

EUELPIDES.

Welche Demut! – Hat

Ein Kampfhahn dich besiegt?

ZAUNSCHLUPFER.

O nein! Doch als

Mein Herr zum Wiedhopf wurde, bat er mich,

Als Vogel mitzugehn und ihm zu dienen.

EUELPIDES.

Braucht denn ein Vogel auch noch Dienerschaft?

ZAUNSCHLUPFER.

Er wohl! vermutlich, weil er Mensch einst war;

Bald hätt’ er gern phalerische Sardellen,

Gleich schlupf’ ich mit dem Töpfchen fort und hole;

Dann will er Mus – nach Quirl und Pfanne schlupf’ ich

Durch Heck’ und Zaun –

EUELPIDES.

Nun kenn’ ich dich: Zaunschlupfer!

Hör, weißt du was, Zaunschlupfer, schlupf hinein

Und ruf uns deinen Herrn!

ZAUNSCHLUPFER.

Der macht sein Schläfchen!

Denn Schnaken aß er just und Myrtenbeeren.

EUELPIDES.

Geh nur und wecke ihn!

ZAUNSCHLUPFER.

Ach nein, ich weiß

Gewiß, er brummt. – Nun, euch zulieb’, ich weck’ ihn!

Ab.

PISTHETAIROS ihm nachrufend.

Daß du krepierst! Mich so halbtot zu ängsten!

EUELPIDES.

O weh, auch mir entflogen ist vor Angst

Die Dohle!

PISTHETAIROS.

Feiges Tier, du hast vor Angst

Die Dohle fliegen lassen?

EUELPIDES.

Hast denn du

Beim Fallen nicht die Krähe fahren lassen?

PISTHETAIROS.

Ich nicht, bei Zeus!

EUELPIDES.

Wo ist sie denn?

PISTHETAIROS.

Entwischt!

EUELPIDES.

Und du, du hieltst sie nicht, du tapfrer Held?

WIEDEHOPF hinter der Szene.

Tu auf den Wald, daß ich mich offenbare!

Tritt heraus.

EUELPIDES.

Welch Wundertier! Herakles, welch Gefieder!

Und auf dem Kopf drei Büsche! – Neue Mode!

WIEDEHOPF.

Wer wünscht zu sehn mein Antlitz?

EUELPIDES.

Die zwölf Götter –

Gegen das Publikum.

Traktierten, scheint’s, dich schlecht!

WIEDEHOPF.

Ihr spottet mein

Und meiner Schwingen? Fremdlinge, ich war

Einst Mensch –

EUELPIDES.

Wir lachen dich nicht aus –

WIEDEHOPF.

Wen denn?

PISTHETAIROS.

Dein krummer Schnabel nur erschien uns spaßhaft.

WIEDEHOPF.

So hat der Sophokles mich zugerichtet

In seinem Trauerspiel, ja mich, den Tereus!

EUELPIDES.

Du bist der Tereus? Hahn wohl oder Pfau?

WIEDEHOPF.

Ein Vogel doch!

EUELPIDES.

Wo sind denn deine Federn?

WIEDEHOPF.

Mir ausgefallen –

EUELPIDES.

Wohl in einer Krankheit?

WIEDEHOPF.

Nein, alle Vögel mausern sich im Winter,

Es wachsen dann uns neue nach! – Allein

Wer seid denn ihr?

EUELPIDES.

Wir beide? Menschenkinder!

WIEDEHOPF.

Woher?

EUELPIDES.

Woher die stolze Flotte stammt.

WIEDEHOPF.

So? Heliasten? –

EUELPIDES.

Antiheliasten,

Grad’ umgekehrt!

WIEDEHOPF.

Gedeiht denn solches Korn

Dort auch?

EUELPIDES.

Gar dünn gesät ist’s auf dem Land.

WIEDEHOPF.

Was habt ihr vor? »Was führt euch denn hierher?«

EUELPIDES.

Dich sprechen wollen wir!

WIEDEHOPF.

Worüber denn?

EUELPIDES.

Einmal: du warst ein Mensch einst, so wie wir,

Und hattest wohl auch Schulden, so wie wir;

Und zahltest sie nicht gerne, so wie wir;

Zum zweiten hast, zum Vogel umgestaltet,

Du Erd’ und Meer umflogen, und so weißt

Du, was ein Mensch und was ein Vogel weiß.

Drum nah’n wir uns in Demut dir und bitten,

Ob du vielleicht uns eine Stadt kannst nennen,

Wo weich und warm man in der Wolle sitzt?

WIEDEHOPF.

Und größer als die Stadt der Kranaer?

EUELPIDES.

Nicht größer, aber dienlicher für uns.

WIEDEHOPF.

Haha, du denkst aristokratisch?

EUELPIDES.

Ich?

Mit nichten, Skellios’ Sohn ist mir ein Greuel!

WIEDEHOPF.

In welcher Stadt denn wohntet ihr am liebsten?

EUELPIDES.

Wo dies die wichtigsten Geschäfte wären: –

Früh käm’ an meine Tür ein guter Freund

Und spräche: ›Beim olymp’schen Zeus, du kommst

Doch ja zu mir mit deinen Kindern, wenn

Sie morgens frisch gewaschen sind: wir haben

Ein Hochzeitsmahl: und fehl mir ja nicht, sonst

Bleib mir auch weg, wenn’s einmal schmal mir geht!‹

WIEDEHOPF.

Bei Zeus, du liebst beschwerliche Geschäfte!

Zu Pisthetairos.

Und du?

PISTHETAIROS.

Dergleichen lieb’ auch ich!

WIEDEHOPF.

Zum Beispiel?

PISTHETAIROS.

Wenn einer schwerbeleidigt sich bei mir

Beklagt’, ein Vater eines hübschen Knaben:

›So, schön von dir, Stilbonides! Mein Söhnchen,

Das frischgebadet du beim Ringhof trafst,

Mir nicht zu grüßen, küssen, mitzunehmen –

Und auszugreifen – Du, mein alter Freund?!‹ –

WIEDEHOPF.

Du armer Mann, du liebst vertrackte Dinge!

Nun, in der Tat, solch eine Stadt der Wonne

Liegt fern am Roten Meer –

EUELPIDES.

Um Gottes willen,

Nur nicht am Meer! – daß eines Morgens – schrecklich! –

Die Salaminia auftaucht, uns zu holen?

Kannst du uns keine Stadt in Hellas nennen?

WIEDEHOPF.

Laßt euch zu Lepreos in Elis nieder!

EUELPIDES.

Zu Lepreos, dem Krätznest? Pfui, das hass’ ich,

Eh’ ich’s gesehn, schon von Melanthios her!

WIEDEHOPF.

So siedelt euch bei den Opuntiern an

In Lokris!

EUELPIDES.

Was, in Lokris? Lockrer Lump!

Das würd’ ich nicht um eine Tonne Golds! –

Wie ist denn bei euch Vögeln hier das Leben?

Du kennst es ja!

WIEDEHOPF.

Kein übler Aufenthalt!

Man braucht hier, um zu leben, keinen Beutel!

EUELPIDES.

Da gibt’s auch keine Beutelschneiderei!

WIEDEHOPF.

Wir picken in den Gärten weißen Sesam,

Mohnkörner, Myrtenbeeren, Wasserminze.

EUELPIDES.

Da führt ihr ja ein wahres Hochzeitleben!

PISTHETAIROS.

Ha! Hört!

Zu großen Dingen, seh’ ich, ist bestimmt

Das Vögelvolk – wenn ihr mir folgen wollt!

WIEDEHOPF.

Dir folgen? Wie?

PISTHETAIROS.

Vor allem flattert nicht

Mit offnen Schnäbeln in der Welt herum,

Das schickt sich nicht für euch! Wenn dort bei uns

Man fragt nach solchen flatterhaften Burschen:

»Wer ist der Vogel?« – gleich sagt Teleas:

›Ein wetterwend’scher Mensch, charakterlos,

Heut so und morgen so, ein luft’ger Zeisig!‹

WIEDEHOPF.

Beim Dionysos, und der Mann hat recht!

Was tun?

PISTHETAIROS.

Erbaut euch eine Stadt für alle!

WIEDEHOPF.

Wir Vögel eine Stadt bau’n? Wie denn das?

PISTHETAIROS.

»Mein Gott, wie albern du nur reden kannst!«

Da schau hinab!

WIEDEHOPF.

Ich schau’!

PISTHETAIROS.

Nun schau hinauf!

WIEDEHOPF.

Und nun?

PISTHETAIROS.

Jetzt dreh den Hals herum!

WIEDEHOPF.

Bei Zeus,

Es lohnt sich wohl, den Hals mir zu verrenken?

PISTHETAIROS.

Was sahst du nun?

WIEDEHOPF.

Die Wolken und den Himmel!

PISTHETAIROS.

Das ist doch wohl der Staat der Vögel, nicht?

WIEDEHOPF.

Was, Staat? Wie meinst du das?

PISTHETAIROS.

Die Station,

Wo stattlich ausgestattet, was ihr wollt,

Ihr euch gestattet – sieh, das ist ein Staat!

Und baut ihr Häuser da und Mauern drum.

Dann habt ihr in dem Staat auch eine Stadt!

Heuschrecken sind dann gegen euch die Menschen,

Die Götter hungert ihr gut melisch aus –

WIEDEHOPF.

Wie?

PISTHETAIROS.

Zwischen Erd’ und Himmel ist die Luft,

Nicht wahr? – Wie wir, wenn wir nach Delphi gehn,

Um freien Durchzug die Boioter bitten,

So, wenn die Sterblichen den Göttern opfern

Und die den Durchgangszoll euch nicht entrichten,

Laßt durch die Luftstadt ihr die fremde Ware,

Den Opferbratenduft, nicht mehr passieren.

WIEDEHOPF.

Der Tausend auch!

Bei allen Netzen, Schlingen, Vogelstangen!

Ein beßrer Einfall kam mir nie zu Ohren!

Es gilt! Ich bau’ mit dir die Stadt, wofern

Die andern Vögel einverstanden sind.

PISTHETAIROS.

Wer stellt den Antrag ihnen vor?

WIEDEHOPF.

Du selbst!

Durch langen Umgang bracht’ ich den Barbaren –

Das waren sie – ein bißchen Sprache bei.

PISTHETAIROS.

Kannst du sie denn zusammenrufen?

WIEDEHOPF.

Leicht!

Ich gehe nur geschwind da ins Gebüsch

Und wecke meine Nachtigall; dann rufen

Wir ihnen, und sobald sie unsre Stimme

Vernehmen, eilen sie im Flug herbei.

PISTHETAIROS.

Herzlieber Vogel, steh nicht müßig da,

Ich bitt’ dich, geh nur gleich hier ins Gebüsch,

Geh schnell und wecke deine Nachtigall!

WIEDEHOPF singt hinterm Busch.

O Gespielin, wach auf und verscheuche den Schlaf,

Laß strömen des Liedes geweihte Musik

Aus der göttlichen Kehle, die schmelzend und süß

Um mein Schmerzenskind und das deine klagt

Und melodischen Klangs aushauchend den Schmerz,

Ach, um Itys weint!

Rein schwingt sich der Schall durch das rankende Grün

Zu dem Throne des Zeus, wo Phoibos ihm lauscht,

Der Goldengelockte, zu deinem Gesang

In die elfenbeinerne Harfe greift,

Zu deinem Gesange den schreitenden Chor

Der Unsterblichen führt;

Und weinend mit dir, einstimmig ertönt

Von dem seligen Mund

Der Unsterblichen himmlische Klage.

Flötenspiel hinter der Szene, Nachtigallentöne nachahmend.

PISTHETAIROS.

Welch Vogelstimmchen! Nein, das übertaut,

Bei Zeus! mit Honigseim den ganzen Wald.

EUELPIDES.

Du –

PISTHETAIROS.

Was beliebt?

EUELPIDES.

Sei still doch!

PISTHETAIROS.

Ei, warum?

EUELPIDES.

Der Wiedhopf präludiert, es kommt noch eins!

WIEDEHOPF singt unter Flötenbegleitung.

Hup hup hup op op op, hup hup hup hup hup,

Juhu, Juhu! Heran, heran, heran!

Heran, ihr meine Mitgefiederten,

Was auf Ährengefilden den Kropf sich füllt!

Heran, ihr Gerstenpicker allzumal,

Körnerauflesende, flinke, geschmeidige,

Wohllautatmende Sänger,

Die ihr in Saatenfurchen

Trippelt, des feinen Stimmchens

Froh, behaglich also zwitschert:

Tiotio tiotio tiotio tiotio!

Ihr, die ihr in Gärten im Efeulaub

Verborgen nascht, auf den Bergen schwärmt,

Berberitzenverschlinger, Erdbeerenverschlucker,

Fliegt schleunig herbei auf meinen Ruf:

Trioto trioto totobrix!

Ihr, die ihr im Meer und in sumpfiger Schlucht

Stechfliegen erschnappt und vom Wiesentau

Benetzt durch die blumigen Auen streift

Und Marathons liebliche Gründe!

Komm, rotbehaubtes Haselhuhn!

»Kommt, die ihr über die Wogen des Meers

Fliegt mit den wandernden Halkyonen,«

Eilt zu vernehmen die Kunde, die neuste!

Sammelt, wir rufen euch, sammelt euch all’

Vom langhalsigen Stamme der Vögel!

Denn ein Greis ist gekommen, ein kluger Kopf,

Der ein neues Werk

Hat ausgeheckt, einen neuen Plan:

Drum kommt nun all’ zur Beratung,

Kommet, kommet, kommet, kommet!

Toro toro toro torotix!

Kikkabau! Kikkabau!

Toro toro toro torolililix!

PISTHETAIROS zu Euelpides.

Du, siehst du einen Vogel?

EUELPIDES.

Keinen Schwanz,

Obwohl ich offnen Mauls zum Himmel gaffe!

PISTHETAIROS.

Der Wiedhopf, scheint’s, hat hinterm Busch vergeblich

Gegluckst, gefalzt als wie ein Auerhahn.

Ein Flammbart kommt durch das linke Tor in die Orchestra gelaufen.

FLAMMBART.

Torotix torotix!

PISTHETAIROS.

Ei der Tausend, Freund, ein Vogel! Sieh, da rückt ein Vogel an!

EUELPIDES.

Ei, ein Vogel! Was für einer, möcht’ ich wissen: wohl ein Pfau?

PISTHETAIROS während der Wiedehopf wieder hervorkommt.

Der da wird’s am besten wissen, was das für ein Vogel ist.

WIEDEHOPF.

Das ist kein gemeiner Vogel, den ihr alle Tage seht –

Ein Sumpfvogel!

PISTHETAIROS.

Alle Wetter, prächtig, purpurrot geflammt!

WIEDEHOPF.

Ganz natürlich! Und deswegen ist er Flammbart auch genannt!

Ein Hahn tritt gravitätisch herein.

EUELPIDES.

Du – potz Wetter!

PISTHETAIROS.

Nun, was schreist du?

EUELPIDES.

Sieh, ein zweiter Vogel kommt!

PISTHETAIROS.

Ja, bei Zeus! Wohl der, »der seine Heimat in der Fremde hat«?

Zum Wiedehopf.

Du, »wer ist der seltsam stolze, bergaufsteigende Prophet«?

WIEDEHOPF.

Dieser? Perservogel heißt er!

PISTHETAIROS.

Perser? Beim Herakles, ei,

Sag, wie kommt er denn als Perser ohne sein Kamel daher?

Ein ruppiger Wiedehopf tritt auf.

EUELPIDES.

Sieh, da kommt ein Vogel wieder, einen Helmbusch auf dem Haupt!

PISTHETAIROS.

Ei, wie sonderbar! So bist du nicht der einz’ge Wiedhopf hier?

Gibt’s denn außer dir noch andre?

WIEDEHOPF.

Der da ist Philokles’ Sohn,

Wiedhopfs Enkel, sein Großvater bin ich selbst – gerade wie

»Hipponikos, Sohn des Kallias, Kallias, Hipponikos’ Sohn«.

PISTHETAIROS.

Also Kallias ist der Vogel! Denn er mausert sich, sieh her!

EUELPIDES zu dem zweiten Wiedehopf.

Edler Mann, du kommst herunter, Sykophanten rupfen dich,

Und die letzten Federn raufen dir galante Dirnen aus!

Eine Kropfgans watschelt herein.

PISTHETAIROS.

Potz Poseidon! Welch ein Vogel, der in allen Farben spielt!

Nun, wie heißt denn dieser?

WIEDEHOPF.

Kropfgans, der bekannte Nimmersatt.

PISTHETAIROS.

Heißt denn Nimmersatt noch jemand anders als Kleonymos?

EUELPIDES.

Der – Kleonymos? – Verloren hat er ja den Helmbusch nicht!

PISTHETAIROS.

Überhaupt, was soll das Buschwerk auf dem Kopf des Federviehs?

Gibt’s ‘nen Wettlauf denn?

WIEDEHOPF.

Sie machen’s eben wie die Karier:

Auf den Hügeln unter Büschen sitzen sie vor’m Feind gedeckt.

PISTHETAIROS.

Ach, Poseidon! Welches Vogelungewitter zieht sich, schau,

Dort zusammen!

EUELPIDES.

Ach, Apollon! Wolk’ an Wolke, Gott erbarm’s!

Kaum vor flatterndem Gevögel ist der Eingang mehr zu sehn!

Der Chor der Vögel rückt ein.

PISTHETAIROS.

Dort ein Rebhuhn, ei der Tausend! Hier ein Haselhuhn! Und hier,

Sieh, da patscht ‘ne Wasserente, ein Eisvogelweibchen dort!

EUELPIDES.

Hinter diesem aber? –

PISTHETAIROS.

Der dort? Ein Bartgeier wird es sein!

EUELPIDES.

Heißt Bartgeier denn ein Vogel?

PISTHETAIROS.

Heißt denn Sporgilos nicht so?

Siehst du dort die Eul’?

EUELPIDES.

Ich bitte, »bringt man Eulen nach Athen«?

PISTHETAIROS.

Elster, Turteltaube, Lerche, Weihrauchvogel, Käuzchen, Specht,

Turmfalk’, Amsel, Taucher, Schnepfe, Adler, Häher, Auerhahn!

EUELPIDES.

Ahi, was Federvieh!

Ahi, was Rabenvieh!

Wie sie piepsen, und wie alles kreischend durcheinanderrennt!

Weh! Mit offnen Schnäbeln drohend, mit ergrimmten Augen sehn

Sie mich an und dich –

PISTHETAIROS ängstlich.

Wahrhaftig, ich bemerk’ es ebenfalls.

CHOR DER VÖGEL durcheinander schnarrend.

Wo, wo, wo, wo, wo, wo ist er, der uns rief, wo horstet er?

WIEDEHOPF.

Hier bin ich, wie immer euer treuer Freund, und warte längst.

CHOR.

We – we – we – we – we – we – welche Freundesbotschaft bringst du uns?

WIEDEHOPF.

Eine schöne, kluge, biedre, süße, volksbeglückende!

Denn zwei Menschen, wackre Greise, sind gekommen, sind bei mir.

Aufruhr unter den Vögeln.

CHOR.

Wo? Wie? Wa – was?

WIEDEHOPF.

Von den Menschen, sag’ ich, kamen zwei ergraute Männer her,

Und zu einem »Riesenwerke« bringen sie den Bauplan mit.

CHORFÜHRER.

Einen größern Frevler hab’ ich, seit ich esse, nicht gesehn!

Nun, was sagst du?

WIEDEHOPF.

Laß mich reden! Fürchte nichts!

CHORFÜHRER.

Was tatst du uns?

WIEDEHOPF.

Männer nahm ich auf, die gerne lebten im Verein mit uns!

CHORFÜHRER.

Diese Tat hast du begangen?

WIEDEHOPF.

Und ich freue mich der Tat!

CHORFÜHRER.

Und sie sind schon hier? –

WIEDEHOPF.

In eurer Mitte, so gewiß als ich!

CHOR.

Ach, ach!

Verkauft, verraten, geschändet sind wir!

Denn ein Bruder, ein Freund, der gemeinsam mit uns

Auf den Fluren sein Futter sich suchte,

Hat gebrochen das uraltheil’ge Gesetz,

Hat gebrochen den Eid der Vögel!

Hat ins Netz mich gelockt, mich dem argen Geschlecht

In die Hände geliefert, das, seit es erzeugt,

Mir nur Böses getan!

CHORFÜHRER.

Nun, mit diesem Vogel reden wir dann später noch ein Wort!

Doch die beiden alten Sünder, denk’ ich, züchtigen wir gleich.

Kommt, wir reißen sie in Stücke!

Allgemeine Aufregung.

PISTHETAIROS.

Weh, nun ist’s um uns geschehn!

EUELPIDES.

Ja, und du, du bist an allem diesem Unglück schuld! Warum

Hast du mich auch mitgenommen?

PISTHETAIROS.

Nun, damit du bei mir bist!

EUELPIDES.

Um es bitter zu beweinen!

PISTHETAIROS.

Sieh, wie albern schwatzt du jetzt!

EUELPIDES.

Albern?

PISTHETAIROS.

Wein’ einmal, nachdem sie dir die Augen ausgehackt!

CHOR.

Auf, auf!

Nun drauf und daran, und in grimmigem Sturm

Auf den Todfeind los, und umzingelt ihn rings,

Und schlagt ins Gesicht ihm die Flügel!

Laut heulen soll das verruchte Paar,

Ein Fraß für unsere Schnäbel!

Nicht der waldige Berg, nicht die Wolke der Luft,

Nicht das graue Gewässer des Meeres soll

Sie beschützen vor mir!

CHORFÜHRER.

Nun, was zaudern wir noch länger? Beißt und kratzt und reißt und rupft!

He, wo ist der Hauptmann? – Dringe mit dem rechten Flügel vor!

EUELPIDES.

Nun wird’s Ernst! – Wohin entflieh’ ich Armer?

PISTHETAIROS.

Du, so halt doch stand!

EUELPIDES.

Soll ich mich zerreißen lassen?

PISTHETAIROS.

Hoffst du Narr denn, ihnen noch

Zu entwischen?

EUELPIDES.

Wie? Das weiß ich freilich nicht!

PISTHETAIROS.

So höre denn!

Laß uns kämpfen, unsre Töpfe halten wir in tapfrer Hand!

EUELPIDES.

Und was soll der Topf uns helfen?

PISTHETAIROS.

Daß uns keine Eule packt!

EUELPIDES.

Wider diese krummen Krallen –?

PISTHETAIROS.

Nimm den Bratspieß, stecke dran

Einen nach dem andern!

EUELPIDES.

Sieh da, die Glotzaugen! Ach, was tun?

PISTHETAIROS.

Nimm das Essigkrüglein oder hier die Schüssel, wehre dich!

EUELPIDES.

Ei, Respekt vor deiner Klugheit! Ganz strategisch ausgedacht!

In Kriegs-Listen und Maschinen stichst du selbst den Nikias aus.

CHORFÜHRER.

Hurra! Marsch! Bei Fuß den Schnabel! Vorwärts, vorwärts, drauf und dran!

Rupft, reißt, beißt, zerrt, stoßt, haut, raufet! Schlagt zuerst den Topf entzwei!

WIEDEHOPF dazwischentretend.

Sprecht, was fällt euch ein, was soll das, ungeschlachte Bestien ihr?

Morden wollt ihr Männer, die euch nichts getan, zerreißen wollt

Ihr Landsleute ohne Schonung, Blutsverwandte meiner Frau?

CHORFÜHRER.

Was? Weswegen sollten ihrer mehr wir schonen als des Wolfs?

Haben wir denn schlimmre Feinde noch zu züchtigen als die?

WIEDEHOPF.

Wenn sie aber, von Geburt zwar Feind, im Herzen Freunde sind,

Wenn, euch guten Rat zu geben, nur sie da sind, nun, wie dann?

CHORFÜHRER.

Pah! Wie können die uns lehren oder guten Rat wohl gar

Uns erteilen, unsre Feinde, unsrer Ahnen Feinde schon?

WIEDEHOPF.

Freunde! Kluge Leute lernen auch von ihren Feinden gern.

Vorsicht frommt in allen Stücken: von dem Freunde wirst du sie

Schwerlich lernen, doch die Feinde, ja die zwingen dich dazu.

Denn die Städte – nicht dem Freunde, nein, dem Feind verdanken sie’s,

Wenn sie hohe Mauern bauen und Fregatten für den Krieg;

Daß sie’s lernten, sichert ihnen Hab und Gut und Weib und Kind.

CHORFÜHRER.

Ihrem Wort Gehör zu schenken, kann vorerst, wie mich bedünkt,

Uns nicht schaden: was Gescheites lernt man manchmal auch vom Feind.

PISTHETAIROS zu Euelpides.

Gut, ihr Zorn will, scheint’s, sich legen. Weiche Schritt für Schritt zurück!

WIEDEHOPF zum Chorführer.

Das ist billig, und ihr könnt es mir auch zu Gefallen tun!

PISTHETAIROS zu Euelpides.

Sieh, sie ziehn’s doch vor, in Frieden uns zu lassen: lege drum

Hin die Schüssel samt dem Topfe!

Mit dem Speer im Arm, dem Bratspieß,

Wollen wir auf und ab spazieren

Innerhalb des Waffenplatzes,

Nach dem Topf, des Lagers Marke,

Scharf hinsehend: Fliehn wär’ Schande!

EUELPIDES.

Meinst du? – Aber wenn wir fallen,

Wo zu Land wird unser Grab sein?

PISTHETAIROS.

Auf dem Töpferplatz! – Damit man

Von Staats wegen uns bestattet,

Werden wir den Feldherrn sagen,

Daß wir kämpfend sind gefallen

In der Schlacht am ›Vogelsberg‹!

CHORFÜHRER.

Zurück denn, und stellt euch in Reih und Glied,

Und die Lanze des Muts pflanzt neben dem Schild

Des Schlachtgrimms auf, wie im Feld der Soldat;

Wir verhören indessen die Männer da: wer

Und von wannen sie sind,

Und in welcherlei Absicht sie kommen?

Zum Wiedehopf.

He, Wiedhopf, gib einmal Bescheid!

WIEDEHOPF.

Bescheid? Was willst du wissen, sprich!

CHORFÜHRER.

Wer sind die zwei da, und woher?

WIEDEHOPF.

Gastfreund’ aus Hellas’ weisem Volk!

CHORFÜHRER.

Welch Ungefähr führt sie denn

Beid’ hierher ins Vögelreich?

WIEDEHOPF.

Der Wunsch, mir dir, nach deiner Sitt’

Und Art zu leben allezeit!

CHORFÜHRER.

So? Und was bringen sie da vor?

WIEDEHOPF.

Unglaublich klingt es, unerhört!

CHORFÜHRER.

Wie denken sie die Aufenthaltsbewilligung

Zu lohnen uns? Und wollen sie

Mit uns dem Feinde schaden und

Befördern ihrer Freunde Wohl?

WIEDEHOPF.

Ein großes Glück verheißt er uns,

Unglaublich, unaussprechlich groß!

Daß rundum alles euch gehört,

Was unten, oben, rechts und links,

Das demonstriert er euch aufs Haar.

CHORFÜHRER.

Ist er verrückt denn, der Tropf?

WIEDEHOPF.

Oh, ein durchtriebener Kopf!

CHORFÜHRER.

Sollte was hinter ihm sein?

WIEDEHOPF.

Der ist verschlagen und fein!

Der Witz, der Kniff, der Pfiff, der Scharfsinn selbst!

CHORFÜHRER.

Ich will ihn hören, ruf ihn gleich!

Was du da sagst – mich juckt’s davon

Schon jetzt in allen Federn!

WIEDEHOPF zu Pisthetairos und Euelpides.

Wohlan denn du, und du, den Waffenplunder

Schafft weg und hängt zur guten Stund’ ihn auf

Im Rauchfang, bei dem Bild des Feuergottes!

Du aber laß dein Wort, zu dem ich sie

Berief, uns hören: sprich!

PISTHETAIROS.

Beim Phoibos, nein!

Wenn sie mit mir nicht eingehn den Vertrag,

Wie ihn mit seinem Weib der ›Affe‹ schloß,

Der Messerschmied: – mich nicht zu beißen, nicht

Am Hodensack zu zerren, nicht zu krabbeln

Mir da –

CHORFÜHRER.

Dahinten? – Nein!

PISTHETAIROS.

Am Auge, mein’ ich!

CHORFÜHRER.

Das geh’ ich ein!

PISTHETAIROS.

Beschwöre mir’s!

CHORFÜHRER.

Ich schwöre!

So wahr ich mit den Stimmen aller Richter

Und alles Volks zu siegen wünsch’ –

PISTHETAIROS.

Es gilt!

CHORFÜHRER.

– Und halt’ ich’s nicht – mit einer Stimme nur!

PISTHETAIROS zu Euelpides.

Hört, Bürger und Soldaten, geht mit Wehr

Und Waffen jetzt nach Haus; und habt wohl acht

Des Maueranschlags, der das Weitre sagt!

ERSTER HALBCHOR.

So verschlagen in allen Stücken auch der Mensch

Von Haus aus ist, doch will ich dich hören; sag an!

Denn wohl ist es möglich,

Daß du bessern Rat mir zu geben imstand bist,

Als ich selbst es vermöchte,

Und zu größerer Macht mir verhelfen kannst,

Die mein blöderer Geist nicht geahnt: drum rede!

Was Ersprießliches du uns

Zu verschaffen weißt – wir teilen es redlich!

CHORFÜHRER.

Wohlan denn, was gab den Gedanken dir ein, was bewog dich, an uns dich zu wenden?

Das berichte getrost! Denn wir werden zuerst den geschloßnen Vertrag nicht verletzen!

PISTHETAIROS.

Schon gärt mir’s im Kopfe, beim Zeus, und der Teig zu der Rede, schon ist er im Gehen;

Jetzt ohne Verzug, jetzt knet’ ich ihn aus! Einen Kranz her, Bursch, und ein Becken!

Komm, gieße das Wasser mir über die Hand –

EUELPIDES.

Wie? Geht es zum Schmause denn, oder –

PISTHETAIROS zu Euelpides.

Nichts weniger! Nein, ich studiere schon lang auf ein mächtiges, schlagendes Kraftwort,

Zu erschüttern die Seele des Volks –

An den Chor.

Ja seht, nur für euch bin ich also bekümmert,

Daß ihr, einst Könige –

CHORFÜHRER.

Könige wir? Über was denn?

PISTHETAIROS.

Könige, freilich,

Über alles, was lebt und webet, zuerst über mich, über den da

Auf Euelpides deutend.

ja Zeus selbst;

Denn älter, weit älter ist euer Geschlecht, als Kronos zusamt den Titanen

Und die Erde –

CHORFÜHRER.

Die Erde?

PISTHETAIROS.

Fürwahr, bei Apoll!

CHORFÜHRER.

Ei, das erste Wort, das ich höre!

PISTHETAIROS.

O Einfalt! Du hast dich nicht umgetan und deinen Aisop nicht gelesen,

Der es deutlich doch sagt, daß die Schopflerch’ einst der erste der Vögel gewesen,

Eh’ die Erde noch war! Und da sei ihr am Pips ihr Vater gestorben und habe

Fünf Tag’ unbeerdigt gelegen, dieweil die Erde noch nicht existierte;

Aus Verzweiflung grub dann im eigenen Kopf sie ein Loch zu des Vaters Bestattung.

EUELPIDES.

So liegt denn der Vater der Schopflerch’ jetzt, der sel’ge, begraben im Schopfloch.

PISTHETAIROS.

Und wenn sie nun lang vor der Erde, lang vor den Göttern gelebt, da gebührt doch

Als den Ältesten ihnen mit Fug und Recht die Gewalt und das Zepter der Herrschaft!

EUELPIDES.

Beim Apollon, gewiß! Drum laß dir nur ja lang wachsen in Zukunft den Schnabel,

Denn das Zepter wird Zeus abtreten so schnell nicht dem tannenpickenden Schwarzspecht!

PISTHETAIROS.

Daß wirklich nun aber die Götter nicht vorzeiten die Menschen beherrschten,

Daß die Vögel als Könige herrschten, dafür gibt’s hundert und tausend Beweise.

So war, zum Exempel, vorzeiten der Hahn souveräner Regent und Gebieter

Im persischen Reich, vor den Fürsten lang, vor Dareios und Megabyzos,

Drum heißt er denn auch, weil er einst dort gebot, der persische Vogel noch heute.

EUELPIDES.

Drum stolziert er auch noch auf den heutigen Tag mit der aufrecht spitzen Tiara

Auf dem Kopf umher, wie der große Schah, er allein von sämtlichen Vögeln.

PISTHETAIROS.

So gewaltig war er, so mächtig und stark, daß heut noch, wenn mit dem Tag er

Sein Morgenlied kräht, die Schlafenden all’, seiner sonstigen Größe gedenkend,

Aufspringen und rasch an die Arbeit gehn, die Töpfer, die Schmiede, die Gerber,

Mehlhändler, Barbierer und Schneider und Schuh- und Harfen- und Schildfabrikanten,

In die Schlappschuh’ fahren im Dunkeln sie schnell und rennen –

EUELPIDES.

Da hört ein Geschichtchen:

Mein Mantel von phrygischem Wollenzeug, durch den Göckel kam ich um diesen!

Ich war in die Stadt zu dem Namensfest eines Bübchens geladen, da trank ich

Mir ein Räuschchen und dämmert’ allmählich ein, eh’ die andern noch tranken: da kräht’ er;

Ich, wähnend, es tag’, geh’ Halimos zu und laviere so grad’ vor die Mauern

Hinaus: da versetzt mir ein Straßendieb mit dem Knüttel eins über den Rücken:

Da lag ich im Dreck und versuchte zu schrein, doch davon war Mantel und Spitzbub!

PISTHETAIROS.

Der Hellenen König und Herrscher, das war in selbigen Zeiten der Weihe!

EUELPIDES.

Der Hellenen auch?

PISTHETAIROS.

Und er führte zuerst als ihr Herr

und Gebieter den Brauch ein,

Vor dem Weih’ in den Staub sich zu werfen.

EUELPIDES.

Ach ja, so warf ich mich selbst bei dem Anblick

Eines Weihen einmal in den Staub, und es fuhr, wie ich offnen Maules so dalag,

In den Hals mir hinunter mein Obolosstück: leer bracht’ ich nach Hause den Schnappsack!

PISTHETAIROS.

Im Ägyptenland und im weiten Gebiet der Phoinikier herrschte der Kuckuck,

Und sobald sein ›Kucku‹! der Kuckuck rief, da machten sich schnell auf die Beine

Die Phönizier all’ und schnitten ihr Korn auf den Äckern, und Gersten und Weizen.

EUELPIDES.

Potz Tausend! Da kommt wohl das Sprichwort her: »Kuckuck, in das Feld, ihr Beschnittnen!«

PISTHETAIROS.

So gewaltig regierten die Vögel im Land, daß, wo in den Städten von Hellas

Ein König noch war, Menelaos etwa, Agamemnon oder ein andrer,

Da saß auf dem Zepter ein Vogel ihm auch, um zu teilen mit ihm die – Schmieralien.

EUELPIDES.

Von all dem wußt’ ich kein Wörtchen und sah mit Verwundrung, wie mit dem Vogel

Auf dem Zepter hervor oft Priamos trat auf die Bühne: da stand er, der Vogel,

Und lauerte scharf dem Lysikrates auf, was er etwa bekäm’ an Schmieralien.

PISTHETAIROS.

Doch das Schlagendste, Freunde, das kommt erst jetzt! Zeus selber, der Herrscher von heute,

Da steht er, der König der Könige, doch mit dem Vogel, dem Adler, zu Häupten;

Mit der Eule sein Kind, die Athene; sein Knecht und Getreuer Apoll mit dem Habicht.

EUELPIDES.

Ganz richtig bemerkt: bei Demeter, so ist’s! Doch wozu die Begleitung der Vögel?

PISTHETAIROS.

Deshalb: wenn einer beim Opfern das Herz und die Leber, so wie es gebräuchlich,

In die Hand ihm drückt – daß sie selbst vor Zeus das Herz und die Leber sich nehmen! –

Bei den Göttern schwur kein Sterblicher sonst, jedmänniglich schwur bei den Vögeln;

Noch heut, wenn Lampon aufs Prellen ausgeht – nicht bei Zeus, er schwört bei dem Zeisig.

So hat man vorzeiten euch überall als heilig verehrt und gewaltig!

Jetzt sieht man für Tölpel, für Sklaven euch an

Und schlägt euch wie wütende Hunde tot

Und schießt nach euch in den Tempeln sogar!

Und die Vogelsteller, sie lauern euch auf

Mit Netz, Leimrute, mit Schling’ und Garn,

Mit Dohne, mit Sprenkel und Meisenschlag.

Und sie fangen und bringen euch schockweis zu Markt,

Und da kommen die Käufer und greifen euch aus!

Und sie braten euch, Wetter! Und wären sie nur

Noch zufrieden, euch so zu servieren bei Tisch!

Da kommt noch geriebener Käse dazu,

Weinessig und Baumöl, Teufelsdreck

Und Honig und Speck, durcheinandergerührt,

Und die Sauce dann schütten sie siedendheiß

Euch über das Fell,

Als wär’ es verstunkenes Luder!

ZWEITER HALBCHOR.

O wie schwer, o wie schwer das Wort aufs Herz mir fällt,

Das du, Alter, mir sagst! Ich beweine die Schmach

Und die Feigheit der Väter,

Welche so glänzende Hoheit, ererbt von den Ahnen,

Mir zum Schaden verscherzten.

Doch es führt ja so glücklich ein gutes Geschick

Dich als Retter mir jetzt und Beschirmer entgegen.

In die Arme dir sink’ ich

Mit den Küchlein, um fortan im Frieden zu wohnen!

CHORFÜHRER.

Nun erkläre dich aber, was müssen wir tun? Denn es lohnt nicht der Mühe zu leben,

Wenn wir unser erbeigenes Königtum, wie auch immer, nicht wiedererobern!

PISTHETAIROS.

So vernehmt mein Wort: Eine Stadt muß erstehn zur Behausung sämtlicher Vögel;

Dann müßt ihr die Luft, den unendlichen Raum, müßt Himmel und Erd’ ihr begrenzen,

Wie Babylon, rund mit Mauern umziehn, kolossal aus gebackenen Quadern!

WIEDEHOPF.

Kebriones, ha! und Porphyrion! Welch himmelanstrebender Stadtbau!

PISTHETAIROS.

Und sobald sie dann steht, die erhabene Stadt, dann verlangt ihr von Zeus, daß er abdankt,

Und will er nicht dran und schlägt er es ab und besinnt sich nicht gleich eines Bessern,

Dann erklärt ihr ihm selber den heiligen Krieg und verbietet den sämtlichen Göttern,

Durch euer Gebiet auf den Strich zu gehn mit himmelansteigender Rute,

Wie sie früher so oft eh’brecherisch geil zu Alkmene sich niederließen,

Zu Alope, Leda und Semele; und kommen sie dennoch, dann müßt ihr

Sie kurzweg infibulieren, damit sie die Weiberchen lassen in Ruhe.

‘Nen Vogel schickt ihr dann ohne Verzug zu den Menschen hinab als Gesandten

Und gebietet: als Königen sollen sie euch von der Stund an opfern, den Vögeln;

Und nach euch erst kriegen die Götter ihr Teil: und es steht dann geziemenderweise

Den Göttern stets ein Vogel zur Seit’, wie er eben für jeglichen passend:

So, wer Aphroditen ein Opfer weiht, der streue dann Körner dem Sperling,

Und wer dem Poseidon ein Schaf darbringt, der bedenke die Ente mit Weizen,

Wer ein Rind dem Herakles, bediene zugleich mit Honigkrapfen die Kropfgans,

Wer dem Zeus als König ‘nen Schafbock weiht – Zaunkönig ist ebenfalls König,

Und es ziemt sich, vor Zeus ihm den männlichen – Floh als hüpfendes Böcklein zu schlachten!

EUELPIDES.

Ein ergötzlicher Spaß – der geschlachtete Floh!

Ei, da schlage der Donner des Zeus drein!

WIEDEHOPF.

Wie sollen denn aber für Götter und nicht für Dohlen die Menschen uns achten?

Wir fliegen und haben doch Flügel am Leib?

PISTHETAIROS.

O Einfalt! Hat denn nicht Flügel

Auch Hermes und fliegt, und er ist doch ein Gott, und es fliegen der Götter noch viele,

Die Nike mit goldenen Schwingen, sie fliegt, und es fliegt doch, beim Zeus! auch der Eros,

Und »der schüchternen Taube vergleichbar« ist nach Vater Homeros die Iris?

WIEDEHOPF.

Schlägt Zeus dann nicht drein mit dem Donnerkeil und schickt uns geflügelte Blitze?

PISTHETAIROS.

Und wollen für nichts euch die Sterblichen dann, aus purer Beschränktheit, noch achten

Und für Götter dort oben nur die im Olymp, dann soll eine Wolke von Spatzen,

Ein fliegendes, körneraufpickendes Korps, wegschnappen die Saaten der Äcker;

Und metzenweis mag die Demeter dann an die Hungrigen Weizen verteilen.

EUELPIDES.

Die läßt das wohl sein, gib acht, die ersinnt Ausreden und läßt sie verhungern!

PISTHETAIROS.

Dann laßt ihr die Raben dem mageren Vieh, mit dem sie die Äcker bepflügen,

Und den Schafen aushacken die Augen, damit sie erkennen, wer Herr ist und Meister;

Und Apollon, der Arzt, er kuriere sie dann, wie er pflegt – für bare Bezahlung!

EUELPIDES.

Nur ein bißchen noch wartet! Ich möchte nur erst meine Stierchen zuvor noch verkaufen!

PISTHETAIROS.

Doch beten als Schöpfer und Gott sie dich an, als Poseidon, Kronos und Gaia,

Dann genießen sie Güter im Überfluß!

WIEDEHOPF.

So nenne mir eines der Güter!

PISTHETAIROS.

Nie werden den knospenden Reben fortan Heuschrecken die Augen zerfressen,

Denn Sperber und Eulen – nur eine Schwadron wird genug sein, sie zu vertilgen.

Gallwespen und Fliegen und andres Geschmeiß, sie benagen nicht länger die Feigen,

Denn die Krammetsvögel, ein einziger Schwarm – glattsauber putzt er die Bäume.

WIEDEHOPF.

Wo kriegen wir aber den Reichtum her für die Menschen? Das ist ja ihr Liebstes!

PISTHETAIROS.

Wer um Silberminen die Vögel befragt, – sie verleihn die ergiebigsten Schachte;

Wo die besten Geschäfte zu machen sind, durch die Seher erfährt er’s von ihnen;

Nicht ein Seefahrer verunglückt mehr!

WIEDEHOPF.

Nicht einer? Wie sollte das zugehn?

PISTHETAIROS.

Ein Vogel wird jeden, sobald er ihn fragt, vor der Fahrt aufs beste beraten:

›Jetzt segle nicht ab: denn es droht dir ein Sturm!‹ – ›Du gewinnst: jetzt lichte die Anker!‹

EUELPIDES.

Ei, da kauf’ ich ein Schiff mir und stech’ in die See: ich verlass’ euch, ich bleibe nicht länger!

PISTHETAIROS.

Dann decken sie ihnen die Schätze auf, die die Leute vor alters verscharrten,

Voll blinkenden Silbers: sie wissen gar wohl, wo sie liegen, drum heißt es im Sprichwort:

»Ich hab’ ‘nen Schatz, und es weiß es kein Mensch wo er liegt: das weiß nur der Geier!«

EUELPIDES.

Ich verkaufe mein Boot, schaff’ Hacken herbei, und da grab’ ich mir Töpfe voll Gold aus.

WIEDEHOPF.

Wie verschaffen wir ihnen Gesundheit denn? Bei den Göttern ja wohnt Hygieia?

PISTHETAIROS.

Wenn’s ihnen nun aber recht grundwohl geht, das ist doch Gesundheit die Fülle!

Denn, sieh mal, geht es dem Menschen schlecht, dann fehlt die Gesundheit ihm vornweg!

WIEDEHOPF.

Wo bekommen wir aber das Alter her? Denn das Alter ist auch im Olympos:

Dann sterben die Menschen als Kinder schon weg –

PISTHETAIROS.

Mitnichten! Die Vögel, sie legen

Dreihundert Jahre den Menschen noch zu!

WIEDEHOPF.

Und woher denn?

PISTHETAIROS.

Woher? Von sich selber!

»Die krächzende Krähe«, das weißt du doch wohl, »fünf Menschenalter durchlebt sie.«

EUELPIDES gegen das Publikum.

Potz Wetter, das nenn’ ich mir Könige, die weit besser als Zeus für uns taugen!

PISTHETAIROS ebenso.

Das mein’ ich doch auch!

Wir brauchen da marmorne Tempel nicht mehr

Zu errichten für sie und Portale daran

Zu erbaun aus Gold: oh, die wohnen auch gern

Im Wacholdergebüsch und im Haselnußstrauch,

Und der Ölbaum wölbt sich zum heiligen Dom

Für die Allerhöchsten im Vogelreich.

Nach Delphi zu pilgern, zu Ammons Sitz

Und zu opfern daselbst, fällt keinem mehr ein:

Wir stellen uns mitten ins Dickicht hin

Von wilden Oliven und Erdbeergebüsch

Und streu’n Hanfkörner und Weizen für sie

Und flehn mit erhobenen Händen sie an

Um Geld und Gut, und das wird uns dann auch

Ohne weitres gewährt

Für die Handvoll Korn, die wir streuen!

CHORFÜHRER.

Ehrwürdiger Greis, zum vertrautesten Freund aus dem bittersten Feind mir geworden,

Nie weich’ ich von dir, treu werd’ ich bei dir und deinen Entwürfen verharren!

Durch deiner Worte Kraft begeistert schwör’

Ich’s heilig, und die Drohung sprech’ ich aus:

Wenn du in heiliger Allianz

Mit mir zum Kampf auf Tod und Leben

Dich verbündest und treu

Wider die Götter mir hilfst,

Ein Herz und eine Seele, Freund,

Dann, Götter, sollt ihr länger nicht

Unser Zepter schänden!

Und das machen wir so: wo der rüstigen Kraft es bedarf, da postieren wir selbst uns;

Wo es aber zu denken, zu raten gilt, da vertrauen wir deinem Genie uns!

WIEDEHOPF.

Nun aber ist, beim Zeus, nicht mehr zum Zaudern

Und Schlafen Zeit, zur Nikiasnickerei!

Wir müssen handeln, und das gleich! So tretet

Vorerst hier ein in meine Nestbehausung

Und nehmt vorlieb mit Halmen, Stroh und Reisig!

Ei, nennt uns doch auch eure Namen!

PISTHETAIROS.

Gern,

Ich heiße Pisthetairos!

WIEDEHOPF.

Schön! Und du?

EUELPIDES.

Euelpides von Thria.

WIEDEHOPF.

Seid mir beide

Willkommen!

PISTHETAIROS.

Schönen Dank!

WIEDEHOPF.

Nun tretet ein!

PISTHETAIROS.

Geh du voran, wir folgen dir.

WIEDEHOPF.

So kommt!

PISTHETAIROS.

Halt! Du, wie ist denn das? – Komm doch zurück!

Wie können wir, die Unbeflügelten,

Mit euch denn leben, den Beflügelten?

WIEDEHOPF.

Ganz gut!

PISTHETAIROS.

Du weißt, wie übel in der Fabel

Aisops es jenem Fuchs ergangen ist,

Der mit dem Aar gemeine Sache machte!

WIEDEHOPF.

Sei unbesorgt! Es gibt ein Würzelchen:

Das kaut ihr nur, dann seid ihr gleich beflügelt.

PISTHETAIROS.

Nun denn, wir folgen!

Zu den Sklaven.

Du da, Manodoros

Und Xanthias, nehmt die Bagage mit!

CHORFÜHRER.

Noch ein Wort, noch ein Wort, ei so höre doch!

WIEDEHOPF.

Nun?

CHORFÜHRER.

Du geleitest ins Nest sie, die Gäste,

Und bewirtest sie gut! Doch die Nachtigall, Freund, die süße Gespielin der Muse,

Die schick uns heraus zur Gesellschaft und laß mit der Holden uns spielen und scherzen!

PISTHETAIROS.

O ja, bei Zeus, tu ihnen den Gefallen

Und lock das Vögelchen aus dem Gebüsch!

EUELPIDES.

Ja, bei den Göttern, lock es her und gönn’

Auch uns den Anblick deiner Nachtigall!

WIEDEHOPF.

Nun, wenn ihr wollt, so sei es!

Ruft ins Gebüsch.

Philomele,

Komm ‘raus und zeige dich den werten Gästen!

Philomele tritt auf als Flötenspielerin, mit einer Vogelmaske.

PISTHETAIROS.

Großmächt’ger Zeus, welch niedlich Vögelchen,

Wie zart, wie weiß –

EUELPIDES.

Ich sage dir, mit der

Probiert’ ich schon vierfüßig eins zu spielen!

PISTHETAIROS.

Was die mit Gold behängt ist! wie die Jungfrau!

EUELPIDES.

Kaum halt’ ich mich: ich muß, ich muß sie küssen!

PISTHETAIROS.

Du Narr, sieh nur den Bratspießschnabel an!

EUELPIDES.

Ich darf ihr nur die Eierschale da

Vom Köpfchen streifen – komm und laß dich küssen!

WIEDEHOPF nimmt ihn am Arm.

Gehn wir hinein!

PISTHETAIROS.

Glück zu! Wir folgen dir!

Alle ab.

CHOR singt.

Liebliches Blondköpfchen,

Süßestes Vögelein,

Meiner Lieder Begleiterin,

Nachtigall, holde Gespielin!

Bist du’s, bist du es, kommst du,

Bringst du mir süße Gesänge mit?

Komm und flöte mir himmlische

Frühlingstön’! Anapästische

Rhythmen laß uns beginnen!

Flötenspiel.

CHORFÜHRER an die Zuschauer.

O ihr Menschen, verfallen dem dunkeln Geschick, »den Blättern des Waldes vergleichbar,«

Ohnmächtige Zwerge, Gebilde von Lehm, traumähnliche Schattengestalten,

O ihr Eintagsfliegen, der Flügel beraubt, ihr erbärmlichverweslichen Wesen,

Jetzt lauschet und hört die Unsterblichen an, die erhabenen, ewiglich jungen,

Die ätherischen, himmlischen, seligen, Uns, die Unendliches sinnenden Geister,

Die euch offenbaren die Lehre vom All und den überirdischen Dingen:

Wie die Vögel entstanden, der Götter Geschlecht, und die Ströme, die Nacht und das Chaos:

Auf daß ihr erkennet, was ist und was war, und zum Geier den Prodikos schicket!

In der Zeiten Beginn war Tartaros, Nacht, und des Erebos Dunkel und Chaos;

Luft, Himmel und Erde war nicht; da gebar und brütet’ in Erebos’ Schoße,

Dem weiten, die schattenbeflügelte Nacht das uranfängliche Windei;

Und diesem entkroch in der Zeit Umlauf der verlangenentzündende Eros,

An den Schultern von goldenen Flügeln umstrahlt und behend wie die wirbelnde Windsbraut.

Mit dem Chaos, dem mächtigen Vogel, gepaart, hat der in des Tartaros Tiefen

Uns ausgeheckt und heraufgeführt zu dem Lichte des Tages, die Vögel.

Noch war das Geschlecht der Unsterblichen nicht, bis er alles in Liebe vermischte.

Wie sich eins mit dem andern dann paarte, da ward der Okeanos, Himmel und Erde,

Die unsterblichen, seligen Götter all! – Und so sind wir erwiesenermaßen

Weit älter, als alle Unsterblichen sind! Denn, daß wir von Eros gezeugt sind,

Ist sonnenklar: denn wir fliegen wie er und gesellen uns gern den Verliebten:

Manch reizenden Knaben, der kalt sich verschloß, hat nah an der Grenze der Jugend

Durch unsre Gewalt der verliebte Freund noch gewonnen durch Vögelpräsente:

Durch ein Perlhuhn oder ein Gänschen wohl auch, durch Wachteln und persische Vögel!

Was es Schönes auf Erden und Großes gibt, das verdanken uns alles die Menschen:

Wir verkünden die wechselnden Zeiten des Jahrs, den Frühling, den Sommer, den Winter:

Der Kranich, er mahnt euch zu säen im Herbst, wenn er krächzend nach Libyen wandert,

Und der Seemann hängt sein Steuer alsdann in den Rauch, um aufs Ohr sich zu legen:

Den Orestes heißt er sich weben ein Kleid, um im Frost es nicht stehlen zu müssen.

Kommt aber der Weih, so verkündet er euch nach dem Winter die mildere Jahrszeit,

Wo die Frühlingswolle den Schafen ihr müßt abscheren; die zwitschernde Schwalbe,

Die erinnert euch jetzt, zu vertrödeln den Pelz und ein sommerlich Röckchen zu kaufen;

Kurz, Ammon sind wir und Delphi für euch und Dodona und Phoibos Apollon!

Stets wendet ihr euch an die Vögel zuerst, eh’ eure Geschäft’ ihr besorget,

Als: Lohnarbeit und Kauf und Verkauf und Eheverlöbnis und Hochzeit.

Wer beißt euch die Mutter ins Bein und verheißt und beschert euch den Segen? – Der Storch ist’s!

Gar manchem entschlüpft vor Verwund’rung ein ›Ei!‹ und ihr ›höret ein Vögelchen pfeifen‹;

›Das weiß nur der Geier!‹ bekennt ihr, und geht euch ein Licht auf, sagt ihr: ›Es schwant mir!‹

Erkennt ihr es endlich und seht ihr in uns den leibhaftigen Seher Apollon?

Nun wohlan! Wofern ihr als Götter uns ehrt,

Weissagende Musen dann habt ihr für Wind

Und Wetter, für Sommer und Winter und Lenz

Und die Kühle des Herbsts! Wir entlaufen euch nicht,

Wir setzen uns nicht vornehm und bequem

In die Wolken hinauf so breit wie Zeus;

Aus traulicher Nähe verleihen wir euch,

Euch selbst samt Kindern und Enkeln, Gedeih’n

Und Gesundheit die Füll’,

Und Leben und Segen und Frieden und Ruh’

Und Vergnügen und Spaß und Jugend und Tanz,

Und Hühnermilch!

Ja, ihr werdet’s, ihr all’, aushalten nicht mehr

Vor Vergnügen und Lust:

So werdet ihr schwimmen im Reichtum!

ERSTER HALBCHOR.

Gesang mit Flötenbegleitung.

Melodienreiche –

Die Nachtigall fällt ein.

Tiotio tiotio tiotio tiotinx!

Muse des Hains, mit der ich oft

In Tälern und hoch auf waldigen Bergen –

Wie oben.

Tio tio tiotinx!

Schaukelnd im schattigen Laube der Esche mein Lied –

Tiotio tiotio tiotinx!

Aus der Tiefe der Brust ausströmte, den Pan

Feiernd mit heiligem Sang und die hehre

Bergedurchschwärmende Mutter der Götter, –

Tototo tototo totototinx!

Dort, wo gleich der Biene schwärmend

Phrynichos einst sich gepflückt

Des Gesanges ambrosische Frucht, der Sänger

Unerschöpften Wohllauts!

CHORFÜHRER an die Zuschauer.

Hat von euch Zuschauern etwa einer Lust, sein Leben froh

Mit den Vögeln hinzuspinnen? – Macht euch auf und kommt zu uns!

Denn was hierzulande schändlich und verpönt ist durchs Gesetz,

Das ist unter uns, den Vögeln, alles löblich und erlaubt.

Wenn es hier für Infamie gilt, seinen Vater durchzubleu’n,

Ei, bei uns, da gilt’s für rühmlich, wenn der Sohn den Vater packt,

Tüchtig prügelt und noch auslacht: ›Wehr dich, wenn du Sporen trägst!‹

Ist bei euch gebrandmarkt einer als ein durchgebrannter Sklav’,

Der erhält bei uns den Namen: buntgefleckter Pelikan;

Und wenn unter euch ein Myser etwa ist, wie Spintharos,

Der passiert bei uns als Meise, von Philemons Vetterschaft.

Wer ein Sklav’ ist und ein Karer, gleich dem Exekestides,

Mag mit uns als Gimpel leben, und da hat er Vettern g’nug.

Wer, wie Peisias’ Sohn, den Frevlern heimlich öffnen will das Tor,

Ein Zaunschlupfer mag er werden, seines Vaters würd’ge Brut;

Denn bei uns – wer wird ihn schelten, wenn er durch die Zäune schlüpft?

ZWEITER HALBCHOR.

Gesang.

Und Schwäne stimmten –

Tiotio tiotio tiotiotinx!

Lieder mit an und jauchzten laut,

Mit den Flügeln schlagend zum Preis des Apollon, –

Tiotio tiotio tiotinx!

Ruhend am Ufer, den flutenden Hebros entlang;

Tiotio tiotio tiotinx!

Und es schwang ihr Gesang sich zum Äther empor:

Tiere des Waldes, sie lauschten und stutzten,

Spiegelhell ruhten, geglättet die Wogen –

Tototo tototo tototototinx!

Widerhallte der ganze Olympos,

Staunen ergriff auf dem Thron

Die Götter, die Grazien stimmten mit ein

Und Musen in den Jubel!

CHORFÜHRER an die Zuschauer.

Nichts ist schöner, nichts bequemer, glaubt mir, als geflügelt sein!

Posito, ihr hättet Flügel, und gelangweilt fühlte sich

Ein Zuschauer hier, aus purem Hunger, durch ein Trauerspiel:

Nun, der flöge schnell nach Hause, nähm’ ein Gabelfrühstück ein,

Und mit vollem Magen käm’ er dann im Flug hierher zurück.

Wenn ein Patrokleides unter euch in Leibesnöten ist,

Braucht er’s nicht ins Hemd zu schwitzen: ›Platz, ihr Herrn!‹ – er fliegt davon,

Dampft sich aus, und wohlgelüftet kommt er flugs hierher zurück.

Wenn – ich meine nur – in eurer Mitt’ ein Ehebrecher sitzt,

Und er sieht den Mann der Dame auf den Ratsherrnbänken hier,

Über euren Häuptern fliegt er auf der Liebe Schwingen weg,

Protzt schnell ab und ist im Umsehn wieder hier auf seinem Platz!

Flügel zu besitzen – kennt ihr, sagt es selbst, ein schöner Glück?

Hat Diitrephes, der Flügel nur aus Flaschenbast besaß,

Doch zum Hauptmann, Reiteroberst sich erhoben, ist aus nichts

Nun ein großer Mann geworden, wie ein Roßhahn aufgebläht!

Zweite Szene

Der Chor. Pisthetairos und Euelpides, beide mit Vogelmasken und Flügeln. Später nacheinander: Ein Priester, ein Poet, ein Wahrsager, Meton, ein attischer Kommissär, ein Ausrufer.

PISTHETAIROS lachend.

Das wär’ vorüber! – Aber nein, bei Zeus,

So spaßhaft hab’ ich doch noch nichts gesehn!

EUELPIDES.

Was lachst du?

PISTHETAIROS lachend.

Die improvisierten Flügel! –

Du, weißt du, wem du gleichst mit deinen Federn?

‘Ner Gans, die roh ein Maler hingekleckst!

EUELPIDES.

Du einer Amsel mit gerupftem Kopf!

PISTHETAIROS.

So sind wir denn, nach Aischylos, jetzt Vögel,

»Durch fremdes nicht, durch eigenes Gefieder.«

CHORFÜHRER.

Was muß denn jetzt geschehn?

PISTHETAIROS.

Vor allem geben

Der Stadt wir einen Namen, groß und prächtig!

Dann opfern wir den Göttern!

CHORFÜHRER.

Meinetwegen!

Laßt sehn, wie nennen wir die Stadt denn gleich?

EUELPIDES.

Wollt ihr was Großes, was Lakonisches?

Benennen wir sie Sparta?

CHORFÜHRER.

Nein, da sei

Herakles vor! Wer spart da, wo es gilt

Zu baun der Vögel stolze Residenz?

EUELPIDES.

Nun, welchen Namen willst du denn?

CHORFÜHRER.

Er muß

Hoch in die Wolken, in den Weltraum ragen,

– Ein rechtes Maul voll!

PISTHETAIROS der indessen nachdenklich gestanden, ruft plötzlich.

Wolkenkuckucksburg?

Nicht wahr?

CHOR.

Ja, Wolkenkuckucksburg! Juhe!

CHORFÜHRER.

Prachtvoller Name, den du da gefunden!

EUELPIDES.

Ist das dasselbe Wolkenkuckucksburg,

Wo so viel Land Theagenes besitzt

Und Aischines sein Erbgut?

PISTHETAIROS.

Ja, wenn nicht

Dort liegt das Phlegrafeld, wo einst die Götter

Großmäulig die Titanen niedertrumpften!

CHORFÜHRER.

Ha, eine »fette« Stadt! Wer wird denn auch

Ihr Schutzpatron? Wem wirken wir den Peplos?

PISTHETAIROS.

Ich denke, wir behalten die Athene!

EUELPIDES.

Wie kann denn Ordnung sein in einer Stadt,

Wo eine Göttin steht, ein Weib, in Waffen

Bis an die Zähn’ – und Kleisthenes am Webstuhl?

PISTHETAIROS.

Wer schirmt die Mauer, die pelargische?

CHORFÜHRER.

Der Unsern einer, persischen Geblüts,

Ein Vogel, weltbekannt als hitz’ger Degen,

Des Ares Küchlein!

EUELPIDES.

Küchlein, hoher Gott,

Wie thronst du passend auf der Felsenzinne!

PISTHETAIROS zu Euelpides.

Hör, Freund, du mußt jetzt in die Luft hinauf!

Geh dort den Maurern an die Hand, zieh aus

Den Rock, und trage Stein’ und rühre Kalk,

Den Kübel trag hinauf, und fall die Leiter

Herab, stell Wachen aus, hab acht aufs Feuer,

Geh mit der Schell’ herum, und schlaf dabei,

Schick einen Herold zu den Göttern droben,

Und an die Menschen drunten einen zweiten,

Und dann zurück, meinthalb, zu mir –

EUELPIDES in den Bart murmelnd.

Und du

Bleib hier meinthalb und hole dich der –

PISTHETAIROS.

Bester,

Tu, wie ich sag’: es geht nicht ohne dich!

Euelpides ab.

Ich aber will den neuen Göttern opfern

Und zur Prozession den Priester rufen.

Abgehend zu den Sklaven.

Weihwasser, Bursch, und bring’ den Opferkorb!

DER PRIESTER kommt mit Pisthetairos.

Ich bin dabei, ich steh’ zu Dienst;

Ja, den Vorschlag heiß’ ich gut:

Laßt uns in festlichem Zug

Wallen den Göttern zu Ehren!

Und ich denke, wir schlachten auch ihnen zum Dank

Einen stattlichen Bock!

Zum Raben, der als Flötenspieler fungiert.

Voran, voran denn, pythisch Flötenspiel!

Mitpfeifen mag auch Chairis!

PISTHETAIROS zum Raben.

Hör auf zu blasen! Wetter, was ist das?

Beim Zeus, ich sah schon viel’ und närr’sche Dinge,

Doch einen Maulkorbrabenspielmann nie!

Zum Priester.

Auf, Priester, opfre jetzt den neuen Göttern!

PRIESTER.

Sogleich! Wo ist der Bursche mit dem Korbe?

Der Sklave mit dem Korb tritt vor den Priester, nimmt Fleisch usw. heraus.

Jetzt betet zur geflügelten Hestia

Und zum herdbeschirmenden Weihen,

Zu den olympischen Vögeln

Und Vögelinnen,

Zu jeder und jedem ……

PISTHETAIROS.

Heil dir auf Sunion, Seeschwallbeherrscher!

PRIESTER.

Und zum pythischen und zum delischen Schwan,

Zur ortygischen Wachtel Leto,

Und zur Waldschnepfe Artemis ……

PISTHETAIROS.

Waldfürstin einst, Waldschnepfe jetzt, erhör uns!

PRIESTER.

Und zu dem Spatzen Sabazios,

Und zur Straußin, der großen

Mutter der Götter und Menschen ……

PISTHETAIROS.

… Und Kleokrits! Heil, Straußin Kybele!

PRIESTER.

Verleiht den Wolkenkuckucksburgern

Gesundheit, Heil und Segen,

Ihnen und den Chiern!

PISTHETAIROS lachend.

Die Chier sind doch immer hinten dran!

PRIESTER.

Betet auch zu den Vogelhero’n und ihren Sprossen,

Zum Strandreiter und zum Pelikan,

Zum Steißfuß und zur Kropfgans,

Zum Perlhuhn und zum Pfauen,

Zum Kauz und zur Trappe,

Zum Krabbentaucher, zum Reiher,

Zum Urubu und zum Luruku,

Und zum Kohlmeis’chen –

PISTHETAIROS.

Zum Geier, schweig mit deinem: zumzumzum!

Schau doch das Opfer an, zu dem du Narr

Steinadler lädst und Falken! Siehst du nicht:

Ein einz’ger Weihe fräße das ja auf!

Geh fort mit deiner Priesterbinde, geh!

Ich will das Opfer schon allein verrichten.

Priester ab.

PISTHETAIROS beginnt die Zeremonie wieder.

So will ich denn ein ander Lied

Singen zur Besprengung

Mit dem heil’gen Wasser und laut

Feierlich rufen die Götter –

Oder einen zum wenigsten, denk’ ich, wofern

Noch das Futter reicht!

Denn was an Opferstücken hier zu sehn,

Ist nichts als Haut und Knochen!

Betend und den Weihkessel schwingend.

Laßt betend uns den Vogelgöttern opfern ……

EIN BETTELPOET langhaarig und zerlumpt, tritt auf und singt.

Wolkenkuckucksburg, die beglückte Stadt,

Preise mir, Muse,

Mit deiner Hymnen Wohllaut ……

PISTHETAIROS.

Was kommt da für ein Wesen? Kerl, wer bist du?

POET.

Ich bin ein honigsüßengesangausströmender

»Eifriger Diener der Musen –«

Mit Homeros zu sprechen!

PISTHETAIROS.

Wie kommst du denn als Knecht zu langem Haar?

POET.

Nicht doch! Wir all’, des Gesanges Meister,

Sind »eifrige Diener der Musen« –

Mit Homeros zu sprechen!

PISTHETAIROS.

Dein Flaus hat auch schon lang gedient: man sieht’s!

Nun sprich, Poet, was Henkers führt dich her?

POET.

Ich hab’ auf eure Wolkenkuckucksburg

Viel Oden, Hymnen, Jungfraunchör’ ersonnen,

Prachtvoll, im Stile des Simonides.

PISTHETAIROS.

Wann hast du angefangen, die zu machen?

POET.

Schon lang, schon lang besing’ ich eure Stadt!

PISTHETAIROS.

Was? Feir’ ich denn nicht just ihr Namensfest

Und sage, wie das Kindlein heißen soll?

POET singt.

Aber geschwind eilen die Kunden der Musen,

Gleich wie ein Renner blitzend dahinfährt!

Du nun, »o Vater, Gründer von Aitna,

Hieron, Name voll heiligen Klangs,

O ich bitte dich, gib,

Was du gnädig mir willst

Mit dem Haupte zunicken, o gib, gib, gib!«

PISTHETAIROS.

Der Kerl inkommodiert uns nur! Am besten,

Man gibt ihm was, so werden wir ihn los.

Zu einem Sklaven.

He du, du hast ja Rock und Lederwams,

Zieh’s aus und gib’s dem genialen Dichter!

Zum Poeten.

Da, frostiger Geselle, nimm das Wams!

POET es anziehend.

Ungern nicht empfäht das Geschenk,

Freundlich und hold die Muse;

Aber vernimm und beherzige jetzt

Dieses pindarische Lied!

PISTHETAIROS.

Ich sehe schon, der geht noch nicht vom Platz!

POET.

»Unter nomadischem Skythenvolk

Irrt Straton umher,

Der ein, wollegewoben Gewand’ nicht sein nennt!

Ruhmlos geht« ohn’ Weste das Wams –

»Aber du wirst mich verstehn!«

PISTHETAIROS.

Versteh! Du willst ‘ne Unterweste –

Zum Sklaven.

zieh

Sie aus! Die Künstler muß man unterstützen!

Zum Poeten.

Da nimm und geh jetzt!

POET.

Ja, ich geh’ von hinnen!

Und komm’ ich in die Stadt, dann sing’ ich freudig:

›Preis‹, o König auf goldenem Thron,

Preise die fröstelnde, schnatternde!

Zu dem schneeumwehten, besäten Gefild

Schwang ich mich auf: Trala!’

PISTHETAIROS.

Ei nun, der Schwank beschützt dich doch vorm Schnattern,

Indem du hier zu Wams und Weste kamst!

Poet ab.

Zum Sklaven.

Schwing’ wieder den Weihkessel jetzt im Kreis!

Andächt’ge Stille!

EIN WAHRSAGER rennt herein.

Opfre nicht den Bock!

PISTHETAIROS.

Wer bist du?

WAHRSAGER.

Ich? Ein Seher.

PISTHETAIROS drohend.

Sieh dich vor!

WAHRSAGER.

Tollkühner, spaße nicht mit Göttlichem! –

Hört einen Spruch von Bakis, der bezieht

Sich grad auf Wolkenkuckucksburg! –

PISTHETAIROS.

Warum

Hast du ihn nicht, eh’ ich die Stadt gebaut,

Verkündigt?

WAHRSAGER.

Weil der Gott es mir verbot!

PISTHETAIROS.

Nun, ist es uns vergönnt, den Spruch zu hören?

WAHRSAGER zieht eine Rolle hervor und liest.

»Aber wenn Wölfe dereinst und schwärzliche Krähen zusammen

Wohnen inmitten des Raums, der Sikyon trennt von Korinthos –«

PISTHETAIROS.

Was gehn mich hier denn die Korinther an?

WAHRSAGER.

Der Luftraum ist’s, den Bakis angedeutet!

Liest weiter.

»Opfre zuerst der Pandora den schneeweißwolligen Widder,

Aber dem ersten sodann, der dir mein Orakel verkündet,

Schenke dem Seher ein schmuckes Gewand und neue Sandalen –«

PISTHETAIROS.

Stehn die Sandalen drin?

WAHRSAGER.

Da sieh ins Buch!

»Reiche den Becher ihm dar und fülle mit Fleisch ihm die Hände –«

PISTHETAIROS.

Steht auch vom Fleisch was drin?

WAHRSAGER.

Da sieh ins Buch!

Liest.

»Tust du nach meinem Gebot und folgst mir, o göttlicher Jüngling,

Wirst du ein Aar in den Wolken! Doch wenn du die Gabe verweigerst,

Wirst du nicht Fink und nicht Spatz, nicht Adler, noch Falke, noch Grünspecht!«

PISTHETAIROS.

Das alles steht darin?

WAHRSAGER.

Da sieh ins Buch!

PISTHETAIROS.

Seltsam! Ganz anders lautet das Orakel,

Das ich bei Phoibos selbst mir aufgeschrieben.

Liest von seinem Stock ab.

»Aber wenn frech ein Gauner, ein ungebetner Schmarotzer,

Opfernde stört und begehrt von dem Opfer das Herz und die Leber,

Klopfe den Raum ihm durch, der die Schulter trennt von der Schulter!«

WAHRSAGER.

Ein schaler Spaß von dir!

PISTHETAIROS.

Da sieh ins Buch!

Liest.

»Schone des Lästigen nicht, noch des Adlers in Wolken, und wär’s auch

Lampon oder sogar der große Prophet Diopeithes!«

WAHRSAGER.

Steht alles das darin?

PISTHETAIROS.

Da sieh ins Buch –

Und geh zum Henker!

Prügelt ihn.

WAHRSAGER.

Ich geschlagner Mann!

Ab.

PISTHETAIROS.

Nun lauf woanders hin und prophezeie!

Meton tritt auf mit geometrischen Instrumenten.

METON.

Ich such’ euch heim –

PISTHETAIROS.

Schon wieder so ein Unhold?

Was willst du hier? Was brütet dein Gehirn?

Was führt dich im Kothurnschritt her zu uns?

METON.

Vermessen will ich euch das luft’ge Land

Und juchartweis’ verteilen –

PISTHETAIROS.

Alle Wetter!

Wer bist du?

METON.

Wer ich bin? Ich? – Meton, den

Ganz Hellas und Kolonos kennt!

PISTHETAIROS.

Sag an,

Was hast du da?

METON.

Das Meßzeug für die Luft!

Denn schau: die Luft ist an Gestalt durchaus

Backofenähnlich. – Nehmen wir das Reißzeug

Und setzen hier den krummgebognen Fuß

Des Zirkels ein – verstehst du?

PISTHETAIROS.

Nicht ein Wort!

METON.

Nun leg’ ich an das Lineal und bild’

Ein Viereck aus dem Kreis – hier in die Mitte

Da kommt der Markt, und alle Straßen führen

Schnurgrad zum Mittelpunkt und gehn wie Strahlen

Von ihm, als kugelrundem Stern, gradaus

Nach allen Winden –

PISTHETAIROS.

Hört! Ein zweiter Thales! –

Meton!

METON.

Was gibt’s?

PISTHETAIROS.

Ich mein’ es gut mit dir:

Drum folge mir und mach dich aus dem Staub!

METON.

Ist hier Gefahr?

PISTHETAIROS.

Man treibt hier, wie in Sparta,

Die Fremden aus! Schon mancher ward beseitigt,

Und Prügel regnet’s in der Stadt! –

METON.

Ein Putsch?

Rebellion?

PISTHETAIROS.

Nicht doch!

METON.

Was denn?

PISTHETAIROS.

Einmütig

Beschlossen ist’s – Windbeutel auszustäupen!

METON.

So muß ich mich zurückziehn?

PISTHETAIROS.

Leider ist’s

Vielleicht zu spät!

Schlägt ihn.

Schon pfeift dir’s um die Ohren!

METON.

Ach Gott, ach Gott!

Zieht ab.

PISTHETAIROS.

Hab’ ich dir’s nicht gesagt?

Vermiß du jetzt woanders, du Vermeßner!

Ein Kommissär tritt auf.

KOMMISSÄR.

Wo ist der Resident –?

PISTHETAIROS.

Wer ist denn dieser

Sardanapal?

KOMMISSÄR.

Der Kommissär, gewählt

Für Wolkenkuckucksburg.

PISTHETAIROS.

Der Kommissär?

Wer schickt dich her?

KOMMISSÄR.

Der Wisch da, ausgefertigt

Von Teleas –

PISTHETAIROS.

Ei, willst du nicht den Sold

Einstreichen gleich, die Zeit und Mühe sparen,

Und gehn?

KOMMISSÄR.

Nun ja! Zur Volksversammlung sollt’

Ich ohnehin, für Pharnakes zu wirken!

PISTHETAIROS prügelt ihn.

So packe dich, da hast du deinen Sold!

KOMMISSÄR.

Was soll das?

PISTHETAIROS.

Wirken soll’s für Pharnakes!

KOMMISSÄR zum Chor.

Man schlägt den Kommissär, ihr seid mir Zeugen!

PISTHETAIROS.

Willst du dich schieben, du mit deinen Urnen?

Kommissär ab.

Ist’s nicht empörend? Kommissäre schicken

Sie in die Stadt, noch eh’ sie eingeweiht?

Ein Ausrufer tritt auf und liest aus einer Rolle.

AUSRUFER.

»Und so ein Wolkenkuckucksburger einen

Athener injuriiert –«

PISTHETAIROS.

Was ist das? Wieder so ein Schelmenbuch?

AUSRUFER.

Gesetze hab’ ich feil, die allerneusten

Euch anzubieten kam ich her.

PISTHETAIROS.

Zum Beispiel?

AUSRUFER.

»In Wolkenkuckucksburg soll gelten gleiches

Maß und Gewicht und Recht

Wie zu Heulenburg!«

PISTHETAIROS droht ihm mit dem Stock.

Du kriegst dein Maß nach Beulenburgschem Recht!

AUSRUFER.

Mir dieses?

PISTHETAIROS.

Pack dich fort mit den Gesetzen,

Sonst lehr’ ich dich ein bitterböses kennen!

Prügelt ihn.

Der Kommissär kommt zurück mit einem Zeugen.

KOMMISSÄR.

Den Pisthetairos lad’ ich wegen Realinjurien

Vor auf den Monat Munichion!

PISTHETAIROS.

Du? Alle Wetter! Bist du auch noch da?

Prügelt ihn.

AUSRUFER.

»So aber jemand Staatspersonen nicht respektiert

Und fortjagt, der, laut Anschlag an die Säule –«

PISTHETAIROS.

Das ist zum Bersten! So, auch du noch da?

Ausrufer flieht.

KOMMISSÄR.

Wart nur! Zehntausend Drachmen sollst du mir –

PISTHETAIROS.

Ich reiß’ dir dein Dekret in tausend Fetzen!

KOMMISSÄR.

Denkst du daran, wie nachts du an die Säule – –

PISTHETAIROS.

Haha! Nun packt ihn! Willst du halten, Schurke?

Kommissär ab.

Nun laßt uns aber unverzüglich gehn

Und drin im Haus den Bock den Göttern opfern!

Ab.

ERSTER HALBCHOR.

Opfer und Gelübde weih’n

Nun dem Allsehendallgewalt’gen,

Mir fortan die Sterblichen!

Denn den Erdball überschau’ ich

Und beschirme Blüt’ und Frucht;

Ungeziefer aller Art

Rott’ ich aus, das jeden Keim,

Wie er aufschießt aus dem Grund, mit gefräß’gem Zahn benagt,

Auf den Bäumen sitzt und frißt, bis sie abgeleert und kahl;

Alles töt’ ich, was die grünen

Gärten schändet, arg verwüstet;

Alles Gewürm, was kreucht und schleicht,

Ist des Tods, soweit der Schwung

Meiner Fittiche mich trägt!

CHORFÜHRER an die Zuschauer.

Eben heut wird durch den Herold öffentlich bekanntgemacht:

»Wer Diagoras, den Melier, totschlägt, der bekommt dafür

Ein Talent; und wer der toten Volkstyrannen einen noch

Toter schlagen wird, auch dieser soll bekommen ein Talent!«

Wir nun unsrerseits, wir machen öffentlich bekannt, wie folgt:

»Wer Philokrates, den Finkler, totschlägt, der erhält zum Lohn

Ein Talent, und wer anhero ihn lebendig liefert: vier;

Weil er Finken faßt an Schnüre und für einen Obolos

Sieben gibt, und Drosseln scheußlich aufbläst und zu Markte bringt,

Und den Amseln ihre Flügel in die Nasenlöcher steckt;

Item, weil er freie Tauben fängt und in Verschläge sperrt

Und sie, selbst gebunden, andre in das Garn zu locken zwingt!

Solches tun wir euch zu wissen! Wer Geflügel hält im Hof

Eingeschlossen, fliegen lassen soll er’s! So gebieten wir!

Und gehorcht ihr nicht, dann fangen wir, die Vögel, euch: auch ihr

Sollt alsdann bei uns gebunden Menschen locken in das Garn!«

ZWEITER HALBCHOR.

Flaumbedecktes Vogelvolk,

Glücksel’ges, das im Winter nicht

Mäntel umzuwerfen braucht;

Und es sengt uns nicht des Sommers

Alldurchleuchtend heißer Strahl!

Auf den Blumenmatten wohn’ ich,

In der Blätter grünem Schoß,

Während auf dem Feld ihr Lied die Zikade, gotterfüllt,

In der Mittagsschwüle Glut, sonnetrunken, schrillend zirpt.

Winters wohn’ ich dann in Grotten,

Spiele mit des Waldes Nymphen,

Aber im Frühling naschen jungfräuliche,

Weiße Myrtenbeeren wir

In den Gärten der Grazien!

CHORFÜHRER an die Zuschauer.

Noch ein Wort, des Preises wegen, an die Richter richten wir:

Krönt ihr uns, jedwedem schenken wir des Guten Fülle dann;

Zehnmal schönre Gaben werden euch, als Paris einst empfing:

Niemals soll es – was bekanntlich Richtern über alles geht-

Niemals euch an lauriotschen Eulen fehlen: ja, sie baun

Dann ihr Nest bei euch und hecken, legen in den Beutel euch

Eier, und als Küchlein schlüpfen lauter junge Dreier aus.

Ferner sollt ihr, wie in Tempeln, wohnen: denn wir setzen euch

Auf den Giebel eurer Häuser einen Adler obenauf.

Fällt durchs Los euch zu ein Ämtchen, und ihr sacktet gern was ein,

Spielen wir euch an die Hände eines Habichts flinke Klau’n.

Eßt ihr wo zu Gaste, geben wir euch Vogelkröpfe mit. –

Aber wollt ihr uns nicht krönen, setzt dann nur Blechhauben auf,

Den Statuen gleich, und jeder unter euch, der keine trägt,

Wird gerad, wenn er im weißen Mantel prangt, wie er’s verdient,

Vom gesamten Volk der Vögel überschissen um und um!

Dritte Szene

Der Chor. Pisthetairos. Dann: Boten. Iris. Ein Herold. Ein ungeratener Sohn. Kinesias. Ein Sykophant.

PISTHETAIROS.

Das Opfer lief noch günstig ab, ihr Vögel! –

Warum vom Mauerbau kein Bote noch

Uns Meldung bringt, wie’s droben steht? – Doch sieh,

Da kommt ja mit Alpheioshast schon einer!

Ein Vogel tritt auf als Bote.

BOTE keuchend.

Wo, wo, wo ist, wo ist er wohl, wo ist

Der Archon Pisthetairos?

PISTHETAIROS.

Hier bin ich!

BOTE.

Die Mauer ist gebaut!

PISTHETAIROS.

Willkommne Botschaft!

BOTE.

Ein Wunderwerk von kolossaler Pracht,

So breit, daß drauf Proxenides aus Prahlheim

Und Held Theagenes mit zwei Karossen

Und Rossen, wie das troische, bequem

Vorüber aneinander jagen –

PISTHETAIROS.

Oh!

BOTE.

Die Höh’ – »ich hab’ sie selber ausgemessen« –

Ist hundert Klafter!

PISTHETAIROS.

Hoch, erstaunlich hoch!

Wer hat denn dieses Riesenwerk erbaut?

BOTE.

Die Vögel! – Kein ägypt’scher Ziegler half,

Kein Zimmermann, kein Steinmetz! – Sie allein

Mit eigner Hand vollbrachten’s! Staunend sah ich’s:

Es kamen dreißigtausend Kraniche

Aus Libyen, mit Grundsteinen in den Kröpfen,

Die von den Schnärzen dann behauen wurden;

Backsteine lieferten zehntausend Störche,

Und Wasser trugen in die Luft hinauf

Die Taucher und die andern Wasservögel.

PISTHETAIROS.

Wer trug den Lehm denn ihnen zu?

BOTE.

Die Reiher,

In Kübeln –

PISTHETAIROS.

Und wie füllten sie sie denn?

BOTE.

Gar sinnreich, Bester, stellten sie das an!

Die Gänse patschten, mit den Füßen schaufelnd,

Drin ‘rum und schlenkerten ihn in den Kübel.

PISTHETAIROS.

»Was alles doch die Füße nicht vermögen!«

BOTE.

Ja selbst die Enten schleppten, hochgegürtet,

Backstein’; und hintendrein, mit Kellen oben

Am Rücken, wie Lehrbuben, und die Schnäbel

Voll Lehm – so kamen Schwalben angeflogen.

PISTHETAIROS.

Wer wird jetzt noch zum Bau’n Taglöhner dingen? –

Doch sagt, wer hat die Zimmerarbeit denn

Gemacht?

BOTE.

Die Zimmerleute waren Vögel,

Geschickte Tannenpicker: die behackten

Das Holz zu Flügeltüren, und das pickte

Und sägt’ und hämmerte, wie auf der Schiffswerft.

Und nun ist alles wohlverwahrt mit Toren,

Mit Schloß und Riegel, und rundum bewacht:

Patrouillen ziehn herum, die Glocke schellt,

Wachtposten überall, und Feuerzeichen

Auf allen Türmen! – Doch nun muß ich gehn,

Mich abzuwaschen! Sorge du jetzt weiter!

Ab.

CHORFÜHRER zu Pisthetairos.

Du, nun, was ist dir? Staunst du, daß die Mauer

Mit solcher Schnelligkeit zustande kam?

PISTHETAIROS.

Bei allen Göttern, ja, es ist zum Staunen!

Es sieht in Wahrheit aus wie eine Lüge!

Doch sieh, da stürzt ein Wächter von der Höh’

Grad auf uns zu, mit Waffentänzerblicken!

Zweiter Bote tritt auf.

BOTE.

O weh, o weh, o weh, o weh, o weh!

PISTHETAIROS.

Was gibt’s?

BOTE.

Entsetzliches ist vorgefallen!

Der Götter einer, von dem Hof des Zeus,

Flog eben durch das Stadttor, unbemerkt

Von unsrer Dohlenwacht, hier in die Luft!

PISTHETAIROS.

Abscheulicher, verruchter Frevel! Ha,

Wer ist der Gott?

BOTE.

Wir wissen nichts, als nur:

Er hatte Flügel!

PISTHETAIROS.

Und ihr verfolgtet ihn

Nicht gleich mit Grenzbereitern?

BOTE.

Doch! Wir schickten

Gleich dreißigtausend Falken, reisige Jäger,

Ihm nach: was Krallen hat, ist ausgerückt,

Turmeule, Bussard, Geier, Weih und Adler;

Vom Flügelschwirren, Kreischen, Rauschen dröhnt

Die Luft, sie alle fahnden nach dem Gott.

Fern ist er nicht, er steckt wohl hier herum

Schon irgendwo!

Ab.

PISTHETAIROS.

Zur Schleuder greift, zum Bogen!

Es wappne sich die ganze Dienerschaft!

Hierher! Legt an! Mir eine Schleuder! Schießt!

Getümmel.

CHOR.

Krieg! Zu den Waffen! Krieg,

Unerhört blutiger,

Wider die Götter! Auf,

Schließet mit Wachen ein

Rund den umwölkten Raum,

Erebos’ Kind, die Luft,

Daß nicht der Gott uns hier

Durchschlüpft im Luftrevier!

CHORFÜHRER.

Schaut all’ euch um und paßt wohl auf! »Er schwebt

Schon in der Näh’ herum, der Gott! Zu hören

Ist schon das Rauschen seines Flügelschlags!«

Iris fliegt herab.

PISTHETAIROS.

He, Jüngferchen, wo fliegst du hin? Nur sacht!

Halt stille! Rühr dich nicht! Ich sag’ dir: Halt!

Wer bist du, he? Woher? Wo kommst du her?

IRIS.

Ich komme von den Göttern des Olymps.

PISTHETAIROS.

Wie nennst du dich denn? Schlapphut oder Boot?

IRIS.

Iris, die schnelle Botin!

PISTHETAIROS.

So? Ein Boot?

Salaminia oder Paralos?

IRIS.

Was meinst du?

PISTHETAIROS.

Geht denn kein Stößer auf sie los?

IRIS.

Auf mich?

Was soll das geben?

PISTHETAIROS.

Dir den Jungfernstoß!

IRIS.

Bist du verrückt?

PISTHETAIROS.

Zu welchem Tor der Festung

Bist du hereingekommen, freche Dirne?

IRIS.

Durch welches Tor? Bei Zeus, das weiß ich nicht!

PISTHETAIROS zum Chor.

Hört, wie sie schnippisch tut!

Zu Iris.

Du warst doch auf

Der Dohlenhauptwacht? He? Du ließ’st den Paß

Dir auf der Storchenpolizei visieren?

Nicht?

IRIS.

Unsinn!

PISTHETAIROS.

Nicht?

IRIS.

Bist du bei Trost?

PISTHETAIROS.

So gab

Kein Vogeloffizier dir eine Marke?

IRIS.

Du Narr, wer wird mir was gegeben haben!

PISTHETAIROS.

So, so! Du fliegst da nur so mir nichts dir nichts

Durch fremdes Stadtgebiet, durch unsre Luft?

IRIS.

Wo durch denn sollen sonst die Götter fliegen?

PISTHETAIROS.

Das weiß ich nicht, bei Zeus! Nur hier durch nicht!

IRIS.

Du frevelst!

PISTHETAIROS.

Weißt du, daß nach dem, was du

Getan, von sämtlichen Irissen keiner

Mehr recht geschäh’ als dir, wenn wir dich henkten?

IRIS.

Ich bin unsterblich!

PISTHETAIROS.

Sterben müßtest du

Trotzdem! Das wär’ ja gar zu toll, wenn wir,

Die Herrn der Welt, euch Götter machen ließen,

Was euch gelüstet! Merkt’s einmal: die Reih’

Ist nun an euch, dem Stärkern zu gehorchen! –

Inzwischen sag, wo steuerst du jetzt hin?

IRIS.

Ich? Zu den Menschen schickt mich Vater Zeus!

Ich soll sie mahnen, den olymp’schen Göttern

Zu opfern Schaf’ und Ochsen, und die Straßen

Mit Fettdampf anzufüllen –

PISTHETAIROS.

Welchen Göttern?

IRIS.

Wem? Uns, den Göttern, die im Himmel thronen!

PISTHETAIROS.

Ihr – Götter?

IRIS.

Welche Götter gibt’s denn sonst?

PISTHETAIROS.

Die Vögel sind jetzt Götter! Ihnen müssen

Die Menschen opfern, nicht, bei Zeus! dem Zeus.

IRIS.

»Tor, frevler Tor«, erwecke nicht den Grimm

Der Götter, daß nicht »Dike dein Geschlecht

Ausreute mit dem Rachekarst des Zeus«

Und mit »likymnischen Glutblitzen dich

Und deines Hauses Zinnen niederäschre!«

PISTHETAIROS.

Du, hör jetzt auf, den Schwall mir vorzusprudeln!

Glaubst du, du hast ‘nen Lyder oder Phryger

Vor dir, den solcher Kinderpopanz schreckt?

Ich sag’ dir: wenn mich Zeus noch weiter ärgert,

Werd’ ich sein Marmorhaus, »Amphions Hallen«,

»Durch blitzumkrallende Adler niederäschern!«

Porphyrionen schick’ ich in den Himmel

Nach ihm, beschwingte, pardelfellumhüllte,

Mehr als sechshundert: hat ihm doch ein einz’ger

Porphyrion schon heiß genug gemacht!

Dich, Zofe, krieg’ ich, wenn du mich noch reizt,

Zuerst am Bein, und bohre durch und durch

Die Iris, daß sie staunen soll, wie rüstig

Ich alter Knab’ noch Stoß auf Stoß versetze!

IRIS.

Erstick an deinen Worten, Niederträcht’ger!

PISTHETAIROS.

Hinaus mit dir! Husch, husch! Hinaus zum Tempel!

IRIS fortfliegend.

Mein Vater wird die Frechheit dir vertreiben!

PISTHETAIROS.

O weh, ich zittre! – Geh wo anders hin

Und schreck’ und »äschre« jüngre Leute nieder!

CHOR.

Ja, wir verkünden euch

Göttern von Zeus’ Geblüt:

Daß ihr durch unsre Stadt

Nie zu passieren wagt!

Keiner der Sterblichen

Sende vom Opferherd

Ihnen durch unser Reich

Weihrauch und Bratenduft!

PISTHETAIROS.

Seltsam! Der Herold, den wir an die Menschen

Gesandt, er ist noch immer nicht zurück!

Ein Vogel tritt auf als Herold.

HEROLD.

O Pisthetairos, o du Glücklichster,

Du Klügster, Weisester, Gepriesenster,

Geruh’, o dreimal Sel’ger –

PISTHETAIROS.

Nun, heraus!

HEROLD.

Dich schmücken, deine Weisheit tief anbetend,

Mit diesem goldnen Kranz des Erdballs Völker.

Überreicht ihn.

PISTHETAIROS.

Schön Dank! Allein wie komm’ ich zu der Ehre?

HEROLD.

Der weltberühmten Luftstadt hoher Gründer!

So weißt du nicht, wie dir die Menschen huld’gen,

Wieviel Verehrer du im Lande hast?

Eh’ du die neue Stadt gebaut, war alles

Lakonomane, ging mit langem Haar,

War schmutzig, hungerte, trug Knotenstöcke,

Sokratisierte: jetzt dagegen gibt’s

Ornithomanen nur, und alles äfft

Mit wahrer Herzenslust die Vögel nach:

Gleich morgens fliegen aus dem Federbett

Sie aus wie wir zu ihrem Leib-Gericht,

Dann lassen auf Buchblättern sie sich nieder

Und weiden sich an fetten – Volksbeschlüssen.

So umgevogelt sind sie ganz und gar,

Daß viele jetzt schon Vögelnamen tragen:

Rebhuhn, zum Beispiel, heißt der hinkende

Weinschenk; Menippos: Schwalbe; Rabe heißt

Opuntios, der Einäugige; Fuchsente

Theagenes; Schopflerche heißt Philokles;

Lykurgos: Ibis; Syrakosios

Heißt: Elster; Chairephon: die Fledermaus,

Und Meidias dort

Nach den Zuschauerbänken deutend.

die Wachtel: denn er gleicht

Ihr ganz, wenn sie im Spiel Kopfnüsse kriegt.

Auch ihre Lieder all’ sind vogeltümlich,

Und Schwalben sind in allen angebracht,

Kriekenten, Gänschen, Turteltäubchen, immer

Geflügel oder doch ein wenig Federn.

So steht es dort! – Nur dieses noch: Es kommen

Mehr als zehntausend gleich dort unten ‘rauf,

Die wollen modische Klau’n und Flügel: schafft

Drum Federn an für all die Kolonisten!

PISTHETAIROS.

Potz Zeus, da dürfen wir nicht müßig stehn!

Zum Herold.

Du, lauf hinein und fülle Körb’ und Kübel

Und Fässer an mit Federn!

Herold ab.

Zu einem Sklaven.

Manes, du

Spedierst sodann die Flügel hier vors Haus!

Und ich empfange hier die werten Gäste!

ERSTER HALBCHOR.

Bald wird als »männerreich« die Stadt

Gepriesen sein auf Erden!

PISTHETAIROS nimmt dem Sklaven einen Korb voll Federn ab.

Glück zu! Es mag gelingen!

ERSTER HALBCHOR.

Sie schwärmen ja förmlich für unsre Stadt!

PISTHETAIROS zu den Sklaven.

Wie langsam! Macht doch schneller!

ERSTER HALBCHOR.

Denn was könnten hier Fremde,

Einwandrer vermissen,

Wo die Weisheit, die Liebe, ambrosische Lust

Und behagliche Ruhe mit heitrem Gesicht

Uns stets entgegenlächelt?

PISTHETAIROS zu dem Sklaven.

Wie träg’ du bist, wie lendenlahm!

Willst du dich rühren, Schlingel?

ZWEITER HALBCHOR.

So mach dem Kerl nur Füße

Mit der Peitsche! Hurtig!

Er schlendert so lahm wie ein Esel daher!

PISTHETAIROS.

Faul ist und bleibt der Manes!

ZWEITER HALBCHOR.

Nun sortiere die Federn

Und leg sie in Ordnung,

Die prophetischen hier, die melodischen da,

Und die schwimmenden dort! Psychologischen Blicks

Verteilst du dann die Federn!

PISTHETAIROS zu den Sklaven.

Beim Schuhu! Länger seh’ ich’s nicht mit an:

Die Peitsche schwingend.

Ich helf’ euch auf die Beine, faules Pack!

Ein ungeratener Sohn tritt auf und singt.

UNGERATENER SOHN.

»O wär’ ich ein Adler in Lüften hoch

Und trügen mich über das wüste Gefild

Des blauen Meeres die Schwingen!«

PISTHETAIROS.

Ich seh’, der Herold war kein Lügenbold!

Da kommt schon einer, der von Adlern singt.

UNGERATENER SOHN.

Nichts Süßres auf der Welt als Fliegen – herrlich

Ist doch die Vögelkonstitution!

Ich bin ganz vogeltoll, ich flieg’, ich brenne

Bei euch zu sein, nach eurem Brauch zu leben!

PISTHETAIROS.

Nach welchem? Unsrer Bräuche sind gar viel!

UNGERATENER SOHN.

Nach allen, doch vor allen lob’ ich mir

Den, daß man seinen Vater schlägt und beißt.

PISTHETAIROS.

Nun ja, wir halten’s für Bravour an Jungen,

Wenn sie nach ihren Vätern hau’n und kratzen!

UNGERATENER SOHN.

Drum möcht’ ich, naturalisiert bei euch,

Erwürgen meinen Vater und beerben.

PISTHETAIROS.

Gut! Doch wir Vögel haben ein Gesetz,

Uralt, im Storchenkodex aufbewahrt:

»Wenn seine Jungen, bis sie flügge sind,

Ein Storchenvater nährt und pflegt, dann sollen

Dafür die Jungen ihren Vater pflegen!«

UNGERATENER SOHN.

Das lohnt sich schon der Müh’ hierherzukommen,

Wenn ich den Vater auch noch füttern soll!

PISTHETAIROS.

Nu, nu! – Weil du doch guten Willen zeigst,

Will ich als Waisenvogel dich befiedern.

»’Nen guten Rat«, mein Junge, »geb’ ich dir

Darein, den ich als Knabe mir gemerkt«!

Schlag deinen Vater nicht! Da nimm den Flügel

Und hier den Hahnensporn, und diesen Busch

Nimm für ‘nen Hahnenkamm,

Gibt ihm Schild, Schwert und Helm.

und zieh ins Feld,

Steh Wache, schlag dich durch mit deiner Löhnung,

Laß deinen Vater leben! – Willst du kämpfen,

Flieg hin nach Thrakien und kämpfe dort!

UNGERATENER SOHN.

Beim Dionysos! nicht der schlimmste Rat!

Ich folge dir!

Ab.

PISTHETAIROS.

Das wird das klügste sein!

Kinesias tritt auf und singt.

KINESIAS.

»Auf zum Olymp feurigen Schwungs

Flieg’ ich mit flüchtigem Fittich!«

Vagabundisch flieg’ auf den Bahnen des Lieds

Kühn ich herum –

PISTHETAIROS.

Das Wesen braucht allein ‘ne Ladung Federn!

KINESIAS.

Und dem Neuesten stets

Huldig’ ich, stark so am Geist wie am Leib!

PISTHETAIROS.

Du da, Kinesias, Mann von Lindenholz!

Was schwebelt hier dein Säbelbein herum?

KINESIAS.

In ein Vöglein wär’ ich, die Nachtigall,

Die melodische, gerne verwandelt!

PISTHETAIROS.

Nun laß das Trillern! Sprich in schlichten Worten!

KINESIAS.

Von dir beflügelt möcht’ ich hoch mich schwingen

Und aus den Wolken mir schneeflockenduft’ge,

Windsbrautumsauste Dithyramben holen!

PISTHETAIROS.

Wer wird sich aus den Wolken Lieder holen?

KINESIAS.

An diese knüpft sich unsre ganze Kunst!

Ein Dithyramb, ein glänzender, muß luftig,

Recht dunkel, nebelhaft und nachtblau sein,

Und sturmbefitticht – etwa so – vernimm!

PISTHETAIROS.

Bedanke mich!

KINESIAS.

Nein, beim Herakles, nein!

Die ganze Luft durchflieg’ ich gleich mit dir:

Singt.

Die Gebilde der luftdurchsteuernden,

Halsausreckenden Vögel –

PISTHETAIROS.

O hop, halt ein!

KINESIAS.

Wohl über die Wogen, wie Windeswehen,

Die wallenden, wünsch’ ich zu wandeln –

PISTHETAIROS.

Wart, Wicht, den Winden weisen wir den Weg!

Packt ihn und dreht ihn rechts und links herum.

KINESIAS singt dazu.

Bald gegen den Süd hinsteuernd und bald

In des Boreas Kühle die Glieder getaucht,

Hafenlos luftige Furchen durchschneidend –

Sprechend.

Sehr artig, Alter, muß gestehn, recht fein!

PISTHETAIROS reißt ihn herum.

So sturmbefitticht – bist du nicht zufrieden?

KINESIAS.

Das beutst du mir, dem Dithyrambenmeister,

Um den die Stämme jedes Jahr sich reißen?

PISTHETAIROS.

Hör, willst du, hagrer Leotrophides,

Hier bleiben und ‘nen Vogelchor einüben

Für den Kerkopenstamm?

KINESIAS.

Du spottest mein!

Ich aber sag’ dir: ruhen werd’ ich nicht,

Bis ich beflügelt durch die Lüfte schwebe.

Ab.

Ein Sykophant tritt auf.

SYKOPHANT.

»Was für Vögel sind denn das, von Gefieder bunt«,

Doch im übrigen bettelarm?

Sprich, »du flügelausreckende, bunte Schwalbe!«

PISTHETAIROS.

Nun kommt die schwere Not uns auf den Hals!

Da gluckst und überläuft uns wieder einer.

SYKOPHANT.

Noch einmal: »flügelausreckende, bunte« –

PISTHETAIROS.

Der, scheint es, spielt auf seinen Mantel an:

Der braucht wohl mehr als einer Schwalbe Flaum.

SYKOPHANT.

Wer sorgt hier für Befiederung der Fremden?

PISTHETAIROS.

Der Mann bin ich! Was steht zu Dienst? Sag an!

SYKOPHANT.

Ei, Flügel, Flügel! Was bedarf’s der Frage?

PISTHETAIROS.

Du denkst wohl nach Pellene hinzufliegen?

SYKOPHANT.

O nein, ich bin Gerichtsbot’ auf den Inseln

Herum und –

PISTHETAIROS.

Sykophant? – Ein schönes Amt!

SYKOPHANT.

Prozeßaufspürer! Um von Stadt zu Stadt

Zitierend mich zu schwingen, brauch’ ich Flügel.

PISTHETAIROS.

Geht das Zitieren denn mit Flügeln besser?

SYKOPHANT.

O nein, es ist nur der Piraten wegen!

Und heim dann kehr’ ich mit den Kranichen,

Statt mit Ballast den Kropf gefüllt mit – Klagen!

PISTHETAIROS.

Das ist dein Handwerk also! Noch so jung

Und schon Spion und Sykophant auf Reisen?

SYKOPHANT.

Was soll ich machen? Graben kann ich nicht –

PISTHETAIROS.

Es gibt, bei Gott, doch ehrliche Gewerbe,

Von denen sich ein Mensch in deinem Alter

Ernähren sollt’, und nicht vom Händelstiften!

SYKOPHANT.

Salbader! Flügel brauch’ ich, nicht Moral!

PISTHETAIROS.

Mit meinem Wort beflügl’ ich dich!

SYKOPHANT.

Wie soll

Mich das beflügeln?

PISTHETAIROS.

Ei, durch Worte macht

Man jedem Flügel!

SYKOPHANT.

So?

PISTHETAIROS.

Und hast du nie

Gehört, wie Väter in den Baderstuben

Vor jungen Leuten manchmal also sprachen:

›Mein Jung’ hat Schwung, Diitrephes beflügelt

Ihn durch sein Wort – zum Reiten und zum Fahren!‹

Ein andrer meint: der seine habe Schwung

Fürs Trauerspiel, hochfliegend sei sein Geist –

SYKOPHANT.

So könnten Worte Flügel geben?

PISTHETAIROS.

Freilich!

Durch Worte schwingt der Genius sich auf,

Der Mensch erhebt sich! – Und so will auch ich

Mit wohlgemeinten Worten dich beflügeln

Zur Ehrlichkeit –

SYKOPHANT.

Das willst du? – Ich will nicht!

PISTHETAIROS.

Was willst du denn?

SYKOPHANT.

Nicht schänden mein Geschlecht!

Ererbt hab’ ich das Sykophantenhandwerk:

Drum gib mir schnelle, leichte Fittiche,

Vom Habicht oder Falken, daß die Fremden

Ich herzitieren, hier verklagen kann

Und dann ausfliegen abermals –

PISTHETAIROS.

Verstehe!

Du meinst: gerichtet soll der Fremde sein,

Noch eh’ er hier ist?

SYKOPHANT.

Völlig meine Meinung!

PISTHETAIROS.

Er schifft hierher, indes du dorthin fliegst,

Um sein Vermögen wegzukapern?

SYKOPHANT.

Wohl!

Flink wie ein Kreisel muß das gehn!

PISTHETAIROS.

Verstehe!

Ganz wie ein Kreisel! – Ei, da hab’ ich eben

Scharmante Flügel von Kerkyra – schau!

Zeigt ihm die Peitsche.

SYKOPHANT.

Au weh, die Knute!

PISTHETAIROS.

Schwingen sind’s, mit denen

Du mir hinschwirren sollst ›flink wie ein Kreisel!‹

Peitscht ihn durch.

SYKOPHANT.

Au, au!

PISTHETAIROS.

So fliege doch, Halunke, fliege!

Erzgauner, tummle dich, frischauf! – Ich will

Die Rechtsverdreherpraxis dir versalzen!

Sykophant ab.

Zu den Sklaven.

Nun packt die Federn ein! Wir wollen gehn!

Ab.

ERSTER HALBCHOR.

Viel des Neuen, Wunderbaren

Haben wir auf unserm Flug

Schon gesehn! Vernehmt und staunet:

Aufgeschossen, fern von Kardia,

Ist ein seltsam fremder Baum,

Und der heißt: Kleonymos –

Ist im Grund zu nichts zu brauchen,

Aber stämmig sonst und groß;

Sykophantenfrüchte trägt er

Stets im Frühling, goldumlaubte, –

Aber nackt im Wintersturme

Steht er da, schildblätterlos!

ZWEITER HALBCHOR.

In der ampellosen Wüste,

Der ägypt’schen Finsternis

Nah gelegen ist ein Land;

Allda schmausen und verkehren

Menschen mit Heroen immer

Früh, doch spät am Abend nicht!

Denn geheuer ist es nicht,

Ihnen zu begegnen nachts:

Würd’ ein Sterblicher dem Heros

Da begegnen, dem Orestes, –

Schwer vom Schlag getroffen würd’ er,

Ausgezogen bis aufs Hemd!

Vierte Szene

Chor. Prometheus. Pisthetairos.

PROMETHEUS vermummt, ängstlich.

Ach Gott, ach Gott, daß Zeus mich nur nicht sieht! –

Wo ist der Pisthetairos?

Pisthetairos kommt heraus.

PISTHETAIROS.

He, was soll

Der Mummenschanz?

PROMETHEUS.

Pst! Siehst du keinen Gott

Da hinter mir?

PISTHETAIROS.

Bei Zeus, ich sehe nichts!

Wer bist du?

PROMETHEUS.

Welche Zeit ist’s wohl am Tag?

PISTHETAIROS.

Je nun, ich denk’: ein wenig über Mittag!

Wer bist du denn?

PROMETHEUS.

Bald Feierabend? He?

PISTHETAIROS.

Nun wird mir’s bald zu toll!

PROMETHEUS.

Was macht auch Zeus?

Klärt er den Himmel auf? Umwölkt er ihn?

PISTHETAIROS.

Zum Henker –

PROMETHEUS.

Nun, so will ich mich enthüllen!

Tut es.

PISTHETAIROS.

Prometheus, Teurer –

PROMETHEUS.

Schrei nicht! Mäuschenstill!

PISTHETAIROS.

Was hast du?

PROMETHEUS.

Nenne meinen Namen nicht!

Es ist mein Tod, wenn Zeus mich hier erblickt.

Nun laß dir sagen, wie’s da oben steht!

Nimm hier den Sonnenschirm und halte mir

Ihn über, daß die Götter mich nicht sehn!

PISTHETAIROS.

Haha, haha!

Echt prometheïsch, sinnreich vorbedacht!

Macht den Schirm auf.

So, steh da unter, sprich und fürcht’ dich nicht!

PROMETHEUS.

Nun hör einmal!

PISTHETAIROS.

Ich bin ganz Ohr.

PROMETHEUS.

Mit Zeus

Ist’s aus!

PISTHETAIROS.

Ist’s aus? Der Tausend! Und seit wann?

PROMETHEUS.

Seitdem ihr in der Luft euch angebaut!

Den Göttern opfert keine Seele mehr

Auf Erden, und kein Dampf von fetten Schenkeln

Steigt mehr zu uns empor seit dieser Zeit.

Wir fasten, wie am Thesmophorienfest,

Kein Altar raucht, und die Barbarengötter

Schrei’n auf vor Hunger, kreischen auf illyrisch

Und drohn, den Zeus von oben zu bekriegen,

Wenn er kein Ende macht der Handelssperre

Und freie Einfuhr schafft dem Opferfleisch!

PISTHETAIROS.

Gibt’s denn Barbarengötter auch bei euch

Und über euch?

PROMETHEUS.

Barbaren freilich, wie

Der Schutzpatron des Exekestides.

PISTHETAIROS.

Wie heißen die Barbarengötter denn

Mit Namen?

PROMETHEUS.

Wie? Triballen!

PISTHETAIROS.

Ich versteh’:

Ihr Zorn trieb allen Göttern Angstschweiß aus!

PROMETHEUS.

So ist’s! Nun aber laß noch eins dir sagen:

Gesandte kommen bald zur Unterhandlung

Hier an von Zeus und den Triballen droben!

Laßt euch nicht ein mit ihnen, wenn nicht Zeus

Das Zepter wieder abtritt an die Vögel

Und dir zum Weib die Basileia gibt.

PISTHETAIROS.

Wer ist die Basileia?

PROMETHEUS.

Oh, ein Mädchen

Blitzschön, und hat zum Donnern das Geschoß

Des Zeus, die ganze Wirtschaft unter sich,

Recht, Politik, Gesetz, Vernunft, Marine,

Verleumdung, Staatsschatz, Taglohn und Besoldung!

PISTHETAIROS.

Verwaltet sie das alles?

PROMETHEUS.

Wie ich sage!

Bekommst du sie von ihm, dann hast du alles!

Drum bin ich hergekommen, dir’s zu sagen:

Denn für die Menschen feurig brennt mein Herz!

PISTHETAIROS.

O ja, wir backen Fisch’ an deinem Feuer.

PROMETHEUS.

Du weißt, voll Götterhaß ist meine Brust.

PISTHETAIROS.

Der Götter Haß – den hast du! Ja, du bist

Ein wahrer Timon!

PROMETHEUS.

Muß jetzt fort! Den Schirm!

Damit mich Zeus, wenn er heruntersieht,

Für einer Festkorbträg’rin Diener hält.

Ab.

PISTHETAIROS.

Nimm auch den Stuhl, als heil’ger Klappstuhlträger!

CHOR.

Nah beim Land der Schattenfüßler

Liegt ein See, wo Sokrates

Ungewaschen Geister bannt. –

Um zu schauen seinen mut’gen

Geist, der lebend ihm entwischt,

Kam Peisandros auch dahin:

Ein Kamel von einem Lamm

Bracht’ er mit und stach’s durchs Herz,

Trat zurück dann, wie Odysseus –

Da entstieg der Tiefe, lechzend

Nach dem Herzblut des Kameles,

– Chairephon, die Fledermaus!

Fünfte Szene

Der Chor. Pisthetairos. Poseidon. Herakles. Der Triballe.

POSEIDON tritt auf, zum Herakles.

Da siehst du Wolkenkuckucksburg vor dir,

Die Stadt, wohin wir als Gesandte ziehn.

Zum Triballen.

Nein, wirft sich der den Mantel linkisch um!

Schlag ihn doch über, wie’s der Brauch verlangt!

Geht dir’s wie dem Laispodias, armer Tropf? –

Demokratie, wo bringst du uns noch hin,

Wenn Götter solche Kerls zu Ämtern wählen!

DER TRIBALLE.

‘S Maul holten, du!

POSEIDON.

Zum Henker! So barbarisch

Wie den, hab’ ich noch keinen Gott gesehn!

Was tun wir nun, Herakles?

HERAKLES.

Wie ich sage:

Ich dreh’ dem Kerl den Hals um, der es wagt,

Die freie Luft den Göttern zu vermauern!

POSEIDON.

Doch, Freund, zur Unterhandlung schickt man uns.

HERAKLES.

Um so gewisser gurgl’ ich grad ihn ab!

PISTHETAIROS ruft in die Küche hinein.

Die Käseraspel! – Bring’ mir den Asant!

Gut! Und den Käs! So schür doch auch die Kohlen!

HERAKLES zu Pisthetairos.

Du, Mensch, wir Götter, unsrer drei, wir bieten

Dir unsern Gruß!

PISTHETAIROS unter der Türe beschäftigt.

Ich reib’ Asant darauf!

HERAKLES.

Was ist denn das für Fleisch?

PISTHETAIROS ohne sich umzusehen.

Von Vögeln, die

Der Volksgewalt der Vögel trotzend – Unrecht

Zu haben schienen!

HERAKLES.

Und da reibst du nun

Asant darauf?

PISTHETAIROS sich umsehend.

Herakles? Ei, willkommen!

Was schaffst du hier?

HERAKLES.

Die Götter senden uns,

Um gütlich diesen Krieg –

PISTHETAIROS ruft hinein.

Geschwind! Im Krug

Ist nicht ein Tropfen Öl mehr! – Schwimmen müssen

Im Fett gebratne Vögel! So gehört sich’s!

HERAKLES.

Wir sehen keinen Vorteil ab beim Krieg,

Ihr aber, wollt ihr’s mit den Göttern halten,

Habt Regenwasser g’nug in allen Pfützen

Und lebt von nun an halkyonische Tage.

Hierfür ist unsre Vollmacht unbeschränkt!

PISTHETAIROS.

Wir haben nicht zuerst den Krieg mit euch

Begonnen; ja wir wollen, wenn nur ihr

Gefälligst tut, was recht und billig ist,

Gern Frieden machen; recht und billig aber

Ist es, daß Zeus das Zepter uns, den Vögeln,

Zurückgibt! Wollt ihr? – Nun, dann habt ihr Frieden!

Und die Gesandten lad’ ich ein zum Frühstück!

HERAKLES.

Annehmlich scheint mir das; ich stimme: Ja!

POSEIDON.

Was denkst du? – O du Freßmaul! O du Tölpel!

Den Vater willst du um die Herrschaft bringen?

PISTHETAIROS.

Meinst du? – Vergrößert nur wird eure Macht,

Ihr Götter, wenn die Vögel drunten herrschen!

Jetzt ducken unterm Wolkendach die Menschen

Sich schlau und schwören täglich falsch bei euch.

Doch, habt ihr zu Verbündeten die Vögel

Und schwört ein Mensch beim Geier und beim Zeus

Und hält’s nicht: fliegt der Geier ihm urplötzlich

Aufs Haupt und hackt und kratzt das Aug’ ihm aus.

POSEIDON.

Ja, beim Poseidon! Der Beweis ist schlagend!

HERAKLES.

Das mein’ ich doch!

Zum Triballen.

Und du?

DER TRIBALLE.

Heim gan wir drei!

HERAKLES.

Du hörst: er meint, ‘s geht an!

PISTHETAIROS.

Nun höret weiter!

Noch vieles tun wir sonst zu eurem Besten:

Gelobt ein Mensch den Göttern Opferfleisch

Und meint dann pfiffig: ›Götter können warten‹,

Und zahlt die Schuld nicht ab aus purem Geiz –

Wir treiben sie schon ein!

POSEIDON.

Wie macht ihr das?

PISTHETAIROS.

Wenn so ein Mensch sein Geldchen grade hin

Und her zählt oder just im Bade sitzt,

Da schießt ein Weih herunter, rapst das Geld

Ihm für zwei Schafe weg und bringt’s dem Gotte!

HERAKLES.

Ich stimme, wie gesagt, dafür, das Zepter

Ihm abzutreten!

POSEIDON.

Frag auch den Triballen!

HERAKLES seitwärts zum Triballen.

Triballe, soll er Prügel –

DER TRIBALLE.

Ja, stockprügeln ik

Schon wollen dik!

HERAKLES.

Er will! Du hörst es selbst!

POSEIDON.

Gefällt’s euch so, so kann’s auch mir gefallen!

HERAKLES zu Pisthetairos.

Du, mit dem Zepter hat es keinen Anstand!

PISTHETAIROS.

Nun gut! – Doch halt, da fällt mir noch was ein!

Die Hera überlass’ ich gern dem Zeus,

Doch fordr’ ich dann die Jungfrau Basileia

Zum Weib!

POSEIDON.

Dir ist’s nicht Ernst mit dem Vertrag!

Kommt! Laßt uns gehn!

PISTHETAIROS.

Mir gilt es gleich!

Ruft hinein.

Du Koch,

Ich sag’ dir, mach die Sauce nur recht süß!

HERAKLES.

Bleib doch, Poseidon, wunderlicher Kauz!

Krieg um ein Weib – wo denkst du hin?

POSEIDON.

Je nun,

Was denn?

HERAKLES.

Was denn? Wir schließen den Vertrag!

POSEIDON.

Du Tor, du bist betrogen! Merkst du nichts?

Du bist dir selbst zum Schaden! – Wenn nun Zeus

Die Herrschaft abtritt – denk nur – und er stirbt,

Bist du ein Bettler! – Dir gehört die Erbschaft

Ja ganz, die Zeus im Tod einst hinterläßt!

PISTHETAIROS.

Das ist doch arg! Wie der dich übertölpelt!

Komm her zu mir und laß dir’s explizieren:

Dein Oheim täuscht dich, armer Narr! An dich

Kommt nicht ein Deut von deines Vaters Gut

Nach dem Gesetz: denn du – du bist ein Bastard!

HERAKLES.

Ein Bastard, ich?

PISTHETAIROS.

Bei Zeus! Du bist’s: als Sohn

Vom fremden Weib! Gesteh, wie könnte sonst

Athene erbberechtigt sein als Tochter,

Wär’ noch ein ebenbürt’ger Bruder da?

HERAKLES.

Wie aber, wenn mein Vater mir das Gut

Vermacht als Nebenkindsteil?

PISTHETAIROS.

Das Gesetz

Verbeut’s ihm! Hier, Poseidon selbst, der jetzt

Dich spornt – der erste wär’ er, der das Erbe

Dir streitig macht’ als Bruder des Verstorbnen!

Hör an, wie das Gesetz des Solon spricht:

»Ein Bastard ist von der Erbfolg’ ausgeschlossen,

Wenn eheliche Kinder da sind!

Sind aber keine ehelichen Kinder da,

So fällt die Erbschaft an die nächsten Agnaten!«

HERAKLES.

So wär’ des Vaters Hinterlassenschaft

Für mich verloren?

PISTHETAIROS.

Ja! – Ei – hat dein Vater

Dich richtig auch ins Zunftbuch eingetragen?

HERAKLES.

Wahrhaftig, nein! Das hat mich längst gewundert!

PISTHETAIROS.

Was stierst du so hinauf mit Racheblicken? –

Hältst du’s mit uns, dann mach’ ich dich zum König

Und Herrn und speise dich mit Hühnermilch!

HERAKLES.

Mir schien’s von Anfang: billig ist die Ford’rung,

Die du gemacht: ich gebe dir die Dirne! –

Und du, was sagst denn du?

POSEIDON.

Dagegen stimm’ ich.

HERAKLES.

Dann gibt den Ausschlag der Triball!

Zum Triballen.

He, du!

DER TRIBALLE.

Der schöner Junkfrouwen, die Kunigin stolze

Dem Voggel übergebben ick!

HERAKLES.

Du hörst:

Er übergibt sie.

POSEIDON.

Nein, das klingt nur so,

Weil kauderwelsch er wie die Schwalben zwitschert.

PISTHETAIROS.

So meint er wohl: er gebe sie den Schwalben!

POSEIDON.

Macht ihr das miteinander aus: schließt ab!

Ich schweige: denn ihr wollt ja doch nicht hören.

HERAKLES zu Pisthetairos.

Wir gehen alles ein, was du verlangst:

Komm du mit uns jetzt selber in den Himmel

Und hol dir Basileia samt Gefolge!

PISTHETAIROS.

Da hätten wir ja eben recht geschlachtet

Zur Hochzeit!

HERAKLES.

Ist’s euch recht, so bleib’ ich hier

Und mach’ den Braten fertig! Geht ihr nur!

POSEIDON.

Was? Braten, du? Du schwatzst wie ein Schmarotzer!

Du gehst nicht mit?

HERAKLES.

Da wär’ ich schön beraten!

Geht ins Haus.

PISTHETAIROS zu einem Sklaven.

Du, geh und hol mir schnell ein Hochzeitskleid!

Er kleidet sich um. Alle ab.

CHOR.

An der Wasseruhr in Schelmstädt

Wohnt ein wahres Gaunervolk,

Zungendrescher zubenannt.

Mit der Zunge sä’n und ernten,

Dreschen sie und lesen Trauben,

Feigen suchen sie mit ihr.

Von Barbaren stammen sie,

Gorgiassen und Philippen;

Und der Zungendrescher wegen,

Der Philippe, gilt die Sitte,

Daß in Attika die Zunge

Immer ausgeschnitten wird!

Sechste Szene

Der Chor. Ein Bote. Später Pisthetairos mit Basileia.

BOTE tritt auf.

O überschwenglich, unaussprechlich, hoch

Beglücktes, dreimal sel’ges Vögelvolk!

Empfangt im Haus des Segens den Gebieter:

Er naht sich leuchtend, überstrahlend selbst

Den Sternenglast der goldumblitzten Burg,

So blendend, herrlich, daß der Sonne Lichtglanz

Vor ihm erblaßt: so naht er an der Seite

Der unaussprechlich schönen Braut und schwingt

Den Blitzstrahl, Zeus’ geflügeltes Geschoß.

Ein unnennbarer Duft durchströmt des Weltalls

Urtiefen, und der Weste Hauch umfächelt

Des Weihrauchs krause Wölkchen: Sel’ges Schauspiel!

Doch sieh, da naht er selbst! – Erschließt den Mund,

Den glückweissagenden, der heil’gen Muse!

CHOR stellt sich in Parade.

Wendet euch, stellet euch, zeiget euch, neiget euch!

Schwärmet in seliger

Lust um den sel’gen Mann!

Der Zug naht sich.

Ah, welch ein Zauber, welche Schöne!

Glücksel’ges Band, das unsrer Stadt

Zum Heil du geknüpft!

Ja, großes Heil ist dem Vogelvolk

Widerfahren durch dich, o du göttlicher Mann!

So lasset mit bräutlichen Liedern uns denn

Und festlichem Jubel den Bräutigam

Und die Braut Basileia empfangen!

ERSTER HALBCHOR.

Also vermählten die Parzen einst

Mit der olympischen Hera dich,

Mächtiger Herrscher, gewaltiger,

Auf dem erhabenen Götterthron,

Unter rauschendem Hochzeitsjubel!

CHOR.

Segne sie, segne sie, Hymen!

ZWEITER HALBCHOR.

Eros lenkte, der blühende,

Goldbeschwingte, die Zügel des

Bräutlichen Wagens mit sichrer Hand,

Zeus’ Brautführer, des seligen,

Und der beglückten Hera!

CHOR.

Segne sie, segne sie, Hymen!

PISTHETAIROS mit Basileia auf einem Wolkenwagen.

Mich erfreuet das Lied, mich ergötzt der Gesang

Und der festliche Gruß! Doch besinget nun auch

Des ländererschütternden Donners Gewalt

Und die leuchtenden, zuckenden Blitze des Zeus

Und die Glut der zerstörenden Flammen!

CHOR.

Leuchtender, goldner, gewaltiger Flammenstrahl,

Göttliche, glühende Waffe des hehren Zeus,

Erdgrunderschütternde, krachende, regenumrauschte Gewitter,

Welche nun Er in der Hand hält!

Sein, durch dich, ist alle Gewalt nun,

Sein Basileia, das fürstliche Kind des Zeus!

Segne sie, segne sie, Hymen!

PISTHETAIROS.

Nun folgt als Hochzeitsgäste mir,

Leichtbeschwingte Brüder all’,

Folgt mir zum Palast des Zeus,

Zur Vermählungslagerstatt!

Zu Basileia indem sie absteigen.

Sel’ge, gib mir nun die Hand,

Faß mich an den Flügeln, laß

Dich im Reigen schwingen und

Heben hoch empor im Tanz.

Ballett.

CHOR.

Tralala, juhe, juhe!

Heil dem Siegbekränzten, Heil,

Heil dem Götterkönig!

Aischylos – Die Orestie

Aischylos

Die Orestie

(Oresteia)

Aischylos

Agamemnon

(Agamemnon)

Personen.

Wächter

Klytaimestra

Herold

Agamemnon

Kassandra

Aigisthos

Chor argivischer Greise

Königspalast zu Argos. Auf dem flachen Dach der Wächter.

WÄCHTER.

Die Götter bitt ich um Erlösung dieser Mühn

Der langen Jahreswache, die ich, lagernd hier

Im Dach des Atreushauses wie ein Wächterhund,

Der stillen Sterne Nachtverkehr mit angesehn,

Und die den Menschen Winter bringen und Sommerzeit,

Die hellen Führer, funkelnd durch des Äthers Raum.

Und wieder späh ich nach des Flammenzeichens Schein,

Dem Strahl des Feuers, das von Troja Kunde bringt

Und Siegesnachricht; also, denk ich, hat es mir

Geboten meiner Herrin männlich ratend Herz.

Und halt ich so hier meine nachtgestörte Ruh,

Vom Tau durchnäßt, nie mehr von Träumen aufgesucht,

So steht ja statt des Schlafes neben mir die Furcht,

Zufallen könnte gar im Schlaf mein Augenlid.

Und wenn ich ein Lied mir singen oder pfeifen will,

Den besten Schlaftrunk für den Wachestörer Schlaf,

So wein ich seufzend über dieses Hauses Los,

Das nicht, wie sonst wohl, allem Wetter glücklich trotzt.

So käm erwünscht mir meiner Müh Erlösung jetzt,

Erschien’ des nächtgen, botenfrohen Feuers Schein.

Auf den Bergen steigt eine Flamme auf.

O sei gegrüßt mir, Licht der Nacht! Taghelle Lust

Weckst du in mir, erweckst in Argos weit und breit

Festchorgesänge, diesem Glück zum Dank geweiht!

Hoiho, hoiho!

Agamemnons Gattin will ich es laut verkündigen,

Daß schnell ihr Lager sie verlasse, im Palast

Den freudenhellsten Jubel diesem Feuerschein

Entgegenjauchze, da die Troerfeste ja

Gefallen ist, wie dort der Schein es hell erzählt!

Dann will ich selbst beim Fest den Vortanz halten; mir

Auch klecken soll’s, daß meiner Herrschaft Würfel jetzt

Gut fiel; die achtzehn Augen bringt mein Spähen mir.

Nun aber will ich meines Fürsten liebe Hand,

Des Heimgekehrten, schütteln hier mit dieser Hand;

Vom andern schweig ich; mir verschließt ein golden Schloß

Den Mund; das Haus selbst, wenn es sprechen könnte, würd

Am besten ihm erzählen; denn der’s weiß, mit dem

Besprech ich gern; für den, der’s nicht weiß, schweig ich gern.

Wächter ab.

Der Chor der Greise tritt auf.

CHORFÜHRER.

Zehn Jahre nun sind’s,

Seit Priamos’ mächtiger Rechter, der Fürst

Menelaos, mit ihm Agamemnon zugleich,

Das erhabene Paar der Atriden, in Zeus’

Zweithroniger Macht, Zweizeptergewalt,

Der Argiver tausendschiffigen Zug

Von jenem Gestad

Fortführten, Genossen des Krieges.

Voll Zornmut schrien sie gewaltigen Kampf,

Wie der Weih des Gebirgs im verwilderten Schmerz

Um die Brut hoch hin sein einsam Nest

Unermüdlich umkreist,

In der Fittiche ruhendem Ruder gewiegt;

Der ins Nest bannenden,

Für die Küchlein der Sorge verwaiset!

Doch droben ein Gott, ist’s Pan, ist’s Zeus,

Ist es Apollon, er vernimmt des Geschreis

Weithallenden Schmerz um die fehlende Brut;

Die Vergelterin schickt,

Die Erinnys, er dem Verruchten!

Also zum Gericht Alexanders hat Zeus,

So des Gastrechts Hort, die Atriden gesandt;

So läßt um das männerumbuhlete Weib

Unablässigen, gliederzerschmetternden Kampf,

Das ermattende Knie an den Boden gestemmt,

In des Vorkampfs Tosen die Lanze zerschellt –

So läßt er die Danaer kämpfen,

Und die Troer zugleich! Mag’s immer denn sein,

Wie es sei; es erfüllt das Verhängte sich doch,

Nicht Spend und Gebet, nicht Zauber beschwört,

Nicht Tränen vertilgen den lauernden Zorn

Der sühnevergessenen Gottheit!

Doch wir, kraftlos mit gealtertem Leib,

Die vom Zuge zurück man damals ließ,

Wir weilen daheim,

Die kindische Kraft mit dem Stabe gestützt,

Denn das jugendlich rüstige Mark in der Brust,

Das zur Tat anfacht, alt ist’s; hier wohnt

Nicht Kampflust mehr.

Wer dem Alter erliegt, wem herbstlich die Stirn

Sich entlaubet, er wankt dreifüßigen Gang,

Nicht kräftiger mehr denn ein kraftlos Kind,

Ein tagumwandelndes Traumbild!

Aus der königlichen Pforte ist ein festlicher Zug Dienerinnen getreten. Dann erscheint die Königin Klytaimestra.

CHORFÜHRER.

Doch, Königin, sprich,

Du des Tyndaros Kind, Klytaimestra, was ist?

Was Neues geschah?

Auf welches Gerücht, auf wessen Bericht

Ist’s, daß du die Opfer verteilest?

Und den Göttern zumal, den Beschirmern der Stadt,

Himmlischen, Unteren,

Den Behütern des Markts, den Olympiern flammt’s

Von Geschenken auf jeglichem Altar!

Und hüben und drüben zum Himmel empor

Steigt flackernde Glut,

Mit des heiligen Öls duftsüßem Getröpf,

Wie mit arglos schmeichelndem Zauber getränkt,

Mit dem Weihöl fürstlicher Habe!

So sage davon, was kund mir zu tun

Du vermagst und du willst!

So werde du mir der Besorgnis Arzt!

Was mich bang jetzt läßt in die Zukunft sehn,

Jetzt heiter im Schein sich der Opfer erhellt,

Dies Hoffen, die weitere Sorge verbeut’s,

Den geheim herznagenden Kummer!

Das Opfer beginnt.

Opfergesang

Erste Strophe

CHOR.

Ich darf singen der herrlichen, zeichenbegünstigten Fürsten

Glückliche Fahrt – denn es haucht mir Vertraun zu den Göttern

Dies Festlied ein,

Kraft inwohnendes Alter –,

Wie einst die zwiethronige Kraft der Achaier, der griechischen Jugend

Einige Feldherrn,

Fort mit Speer und mit rächendem Arme der Vogel des Mutes

Sandte gen Troja,

Der Luftkönig die Könge der See:

Der im schwarzen Gefieder voran, der im schneeweißen Fittich

Ihm nach zum Palast an der Lanzenseite;

Auf weitschauendem Horste

Saßen sie, weideten dort vom Geweide der tragenden Häsin,

Im letzten Lauf zum Tod erhascht.

Ailinon, Ailinon rufet! Das Gute siege!

Erste Gegenstrophe

Und der erfahrene Seher, die zwei einmütigen, kühnen

Fürsten erkennend, erkannte die Hasenverschlinger,

Des Zugs Führer;

Also sprach er die Deutung:

»Wohl wird dereinst Priamos’ Feste die Beute der Heerfahrt;

Alle des Schlosses,

Alle des Volkes gesammelte Schätze, sie wird mit Gewalt einst

Rauben die Moira;

So hat nimmer der Ewigen Neid

Die gefährdeten Wälle mit Heeresgewalt so nie umnachtet!

Die lautere Artemis zürnt dem Hause,

Den Flugdienern des Vaters,

Weil mit der Frucht sie die tragende, zagende Mutter geopfert;

Sie haßt der Adler arges Mahl!«

Ailinon, Ailinon rufet! Das Gute siege!

Epode

»So treuen Sinns schirmt die Holde

Des zürnenden Leun ungeborne Brut,

Sorgt für alle des heidedurchfliehnden Wildes saugende Jungen!

Enden wird sie, was Gunstreiches der Aare

Zeichen zugleich so erfreuend, so dräuend verkündet!

Dem Helfer will ich, dem Paian rufen,

Daß sie den Danaern nimmer ermüdender, widriger Winde Fahrthemmung zusend,

Lüstern nach anderem Opfer, geweiht mit Verstummen und Blutschuld,

Heimlichen, keimenden Hasses Geburt, mannscheulos Freveln, da furchtbar

Sein die empörte, mißehrte,

Tückische Herrin im Haus,

Schlaflos kindrächende Wut harrt!«

Also geweissagt wurde von Kalchas zu freudigstem Glücke

Böses aus fahrtvordeutendem Aar dem Hause der Fürsten.

Diesem ein gleiches

Ailinon, Ailinon rufet! Das Gute siege!

Zweite Strophe

Zeus, wer Zeus auch immer möge sein, ist er dieses Namens froh,

Will ich gern ihn nennen so;

Ihm vergleichen kann ich nichts, wenn ich alles auch erwäg,

Außer ihm selbst – wenn des Denkens vergebliche Qualen

Ich in Wahrheit bannen will!

Zweite Gegenstrophe

So, wer ehedem gewaltig war, allbewerten Trotzes hehr,

Was er war, nicht gilt es mehr;

Der darauf erstand, dem Allsieger unterlag auch der.

Aber den Zeus im Gesange des Sieges zu preisen,

Alles Denkens Frieden ist’s!

Dritte Strophe

Ihn, der uns zum ernsten Nachsinnen leitet, uns in Leid

Lernen läßt zu seiner Zeit;

Drum weint auch im Traum im Herzen noch

Kummer leideingedenk, und es keimt

Wider Willen weiser Sinn.

Wohl heißt streng und schonungslos der ewgen hochgethronten Götter Gunst!

Dritte Gegenstrophe

Gleiches hat des Griechenzugs ältrer Führer kummervoll,

Seinem Seher sonder Groll,

Ringsandräundem Kummer ernst bereit,

Als in ruhmloser Rast fahrtgehemmt

Schwierig schon das Griechenheer,

An dem Aulisstrand gelagert, rückwärts Chalkis’ Brandung strömen sah –

Vierte Strophe

Vom Strymon her wehten da die Winde

Rastloser Rast, hafenlosen Treibens,

Des Zugs Verzug,

Für Tau und Kiel immer neu Gefährde;

In trostlos langer Säumnis welkend,

Schwand auch des Heers blühnde Jugend schon dahin;

Und als ein Mittel nun,

Ärger den Fürsten selbst als ärgster Verzug, der Seher,

Artemis’ Zorn deutend, erfand, und sie den Stab tief in den Sand

Stießen und selbst Tränen sie nicht hemmten, des Atreus Söhne –

Vierte Gegenstrophe

Da also sprach dieses Wort der Ältre:

»Ein hartes Los ist es, nicht zu folgen,

Und hart, daß ich

Soll schlachten mein Kind, des Hauses Kleinod,

Am Altar tauchen meine Hand soll,

Die Vaterhand, in der Tochter Opferblut!

Was ist von Schmerzen frei?

Soll ich das Heer verraten? Täuschen die Kampfgenossen?

Daß sie das windstillende Sühnopfer, das jungfräuliche Blut

Wilden Geschreis fordern, gerecht ist es; es stünde gut dann!«

Fünfte Strophe

Als er dem Joch so der Not sich beugte,

Als er der unselgen Sinneswandlung

Nachdachte, der arg unheilgen, da

Ergriff er kühn allzukühnen Vorsatz!

Denn so emporstachelt den Menschen ein erster Irrtum, den er begeht

Sinnverstört. Sinnbetört trug er’s nun,

Sein Kind schlachten zu sehn für jenen weibstrafenden Krieg, der Meerfahrt

Bräutliche Totenweihe!

Fünfte Gegenstrophe

Ihr Bitten nicht, nicht ihr »Vater« Rufen,

Nicht ihre jungfräulich süße Jugend

Erbarmte der Feldherrn wilden Mut;

Der Vater sprach sein Gebet; er hieß sie

Den Diener hoch auf dem heilgen Herd niederhalten, in das Gewand

Tiefverhüllt, vorgebeugt, ziegengleich,

Befahl streng zu bewachen ihren schönrosigen Mund, daß nicht sie

Jammernd ihr Haus verfluche.

Sechste Strophe

Sie schwieg dem Machtwort in lautlosem Zwang;

Ihr Safrankleid ließ sie niederfließen,

Und sah mit wehmütgem Blick bang zu jedem bittend ihrer Opfrer,

Als ob sie so mahnen wie ein stummes Bild

Ihn jetztan sonst wollte, wo

Im goldnen mahlreichen Vätersaal sie

Jungfräulich blöd sang ihr Lied, in des Gesangs kindlich frommer Lust

Des vielteuren Vaters dreimal seliges Los zu preisen.

Sechste Gegenstrophe

Was drauf geschah, sah ich nicht, sag ich nicht;

Doch unerfüllt bleibet Kalchas’ Wort nicht!

Denn Dike wägt je für Leid auch Belehrung zu. Die Zukunft –

Wer beugt ihr aus? – mag voraus ich nimmer schaun;

Dem wär voraustrauern gleich;

Denn klar dem Ausspruch entsprechend kommt sie!

Was muß geschehn, wenden mag sich es zum Heil, falls es gönnen will,

Der hier nächster Hort uns weilt, des apischen Landes Schirmherr!

CHORFÜHRER.

Ich nah in Ehrfurcht, Klytaimestra, deiner Macht;

Das ist gerecht, zu ehren seines Königes

Gemahlin, wenn verwaist ist seines Herrn der Thron.

Doch ob du nun Glaubwürdges hörtest oder nicht,

Daß du in botschaftsfroher Hoffnung opfertest,

Das gern erführ ich; aber schweigst du, kränkt’s mich nicht.

KLYTAIMESTRA.

Ein Evangelium, wie’s im Sprichwort heißet, ward

Das Morgenrot uns von der Mutter Nacht gesandt.

Ja, Freude höret über alle Hoffnung groß:

Die Achaier nahmen ein die Stadt des Priamos!

CHOR.

Was ist? Das Wort entging mir aus Unglaublichkeit!

KLYTAIMESTRA.

In der Griechen Hand ist Troja! Sprach ich nun es klar?

CHOR.

Es ergreift mich Freude, Tränen ruft sie mir hervor!

KLYTAIMESTRA.

Daß du es wohl meinst, zeigt dein Aug mir unverstellt.

CHOR.

Sprich, hast du Zeugnis dessen, sicher und gewiß?

KLYTAIMESTRA.

Gewiß, was sonst denn? Wenn ein Gott mich nicht betrog.

CHOR.

Du ehrst vielleicht ein überredend Traumgesicht?

KLYTAIMESTRA.

Nie würd ich Glauben schlafestrunkenem Sinne leihn.

CHOR.

So macht ein schnellbeschwingt Gerücht dich wohl so froh?

KLYTAIMESTRA.

Als wär ich ein kindisch Mädchen, so verhöhnst du mich.

CHOR.

Zu welcher Zeit war’s, daß die Stadt vernichtet ward?

KLYTAIMESTRA.

In dieser Nacht war’s, welche diesen Tag gebar.

CHOR.

Doch welcher Bote mochte sich so schleunig nahn?

KLYTAIMESTRA.

Hephaistos, der vom Ida hellen Strahl gesandt!

Denn hergeschickt hat in der Feuer Wechselpost

Ein Brand den andern. Ida selbst zum Hermesfels

In Lemnos; von der Insel her zum dritten nahm

Den breiten Lichtstrahl auf des Zeus Athosgebirg.

Hochleuchtend, daß der Wanderin Flamme mächtger Schein

Weithin der Meerflut Rücken überflog, ein Brand

Der Freude, ward goldstrahlend, einer Sonne gleich,

Zur Warte von Makistos dann das Licht gesandt.

Die schürte weiter, säumig nicht noch unbedacht

Vom Schlaf bewältigt, ihren Botenteil hinaus.

Und wieder fernhin eilend gen Euripos’ Flut

Rief auf der Strahl die Wächter auf Messapios.

Die dann entbrannten und entsandten neuen Schein,

Der Graias Haufen Heidekraut anzündete.

Die rüstge Flamme, nicht ermüdet noch geschwächt,

Sie eilte weithin über Asopos’ Ebene,

Gleich hellem Mondlicht, gen Kithairons Felsenstirn

Und weckte schnell der Feuerboten Wechsel auf.

Fernhin erkennbar neue Flamme schürte dort

Die Wache; hoch schlug dann das hellste Feuer auf

Und warf den Glanz weit über den Gorgopis-See.

Auf Aigiplanktos’ Scheitel treffend trieb es an,

Des Fanales Lichtbahn nicht zu stören; schnell geschah’s;

Sie sandten glutanschürend zu wolkenglühndem Schein

Den mächtgen Schweif der Flamme, daß er fernhinaus

Die weite Spiegelfläche des saronischen

Meerbusens leuchtend überstrahlte, bis er kam

Zu Arachnaions Gipfel nah bei unsrer Stadt.

Von dort ergoß dies Feuer sich in dieses Schloß

Der Atriden, echter Enkel der idäischen Glut.

So war die Ordnung dieses Fackellaufs bestimmt

Und, so mit Flamme Flamme wechselnd, schnell erfüllt;

Im Flammenlauf die erst und letzte hat den Preis.

Ein solches Zeugnis, solches Zeichen nenn ich dir,

Aus Troja mir voraus von meinem Mann gesandt.

CHOR.

Die Götter, Herrin, preisen will ich sie demnächst;

Doch anzuhören, zu bewundern jenes Wort

Von neuem, möcht ich, daß von neuem du es sprächst.

KLYTAIMESTRA.

‘s ist Ilion der Griechen Beute diesen Tag!

Ich glaub, ein unvermischt Geschrei durchhallt die Stadt;

Gießt Öl und Essig du in einen Krug, so siehst

Du sie geschieden fort und fort und nicht vereint;

So wird der Sieger, so der Besiegten Rufen dort

Geschieden, so zwiefachen Loses Zeichen sein.

Die einen tiefgebeuget bei den Leichen der

Erschlagnen Männer, der Geschwister, und das Kind

Beim greisen Vater, sie beklagen nimmermehr

Mit freier Kehle dies Geschick der Teuersten.

Die andern, nachtdurchirrend, hungermatte Gier

Hat sie zum Imbiß, wie und wo die Stadt ihn beut,

Verwildert, reihlos Reih und Glied, umherzerstreut;

Wie jeder je das Los des Glückes sich gewann,

So hausen sie in Trojas speererrungenen

Palästen, für des freien Feldes Lagerplatz

Und kalten Tau ein guter Tausch – die Glücklichen!

Die ganze Nacht durch schlafen sie nun unbewacht.

Und ehren jetzt sie jenes Landes, jener Stadt,

Der Besiegten Götter und der Götter Tempel, dann

Vielleicht erliegt der Sieger nicht dem eignen Sieg.

Doch reize nicht Begier zu früh das Heer, besiegt

Von schnöder Habsucht mehr zu wollen, als es darf;

Es braucht zur Heimkehr noch zurück die zweite Fahrt,

Bevor des Seezugs Doppelbahn vollendet ist.

Und käme schuldlos auch den Göttern heim das Heer,

Wach könnte dennoch werden der Erschlagnen Blut,

Geschäh hinfort auch keine neue Freveltat. –

Von mir, von einem Weibe, habe das gehört!

Das Gute siege, jedem Blick unzweifelhaft!

Mit teuren Opfern hab ich solchen Wunsch erkauft.

CHOR.

Du sprachst, o Herrin, würdig eines würdgen Manns;

Ich aber will den Göttern, da mich überzeugt

Dein früher Zeugnis, singen meinen frohen Dank;

Denn fromm erkannt sei’s, wenn sich Mühe so belohnt.

CHORFÜHRER.

Allherrschender Zeus und du, freundliche Nacht,

Du Spenderin leuchtenden Schmuckes,

Die du fest anzogst um Ilions Burg

Dein fangendes Garn,

Und keiner entkam, nicht klein noch groß,

Dem gewaltigen Netze der Dienstbarkeit,

Dem alles erfassenden Unheil!

Dich, gastlicher Zeus, hoch ehr ich auch dich,

Der du das zu erfüllen an Priamos’ Sohn

Längst hieltest den Bogen der Rache gespannt,

Daß weder zu früh noch ins Dunkel der Nacht

Ein eitel Geschoß hinschwirrte!

Erste Strophe

CHOR.

Wie Zeus traf, wissen sie zu sagen;

Auch das vermag man aufzuspüren:

Er hat’s vollbracht, zu enden!

Meinet nicht, daß die Götter den

Ihrer Sorg würdigen,

Der unverletzbares Recht

Zertrat – und der scheute’s nicht!

Beweis ward sein Geschlecht,

Das tollkühn Kampf gewagt,

Im Kriegsmut wilder denn gerecht war,

Im Hochmut überstolzen Glückes,

Im Übermaß schuldig!

Sei mein Geschick niedrig, sei der Armut

Reines Gewissen gnug mir!

Schutz nicht bietet der Reichtum

Dem, der, Glückes gesättigt,

Frech zertrat der Gerechtigkeit Altar, gegen Vernichtung!

Erste Gegenstrophe

Gewaltsam treibt die arge Peitho,

Betörend emsig Kind des Unheils;

‘s ist Rettung allvergeblich!

Nie verglimmt, hell, ein lodernd Feuer,

Grausig hell zeugt die Schuld!

Gleich schlechter Goldmünze nützt

Gebrauch und Zeit prüfend ab

Den Goldschein, falsch gemünzt!

Denn nachlief, knabenhaft

Betört, der schnellbeschwingtem Vogel,

Der Heimat bittrer Prüfung Anfang!

Ihr Jammern hört keiner

Der Götter an, sondern zürnend trifft er

Jenen, des Frevels Anfang!

Also Paris, der damals

Gast im Haus der Atriden

Frech den gastlichen Tisch entweiht, der die Gattin entführt hat.

Zweite Strophe

Dem Volk daheim ließ sie kriegsrüstgen Lärm

Und Schildesklang, Speergedräng, Schiffsgeschrei am Strande,

Nahm Ilions Verderben mit als Brautgeschenk;

So floh sie durch die Pforte dahin,

Verwegnes wagend. Und es schrien laut,

Wehklagten laut ihres Hauses Seher:

»O Haus! O Haus! Wehe, weh dir, Fürstenstamm!

Weh, bräutlich Bett! Spuren toter Liebe, weh euch!«

Dort er, beschimpft schweigend, sonder Zorn und Groll,

Süßträumend, die er verlor, zu schauen,

Er wähnt voll Sehnsucht, die Meerentflohne

Walt’ im Geist noch daheim im Hause;

Alles heiligen Bildes

Anmut ist ihm zuwider,

Ihres Auges verlorne Lust aller Liebe Verlust ihm!

Zweite Gegenstrophe

Und traumverwebt, trauerreich umschweben

Gestalten ihn, seines Grams wunderholdes Trugspiel.

So trughaft, wenn du Liebstes wähnst zu schaun,

So flüchtig deinen Händen entflohn

Verfliegt, verschwindet dir mit leisem Flügel

Dein Traumgesicht weit in Schlafes Weiten.

Also der Gram an des Fürstenhauses Herd;

Schon der so groß – und ein andrer größer noch!

Denn wer aus griechischem Lande mitgezogen ist,

Endloses Grämen weilt daheim

In seinem Haus Tag und Nacht;

Vieles nagt tief am tiefsten Herzen:

Denn wen jeder dahingab,

Weiß er; aber zurückkehrt

Statt des Mannes in jeglich Haus sein Gewaffen und Asche.

Dritte Strophe

Ares, der Leichname Goldwechsler ist’s,

Im Kampf des Speers blutger Todeswäger,

Von Troja heimsendet er den Lieben

Ein kleines, trübselges Überbleibsel,

An Mannes Statt mit Staub gefüllt schönverzierten Aschenkrug!

Drum jammern sie, sie preisen ihn aller Schlachten Tapfersten,

Sie rühmen, daß er herrlich fiel, kämpfend um fremden Mannes Weib!

So in der Stille wird gemurrt,

Und es beschleicht des Kampfes Urheber des Hasses Unheil.

Aber wer in der Schlacht fiel,

Ruht dort unter den Mauern,

Ruht im troischen Grabe; fern deckt ihn feindlicher Boden!

Dritte Gegenstrophe

Gefährlich wächst Volkes Murren, grollgemischt,

Zahlt zurück volkentpreßter Flüche Schuld;

Zu hören bangt meine Sorg ein Ende

Endloser Nacht! Unerspäht den Göttern

Bleibt nimmermehr, wer Blut vergoß, und der Erinnyen schwarze Schar

Quält den, der glücklich wider Recht ist, einst mit unglückselger Fristung

Des Lebens tot; geknechtet, so späht er umsonst nach Schutz umher;

Selbst in des Ruhmes Übermaß

Brütet Gefahr; denn seinen Blitz schleudert des Donnrers Neidblick!

Mein mag mäßiges Glück sein,

Nicht als Städtezertrümmrer

Möcht ich, aber in Feindes Hand auch mich nimmer erblicken!

Epode

Ein botenfroh Feuer ließ

Durch unsere Stadt schnell Gerücht

Eilen; aber ob es wahr, wer weiß es?

Wahrheit wahrlich ist der Götter nur!

Wer wird so kindergläubig, so verblendet sein,

An dieses Scheins neuer Kunde sein Gemüt erst zu wärmen, dann, getäuscht, bittren Tausches Bild zu sein?

Für Weibes Witz paßt es, eh sie offenbar, schon zu preisen Glückes Gunst!

Leichtgläubig zu leicht verbreitet sich Frauengeschwätz,

Wie Windeswehn; doch windverweht

Versinkt zu Nichts weiberausposaunt Gerücht! –

KLYTAIMESTRA.

Bald offenbart sich’s, ob der Botenfackellauf,

Die Wachtfanale meiner Feuerwechselpost,

Wahrhaftig waren oder wie ein Traumgesicht

Mit süßer Täuschung meinen Sinn das Licht beschlich.

Ich seh den Herold vom Gestade schon sich nahn,

Das Haupt vom Ölzweig überschattet; schon bezeugt’s

Des Kotes Zwillingsbruder euch, der durstge Staub,

Nicht werde lautlos, nicht von Feuern hochgeschürt

In des Berges Waldung ferner Rauch euch Bote sein,

Nein, klaren Worts bringt uns entweder sein Bericht

Mehr Freude – was entgegen dem, verschweig ich gern,

Auf daß dem nahnden Glücke glücklich sei der Gruß!

CHORFÜHRER.

Wer jenes andere diesem Lande gönnt und wünscht,

Der ernte selbst einst seiner Mißgunst schnöden Wunsch!

Ein Herold tritt auf.

HEROLD.

O meine Heimat, Argos, teures Vaterland!

Mit des zehnten Jahres Sonne kehr ich wieder heim!

Zwar mancher Hoffnung ärmer, doch in einer reich:

Denn nimmer glaubt ich, daß in Argos’ Erde noch

Des liebsten Grabes Stätte mir beschieden sei.

Nun sei gegrüßt, Land! Sei gegrüßt, du Sonnenlicht!

Und du, des Landes Walter, Zeus! Du, pythischer Fürst,

Mit feindlichem Bogen fürder uns nicht pfeilgewiß –

Entgegen gnug erschienst du am Skamander uns –,

Nun wieder sei uns Helfer, sei uns Streitgenoß,

Du, Fürst Apollon! Euch, ihr kampfbeschirmenden

Gottheiten, alle ruf ich, meinen Schützer auch,

Den teuren Herold Hermes, der Herolde Zier!

Und ihr, Heroen, die uns leitetet, gnädig wollt

Das Heer empfangen, das der Lanzen Wut verschont!

Du, meiner Fürsten Palast, vielgeliebtes Haus,

Ihr heiligen Stätten, Götter ihr im Sonnenlicht,

Wenn irgend je, empfanget heitren Auges jetzt

Im Schmuck den König, unsren Herrn, nach langer Zeit;

Denn heimgekehrt ist, euch und diesen allen Licht

Nach trüber Nacht zu bringen, Agamemnons Macht!

Ihr werdet festlich ihn empfahn, wie’s dem gebührt,

Der Ilion zerstörte mit des Rächers Zeus

Gewaltger Grabscheit, die den Boden unterwirft.

Der Götter Tempel und Altäre sind gestürzt

Und allvernichtet alles Feldes Saat umher.

Der solches Joch anschirrte Priams stolzer Stadt,

Der hehre Fürst Atride, der allglückselge Held,

Er kommt, vor allen höchster Ehre wert, soviel

Jetzt leben. Paris noch die mitgestrafte Stadt

Berühmen fürder größrer Tat als Buße sich;

Denn er, des Raubes, der Entführung schuldig, fand

Sich keinen Retter; sein zum Tod gezeitigter

Ureingeborner Fürstenstamm, er riß ihn aus!

So ward der Priamiden Doppelschuld gebüßt!

CHOR.

Achaierherold, Freude dir! Sei froh begrüßt!

HEROLD.

Ja, Freud; ich stürbe gern jetzt; nichts verlang ich mehr!

CHOR.

Verlangen wohl nach deiner Heimat quälte dich?

HEROLD.

So daß die Freude Tränen meinem Aug entlockt!

CHOR.

Gekranket habt auch ihr an diesem süßen Weh?

HEROLD.

Auch ihr? Belehrt erst werd ich deines Wortes Herr!

CHOR.

Getrauert voll Verlangen nach Verlangenden?

HEROLD.

Hat heim das Land sein heim sich sehnend Heer gesehnt?

CHOR.

Drum hab ich oftmals tief geseufzt in trübem Sinn!

HEROLD.

Was ward dem Volke solches bösen Grames Schuld?

CHOR.

Längst heißt mir Schweigen alles Grames einzger Arzt!

HEROLD.

Der Fürsten Fernsein, machte dich’s vor Fremden bang?

CHOR.

So daß mir dein »Jetzt stürb ich gern« gar schön erscheint!

HEROLD.

Ja, schön vollbracht ist’s! Freilich in so langer Zeit,

Mag einer sagen, fügt sich vieles günstig wohl,

Doch andres wieder minder gut. Wer aber ist

Nicht Gott und sonder Leiden all sein Lebelang?

Wollt unsre Mühsal ich erzählen, schwere Wacht

Und selten Ruhtag, schlechtes Lager, und des Tags,

Wann je von Schiffsdienst und Gefährde wir befreit?

Gar auf dem Festland kam dazu noch neue Not;

Denn unsre Zelte lagen hart an Feindes Wall,

Vom Himmel oben und vom Wiesengrund herauf

Durchnäßte kalter Tau uns, sog verderbend sich

In unsre Kleider, unser Haar verwildernd ein.

Spräch ich vom Winter, jenem Vogeltöter, gar,

Wie unerträglich den des Ida Schnee gebracht,

Gar von der Hitze, wenn um Mittagszeit die See

In wellenlos windstiller Ruh sich legend schlief –

Doch wozu klag ich’s? ‘s ist vorüber alle Müh,

Vorüber nun auch denen, die gefallen sind,

Und nimmermehr verlangt sie wieder aufzustehn.

Was soll ich euch herzählen die Gebliebenen und

Mich, der ich lebe, kränken um ihr traurig Los?

Nein. Lebewohl sei allem bösen Tag gesagt!

Denn uns, die wir vom Griechenheer noch übrig sind,

Siegt der Gewinn doch, und ihn wiegt kein Leiden auf;

Wer heimgezogen über Land und über Meer,

Darf so sich rühmen vor der Sonne heilgem Licht:

Troja erobert hat das Heer der Danaer,

Geweiht den Göttern seine Beute, aufgehängt

In allen Tempeln Griechenlands den teuren Schmuck!

Die solches hören, preisen müssen sie das Volk

Und seine Feldherrn; hochgelobt sei aber auch

Zeus’ Gnade, die’s vollbrachte! Alles weißt du nun.

CHOR.

Von deinem Wort bekenn ich gern mich überzeugt;

Zum steten Lernen bleibet auch das Alter jung.

Das Haus und Klytaimestra mag dafür zunächst

Zu sorgen haben, aber wir uns mitzufreun.

KLYTAIMESTRA.

Laut aufgejauchzet hab ich längst in heller Lust,

Als meines Feuers erster nächtger Bote kam,

Daß eingenommen Troja und verwüstet sei.

Zwar mancher sagte spottend: »Solchem Feuerschein

Vertrauend, glaubst du, Ilion sei nun zerstört?

Doch Weiberart ist’s, außer sich gar bald zu sein!«

Nach solcher Red erschien ich als ein töricht Weib;

Jedennoch opfern ließ ich, und den Jubelruf

Erhuben gellend Weiber, andre anderswo,

In der Stadt umher froh lärmend, in der Götter Sitz

Mit reichen Spenden duftges Feuer sänftigend.

Und nun, was braucht’s noch, daß du mir das weitre sagst?

Die ganze Kunde hör ich bald vom Fürsten selbst;

Drum eil ich, meinen erlauchten Herrn aufs herrlichste

Bei seiner Ankunft hier zu empfahn. Was gäb es auch

Für eine Gattin Süßeres, als den Tag zu schaun,

Wo ihrem Mann, der glücklich heimkehrt aus dem Feld,

Das Tor sie auftut! Also sprich zu meinem Herrn:

Zu kommen mög er eilen, vielersehnt der Stadt;

Treu fänd im Haus er sein Gemahl, wie er sie einst

Verlassen habe als des Hauses Wächterin,

Ihm edlen Sinnes, allen Bösgesinnten feind,

In allem andern noch sich gleich, von ihrer Hand

Kein Siegel drinnen während all der Zeit verletzt;

Noch weiß von Wollust, von verbotner Heimlichkeit

Mit fremdem Manne mehr ich denn vom Bad des Stahls!

Klytaimestra ab.

HEROLD.

Ein solcher Selbstruhm, seiner Wahrheit voll und wert,

Ist tadellos zu sprechen für ein edles Weib!

CHOR.

Sie sagt es selbst dir, und du hörst es von ihr selbst,

Vom besten Dolmetsch, durch ihr eignes klares Wort!

Doch sag mir, Herold, ist Menelaos auch mit euch

Heimwärts gesegelt, ist er wohlbehalten auch

Zurückgekommen, unsres Landes lieber Herr?

HEROLD.

Nicht ist es möglich, daß ich frohe Kunde dir,

Der du dich lange könntest freun, erheuchele!

CHOR.

Wie träfst du auch das Wahre, wenn du Frohes sagst?

Daß das sich ewig scheidet, leicht ist’s einzusehn!

HEROLD.

Der Held, er ist verschollen im Hellenenheer,

Er selbst und seine Schiffe. Falsches hörst du nicht!

CHOR.

Und ging er vor euch noch von Troja aus in See?

Verschlug ein Sturm ihn, euch und ihm zugleich verhängt?

HEROLD.

Recht trafst du wie ein wackrer Bogenschütz das Ziel

Und sprachst ein langes Leiden aus mit kurzem Wort!

CHOR.

Ob er selbst noch lebe, ob er umgekommen sei,

Kam’s durch Berichte fremder Schiffer nicht umher?

HEROLD.

Wohl keiner weiß es, der es nacherzählen kann,

Als, der der Erde Lebenskraft nährt, Helios!

CHOR.

Wie aber, sag uns, ist den Schiffen jener Sturm

Gekommen und vollendet durch der Götter Zorn?

HEROLD.

Mit böser Botschaft sollte man den frohen Tag

Niemals entweihen; des enthält sich Gottesfurcht;

Bringt aber heim ein Bote der gefallenen

Heerscharen unaussprechlich Leid, mit trüber Stirn

Die Wunden heim, die eine des gesamten Volks

Und andere viele, weil aus jedem Haus den Mann

Hinausgepeitschet Ares’ Doppelgeißel hat –

Zweischneidges Unheil, blutge Gramverschwisterung –,

Ja, wem ein solcher Jammer aufgebürdet ist,

Den soll man nennen der Erinnyen Ehrenhold,

Doch Freudenbote glücklich überstandner Not

Den, welcher heimkehrt froh zur frohen Vaterstadt.

Wie misch ich Liebes Bösem bei, wenn ich vom Sturm,

Den Götter uns Achaiern zürnten, sprechen soll?

Denn da verschwur sich, was sich sonst das Feindlichste,

Meerflut und Feuer, sie bewährten ihren Bund,

Vernichtend der Argiver unglückselges Heer.

Es erhob zur Nachtzeit sich der empörten Fluten Sturz,

Aneinander jagte die Schiffe wilder thrakischer

Orkan; sie selbst im Ungestüm des Schloßensturms,

Des typhoischen Wetters, wild vom Horn des Kiels zerfleischt,

Verschwanden spurlos in des Treibers Kreiseltanz.

Als dann das Frühlicht tagend endlich wieder schien,

Da sahn wir rings des stillen Meeres Spiegel blühn

Von Griechenleichen, von zerschellter Schiffe Wrack.

Uns aber hat und unser unversehrtes Schiff

Entwendet, glaub ich, oder bittend frei gemacht

Ein Gott, ein Mensch nicht, der das Steuer uns gelenkt;

Mitfahrend saß beim Ruder Tyche, Retterin,

Daß nicht den Kiel am Ankerplatz noch böse Flut

Bedrohte, noch am Klippenstrand er scheiterte.

Also dem Hades des empörten Meers entflohn,

Mißtrauten unsrem Glück wir auch am heitren Tag

Und ließen weiden unsren Gram das neue Leid

Des mühbeladnen, jammervoll zerstäubten Heers.

Und freut von jenen einer noch des Atems sich,

So redet auch von uns er wie von Toten; denn

Wir wieder meinen, ihnen sei es so geschehn.

So gut es kann, mag’s werden; doch Menelaos nun,

Der kommt zuerst wohl und vor allen noch zurück;

Denn wenn ein Lichtblick irgend noch des Helios

Ihn leben sieht und weben durch Zeus’ ewgen Rat,

Der sein Geschlecht doch nimmermehr vertilgen will,

So bleibet Hoffnung, daß er einst noch wiederkehrt. –

Soviel du hörtest, Wahres nur hast du gehört!

Herold ab.

Erste Strophe

CHOR.

Wer erfand den Namen einst,

Namen überall bewährt,

Wenn nicht der, den keiner schaut, der voraus all Verhängnis überdenkt,

Auch das Wort im Zufall lenkt –

Helena deutungsvoll die vielstreitige, speererrungne nennend,

Die, ein Elend allem Geschwader und Volk, aus des Gemahls

Teppichumhülltem Lager floh, fahrend mit segelblähndem Westwind?

Und des Kiels flutenverwehter Fährte nachjagten mit Schild und Speer die Jäger,

Fern gen Simoeis’ Uferland steuernd, dem laubumgrünten,

Mit dem empörtesten Blutdurst!

Erste Gegenstrophe

Rechte Gramverschwägrung war’s,

Die den Troern Götterzorn,

Endesinnend, hat gesandt, für des Gasttisches arge Schändung einst,

Für des höchsten Hortes Schmach

Buße vom Freudenfest, vom brautfeiernden Hymnos einzufordern,

Von dem Hochzeitlied, das die Schwäger daheim sangen mit Stolz;

Doch es verlernte solchen Sang bald die ergraute Priamsfeste;

Und in Gramliedern beseufzend ihre Not, schrie sie, verfluchte sie Paris’ Untat,

Noch bevor sie das ganze graunvolle Geschick des Volkes sah

In dem entsetzlichen Blutbad!

Zweite Strophe

Es zog also ein Mann einst,

Ein Löwenjunges der Muttermilch raubend, selbst sich den Rächer;

Denn es erschien im Anfang,

Zahm mit den Kindern zu spielen,

Treuer Begleiter der Alten,

Ruhete oft in ihrem Arm,

Wie ein gehegter Säugling pflegt,

Sah hellblickend zur Hand herauf, an sich schmiegend vor Hunger.

Zweite Gegenstrophe

Gereift endlich enthüllte

Die Art er seines Geschlechtes; denn, als der Pflege Vergeltung,

Riß er sich ungeladen

Schafe der Herde zum Mahle,

Tünchte des Haus mit dem Blute rings –

Für die Bewohner übergroß

Unverwindbar bittres Leid;

Gottgesandt dem Geschlecht erwuchs so ein Priester des Unheils.

Dritte Strophe

In gleicher Art kam gen Ilion, ich möchte sagen:

Ein Sinn wie glanzheitre Meeresstille,

Ein Kleinod wunderholden Reichtums,

Lieblich geheimen Blickes Pfeil,

Herzbetrübende Liebesblüte;

Doch enttäuscht endlich, erfüllt’ selbst sie das grambittere Ziel der Hochzeit,

Die, hinweg Frieden und Lust scheuchend, in Priamos’ Haus geflohn kam,

Geschenk des gastlichen Zeus,

Brautbeweinte Erinnys!

Dritte Gegenstrophe

Ein greises Wort, vielberühmt den Menschen, lautet also:

Der große, volkreiche Glückessegen

Gebiert, stirbt nimmer kinderlos;

Und in des Glückes Garten wächst

Unersättlicher Jammer wuchernd!

Doch erkennt anders es mein Geist; denn des Menschen böser Wandel,

Er erzeugt andere Untat, an des Vaters Zügen kenntlich!

Doch frommen Häusern erblüht

Kinderseliges Heil stets!

Vierte Strophe

Es zeuget gern Übermut alter Zeit Übermut fort und fort,

Der im Leide grünt und reift –

Sei’s heut, sei’s morgen, wenn nur erst die rechte Stunde kommt –,

Den unüberwindlichen, den allverhaßten, den Abscheu des Sonnenlichts, in des Geschlechts

Nachtdunkler Schuld göttervergeßne Frechheit,

Wieder dem Vater ähnlich!

Vierte Gegenstrophe

Doch Dike strahlt unter armselgem, rauchschwarzem Dach,

Ehret frommes Leben hoch;

Wer aber goldgewirkte Pracht mit schmutzger Hand sich webt,

Da flieht des Vaters hehre Tochter, den Blick abgewandt, des Reichtumes Gewalt,

Von feilem Lob falsch gemünzt, verachtend;

Jegliches probt am Ziel sie!

Auf hohem Siegeswagen tritt Agamemnon auf; neben ihm sitzend Kassandra. Etwas später tritt Klytaimestra aus dem Palast.

CHORFÜHRER.

Mein König und Herr,

Du des Atreus Sohn, der du Troja bezwangst,

Wie red ich dich an, wie ehr ich dich jetzt

Nicht überentzückt, nicht niedergedrückt

Von der Freude des Tags?

Wohl mancher versucht zu erheucheln den Schein,

Überschreitend das Maß des Gerechten!

Mit dem Unglückselgen zu klagen ist leicht

Alljeder bereit; doch die Nadel des Grams

Dringt dem niemals bis zum Herzen!

Und Fröhlichen wieder erscheinet er froh

Und zwingt nichtlachende Stirn, daß sie lacht.

Doch wer wie ein wackerer Hirte des Volks

Achtgibt, dem birgt solch Auge sich nicht,

Das, ein treues Gemüt zu bekunden bemüht,

Liebäugelt in wäßriger Freundschaft!

Du dünktest mich einst, da du fort in den Krieg

Um Helena zogst – nicht berg ich es dir –,

Sehr töricht zu sein, und es blieb mir im Geist,

Daß du nicht recht lenktest das Steuer des Sinns,

Unwilligen Mut

Für Kampf und Tod zu erzwingen.

Jetzt aber erfreut mich im tiefsten Gemüt

Die Gefahr, die glücklich vorbei euch zog;

Du wirst mit der Zeit, wenn du nachforschst, sehn,

Wer löblich und wer nicht, wie es sich ziemt,

Von den Bürgern die Stadt dir bewahrt hat.

AGAMEMNON.

Zuerst gebührt sich’s, Argos und die heimischen

Gottheiten fromm zu grüßen, die zur Wiederkehr,

Zu meinem Recht mir halfen, das ich von Priams Stadt

Gefordert habe. Sie, des Streites Richter nicht

Nach Red und Gegenrede, warfen offenbar

In des Blutes Urne Trojas männermordende,

Des Todes Kugel; bei der andern, unberührt

Von aller Hand noch, saß die Hoffnung kummervoll.

Am Rauch erkennt man Trojas Trümmerstätte jetzt;

Die Todeswolke lebt und weht, und sterbend haucht

Des einstgen Reichtums schwülen Qualm die Asche noch.

Dafür gebührt den Göttern vielgedenker Dank,

Da auch die Tücke wutgeschürzter Schlingen wir

Vergolten haben und des Weibes wegen jetzt

Die Stadt in Staub trat das Argiver-Ungetüm,

Des Rosses Nestling, unser schildgewandtes Volk,

Das sich zum Fang hob um der Plejaden Untergang;

Da übersprang den Wall es, ein blutdurstger Leu,

Und leckte dürstend sich im Königsblute satt.

Den Göttern hab ich diesen ersten Gruß gesagt;

Zu deiner Meinung, der ich wohl gedenke, dies:

Dasselbe sag ich und vertrete, was du sprachst;

Denn wenig Menschen ist es angeborne Art,

Den hochbeglückten Freund zu ehren sonder Neid;

Denn in das Herz tief frißt sich ein des Neides Rost

Und kränkt mit zweifach bösem Gram den Krankenden;

Von eignem Leide nieder schon gedrückt, beseufzt

Er’s doppelt bitter, daß er andre glücklich sieht.

Wohl nennen darf ich – denn ich hab es selbst erkannt

In meines Lebens Spiegel – eines Schattens Bild

Den Schein der Treue, den mir viele viel gezeigt;

Und nur Odysseus, welcher ungern mit uns zog,

Trug willig mit mir, unter gleiches Joch gebeugt! –

Ob er der Toten einer, ob am Leben noch,

Weiß Gott! – Das weitre für die Götter und die Stadt,

In der Volksversammlung wird es nach gewohnter Art

Erwogen werden; was sich gut und tüchtig zeigt,

Für dessen Aufrechthaltung wird zu sorgen sein;

Doch wo’s des Arztes und der Arzenein bedarf,

Da auch mit Schnitt und Feuer, doch voll Liebe werd

Ich solchen Aussatz wegzutilgen mich bemühn.

Und nun zum Palast und zum Herde heimgekehrt,

Heb ich den Göttern betend meine Hand empor;

Die fern hinaus mich sandte, die mich heimgeführt,

Nike, die mir gefolget, sei mein immerdar!

KLYTAIMESTRA.

Argiver, Bürger, unsrer Stadt ehrwürdger Stolz!

Nicht soll’s mich schämen, wie ich liebe meinen Mann,

Vor euch zu sagen; sondern auslischt uns die Zeit

Die blöde Scheu vor Menschen. Eignen Grams belehrt,

Will ich erzählen, wie ich still und kummervoll

Fortlebte, während jener lag vor Ilion.

Schon daß so weit von ihrem Mann getrennt ein Weib

Einsam daheim sitzt, das ist unaussprechlich hart;

Gerüchte hört sie, viele, widersprechende;

Bald daß er komme, bald er bringe mit zurück,

Was schlimmer als das Schlimmste sei, so heißt’s im Haus.

Und wenn ihm soviel Wunden dort geschlagen sind,

Wie das Gerücht uns fort und fort zu Ohren kam,

Sein Körper wäre wie ein vieldurchlöchert Netz;

Und wär er stets gefallen, wenn gesagt es ward,

Gleich einem zweiten dreigeleibten Geryon

Könnt er im Leben – denn vom Tode red ich nicht –

Gar manch ein dreifach Leichentuch zu haben schon

Sich rühmen, einmal sterbend mit jedwedem Leib.

Um solcher unglückselgen Kunde willen war’s,

Daß mancher Schlinge, hochgeknüpft um meinen Hals,

Mich überrascht und wider Willen man entriß.

Zu Agamemnon.

Drum steht der Knabe nicht mir, wie es müßte sein,

Er mein und deiner Liebe liebes Unterpfand,

Orest mir nicht zur Seite; wundre drum dich nicht!

Dein treuer Gastfreund zieht ihn dir wohlwollend auf,

Der Phoker Strophios, der mir viel Bedenkliches

Vorausgesagt hat, wie in Gefahr vor Ilion

Du schwebtest, wie das herrscherlose Volk den Rat

Leicht in Empörung stürzte, wie es angeborn

Den Menschen sei, Gestürzten doppelt weh zu tun.

Glaub nicht, es berge dies Entschuldgen dir Betrug! –

Mir aber ist der Tränen ewig strömender

Brunnquell versieget; drinnen ist kein Tropfen mehr;

Mein spätentschlummernd Auge krankt und schmerzt mich sehr;

Um dich zu weinen, saß ich Mitternächte durch,

Von denen du nichts wußtest; wieder dann im Traum

Erweckte früh mit schwirrend leisem Flügelschlag

Mich eine Mücke, wann ich deiner Leiden mehr

Sah, denn die Zeit begreifen konnte, die ich schlief.

Nachdem ich alles das mit ungebeugtem Sinn

Ertragen, nun begrüß ich dich des Hauses Hort,

Ein allerrettend Ankertau, des hohen Dachs

Grundfester Pfeiler, eines Vaters einzig Kind,

Und Land, dem Schiffer wider Hoffnung aufgetaucht,

Ein schönster Frühlingsmorgen nach dem Wintersturm,

Dem müden, durstgen Wandersmann ein frischer Quell!

So selig ist es, aller Not entflohn zu sein,

Und solchen Grußes acht ich dich darum mir wert!

Fern bleibe Mißgunst; haben wir doch Gram genug

Zuvor erduldet! – Nun, o du mein teures Haupt,

Steig mir von deinem Wagen; auf die Erde nicht

Setz deinen Fuß, Herr, den Zertreter Ilions!

Was säumt ihr, Mägde, da euch aufgetragen ist,

Die Decken hinzubreiten über seinen Weg!

So eilt, daß purpurüberdeckt ihm sei der Gang,

Den wider Hoffnung Dike leitet seinen Fuß;

Das andre wird mein Sorgen, das kein Schlaf bezwang,

Gerecht, so Gott will, bald erfüllen, wie es muß!

Die Sklavinnen breiten Purpurteppiche bis zum Palast.

AGAMEMNON.

Du Tochter Ledas, meines Hauses Hüterin,

Du sprachst der Zeit, die ich entfernt war, wohlgemäß

In gleicher langer Rede; doch ein echtes Lob –

Aus fremdem Mund muß kommen uns ein solch Geschenk.

Auch wolle sonst nicht mit mir zärteln nach der Art

Der Weiber noch am Boden liegend tief herauf,

So wie’s Barbaren tun, mir knechten deinen Gruß,

Noch mache gar mit deinem Purpur meinen Weg

Verhaßt: die Götter nur ist so zu ehren recht!

Daß ich, ein Mensch, auf bunten Prachtgewanden soll

Hinschreiten, mir ist’s Grund zu mehr als eitler Furcht;

Ich will geehrt als Menschen, nicht als Gott mich sehn;

Auch ohne deiner Decken, deines Purpurs Stolz

Erhebt der Ruf mich, und es ist, nicht argen Sinns

Zu sein, der Götter größt Geschenk. Den mag beglückt

Man preisen, der sein Leben schließt im lieben Glück;

Wenn mir es stets so würde, hätt ich frohen Mut!

KLYTAIMESTRA.

O sage du nicht mir das wider meinen Wunsch!

AGAMEMNON.

Den Wunsch bewahr ich, glaub mir, unveränderlich!

KLYTAIMESTRA.

Hast du gelobt aus Furcht, es irgend je zu tun?

AGAMEMNON.

Wenn einer, hab ich meinen Entschluß wohl bedacht!

KLYTAIMESTRA.

Was, meinst du, täte Priamos wohl an deiner Statt?

AGAMEMNON.

Ich glaube, der beträte deiner Decken Pracht!

KLYTAIMESTRA.

So habe nicht mehr vor der Menschen Tadel Scheu!

AGAMEMNON.

Und doch gewichtig ist des Volkes Stimme stets!

KLYTAIMESTRA.

Wer unbeneidet, ist des Neides nimmer wert!

AGAMEMNON.

Streit aufzusuchen ziemet für ein Weib sich nicht!

KLYTAIMESTRA.

Jedoch besiegt zu werden dem, der glücklich ist!

AGAMEMNON.

So achte du auch meinen Sieg in diesem Streit!

KLYTAIMESTRA.

Gib nach, gewähre willig mir die Oberhand!

AGAMEMNON.

Nun, wenn du gern willst, mag man schnell die Sohle mir

Abbinden, meines Fußes treue Dienerin,

Daß nicht mich fernher treffen mag, wenn ich in ihr

Auf Purpur wandle, eines Gottes neidscher Blick:

Denn ich fürchte sehr zu verderben meines Hauses Glück,

Wann solchen Reichtum, solch Geweb mein Fuß verdirbt!

Davon genug jetzt. Dieses fremde Mädchen führ

Ins Haus mir freundlich; wer als Herr sich mild erzeigt,

Auf den herab sieht mild und gnadenreich der Gott;

Mit frohem Herzen trägt ja niemand Sklavenjoch.

Aus vielen Beuten als die schönste Blume mir

Vom Heer erlesen und geschenkt mir, kam sie mit.

So will ich, da ich dir zu folgen über mich

Gewann, ins Haus gehn, tretend auf des Purpurs Glanz!

Geht in den Palast.

KLYTAIMESTRA.

Es ist ein Meer noch – und das Meer, wer schöpft es leer? –,

Das vielen Purpurs silberaufgewägten Saft

Erzeugt, den immerneusten, prachtkleidfärbenden,

Davon, den Göttern dank es, Herr, dein Haus besitzt!

Zu haben, nicht zu darben hat dein Haus gelernt.

Und viele Decken hätt ich zum Zertreten gern

Gelobt, wenn das mir ein Orakel angezeigt,

Als Dank, daß heim dein Leben du mir hast gebracht.

Denn lebt die Wurzel, so umgrünet Laub das Dach

Und breitet Schatten vor dem heißen Sirius;

Du, heimgekehrt mir an den heimatlichen Herd,

Mir kündest Frühlingswärme du in Winterszeit;

Und wieder, wenn in herber Traube Zeus den Wein

Läßt reifen, lieber Kühle gleich weht’s dann im Haus,

Weil du vollendend wieder heimgekommen bist! –

Zeus, Zeus Vollender, endlich ende mein Gebet;

In deine Hände leg ich, was du enden mußt!

Ab in den Palast.

Erste Strophe

CHOR.

Warum ist’s, daß immerfort

Jenes Zeichen meinem Blick,

Meinem ahndungsvollen Geiste vorschwebt?

Daß der Gesang ungelohnt, ungeboten mir weissagt?

Warum nicht, vergessend sein,

Sein wie eines dunklen Traums,

Weilt auf meines Gemüts liebem Thron getroster Mut?

Und doch: vorbei ist längst die Zeit, daß fern am Strand

Heer und Schiffe man altern ließ, als zur See gen Ilion

Unser Heer gezogen war!

Erste Gegenstrophe

Eigner Zeuge, eignen Augs

Sah ich ihre Wiederkehr;

Dennoch singet drinnen harfenlos mir,

Willenlos mir den Trauergesang der Erinnys

Meine Seele, ruhig nicht

Durch der Hoffnung frohen Mut!

Und dies Bangen, erwägt’s kalter Ernst, so täuscht sich nicht

Mein Herz, vom Strudel nahnder Erfüllung miterfaßt!

Möcht es anders, wie ich’s geahnt, möcht es ewig unerfüllt

Als ein Nichts in Nichts vergehn!

Zweite Strophe

Denn es verzehrt, heimlich zerstört alle blühnde Gesundheit selbst sich; ihr Nachbar,

Wohnt, Mauer an Mauer ihr, lauerndes Siechtum!

Mitten in glücklicher Fahrt

Treibet des Menschen Verhängnis

Auf verborgene Scheiterklippen;

Wirft Besorgnis einen Teil

Dann hinab vom reichen Gut,

Einen vollgemeßnen Wurf,

Nicht versinkt sein Haus dann ganz,

Grambelastet allzusehr,

Noch verschlingt die See den Kiel;

Wahrlich, reifende, reichliche Gabe des Zeus in den jährlichen grünenden Fluren

Sättigt leicht den Hungernden!

Zweite Gegenstrophe

Doch in den Staub wenn das dahinsterbend dunkele Blut einmal sich gemischt hat,

Wer ruft es mit Zauber zurück in das Leben?

Welcher vor allen verstand

Tote zu wecken, es zwang den

Zeus, nicht schonend, zur Ruh des Todes.

Aber wenn es kein Geschick

Gottbeschieden hinderte,

Längren Lebens froh zu sein,

Eilen würde da mein Herz,

Auszuströmen diesen Wunsch;

Doch im Dunkel kummervoll

Pocht es zagend, im Tiefsten verzagend, das Knäuel der Gedanken zu lösen,

Wild umtost von dunkler Angst! –

Klytaimestra tritt eilig aus dem Palast.

KLYTAIMESTRA.

So komm hinein doch! Du, Kassandra, bist gemeint;

Nicht zürnte Zeus dir, daß er in unsrem Hause dich

Am Opfer teil läßt nehmen, mit den übrigen

Dienstboten hinzutreten an den heilgen Herd.

So steig herab vom Wagen! Laß den eitlen Stolz!

Denn auch Alkmenes Sohn, so sagt man, trug es einst,

Verkauft zu leben und gezwungen Knecht zu sein.

Wenn nun ein Schicksal dieser Art jemandem wird,

So ist ein altbegütert Haus am leidlichsten;

Doch die sich Reichtum unerwartet ernteten,

Sind ihren Sklaven immer hart und ungerecht.

So weißt du also, wie’s bei uns gehalten wird.

CHORFÜHRER.

Sie hat zuletzt dir recht ein wahres Wort gesagt,

Und bist du einmal im verhängten Netz, so folg,

Da du ihr doch mußt folgen; oder folgst du nicht?

KLYTAIMESTRA.

Versteht sie nicht, gleich Schwalben, unverständliches

Geschwätze der Barbaren nur, so rat ich ihr

Mit klaren Worten, wohlverständlich, daß sie folgt!

CHOR.

Geh mit! Sie rät das Beste, was dir übrig ist;

Gehorche! Steig aus deinem Wagensitz herab!

KLYTAIMESTRA.

Nicht hab ich Muße, lange vor den Türen hier

Zu weilen; denn in Hauses Mitten am Altar

Steht unser Opfer schon am Feuer uns bereit,

Die wir uns niemals solche Lust erwarteten.

Willst du dabeisein, nun, so zögre länger nicht,

Und kannst du unvernehmlich nicht mein Wort verstehn,

So sag’s mir statt mit Worten mit der Barbarenhand!

CHOR.

Ein klarer Dolmetsch scheint der Fremden not zu sein,

Sie ist so schüchtern wie ein neugefangen Wild.

KLYTAIMESTRA.

Nein, ist von Sinnen, hört nur ihrem argen Trotz,

Daß sie entfernt von ihrer neugefangnen Stadt

Herkam; dem Zügel sich zu fügen scheint ihr fremd,

Eh nicht, gepeitscht, sie blutgen Schaum zu Boden trieft!

Nicht weiter nutzlos sprech ich hier zur eignen Schmach!

Eilig ab.

CHOR.

Und ich – mich jammert deiner –, eifern will ich nicht!

So komm, du Arme; deinen Wagen laß allein;

Dem Zwange weichend, weih das neue Joch dir ein!

Erste Strophe

KASSANDRA.

Ha, Götter! Oh!

Apollon! Apollon!

CHOR.

Was rufst du solch ein traurig Ach dem Loxias?

Er ist der Gott nicht, dem des Grames Ruf gebührt!

Erste Gegenstrophe

KASSANDRA.

Ha, Götter! Oh!

Apollon! Apollon!

CHOR.

Von neuem rief sie mit entweihndem Schrei den Gott,

Dem nie gerecht ist, solchem Jammer nah zu sein!

Zweite Strophe

KASSANDRA.

Apollon! O Apollon!

Du Wegführer! O Abholder mir!

Abhold verdirbst du gar mich ganz zum zweitenmal!

CHOR.

Ihr eignes Unheil will sie wohl verkündigen;

Des Gottes Geist weilt auch im Sklavensinne noch!

Zweite Gegenstrophe

KASSANDRA.

Apollon! O Apollon!

Du Wegführer! O Abholder mir!

Wohin geführt hast du mich, ach, in welches Haus?

CHOR.

Zum Hause der Atriden, wenn du nicht es weißt;

Ich sag es gern dir, falsch erfindest du es nicht!

Dritte Strophe

KASSANDRA.

Ha! Götterverhaßtes Haus! Du von unzählger Schuld

Zeuge, von Strick, von Wechselmord,

Von Mannes Opferbecken, Boden blutbespritzt!

CHOR.

Scharfspürend scheint die Fremde, wie ein Jägerhund,

Zu wittern, wessen Todesblut sie spüren mag!

Dritte Gegenstrophe

KASSANDRA.

Ha! Diese belehren mich, deutliche Zeugen sind’s,

Weinende Kindlein, jäher Mord,

Ihr Fleisch gebraten und vom Vater aufgezehrt!

CHOR.

Wir haben sonst schon viel von deinem Seherruf

Erfahren alle, suchen jetzt Wahrsager nicht!

Vierte Strophe

KASSANDRA.

O Götter ihr! Weh, was ersinnt sie jetzt?

Welch unerhörtes, neues Weh,

Welch gräßlich Unheil drinnen beginnt die Wilde jetzt –

Unsagbar, unsühnbar, ein Fluch allen! Ach, und Hilfe von keiner Seite!

CHOR.

Mir unbegreiflich sprachst du dies Orakel aus;

Klar war mir jenes; denn die ganze Stadt erzählt’s!

Vierte Gegenstrophe

KASSANDRA.

Unselge du! Wehe, du führst’s hinaus!

Der an der Seite dir geruht,

Den du ins Bad lockst, deinen Herrn – wie sag ich’s ganz?

Denn gleich ist’s erfüllt – frech hervor recket, ach! schon hastig sich Arm um Arm!

CHOR.

Ich faß es nimmer, unerklärlich Rätsel birgt

Mir deiner zukunftschwangren Worte dunkler Sinn!

Fünfte Strophe

KASSANDRA.

Ach! ach! o schau! o schau! Wieder, was seh ich da?

Ist’s gar ein Netz des Todes?

Die Schlinge Bettgenossin, Blutgenossin

Des Mordes ist’s! Jauchze, du wilder Haß

Dieses Geschlechtes, jetzt diesem Blutopfer zu!

CHOR.

Weh! Welchen Dämon rufst du auf, in diesem Haus

Wild aufzujubeln? Fröhlich macht dein Wort mich nicht!

Nein, in das Herz zurück stürzt mir in dumpfer Angst

Das Blut totenbleich, wie der Verwundeten

Brechendes Auge der Tod tief in Nacht hüllt;

Verderben eilt gar zu schnell!

Fünfte Gegenstrophe

KASSANDRA.

Ach! ach! o sieh! o sieh! Halt von der Kuh doch fern

Den Stier! Im weiten Mantel

Fängt sie den schwarzgehörnten ein mit arger List!

Sie trifft – er sinkt, sieh, in des Beckens Flut! –

Von dem Geschick in mordlistgem Bad hörtest du!

CHOR.

Nicht großer Kunde rühm ich mich im Deuten von

Orakelsprüchen; doch ein Unglück ahnd ich hier!

Wo ist ein freundlich Wort von den Orakeln je

Den Sterblichen gesandt? Im Leid selber erst

Lassen verstehn die vieldeutigen Sprüche

Die gottgeweissagte Furcht!

Sechste Strophe

KASSANDRA.

O mein, der Armen, gar zu betrübtes Los!

Denn um mein eigen Leid sing ich die Klage mit drein!

Warum denn hierher hast mich Arme du gebracht?

Doch einzig, daß ich mit dir stürbe! Wozu sonst?

CHOR.

Dich hat ein Gott verwirrt,

Dir das Gemüt verstört, daß unselgen Sang

Du von dir wie die Nachtigall wehklagst,

Die im betrübten Sinn, ach! des Rufs nimmer satt,

Itys, o Itys! seufzt; ewiger Gram umblüht

Ihr Wehklageleben!

Sechste Gegenstrophe

KASSANDRA.

O selig Schicksal singender Nachtigall!

In den beschwingten Leib kleideten Götter sie

Und gaben süße, tränenlose Tage ihr;

Doch meiner harret Mord von doppelscharfer Axt!

CHOR.

Aber von wannen kam,

Kam dir vom Gott gestürmt der Angst eitler Wahn,

Daß du dir die Gefahr so tief wehklagst,

Wider sie jammerlaut, hellen Schmerz gellend schreist?

Wer hat das Ziel der weissagenden Klage dir,

Das Fluchziel, gesetzt?

Siebente Strophe

KASSANDRA.

Du Ehe, Paris’ Ehe, weh!

Die du den Freunden Tod gebracht!

O du Skamandros, meiner Väter Trank!

An dem Gestade dein lebte ich Arme wohl glückliche Tage sonst!

Nun glaub ich, am Kokytos, an des Acheron

Felsufern werd ich singen meine Sprüche bald!

CHOR.

Wie du es uns mit dem Wort gar zu verständlich sagst!

Und auch ein Kind verstünde dich;

Mich schlägt, blutig schlägt nagender Kummer mich,

Wie dein bittres Los wissend umsonst du beweinst,

Wunder zu hören mir!

Siebente Gegenstrophe

KASSANDRA.

Du Gram, o Gram du meiner Stadt, die du zumal dem Tod erlagst,

Oh, meines Vaters fromme Opfer ihr,

Prangender Herden Blut, unserer Stadt zum Heil; aber es gab kein Heil,

Daß unsre Stadt nicht litte, was ihr jetzt geschehn! –

Ich aber sinke bald im heißen Todeskampf!

CHOR.

Wie du vorher, so sprichst wieder du gar zu klar!

Sag, welcher schwererzürnte Gott

Erfaßt überstark dich, stürmt wild dich empor,

Daß Wehklage du, Jammer des Todes du singst?

Wie wird das Ende sein?

KASSANDRA.

Es soll von nun an unter Schleiern nicht hervor

Die Verheißung blicken gleich der neuvermählten Braut;

Ein heller Frühwind, wird sie wach, dahinzuwehn

Gen Sonnenaufgang, und es rauscht wie Meeresflut

Bei dieser Blutschuld erstem Strahl gewaltiger

Empor! Verkünden will ich nicht in Rätseln mehr!

Und seid mir Zeuge, daß ich, jeder Spur gewiß,

Des allverübten Frevels Fährte wittere.

Denn dieses Haus läßt nimmermehr des Chors Gesang,

Der, laut und doch mißlautig, Frohes nimmer singt.

Denn, voll und trunken bis zum frechsten Übermut

Vom Menschenblut, tobt durch das Haus ein Trinkgelag,

Der Erinnyen schwergebannter, blutsverwandter Schwarm;

Ihr gellend Trinklied singen sie, an den Herd geschart,

Urerste Blutschuld, schmähen und verfluchen dann

Des Bruders Ehbett, das den Schänder niederschlug!

Verfehl ich’s, treff ich’s, wie die Jägerin ihr Wild?

Und Lügenseherin, Bettelprophetin, sprich, bin ich’s?

So schwöre mir zu zeugen, daß ich klar gewußt

Von dieses Hauses altgeerbter Frevelschuld!

CHOR.

Wie mag des Schwures fromm geschlungen Band ein Heil

Gewähren? Doch dich staun ich an, daß, über See

Geboren, alles du uns Andersredenden

Kannst nacherzählen, gleich als hättest du’s gesehn!

KASSANDRA.

Es gab Apollon mir, der Seher, dieses Amt.

CHOR.

Vielleicht, ein Gott er, dir in Liebe doch besiegt?

KASSANDRA.

Vor diesem hab ich mich geschämt, das zu gestehn.

CHOR.

Zu zartgewöhnt sind freilich alle Glücklichen.

KASSANDRA.

Mein Buhle war er! Und er hat mich sehr geliebt!

CHOR.

Und hat der Gott in seiner Liebe dich erkannt?

KASSANDRA.

Versprochen hatt ich’s, und belog den Loxias!

CHOR.

Da du der gotterfüllten Kunst schon mächtig warst?

KASSANDRA.

Ja; schon verhieß ich meinem Volke jedes Leid.

CHOR.

Ließ ohne Strafe dich der Zorn des Loxias?

KASSANDRA.

Es glaubte niemand nichts mir, seit ich das getan!

CHOR.

Uns wahrlich scheinst du gar zu wahr zu prophezein!

KASSANDRA.

O Gott! Weh! Qualen!

Auf reißt mich wieder der Begeistrung wilder Schmerz!

Im jähen Wirbel stürmen Sprüche wirr hervor!

Ha! seht ihr die dort sitzen vor der Tür, so still,

So jung, der Träume Truggestalten gleich zu schaun,

Zween Knaben gleich, als hätten Freunde sie gewürgt,

Die kleinen Hände mit des eignen Fleisches Kost,

Der eignen Eingeweide jammervollem Mahl

Gefüllt, davon der eigne Vater gessen hat?

Um diese sinnt jetzt auf Vergeltung, sag ich dir,

Ein Löwe Feigling, Hauses Hüter, seines Betts

Nestling, Vergeltung. Wehe deinem teuren Herrn

Und meinem – Sklavin bin ich ja und trag es auch!

Der Schiffe König, Ilions Bewältiger,

Nicht weiß er, wie ihr Willkommen ihm die Gleisnerin,

Der scheußlichen Hündin Lippe, wie ein heimliches

Verhängnis bald vollenden wird zum Gruß des Fluchs!

Sie wagt’s! Das Weib des eignen Mannes Mörderin!

Welch scheußlich Untier leihet seinen Namen ihr,

Der träfe? Nenne Drachen, nenne Skylla sie!

In tiefer Klippenhöhle aller Schiffer Tod,

Wahnwitzge Hadesmutter, die sühnlosen Fluch

Den Lieben zustürmt! – Wie sie laut gejauchzet hat,

Die Allverwegne, gleich als schlage sie den Feind,

Sie nennt es Freude, daß er glücklich heimgekehrt! –

Und ob es niemand glaube, nun gilt’s gleich. Wie nicht?

Es kommt die Zukunft; um ein kleines Zeuge selbst,

Nennst du mich weinend allzuwahre Seherin!

CHOR.

Das Mahl Thyestens von der eigenen Kinder Fleisch

Erkannt ich, und mich schaudert; Furcht bewältigt mich,

So wahr zu hören, was ich nicht mißdeuten kann;

Doch für das andre, da verlier ich jede Bahn!

KASSANDRA.

Agamemnons Ende, sag ich, wirst du heute sehn!

CHOR.

Kein böses Wort, Unselge, schweige deinen Mund!

KASSANDRA.

Und doch ersteht dir keiner, der dem Worte wehrt!

CHOR.

Ja, wenn’s geschehen ist; aber nimmermehr gescheh’s!

KASSANDRA.

Du mögest beten! Jene sorgen für den Mord!

CHOR.

Sprich, wessen Hand wird solche Freveltat begehn?

KASSANDRA.

Was ich geweissagt, überhört hast du es sehr!

CHOR.

Nein, doch begreif ich des Vollbringers Ränke nicht!

KASSANDRA.

Und doch versteh ich der Hellenen Sprache wohl!

CHOR.

So auch die Pythosprüche, dunkel sind sie doch!

KASSANDRA.

Ha! Welches Feuer! Brennend flammt’s an mir empor!

Ha, du, Lykeios Apollon! Wehe, weh mir! Ach!

Da die, die Menschenlöwin, die geschlafen hat

Beim Wolf, da fern der hochgeborne Löwe war,

Mich Arme will sie töten, will zu ihrem Haß

Ihm, ach! in den Gifttrank mischen auch den Lohn für mich;

Sie wetzt das Messer ihrem Herrn, sie rühmt sich laut:

Mord soll es rächen, daß er mich hat mitgebracht!

Was hab ich länger mir zum Gespött den heilgen Schmuck,

Den Zepter noch, den Seherkranz um meine Stirn?

Fort! eh der Tod mich fasset, brech ich dich entzwei!

Euch werf ich hin, verkommt ihr! So vergelt ich euch;

Bringt einer andren eures Elends Bettelstolz!

Sieh her, Apollon, der du mir mein Seherkleid

Nun selber ausziehst, der auf mich du niedersahst,

Als Freund und Feind mich auch in diesem deinen Schmuck

Gar sehr verhöhnten, unverhohlen, wahnbetört!

Gescholten Törin, Bettlerin, Lügenzauberweib,

Wahnwitzig, elend, hungersüchtig – ich ertrug’s!

Nun hat der Seher mich, die Seherin, gestraft!

Hat mich in dies Verhängnis, in den Tod geführt!

Statt meiner Väter Altar harret mein der Block,

Drauf blutig heißer, scharfer Mord bald mich erschlägt!

Doch nein, ich sterbe nicht den Göttern ungerächt;

Denn wieder wird einst unser Rächer nahe sein,

Der Muttermörder, der des Vaters Mord vergilt;

Ein irrer Flüchtling, kehrt er aus der Fremde heim

Und setzt den Schlußstein aller Schuld der Seinigen.

Geschworen also war den Göttern höchster Schwur,

Sie nachzustürzen in des erschlagenen Vaters Sturz! –

Warum erseufzet wieder mein, der Sklavin, Mund?

Da ich zum ersten sah die Feste Ilion,

Wie sie geendet, enden, meines Landes Volk

Also hinweggetilget durch der Götter Spruch! –

Ich geh, zu enden: leiden werd ich dort den Tod!

Dich, Pforte, grüß ich, Pforte mir ins Schattenreich!

Doch fleh ich eins, mich treffe gleich der Todesstreich,

Auf daß, wenn mein sanftsterbend Blut zu Boden fließt,

Sich ruhig ohne Todeskampf mein Auge schließt!

CHOR.

O viel unselges, wieder auch viel weises Weib,

Du sprachest reichlich. Aber wenn wahrhaftig du

Dein eigen Schicksal weißest, warum gehst du, gleich

Dem gottgetriebnen Stier, zum Altar festen Muts?

KASSANDRA.

Nicht gibt es Rettung, Freunde, nicht durch Zögern mehr!

CHOR.

Doch wer der letzte zögernd bleibt, gewinnet schon.

KASSANDRA.

Nein, meine Stund ist kommen; Flucht frommt wenig mir!

CHOR.

So wisse, leiden wirst du um so festen Mut!

KASSANDRA.

Begreifen kann das niemand von den Glücklichen!

CHOR.

Ja, rühmlich sterben ist den Menschen süßer Trost.

KASSANDRA.

– Mein Vater! Über dich und deine Kinder, oh!

CHOR.

Was ist dir? Welch Entsetzen schrecket dich hinweg?

KASSANDRA.

Weh, weh!

CHOR.

Was will der Wehruf? Ist’s ein Graun, das dich erfaßt?

KASSANDRA.

Mord haucht das Haus mir, blutumtrieften Mord mir zu!

CHOR.

Nicht doch; der Weihrauch auf dem Herde duftet so!

KASSANDRA.

Es wehet Dunst mir wie aus einem Grabe zu!

CHOR.

Kein syrisch Duftgepränge, das du rühmst dem Haus!

KASSANDRA.

So geh ich, so bewein ich noch im Hause mein

Und Agamemnons Ende. Sei’s des Lebens gnug!

O Freunde!

Nicht klagen will ich, wie der Vogel im Gebüsch,

Furchtsam, vergebens. Mir, der Toten, zeuget einst,

Wie das Weib an mein, des Weibes, Statt erschlagen liegt,

An des Mannes Statt der fluchgefreite Mann erliegt!

Mit diesem Gastgruß tritt hinein die Sterbende.

CHOR.

Du jammerst, Arme, um den Tod mich, den du ahnst!

KASSANDRA.

Einmal noch sagen will ich letzten Spruch und Gram,

Den eignen, meinen: dich beschwör ich, Helios,

Beim letzten Lichte, fordern müsse, wer mich rächt,

Von meinen Feinden, meinen Mördern gleichen Tod,

Wie mich, die Sklavin, ihre Hand behend erschlug!

O dieses Menschenleben! – wenn es glücklich ist,

Ein Schatten stört es; ist es kummervoll, so tilgt

Ein feuchter Schwamm dies Bild, und alle Welt vergißt’s;

Und mehr denn jenes schmerzt mich dies: vergessen ist’s! –

Ab in den Palast.

CHORFÜHRER.

Ein beglücktes Geschick, unersättlich im Gram,

Ist’s jedem, der lebt, und niemand wehrt

Vom fingergezeigten Palast es zurück,

Wenn er spräche: du nahe dich nimmer!

Und diesem gewährt von den Seligen ward,

Daß er Ilion nahm,

In die Heimat kam, von den Göttern geehrt;

Und soll der jetzt abbüßen das Blut

Der Erschlagenen, soll mit dem eigenen Tod

Der Getöteten Tod er entgelten,

Wer rühmte sich noch, ihm bleibe gewiß

Gramloses Geschick, wenn er das hört?

AGAMEMNON.

Weh, bin verwundet! Todeswunde, die mich traf!

CHOR.

Stille! Wer, zum Tod getroffen, ruft um seine Wunde laut?

AGAMEMNON.

Weh mir noch einmal! Bin geschlagen wiederum!

CHORFÜHRER.

Ausgeführt schon scheint die Untat nach des Königs Weheruf!

Lasset schnell uns überlegen, was zu tun am sichersten!

ERSTER CHOREUTE.

So tu denn ich euch diese meine Meinung kund:

Zum Palast her sogleich zu rufen alles Volk.

ZWEITER.

Mir scheint es besser, einzudringen jetzt und gleich,

Und schnell zu richten mit dem schnellgezückten Schwert.

DRITTER.

Auch ich, derselben Meinung zugetan wie du,

Will, daß man handle; nicht zu säumen drängt die Zeit.

VIERTER.

Das sieht sich leicht ein; denn ein Vorspiel ist’s, als ob

Der Tyrannei Anzeichen uns man zeigen will.

FÜNFTER.

Wir zögern fort noch; aber die des Zögerns Ruhm

Zu Boden treten, lassen nicht die Hände ruhn.

SECHSTER.

Nicht weiß ich, welchen rechten Rat ich sagen soll,

Doch um die Täter muß zuvor beraten sein.

SIEBENTER.

Derselben Meinung bin ich auch; nicht seh ich ein,

Wie man mit Worten Tote wieder wecken will.

ACHTER.

Und sollten zur Gefahr des eignen Lebens wir

Des Hauses Schändern weichen, künftig unsern Herrn?

NEUNTER.

Nein, ich ertrag’s nicht; nein, der Tod ist vorzuziehn,

Da jedes Schicksal süßer ist denn Tyrannei.

ZEHNTER.

Doch sollten auf des Wehgeschreis Anzeige wir

Schon überzeugt sein, daß der Fürst erschlagen ist?

ELFTER.

Erst wenn’s gewiß ist, sollte man zu Rate gehn;

Ein andres ist vermuten, andres klarzusehn.

ZWÖLFTER.

Dem beizustimmen bin ich überall geneigt,

Daß man genau forscht, wie es steht um Atreus’ Sohn.

Aus der königlichen Pforte tritt Klytaimestra, das Beil über der Schulter; hinter ihr unter roten Decken Agamemnons und Kassandras Leichen.

KLYTAIMESTRA.

Wenn vieles sonst ich, wie die Zeit es heischte, sprach,

So scheu ich jetzt das Gegenteil zu sagen nicht.

Wie kann man anders, um den Feinden Feindliches,

Die Freunde scheinen, anzutun, des Jammers Netz

Klug stellen, höher, als ein leichter Sprung heraus?

Mir brachte den Kampf, des ich lange schon gedacht,

Der alte Hader; doch die Zeit erst reifte ihn.

Hier steh ich nach dem Morde, wie ich ihn erschlug;

Ich hab es so vollendet und bekenn es laut,

Daß der dem Tod nicht wehren konnte noch entfliehn.

Ich schlang ein endlos weit Geweb rings um ihn her,

Gleich einem Fischnetz, falschen Glückes Prunkgewand;

Ich schlag ihn zweimal, zweimal weherufend läßt

Er matt die Glieder sinken; als er niederliegt,

Geb ich den dritten Schlag ihm, für des Hades Zeus,

Den Retter der Gestorbnen, frohgebotnen Dank.

So fallend, hauchet er den Lebensatem aus

Und trifft, des Blutes jähen Strahl ausröchelnd, mich

Mit einem dunklen Tropfen feinen, blutgen Taus,

Mir minder nicht zur Freude, als Zeus’ Regenschaur

Dem Acker, wenn in der Knospen Mutterschoß es schwillt.

Um solchen Ausgang dürftet ihr, ehrwürdge Schar,

Wohl freudig sein, wärt ihr es; ich frohlocke laut.

Und war es Sitte, Spenden über Leichen auch

Zu gießen, hier wär’s wohl gerecht. Und ganz gerecht

Hat er den Kelch so vieler fluchgemischten Schuld,

Den er gefüllt, heimkehrend selber auch geleert.

CHORFÜHRER.

Wir staunen deiner Rede, wie du zungenfrech

Noch solche Worte prahlest über dich und ihn!

KLYTAIMESTRA.

Mich prüfen wollt ihr als ein unbesonnen Weib!

Ich aber sag euch sonder Furcht, was jeder selbst

Hier sieht – ob loben du, ob du mich tadeln willst,

Mir gilt es gleich: hier liegt Agamemnon, mein Gemahl,

Und zwar als Leichnam, dieser meiner rechten Hand,

Des gerechten Schlächters, Meisterstück! So steht es jetzt.

CHOR.

Was für ein Gift, o Weib,

Kostetest du, das dir zu essen die Erd, das dir des grauen Meers

Tiefe zu trinken bot,

Daß du dir solche Wut wecktest und Volkes Fluch?

Die du ihn fingst, die du ihn schlugst, ja, dich verjagt die Stadt,

Dich, den Bürgern ein Scheusal!

KLYTAIMESTRA.

Nun sagst du mir mein Urteil, aus der Stadt zu ziehn,

Dem Volk ein Scheusal, von der Bürger Fluch verfolgt;

Und hattest doch gar nichts zu sagen wider den,

Der ohne weitres, gleich als wär es nur ein Lamm,

Wie viele seiner reichen Herden Pracht ihm bot,

Sein eigen Kind doch, meines Schoßes liebste Frucht,

Ließ schlachten, thrakische Winde zu beschwichtigen.

Und mußtest den du nicht verjagen aus dem Land,

Den ungestraften Frevler? Nun, da du vernimmst,

Was ich getan, bist du ein harter Richter. Doch

Ich sag dir, und gerüstet bin ich, so zu drohn:

In gleicher Art magst du mich, wenn du mich besiegst,

Beherrschen; aber wenn ein Gott es anders fügt,

So sollst du spät mir lernen, was verständig ist.

CHOR.

Stolze, wie hoch du prahlst!

Dreisteste du, wie du mir dräust! So frech von dem vergoßnen Blut

Rast dir der Geist noch nach.

Über dem Auge glänzt fett dir der Tropfen Blut,

Noch ungerächt, doch es geschieht, daß du, von Freunden bar,

Mord mit Mord noch entgeltest!

KLYTAIMESTRA.

Vernimm denn diesen meiner Schwüre heiligsten:

So wahr mir Dike, meines Kindes Rächerin,

Mir Ate und Erinnys, der ich ihn erschlug,

Mag helfen, niemals hoff ich mich dem Haus der Furcht

Zu nahn, solang auf meinem Herd das Feuer noch

Aigisthos anschürt, wie bisher mir treugesinnt;

Der wahrlich ist uns kein geringer Schild des Muts. –

Da liegt er tot, der mein, des Weibes, Recht zertrat,

Der Chryseiden Augenlust vor Ilion;

Tot da die Lanzenbeute, Wunderseherin,

Genossin seiner Nächte, Zukunftdeuterin,

Die treue Buhle, die bei Ruderbank und Mast

Mit ihm umherlag; trieben’s doch nicht ungestraft!

Da liegt er tot; und sie, die einem Schwane gleich

Sich noch ein letztes Sterbelied gesungen hat,

Tot neben ihrem Liebsten; meinen Nächten ist’s

Der süßen Wollust eine neue Würze mehr!

Erste Strophe

CHOR.

Ach, daß in Eile doch, ohne zu großen Schmerz,

Ohne zögerndes Siechtum,

Der Tod sich uns nahte, ewgen Schlaf,

Nimmer geweckten, zu bringen. Tot liegt,

Der uns der treuste Hüter war,

Der vieles Weh um ein Weib duldete,

Durch ein Weib nun des Lebens ward beraubt!

Weh, Frevlerin dir, weh, Helena dir,

Du allein hast viel, gar vielen entrafft

Vor Ilion rüstiges Leben!

Aber das Glorwürdigste, Rächerin, mörderisch tilgte sie es

In wilder Blutschuld,

Welche, haßempörter Haß,

Mannes Mord, hier daheim im Haus blieb!

Zweite Strophe

KLYTAIMESTRA.

Nicht wünsche das Los dir des Todes herbei,

Hierüber betrübt,

Noch werfe den Zorn auf Helenas Haupt,

Als sei sie schuld, als habe nur sie

So vielen Argivern das Leben entrafft

Und endlos Weh dir erzeuget.

Erste Gegenstrophe

CHOR.

Dämon, der blitzesgleich du in des Tantalos

Stamm und Doppelgezweig flammst,

Gewalt, in gleich wilden Weibern rasend,

Herz mir zerreißend, bewältigt hast du!

Wie ein verhaßter Rabe steht

Sie da an den Leichnamen, gedenkt widerlich

Ihrem Haus herzujubeln ihren Sang!

Zweite Gegenstrophe

KLYTAIMESTRA.

Nun sprach dein Mund wahrhafteren Spruch,

Da den mächtigen du,

Du den Dämon genannt hast unsres Geschlechts;

Der nähret der Frucht in dem hoffenden Schoß

Blutlechzende Gier; eh das alternde Weh

Noch endet, erneut sich der Mord schon.

Dritte Strophe

CHOR.

Fürchterlich rühmst du des Hauses mächtigen haderempörten Dämon,

Ach, traurigen Ruhm des grausen, unersättlichen Elends.

Ach weh, ach Zeus, durch deinen Rat,

Der alles fügt, der alles schafft;

Denn was geschäh den Menschen ohne dich, Zeus?

Was nicht wäre der Götter Schickung?

Wie soll ich, ach,

Mein König und Herr, wie weinen um dich,

In der Liebe zu dir wie sprechen?

Da liegst du verstrickt in der Spinne Geweb,

Tot da, gottlos du erschlagen!

Ach weh! weh! so unwürdige Ruhe dir!

Von der doppelscharfen Axt

Du mit der Hand wie ein Knecht erschlagen!

Vierte Strophe

KLYTAIMESTRA.

Und rühmst du, daß dies mein Werk sei,

So sage doch nicht,

Ich sei Agamemnons Gattin auch;

Denn dem Weibe des Leichnams dort an Gestalt

Nur gleich, hat den des empörenden Mahls

Alträchender, nimmer vergessener Fluch,

Des Atreus wütender Rächer gestraft,

Hinopfernd den Mann für die Knaben!

Dritte Gegenstrophe

CHOR.

Daß du an diesem Blut unschuldig, du Blutge, wer bezeugt’s dir?

Wer? Aber dir mochte beistehn seiner Väter Vergelter;

In Strömen gleich entsprungnen Bluts

Drängt fort und fort der öde Kampf;

Er füllt, wohin er immer auch sich fortwälzt,

Den Sumpf blutigen Kindermordes!

Wie soll ich, ach,

Mein König und Herr, wie weinen um dich,

In der Liebe zu dir wie sprechen?

Da liegst du verstrickt in der Spinne Geweb,

Tot da, gottlos du erschlagen!

Ach weh, weh! so unwürdige Ruhe dir!

Von der doppelscharfen Axt

Du mit der Hand wie ein Knecht erschlagen!

Vierte Gegenstrophe

KLYTAIMESTRA.

‘s ist nicht, glaub ich, unwürdiger Tod

Dem worden zuteil;

Hat denn er nicht blutige Tücke zuerst

In das Haus mir gebracht? Nein, der mein Kind,

Das von ihm ich empfing, das ich ewig bewein,

Iphigenien mir unwürdig erschlug,

Litt Würdiges jetzt; der beklage sich nicht

In des Hades Reich, daß mordender Stahl

Ihn strafte für das, was er anhub!

Fünfte Strophe

CHOR.

Ich sinn umsonst, jedes Rats entraten,

Wie ich der Sorge Steuer

Mir wenden soll, weil das Haus dahinstürzt;

Ich fürcht des Unwetters wilden Schloßensturm,

Den blutgen; aufhört’s fortan zu tröpfeln!

Es wetzt ein Recht zu andrer Buße sich

Die Moira schon auf anderm Wetzstein.

O Grab! o Nacht! o bedecktest du mich,

Eh ihn ich geschaut, in den silbernen Sarg,

In das Becken des Todes gebettet!

Wer gräbt ihm ein Grab? Wer weinet ihm nach?

Und willst denn noch du ihm, deinem Gemahl,

Den du selber erschlugst, Grabfeier begehn?

Für die Taten des Ruhms ihm ein schnödes Gepräng

Lieblosester Liebe bereiten?

Preisenden Feiergesang an dem Grabe, wer wird

Den mit der Tränen Wahrheit

Dem gottgleich hehren Helden singen?

Sechste Strophe

KLYTAIMESTRA.

Nicht ziemt es sich dir, ihm solchen Gesang

Zu begehn; durch mich

Sank er und starb er, ich will ihn beerdigen,

Nicht unter Gewein im Palast und Gemach;

Iphigenia kommt, sein Töchterlein hold,

Liebreich, wie sie muß,

Ihm entgegen, dem Vater, zur schweigenden Fahrt

Auf dem ächzenden Strom,

Umhalset ihn zärtlich und küßt ihn!

Fünfte Gegenstrophe

CHOR.

Vorwurf erhebt sich rasch gegen Vorwurf.

Und zu entscheiden, schwer ist’s!

Wer fällte, fällt; wiederbüßt der Mörder!

Das aber doch währt, solang sich Zeus bewährt:

Was jeder tat, leidet er; denn wer reißt

Aus seinem Stamm die Gerte voll gerechten Fluchs?

Verzweigt hat solch Genist das Schicksal!

Sechste Gegenstrophe

KLYTAIMESTRA.

Eintraf auf den wahrhaftig der Spruch

Der Orakel; doch ich,

Bei dem Dämon im Pleistheniadengeschlecht

Schwör ich’s, selbst dies Unerträgliche bin

Ich zu tragen bereit; nur möge fortan

Er verlassen dies Haus und ein ander Geschlecht

Heimsuchen mit wechselgemordetem Mord!

Und hätt ich der Güter ein spärliches Teil,

Ganz gnügte mir’s doch, wenn des wechselnden Mords

Wahnsinn aus dem Hause verschwände!

Aigisthos kommt aus der Gastwohnung.

AIGISTHOS.

O frohes Licht des Tages, der Gericht gebracht!

Nun sag ich freudig, Rächer schaun den Sterblichen

Die Götter hochher auf der Erde Missetat,

Da den in den prachtgewebten Purpurdecken ich

Der Erinnys, recht zur Lust mir, tot da liegen seh,

Untat zu büßen, die des Vaters Hand beging.

Denn einst hat Atreus, dieses Landes Fürst und Herr,

Sein Vater, meinen Vater Thyestes, hör mich recht,

Den eignen Bruder, der um das Reich mit ihm sich stritt,

Hinausgestoßen aus der Stadt, aus seinem Haus;

Heimkehrend drauf, am Herde hilfesuchend, kam

Gramvoll Thyestes und erflehte Sicherheit,

Daß er der Heimat Boden nicht mit seinem Blut

Gemordet tränkte; doch zum Gastgeschenk gereicht

Hat sein verruchter Vater Atreus, liebend nicht,

Nein, schändlich meinem Vater, Festgelag und Schmaus

Scheinbar bereitend, Kost von der eignen Kinder Fleisch;

Er ließ die Füßlein und der Hände Fingerkamm

Zu Kohlen brennen (über seines Herdes Glut

Und gab vom andren meinem Vater, daß er aß;)

Der, ohne daß er wußte, was er nehme, nahm

Und aß vom Mahl, du siehst’s, dem Fluchmahl des Geschlechts.

Drauf als ihm klar wird dieser Tat Entsetzlichkeit,

Da seufzt er, sinkt er nieder, speiet aus den Mord,

Flucht den Pelopiden ungemeßnen Untergang,

Häuft Graunverwünschung auf die Schmach des schnöden Mahls:

Daß so der ganze Pleisthenidenstamm vergeh!

Nach solchem Fluch kannst dort du den erschlagen sehn!

Ich aber heiße seines Mords gerechter Schmied;

Denn mich, den dritten zu den zween, trieb er fort

Mit dem armen Vater, da ich klein in Windeln lag.

Erwachsen führte Dike wieder mich zurück;

Auch da ich fern war, hatt an ihn ich mich geknüpft,

Geknüpft die ganze sichre Kunst heimtückscher List.

So wäre selbst zu sterben jetzt mir leicht und lieb,

Nachdem ich diesen in die Schlingen Dikes trieb!

CHORFÜHRER.

Aigisthos, Frechheit noch zum Frevel haß ich ganz;

Du sagest, gern ermordet habest du den Mann,

Allein ihm diesen jammervollen Tod gebracht –

Ich sag dir, nicht wird im Gericht dein schuldig Haupt

Des Volkes Flüchen und der Steinigung entgehn!

AIGISTHOS.

Mir redest du das, der du der letzten Ruderbank

Der Stadt gehörst, da unser noch das Steuer ist?

So lern als Greis noch, wie in solchem Alter, Freund,

Schwer ist zu lernen, daß man mäßge seinen Mund;

Denn Ketten lehren und die Qual des Hungers selbst

Das Alter, Wunderärzte, auserlesenste,

Für jede Torheit. Bist du blind mit offnem Aug?

Nicht wider den Stachel löcke, daß er nicht dich sticht!

CHOR.

Weib, der du ins Haus schlichst, aufzulauern, wenn er heim

Von Schlachten käme, und zugleich des Helden Bett

Zu schänden, du sannst Tod dem Fürsten, meinem Herrn?

AIGISTHOS.

Auch dieses Wort scharrt bittrer Tränen Quell dir auf!

Du hast von Orpheus’ Lippen ganz das Widerspiel:

Der riß mit seiner Stimme Zauber alles fort,

Empörend du mit deinem Schmähn die Mildesten,

Wirst fortgerissen. Zahmer macht die Zucht dich bald!

CHOR.

Und also du willst König nur in Argos sein,

Der, als du Mord sannst, nicht einmal mit eigner Hand

Hinauszuführen du gewagt hast deine Tat!

AIGISTHOS.

Des Weibes war natürlich, ihn in List zu fahn;

Ich aber schien verdächtig als ein alter Feind.

Doch jetzt mit seinem reichen Schatz versuchen wir

Das Volk zu knechten; wer mir nicht gehorchen wird,

Ich will ihm schon aufpacken, bis ihn gutbejocht

Der Hafer nicht mehr sticht; ihn wird des dunklen Lochs

Langweilger Wirt, der Hunger, wohl noch ruhig sehn!

CHOR.

Warum denn hast mit deiner feigen Seele du

Nicht selber ihn ermordet, sondern ihn das Weib,

Des Landes Abscheu und der Landesgötter Greul,

Erwürgt? Orestes, lebte der noch irgendwo,

Auf daß, zur Heimat einst in Tyches Schutz gekehrt,

Er dieser zwei glorreicher Mörder möchte sein!

AIGISTHOS.

Daß du also wagst zu sprechen und zu tun, du büßt es gleich!

CHOR.

Auf denn, liebe Kampfgenossen, ferne nicht mehr ist der Kampf!

(AIGISTHOS.

Rüstet euch und stellt euch zu mir, macht zuschanden solchen Hohn!)

CHOR.

Auf denn! Hab zum Kampf ein jeder sein entblößtes Schwert bereit!

AIGISTHOS.

Mein entblößtes Schwert in Händen weigr ich mich dem Tode nicht!

CHOR.

Was du vom Tod gesagt, es gelte! Mag das Glück denn Richter sein!

KLYTAIMESTRA.

Nimmermehr! O teure Männer, häufet nicht noch neues Weh!

Nein, auch das noch einzumähen, allzublutge Ernte wär’s!

Nein, genug schon ist des Jammers; Blutvergießen wollet nicht!

Geht, o Greise, geht nach Hause, eh in Wunden ihr der Tat

Straf und Reue leidet; nehmen müßt ihr dies, wie wir’s getan!

Ja, wenn einem Leid zuteil ward, haben wir des wohl genug,

Die wir schwerste Wunden leiden durch des Dämons harten Zorn.

Dies ist mein, des Weibes, Meinung, wenn mir einer folgen will!

AIGISTHOS.

Aber daß mit frecher Zunge diese mich verhöhneten,

Daß sie solches Wort mir anspien, frech versuchten mit dem Gott,

Jede Mäßigung vergaßen, sich empörten ihrem Herrn –

CHOR.

Einem feigen Mann zu schmeicheln, nicht Argiver Sache wär’s!

AIGISTHOS.

Doch ich denk, in künftgen Tagen bin ich auch noch unter euch!

CHOR.

Nimmer, wenn es fügt der Dämon, daß Orest zurückgekehrt!

AIGISTHOS.

Ja, ich weiß, Vertriebne nähren sich mit solcher Hoffnung gern!

CHOR.

Schalte, schwelge, mach zuschanden Fug und Recht, weil du es darfst!

AIGISTHOS.

Glaub mir, büßen deine Torheit sollst du mir aufs bitterste!

CHOR.

Prahle keck und kühn dem Hahn gleich, wenn er bei der Henne steht!

KLYTAIMESTRA.

Achte nicht ihr eitel Schwätzen weiter; ich und du, wir gehn,

Machen alles uns im Hause, da wir Herr sind, wunderschön!

Beide ab in den Palast, der Chor ab zur Stadt.

Aischylos

Die Grabesspenderinnen

(Choephoroi)

Personen.

Orestes

Pylades

Elektra

Klytaimestra

Kilissa

Aigisthos

Knechte

Chor der Mägde

Königspalast zu Argos. In der Mitte der Bühne Agamemnos Grab. Orestes und Pylades kommen in Wanderstracht und gehn zum Grabe; Orestes steigt die Stufen hinauf.

ORESTES.

O Grabeshermes, der dir beschiednen Macht gedenk,

Sei Retter, sei Mitkämpfer mir, dem Flehenden!

In dieses Land gekommen bin ich, heimgekehrt,

Und rufe meinen Vater hier am Grabesrand,

Daß er mich anhört, meinen heilgen Schwur vernimmt!

(Denn dich zu rächen, Vater, bin ich heimgekehrt,

Dein Sohn Orestes, der ich im fernen Phokerland,

Verwaist der Heimat, durch der Mutter arge List

Verstoßen, aufwuchs, daß ich dir einst Rächer sei;

Mich aber sendet Loxias’ trugloser Spruch,

Daß dir der Mörder wieder, dir die Mörderin,

Dein Blut zu sühnen, fallen muß durch diese Hand.

So hör mich, Vater, schaue gnädig auf mich her,

Daß ich erfülle deines Blutes heilig Recht,

Wie mir der Gott es, Loxias es mir gebeut!

Ich aber weih dir ärmlich, trauerreich Geschenk,

Des eignen Grames treuen Gruß auf deine Gruft;

Zum ersten Male schnitt ich mir als Pflegedank)

Die Scheitellocke für des Inachos Fluten ab,

Zum zweitenmal jetzt meine Locke dir,

(Daß sie dir Zeugnis gebe, deines Blutes Sohn

Sei heimgekommen, Vater, in dein teures Haus,

Die Missetat zu rächen, zu erwerben sein

Und seiner Schwester lang entwöhntes Erb und Recht!)

Aus der Tür der Frauenwohnung kommt der Chor, in schwarzen Kleidern und Trauerschleiern; in gleicher Mägdetracht Elektra.

Was dort erblick ich? Was bedeutet jene Schar

Von Weibern, schwarzverhüllten, die sich trauernd nahn?

Auf welch Ereignis rat ich oder deut ich dies?

Betraf ein neuer Todesfall vielleicht das Haus?

Könnt ich vermuten, ihre Spenden brächten sie

Für meinen Vater, für die Toten fromme Pflicht?

Nicht anders ist es; denn Elektra, glaub ich, selbst

Geht dort mit ihnen, meine Schwester, tief gebeugt

Vor Kummer. O Zeus! gib zu sühnen mir den Tod

Des Vaters, sei mir gern ein Helfer meiner Tat! –

Laß uns zurückgehn, Pylades, damit ich klar

Erkennen könne, was bedeute dieser Zug!

Beide verbergen sich.

Erste Strophe

CHOR.

Entsandt dem Hause kam ich her,

Geleit der Spende mit der Hände wildem Schlag!

Die Wange blutet heiß in tiefen Rissen,

Wiedergerissenen Nägelfurchen mir!

Und rastlos, weh, an Wehklage weid ich meinen Sinn!

Zu Fetzen reißt mein Kleid entzwei,

Zu linnezerrißnen in meinem Gram!

Mein schwarz Brusttuch, mein weitfaltiges Kleid

Zerfetzt der ungewehrte Schmerz!

Erste Gegenstrophe

Denn furchtberedt, gesträubten Haars,

Des Hauses Träumedeuter, aufgeschreckt im Schlaf

Zu neuem Graun, hat mitternächtgen Angstschrei,

Mordgeschrei an dem Herde geschrien,

Zu uns ins Fraungemach taumelwild sich hineingestürzt.

Des Traumes Deuter sprachen dann

Und riefen zu Zeugen die Götter an:

Sehr voll Ingrimm sei’n, sehr zornig die Toten,

Ihren Mördern wildempört!

Zweite Strophe

Und diese Liebe liebelos, die sühnen soll die Schuld,

Io, Erde, Erde!

Spendet, sendet her das gottvergeßne Weib!

Mich bangt’s, auszustoßen dieses Wort!

Denn welche Sühne gibt es für vergossen Blut?

Io, du allbeweinter Herd!

Io, du untergrabnes Haus!

Ja, graungemieden, sonnenlos umhüllt tiefes Dunkel das Haus,

Drin erschlagen der Herr ward!

Zweite Gegenstrophe

Ehrfurcht, versagt, verargt, gefährdet nimmer sonst,

Dem Volk eingewohnt sonst

Tief in Ohr und Herzen – jetzt empört sie sich!

Voll Angst weiß ich eine! – Glücklich sein,

Das gilt als Gott den Menschen und gilt mehr als Gott!

Ein letzter Schlag versieht das Recht

Urplötzlich dem am Tage noch,

Dem stürzt er lauernd im streitgen Licht der Dämmrung heimtückisch hervor,

Nacht fängt andre, die nie tagt!

Dritte Strophe

Das Blut, von seiner Amme, Erde, aufgefahn,

Gerann zum Racheblutmahl, nie verfließt es mehr;

Voll Tücke verschiebt Ata sie noch, daß, wer es tat,

Seh seines Jammers Blütenpracht!

Dritte Gegenstrophe

Wer frech sich fremdes Brautgemach erbrach, gesühnt

Wird nimmer der; und strömte aller Ströme Flut

Allseits her, bluttriefenden Mord

Hinwegzuspülen, doch umsonst strömten sie!

Epode

Doch ich – denn mir wiesen hier Magd zu sein

Die Götter zu; fortgeschleppt vom Herd meiner Heimat

Ward ich früh ins Los der Knechtschaft –,

Ich muß, was recht, muß, was schlecht meine Herrschaft hat getan,

Ich muß, da mich Gewalt zwingt, es preisen,

Muß meines Herzens Haß vergessen! –

Ins Gewand verhüllt, umsonst bewein ich

Meines Königs Los, verstein ich

Im verhaltnen Herzensgram!

ELEKTRA.

Ihr teuren Wärterinnen, vielgetreue Fraun,

Mit mir gekommen seid ihr, dieses heilgen Zugs

Geleiterinnen; drum so sagt mir euren Rat:

Wenn auf das Grab ich gieße diesen Trauerguß,

Wie soll ich freundlich sprechen? Wie zum Vater flehn?

Sag ich, von seiner lieben Gattin sei ich ihm,

Dem lieben Mann, von meiner Mutter ich gesandt?

Dazu gebricht’s an Mut mir; und nicht weiß ich, wie

Ich beten könnte, wenn ich auf des Vaters Grab

Dies spende. Oder sag ich nach dem heilgen Brauch:

Vergelten mög er denen, die ihm diesen Kranz

Gesandt, vergelten auch der Bösen bös Geschenk?

Soll schweigend, schmachvoll, so wie einst mein Vater fiel,

Ich gießen dieser Spende grabgetrunknen Guß,

Die Schale dann, als wär sie unrein, gottverflucht,

Wegschleudern abgewandten Blicks und wieder gehn?

So wollt mir raten, Teure, was ich möge tun;

Ist uns gemeinsam doch der Haß in jenem Haus!

Nicht bergt’s in eurem Herzen, irgendwie besorgt;

Denn sein Verhängnis harrt des Freien ebenso

Wie des von fremden Siegers Hand geknechteten.

So sprich, wenn du mir Beßres weißt, als ich gesagt!

CHORFÜHRERIN.

Gleich einem Altar ehrend dir des Vaters Grab,

Sag ich, du willst es, was ich im tiefsten Herzen denk.

ELEKTRA.

So sag mir, wie wohl ehrtest du des Vaters Gruft?

CHOR.

Zur Spende segne, die ihm treu gesinnet sind.

ELEKTRA.

Wen aber von den Seinen darf ich nennen so?

CHOR.

Zuerst dich selbst und jeden, der Aigisthos haßt.

ELEKTRA.

Für mich und dich denn sag den Segen ich zuerst?

CHOR.

Vergiß Orest nicht, weilt er auch im fremden Land.

ELEKTRA.

Vor allem; du gemahnst mich an das Teuerste!

CHOR.

Und dann den Tätern, wann du an den Mord gedenkst –

ELEKTRA.

Was dann? Belehr mich, sag es mir, ich weiß es nicht!

CHOR.

Sag, ihnen kommen werd ein Gott einst oder Mensch –

ELEKTRA.

Meinst du, der sie richten oder der ihn rächen wird?

CHOR.

Du sprichst es einfach: der den Mord mit Mord vergilt!

ELEKTRA.

Doch ist es fromm auch, von den Göttern das zu flehn?

CHOR.

Warum denn nicht soll büßen seine Schuld der Feind?

ELEKTRA.

Du höchster Herold hier im Licht, im Hades dort,

O Grabeshermes, hör mich und erwecke mir

Des Schattenreichs Gottheiten, daß sie hören mein

Gebet, die Hüter über meines Vaters Blick,

Und auch die Erde, die gebieret alles Ding,

Und was sie aufzog, wieder dessen Keim empfängt;

Ich gieße diese Spenden für die Toten aus

Und rufe dich, mein Vater, mein erbarme dich

Und deines Sohns Orestes. Herrschten wir im Haus!

Denn sieh, verstoßen leben wir und wie verkauft

Von unsrer Mutter; den Aigisthos hat sie sich

Zum Mann erlesen, der dich mit erschlagen hat;

Und einer Magd gleich hält sie mich; Orestes ist

Verjagt aus seinem Erbe, während sie in Prunk

Und eitler Wollust deines Schweißes Frucht vertun!

Daß heim Orestes gottgeleitet kehren mag,

Drum fleh ich dich an, Vater, du erhöre mich!

Mir aber gib du, daß ich tugendhafter sei

Denn meine Mutter, reinen Wandels, reiner Hand!

Für uns gebetet hab ich dies; den Feinden nun

Erscheint, ich weiß es, einer, der dich, Vater, rächt,

Auf daß die Mörder wieder morde ihr Gericht;

Und sei mir laut bezeuget, wie für bösen Fluch

Ich ihnen wiederfluche diesen bösen Fluch!

Du aber send uns alles Heil empor, mit dir

Die Götter und die Erd und Dike Siegerin!

Für diese Bitte spend ich diesen heilgen Guß;

Ihr aber flechtet eurer Klage Totenkranz

Und weihet meinem Vater frommen Grabesgruß!

CHOR.

Weinet die Träne, die rieselnde, sterbende,

Ihm, der starb, unsrem Herrn,

Zu dieser Spende Born,

Der Bösen nichtiger, schnöder Beschwichtigung

Wider der Edlen Zorn!

Höre du, mich höre du,

O Herr und Fürst, in deiner grabstillen Ruh!

Wehe ruf ich jammernd aus!

Wehe, welcher Speeresheld

Wird Befreier diesem Haus?

Der Skythe, dem in des Kampfes wilder Hast

Schwirrenden Pfeiles Flug

Vom rückschnellenden Bogen blinkt,

Der griffgefaßt sein nacktes Schwert blutig schwingt?

ELEKTRA.

Mein Vater hat nun seinen erdgetrunknen Guß –

Doch sieh! Zu diesem neuen Wunder ratet mir!

CHORFÜHRERIN.

O sprich! Es fliegt mein Herz im Busen mir vor Angst!

ELEKTRA.

Hier seh ich eine Locke auf das Grab geweiht!

CHOR.

Von welchem Manne, welchem hochgeschürzten Weib?

ELEKTRA.

Deutbar zu jedem ist sie, wenn du deuten willst!

CHOR.

So laß mich Ältre lernen von der Jüngeren.

ELEKTRA.

Ich wüßte niemand außer mir, der’s weihete!

CHOR.

‘s ist feind, für wen sich sonst die Trauerlocke ziemt!

ELEKTRA.

Und dennoch wahrlich ist so ganz sie wieder gleich –

CHOR.

Sag, wessen Haaren? Hören möcht ich das von dir!

ELEKTRA.

Ganz meinen eignen ähnlich ist sie anzusehn!

CHOR.

Wär’s von Orestes selber heimlich ein Geschenk?

ELEKTRA.

Mit dessen Locken scheint sie in der Tat mir gleich!

CHOR.

Wie hätte der hierherzukommen sich gewagt?

ELEKTRA.

Gesandt dem Vater hat er seiner Locke Gruß! –

CHOR.

Was du gesagt, nicht minder wein ich bitter drum,

Wenn dieses Land doch nimmermehr sein Fuß betritt!

ELEKTRA.

Auch mir ins Herz gießt brandend sich der Galle Flut;

Es schmerzt, als hätte mich ein schneller Pfeil durchbohrt;

Aus meinen Wimpern stürzt mir trocken, ungewehrt

Unsäglicher Tränen bittre Brandung wild hervor,

Da ich diese Locke sehe! Denn wie hofft ich wohl,

Daß einer unsrer Bürger sonst ihr Herr sich nennt?

Und nimmermehr gab dieses Haar die Mörderin,

Nein, meine Mutter nimmer, die stiefmütterlich

Und gottvergessen ihren Kindern ist gesinnt;

Und wieder, daß ich freudig soll gestehn, es sei

Mir dies ein Kleinod von dem Liebsten auf der Welt,

Sei von Orestes – nein, mich täuscht der eigne Wunsch!

Ach! –

Daß freundlich sie mir sprechen könnte, botengleich,

Damit der Zweifel nicht mich jagte her und hin!

Und doch, gewiß, ich hätte dies Haar angespien,

Wär’s abgeschnitten je von eines Feindes Haupt;

Wenn’s mir verwandt ist, durft es mit mir trauern auch

Des Vaters Totenfeier und den Grabesgruß! –

Zu den Göttern laßt uns rufen, den Allwissenden,

In welchen Kreiselstürmen gleich den Schiffern wir

Verirrt sind. Dennoch, wenn uns Rettung werden soll,

Da wächst von kleinem Samen auch ein großer Stamm! –

Sie steigt die Stufen zum Grab hinab.

Und da, die Tritte, sieh, ein zweites Zeichen ist’s

Von gleichen Füßen, ähnlich ganz den meinigen;

Ja, sieh, von zween eingezeichnet ist die Spur,

Hier von ihm selber, da von dem, der mit ihm kam;

Der Sohlen Abdruck und der Fersen, meß ich sie,

Zusammentreffen sie genau mit meinem Fuß! –

Angst übermannt mich; aller Sinn ist mir verrückt!

Orestes tritt ihr entgegen.

ORESTES.

Du bete zu den Göttern enderflehnd Gebet,

Daß auch das andre dir beschieden möge sein!

ELEKTRA.

Was wär’s, das jetzt schon mir gewährt der Götter Gunst?

ORESTES.

Dein Auge sieht nun, drum du lange betetest!

ELEKTRA.

Und wen der Menschen weißt du, daß ich gerufen hab?

ORESTES.

Ich weiß, Orestes hast du oft und heiß ersehnt!

ELEKTRA.

Und wo und wie denn wär erfüllt jetzt mein Gebet?

ORESTES.

Ich bin es, such dir keinen, der dir teurer ist!

ELEKTRA.

Du betrügst mich, Fremdling, du umgarnest mich mit List.

ORESTES.

So schling und strick ich selber um mich selbst Betrug!

ELEKTRA.

Und lachen willst du über mich und meinen Gram!

ORESTES.

Auch über mich und meinen Gram, wenn über dich!

ELEKTRA.

Zu dir, Orestes, hätt ich alles dies gesagt?

ORESTES.

Da du mich selbst siehst, jetzt erkennest du mich nicht;

Und da du diese Locke sahst des Trauerhaars,

Die Locke deines Bruders, deinem Haupte gleich,

Und deinen Fuß einfügend maßest meine Spur,

Da flogst du hoch auf, und du meintest mich zu sehn!

Sieh, diese Locke lag an diesem Schnitt des Haars,

Sieh dies Gewand an, deiner eignen Hände Werk,

Des Weberschiffleins Marken hier, der Tiere Bild –

Sei ruhig, gib die Vorsicht nicht der Freude preis;

Uns beiden, weiß ich, sind die Liebsten bitterfeind!

ELEKTRA.

O letzte, liebste Sorge für des Vaters Haus!

Beweinte Sehnsucht nach der Rettung letztem Reis!

Kraft deines Armes nimm zurück dein Vaterhaus!

O süßes Auge! Dein gehört vierfacher Teil

In meinem Herzen; sieh doch, nennen muß ich dich

Nun meinen Vater; meiner Mutter Liebe kommt –

Denn ganz gerecht haß ich sie selbst –, dir kommt sie zu,

Dir auch der Schwester Liebe, der Geopferten;

Und dann mein Bruder bist du, der mich wiederehrt!

Nun möge Kraft mir, möge mir Gerechtigkeit

Beistehn und Zeus zum dritten, der allergrößeste!

ORESTES.

Zeus, Zeus, auf mein Beginnen schaue du herab!

Sieh meines Vaters, sieh des Adlers arm Geschlecht,

Der selbst den Schlingen, dem Umzüngeln unterlag

Der argen Schlange; aber die verwaiste Brut

Quält nüchtrer Hunger; ihnen fehlt es noch an Kraft,

Des Vaters Beute heimzutragen in das Nest;

So tief bekümmert, so verwaiset siehst du uns,

Mich und Elektra, uns Geschwister vaterlos,

In gleicher Flucht verstoßen unsrem Vaterhaus!

Und hast du dann des Vaters Kinder, der dich fromm,

Der dich mit Opfern ehrte, einst hinweggetilgt,

Wer reicht dir dann noch gleicher Hände vollen Dank?

Nicht bleibt dir, wenn das Geschlecht des Adlers du vertilgst,

Zu senden glaubhaft Zeichen an die Sterblichen,

Noch opfert dieser Königsstamm, so ganz verdorrt,

Auf deinem Altar dir am Feststieropfertag!

Sei unser Hort! Vom Boden richt ein hoch Geschlecht

Empor, das jetzt gar tief dahingesunken scheint!

CHOR.

O Kinder, o Erretter eurem Vaterherd,

Seid still, daß niemand sonst es, o ihr Lieben, hört

Und vielgeschwätzig alles dies euch nacherzählt

Bei meiner Herrschaft, die ich hier hinsterben noch

In der Flammen pechgetränktem Qualm einst möchte sehn!

ORESTES.

Nicht mich verraten wird der allgewaltge Spruch

Des Loxias, der dieses Wagnis mir gebeut,

Der laut mich aufrief, Qualen, sturmgegeißelte,

In meinem heißdurchglühten Herzen mir verhieß,

Wenn ich meines Vaters Mörder nicht verfolgete,

Zur Rache sie zu morden mit demselben Mord;

Zerstört von seinen Strafen, nicht an Hab und Gut,

Nein, an der lieben Seele, sprach er, würd ich dann

Drum leiden vieles, unerträglich bittres Leid;

Denn als der Hassenden Sühne hat er allem Volk

Mißwachs verheißen, schwere Krankheit aber mir,

Aussatz, der tief ins Fleisch sich frißt mit grimmem Zahn,

Der mir hinwegnagt meiner Sehnen alte Kraft,

Mit greisem Haare meiner Locken Schmuck vertauscht!

Und andre Qualen nannte der Erinnyen,

Aus meines Vaters ungerächtem Blut erzeugt,

Der Gott, der hellsieht, dessen Aug die Nacht durchschaut;

Denn auch der nächtig dunkle Pfeil der Unteren,

Die umgebracht sind durch der Verwandten Missetat,

Wahnsinn, Entsetzen, nächtger Träume hohle Furcht,

Treibt mich, verstört mich und verfolgt aus aller Stadt

Mit eherner Geißel meinen gottverfluchten Leib!

Wer so gebrandmarkt, nimmer an der Becher Lust

Sei dem ein Anteil, noch an heilger Spende Guß;

Man scheuch ihn von den Altären, den lebendgen Zorn

Des Vaters, niemand gönn ihm gastlich Tisch und Bad;

Verarmet, ehrlos, ohne Freund, so sterb ich einst

Elend im Siechtum, ausgedörrt bis in den Tod!

Solch einem Ausspruch muß man glauben und vertraun;

Und traut ich minder, dennoch muß die Tat geschehn;

Vielfacher Antrieb strömt vereint auf mich herein,

Des Gottes Auftrag, meines Vaters große Schmach,

Des eignen Lebens Dürftigkeit, das alles läßt

Mich meine Bürger, aller Zeit berühmteste,

Die Überwinder Ilions in Heldenkraft,

Nicht länger untertänig zween Weibern sehn;

Denn weibisch ist sein Mut; wenn nicht, bald sehen wir’s!

CHORFÜHRERIN.

Ihr gewaltigen Moiren, mit Zeus’ Beistand

Werd so es vollbracht,

Wie das Recht mitwandelnd den Pfad zeigt!

»Für feindliches Wort sei feindliches Wort!«

Also ruft Dike, die lautere, laut,

Wenn die Buße des Hasses sie eintreibt!

»Für blutigen Mord sei blutiger Mord!

Wer tat, muß leiden!« So heißt das Gesetz

In den heiligen Sprüchen der Väter!

Erste Strophe

ORESTES.

Vater, du armer Vater, was bringen dir, sagen dir kann ich,

Das tief reichte zu dir hinab, wo du in Grabes Nacht ruhst?

Gleich wechseln sich Licht und Nacht; also erschall zugleich

Freude, Klage dir feierlich, Hort du in Atreus’ Haus sonst!

Zweite Strophe

CHOR.

O Kind, bewältigt

Wird des Toten Gedanke nicht durch den blendenden Zahn der Glut;

Spät einst zeigt er des Zorns Macht!

Und bejammert wird der Tote,

Und erkannt wird, der ihn totschlug;

Des Erzeugers Todesfluch will,

Der gerechte Zorn des Toten,

Sein Recht will er, empört verlangt er’s!

Erste Gegenstrophe

ELEKTRA.

Höre du, Vater, nun meinen Gram, meinen, den tränenreichen!

Die zwei Kinder an deinem Grab jammern den Klagegesang dir!

Schutzflehende müssen wir, landesverjagt, wir hier stehn!

Ist denn recht das? Und ist’s nicht schlecht? Oder erliegt die Schuld nie?

CHORFÜHRERIN.

Doch ein Gott kann einst dafür, wenn er will,

Euch froheres Lied noch zu singen verleihn,

Statt des Klagegesangs, den am Grab ihr weint,

In der Königsburg, in der Väter Palast,

Ein neues, ein freudiges Festlied!

Dritte Strophe

ORESTES.

Wärst du vor Ilion

Unter lykischen Speeren,

Mein Vater, sterbend hingesunken,

Du hättest Ruhm deinem Haus gelassen,

Den Lebenspfad schön und gut vorgebahnt deinen Kindern;

Ein gehügeltes Grab ragte drüben am Seegestad dir,

Ehrte daheim die Deinen!

Zweite Gegenstrophe

CHOR.

Der Freund bei Freunden

Lägest du, die im Heldenkampf fielen, unter der Erde noch

Ihr machtheiliger Führer,

Ein Gefährte du im Hades

Der gewaltgen Totenfürsten;

Denn hienieden warst du König,

In der Hand das höchste Los dir,

Der Macht menschengebietend Zepter!

Dritte Gegenstrophe

ELEKTRA.

Nein, vor den Ilischen

Mauern mußtest du, Vater, nicht

Vom Speer gleich andrem Volk erschlagen,

Begraben nicht bei Skamanders Flut sein;

Nein, mußtest ehr die daheim, welche dich so erschlugen,

Von dem Tode gemäht, selber fern, in der Ferne hören,

Alle das Leid nicht leiden!

CHORFÜHRERIN.

Was du sagst, Kind, kostbarer denn Gold,

Glückseliger ist’s als seligstes Glück,

Hyperboräisches Glück; denn du klagest!

Doch der doppelten Geißel entsetzend Getös,

Schon nahet es sich;

Denn die Toten, sie sind ja zum Beistand nah,

Und der Lebenden Hände, sie sind nicht rein

Von verruchtester Schuld

Und der doppelten Schuld an den Kindern!

Vierte Strophe

ELEKTRA.

Dringt mir das Wort doch ins Ohr

Scharf wie ein schneidender Pfeil!

Zeus! Zeus! der du empor ein spätstrafend Gericht des Schicksals

Der allfrevelnden, frechen Hand schickst,

Gleiches erfülle du unsern Eltern!

Fünfte Strophe

CHOR.

Ein Festlied singen möcht ich einst, hell aufjubeln zum Schein der Fackeln

Über das Blut des Mannes,

Über das Blut des Weibes! Bergen wozu, wie die Hoffnung

Hoch fliegt! Treibt doch scharfwehender Zorn in schneller Fahrt,

In vorauseilender Hast

Gramempörter Haß mich fort!

Vierte Gegenstrophe

ORESTES.

Trifft der gewaltige Gott

Einst sie mit flammender Hand,

Weh, weh, zerschmettert er sie, dann geschieht dem Lande das Seine;

Und Recht fleh ich für freches Unrecht!

Höret, ihr Unteren, mich zur Rache!

CHORFÜHRERIN.

Und es ist ein Gesetz, daß sterbend der Strom

Des vergossenen Bluts Blut wieder verlangt,

Und es fordert, es schreit die Erinnys Tod

Für jeden, der je umkam, Unheil,

Das heraufführt anderes Unheil!

Sechste Strophe

ELEKTRA.

Wo weilt nun ihr, der Nacht Gewalten, wo?

Schauet doch ihr, der Erschlagnen allmächtige Flüche!

Ihr sehet uns, letztes Reis des Atreusstammes,

Ohn Rat und Schutz, ehrentblößt

Und heimatlos! Zeus, wohin uns wenden?

Fünfte Gegenstrophe

CHOR.

Emporkocht wieder mir des Herzens Blut, hör ich dich also jammern!

Jegliche Hoffnung flieht!

Es nachtet in meinem Busen, hör ich auf deine Klage!

Doch dann wieder scheucht sichrer Mut kühnen Blicks

Hinweg jeglichen Gram,

Daß ich es freundlich tagen seh!

Sechste Gegenstrophe

ORESTES.

Welch Wort denn trifft’s? Verzeihlich sei zumal,

Was wir geduldet von der, die geboren uns!

Doch nimmermehr lischt sich auch das andre fort –

Nein, gleich dem blutdürstgen Wolf,

Nie satt noch müd sei der Mutter mein Haß!

Siebente Strophe

ELEKTRA.

Mit wildem Totschlag traf sie ihn, der kissischen

Blutlechzenden Waffendirne gleich;

Weitausgeschwungen im wilden Wechsel jagte sich

Hinabgeschmettert ihres Armes hastger Schlag

Hoch nieder, jäh herab!

Im Echo widerhallte

Mein jammerschlaggetroffen, mein unselig Haupt!

Achte Strophe

Weh dir, ruchloses Weib! Weh dir, Mutter!

Wie der Feind den Feind verscharrt,

Den König so, ungeehrt,

So sonder Wehklage hast

Du tränenlos deinen Herrn begraben!

Neunte Strophe

ORESTES.

O nenne das Schmach und Schande. Weh mir!

Doch büßen soll meines Vaters Schmach sie!

Auf Gottes Kraft bau ich fest!

Auf meine Hand trau ich fest!

Erschlag ich sie, sterben will ich gern dann!

Neunte Gegenstrophe

ELEKTRA.

Dann ward sein Leichnam, o denk, verstümmelt,

Begraben schmachvoll wie erschlagen!

Und schnöde List sann sie dir,

Ersann für dein Leben Tod!

Siebente Gegenstrophe

Des Vaters furchtbar schmacherfüllt Geschick weißest du,

Weißt deines Vaters schnöden Tod!

Mich selber schob man weg,

Unwürdig, schmachvoll, ehrentblößt;

Hinausgestoßen vom Palast wie ein reudger Hund,

Vergaß ich das Lachen, brach ich in bittre Tränen aus,

Froh, wenn ich verhehlte meines Grames nassen Blick!

Was du vernommen, Bruder, schreib es dir ins Herz,

Achte Gegenstrophe

Durchs Ohr bohre tief sich dieses Wort dir

Ein in des Herzens stillen Grund!

Das alles war wahrlich so!

Das andre frag deinen Zorn!

Du mußt mit furchtloser Kraft genaht sein!

Zehnte Strophe

ORESTES.

Ich rufe dich, Vater, sei den Deinen nah!

ELEKTRA.

Mit ruf ich dich, Vater, bitterweinend dich!

CHOR.

Wir allzumal stimmen lauten Rufes ein!

Erhör uns, steig ans Licht empor,

Wider die Feinde hilf du!

Zehnte Gegenstrophe

ORESTES.

So kämpfe Macht gegen Macht, Recht gegen Recht!

ELEKTRA.

O Götter, jetzt endet unser Recht gerecht!

CHOR.

Mich überströmt Zittern, hör ich euer Flehn!

Das Gottverhängte harret längst;

Flehet ihr drum, heraufsteigt’s!

Elfte Strophe

O des verwandten Wehs!

O des verhängten Mordes schneidender blutger Mißlaut!

Weh, weh! Gräßliche Blutverwandtschaft!

Weh, weh! nimmergestillter Jammer!

Elfte Gegenstrophe

Rettung erscheint dem Haus

Nicht von Entfernten, nicht von Fremden, von ihnen selbst nur,

In bluttriefenden Haders Fortgang;

Und das sing ich den Göttern drunten!

CHORFÜHRERIN.

Ihr drunten, vernehmt, ihr Selgen der Nacht,

Hört dieses Gebet! Beistand und Kraft

Schickt gnädig zum Siege den Kindern!

Orestes und Elektra setzen sich auf die Stufen des Grabes.

ORESTES.

Mein Vater, der du nicht königlichen Todes starbst,

Du gib die Herrschaft deines Hauses mir zurück!

ELEKTRA.

Auch ich, o Vater, bete dies Gebet zu dir;

Du hilf mir, wenn ich Aigisthos’ Los mit enden helf!

ORESTES.

Es würden dann Festmahle von den Menschen dir

Geweiht; wenn aber nicht, so bleibst beim Totenfest

Von deines Landes Opferbrand du ungeehrt!

ELEKTRA.

Und Spenden will ich dir von meinem Erbe dann

Bei meiner Hochzeit bringen aus dem Vaterhaus,

Will fromm vor allem andern schmücken dir das Grab!

ORESTES.

O Gaia, send mir meinen Vater, den Kampf zu schaun!

ELEKTRA.

O Persephassa, du gewähr uns frohen Sieg!

ORESTES.

Gedenk des Bades, Vater, drin du umgebracht.

ELEKTRA.

Gedenk des Garnes, drin du eingefangen wardst!

ORESTES.

In eisenlose Banden, Vater, schlug man dich!

ELEKTRA.

Schmachvoll in listig umgeschlungnem Prunkgewirk!

ORESTES.

Wirst du nicht wach, o Vater, über solche Schmach?

ELEKTRA.

Hebst nicht empor, mein Vater, dein geliebtes Haupt?

ORESTES.

So send den Deinen Dike zur Mitkämpferin,

Laß zur Vergeltung jene büßen gleiches Leid,

Wenn du, der einst Bezwungne, wieder siegen willst!

ELEKTRA.

Vernimm, o Vater, diesen meinen letzten Ruf!

Sieh deine Küchlein sitzen hier an deinem Grab!

Erbarme deines Mädchens, deines Sohnes dich;

Der Pelopiden edlen Stamm, vertilg ihn nicht!

Dann bist du nicht tot, ob du auch gestorben seist;

Den toten Vätern sind die Kinder rettender

Nachruhm; dem Kork gleich führen sie, des Fadens Zug

Aus tiefem Meergrund treu bewahrend, Garn und Netz.

Hör mich, um dich ja sag ich laut all meinen Gram,

Du rettest dich ja, wenn du ehrest dies Gebet! –

Sie steht auf.

Und nun – denn reichlich spann ich meine Rede fort,

Das Grab zu ehren, das beweint sonst keiner hat –

Das andre magst du, da du im Geist gerüstet bist,

Zur Tat vollenden, magst versuchen deinen Gott!

ORESTES.

Ich will’s! Doch abwärts liegt es nicht zu fragen noch,

Weshalb die Spenden sie gesandt, um welches Wort

Sie spät geehrt hat dieses unsühnbare Weh;

Dem Toten, der das nimmer achtet, sendet sie

Den feigen Grabgruß; nicht zu deuten weiß ich dies

Geschenk, das weit bleibt hinter ihrer Freveltat.

Denn wer die Blutschuld auszusühnen alles auch

Hingösse, nutzlos ist die Müh; so ist’s und gilt’s.

Darum erzähl’s auf meinen Wunsch, wenn du es weißt.

CHORFÜHRERIN.

Ich weiß es, Kind, stand selbst dabei; von einem Traum,

Von nachtgestörten Grauenbildern aufgeschreckt,

Hat diese Spenden her das arge Weib gesandt.

ORESTES.

Erfuhrt den Traum ihr, daß ihr ihn erzählen könnt?

CHOR.

Sie sagt, ihr war’s, als ob einen Drachen sie gebar.

ORESTES.

Wie hat gewendet und geendet sich das Wort?

CHOR.

Er wand sich einem Kind in seinen Windeln gleich.

ORESTES.

Nach welcher Nahrung langte die junge Drachenbrut?

CHOR.

Sie reichte selbst ihm ihre Brust, so träumte sie.

ORESTES.

Ließ jenes Untier unverwundet ihre Brust?

CHOR.

Nein, mit der Milch aussog es dickgeronnen Blut.

ORESTES.

Nicht eitel Ding ist wahrlich eines Menschen Traum.

CHOR.

Sie aber schrie hell vor Entsetzen auf im Schlaf;

Viel Fackelschein, erloschen mit der tiefen Nacht,

Erhellte schnell die Hallen für die Königin;

Dann sandte diese Trauerspenden sie zum Grab,

Wie sie gedachte, besten Schutz vor ihrer Angst.

ORESTES.

Ich aber fleh dich, Erde, Vaters Gruft, dich an,

Ausgangentsprechend werde mir dies Traumgesicht;

Ich deut es wahrlich, daß es wohl eintreffen muß:

Denn wenn demselben Schoße jener Drach entsprang,

Aus dem ich selbst, in gleiche Windeln lag gehüllt,

Dieselbe Brust scharfleckend, die mich stillte, sog,

Der lieben Milch einmischte frischgeronnen Blut,

Sie selbst entsetzt vor solchem Weh aufjammerte,

Da muß sie furchtbar, wie sie die grause Brut gebar,

So auch den Tod erleiden; drachenwild empört

Will ich sie morden, wie der Traum ihr kundgetan.

Zum Wunderzeugen wähl ich dich für diesen Traum!

CHOR.

Also gescheh’s! Doch weiter sag uns Freunden nun,

Wen willst du mit dir tätig, wen du müßig sehn?

ORESTES.

Ich sag es kurz euch: du, Elektra, gehst hinein,

Doch mußt du sehr verbergen diesen meinen Plan,

Daß, wie sie mit List umbrachten den erhabnen Mann,

Mit gleicher List sie durch dasselbe Todesnetz

Gefangen sterben, wie’s der Seher Loxias

Gebot, der stets noch ohne Trug erfundene.

Gleich einem Fremdling und in vollem Reisezeug

Komm ich und Pylades an des hohen Hauses Tor

Als alter Gastfreund und des Hauses Waffenfreund;

Wir beide sprechen des Parnassos Sprache dann,

Der Phoker Mundart fremde Laute täuschend nach;

Doch wird der Torwart freundlich uns wohl eben nicht

Empfangen, weil das ganze Haus in Freveln rast;

So werden wir da warten, bis wir einen sehn,

Der dort vorbeigegangen kommt, und fragen ihn:

Was läßt Aigisthos vor der Tür den Flehenden

Ausschließen, da, anwesend selbst, er doch es weiß?

Wenn ich dann des Schloßtors Schwellen überschritten hab

Und jenen find auf meines Vaters teurem Thron,

Er dann herabsteigt, nah sich vor mein Angesicht

Hinstellt und spricht und, glaub mir, mich mit dem Blick verhöhnt –

Noch eh er fragt: »Von wannen, Fremdling, kommst du?« tot

Streck ich ihn nieder mit des Schwertes heißem Schlag.

So wird Erinnys, nie des Mordes noch verarmt,

Zum dritten Trunk dann trinken ungemischtes Blut!

Du aber, Schwester, wach im Hause mußt du sein,

Daß alles das mir gut zusammentreffen mag;

Auch euch ermahn und bitt ich, wahret euren Mund,

Schweigt, wo es not ist, sprechet, was sich ziemt und frommt!

Das andre laß ich diesem Gott befohlen sein,

Der diesen Blutkampf meines Schwertes mir gebeut.

Orestes, Pylades und Elektra ab.

Erste Strophe

CHOR.

Erde wohl nähret manch riesengrausig Ungeheur,

Tief in Meeres dunklem Grund wimmelt wohl

Manch Knäul menschengierger Scheusale,

Und durch die Abenddämmrung hin

Schweift des Meteores Schein,

Schweift das Geflügel der Lüfte, das Wild in der Waldung

Und der Windsbraut Wolkenjagd!

Erste Gegenstrophe

Aber wer nennt des Manns freche Stirn mit Namen je,

Wer die scheulose Wut je des Weibs,

Dies allfrechste, lüstre Lustbuhlen,

Den Menschen alles Jammers Kost!

Solcher Ehe, solches Paars

Weibergeherrschtes, verworfenes Lieben erreicht nichts

Ungeheures, Menschliches!

Zweite Strophe

Hört ihr, so ihr nicht mit Flattersinn

Eitlen Spiels forschet,

Was einst Thestias, was die Kindesmörderin arg ersann,

Jenen Brand geheimen Mordes!

Sie hat verbrannt ihres Sohnes

Lebensfackel, die mit ihm war,

Seit ihr Schoß ihn geboren,

Mit ihm währte sein Lebelang,

Bis sein Ende gekommen.

Zweite Gegenstrophe

Ihr gleich sei in aller Mund verhaßt

Skylla bluttriefend;

Sie hat Feindes halb einen, der ihr teuer war, umgebracht!

Mit goldgeflochtnem Kreterhalsband,

Mit Minos’ Brautgabe bestochen,

Schnitt das Haar der Unsterblichkeit

Sie dem schlafenden Nisos,

Die Schamlose, dem Vater ab;

Doch einholte sie Hermes.

Dritte Strophe

Gedacht ich so unerweichbar grauser Wut,

So ist es unzeitig, noch der schnöden Eh, noch dem Greul in diesem Haus,

Den weiberarglistgen Ränken wider ihn,

Den Mann im Kriegswaffenschmuck,

Den Mann, des Ruhm aller Feinde Schrecken war –

Ehrfurcht noch da diesem ausgebrannten Herd,

Dem ohnmachtfeigen Weib zu hegen!

Dritte Gegenstrophe

Vor allen Untaten ragt die lemnische;

Als ganz verrucht wird in aller Sage sie nachgeklagt; doch dieses Greul,

Wohl wird’s mit Recht dem von Lemnos gleich genannt!

Durch gottverabscheute Schuld

Versinkt, entweiht seiner Ehren, dies Geschlecht;

Denn keiner ehrt fürder, was der Gott verwarf.

Ist eins hier, was ich nicht gerecht zeih?

Vierte Strophe

Das auf die Brust gesetzte Schwert,

Hinein bohrt’s tief bitterscharfen Mord unter Dikes Hand; denn Todsünde tritt

Nimmer niemand in den Staub; die alle Furcht

Vor Zeus hinwegwerfen, sind des Todes!

Vierte Gegenstrophe

Auf festem Grund steht Dikes Macht;

Ihr Richtschwert wetzt Aisa schon, die Schwertfegerin; es bringt den Sohn heim ins Haus,

Alten Hauses ältre Schuld zu züchtigen,

Die wache, listkundge Nachterinnys! –

Orestes und Pylades mit einigen Begleitern, alle als Wanderer gekleidet.

ORESTES an die Tür der Gastwohnung pochend.

He, Bursch! Du hörst, man pocht hier an der Außentür!

Ist keiner da? Bursch! heda, Hausbursch! öffne doch!

Zum dritten Male ruf ich dich, mir aufzutun,

Wenn bei Aigisthos’ Zeiten ihr noch gastlich seid!

BURSCHE.

Ja doch, ich höre! Freund, wer bist du und woher?

ORESTES.

Der hohen Herrschaft deines Hauses hier bestell,

Zu ihnen käm ich, brächte Neuigkeiten mit.

Mach schnell; es fährt in ihrem dunklen Wagen schon

Die Nacht herauf; Zeit wird es, daß ein Wandersmann

In seinem Gasthaus Anker wirft, sich auszuruhn.

Es komme jemand, der Gewalt hier hat, die Frau

Etwa des Hauses, doch der Mann ist schicklicher;

Denn wenn Verlegenheit das Wort nimmt, Freund, so tappt

Die Red im Dunkeln, aber dreister spricht der Mann

Zum Mann, und Zeugnis sagt er deutlich und genau.

Bursche ab. Klytaimestra tritt mit Elektra und einigem Gesinde auf.

KLYTAIMESTRA.

Fremdlinge, sagt, was ihr bedürft; euch steht bereit,

Was irgend unsrem Fürstenhause ziemen wird,

Ein warmes Bad und, aller Müdigkeit Entgelt,

Ein weiches Lager, biedrer Wirte Gegenwart;

Und wäre weitres euch mit mehr Bedacht zu tun,

So ist’s der Männer Sache; wir berichten’s gleich.

ORESTES.

Fremd kam ich her, aus Phokis bin ich, ein Daulier;

Als ich, mein eigen Bündel auf den Schultern, her

Gen Argos wandre, wo ich übernachten wollt,

Traf unbekannt mich Unbekannten einer an

Und sprach, nachdem er meinen Weg von mir gehört

– Der Phoker Strophios war es, hört ich im Gespräch –:

»Wenn du denn sonst auch, Freund, gen Argos gehen mußt,

So sage doch den Eltern, die du leicht erfragst,

Orestes sei gestorben, und vergiß es nicht;

Ob dann die Seinen ihn zurückgebracht zu sehn,

Ob ihn im Ausland und für alle Zeiten fern

Begraben wünschen, solchen Wunsch sag mir zurück;

Denn einer erzgetriebnen Urne Raum verschließt

Des vielbeweinten, teuren Mannes Asche jetzt.«

Was ich gehört hab, sag ich nach; ob ich es nun

Den Rechten, die es hören müssen, sage, nicht

Weiß ich’s, erfahren aber muß sein Vater es.

ELEKTRA.

Weh mir! Von Grund aus werden jetzt wir hingestürzt!

Du, dieses Hauses unbezwinglich grauser Fluch,

Wie vieles Nah und Fernes, das uns glücklich stand,

Zerstörst du fernher zielgewiß mit deinem Pfeil!

All meiner Lieben machst du mich ganz Arme arm;

Nun auch Orestes, welcher wohlberaten war,

Daß fern den Fuß er aus des Verderbens Sumpf gelenkt,

Er, unsre Hoffnung, er, dem schönen Taumelrausch

Ein letzter Arzt, sie nennet jetzt ihn – nah und da!

ORESTES.

O wär ich doch Gastfreunden, die so reich und hoch,

Durch gute Botschaft, die ich brächte, heut bekannt

Geworden und als Freund begrüßt. Was Liebres kann,

Als solch ein Gastfreund, einem in der Fremde sein?

Doch mir im Geist erschien es als Gottlosigkeit,

Den Angehörgen solchen Bericht nicht kundzutun,

Da ich’s versprochen und als Freund hier ward begrüßt.

KLYTAIMESTRA.

Nicht minder soll dir werden, was dein würdig ist,

Noch wirst du weniger gelten drum als Hauses Freund;

Dasselbe hätt ein andrer doch uns hinterbracht.

Doch ist es Zeit jetzt, daß den Fremden, die den Tag

Hindurch gewandert, was bequem ist, werd geschafft;

Zu einem der Diener.

Ihn selber führ zum gastlich offnen Männersaal,

Und wenn du zurückkommst, seine Reisegefährten auch,

Damit sie dort sich finden, was für sie bequem.

Dein ist der Auftrag, und du haftest mir dafür.

Wir aber werden dies dem Herrn des Hauses treu

Mitteilen und mit unsern Freunden insgesamt

Wohl überlegen, was in diesem Fall zu tun.

Alle ab.

CHORFÜHRERIN.

Auf, teuere Schar! Auf, Mägde vom Haus!

Wie geben wir kund

Für Orestes unsres Gebets Wunsch?

Du heiliger Herd, du der Gruft heiliger

Erdhügel, der jetzt du des Meerfeldherrn,

Des gewaltigen, Königsleichnam birgst,

Nun hör uns, nun sei hilfreich!

In den Kampf des Betrugs geht Peitho jetzt,

Und der Gruft Hermes, mit hinein tret er,

Und der Nacht Hermes, er begleite dich treu

Zum vertilgenden Kampfe des Schwertes!

Kilissa, die Amme, kommt.

CHOR.

Der fremde Mann hat, scheint es, Böses mitgebracht;

Denn weinend seh ich dort Orestes’ Amme nahn.

Wohin, Kilissa, gehst du aus des Hauses Tor?

Und mit dir kommt ja unbezahlte Traurigkeit!

KILISSA.

Aigisthos, sagt die Herrin, soll ich ungesäumt

Den Fremden herbescheiden, daß er deutlicher,

Der Mann von Männern, ihre Neuigkeiten mag

Mit eignen Ohren hören. Vor dem Gesinde zwar

Verbirgt in finstern Augen sie geflissentlich

Ihr Lachen; denn nun ist geschehn das Freudigste

Für sie, fürs Haus steht’s aber ganz und gar betrübt

Seit dieser Nachricht von den fremden Wanderern!

Und freilich, er wird herzlich sich darüber freun,

Wenn er die Zeitung höret! O ich arme Frau!

Ist doch von alten Zeiten her schon vielerlei

Unsäglich Unglück hier in Atreus’ altem Haus

Bis heut geschehn, das mir das Herz im Leib zerreißt;

Doch solchen Kummer hab ich niemals noch erlebt!

All andres Leid trug ich geduldig bis ans End;

Daß aber mein Orestes, meiner Seelen Lust,

Den aus der Mutter Schoß ich nahm und auferzog

Mit aller Unruh nächtens, wenn das Kindchen schrie,

Und all den vielen Plagen, die ich vergebens nun

Ertrug – denn Kinder ohne Nachgedanken muß

Wie’s liebe Vieh man ziehn, nicht wahr? mit viel Verstand;

Da kann es denn nicht sprechen, solch ein Windelkind,

Ob’s Hunger, ob es Durst hat oder pinkeln will,

Der kleine Magen macht, was je nach seiner Not;

Das muß voraus man merken, und, glaub mir, man irrt

Sich auch und wäscht dem Kinde dann die Windeln rein,

Versieht zugleich der Wäscherin und Amme Dienst;

Und ich versah die beiderlei Geschäfte selbst

Und nahm Orestes, für den Vater aufzuziehn –,

Nun muß ich Arme hören, daß er gestorben ist,

Muß nun zum Herrn gehn, der geschändet unser Haus

Und meine Zeitung frohen Sinnes hören wird!

CHOR.

In welcher Weise will sie, daß er kommen soll?

KILISSA.

Wie welcher? Sag noch einmal, daß ich’s recht versteh!

CHOR.

Ob seine Wache mit ihm oder er allein?

KILISSA.

Umringt von Lanzenknechten will sie, daß er kommt.

CHOR.

Das aber sag dem Herren, den du ja hassest, nicht;

Allein erscheinen mög er, hören ohne Furcht.

Das geh und meld ihm ungesäumt und freue dich;

Bei mancher Botschaft nützet ein verheimlicht Wort!

KILISSA.

Bist gar du froh noch über solche Neuigkeit?

CHOR.

Abwenden wird Zeus’ Willen einst noch allen Gram!

KILISSA.

Wie das? Orestes, unsres Hauses Hoffnung, starb!

CHOR.

Nicht doch; ein schlechter Seher schon erkennte das!

KILISSA.

Was sagst du? Weißt du andres, als berichtet ward?

CHOR.

Geh hin und melde! Mach es, wie ich’s dir gesagt;

In Gottes Hand liegt, was geschehen muß und wird!

KILISSA.

Ich geh und führ es ganz nach deinem Willen aus;

O daß es glücklich ende durch der Götter Rat!

Kilissa ab.

Erste Strophe

CHOR.

Höre jetzt mein Gebet, du der hochselgen Götter Vater, Zeus!

Laß erlosen mich ein Los, unverrückt

Das Weise treu forschenden Sinns zu schaun!

Sprach ich all mein Gebet

Dir doch gerecht, Zeus, du nimm’s in Obhut!

Zeus! Zeus!

Doch Gewalt über die Todfeinde gewähr dem im Palast, den du doch großzogst!

Doppelte Buße laß

Und dreifältige dir gefallen!

Erste Gegenstrophe

Denk es wohl, unsres vielteuren Herrn Waise ward ins Leidenjoch

Eingeschirrt; gib ein Maß seinem Lauf!

Wer hielte leicht, läuft er in diesem Feld,

Richtig Maß, sichres Ziel,

Wenn er des Unheils Bahn dahinstürmt?

(Zeus! Zeus!

Doch Gewalt über die Todfeinde gewähr dem im Palast, den du doch großzogst!

Doppelte Buße laß

Und dreifältige dir gefallen!)

Zweite Strophe

Götter ihr, die ihr der vielreichen Schatzkammer wachet im Palast,

Götter, hört mich gnädig an!

Auf denn! Einst verübter Freveltat

Blutschuld sühnet durch ein neu Gericht;

Der greise Mord zeuge weiter nicht im Haus!

Diesen, der mordet mit Recht,

Herr, du in tiefkündender Kluft,

Lasse zum Heil du ihn des Vaters Haus sehn!

Lasse du frei ihn und hell

Mit seinem teueren Aug durch der grausigen Frevel Nacht schaun!

Zweite Gegenstrophe

Allgerecht helfen mag Maias Sohn, rasch in rascher Förderung

Kühne Tat gern endigen!

Unausforschlich forscht er fernstes Ziel,

Gießt Nacht, gießet Dunkel vor das Aug,

Am hellen Tag heller nicht noch kenntlicher!

(Diesen, der mordet mit Recht,

Herr, du in tiefkündender Kluft,

Lasse zum Heil du ihn des Vaters Haus sehn!

Lasse du frei ihn und hell

Mit seinem teueren Aug durch der grausigen Frevel Nacht schaun!)

Dritte Strophe

Vieler Sang, sühnender,

Soll dem teuren Hause dann,

Weiblich fromm gesungener

Zur Zither, alle Schuld zu bannen,

Tönen durch die Stadt. – Geschäh’s!

Mein, ja mein blüht dann allen Glücks Gewinn,

Und Ata weicht den Teuren fern!

Sohn! Sohn!

Dann im Mut stark, wenn du hintrittst und es ausführst und dazu nennst Vaters Namen

Und sie »Kind!« dich ruft,

So doch ende das Graunverhängnis!

Dritte Gegenstrophe

Dann hinwegblickend, Sohn,

Dann wie Perseus, unerschreckt,

Mußt den Deinen, die das Grab deckt,

Du den Deinen hienieden erfüllen

Der Liebe grambittern Haß!

Führe so drinnen aus dein blutig Amt,

Den Mord der Mordesschuldigen!

(Sohn! Sohn!

Dann im Mut stark, wenn du hintrittst und es ausführst und dazu nennst Vaters Namen

Und sie »Kind!« dich ruft,

So doch ende das Graunverhängnis!)

Aigisthos tritt ohne Gefolge auf.

AIGISTHOS.

Nicht ungerufen komm ich; Boten sandte man;

Denn fremde Männer, hör ich, kamen, brachten uns

Viel Neuigkeiten, aber nicht erfreuliche,

Den Tod Orestens. Würde das im Hause kund,

Entsetzentriefend Grausen weckt’ es leicht im Haus,

Das noch an alten Wunden krankt und altem Schmerz.

Soll ich es wahr, lebendig nennen? Oder ist’s

Ein weiberhaftes, furchtgebornes Truggeschwätz,

Das durch die Luft hin eitel fliegt und eitel stirbt?

Weißt du vielleicht mir irgend drüber Sicheres?

CHOR.

Wir hörten’s freilich; aber drinnen frage selbst

Die fremden Männer; wenig Wert hat Botenwort,

Da du selbst von ihnen selber alles hören kannst.

AIGISTHOS.

Selbst sehn und fragen will ich denn den fremden Mann,

Ob er bei seinem Tod gewesen oder nur

Aus dunklen Reden so erfuhr und weiterspricht;

Denn meines Geistes scharfen Blick betrügt man nicht.

Ab in den Palast.

CHORFÜHRERIN.

Zeus, Zeus, was sag, was nenn ich zuerst

Im heißen Gebet, im brünstigen Wunsch?

Wie sprech ich es aus,

Daß es gleichkommt unserer Treue?

Jetzt muß es geschehn, daß des mordenden Schwerts

Kühnwagende, blutig begonnene Tat

Entweder hinweg von der Erde vertilgt

Das teure Geschlecht Agamemnons –

Oder er selbst schürt Lustfeuer uns bald

An dem Freiheitsfest und gewinnet der Stadt

Herrschaft, sein väterlich Erbteil!

Schon tritt er allein zwei Feinden zugleich

Entgegen zum Kampf, der göttliche Held

Orestes; geschah es zum Siege!

AIGISTHOS hinter der Szene.

Ach! Weh mir, wehe!

CHOR.

Horch doch! weh, o horch!

Weh! was ist?

Was geschieht im Palast?

Laßt uns hinweggehn, denn das Werk wird nun vollbracht,

Auf daß wir schuldlos scheinen mögen dieser Tat;

Denn bald erreicht ist dieses Kampfes Ziel und Schluß.

Der Chor setzt sich auf die Stufen des Grabes.

KNECHT aus dem Palast stürzend.

O weh des Mordes! Totgeschlagen ist der Herr!

O weh noch einmal! Und zum dritten Male weh!

Aigisthos ist nicht mehr! O öffnet, öffnet doch!

Pocht an die Tür des Frauenhauses.

So schnell wie möglich! Schließet, brecht die Riegel auf

Im Weiberhause; ja es braucht da große Kraft,

Nicht ihm zu helfen, der ist tot. Was ist es mehr!

Ho! hoiho!

Wiederholtes Pochen.

Zu Tauben schrei ich, und zu eitel Schlafenden

Umsonst. Wo ist Klytaimestra? Auf! Was säumt sie noch?

Nun scheint’s, daß um ein kleines von des Henkers Schwert

Ihr eigner Nacken im Gericht hinsinken wird!

KLYTAIMESTRA tritt heraus.

Was ist geschehn, sprich? Welch Geschrei tobst du ins Haus?

KNECHT.

Die Toten, sag ich, morden die Lebendigen!

KLYTAIMESTRA.

Weh mir! Im Rätsel auch versteh dein Wort ich wohl!

List fänget uns jetzt, gleich wie wir einst mordeten!

Mein altes Mordbeil gib mir eilig jetzt hervor;

Knecht ab.

Laß sehen, ob wir siegen werden, ob besiegt!

Dahin gekommen ist es nun in meinem Leid!

Orestes und Pylades treten aus dem Palast.

ORESTES.

Ich suche dich auch! Er erhielt sein volles Teil!

KLYTAIMESTRA.

Weh mir! Erschlagen du, Aigisthos’ teure Kraft?

ORESTES.

Du liebst den Mann? So liege denn in einem Grab

Mit ihm; verrat du doch den Toten nimmermehr!

KLYTAIMESTRA.

Halt ein, o Sohn! Nein, scheue diese Brust, o Kind,

Die Mutterbrust, an welcher du einschlummernd oft

Mit deinen Lippen sogst die süße Muttermilch!

ORESTES.

Was tu ich, Pylades? Scheu ich meiner Mutter Blut?

PYLADES.

Wo bleiben dann die andren Gottverheißungen

Des Pythotempels, wo der eignen Eide Band?

Hab alle lieber als die Götter dir zu Feind!

ORESTES.

‘s ist wahr, du siegest und gemahnst ans Rechte mich!

So folg mir, töten will ich neben jenem dich.

Im Leben war vor meinem Vater der dir wert,

Du sollst im Tod auch bei ihm schlafen; denn du liebst

Den Menschen; den du lieben mußtest, hassest du!

KLYTAIMESTRA.

Ich zog dich groß, Kind, altern mit dir will ich auch!

ORESTES.

Du mit mir wohnen, meines Vaters Mörderin?

KLYTAIMESTRA.

Es ist die Moira, liebes Kind, all dessen schuld!

ORESTES.

So hat die Moira auch verschuldet diesen Mord!

KLYTAIMESTRA.

O Sohn, und scheust du deiner Mutter Flüche nicht?

ORESTES.

Die du mich gebarst, verstoßen hast du mich ins Weh!

KLYTAIMESTRA.

Dich nicht verstoßen hab ich in des Freundes Haus!

ORESTES.

Zwiefach verkauft ward ich, des freien Vaters Sohn!

KLYTAIMESTRA.

Wo ist der Kaufpreis, den ich je für dich empfing?

ORESTES.

Die Scham verbeut mir, auszusprechen deinen Schimpf.

KLYTAIMESTRA.

O nein! Doch sag auch, was getan dein Vater hat!

ORESTES.

Wenn du daheim bliebst, richte nicht mit dem, der kämpft!

KLYTAIMESTRA.

Vom Gatten fern sein, Kind, es schmerzt die Gattin sehr!

ORESTES.

Des Mannes Mühsal nährt die still Heimsitzende!

KLYTAIMESTRA.

So willst du mich umbringen, deine Mutter, Sohn?

ORESTES.

Mitnichten ich; nein, du ermordest selbst dich selbst!

KLYTAIMESTRA.

Du! vor der Mutter grimmen Hunden hüte dich!

ORESTES.

Die meines Vaters, laß ich dich, wie meid ich die?

KLYTAIMESTRA.

So wein ich lebend an dem Grabe denn umsonst?

ORESTES.

Des Vaters Schicksal stürmet auf dich diesen Tod!

KLYTAIMESTRA.

Weh, diesen Drachen, den ich geboren und genährt!

ORESTES.

Ein rechter Seher war dir deines Traumes Angst!

Du erschlugst, den du nicht mußtest; gleiches leide jetzt!

Beide ab. Der Chor nähert sich ängstlich.

CHORFÜHRERIN.

Laßt uns beweinen beider doppelt Mißgeschick;

Und weil Orestes traurig jetzt zum Gipfel führt

Die viele Blutschuld, lasset beten uns zugleich,

Daß dieses Hauses Auge nicht ganz brechen mag!

Erste Strophe

CHOR.

Des Bluts Rächerin den Priamiden kam,

Die strafwilde Poina;

Das Blut rächend, kam in Agamemnons Haus

Ein Löwenpaar, ein Arespaar;

Blutig errang sein Ziel

Der gottgesandte Flüchtige,

Der auf des Gottes Rat hierher wanderte.

Jauchzet, o jauchzet laut, daß das erlauchte Haus

Rein der Beschimpfung ward, daß von der reichen Habe nicht

Geudet und schwelgt das Frevlerpaar,

Ein fluchwürdger Hohn!

Erste Gegenstrophe

Längst Vorsorgerin heimlichen Kampfes kam

Die listsinnge Poina;

Und Hand angelegt hat in dem Kampf des Zeus

Wahrhaftes Kind: Gerechtigkeit

Rufen wir Menschen sie

Und nennen recht ihren Namen,

Die mit Verderbens Wut den Feind niederstürmt!

(Jauchzet, o jauchzet laut, daß das erlauchte Haus

Rein der Beschimpfung ward, daß von der reichen Habe nicht

Geudet und schwelgt das Frevlerpaar,

Ein fluchwürdger Hohn!)

Zweite Strophe

Also hat der parnassische Loxias,

Welcher die tiefe Kluft inne der Erden hat,

Mit truglosem Trug sich jetzt genaht,

Der spätstrafende!

Die Gottheit überwindet! Wohl gebührt’s,

Fromm zu scheun der Himmlischen Gericht;

Wieder erscheinet Licht!

Seines gewaltgen Jochs seh ich das Haus befreit!

Wiederersteh, du Haus, das du so lange Zeit

Im Staub gestürzt darniederlagst!

Zweite Gegenstrophe

Und einzieht die Allenderin bald, die Zeit,

In des Palastes Tor, wenn von dem heilgen Herd

Gescheucht jegliche Schuld

Durch reinigende Sühne des Verderbens ist.

Das Glück, liebe Ruh im Antlitz,

Uns Zitternden froh zu schaun,

Die ins Haus sich eingenistet, hat’s gestürzt!

Wieder erscheinet Licht!

(Seines gewaltgen Jochs seh ich das Haus befreit!

Wiederersteh, du Haus, das du so lange Zeit

Im Staub gestürzt darniederlagst!)

Aus der königlichen Pforte tritt Orestes mit bluttriefenden Händen; Pylades, Gefolge; auf einer Bahre werden die Leichen von Aigisthos und Klytaimestra herausgetragen.

ORESTES.

Da seht ihr dieses Landes Doppeltyrannei,

Die Vatermörder, die Zerstörer meines Stamms!

In stolzer Hoheit saßen sonst sie auf dem Thron,

Und jetzt vereint sie Liebe noch, wie dort ihr Los

Es zeigt, und treu bleibt altem Schwure noch ihr Bund.

Vereint den Vater umzubringen schwuren sie,

Vereint zu sterben; nun geschah’s nach ihrem Schwur.

Ihr aber alle, dieser Leiden Zeugen, seht

Dies Truggewirk an, meines armen Vaters Garn,

Die Fessel seiner Hände, seiner Füße Zwang!

Spannt ihr es weit aus, zeigt im Kreise ringsumher

Des Helden Fangnetz, daß es sehn der Vater mag –

Nicht meiner, sondern Helios, der alles dies,

Der meiner Mutter gottverfluchte Taten schaut’,

Auf daß er einst mir im Gericht kann Zeuge sein,

Wie ganz gerecht ich diesem Morde nachgejagt

Der Mutter; denn Aigisthos’ Tod ist tadelfrei;

Er fand, des heilgen Rechts Verletzer, sein Gericht.

Doch wenn ein Weib so argen Haß sann ihrem Mann,

Von dem sie Kinder doch im eignen Schoße trug,

Einst teure Last, jetzt offenkundig ärgsten Feind –

Was meinst du? Giftaal, Viper wurde sie erzeugt,

Daß, wen sie anrührt, ungebissen der verfault

Ob ihrer Frechheit, ihres Sinns Ruchlosigkeit.

Deutet auf das Netz.

Wie nenn ich das gar, daß der Name treffend sei?

Fangzeug des Wildes, fußumschlingend Leichentuch,

Des Beckens Mordgezelte, nenn’s ein Jägernetz,

Heimtückisch Stellgarn, fußverfangend Fluchgewirk!

Ein Straßenräuber finde sich desgleichen aus,

Der seinen Gastfreund tückisch fängt, in Raub und Mord

Sein Leben hinbringt; viele dann mit solcher List

Zu morden, das sei seines Lebens rechte Lust!

Mir aber werde solche Hausgenossin nie,

Ehr wollt mich, Götter, sterben lassen kinderlos!

CHOR.

Weh, weh! Weh, weh der entsetzlichen Tat!

Wie gräßlichen Todes du umkamst!

Weh, weh! Weh, weh!

Weh blüht auch dem, der zurückbleibt!

ORESTES.

Hat er’s vollendet oder nicht? Dort das Gewand

Gibt mir ein Zeugnis, daß es trank Aigisthos’ Blut;

Des Mordes Färbung aber eint sich mit der Zeit,

Hinwegzutilgen, all des Purpurs Farbenpracht!

Nun preis ich mich, nun jammr ich laut auf, hierzustehn

Und anzureden meines Vaters Mordgespinst;

Es quält mich meine Tat, mein Leid, all mein Geschlecht,

Mit dieses Sieges reicher Schuld verflucht zu sein!

CHOR.

Kein Sterblicher ist’s, der das Leben in Ruh

Hinbringt und jeglicher Schuld frei!

O Sohn, Trübsal

Kommt bald dem, anderen später!

ORESTES.

Ein andrer sieht’s einst, wo das Ziel – ich weiß es nicht;

Gleichwie mit Rossen aus der fliegenden Wagen Bahn

Ras ich hinaus; fort reißt mich zügellos der Geist,

Unwiderstehlich. Meines Herzens Entsetzen will

Sein Lied beginnen, seinen Tanz zum Schall der Wut! –

Solang Bewußtsein mir noch bleibt, hört, Freunde, mich!

Die eigne Mutter schlug ich tot mit Fug und Recht,

Die Gottverhaßte, mir um Vatermord verflucht;

Und meiner Kühnheit Liebestrank, ihn mischte mir

Der Pythoseher Loxias durch seinen Spruch:

Daß, wenn ich’s täte, sonder Schuld ich sollte sein,

Wenn ich es ließe – meine Strafe nenn ich nicht;

Mit keinem Pfeil reicht keiner ab ein solches Leid!

Und jetzt, ihr seht mich, wie ich will, fromm angetan

Mit diesem Ölzweig, diesem Kranze, bittend ziehn

Zum Heiligtum der Mitten, Loxias’ Gefild,

Zum Licht der Flamme, die die ewge wird genannt,

Verwandter Blutschuld zu entfliehn; denn Loxias

Gebot mir, keinem andren Herde mich zu nahn.

Ich aber sag euch, die Argiver allzumal

Bezeugen einst mir, welches Leid mir ward erfüllt;

Doch ich, der Heimat flüchtig, irr in fremdem Land;

Leb ich und sterb ich, diesen Ruhm laß ich zurück.

CHORFÜHRERIN.

Du tatst es schön so; drum zu bösem Worte nicht

Schließ deinen Mund auf noch ein schlimmes Zeichen sprich;

Du gabst der Freiheit unsre ganze Stadt zurück,

Da beide Drachen mächtig du zu Boden schlugst!

ORESTES.

Ach!

Getreue Frauen, seht sie dort, Gorgonen gleich,

Die faltig Schwarzverhüllten, Haardurchflochtenen

Mit dichten Schlangen; bleiben nicht mehr kann ich hier!

CHOR.

Was für ein Wahnbild, du des Vaters liebstes Kind,

Scheucht dich empor? Bleib, fürchte nichts, Siegreicher du!

ORESTES.

Nicht ist’s ein Wahnbild, was mich dräuend dort entsetzt,

Nein, meiner Mutter wutempörte Hunde sind’s!

CHOR.

‘s ist frisches Blut dir, Kind, an deinen Händen noch,

Daraus Verwirrung deinen Geist dir überfällt.

ORESTES.

O Fürst Apollon! Wuchernd mehrt sich ihre Schar!

Aus ihren Augen triefen sie grausenhaftes Blut!

CHOR.

Es gibt Entsühnung! Wenn du Loxias berührst,

So wird er huldreich dieser Qualen dich befrein!

ORESTES.

Ihr freilich seht sie nicht; ich aber sehe sie!

Mich jagt’s von hinnen! Bleiben nicht mehr kann ich hier! –

Stürzt hinaus.

CHOR.

All Glück geleit dich; gnädig möge schaun auf dich

Ein Gott und dich bewahren vor Gefahr und Tod!

So ward dem Geschlecht denn der Könige nun

Dreimaliger Sturm,

In das Haus hintobend, geendet!

Zum ersten begann kindfressendes Greul

Die entsetzliche Schuld;

Zum zweiten des Herrn unköniglich Los;

Denn im Becken erwürgt kam um der Achair

Kriegsherrlicher Fürst;

Zum dritten erschien – nenn Heiland ich,

Nenn Mörder ich ihn?

Wo endet es je? Wo findet noch Ruh

Die besänftigte Macht des Verderbens?

Aischylos

Die Eumeniden

(Eumenides)

Personen.

Die pythische Seherin

Apollon

Orestes

Klytaimestras Schatten

Chor der Eumeniden

Athene

Geleitende Schar

Tempel des Apollon zu Delphi; aus den Hallen tritt die pythische Seherin zum Frühgebet.

SEHERIN.

Mit erstem Anruf ehr ich aus der Götter Zahl

Die Urprophetin Gaia; Themis dann, ihr Kind,

Die nach den Sagen hier am Seherherde saß,

Die zweite nach der Mutter; dann zum dritten ward

Mit ihrem Willen, nicht von fremder Macht bestimmt,

Ein andres Kind der Gaia Herrin dieses Orts,

Titanis Phoibe. Zum Geburtsgeschenke gab

Die ihn dem Phoibos, der sich drum nach Phoibe nennt.

Das Klippeneiland Delos ließ er und die See,

Zu Pallas’ meerfahrtoffnem Strande zog er dann

Und kam in dies Land zu des Parnassos Heiligtum;

Und ihn geleiten, frommen Dienstes ehren ihn

Als Wegebahner des Hephaistos Kinder, die

Des Landes Wildnis seinem Zug entwilderten.

Drauf als er einzog, festlich wallt’ entgegen ihm

Das Volk und Delphos, dieser Gegend hehrer Fürst;

Zeus aber gab ihm ewgen Rates Wissenschaft,

Den vierten Seher, setzt’ er ihn auf diesen Thron,

Und seines Vaters Zeus Prophet ist Loxias.

Zu diesen Göttern bitt und bet ich feierlich! –

Dem Gruß die erste mag Pronaia Pallas sein,

Gruß auch den Nymphen drüben, wo Korykis’ Fels,

Hohl, vogelheimisch und der Götter Ruheplatz;

‘s ist Bromios jener Gegend Herr, des denk ich wohl,

Seitdem die Bakchen siegend hergeführt der Gott

Und Tod dem Pentheus einem Häslein gleich gewirkt,

Auch Pleistos’ Quellen grüß ich und die heilge Kraft

Poseidons und zum letzten dich, allhöchster Zeus!

Nun setz ich mich Prophetin auf den heilgen Thron;

Huldreich gesegnen mögen sie vor jedem je

Mir diesen Eingang. Sind Hellenen hier zur Stund,

So nahn sie nach den Losen altem Brauch gemäß;

Denn ich verkünde, wie der Gott es mir gebeut!

Sie öffnet den Tempel und geht hinein; nach kurzer Pause wankt sie entsetzt zurück.

Graunvoll zu nennen, anzuschauen grausenvoll!

Mich jagt es rückwärts aus dem Tempel Loxias’,

So daß die Sohle kaum mich trägt, sich kaum bewegt;

Die Hände laufen, nicht des Fußes nichtge Hast!

Ohnmächtig bin ich zitternd Weib, gleich einem Kind!

Zum vielbekränzten Heiligtume ging ich ein,

Und sitzen seh ich einen gottverfluchten Mann

Am Erdennabel, schutzgewärtig, frisch von Blut

Die Hände triefend, noch das entblößte Schwert zur Hand,

Zugleich des Ölbaums einen hochentsproßnen Zweig

Mit breitgewundner Flocke rings sorgsam bekränzt

Der weißen Wolle; so genau sprech ich es aus.

Um diesen Mann her eine wunderbare Schar

Von Weibern schlafend auf die Sessel hingestreckt;

Doch nicht von Weibern – nein, Gorgonen nenn ich sie,

Und wieder nicht den Bildern der Gorgonen gleich;

Einst sah ich die gemalet, wie sie mit Phineus’ Mahl

Von dannen fliegen; aber ungeflügelt sind

Die dort und schwarz und gar entsetzlich anzuschaun;

Sie schnarchen unnahbaren Odems lauten Hauch,

Aus ihren Augen trieft es, quillt es grausenhaft,

Ihr Putz, zu scheußlich ist er, um den Göttern je,

Der Menschen Wohnung traulich jemals sich zu nahn.

Nie hab ich solch Gelage solcher Schar gesehn,

Noch rühmt sich jemals irgendein Land, dies Geschlecht

Gramlos zu nähren, ohn es schwer zu büßen einst.

Das weitre sei dem Herren dieses Heiligtums,

Dem Loxias, befohlen, dem großmächtigen;

Denn Seherheiland ist er, Zeichenkündiger,

Und allem Hause jeder Schuld Entsündiger.

Ab in die Halle; aus dem Tempel treten Apollon und Hermes; zwischen beiden Orestes.

APOLLON.

Dich werd ich nicht verraten; allzeit Hüter dir,

Ob ich dir nah bin oder weit von dir entfernt,

Nie werd ich deinen Feinden freund und gnädig sein!

Also gefangen siehst du diese Dirnen jetzt,

Vom Schlaf bewältigt, eine gottverhaßte Brut,

Ergraute Mädchen, greise Kinder, welche nie

Der Götter einer, nie ein Mensch noch Tier umarmt;

Des Bösen wegen sind sie da, sie hausen drum

Im bösen Dunkel unten tief im Tartaros,

Der Menschen Abscheu und der Götter im Olymp.

Dennoch entflieh du und vergiß der lieben Ruh;

Dann jagen durch das weite Festland dir sie nach,

Solang du hineilst über irrdurchflüchtet Land,

Dir über Meer und meerumrauschte Inseln nach.

Und nicht zu früh ermüde, weit umhergescheucht

In solcher Mühsal. Ziehe dann gen Pallas’ Stadt,

Setz an ihr altes Bild dich und umschling es fromm.

Und dort, wo Richter solcher Schuld und sühnend Wort

Für uns bereit sind, werden Wege wir erspähn,

Daß frei und los du werdest aller dieser Mühn;

Denn ich gebot’s, daß deine Mutter du erschlugst!

ORESTES.

Du weißt, o Fürst Apollon, Unrecht nie zu tun;

Unrecht mich leiden nicht zu lassen wisse jetzt;

Daß du’s betätgen kannst, verbürgt mir deine Kraft!

APOLLON.

Vertrau, damit nicht Furcht bewältge deinen Geist! –

Du meines Blutes Bruder, Gleichgezeugter mir,

Hermes, behüt ihn, deinem eignen Namen treu,

Sei sein Geleiter, führe wie ein treuer Hirt

Mir meinen Schützling – ehrt doch Zeus selbst diese Pflicht,

Wenn froher Wandrung Zeichen er den Menschen schickt.

Hermes und Orestes ab, Apollon geht in den Tempel zurück.

Das Innere des Tempels wird sichtbar. Man erblickt die schlafenden Erinnyen; der Schatten Klytaimestras steigt empor.

KLYTAIMESTRA.

Ihr schlafet? Ho! auf! Was bedarf’s der Schlafenden?

Und ich, die also vor den andern Toten all

Mißachtet ganz von euch bin, weil ich mordete

Und solcher Vorwurf nimmer stirbt im Totenreich,

Umirr ich schmachvoll! Aber wißt, ich sag es euch,

Die größte Ursach hab ich wider jene doch;

Denn ich, die so Furchtbares von den Liebsten litt,

Von allen Göttern keiner ist für mich erzürnt,

Da Muttermörders Hände mich doch umgebracht!

Da, seht im Herzen diese meine Wunden an!

Denn Schlaf im Auge, bleibt der Sinn euch hell und wach,

Doch über Tag ist Menschenjagen euer Los!

Habt ihr bereits doch vieles schon von mir empfahn,

Weinlose Spenden, nüchtren, hilfeflehnden Gruß

Und mitternächtig stilles Mahl am Herd der Glut

In eurer Stunde, keinem Gott mit euch gemein.

Das alles, seh ich, schnöd in den Staub getreten wird’s –

Und er entrinnt euch, flüchtig, einer Hindin gleich,

Und gar aus eures Garnes Mitten ist er leicht

Entsprungen, blickt hohnlachend nun auf euch zurück!

Vernehmt, was ich von meinem Geist zu euch gesagt,

Bedenkt es wohl, Göttinnen ihr des Totenreichs!

Es ist das Traumbild Klytaimestra, die euch ruft!

Stöhnen des Chors.

Wohl stöhnt ihr; euch entflieht er fern und ferner schon,

Mir Mißgesinnten, schutzgewärtig geht er hin!

Stöhnen des Chors.

Du schläfst so fest noch, dich erbarmt nicht meine Qual,

Und mein, der Mutter, Mörder Orestes, er entkommt!

Geheul des Chors.

Du heulst? du schläfst noch? Raffst dich eilig nicht empor?

Was sonst ist dein Amt, wenn du Jammer nicht verhängst?

Geheul des Chors.

Schlafsucht und Mühsal, schnöde Bundverschworene,

Euch grausen Drachen haben sie die Kraft gelähmt?

CHOR.

Faß ihn! Faß ihn! Faß ihn! Faß ihn! Hetz!

KLYTAIMESTRA.

Im Traum verfolgst du dein Gewild, schlägst wie ein Hund

Laut an, der niemals seines Dienstes Sorge läßt!

Du säumst? Empor spring! Mühe mach dich nimmer feig;

Auch das vergiß nicht, welchen Schaden Schlaf dir schafft!

Mit gerechter Reue geißle deine Nieren wund,

In heißem Antrieb stachle selbst dich wieder auf!

Auf! Deines Mundes jähen Bluthauch stürm ihm nach,

Hindörr in Glut ihn, in der Eingeweide Brand,

Nach jag ihm, hetz in wiederholter Jagd ihn tot!

Verschwindet.

CHOR wild durcheinander.

Erweck, erwecke diese du, ich wieder dich.

Schläfst du? Erheb dich! Stoß den Schlaf von dir hinweg!

Nachsehen laßt uns, ob ihr Reden uns betrog!

Sie stürzen aus dem Tempel hervor.

Erste Strophe

Hohu! wehe! ho! Müssen es leiden, o!

Und vieles schon erlitt ich, und ich litt umsonst!

Müssen erleiden hie Schmähliches! Leiden o

Ein unsäglich Weh.

Aus sichrem Garn entsprungen, flieht mein Wild hinweg!

Vom Schlaf erdrückt, büß ich ein meinen Fang!

Erste Gegenstrophe

Hohu! Sohn des Zeus! Bist ein verschmitzter Dieb!

Uns greise Götter überrennst du, junger Gott!

Daß du den Flüchtling ehrst, Schuldigen! Ihn beschützt,

Den schamlosen Sohn!

Den Muttermörder stahlst du uns, und bist ein Gott!

Wer sagte, das sei gerecht je getan?

Zweite Strophe

Es hat der Vorwurf, den der Traum ins Ohr mir schrie,

Dem Roßlenker gleich mich aufgepeitscht,

Blutigen Geißelhieb in Herz und Mark gepeitscht!

Der Marterknecht meiner Reu,

Wie er mich trifft, wie er mich stäupt,

Durchschauert mich Grausen, entsetzliches, mich!

Zweite Gegenstrophe

Und das bereiten jene neuen Götter uns,

Die Macht üben über alles Recht!

Mordesbespritzter Sitz, zu Haupt und Fuß bespritzt

Ist jetzt der Erdnabel dort;

Blutige Schuld, schuldiges Blut –

Das verruchteste nahm ja beschützend er auf!

Dritte Strophe

Mit solchem Blutgreul, Seher du, an deinem Herd

Schändest dein Haus du selbstwilligend, selbstberufend,

Weil du die Menschen ehrst wider der Götter Recht,

Der Moiren Macht, der uralten, brichst!

Dritte Gegenstrophe

Mir wirst verhaßt du und erlösest den doch nie!

Flöh er zum Hades auch, nimmer doch wird er uns los!

Wie er den Mord beging, also dem Rächer auch

Fällt er mit seinem Haupt dort anheim!

APOLLON aus dem Tempel tretend.

Hinaus! befehl ich; dieses Tempelhaus verlaßt

Sogleich, hinwegzieht aus des Sehers Heiligtum,

Eh diese zischende schnellbeschwingte Schlange dich

Von meines Bogens goldgeflochtner Senne trifft,

Vor Schmerz du ausströmst schwarzen menschentsognen Schaum,

Geronnen Blut ausspeiest, das du bei Mord geleckt!

Fort! Meiner Wohnung dürfet ihr nicht nahe sein!

Nein, da, wo mörderköpfendes, augauswühlendes

Gericht, wo Totschlag, wo der Knab in geiler Lust

Verspritzt den eitlen Samen, wo Entmannete,

Steintodverdammte, unter qualvoll wildem Schmerz

Rückgratdurchspießte jammern! Habt ihr nun gehört,

Um welche Festlust, dran ihr euch ergötzt, verhaßt

Den Göttern ihr seid? Gleiches zeigt auch euer Leib;

Denn solche Scheusal’ müssen in des blutleckenden

Leun Höhle hausen, nicht in diesem Heiligtum

Der Gottorakel weilen, solch entweihend Greul!

So zieht hinaus, weitschwärmend, hirtenlos zerstreut;

Denn solcher Herd’ ist keiner hold der Himmlischen.

CHORFÜHRERIN.

Du, Fürst Apollon, höre nun auch wieder mich!

Wohl bist du nicht zu nennen als Mitschuldiger,

Nein, du allein tatst alles, du Allschuldiger!

APOLLON.

Wie das? So lang noch sei zu reden dir vergönnt!

CHOR.

Du allein gebotst dem Fremdling seiner Mutter Mord!

APOLLON.

Ich gebot ihm seines Vaters Rache. Weiter dann!

CHOR.

Die frische Blutschuld wieder nahmst du über dich!

APOLLON.

In meines Tempels Schutz zu fliehn, befahl ich ihm.

CHOR.

Und uns verschmähst du, die ja doch ihn geleiteten!

APOLLON.

Euch kommt es nicht zu, meiner Wohnung euch zu nahn.

CHOR.

Und dennoch aufgetragen ward uns diese Pflicht.

APOLLON.

Welch eine Pflicht denn? Rühme doch dein schönes Amt!

CHOR.

Den Muttermörder treiben wir aus Haus und Hof!

APOLLON.

Auch den des Weibes, die den Gatten umgebracht?

CHOR.

Nicht soll der ruchlos blutverwandte Mord geschehn!

APOLLON.

So ganz mißehrt wird und geringgeschätzt von dir

Der großen Hera und des Zeus eidheilger Bund,

Mißehrt auch Kypris und beschimpft mit solchem Wort,

Von der doch alles Liebste kommt den Sterblichen!

Geeint vom Schicksal wird des Mann und Weibes Bund

Von diesem Rechte heilger, als durch Schwur bewacht.

Wenn nun du mild bist jenen Wechselmordenden,

Nicht ihnen nachjagst, nicht sie suchst mit wildem Zorn,

So sag ich, nicht treibst du gerecht Orestes fort:

Dies eine, weiß ich, willst du und verlangst du ganz,

Des andren denkst du offenbar saumseliger.

Pallas Athene wird erforschen beider Recht.

CHOR.

Von jenem Mörder laß ich nun und nimmermehr!

APOLLON.

Magst ihn verfolgen, dir zu mehren deine Müh!

CHOR.

Nicht kränk an meinen Ehren mich mit solchem Wort!

APOLLON.

Böt man sie mir, als Schande wies’ ich sie zurück!

CHOR.

Ein Mächtger freilich wirst an Zeus’ Thron du genannt!

Ich aber – forttreibt Mutterblut mich, zum Gericht

Nacheil ich ihm, nachspür ich seinem fliehnden Fuß!

Der Chor ab.

APOLLON.

Ich aber will ihm Retter und Beschützer sein;

Denn vielgewaltig ist bei Mensch und Gott der Zorn

Des Schutzbefohlnen, wenn ich treulos ihn verriet. –

Ab in den Tempel.

Tempel der Pallas Athene zu Athen; vor demselben ein Altar mit dem Bilde der Göttin. Orestes kommt ohne Hermes, setzt sich an den Altar der Göttin und umfaßt ihr Bild.

ORESTES.

Herrin Athene, auf des Loxias Geheiß

Komm ich; so nimm du gnädig auf mich Schuldigen,

Nicht mordbefleckt mehr, nicht mit ungesühnter Hand,

Nein, abgestumpft schon, weit umhergetrieben schon

Auf allen Wegen und in fremder Menschen Haus.

So über Land hin, über See umhergeflohn,

Folgsam der Weisung, die mir Loxias beschied,

Komm ich in dein Haus, Göttin, und zu deinem Bild;

Hier will ich weilen, warten auf des Gerichtes Schluß!

Der Chor tritt auf, zerstreut, suchend.

CHORFÜHRERIN.

Nur weiter! Dies ist seine Fährte offenbar;

Nachspürt dem stummen Rate der Verrätrin Spur!

Ja, wie der Spürhund einem angeschoßnen Reh,

So wittern, seinem Schweiß und Blut nach, wir ihn aus!

Mir keucht die Brust von diesen menschenpirschenden Mühn;

Denn abgetrieben ist der Erde ganz Revier!

Und über Meer hin setzt ich flügellosen Flugs

Ihm nach, und nach blieb hinter mir ein segelnd Schiff!

Jetzt muß er hier gesetzt sich haben irgendwo;

Der Duft von frischem Menschenblute lacht mich an!

So such ihn, such ihn nur!

Spürt genau alles durch, daß nicht heimlich noch

Der Muttermörder entkommt!

Da schau! Da sitzt er wieder unter gutem Schutz!

Der Göttin Bild dicht umfaßt,

Will er erwarten seiner Blutschuld Gericht!

Niemals geschieht das! Mutterblut, zur Erde rann’s!

Unwiederrettbares Blut,

Lebend hinabgeströmt, tot in den toten Staub!

Du sollst es jetzt lebendig abbüßen!

Ich saug dir aus den Adern das rote Geblüt!

Satt mich von dir zu schlürfen, lechz ich, blutgen Mißtrunkes satt!

Abzehr ich dich, den Lebendgen, jag dich so hinab!

Sollst mir im Jammer abbüßen den Muttermord!

Sollst schauen dort, wer andrem Menschen mißgetan,

Frevel geübt an Gott oder Gast,

Frevel am Elternhaupt –

Jedweden, wie ihm verdienter Lohn gerichtet ward!

Denn aller Menschen Richter ist der große Tod,

Unter der Erde tief!

Alles erkennt er in des Gedächtnisses Schrift!

ORESTES.

Ich weiß, in meiner Leiden Übermaß belehrt,

Von vieler Sühnung, weiß auch, wo zu reden recht

Und wo zu schweigen. Aber wie sich jetzt es fügt,

Zu sprechen trug mir da ein weiser Lehrer auf;

Nun schläft die Blutschuld meiner Hand und trocknet auf;

Hinweggewaschen ist des Muttermordes Greul;

Auf Phoibos’ Altar ward das Blut, noch war es frisch,

Von mir genommen durch der Opferferkel Blut.

Viel Worte braucht ich, wenn ich alle nennete,

Die mir Gemeinschaft unbeschadet schon gegönnt;

Es macht die Zeit mitalternd uns von allem rein.

Nun aber ruf ich lautren, freudigen Mundes an

Die Herrin dieses Landes Athenaia; sie

Nah mir zum Beistand, und sie wird dann sonder Kampf

Zu Freunden, kampfverbundnen, treu bewähreten,

Mich selbst gewinnen, meine Stadt und Argos’ Volk.

Drum ob im fernen Uferlande Libyas

Am Busen Tritons, ihrer väterlichen Flut,

Den Fuß sie beuget oder hochhinschreitend eilt

Zum Schirm der Ihren oder ob sie Phlegras Feld

Gleich rüstgem Feldherrn scharenordnend überschaut,

Sie komme – fern auch hört mich doch der Göttin Huld –,

Auf daß sie von mir nehme diese letzte Schuld!

CHOR.

Nicht kann Apollon, nicht Athenes heilge Kraft

Dich schützen, daß du nicht, von meiner Wut verfolgt,

Verkommst, vergissest, wo im Herzen Freude weilt –

Du meine Weide, Blutes leer, ein Schatten du!

Nichts widersprichst du, du verabscheust alles Wort,

Der mir du gefüttert, mir anheimgefallen bist?

Lebendig mußt du mich laben, nicht geopfert erst!

Hör unsren Reigen, dich zu fesseln und zu fahn!

So beginnet und schlinget den Reigen um ihn;

Denn es ist an der Zeit,

Ihm den grausen Gesang zu erheben!

Zu verkünden den Teil in der Menschen Geschick,

Den unsere Schar austeilt und bewacht,

Und gerecht zu entscheiden erfreut uns!

Denn welcher die Hand schuldrein sich bewahrt,

Auf den niemals stürzt unsere Wut;

Gramlos durchwallt er sein Leben.

Wer aber, wie der dort, frevelbewußt

Die blutige Hand uns sucht zu entziehn,

Da treten wir laut als Zeugen der Schuld

Den Erschlagenen auf und erweisen ihm uns

Graunvoll als Rächer der Blutschuld!

Erste Strophe

CHOR.

Mutter, die du mich gebarst, Nacht du,

Mutter der Qualen dem Blinden, Sehnden, oh! hör uns!

Sieh, es schuf Letos Sohn Spott und Hohn, Schimpf und Schmach uns,

Raubet uns unsren Fang,

Muttermordschuldig Wild, das mit Blut gemarket ist!

Drum um den Mordtriefenden dort schlingt den Gesang,

Taumelbetört, grausenverstört bis zum Wahnsinn!

Schlingt Erinnyenfestgesang,

Harfenlos, den Sinn zu fahn, welk zu dörren Menschenkraft!

Erste Gegenstrophe

Solches Los hat mir die grausame

Moira gesponnen, daß ich es treu stets wahre:

Wessen Haupt selbst sich gottlosen Blutfrevel auflud,

Solchem nach jagen wir,

Bis ihn Nacht birgt, und frei laß ich auch im Tod ihn nicht!

Drum um den Mordtriefenden dort schlingt den Gesang,

Taumelbetört, grausenverstört bis zum Wahnsinn!

Schlingt Erinnyenfestgesang,

Harfenlos, den Sinn zu fahn, welk zu dörren Menschenkraft!

Zweite Strophe

Als wir geboren, da wurde befohlen uns dies Amt,

Aber zugleich, den Unsterblichen nimmer zu nahen.

Ihr Mahl teilen wir niemals;

Und weißglänzend Gewand,

Mir ist es versaget, gemißgönnt!

Untergang gehöret mein,

Wenn im Geschlecht, das ihn genährt,

Ares dahinmordet den Freund;

Hinter ihm her fliegen wir schwer;

Wie er in Kraft auch blüht, wir vertilgen ihn blutig.

Zweite Gegenstrophe

Aber es sehnt mich, daß einer mir endige dies Amt,

Rechte der Seligen meinem Verlangen gewähre,

Eh ich muß zu Gericht gehn!

Denn uns blutige Schar,

Uns scheußliche, bannete Zeus, fern

Seiner Nähe stets zu sein!

(Untergang gehöret mein,

Wenn im Geschlecht, das ihn genährt,

Ares dahinmordet den Freund;

Hinter ihm her fliegen wir schwer;

Wie er in Kraft auch blüht, wir vertilgen ihn blutig!)

Dritte Strophe

Menschenruhm, wie herrlich man droben ihn preise,

Bis in die Gruft hin verkümmert, verödet er elend

Unserer schattengewandigen Beutegier,

Unsrer Sohle neideswildem Tanz!

Wieder darum jag ich hinab

Stürmenden Sprungs, nieder zum Staub

Reiß ich den schwerstürzenden Fuß,

Daß er die Flucht versagt – unaussprechliches Elend!

Dritte Gegenstrophe

Stürzt er dann, nicht sieht er’s in blinder Zerrüttung;

Also im Dunkel umschwärmt ihn ein gieriges Hassen;

Und unermeßlichen Nebel, umnachtenden,

Gießt vielschreinder Schmerz um sein Geschlecht!

(Wieder darum jag ich hinab

Stürmenden Sprungs, wieder zum Staub

Reiß ich den schwerstürzenden Fuß,

Daß er die Flucht versagt – unaussprechliches Elend!)

Vierte Strophe

Er weilt! Doch wir, listenreich und endesstark, eingedenk der Schuld, wir Graunvollen,

Den Menschen unerbittlich, unerfreuliches Geschäft

Lieget uns ob, ein ehrlos gottverwiesnes, sonnenlichtfliehndes,

Schwer zu erklimmen mit sehenden Augen,

Gar dem blöden Blicke schwer!

Vierte Gegenstrophe

Wo ist ein Mensch, welcher nicht entsetzte, nicht bangte, wann er mein Gesetz anhört?

Das, gottbeschieden, Moira mir zu endigen gebot;

Doch es gehören alte Würden mein, ich gelte nicht ehrlos,

Ward mir auch unter der Erden die Heimat,

Tief in sonnenleerer Nacht!

Athene kommt durch die Luft daher mit Schild und Lanze.

ATHENE.

Fernher vernommen hab ich einer Stimme Ruf,

Da ich Besitz nahm von Skamandros’ Uferland,

Das dort die Fürsten der Achaier und Mächtige

Mit ihrer Speere Beuten einem reichen Teil,

Mit Baum und Grashalm mir geweiht auf immerdar,

Den Kindern Theseus’ zum erlesenen Eigentum.

Von dort mit nimmermüdem Fuße flog ich her

Ohn Flügel, meiner Ägis Schoß weit aufgesaust,

Jungkräftge Rosse diesem Wagen vorgeschirrt.

Doch nun, da den Besuch ich seh in meiner Stadt,

So macht’s mich bang nicht, aber wundernimmt’s den Blick.

Wer seid ihr? Beide red ich euch mit einem an,

Dich, fremder Flüchtling, der du sitzt an meinem Bild,

Und euch, Gebornen keines seienden Stammes gleich,

Göttinnen weder, wie des Gottes Blick sie schaut,

Noch auch vergleichbar mit der Gestalt der Sterblichen.

Doch Schmähn des Nächsten wegen Mißgestalt, es ist

Gerechtem Sinn fremd und der guten Sitte fern.

CHORFÜHRERIN.

Erfahre du, Zeus’ Tochter, alles kurzgedrängt:

Wir sind die Kinder der geheimnisvollen Nacht,

Die Flüche heißt man unten uns im Schattenreich.

ATHENE.

Ich kenne deines Namens Sinn und dein Geschlecht.

CHOR.

Von meinen Ehren auch vernimm und meinem Amt!

ATHENE.

So laß mich hören und erklär es deutlich mir.

CHOR.

Die Menschenmörder treiben wir aus Haus und Hof.

ATHENE.

Und wo erreicht der Mörder seiner Flucht ein Ziel?

CHOR.

Wo keine Stätte keiner Freude wird gegönnt!

ATHENE.

Und gleiche Flucht schreist heisren Rufs du diesem nach?

CHOR.

Ja, seiner Mutter Mörder wählte der zu sein!

ATHENE.

War keine Pflicht sonst, deren Zorn er fürchtete?

CHOR.

Wo ist ein Stachel, mächtig bis zum Muttermord?

ATHENE.

Zwei sind zu hören; deinen Teil vernahm ich jetzt.

CHOR.

Doch keinen Eid ablegen wird er noch empfahn!

ATHENE.

Gerecht genannt sein willst du lieber als es sein?

CHOR.

Wie das? Belehr mich; denn an Weisheit bist du reich.

ATHENE.

Durch Eide sieget nimmermehr, was nicht gerecht.

CHOR.

So forsche selbst nach und gerecht entscheide dann.

ATHENE.

Mir übergeben also ist des Streites Spruch?

CHOR.

Jawohl, ich ehre würdig dich mit Würdigem.

ATHENE.

Was willst du, Fremdling, dem erwidern deinerseits?

Nenn deine Heimat, dein Geschlecht, dein Mißgeschick,

Sodann entferne solcher Schuld Vorwurf von dir,

Und ob vertrauend deinem Recht an meinem Bild

Du sitzt und wachest meinem heilgen Herde nah

Als Schutzgewärtger, heilig, wie Ixion einst.

So gib mir Antwort und erklär es deutlich mir!

ORESTES.

Herrin Athene, aus dem letzten, was du sprachst,

Laß mich zuerst fortwischen eine große Sorg.

Nicht schuldbefleckt mehr sitz ich hier, nicht haftet Blut

An dieser Hand mehr, die an deinem Bilde lehnt;

Ein großes Zeugnis dessen will ich kund dir tun:

Brauch ist’s, daß stumm bleibt, wer die Hand in Blut getaucht,

Bis daß ein andrer, ihn der Schuld zu reinigen,

Ein saugend Tier ihm opfertötend bluten läßt;

Und so gesühnet ward in fremden Häusern ich

Bereits mit blutgem Opfer und mit heilgem Guß.

So scheuch ich diese Frage fort aus deinem Sinn.

Nun meine Heimat höre noch und mein Geschlecht:

Aus Argos bin ich, meinen Vater kennst du wohl,

Agamemnon, jener Seegeschwader König einst,

Mit dem du Trojas stolze Feste niederwarfst;

Bei seiner Heimkehr aber kam er traurig um,

Denn meine Mutter, die verderbensinnende,

Hat ihn erschlagen unter buntgewirktem Netz,

Drin sie ihn einfing; Mordes Zeuge war das Bad.

Drauf als ich heimkam, denn zuvor war ich verbannt,

Erschlug ich, die mich geboren, leugnen will ich’s nicht,

Des teuren Vaters Mord mit Mord zu züchtigen.

Und alles dessen trägt Apollon mit die Schuld,

Der herzzergeißelnd Leiden mir verkündete,

Wenn ich es nicht vollbrächte an den Schuldigen.

Du woll entscheiden, ob gerecht ich oder nicht;

In deine Hand geb ich mich ganz; du richte mich!

ATHENE.

Das Urteil ist zu schwierig, daß es könnt ein Mensch

Zu fällen meinen; nicht einmal mir steht es zu,

Zu schlichten dieses zornempörten Mordes Streit,

Zumal da du mir, ob du schon die Tat begingst,

Als Flehnder nahst, schon rein, gefahrlos meinem Haus.

Doch jene wurden schwer entfernbar einst gezeugt,

Und wenn der Richtspruch ihnen nicht Sieg zuerkennt,

So bringt der Giftschaum, den ihr Haß zu Boden trieft,

Einst unsrer Landschaft unerträglich grause Pest.

Und doch, dich Tadellosen wähl ich meiner Stadt.

So mag es denn geschehen – blieben beide hier!

Doch ihn hinwegzuweisen, mir unmöglich fällt’s! –

Da nun sich hierher eure Sache hat gedrängt,

So wähl ich Richter über Mord, eidpflichtige,

Und diese Satzung gelte fort in aller Zeit;

Ihr aber schafft euch Zeugen und Beweis herbei

Zu eurem Beistand, und die Schwüre eures Rechts.

Ich geh, zu küren meiner Bürger edelste,

Und kehre dann, wahrhaft zu enden diesen Streit

Nach streng bewahrtem Eide und dem Recht getreu.

Ab.

Erste Strophe

CHOR.

Alles niederstürzen wird neuer Brauch,

Wenn des gottlosen Muttermörders Schuld

Vor Gericht siegen darf!

Allzumal stimmt die Menschen dieser Tat leichtes Spiel zu gleicher Tat,

Wahrlich, und es bedroht die Eltern

Von den Erzeugten Gram und Tod, Mord dann um Mord von Kind zu Kind!

Erste Gegenstrophe

Wird doch fürder meine Wut nimmermehr

Menschenschuldspähend solchem Frevel nahn;

Allen Mord laß ich frei!

Hören wird’s jeder jeden Orts, voraussagen seines Nächsten Weh;

Kümmerlich der Gefahr zu wehren,

Sich zu behüten wird der Gramkundige lehren, doch umsonst!

Zweite Strophe

Jammernd rufe keiner mehr, schwergetroffen schweren Wehs,

Fürder keiner solchen Ruf:

»O Gericht! o Erinnyen, heilge Schar!«

Also wird ein Vater bald,

Eine Mutter, der von dem Sohn

Leid geschehn ist, jammernd schrein, weil zerbricht der Herd des Rechts!

Zweite Gegenstrophe

Sonst geschah’s, daß unsre Furcht tief im Herzen hütend saß

Und zum Frommen ängstigte!

Wohl ist’s gut, ernst und fromm in Tränen sein!

Aber wer, der keine Furcht

Nährt im sonnenheitren Gemüt,

Welcher Mensch noch, welche Stadt wird das Heilge fürder scheun?

Dritte Strophe

Weder drum unbeherrscht,

Noch gewaltgeknechtet sein

Lobe du!

Jeglicher Mitte beschieden die Himmlischen Herrlichkeit; jedes hütet des andren;

Und so sag ich gleichen Spruch:

Frevler Sinn zeuget empörenden Stolz in der Tat,

Doch der Gesinnung

Reinheit den allteuren, allsehnlich erflehten Segen!

Dritte Gegenstrophe

Doch zumeist rühm ich dies:

Scheu den Altar stets des Rechts!

Nimmermehr

Tritt ihn, Gewinn zu erspähen, mit frevelndem Fuß! Denn Poina erfaßt dich,

Sichres Ende wartet dein.

Jeglicher ehre die Eltern mit heiliger Scheu,

Und die Gemeinschaft

Am Tisch des Gastfreundes sei jeglichem hoch und heilig!

Vierte Strophe

Und welcher so sonder Zwang gerecht sich zeigt,

Des wird reicher Lohn sein;

Zugrunde gehn soll er nun und nimmer!

Doch sag ich laut: Übertreter, Trotzes frech,

Die alles wild vermischen sonder Fug und Recht,

Gewaltsam werden die versinken

Einst, wenn die Segel Bruch und Sturz

Faßt der zerschellten Masten!

Vierte Gegenstrophe

Er ruft und fleht, aber keiner höret ihn

Tief im wilden Strudel;

Und sein, des Trotzglühnden, lacht die Gottheit,

Ihn so zu sehn, der sich rühmte, nimmer sei

Gefahr ein Zwang, noch (nie) das hohe Meer befuhr;

Doch spät jetzt strandet er mit allem Gut

Gegen das Felsenriff des Rechts;

Keiner beweint, vermißt ihn!

Aus der Stadt kommt, von einem Herold geführt, ein Zug athenischer Greise; Athene tritt aus ihrem Tempel.

ATHENE.

Verkünde, Herold, daß du Ruhe schaffst im Volk!

Laß durch den Himmel schmetternd die tyrrhenische

Trompete, deines tiefgeschöpften Hauches voll,

Mit übertönendem Rufe strahlen durch das Volk!

Denn da bereits sich füllet dieses Tribunal,

So muß es still sein, daß für alle ferne Zeit

Jetzt mein Gesetz vernehmen mag die ganze Stadt

Und ihr, damit das Urteil werde recht gefällt!

Heroldsruf; Apollon tritt an Orestes’ Seite.

CHORFÜHRERIN.

Du, Fürst Apollon, was dein eigen ist, versieh!

Doch welchen Anteil hast an diesem Streit du? Sprich!

APOLLON.

Sowohl zu zeugen kam ich her – denn dieser Mann

Ist meines Tempels Schützling, meines Tempels Herd-

Genosse; ich hab seines Mordes ihn entsühnt –,

Dann selber mitzurechten, denn ich habe Schuld

Am Morde seiner Mutter. Doch du leit es ein,

Wie du es weißest, zu entscheiden diesen Streit!

ATHENE.

Das Wort ist euer – also leit ich ein den Streit.

Der Kläger also, dem zuerst das Wort gebührt,

Mag uns den Hergang schlecht und recht zu wissen tun.

CHOR.

Zwar viele sind wir, doch berichten wir gedrängt.

Du gib die Antwort deines Teils uns Wort um Wort!

Sag denn zum ersten, ob du die Mutter umgebracht?

ORESTES.

Umbracht ich meine Mutter, und ich leugne’s nicht.

CHOR.

Das wäre ein Kampf von den drei’n der Siegenden!

ORESTES.

Doch fiel ich nicht schon, daß du also prahlen darfst!

CHOR.

Angeben mußt du weiter, wie du umgebracht.

ORESTES.

Ich sag’s: den Nacken schnitt ich durch mit meinem Schwert.

CHOR.

Von wem veranlaßt warst du und durch wessen Rat?

ORESTES.

Durch dieses Gottes heilgen Spruch; er selbst bezeugt’s.

CHOR.

Dich hat der Seher angeführt zum Muttermord?

ORESTES.

Und noch bis jetzt nicht schalt ich über mein Geschick.

CHOR.

Doch faßt der Spruch dich, anders sprechen wirst du bald!

ORESTES.

Ich glaub’s; doch Beistand schickt mein Vater aus dem Grab.

CHOR.

Hoff auf die Toten, der du die Mutter tötetest!

ORESTES.

Zwiefachen Frevel lud sie auf ihr schuldig Haupt.

CHOR.

Wie das? Belehre dessen dort die Richtenden.

ORESTES.

Den Mann erschlug sie und erschlug den Vater mir.

CHOR.

Du aber lebst noch, während sie den Mord gebüßt.

ORESTES.

Warum denn hast im Leben du sie nicht verfolgt?

CHOR.

Sie war dem Mann nicht blutsverwandt, den sie erschlug.

ORESTES.

Ich aber, sagst du, bin von meiner Mutter Blut?

CHOR.

Trug denn, du Blutger, unter ihrem Herzen sie

Dich nicht? Verschwörst du deiner Mutter teures Blut?

ORESTES.

Nun wollest du mir Zeugnis geben, lehren du

Mich nun, Apollon, ob ich mit Recht sie mordete.

Denn schuldig dieser Tat zu sein, nicht leugnen wir’s;

Doch ob gerecht du oder nicht dies Blut erklärst,

Das woll entscheiden, daß ich’s ihnen sagen kann!

APOLLON.

So sag denn ich es Athenaias großem Rat:

Gerecht, und täusch ihn, ich, der Seher, nimmermehr.

Niemals geweissagt hab ich auf dem Seherthron,

Für Mann und Weib, für Stadt und Volk verheißen nichts,

Was Zeus, der Vater im Olympos, nicht befahl.

Zu lernen trachtet dieses Recht, wie hoch es gilt,

Und nachzukommen meines Vaters ewgem Rat;

Denn nicht des Eides Heiligkeit gilt mehr denn Zeus!

CHOR.

Zeus hat, so sagst du, dir geboten solchen Spruch,

Daß du Orestes rietest, seines Vaters Mord

Zu rächen – sollte der Mutter Ehrfurcht nichts ihm sein?

APOLLON.

Gar anders ist es, wenn ein hochgeborner Mann,

Mit gottbeschiednem Zepter heilger Macht belehnt,

Umkommt von einem Weibe, nicht etwa im Kampf

Von einer Amazone ferngeschoßnem Pfeil,

Nein, Pallas, daß du’s hörest, und die mit dir sind,

Mit ihren Stimmen zu entscheiden diesen Streit:

Als er vom Feldzug endlich wieder heimgekehrt,

Den Wohlgesinnten hochgerühmt, da bot sie ihm

Ein Bad, daß er ins Becken ging’, in seinen Tod;

Sie zeltet drüber einen Mantel, fängt ihn ein

Im künstlich unendlichen Gewirk und schlägt ihn tot!

Wie ich erzählt, so war des Helden Untergang,

Des allerhabnen Seegeschwaderköniges;

Sie stell ich so dar, daß es empören muß den Rat,

Dem übertragen dieses Streits Entscheidung ist!

CHOR.

Vorzieht das Los des Vaters Zeus nach deinem Wort

Und band doch seinen greisen Vater Kronos selbst!

Sagst dies du nicht mit jenem klar im Widerspruch?

Ihr aber hört es und bedenkt’s, beschwör ich euch!

APOLLON.

Ihr ganz verhaßten, gottverfluchten Ungeheur!

Erzbanden kann man lösen, da ist Hilfe noch,

Da zur Befreiung viele Mittel vieler Art;

Doch wenn des Mannes Blut der Staub getrunken hat –

Einmal gestorben, und es kommt kein Auferstehn:

Dafür erfand mein Vater keinen Spruch noch Kunst,

Der sonst doch alles allzumal hinab, hinauf

Verkehrend umstürzt, ohne daß sein Atem schwillt!

CHOR.

Versuche, wie du jenen zu befrein erreichst!

Der seiner Mutter blutverwandtes Blut vergoß,

Des sollt in Argos fürder sein das Vaterhaus?

Zu welchen Volksaltären wird er opfernd nahn,

Bei welchem Weihguß seinem Stamm willkommen sein?

APOLLON.

Drauf sag ich also, mein gerechtes Wort vernimm:

Nicht ist die Mutter ihres Kindes Zeugerin,

Sie hegt und trägt den eingesäten Samen nur;

Es zeugt der Vater, aber sie bewahrt das Pfand,

Dem Freund die Freundin, wenn ein Gott es nicht verletzt.

Mit sichrem Zeugnis will ich das bestätigen:

Denn Vater kann man ohne Mutter sein – Beweis

Ist dort die eigne Tochter des Olympiers Zeus,

Die nimmer eines Mutterschoßes Dunkel barg,

Und dennoch kein Gott zeugte je ein edler Kind.

Ich aber, Pallas, werde, wie ich’s kann und weiß,

Groß machen dein Volk, deine Stadt zu aller Zeit.

So sandt ich diesen her in deines Tempels Schutz,

Auf daß er treu dir würde jetzt und immerdar,

Daß du dir, Göttin, ihn gewännst zum Bundesfreund

Und alle nach ihm, und es bleibe ewiglich,

Daß treu dem Bund sei’n alle Nachgeborenen!

ATHENE.

Und so gebiet ich, werft nach eurem Sinn den Stein

Gerechten Urteils; denn des Wortes ist genug!

CHOR.

Wir selber haben abgeschossen jeden Pfeil;

Zu hören harr ich, wie der Kampf gerichtet wird!

ATHENE.

Wie soll ich’s fügen, daß ich euch sei tadellos?

CHOR.

Ihr hörtet, was ihr mußtet; jetzt in tiefer Brust

Erwägt das Urteil, Freunde, eures Schwurs gedenk!

ATHENE.

Hört mein Gesetz nun, Männer, Volk von Attika,

Der ersten Klage Richter um vergossen Blut!

Es soll des Aigeus Bürgern dieses Tribunal

Für alle Zukunft fürder bleiben und bestehn.

Denn dieser Areshügel, der Amazonen Ort

Und Lager, als sie gegen Theseus neidempört

Zu Felde zogen, unsrer neugebauten Stadt,

Der hochgetürmten, gegentürmten ihre Burg

Und sie dem Ares weihten, dessen Namen nun

Der Berg Areiospagos trägt – hier soll des Volks

Ehrwürdigkeit und eingeborne, fromme Scheu

Dem Frevel wehren, beides nächtens und am Tag,

Wenn nicht die Bürger selbst verletzen mein Gesetz.

Wer klares Wasser trübet mit unwürdigem

Zuguß und Schmutz, der schöpft sich fürder keinen Trunk.

Nicht unregiert und nicht gewaltbeherrscht zu sein,

Das sei dem Volk, fürsorgend rat ich’s, hoch und wert!

Und nicht entfernt euch alles Mächtge aus der Stadt;

Denn welcher Mensch bleibt, wenn er nichts mehr scheut, gerecht?

Und scheut gerecht ihr dieses Rats Ehrwürdigkeit,

Des Landes Bollwerk, eures Staates Kraft und Heil,

So nennt ihr euer, was der Menschen keiner hat,

Der Skythe weder noch des Pelops nahes Land.

Goldunbestechlich hab ich dieses Tribunal,

Unschuldvertretend, zornesschnell, den Schlafenden

Zur immerwachen Hut des Landes eingesetzt.

Nach dieser Weisung, die für alle Zeit hinaus

Gegeben meinem Volke sei, erhebet euch,

Nehmt euer Steinchen und entscheidet diesen Streit,

Des Schwurs in Ehrfurcht denkend. Alles wißt ihr nun!

CHOR.

Doch nehmt den Rat an, nimmer unsre grause Schar

Aus eurem Lande fortzuweisen schmachverdammt!

APOLLON.

Und ich gebiet euch, ehrt und fürchtet wohl des Zeus

Und mein Orakel und beraubt es nicht der Frucht!

CHOR.

Ins Amt des Blutes mischst du unberufen dich!

Nicht lauter mehr weissagen kannst du, wenn du weilst!

APOLLON.

Mein Vater hat wohl auch gefehlt in seinem Rat,

Als er Ixion ersten Mordes reinigte?

CHOR.

Du sagst es! Und wird unser Recht uns nicht zuteil,

Heimsuchen furchtbar werden dann wir dieses Land!

APOLLON.

Doch unter allen jung und alten Göttern giltst

Du ewig ehrlos; mein gehören wird der Sieg!

CHOR.

Desselbengleichen tatest du in Pheres’ Haus:

Du zwangst die Moira, daß sie die Toten wiedergab!

APOLLON.

So wär es nicht recht, wohlzutun dem, der mich ehrt,

Vor allem aber, wenn des Beistands er bedarf?

CHOR.

Darnieder stürzest du die Mächte grauer Zeit,

Uralten Göttern stiehlst du, stiehlst uns unser Mahl!

APOLLON.

Du, bald des Siegs verlustig in des Streites Spruch,

Speist Geifer, deinen Feinden nicht entsetzlich mehr!

CHOR.

Wenn du, der Jüngling, mich, die Greise, niederrennst,

So will ich doch zu hören warten ihren Spruch,

Selbst unentschlossen, Zorn zu hegen dieser Stadt.

ATHENE als letzte zur Urne tretend.

Mein ist es, abzugeben einen letzten Spruch,

Und für Orestes leg ich diesen Stein hinein.

Denn keine Mutter wurde mir, die mich gebar,

Nein, vollen Herzens lob ich alles Männliche,

Bis auf die Ehe; denn des Vaters bin ich ganz.

Darum des Weibes Los begünstgen werd ich nie,

Die umgebracht hat ihren Mann, des Hauses Hort.

Es sieg Orestes auch bei stimmengleichem Spruch! –

So schüttet denn die Steinchen aus den Urnen hin,

Wieviel von euch, ihr Richter, dieses Amt versehn!

ORESTES.

Phoibos Apollon, wie entschieden wird es sein?

CHOR.

O Mutter, schwarze Nacht, und siehst du, was geschieht?

ORESTES.

Nun Tod von Henkershänden oder Freud und Licht!

CHOR.

Für uns Versinken oder Ehren alle Zeit!

APOLLON.

Sorgfältig, Freunde, zählet beider Steine Zahl

Und alles Unrecht scheuet bei der Sonderung;

Wenn eine Stimme fehlet, bringt es großen Gram,

Und wieder ein Stein hebt ein tiefgestürztes Haus!

ATHENE.

Du bist, Orestes, frei erkannt im Blutgericht,

Denn gleich in beiden Urnen ist der Steine Zahl!

ORESTES.

O Pallas, o du meines Hauses Retterin!

Und mich, der Heimat ganz Verwaisten, Göttin du,

Heimführest du mich! Die Hellenen sagen nun:

Argiver ist er wieder, wieder wohnet er

Im Haus des Vaters, Pallas gab’s und Loxias

Ihm wieder und der dritte allvollendende

Erretter, der, vielehrend meines Vaters Los,

Wohl sieht der Mutter Vertreter dort, doch mich bewahrt!

Ich aber, deinem Lande, deinem teuren Volk,

Für aller Zukunft unerkennbar ferne Zeit

Schwör euch ich Treue! So zur Heimat will ich ziehn,

Und nimmermehr soll diesem Land aus jenem Land

Ein König mit geschärftem Speer kriegsrüstig nahn,

Nein, ich in meinem Grabe dann, ich selber will

Die Übertreter dieses meines heilgen Schwurs

Mit unentfliehbar schwerem Elend züchtigen,

Will ihre Heerfahrt, zeichentraurig ihren Weg

Verkümmern, bis sie selbst gereuet, was sie tun!

Doch wenn sie recht tun, wenn sie diese teure Stadt

Der Pallas hoch stets ehren mit getreuem Speer,

So werden gnädig ihnen wir und günstig sein!

Heil dir, Athene! Heil dir, Volk in dieser Stadt,

Unüberwindlich sei im Kampfe jedem Feind

Und allerrettend euer Speer und siegesstark!

Orestes und Apollon ab.

Erste Strophe

CHOR.

O neue Götter, alt Gesetz und uraltes Recht,

Ihr rennt sie nieder, reißt sie fort aus meiner Hand!

Und ich Unselge, schmachbeladen, bitterempört,

Zur Erde nieder, oh!

Ohu! hohu!

Rächend zu Boden hier trief ich des Herzens Gifttropfensaat,

Grausige, draus hervor ein blattlos, fruchtlos

Wuchernd Genist, o Schmach! über die Fluren gerankt,

Pestbeulen, todesgiftige, durch das Land verstreut!

Ich wehklage? Was will ich? Was soll ich?

Die Schmach litt vom Volk ich und du,

Die geschickgroßen, unselgen Nachtkinder, entehrungstraurig!

ATHENE.

Folgt meinem Wort; schmerzseufzend tragt nicht, was geschehn;

Denn nicht verurteilt seid ihr, sondern stimmengleich

Entschied der Richtspruch, wahrlich nicht für euch zur Schmach!

Jedoch von Zeus selbst trat ein Zeugnis leuchtend auf,

Und der’s geboten, eben der bezeugete,

Es sei Orestes für die Tat der Strafe frei.

Ihr aber wollt nicht schweren Haß auf dieses Land

Ausschütten, nicht so zürnen, nicht Fruchtlosigkeit

Verhängen, Giftschaum niederspeiend, scheußlichen,

Der grünen Saat zerfressenden schonungslosen Mord!

Denn ich gelob euch und verspreche feierlich,

Daß ihr an rechter Stätte Sitz und Heiligtum,

An Gaben reich zu thronen auf geweihtem Herd,

Euch sollt gewinnen, meinen Bürgern fromm verehrt!

Erste Gegenstrophe

CHOR.

O neue Götter, alt Gesetz und uraltes Recht,

Ihr rennt sie nieder, reißt sie fort aus meiner Hand!

Und ich Unselge, schmachbeladen, bitterempört,

Zur Erde nieder, oh!

Ohu! hohu!

Rächend zu Boden hier trief ich des Herzens Gifttropfensaat,

Grausige, draus hervor ein blattlos, fruchtlos

Wuchernd Genist, o Schmach! über die Fluren gerankt,

Pestbeulen, todesgiftige, durch das Land verstreut!

Ich wehklage? Was will ich? Was soll ich?

Die Schmach litt vom Volk ich und du,

Die geschickgroßen, unselgen Nachtkinder, entehrungstraurig!

ATHENE.

Nicht seid entehrt ihr, drum so macht nicht zu erzürnt,

Göttinnen ihr, den Menschen unwirtbar ihr Land!

Auf Zeus vertrau ich; was bedarf’s der Worte dann?

Von den Göttern ich nur weiß den Schlüssel jener Burg,

In dem der Blitzstrahl siegeleingeschlossen ruht.

Doch dessen braucht’s nicht, aber folge willig mir;

Schütt auf das Land nicht deines Mundes taube Saat

Hinab, die nichts als alles Unwillkommne trägt;

Bring deines Ingrimms schwarzen Wogensturz in Ruh,

Du Heilighehre, die du mit mir wohnen wirst.

Und wenn dir einst Erstlinge dieser weiten Au,

Dir Opfer für der Kinder, für der Ehen Heil

Geweihet werden, loben wirst mein Wort du dann!

Zweite Strophe

Ich das erdulden, oh!

Unter der Erden ich mich verbergen, die Urweise?

Ich da ein Greul, o entehrt!

Hinab schäum ich Wut und jegliches Gehäß!

Hohu, Land, oh!

Wie sich der Schmerz mir tief einnagt in die Brust!

Höre du den Gram,

Mutter Nacht, schnöd beraubet, ach! hat meiner Ehren mich,

Nimmerersetzlich mich beraubt Göttertrug!

ATHENE.

Den Zorn verzeih ich, denn du bist die Ältere;

Jedoch wie sehr viel weiser du auch seist denn ich,

Vergessen nicht hat Zeus mich mit Verständigkeit.

Wenn ihr hinauszieht fern in ferner Menschen Land,

Ihr werdet doch sehr wieder herverlangen; denn

In Ehren herrlich wird die Welle nächster Zeit

Mein Volk empor mir heben. Ja, in ehrender

Wohnung, Erechtheus’ Tempel nah, wirst du dereinst

Von Männern hochgefeiert und von Weibern sein,

Wie dir in andren Ländern nimmer ward zuteil!

Nun aber schleudre nicht in meinem Land umher

Den blutgewetzten Hader, Haßverwilderung

Ins Herz der Jugend, trunken in weinloser Wut,

Noch gleich der Hähne Herzen, wechselkampfempört,

Weih du zur Stätte je dem Ares meine Stadt,

Dem Kampf der Stammverbundnen, Stammvernichtenden!

Im Fernen sei’n die Kriege, doch nicht allzu fern,

In denen aufwacht edlen Heldenruhmes Lust –

Desselben Hofs Geflügel kenne keinen Streit!

Das nun zu wählen laß von mir dich lehren, daß

Wohltuend, wohlempfangend, wohlgeehrt du teil

An meinem Lande nehmst, dem gottgeliebtesten!

Zweite Gegenstrophe

CHOR.

Ich das erdulden, oh!

Unter der Erden ich mich verbergen, die Urweise?

Ich da ein Greul, o entehrt!

Hinab schäum ich Wut und jegliches Gehäß!

Hohu, Land, oh!

Wie sich der Schmerz mir tief einwühlt in die Brust!

Höre du den Gram,

Mutter Nacht! Schnöd beraubet, ach! hat meiner Ehren mich,

Nimmerersetzlich mich beraubt Göttertrug!

ATHENE.

Nicht müde werd ich, dir zu sagen besten Rat,

Damit du nie meinst, du, die alte Göttin, seist

Von mir, der jüngren, und vom Volke meiner Stadt

Ehrlos und gastlos fortgejagt aus diesem Land.

Nein, wenn der Peitho Heiligkeit dir heilig ist,

Dir meiner Rede Sänftigung und süße Kunst,

So würdest hier du bleiben. Aber bleibst du nicht,

So ist es unrecht, daß du diese Stadt bedräust

Mit deiner Wut, mit deinem Zorn und großer Not,

Da dir doch freisteht, hier im vielglückselgen Land

Zu weilen hochehrwürdig stets und hochgeehrt!

CHORFÜHRER.

Herrin Athene, wie versprichst du die Stätte mir?

ATHENE.

Befreit von jedem Kummer; nimm sie willig an!

CHOR.

Wenn ich sie nähme, was für Ehren würden mir?

ATHENE.

Daß fürder kein Haus ohne dich je soll gedeihn!

CHOR.

Willst du erwirken, daß ich also viel vermag?

ATHENE.

Ja, wer dir fromm dient, des Geschick will ich erhöhn!

CHOR.

Und willst du Bürgschaft geben mir für alle Zeit?

ATHENE.

Ich sage niemals, was ich nicht zu enden weiß!

CHOR.

Du überzeugst mich, meines Zorns vergeß ich schon!

ATHENE.

Einheimisch hier gewinnst du manchen dir zum Freund!

CHOR.

Und nun, wie sagst du, daß ich segne dieses Land?

ATHENE.

Was Segen immer solchem kummerlosen Sieg

Entkeimet aus der Erden, aus dem Tau der See,

Dem hohen Himmel und dem sonnigkühlen Wehn

Der Winde, wünsche alles das du unserm Land,

Und aller Herden, aller Fluren froh Gedeihn,

Dem Volk zum Wohlstand, daß es nimmer darben mag,

Gedeihn der lieben Hoffnung auch im Mutterschoß.

Nichtgottesfürchtgen aber sei zwiefach erzürnt,

Denn vollgenug ist nach des treuen Gärtners Art

Mir an der Gerechten frohem Blühn; des sorge du!

Ich aber, stets zum schlachtenkühnen Kampf des Ruhms

Gegürtet, will nicht ruhen, eh nicht alle Welt

In höchsten Ehren meine Stadt des Sieges hält!

Erste Strophe

CHOR.

Haus und Dienst neben Pallas nehm ich gern;

Nicht verschmähn will ich die Stadt,

Die so Zeus der Allbewältger, so Ares ehrt als Götterburg,

Als der Griechen altarschirmend Götterlieblingshaus;

Ihr den Segen sag ich gern,

Ihr verkünd ich gnadenmild:

In stetem Blühn des Lebens Glück, ein reich Gedeihn

Soll aus der Erde Schoß

Schmeicheln heitrer Sonnenschein!

ATHENE.

Ich bereitete wohl vorsorgend dem Volk,

Daß ich euch, Göttinnen, in unsere Stadt,

Die gewaltigen, schwerzuversöhnenden, nahm.

Denn es heischt ihr Amt, all menschliches Tun

Zum Gericht zu erspähn;

Wer den Zürnenden dann zufällt, weiß nicht,

Von wannen der Schlag ihn des Todes erzielt;

Denn in ihre Gewalt hin gibt ihn die Schuld,

Die er einst nicht mied; und ein lautlos End,

Ob er laut auch ruft,

Es vergräbt ihn in grauser Vernichtung!

Erste Gegenstrophe

CHOR.

Wehen soll waldverwüstend Wetter nie!

Das ist mein Geschenk dem Land,

Und nie pflanzenaugesengender Brand heimsuchen dieses Landes Aun;

Nie ersticke Mißwachs jammervoll der Saaten Blühn;

Schafe, froh in Sattigkeit,

Zwillingslämmer um sie her,

Ernähr zu seiner Zeit der jungen Erde Grün,

Der Grasung lieber Ort,

Steter Göttergabe reich!

ATHENE.

Ihr habt es gehört, Obhüter der Stadt,

Was euch sie verheißt!

Denn der hehren Erinnys Wort, es vermag

Bei den Himmlischen viel, bei den Göttern der Nacht;

Und der Menschen Geschick, sie führen es klar,

Kraftvoll es hinaus,

Dem frohen Gesang, dem heimlichen Gram

Des in Tränen verkümmernden Daseins!

Zweite Strophe

CHOR.

Menschenblutlüstres, unselges Amt, ich werf es fort;

Doch den Mädchen lieb und hold

Rüstet die bräutlichen Freuden – die des ihr Gewalt habt,

Ihr Urgöttinnen, Muhmen des Schicksals,

Mächte der friedlichen Ruh,

Jeglichem Bunde Vertraute,

Jeglicher Stunde gewärtig, heilger Pflichten Schutz zu sein,

Allzeit aller Götter Teuerste!

ATHENE.

Daß dieses dem Land huldreich sich erfüllt,

Mich erfreut’s schon jetzt;

Wohl lob ich den Blick mir der Peitho sehr,

Die so hold mir das Wort und die Lippe gelenkt,

Daß ich sie erweicht, die unerweicht sonst;

Doch gesiegt hat Zeus, der Beredenden Hort;

So siege fortan

Stets unser Bemühn für das Gute!

Zweite Gegenstrophe

CHOR.

Mag des Aufruhres blutungesättigt Wüten nie

Stätte finden hier im Land,

Nimmer der Staub mit dem Blute der Bürger sich tränken,

Nie Rachgier, wechselmordender Schuld lüstern,

Blutig zerrütten die Stadt!

Freude belohne, gemeinsam

Gleiches mit allen zu lieben, allen gleich zu hassen auch,

Das heilt vielen Gram der Sterblichen!

ATHENE.

So findet ihr euch wohlwollend den Pfad

Des erfreulichen Worts!

Von der furchtbaren Schar der Erinnyen seh

Ich erblühen dem Volk vielteuren Gewinn!

Wenn die freundlichen ihr mit freundlichem Sinn

Stets fromm hochehrt,

So werdet ihr Stadt und Gebiet allzeit

Euch schmücken im Ruhm des Gerechten!

Dritte Strophe

CHOR.

Freue dich, freu dich im heiteren Glück des Reichtums!

Freue dich, Volk der teuren Stadt,

Nah zu sein dem höchsten Zeus,

Lieb der lieben Parthenos,

Ratbedacht zur rechten Zeit.

Wen Athenes Flügel deckt, den erhöht ihr Vater gern!

ATHENE.

Heil wieder auch euch! Doch ich muß vorgehn,

Zum geweiheten Sitz euch zeigen den Weg;

Mit dem heiligen Schein des geleitenden Zugs

Zieht hin; und hinab führ unter die Erd

Euch heilige Spende, daß all Unheil

Ihr dem Land abwehrt, daß jegliches Heil

Ihr empor zum Siege der Stadt schickt!

So geleitet denn selbst sie, o Kinder der Stadt,

Ihr, Kranaos’ Stamm, daß sie wohnen bei euch!

Stets wahre dem Volk

Für das Rechte sich rechtes Erkenntnis!

Dritte Gegenstrophe

CHOR.

Freue dich, freue dich wieder, du Volk Athenes,

In der Stadt ihr allzumal,

Götter, Menschen, freuet euch,

Daß ihr Pallas’ Stadt bewohnt!

Wenn ihr mich, die mit euch wohnt,

Fromm verehrt, so sollt ihr nie schelten eures Lebens Los!

ATHENE.

Ich lobe dein Wort, deines Segens treuen Wunsch;

Mit strahlendheller Fackeln Licht geleit ich dich

Hinab zum Hades, zu der Toten dunklem Reich

Mit Tempeldienerinnen, die in heilger Hut

Mein Bild bewachen. Komme denn, du liebstes Aug

Des Theseidenlandes, fromme Mädchenschar,

Ihr treuen Frauen, du der greisen Mütter Zug,

Mit eurer Purpurfestgewande Pracht geschmückt;

In frommer Ehrfurcht traget vor der Fackeln Glanz,

Daß diese Mitherrinnen eures Vaterlands

Im Heil des Volks sich gnädig zeigen immerdar!

Chor der Geleiterinnen

Erste Strophe

Wandert nach Haus, ihr Gewaltigen, Hehren,

Kindlose Kinder der Nacht, im getreuleitenden Festzug!

Festruf feiert, o Freundinnen!

Erste Gegenstrophe

Unter der Erd in ogygischen Tiefen

Sollt Ehr und Opfer und Festfeuer empfahn ihr!

Festruf feire, du Volk, mit uns!

Zweite Strophe

Huldvoll, unserem Land vielgewogen,

Kommet, ihr Hochhehren, und freut euch

Mit an der lodernden Fackel im Zug!

Wir jauchzen und jubeln zum Festlied!

Zweite Gegenstrophe

Weihtrank, fackelbestrahlt, bleibe dein stets!

Zeus ja, der Allschauer, und Moira

Einten im Volk der Athene sich froh!

Wir jauchzen und jubeln zum Festlied! –

Aischylos – Der gefesselte Prometheus

Aischylos

Der gefesselte Prometheus

(Prometheus desmotes)

Personen.

Kratos und Bia (Kraft und Gewalt), Riesengestalten

Hephaistos

Prometheus

Chor der Okeaniden

Okeanos

Io, Inachos’ Tochter

Hermes

KRATOS.

Wir stehn am fernsten Saum der Welt, dem skythischen

Gelände jetzt, in unbetretner Einsamkeit.

Hephaistos, du wirst eingedenk jetzt sein des Amts,

Das dir der Vater übertrug, den Frevler hier

In diamantner Fesseln unlösbarem Netz

Hoch anzuschmieden auf den gipfelsteilen Fels.

Denn deines Kleinods, wunderkünstlichen Feuers, stahl

Er einen Funken, gab ihn preis den Sterblichen.

Den Frevel soll er büßen jetzt den Ewigen,

Auf daß er lerne, sich Kronions Herrentum

Zu fügen, seiner Menschengunst Einhalt zu tun.

HEPHAISTOS.

Gewalt und Kraft, euch beiden hat jetzt Zeus’ Gebot

Sein Ziel und Ende, weitres bleibt euch nichts zu tun.

Ich aber selbst, ich zittre, den verwandten Gott

Mit Gewalt zu schmieden an ein unwirtbar Geklüft;

Und dennoch zwingt Notwendigkeit mich, so zu tun;

Des Vater Wort mißachten ist die schwerste Schuld.

Hochsinnger Sohn der rateskundgen Themis, dich

Gezwungnen muß gezwungen ich in Ketten jetzt

Unlösbar schmieden an den menschenöden Fels,

Wo nie Gestalt, nie Stimme eines Menschen dir

Sich naht, vom glühnden Strahl der Sonne dir versengt

Der Glieder blühnde Kraft dahinwelkt, bis ersehnt

Dir dann den Tag einhüllt die buntgewandge Nacht,

Dann fort den Frühreif wieder schmilzt der Sonne Blick.

So stets von jedem Elend, jeder Gegenwart

Wirst du gequält; da ist niemand, der helfen kann.

Den Dank gewinnt dir deine Menschenfreundlichkeit,

Da, Gott du, unbekümmert um der Götter Zorn,

Den Menschen Ehre gönntest mehr, als du gesollt.

Drum wirst du Hüter dieses öden Felsens sein,

Schlaflos, emporgefesselt, ungebeugt das Knie,

Wirst viele Jammerklage, vieles Weh und Ach

Vergebens schrein; denn unerbittlich zürnet Zeus;

‘s ist hart ein jeder, der in neuer Macht sich sieht.

KRATOS.

Auf, auf! Was säumst du und bedauerst ihn umsonst?

Wie, hassest du nicht diesen gottverhaßten Gott,

Der doch den Menschen frevelnd dein Kleinod verriet?

HEPHAISTOS.

Verwandter Ursprung, lange Freundschaft binden stark.

KRATOS.

Ich glaub’s; doch unfolgsam des Vaters Worten sein,

Wie ist es möglich? Scheust du es nicht um vieles mehr?

HEPHAISTOS.

Stets ohn Erbarmen bist du und voll wildem Trotz!

KRATOS.

Es hilft ja doch nichts, Tränen ihm zu weinen; drum

Müh dich umsonst nicht mit so ganz Vergeblichem!

HEPHAISTOS.

O dieser Hände hundertfach verhaßt Gewerb!

KRATOS.

Warum verhaßt dir? Denn mit einem Wort: des Grams,

Der jetzt dich drückt, trägt deine Kunst dir keine Schuld.

HEPHAISTOS.

Und doch, o hätte jeder andre sie erlost!

KRATOS.

Es ward den Göttern alles, nur nicht Herr zu sein;

Denn frei und Selbstherr nennst du niemand außer Zeus.

HEPHAISTOS.

Ich seh’s; entgegen dem zu sprechen hab ich nichts!

KRATOS.

Und eilst dich doch nicht, gleich mit Fesseln ihn zu umfahn,

Damit dich säumig nicht der Vater möge sehn?

HEPHAISTOS.

Nun, mir zu Händen sind die Ketten ja schon zu sehn!

KRATOS.

Um die Hände leg sie, schmiede sie ihm aus aller Kraft

Mit deinem Hammer, nagle fest sie an den Fels!

HEPHAISTOS.

Schon faßt es; nicht ist meiner Arbeit Werk umsonst!

KRATOS.

Schlag’s mehr, noch mehr ein! Keil es fest! Laß nirgend nach!

Der weiß sich Rat zu finden, wo’s unmöglich scheint.

HEPHAISTOS.

‘s ist unerlösbar jetzt geschlossen dieser Arm.

KRATOS.

So schmiede sicher auch den andern an, damit

Er lernt, vor Zeus sei seine Schlauheit eitel Nichts.

HEPHAISTOS.

Der einzig tadelt, keiner sonst mich noch mit Recht.

KRATOS.

Des diamantnen Keiles schonungslosen Zahn,

Hier durch die Brust hin treib ihm den mit aller Kraft!

HEPHAISTOS.

Weh dir, Prometheus! Ach, ich seufz um deinen Schmerz!

KRATOS.

Du zögerst nochmals, seufzest um den Feind des Zeus?

Daß nur du selbst nicht um dich selbst einst jammern mußt!

HEPHAISTOS.

Du siehst ein Schauspiel, nicht mit Augen anzuschaun!

KRATOS.

Des wohlverdienten Lohns beschieden seh ich ihn.

Auf! Um die Seiten leg ihm an den Eisengurt!

HEPHAISTOS.

Ich muß es tun; befiehl es nicht zum Überdruß!

KRATOS.

Jawohl befehlen, an dich treiben obendrein!

Steig nieder, gürte jetzt den Schenkel eisern ein!

HEPHAISTOS.

Und schon geschehn ist’s also sonder viele Müh!

KRATOS.

Jetzt schlage tüchtig ihm der Kette Stift in den Fuß,

Denn deiner Arbeit Richter ist, du weißt es, streng!

HEPHAISTOS.

Dein Mund, er lärmt, wie’s würdig deines Riesenleibs!

KRATOS.

Sei du ein Weichling, aber meinen Eigensinn

Und meines Zornes Härte mach mir nicht zur Schuld!

HEPHAISTOS.

So laß uns gehn; fest liegt um ihn das Eisennetz.

KRATOS.

Hier trotz und frevle, hier entwend den Göttern ihr

Kleinod und bring es deinen Tagesmenschen! Wie

Vermögen sie dir auszuschöpfen deine Qual?

Falsch heißt Prometheus du der Vorbedächtige

Den Göttern; selbst bedurftest du des Vorbedachts,

Mit welcher Wendung du dich entwändest diesem Netz.

Kratos, Bia und Hephaistos ab.

PROMETHEUS an der Höhe des Felsens angeschmiedet.

O heilger Äther! Schnellbeschwingter Windeshauch!

Ihr Stromesquellen! Du im Wellenspiel der See

Unzählges Lachen! Erde, Allgebärerin!

Du allesschauend Sonnenaug, euch ruf ich an!

Seht her, was ich von Göttern dulden muß, ein Gott.

Seht her auf mich, wie in Schmach, wie in Qual,

Wie erniedriget ich Jahrtausende hier

Abhärmen mich soll. Und das hat mir

Der Unsterblichen neuer Gebieter erdacht,

Mir Ketten und Schmach.

Weh! weh! Um das Jetzt, um der Zukunft Qual

Wehklag ich umsonst! Wann wird jemals

Mir der Mühsal Ende sich zeigen!

Und doch, was sag ich? Klar im voraus weiß ich ja

All meine Zukunft; nimmer unerwartet naht

Mir jede Trübsal; mein Verhängnis muß ich dann,

So leicht ich kann, ertragen, im Bewußtsein, daß

Die Gewalt des Schicksals ewig unbezwinglich ist.

Und doch, verschweigen mein Geschick, verschweigen nicht,

Unmöglich ist mir beides. Weil den Menschen ich

Heil brachte, darum trag ich qualvoll dieses Joch.

Im Ferulstabe glimmend, stahl ich ja des Lichts

Verstohlnen Urquell, der ein Lehrer aller Kunst

Den Menschen wurde, alles Lebens großer Hort.

Und diese Strafen büß ich jetzt für meine Schuld,

In Ketten angeschmiedet hoch in freier Luft!

Horch! wehe!

Weh! welch Geräusch, welcher Duft weht mir zu, fremd, gestaltlos?

Von den Ewigen, von den Sterblichen, oder beiden?

Naheten gar sich zu dem fernen Geklüft

Neugierge meines Leides? Oder wozu sonst?

So seht gefesselt mich, den unglückselgen Gott,

Mich, Zeus’ Abscheu, mich verfeindeten Feind

Der unsterblichen Götter zumal, soviel

Eingehn in des Zeus goldleuchtenden Saal,

Weil zuviel Lieb ich den Menschen gehegt!

Weh mir! Aufs neu tönt her das Geschwirr

Wie von Vögeln der Wildnis; es flüstert die Luft

Von der Fittiche leis hinschwebendem Schlag!

Was naht, mir naht es zum Grausen!

Auf geflügeltem Wagen schweben die Okeaniden vor dem Felsen des Prometheus auf und ab und singen im abwechselnden Chorlied.

Erste Strophe

CHOR.

Du fürchte nichts; freundlichen Sinns ist unsre Schar wechselgeschwinden Flügelschlags diesem Geländ

Eilig genaht; sobald ich

Des Vaters Herz endlich erweicht, trugen mich her die geschwinden Lüfte.

Des Hammers weithallender Schlag durchdrang der Meergrotte Gemach, er scheuchte mir

Scheuen die blöde Scham fort;

Schuhlos in geflügeltem Wagen kam ich.

PROMETHEUS.

Weh! weh!

Ihr, Tethys’ Kinder, der kindreichen,

Ihr Töchter des rings um die Welt sein Meer

Schlaflos hinströmenden Okeanos,

Seht, Mädchen, mich an, o schauet empor,

Wie gefesselt ich hier, wie mit Ketten beschwert

Ich am Felsengestad, am zerrißnen Geklüft

Unbeneidete Wacht muß dulden.

Erste Gegenstrophe

CHOR.

Prometheus, ich seh’s! In Entsetzen trübt der vorbrechenden Träne Nebel dichtfallend den Blick,

Daß ich dich also sehn muß

Qualvoll dahinwelken am Fels unter der Last diamantener Banden;

Ach, neue Herrn sind im Olymp am Ruder jetzt, neuem Gesetz gemäß regiert

Ohne Gesetze Zeus jetzt;

Das früher Gewaltige, jetzt vertilgt er’s.

PROMETHEUS.

Hätt unter die Erd in des Hades Reich,

In des totenbehausenden Tartaros Nacht

Er hinab mich gestürzt, unlösbar hart

Mich in Ketten zu fahn, daß nimmer ein Gott

Noch ein anderer je mein lachte zum Spott!

Doch ein Spielzeug jetzt hier den Lüften erduld

Ich den Feinden ergötzliches Elend.

Zweite Strophe

CHOR.

Oh, wer der Götter hegte solch verhärtet Herz, sich des zu erfreun!

Wer fühlte nicht mit deinem Leid

Mitleid? Nur Zeus nicht, der in Erbittrung fort und fort,

In nimmer gebeugtem Übermut

Uranos’ göttlich Geschlecht knechtet!

Nimmer ruht der, es ermüd ihm das Herze denn, oder entrissen ihm

Würde mit List die verhaßte Gewalt einst.

PROMETHEUS.

Mein, mein noch einst, ob in gliedmarternden

Erzbanden zur Schmach ich verdammt jetzt bin,

Mein einst hat not der Unsterblichen Herr,

Daß den neuen Verrat ich enthülle, der ihm

Sein Zepter und Reich zu entreißen sich naht!

Dann nicht von dem honigsüßen Geschwätz

Der Beredsamkeit ihm erweicht, nicht bang

Vor dem wildesten Dräun soll je mein Mund,

Was ich weiß, ihm enthülln, er befreite mir denn

Von den Ketten den Leib und bequemte sich, so

Unwürdige Schmach mir zu büßen!

Zweite Gegenstrophe

CHOR.

Du bist zu hart und fügest selbst in diesen bittren Qualen dich nicht,

Gönnst gar dem Mund zu dreistes Wort.

Doch meinen Busen zerreißt mir schneidende Angst,

Denn ich fürchte sehr um dein Geschick;

Deiner unsäglichen Qual Ende,

Wann erscheint’s, wo du den Hafen erreichst? Denn es hegt ein verschlossenes,

Streng unerbittliches Herz Kronion.

PROMETHEUS.

Wohl weiß ich, wie hart, wie in Willkür Zeus

Sein Recht ausübt; und doch wird sehr

Sanftmütig dereinst

Er erscheinen, wenn so er gebrochen sich fühlt;

Dann tilgend den unnachgiebigen Zorn,

Wird wieder zum Bund und zur Freundschaft er

Dem Bereiten bereiter sich zeigen.

CHORFÜHRERIN.

So offenbar uns alles und erzähl es uns,

Um welcher Ursach willen Zeus denn dich ergriff,

Daß also schmachvoll und erbittert er dich straft;

Belehr mich dessen, wenn’s dich nicht zu sagen schmerzt.

PROMETHEUS.

Ja, wahrlich schmerzvoll ist’s, davon zu sprechen, mir,

Schmerzvoll zu schweigen, bittrer Kummer überall.

Sobald der himmlischen Mächte Haß entzündet war

Und helle Zwietracht wechseleifernd sich erhob,

Die einen Kronos stürzen wollten seines Throns,

Daß Zeus hinfort Herr wäre, wieder andere

Sich mühn, daß Zeus der Götter Herrschaft nicht erlangt’,

Da riet ich wohl das Beste; doch besänftigen

Die Titanen, Gaias Kinder und des Uranos,

Das konnt ich nicht; sie, meinen friedlich klugen Rat

Mit Spott verwerfend in des Mutes wildem Trotz,

Gedachten mühlos sich zu behaupten durch Gewalt.

Doch hatte mehrfach meine Mutter Themis Gê,

In vielen Namen stets dieselbe Urgestalt,

Den Pfad der Zukunft mir vorherverkündiget:

Nicht durch Gewalt sei, nicht in stolzer Übermacht,

Es sei in List nur sicher der jetzt Gewaltgen Reich.

Und als ich ihnen diesen Ausspruch deutete,

Kaum drauf zu hören hielten sie der Mühe wert.

Von allen Wegen, die ich damals vor mir sah,

Schien mir der beste, daß ich nebst der Mutter mich

Mit Zeus verband, freiwillig dem Freiwilligen.

So schließt nach meinem Rate jetzt des Tartaros

Nachttiefer Abgrund ein des greisen Kronos Leib,

Mit ihm die Kampfgenossen. Und also von mir

Vielfach gefördert, hat des Götterreichs Tyrann

Mit diesem Undank bittrer Strafen mir gelohnt;

Denn anzuhaften pfleget aller Tyrannei

Auch dies Gebrechen, treusten Freunden nicht zu traun.

Doch was ihr fraget, welcher Ursach wegen er

Mich so hinausstieß, will ich euch erklären. Denn

Sobald er seines Vaters heilgen Thron bestieg,

Sofort verteilt’ er Ehr und Amt den Ewigen,

Je andern andre, und verlehnt’ des weiten Reichs

Gewalten; einzig für die armen Menschen trug

Er keine Rücksicht; ganz zu vertilgen ihr Geschlecht,

Ein andres, neues dann zu schaffen war sein Plan.

Da trat denn niemand ihm entgegen außer mir;

Ich aber wagt es, ich errang’s den Sterblichen,

Daß nicht zerschmettert sie des Hades Nacht verschlang.

Darum belastet ward ich so mit dieser Qual,

Zu tragen schmerzvoll, anzuschaun erbarmenswert.

Und da ich Mitleid hegte den Menschen, ward ich selbst

Des nicht gewürdigt, sondern unbarmherzig hier

Felsangeschmiedet, schändlich Schaugepräng des Zeus!

CHOR.

Der trägt ein Steinherz, und die Brust ist starres Erz,

Der dir, Prometheus, nicht im tiefsten deine Qual

Mitfühlt; denn ich – nie hätten meine Augen dies

Sehn müssen –, da ich’s nun gesehn, bricht mir das Herz.

PROMETHEUS.

Den Freunden freilich bin ich jammervoll zu schaun.

CHOR.

Du bist doch weiter nicht gegangen, als du sagst?

PROMETHEUS.

Ich nahm’s den Menschen, ihr Geschick vorauszusehn.

CHOR.

Sag, welch ein Mittel fandest du für dieses Gift?

PROMETHEUS.

Der blinden Hoffnung gab ich Raum in ihrer Brust.

CHOR.

Ein großes Gut ist’s, das du gabst den Sterblichen.

PROMETHEUS.

Und bot zum andern ihnen dar des Feuers Kunst.

CHOR.

Die Tageskinder kennen jetzt der Flamme Blick?

PROMETHEUS.

Der künftig tausendfache Kunst sie lehren wird.

CHOR.

Um diesen Frevel also ist’s, daß Zeus dich so –

PROMETHEUS.

Mit Schmach und Qual straft und die Qual nie mildern wird.

CHOR.

Und auch ein Ziel nicht dieses Leides siehst du je?

PROMETHEUS.

Kein andres jemals, als wenn es ihm gefallen wird.

CHOR.

Gefallen, wie? Ist Hoffnung? Siehst du nicht, du hast

Gefrevelt; wie gefrevelt, das zu sagen ist

Mir keine Freude, Kummer dir; so laß ich’s gern;

Nur find Erlösung irgend dir von dieser Qual!

PROMETHEUS.

Leicht ist’s, wenn fern dem Leide weilt der eigne Fuß,

Zu warnen, besten Rat zu weihn dem Leidenden;

Das alles aber sah ich selbst in meinem Sinn.

Gern, gern gefrevelt hab ich, gern – ich leugn es nicht –

Zum Heil der Menschheit dieses Leid mir selbst erzeugt.

Doch glaubt ich das nicht, unter solcher Strafe Last

Dahinzuschmachten hoch an luftger Felsenstirn,

Verbannt in dies einsame nachbarlose Land.

Darum beklagt mir meine jetzigen Schmerzen nicht;

Kommt, steigt hernieder, höret mein zukünftig Los,

Auf daß ihr einseht, wie es sich alles fügen muß.

Tut’s mir zuliebe, tut es, teilt mein Leid mit mir,

Jetzt Mühbeladnem! Denn in gleicher Weise schweift

Und sucht die Trübsal andre heim zu andrer Zeit.

Während des folgenden steigen die Okeaniden hinab auf den felsigen Boden.

CHOR.

Nicht unfolgsam dem, was du gewünscht,

Sind wir, Prometheus;

Mit behendem Fuße verlaß ich den leicht

Hinschwebenden Sitz, der ätherischen Flur

Luftpfade der Vögel; das rauhe Gestein

Fühlt wohl mein Fuß – doch all dein Leid

Von dir zu vernehmen verlangt mich.

Okeanos erscheint auf einem Flügelroß reitend.

OKEANOS.

Von weither komm ich gefahren zu dir,

Prometheus, endlich am endlichen Ziel,

Das mein flugkundiger Vogel, gelenkt

Von dem eigenen Sinn, ohn Zügel sich fand.

Dein Schicksal, wiß es, bemitleid ich,

Denn Verwandtschaft wohl kann, denk ich, dazu

Mich nötigen schon; zum Geschlecht kommt noch,

Daß ich niemand weiß, auf welchen ich mehr

Hielte denn auf dich.

Sehn wirst du, wie wahr das gesprochen, wie fern

Leer freundlich Geschwätz mir sei. Auf denn,

Und bezeichne, wie mit dir wirken ich kann;

Denn du sollst mir gestehn, vor Okeanos sei

In der Welt kein Freund dir bewährter!

PROMETHEUS.

Ha, sieh! Was ist denn? Kamst denn du auch, meinen Schmerz

Dir anzuschauen? Wie gewannst du’s über dich,

Von deinem gleichgenannten Strom, vom Felsenbau

Der stillen Grotte fern zum eisenzeugenden

Berghang zu fahren? Oder kamst du, eignen Augs

Mein Los zu sehen, mitzufühlen meine Qual?

Sieh dieses Schauspiel, ich, Kronions Freund und Rat,

Der seiner Herrschaft mächtgen Thron ich mitgebaut,

Mit welchem Elend ich von ihm belastet bin!

OKEANOS.

Ich seh’s, Prometheus, und ich will den besten Rat

Ans Herz dir legen, bist du selbst schon vielgewandt.

Erkenn dich selbst; gestalte neu zu neuer Art

Dich um, denn neu ist auch der Götter Fürst und Herr.

Doch wenn du so wilde, zorngeschärfte Reden noch

Ausstößest, leicht vernähme Zeus dich, höher selbst

Noch thronend, so daß deines jetzgen Ungemachs

Gesamte Mühsal Kinderspiel noch möchte sein.

Nein, laß, du Armer, ab vom Trotze deines Zorns,

Und nur Errettung suche dir von dieser Not. –

Wie alte Weisheit scheinet dir mein Wort vielleicht;

Und doch, Prometheus, für des allzustolzen Sinns

Zu stolze Red ist aller Zeiten dies der Lohn.

Du, nimmer dich bescheidend, weichst selbst nicht dem Schmerz

Und wirst dem jetzigen neuen noch vereinigen.

Doch wenn du mir und meinem Rate folgen willst,

So löcke wider den Stachel nicht mehr; denn du siehst,

Daß jetzt ein strenger Herrscher unumschränkt gebeut.

So geh ich selbst denn zu ihm und versuche, dich,

Wenn ich’s vermag, zu retten noch aus deiner Qual;

Du bleibe ruhig und enthalt des Trotzes dich

Ganz. Oder weißest du, vor allen Weiser, nicht,

Daß deines Trotzens eitler Lärm den Stab dir bricht?

PROMETHEUS.

Beneidenswerter, daß du frei bist aller Schuld,

Da du doch alles mit mir wagtest und begingst.

Jetzt aber laß nur, laß es unbekümmert gehn,

Du bewegst ihn doch nicht; unerbittlich kennst du ihn.

Hab acht, daß nicht schon dieser Weg dir Schaden bringt.

OKEANOS.

Viel beßre Lehre weißt du jedem andern denn

Dir selbst; die Tat, nicht Worte überzeugen mich.

Doch meinen Eifer hältst du nimmermehr zurück;

Ich hoffe, ja ich hoffe, mir zuliebe wird

Zeus leicht gewähren, dich zu befrein von deiner Not.

PROMETHEUS.

Das werd ich dir hochpreisen jetzt und alle Zeit,

Denn alles besten Willens hast du gnug; jedoch

Laß deine Müh, vergebens wirst du, ohne mir

Zu nützen, Müh dir machen, falls du dich bemühst.

Nein, bleibe ruhig, bleibe fern von alledem;

Denn wenn ich selbst muß leiden, wünsch ich darum nicht,

Daß mehr und mehren gleiches Los begegnen mag.

O nein! – denn schon auch meines teuren Bruders Los

Schmerzt mich, des Atlas, der in den Abendlanden fern,

Des Himmels und der Erden Säule, steht und stützt

Mit seinen Schultern eine schwergewaltge Last;

Und auch den Riesen, der in Kilikias Schlucht gehaust,

Des Erdgebornen, Hunderthäuptigen wilde Kraft,

Ich sah voll Schmerz gebrochen und bewältigt ihn,

Den mächtigen Typhon, der den Göttern allen stand,

Aus grausem Zahne zischend flammenspeinden Mord,

Aus jedem Auge schleudernd wutempörten Blitz,

Als wollt er Zeus’ Gewalt vertilgen mit Gewalt;

Da aber traf ihn schmetternd Zeus’ schlaflos Geschoß,

Der niederfahrende, flammensprühnde Donnerkeil,

Der alles Trotzes dräunden Übermut in ihm

Erschlug, indem durchs Herz getroffen seine Kraft,

In den Staub geschmettert, tote Kohl’ und Asche ward.

Und nun ein kraftlos welkdahingestreckter Leib,

Liegt er des Meeres ufersteilem Sunde nah,

Gedrückt vom Fuß des Ätna; auf der wolkigen

Bergkuppe sitzt und schmiedet sein glutsprühend Erz

Hephaistos; dorther werden Feuerströme einst

Herniederbrechen, rings zerfleischen mit wildem Zahn

Die saatengrünen, selgen Aun Sizilias,

So wild hervor wird Typhon tosen seine Wut

In des heißen Auswurfs flammenschloßenden Glutorkan,

Ob auch von Zeus’ Blitzstrahlen selbst schon längst verkohlt. –

Du aber bist vorsichtig und bedarfst von mir

Nicht Rat; errette du dich selbst, so gut du kannst.

Ich aber werde trinken meiner Leiden Kelch,

Bis einst in Zeus’ Herz Haß und Zorn sich lösen mag!

OKEANOS.

Hast du, Prometheus, nie bemerkt, wie Worte doch

Ein rechter Arzt sind für ein zorngereiztes Herz?

PROMETHEUS.

Wenn man zur rechten Stunde sänftigt das Gemüt,

Das schwellende Herz nicht wider Willen niederdrückt.

OKEANOS.

Wenn aber so Teilnahme sich bemüht, ja wagt,

Siehst du darin Gefahr der Strafe? Sag es mir.

PROMETHEUS.

Verlorne Arbeit und ein leeres gutes Herz!

OKEANOS.

An dieser Krankheit laß mich kranken; gern erträgt’s

Der Treugesonnene, daß er unbesonnen scheint.

PROMETHEUS.

Es würde mein auch diese Schuld geheißen sein.

OKEANOS.

Hinweg nach Hause weist mich deutlich dieses Wort.

PROMETHEUS.

Damit dir dein Mitleid für mich nicht Haß erzeugt.

OKEANOS.

Des neuen Königs auf dem allgewaltgen Thron?

PROMETHEUS.

Sehr hüte dich, niemals zu kränken seinen Sinn!

OKEANOS.

Dein Los, Prometheus, soll mir ewge Lehre sein!

PROMETHEUS.

Geh! Fahre wohl! Bewahre stets so weisen Sinn!

OKEANOS.

Bereits zur Abfahrt rüstend hör ich deinen Rat;

Denn des weiten Äthers Pfade schlägt mein Vogelroß

Schon wild mit seinen Flügeln; es verlangt ihn auch,

Daheim den müden Huf zu ruhn auf weicher Streu.

Okeanos durch die Luft ab.

Erste Strophe

CHOR.

Ich klag um dein traurig Geschick, Prometheus, vorperlen die Tränen, meines Auges feuchtem Gestad zitternd entströmt;

Der Wange Flur netz ich mit reichem Quell; denn das wehret mir keiner. Ach, in willkürlicher Satzung herrschet Zeus,

Übergewaltig zeigt er sein Zepter der Urzeit hehren Göttern!

Erste Gegenstrophe

Schon hallen Wehklagen in allem Land, der kraftriesigen, heilighehren Urzeiten und dein, deines Geschlechts

Gewaltges Reich laut zu betrauern; ja, soviel rings in der heiligen Asia weitem Gefild(e) wohnen, dein

Kummergesättigt bittres Los fühlen sie laut wehklagend mit dir!

Zweite Strophe

Kolchis’ Volk, die kampfgeschürzten,

Schlachtenkühnen Waffenjungfraun,

Und die Skythen, deren Horden

Nah dem fernsten Geländ der Welt hausen am See Maiotis.

Zweite Gegenstrophe

Und Arabias Heldenblüte,

Und die rings die steile Felsburg

Nah dem Kaukasus umwohnen,

Wilde Scharen im Lärm der erzklirrenden Lanzen furchtbar.

Dritte Strophe

Nur einmal sah ich so noch einen Gott

Im Fluch diamantener Banden dulden,

Atlas so, den Titanen, nur,

Der ewig auf ihn gewälzter Weltenlasten Unmaß,

Ewig des himmlischen Pols Last trägt mit seinen Schultern.

Dritte Gegenstrophe

Und klagend rauscht der weiten See Wogenschlag, die Tiefe seufzt,

Fern nachhallt Hades’ düsterer Abgrund,

Der heilgen Ströme rieselnde Quelln beweinen deine Trübsal.

PROMETHEUS.

Glaubt nicht, Behagen oder Hochmut lasse mich

So schweigen; tief nachsinnend nag ich wund mein Herz,

Daß ich mich selbst muß also tief erniedrigt sehn.

Und diese neuen Götter mit all ihrer Macht –

Wer sonst denn ich hat ihnen alles ausgeteilt?

Doch schweig ich davon, da ich, was ihr selber wißt,

Euch sagen würde; aber hört, was meine Schuld

An den Menschen ist, die, Träumer sonst und stumpfen Sinns,

Des Geistes mächtig und bewußt ich werden ließ!

Nicht einer Schuld zu zeihn die Menschen, sag ich das,

Nur um die Wohltat meiner Gabe darzutun.

Denn sonst mit offnen Augen sehend sahn sie nicht,

Es hörte nichts ihr Hören, ähnlich eines Traums

Gestalten mischten und verwirrten fort und fort

Sie alles blindlings, kannten nicht das sonnige

Dachüberdeckte Haus und nicht des Zimmrers Kunst;

Sie wohnten tief vergraben gleich den winzigen

Ameisen in der Höhlen sonnenlosem Raum;

Von keinem Merkmal wußten sie für Winters Nahn

Noch für den blumenduftgen Frühling, für den Herbst,

Den erntereichen; sonder Einsicht griffen sie

Alljedes Ding an, bis ich ihnen deutete

Der Sterne Aufgang und verhülltren Niedergang;

Die Zahlen, aller Wissenschaften trefflichste,

Der Schrift Gebrauch erfand ich und die Erinnerung,

Die sagenkundige Amme aller Musenkunst.

Dann spannt ins Zugjoch ich zum erstenmal den Ur,

Des Pfluges Sklaven; und damit dem Menschenleib

Die allzugroße Bürde abgenommen sei,

Schirrt ich das zügelstolze Roß dem Wagen vor,

Des mehr denn reichen Prunkes Kleinod und Gepräng.

Und auch das meerdurchfliegend lein’geflügelte

Fahrzeug des Schiffers ward von niemand ehr erbaut.

So mir zum Elend vieles Rates vielgewandt

Den Menschen, bin ich alles Rates bar und bloß,

Mir jetzt zu lösen dieser Qual schmachvolles Los.

CHOR.

Du trägst ein schmachvoll Leid, entraten alles Rats;

Du schwankst; dem schlechten Arzte gleich jetzt selbst erkrankt,

Verzagst du mutlos und vermagst dir selbst den Trank

Nicht mehr zu finden, welcher dich gesunden läßt.

PROMETHEUS.

Laß dir das weitre sagen und erstaune mehr,

Wie große Mittel, welche Künste ich erfand.

Das größte war’s, daß, wenn sie Krankheit niederwarf,

Kein Mittel da war, keine Salbe, kein Gebräu,

Kein Brot der Heilung, sondern, aller Arzenei

Entraten, sie verkamen – bis sie dann von mir

Gelernt die Mischung segensreicher Arzenei,

Die aller Krankheit wilde Kraft zu stillen weiß.

Dann gab ich viele Weisen an der Seherkunst

Und schied zuerst aus, was in den Träumen als Gesicht

Zu nehmen, tat dann alles Tons geheimen Sinn

Und aller Fahrt Vorzeichen sorgsam ihnen kund,

Bestimmte deutlich jedes krummgeklaueten

Raubvogels Aufflug, welcher traurig, welcher froh

Nach seiner Art sei, welches Fanges jegliche

Sich nähren, welcher Weise gegenseitig sie

Freundschaft und Feindschaft halten und Geselligkeit;

Wie des Eingeweides Ebenheit den Ewigen,

Wie der Milz und Leber adernbunte Zierlichkeit

Und welche Farbe recht und wohlgefällig sei.

Indem zuletzt ich dann ein Hüftbein opferte,

Dazu ein Rückteil fettumwickelt, ward ich selbst

Der schweren Kunst Lehrmeister, nahm vom Seherblick

Der Flamme fort die Blindheit, die sie zuvor verbarg.

Soweit von diesem, aber die im Erdenschoß

Verborgenen Schätze, welche sein jetzt nennt der Mensch,

So Eisen, Erz, Gold, Silber, wer mag sagen, daß

Er diese vor mir aufgefunden und benutzt?

Niemand, ich weiß es, wenn er sich lügend nicht berühmt.

So ist, mit einem Worte, daß ihr kurz es hört,

Den Menschen von Prometheus alle Kunst gelehrt.

CHOR.

Nicht hilf den Menschen fürder über alles Maß,

Des eignen Unheils unbekümmert; denn ich bin

Der festen Hoffnung, daß du einst noch, dieser Qual

Entfesselt, nicht von mindrer Macht wirst sein denn Zeus.

PROMETHEUS.

Nicht so hat Moira mir, die Allvollenderin,

Mein Los gesponnen. Nein, in tausendfachem Schmerz

Und Gram gebeugt, so geh ich einst aus dieser Haft –

Dem Werk der Ohnmacht vor des Schicksals ewger Kraft!

CHOR.

Wer lenkt des Schicksals Ruder denn in seiner Hand?

PROMETHEUS.

Die Moiren und die allgedenken Erinnyen.

CHOR.

Und Zeus ist selbst ohnmächtig gegen ihre Macht?

PROMETHEUS.

Dem verhängten Lose kann er nimmermehr entfliehn.

CHOR.

Was sonst ist Zeus’ Los, als zu herrschen fort und fort?

PROMETHEUS.

Das wolle nicht mich fragen, dringe nicht in mich.

CHOR.

‘s ist wohl ein Heilges, was du so bei dir verschließt?

PROMETHEUS.

Sprecht andre Dinge; das zu sagen ist die Zeit

Noch nicht gekommen; sondern bergen muß ich es

So tief wie möglich. Denn bewahr ich dies getreu,

So werd ich einst noch meiner Qual und Banden frei! –

Erste Strophe

CHOR.

Nimmer erküre sich Zeus’

Allgewalt mein Herz zu empörendem Trotze,

Noch ich selbst sei lässig, mit heiligen Feststieropfern den Göttern zumal

Fromm zu nahn bei Vater Okeanos’ allrastlosem Strom;

Nimmer auch frevle mein Mund,

Sondern dies sei fest in mir und schwinde nun und nimmer!

Erste Gegenstrophe

Seliges Los, wenn ich still

Dürfte fernhin leben der freudigen Hoffnung,

Mein Gemüt zu weiden in sonniger Lust; doch faßt mich ein Graun, wie ich dich

So in unaussprechlichen Qualen erdrückt muß dulden sehn,

Weil du nach eignem Rat

Sonder Furcht vor Zeus zu hoch die Menschen ehrst, Prometheus!

Zweite Strophe

Wie verlassen die Liebe der Liebe, du Teurer! Wo ist Heil, sprich?

Von den Kindern des Tages, welches Heil? Du sahst nicht

Die verkümmerte, blöde Ohnmacht,

Die, wie Traumgestalten hinschwankend, das blinde Geschlecht

Übernetzet der Sterblichen! Niemals wird von der menschlichen Kraft

Zeus’ ewger Fügung vorgegriffen!

Zweite Gegenstrophe

Ich erkenn es in deiner unendlichen Schmerzenslast, Prometheus!

Wie so anders erschallt jetzt dieses Lied denn jenes,

Das herüber von eurem Brautbad,

Eurem Brautbett klang in hochzeitlicher lachender Lust,

Da du unsere Schwester im Brautschmuck, freudig die freudige dir

Heimführtest, Hesionen!

Io, des Inachos Tochter, kommt gestürmt; Hörner bezeichnen ihre Verwandlung zur Kuh.

IO.

Welch Land? Welch Volk? Wen seh ich da hoch

In die Fesseln gebannt an dem hohen Geklüft,

Wie den Wettern zum Spiel? Um welch Unrecht

Sollst so du vergehn? Tu kund mir, wohin

Ich Heimatlose geirrt bin!

Weh mir! weh mir!

Es sticht mich Arme, mich die Bremse wieder!

Gespenst, des Argos Riesenbild,

Wehrt ihm! Huh! Entsetzen!

Den Tausendäugigen, meinen Hüter seh ich!

Und er umschleicht mich schon, tückischen Haß im Blick,

Den auch erschlagen nicht der Erde Gruft birgt!

Nein, von den Tiefen aufwärts wider mich Arme steigt er

Und scheucht mich, jagt mich Lechzende fort über den sandigen Strand einsam;

Zu mir herüber trägt der wachsgefügten Rohrflöte Schall

Sein Schlaflied so süß!

Weh, weh! wohin, wohin schweif ich, irr ich fern in die Ferne fort?

Was denn an mir, o Kronos’ Sohn, was denn an mir

Hast du Ursach erkannt, daß du so schwerer Qual Joch mir auflegst? Oh!

Mit dieser wahnsinngeißelnden Angst mich Angstzerrüttete also marterst?

Gib mir der Flammen Tod, birg in ein Grab mich tief, tief ins Meer

Wirf mich dem Hai zum Raub!

Nein, versag nicht, Herr, mir diesen einen Wunsch!

Mein Schweifen fern in die Ferne hat

Mich gnug gequält, nicht weiß ich mehr, auf welchem Pfad

Dieser Qual ich fliehn soll!

CHOR.

Du hörst der stierhörngen Jungfrau Gesang?

PROMETHEUS.

Wohl schallt der wahnsinnschweifenden Jungfrau Ruf herauf,

Des Inachoskindes, welche Zeus’ Herz einst getränkt

Mit süßer Liebe, jetzt in endlos irrem Lauf

Von Heras bittrem Haß verfolget und gequält!

IO.

Wie denn erfuhrst du meines Vaters Namen schon, sag es mir,

Mir, der Gequälten? Wer,

Dulder, wer bist du selbst,

Daß du so gar zu wahr mich Dulderin schon begrüßest

Und mir den gotträchenden Jammer benennst,

Der mich aufzehrt in Glut, der mich aufpeitscht in schmerzglühndem Wahnsinn! Oh! –

Rastlosen Schweifens stürmt ich daher ohn Trank und Speise, gescheucht von Hera,

In der Verfolgung Hast so überwältigt! Wer ist gottverstoßen wie ich? Wehe! wehe!

Wer wie ich gemartert? Offenbar’ du mir,

Was fürder mir zu erdulden bleibt,

Was fürder nicht mehr, wo ein Balsam meinem Schmerz?

Sag mir’s, wenn du’s weißest.

CHOR.

O sag’s, tu’s der irrselgen Jungfrau zulieb!

PROMETHEUS.

Ich will dir alles sagen, was du hören willst,

Nicht rätseleingeschleiert, nein, mit schlichtem Wort,

Wie recht den Freunden sich des Freundes Mund erschließt:

Der den Menschen Licht gab, ‘s ist Prometheus, den du siehst.

IO.

O du, den Menschen allgemeinsam teurer Hort,

Sag an, Prometheus, wessenwegen duldest du?

PROMETHEUS.

Kaum hört ich auf zu klagen meinen ganzen Gram.

IO.

Und du, gewährtest diese kleine Gunst mir nicht?

PROMETHEUS.

So sprich, was meinst du? Sagen will ich alles dir.

IO.

So sag mir, wer dich an den Fels geschlagen hat?

PROMETHEUS.

Des Zeus Gebot war’s, durch Hephaistos’ Hand geschah’s.

IO.

Doch welches Frevels Strafen sollst du leiden hier?

PROMETHEUS.

O laß genug sein, daß ich dies dir nur gesagt.

IO.

Dann aber weiter: meiner Irrfahrt Ende, sprich,

Wann wird es jemals nahn mir Unglückseligen?

PROMETHEUS.

Daß du es nicht weißt, frommt dir mehr, als daß du weißt.

IO.

Verbirg mir nicht mehr, was ich doch ertragen muß.

PROMETHEUS.

Ich, glaub es mir, mißgönne dir nicht diese Gunst.

IO.

Was säumst du dennoch, alles das mir kundzutun?

PROMETHEUS.

Mißdeut es nicht; dein Herz zu betrüben säum ich gern.

IO.

Nicht sorge du mein weiter, als mir selbst erwünscht.

PROMETHEUS.

Weil du es wünschest, muß ich sprechen; höre denn.

CHOR.

Noch nicht! Des Wunsches gönnet mir auch einen Teil;

Zuvor erfahren laß mich dieses Mädchens Leid,

So daß sie selbst nennt ihr verderbenreich Geschick

Und dann von dir hört ihrer Mühsal andren Teil.

PROMETHEUS.

Recht wär es, Io, daß du ihnen schon zulieb

Dies tust, die dann auch deines Vaters Schwestern sind.

Und da zu klagen, auszuweinen seinen Gram,

Wo man des Mitleids Träne von den Hörenden

Sich darf erwarten, das ist wohl des Weilens wert.

IO.

Auch weiß ich nicht, warum ich euch es weigern soll;

In klaren Worten sollt ihr alles, was ihr wünscht,

Vernehmen. Freilich auch zu sagen schäm ich mich,

Von wannen dieses gottverhängte Wetter mir,

Der einstgen Schönheit grauser Tausch mir Armen kam.

Denn immer schwebten nächtige Traumgestalten still

Herein in meine Kammer und liebkosten mich

Mit leisen Worten: »O du vielglückselge Maid,

Was bleibst du jetzt noch Mädchen, da dir werden kann

Die höchste Brautschaft? Zeus erglüht in Liebe dir

Vom Pfeil der Sehnsucht; nach der Kypris süßem Kampf

Verlangt’s ihn; du, Kind, weise von dir nicht den Kuß

Kronions; geh nun nach der tiefen Wiesenau,

Gen Lerna, nach des Vaters Herden und Gehöft,

Daß seiner Sehnsucht ruhn des Gottes Auge mag.«

Und solche Träume kamen mir Vieltraurigen

In allen Nächten, bis dem Vater ich zuletzt

Zu sagen wagte meine Träume, meinen Gram.

Der sandte nun gen Pytho, gen Dodonas Wald

Vielfache Frage, zu erkunden, was er tun,

Was sagen müßte, das die Götter gerne sähn.

Bald kamen seine Boten mit vieldeutigen,

Mit unerklärlich rätselhaften Sprüchen heim;

Dann aber endlich kam an Inachos ein Spruch,

Der unverkennbar uns gebot und anbefahl,

Mich auszustoßen aus dem Haus, dem Vaterland,

Verstoßen fern zu schweifen bis zum Saum der Welt;

Und wollt er nicht, glutzückend fahre dann des Zeus

Blitzstrahl herab, all sein Geschlecht hinwegzutun.

Von diesen Sprüchen so belehrt des Loxias,

Stieß er mich von sich, schloß des Vaterhauses Tor

Mir Zögernden zögernd; doch es zwang allmächtig ja

Ihn wider Willen Zeus’ Gebot zu solchem Tun.

Und alsobald war Leib und Seele mir verkehrt;

Die Stirn, ihr seht es, stiergehörnt, endlos gequält

Vom Stich der Bremse, irren Sprungs, wahnsinnverwirrt,

So floh ich rastlos gen Kechreias klarem Quell,

Zum Hügel Lerna. Und ein Riesenhirte kam,

Der erdgeborne, wilde Argos hinter mir,

Zahllosen Auges spähend, hütend meine Spur;

Doch unerwartet, eines schnellen Todes Raub

Sank hin der Leib des Riesen. Wahnsinnaufgepeitscht

Jagt nun der Göttin Geißel mich von Land zu Land. –

Du hast vernommen, wie’s geschehn; doch so du weißt,

Was mein noch wartet, sag es mir, versüße nicht

Mitleidig mir mit falschem Wort, was doch mich trifft.

Denn kluggewandte Worte sind das schlimmste Gift.

CHOR.

O laß! o laß! halt ein! wehe!

Nimmer, nimmer drang, so ins Ohr mir drang

Noch nie fremdes Klagewort,

Nie mir so unerträgliche, so unsägliche

Marter und Qualen und Angst mit zweischneidger Wunde

Eiskalt ins tiefste Herz!

Weh, Moira, Moira!

Ein Graun faßt mich, Ios Qual zu schauen!

PROMETHEUS.

Du klagst im voraus, dich erfüllt Bekümmernis;

Halt ein, bis du vernommen, was noch übrig ist.

CHOR.

Sprich, sag ihr alles; allen Kranken ist es Trost,

Was übrig noch des Leides, klar vorauszusehn.

PROMETHEUS.

Was ihr vorher euch wünschtet, habt ihr leicht von mir

Erreicht; denn hören wolltet ihr zunächst sie selbst

Von ihrer Trübsal sprechen, ihrer Seele Gram.

Nun aber höret, welche Leiden weiter noch

Das arme Mägdlein dulden muß von Heras Zorn;

Du aber, Kind des Inachos, schließ treu ins Herz

Mein Wort, damit du wissest deines Weges Ziel.

Zuerst von hier aus mußt du wenden deinen Fuß

Gen Sonnenaufgang, über ungepflügt Gefild.

Du kommst zu Skythenhorden, die in geflochtenen

Korbhütten wohnen hoch auf Rädern, wagengleich,

Ferntreffende Bogen ihren Schultern umgehängt;

Nicht nah dich ihnen, sondern scheu den Fuß gewandt

Zum meerumrauschten Klippenstrand, durcheil ihr Land.

Landein zur Linken wohnen dann die Chalyber,

Die Eisenschmiede; hüte dich vor ihnen, sie

Sind wild und roh; kein Fremdling kehrt zu ihnen ein.

Und weiter kommst du an des Hybristes wilde Flut;

Geh nicht hinüber, denn er bietet keine Furt,

Bevor du Kaukasus’ höchsten Gipfel siehst und dort

Ankommst, wo brausend aus des Felsens dunkler Schlucht

Der Strom hervorstürzt. Diese sterngenahten Höhn

Dann überschreitend, mußt du mittagswärts den Weg

Hinuntersteigen, wo du der Amazonen Volk,

Die männerfeindlichen, triffst, die Themiskyra einst

Bewohnen werden beim Thermodon, wo im Meer

Die salmydessische Klippenbai die Schiffenden

Ungastlich aufnimmt, allem Schiff stiefmütterlich;

Sie werden selbst dir freundlich zeigen deinen Weg;

Zum kimmrischen Isthmos dicht am engen Tor des Sees

Gelangst du so; getrosten Mutes mögest du

Den Ort verlassen, durch Maiotis’ Sund zu gehn;

Dort soll den Menschen großes Zeugnis immerdar

Von deiner Wandrung bleiben, Bosporos der Sund

Nach dir genannt sein. Scheidend aus Europas Flur,

Kommst du zum Festland Asia. – Wahrlich, scheinet euch

Nicht aller Orten dieser Fürst der Götter gleich

Grausam? Denn weil, ein Gott, er diese Sterbliche

Umarmen wollte, gab er solcher Qual sie preis.

Dir, armes Mädchen, ward ein arger Bräutigam;

Denn sieh, die Kunde, welche du bis jetzt gehört,

Mag kaum ein Vorspiel dir erscheinen deines Grams.

IO.

Weh mir! weh mir!

PROMETHEUS.

Du jammerst laut und weinest! Was gar wirst du tun,

Wenn du die andern Leiden alle noch erfährst!

CHOR.

So willst du mehr noch kund ihr tun von ihrem Leid?

PROMETHEUS.

Ein sturmgepeitschtes, ödes Meer graunhafter Qual!

IO.

Was soll das Dasein mir noch? Warum stürz ich nicht

Mich schnell von diesem jähen Felsgeländ hinab,

Daß ich zerschmettert drunten los sei aller Qual?

Denn besser wäre so mit einemmal der Tod,

Als aller Tage dulden meine Qual und Not!

PROMETHEUS.

Dir müßte trostlos mein Geschick zu tragen sein,

Dem auch der Tod nicht vom Verhängnis ward gegönnt;

Es wäre das doch noch Erlösung meiner Qual;

Nun aber tagt kein Ende mir zu keiner Zeit,

Es stürze Zeus denn selbst hinab von seinem Thron.

IO.

Geschieht es je? Sprich, stürzet Zeus von seinen Höhn?

PROMETHEUS.

Froh, glaub ich, wärst du, sähst du selbst einst seinen Sturz!

IO.

Wie könnt ich anders, ich, die von Zeus Verstoßene?

PROMETHEUS.

Daß dies in Wahrheit so geschehen wird, glaub es mir.

IO.

Wer wird der Herrschaft Zepter ihm entreißen, sprich?

PROMETHEUS.

Er selbst sich selbst durch seines Rats Leichtsinnigkeit.

IO.

Auf welche Weise? Sag es mir, wenn du es kannst!

PROMETHEUS.

Ein Ehebündnis schließt er, das ihn wird gereun.

IO.

Mit einer Göttin, einem Weib? Sprich, so du kannst!

PROMETHEUS.

Was fragst du? Noch darf’s nicht geoffenbaret sein!

IO.

Und ist’s die Gattin, die ihn vom Throne stürzen wird?

PROMETHEUS.

Sie zeugt ein Knäblein, mächtiger als der Vater selbst.

IO.

Wird keine Rettung ihm vor diesem Lose sein?

PROMETHEUS.

Nein, keine, ich sei meiner Banden denn erlöst!

IO.

Wer aber wird dich lösen wider Zeus’ Gebot?

PROMETHEUS.

Von deinem Schoß wird stammen, der es enden muß.

IO.

Wie sagst du, mein Kind wird dich deiner Qual befrein?

PROMETHEUS.

Dein Enkel nach zehn Gliedern selbst das dritte Glied.

IO.

Noch wird mir nicht verständlich, was du prophezeist.

PROMETHEUS.

Auch forsche nun nicht weiter deinem Leide nach.

IO.

Was du dem Wunsche botest, nimm es nicht zurück!

PROMETHEUS.

Zwiefacher Kunde sei denn eine dir gewährt.

IO.

Sag an die beiden und vergönne mir die Wahl.

PROMETHEUS.

So sei es; wähle, ob ich dir dein ferneres Leid

Soll offenbaren oder, wer mich lösen wird.

IO.

Das eine wolle diesen, mir das andere

Gewähren, nicht mißgönne deines Wortes uns!

CHOR.

So sage dieser ihrer Irrsal weitren Weg,

Mir aber, wer dich rette; danach sehn ich mich.

PROMETHEUS.

Da ihr es wünschet, will ich nicht entgegen sein,

Zu offenbaren alles, was ihr gern vernehmt.

Erst dir denn, Io, deinen vielverwirrten Weg,

Und zeichne treu ihn auf im Täflein deines Sinns.

Sobald der zwei Festlande Grenzstrom hinter dir,

Zum morgenflammenden, sonnenbahnumkreisten Ost

(Geh deines Weges weiter durch der Phryger Land,

Durchs Tal von Teutras, über Lydiens Wiesenaun,

Zur waldumkränzten Bergeshöh Kilikias.

Zwei Ströme gießen ihre Wasser dort hinab

In Aphrodites weizenreiche Niederung;

An ihren Ufern geh entlang. Dann hüte dich,

Daß dich der Hundeköpfigen, der Einaugigen,

Der Brustbeaugten grinsend Volk nicht schrecken mag.)

Dann fern und ferner unermüdet deines Wegs,

Durchschreit des kühlen Meeres Brandung, bis du kommst

Zu den gorgoneischen Feldern von Kisthene, wo

Die drei Phorkiden wohnen, schwangestaltige

Vergreiste Jungfraun, angetan mit einem Aug

Und einem Zahne, die des Helios Strahlenblick

Niemals erreicht hat noch des Mondes nächtig Aug;

Drauf ihre Schwestern, jene drei geflügelten

Gorgonen, schlangenhaarig, menschenhaßgetränkt,

Vor deren Anblick jedem stirbt des Lebens Hauch.

Dies hab ich so dir ausgeführt zum eignen Heil;

Doch höre weiter deine traurige Pilgerschaft.

Sei wohl vor Zeus’ scharfzahnigen, stummen Hunden dann,

Den Greifen, achtsam und dem roßgewandten Volk

Einäugiger Arimaspen, welche weithinaus

Am stillen Goldstrom hausen bei Plutons Gestad;

Vermeide sie. Drauf wirst du fern im fernsten Land

Zu einem schwarzen Volke kommen, das am Quell

Der Sonne wohnet, längs dem Aithiopenstrom;

An seinen Ufern schreite fort, bis daß du nahst

Dem Felsendurchbruch, wo von Byblos’ Bergen her

Der Nil hinabgießt seines Stromes fruchtbare Flut;

Der wird den Weg dir weisen ins dreieckte Land

Neilotis, wo ein neues Heimatland du fern,

Io, für dich und deine Kinder finden wirst. –

Scheint schwankend dir, schwer aufzufinden irgend was,

So wiederhol mir’s und vernimm es deutlicher;

Denn reichre Muße hab ich, als ich wünschen mag!

CHOR.

Wenn du ihr weitres, oder was du noch verschwiegst,

Von ihrer mühsalreichen Fahrt zu sagen hast,

So sag’s; doch hast du alles angeführt, so tu

Auch uns nach unsrer Bitte und vergiß es nicht!

PROMETHEUS.

All ihrer Irrsal Ende hat sie nun gehört;

Doch daß sie sehn mag, wie sie mich nicht nutzlos gehört,

So will ich sagen, was sie, eh sie hergelangt,

Ertrug, um Zeugnis so zu stellen meinem Wort;

Doch laß ich jener Kunde größren Teil hinweg

Und wende mich zum Ziele deines Schweifens selbst.

Denn als du ankamst auf Molossas Ebene

Und bei Dodonas rückensteilem Bergeshang,

Wo Zeus Thesprotos’ Tempel und Orakelort

Und der redenden Eichen vielbestauntes Wunder ist,

Von denen deutlich, alles Rätsels unverhüllt,

Du selbst begrüßet wurdest, Zeus’ vielselge Braut

Dereinst zu werden – lächelst du? du freuest dich? –,

Damals, von Wahnsinn aufgestachelt, flohst du wild

Den Weg am Strand hin bis zu Rheas weiter Bucht,

Von der hinweg du stürmtest rückgewandten Laufs.

In aller Zukunft wird der Busen dieses Meers

Geheißen sein der Ionische – merkt es euch genau –

Zu deiner Fahrt Gedächtnis bei den Sterblichen.

Das sei ein Zeichen meines Sehergeistes dir,

Daß ich zu sehn mehr als das Offenbare weiß. –

Vom weitern hört jetzt beide, du und ihr, Bescheid,

Einbiegend so zu meines Wortes ernstem Gleis,

‘s ist eine Stadt Kanobos fern am Uferland,

Dicht bei des Niles Mündung und erhöhtem Deich,

Dort gibt dir Zeus des Geistes ganze Kraft zurück,

Berührend dich, liebkosend dich mit linder Hand;

Dort wirst du den schwarzen Epaphos gebären, der,

Nach Zeus’ geheimer Kraft genannt, die ihn gezeugt,

Soweit der flurentränkende Nil fließt, ernten wird.

Nach ihm das fünfte, fünfzigkinderblühende

Geschlecht, es wird ungern gen Argos fliehn zu See,

Die fünfzig Jungfraun, vor der Blutverwandten Eh

Der Vettern flüchtig, die, von Liebesglut entflammt,

Gleich Falken wild nachsetzen der Tauben scheuem Flug

Und dieser Hochzeit böse Jagd sich selbst zum Gram

Erjagen; ihres Leibes hütet sie ein Gott.

Aufnimmt sie Pelasgia, wenn die nachtverstohlne List

Des mädchenkühnen Kampfes überwunden hat;

Denn jede bringt ums Leben ihren Bräutigam,

Im heißen Blute kühlend ihr zweischneidig Schwert.

So möge Kypris meinen Feinden blutig nahn!

Indes der Jungfraun eine rührt der Liebe Pfeil,

Den Schlaf des Lieblings nicht zu morden; gramerweicht

Läßt sie’s und wählt von zweien Wegen dies Vergehn,

Ehr schwach genannt zu werden als blutschuldbefleckt.

Sie ist’s, die Argos’ Königsstamm gebären wird;

Viel Worte würd es brauchen, klar dies darzutun;

Doch diesem Stamm entsprießen wird ein kühner Held,

Der Held des Bogens, der mich selbst aus dieser Qual

Wird retten; meine urgeborne Mutter hat,

Titanis Themis, dies Orakel mir gesagt;

Doch wie und wo zu sagen brauchte lange Zeit

Und wäre doch nicht, wenn du’s wüßtest, dir zunutz.

IO.

Eleleu! Eleleu!

Wie mich wieder der Krampf, des zerrütteten Sinns

Wahnwitz mich durchzuckt! Wie die Bremse mich sticht

Mit dem Stachel der Glut!

Es zersprengt mein Herz in Entsetzen die Brust,

Und im Kreis schweift wild der verwilderte Blick!

Von der Bahn mich hinweg reißt taumelgepeitscht,

Ohnmächtig des Worts, mich des Wahnsinns Sturm!

Mein wildes Geschrei, es verhallt mir umsonst

In des Unheils tosender Brandung! –

Io ab.

Erste Strophe

CHOR.

Weise, ja weise genannt

Sei, wer zuerst sich dies in Gedanken ersann und lehrenden Worten es aussprach,

Daß die Brautwahl passend dem eigenen Stamm den Preis verdient.

Nie mag des Reichtums üppig verweichlichender,

Nie des Adels ahnenverherrlichender

Ehe nachgehn, wer um Lohn arbeiten muß!

Erste Gegenstrophe

Nimmer, ja nimmer gescheh’s,

Daß ihr, o Moiren, mich in dem Lager des Zeus je säht zur Genossin erkoren;

Nahe niemals einer der Himmlischen mir als Bräutigam!

Mich graust’s, der scheuen, bräutigamflüchtigen Braut,

Ios hochzeitwelkende Jugend zu schaun,

Ihrer Irrsal arge Qual durch Heras Haß!

Epode

Doch ich, wenn ich in ruhiger, glücklicher Ehe bin, fürchte mich nicht;

Nimmer mög in Liebe mich der hohen Götter unentfliehbar Auge sehn;

Denn das ist ein Kampf, zu bekämpfen, zu leiden, zu meiden nie!

Weiß ich dann, was mir geschähe?

Wie ich Zeus’ Gericht entfliehn könnte, nimmer weiß ich’s! –

PROMETHEUS.

Zeus selbst erscheint noch trotz des stolzen Eigensinns

Einst tief erniedrigt; also knüpft er selbst zum Netz

Sein Ehebündnis, welches ihn aus seiner Macht,

Von seinem Thron ihn tief hinabstürzt. Dann erfüllt

Alloffenbar sich seines Vaters Kronos Fluch,

Den, seines ewgen Throns entstürzend, der geflucht.

Wie dieses Unheil abzuwenden, das vermag

Der Götter niemand ihm zu sagen außer mir.

Ich aber weiß es, weiß den Spruch; drum mag er jetzt

Krafttrotzend thronen, seines luftgen Donners stolz,

Vom Flammenpfeil des Blitzes hell die Hand umsprüht;

Denn alles das wird nichts ihm helfen, nicht hinab-

Zustürzen schmachvoll unerträglich bittren Fall!

Und solchen Gegner rüstet er und wappnet er

Sich selbst, ein allunüberwindbar Wunder einst,

Der heißre Flammen als den Blitzstrahl finden wird

Und lautre Stimme, daß des Donners Macht verstummt,

Der aller Meer und Lande allerschütternden

Trident, Poseidons Zepter, gar zerschmettern wird!

Kommt dies Verhängnis über ihn, dann sieht er ein,

Wie gar verschieden Herrschen und Erliegen sei’n.

CHOR.

Schon lange dräust du, was du gern sähst, gegen Zeus!

PROMETHEUS.

Was einst erfüllt wird, was ich sehr ihm wünsche, war’s!

CHOR.

Und darf sich jemand träumen, Zeus zu bewältigen?

PROMETHEUS.

Furchtbarer Unheil muß er leiden noch denn dies!

CHOR.

Und bist du bang nicht, auszusprechen dieses Wort?

PROMETHEUS.

Was sollt ich fürchten, dem zu sterben nicht verhängt?

CHOR.

Den er vielleicht qualvollre Qual noch dulden heißt.

PROMETHEUS.

So mag er; alles seh ich und erwart ich dreist.

CHOR.

Vor Adrasteia beugt sich stumm des Weisen Geist!

PROMETHEUS.

Bet an, verstumme, beuge dich den Herrschenden,

Mich aber kümmert minder dieser Zeus denn nichts!

Er schalt’ und walte diese kleine Spanne Zeit,

Wie’s ihm gefällt; lang bleibt er nicht der Götter Herr! –

Doch seh ich dorther seinen raschen Läufer schon,

Des neuen Königs neuen Boten eilig nahn;

Gar neue Dinge kommt er wohl uns kundzutun! –

Durch die Luft kommt Hermes daher mit dem Heroldstab und Flügelschuhen.

HERMES.

Dir, Ränkespinner, allen allunleidlichster,

Der du an den Göttern für der Tagesmenschen Heil

Gefrevelt, frecher Feuerdieb, dir sag ich dies:

Der Vater heißt dich, was du prahlst von einstger Eh,

Und wer vom Thron ihn stürzen würde, kundzutun;

Das alles sollst du sonder Rätsel und Betrug

Bestimmt und einfach sagen. Nicht zwiefachen Weg

Laß mich, Prometheus, machen; denn das siehst du wohl,

Zeus wirst du damit nimmermehr besänftigen!

PROMETHEUS.

Vornehm und prunkvoll, stolzen Mutes strotzend, lärmt

Dein Wort, wie freilich dir, dem Götterbuben, ziemt!

Neu herrschet ihr Neulinge und gedenket schon

Gramlos in goldner Burg zu schwelgen! Hab denn ich

Nicht dort hinab schon zween Herrscher stürzen sehn?

An diesem dritten, deinem Herrn, seh ich es bald

Geschehn, am schnellsten, schmählichsten – oder wähnest du,

Den neuen Göttern zittert ich und beugt ich mich?

Dran fehlet viel und alles! Du nun aber magst

Desselben Weges, den du kamst, heimeilen; denn

Von jenem allen, was du fragst, erfährst du nichts!

HERMES.

Du weißt, mit diesem Eigensinn hast du dich einst

In diesen Port gelotset deiner bittren Qual!

PROMETHEUS.

Mit deinem Frondienst möcht ich dies mein Jammerlos,

Daß du es weißest, nimmermehr vertauschen; nein,

Mir ist es süßer, diesem Fels fronbar zu sein

Denn so dem Vater Zeus ein Bote treu und fein!

So muß getrotzt sein gegen euch Alltrotzende!

HERMES.

Behaglich scheint es dir in deinem Los zu sein!

PROMETHEUS.

Behaglich? So behaglich möcht ich allzumal

All meine Feinde sehn! Du selbst gehörst dazu!

HERMES.

So wirfst du mir auch Schuld an deinem Leide vor?

PROMETHEUS.

Mit einem Wort, ganz haß ich all und jeden Gott,

So viele froh selbst wider Recht so bös mir tun!

HERMES.

Wohl seh ich, wie du an schwerer Geistzerrüttung krankst.

PROMETHEUS.

Ja, krank, wenn Krankheit seine Feinde hassen heißt!

HERMES.

Du wärest nicht zu ertragen, wenn’s dir wohl erging’!

PROMETHEUS.

Ach!

HERMES.

Diesen Laut hat Zeus von dir sonst nicht gekannt!

PROMETHEUS.

Die Zeit, sie lernt und lehret alternd alles Ding!

HERMES.

Du aber hast noch nicht verständig sein gelernt!

PROMETHEUS.

Sonst hätt ich dir, dem Götterknecht, kein Wort gegönnt!

HERMES.

Es scheint, du willst nicht sagen, was dir Zeus gebeut?

PROMETHEUS.

Wohl gar ein Schuldner soll ich vergelten seine Lieb?

HERMES.

Als wär ich ein Kind, so höhnst du mein mit deinem Spott!

PROMETHEUS.

Und bist du ein Kind nicht, und beschränkter als ein Kind,

Dir einzubilden, daß von mir du’s hören wirst?

‘s ist keine Marter, keine List, mit der mich Zeus

Bewegen könnte, das zu offenbaren ihm,

Es sei zuvor denn dieser Fesseln Schmach gelöst!

Darum so fahre nieder sein blitzzuckender Strahl,

Im weißgeflügelten Schneegestöber, im donnernden

Erdbeben schwindle, stürze das All rings wild gemischt,

Er soll mich doch nicht beugen, je ihm kundzutun,

Wer ihn hinab einst stürzt von seinem Königtum!

HERMES.

Bedenk, ob dies dir je zum Heil gereichen kann!

PROMETHEUS.

Längst schon bedacht und festbeschlossen hab ich so!

HERMES.

So wag es, Unglückselger, wag es endlich doch,

Des eignen Elends Fülle ganz zu überschaun!

PROMETHEUS.

Du machst mir Ekel mit der Worte leerem Schwall!

Das komme niemals dir in den Sinn, daß ich in Angst

Um Zeus’ Belieben weibisch feig gebärden mich,

Anflehen könnte jenen Allhaßwürdigen

Mit weiberhaftem, armemporgehobnem Flehn,

Zu befrein mich dieser Banden! Nun und nimmermehr!

HERMES.

Zu sprechen schein ich viel vergeblich und umsonst;

Denn dich besänftigt, denn dich rühret nimmermehr

Mein Flehn; den Zügel gleich dem junggezäumten Roß

Zerknirschend, reißend bäumst du wild dich noch im Joch.

Und doch – mit der Ohnmacht Stolz berühmst, betäubst du dich!

Denn Eigensinn kann ohn Verständigkeit und Maß

Für sich allein niemandes Meister sein im Streit.

Bedenke, wenn du meinen Worten nicht gehorchst,

Welch ein Orkan dich, welcher Qualen Brandung dich

Fluchtlos zerschmettert. Denn es wird dies Felsgeklüft

Mit seinen Donnern, mit des Wetterstrahles Keil

Des Vaters Zorn zerreißen, deinen eignen Leib

Versenken, rings umschlossen von des Gesteines Arm.

Wenn dann der Zeiten weites Maß vollendet ist,

So kommst du aufwärts an das Licht; es wird dir dann

Zeus’ flügelwilder, mächtger Aar in heißer Gier

Zerfleischen deines Leibes großes Trümmerfeld,

Wird Gast dir ungeladen, Gast den langen Tag,

Ausweiden deiner schwarzbenagten Leber Rest.

Und dieser Mühsal Heil erwart dir nimmermehr,

Es erscheine dir als deiner Qual Vertreter denn

Ein Gott, bereit, hinabzusteigen in die Nacht

Des Hades, ins grabdunkle Reich des Tartaros!

Demnach bedenk dich; denn erdichtet keineswegs

Ist diese Drohung, sondern nur zu ernst gemeint.

Denn Lügen reden, das versteht Zeus’ heilger Mund

Nicht, sondern all sein Wort erfüllt er; aber du

Betracht es, überleg es dir und halte nicht

Den Eigensinn mehr besser als Besonnenheit! –

CHOR.

Uns scheinet Hermes wahrlich kein unzeitig Wort

Zu sagen; denn er riet dir an, den Eigensinn

Zu lassen, dich zu wenden zur Besonnenheit;

Folg ihm, denn unrecht handeln ist den Weisen Schmach.

PROMETHEUS.

Was zuvor ich bereits längst wußte, das tatst

Du als Bote mir kund! Von dem Feinde der Feind

Solch Leid zu empfahn, das entehrt niemals!

So fahr auf mich zweischneidig des Zorns

Haarsträubender Blitz denn herab, und die Luft,

Sie zerreiße vom Krachen des Donners, vom Krampf

Des empörten Orkans, und die Erde zerwühl

In den Tiefen, empor von den Wurzeln, der Sturm;

Es vermische gepeitscht in verwilderter Wut

Sich die heulende See mit der schweigenden Bahn

Der Gestirne; hinab in die ewige Nacht,

In den Tartaros stürze zerschmettert der Leib

Mit des Schicksals reißendem Strudel hinab –

Doch töten kann er mich nimmer!

HERMES.

Wie der Geist, wie das Wort sich verkehrt, wenn ein Wahn

Die Gedanken verstört, das zeiget sich hier.

Was bleibet ihm fremd denn des Wahnsinns noch?

Und trifft es ihn jetzt, wie vergäß er der Wut?

Doch ihr, die ihr tief sein qualvoll Los

Mitfühlt und beweint, geht, Mädchen, hinweg

Aus diesem Bereich, flieht ferne, damit

Das Bewußtsein euch nicht schwinde, betäubt

Vom unendlichen Krachen des Donners!

CHORFÜHRERIN.

Find besseren Rat und ermahne mich so,

Wie ich folgen dir kann; denn es ist in der Tat

Unerträglich der Rat, der verführen mich soll!

Wie gebietest du mir, mich der Schande zu weihn?

Nein, dulden mit ihm will ich sein Los;

Denn ich habe Verräter zu hassen gelernt,

Und ich weiß kein Gift,

Mir mehr denn dieses verächtlich!

HERMES.

Wohl denn; was ich jetzt euch sage, bedenkt!

Wenn der lärmenden Jagd ihr des Jammers erliegt,

Klagt euer Geschick nicht an, sagt nie,

Euch habe so Zeus unerwartet hinab

Ins Verderben gestürzt; denn wissentlich seid,

Nicht eilig verlockt, nicht heimlich umgarnt,

Ins unendliche Netz des Verhängnisses jetzt

Ihr verstrickt durch eure Verblendung! –

Hermes ab; mächtiges Tosen in der Luft; Erdbeben.

PROMETHEUS.

Schon wird es zur Tat, kein nichtiges Wort!

Es erbebet die Erd,

Und es zuckt und es zischt wild, Blitz auf Blitz,

Sein Flammengeschoß, aufwirbeln den Staub

Windstöße; daher rast allseits Sturm,

Wie im Taumel gejagt; ineinander gestürzt

Mit des Aufruhrs Wut, mit Orkanes Geheul,

Ineinander gepeitscht, stürzt Himmel und Meer! –

Und solch ein Gericht, es umtost, es umschlingt

Mich, von Zeus mir gesandt, mich zu schrecken mit Graun! –

O heilige Mutter, o Äther, des all-

Heilspendenden Lichts allheilige Bahn,

Seht, welch Unrecht ich erdulde! –

Prometheus’ Felsen verschlingt ein Abgrund.

William Shakespeare – Was ihr wollt

William Shakespeare: Was ihr wollt

Erster Aufzug

Erste Scene

Der Pallast.

Der Herzog, Curio, und etliche Herren vom Hofe treten auf.

Herzog.

Wenn Musik die Nahrung der Liebe ist, so spielt fort; stopft mich voll damit, ob vielleicht meine Liebe von Ueberfüllung krank werden, und so sterben mag – – Dieses Passage noch einmal; – – es hat einen so sterbenden Fall: O, es schlüpfte über mein Ohr hin, wie ein sanfter Südwind, der Gerüche gebend und stehlend über ein Violen-Bette hinsäuselt. – – Genug! nichts mehr! Es ist nicht mehr so anmuthig, als es vorhin war. O Geist der Liebe, wie sprudelnd und launisch bist du! weit und unersättlich wie die See, aber auch darinn ihr ähnlich, daß nichts da hineinkömmt, von so hohem Werth es auch immer sey, das nicht in einer Minute von seinem Werth herab und zu Boden sinke – –

Curio.

Wollt ihr jagen gehen, Gnädigster Herr?

Herzog.

Was?

Curio.

Den Hirsch.

Herzog.

– – Wie? das wäre das edelste was ich habe: O, wie ich Olivia zum erstenmal sah, däuchte mich, sie reinigte die Luft von einem giftigen Nebel; von diesem Augenblik an ward‘ ich in einen Hirsch verwandelt, und meine Begierden, gleich wilden, hungrigen Hunden, verfolgen mich seither – – Valentin tritt auf. Nun, was für eine Zeitung bringt ihr mir von ihr?

Valentin.

Gnädigster Herr, ich wurde nicht vorgelassen; alles was ich statt einer Antwort erhalten konnte, war, daß ihr Kammer-Mädchen mir sagte, die Luft selbst sollte in den nächsten sieben Jahren ihr Gesicht nicht bloß zu sehen kriegen; sondern gleich einer Kloster-Frau will sie in einem Schleyer herum gehen, und alle Tage ein mal ihr Zimmer rund herum mit Thränen begiessen: Alles diß aus Liebe zu einem verstorbenen Bruder, dessen Andenken sie immer frisch und lebendig in ihrem Herzen erhalten will.

Herzog.

O, Sie, die ein so fühlendes Herz hat, daß sie einen Bruder so sehr zu lieben fähig ist; wie wird sie lieben, wenn Amors goldner Pfeil die ganze Heerde aller andern Zuneigungen, ausser einer einzigen, in ihrer Brust getödtet hat? Wenn Leber, Gehirn und Herz, drey unumschränkte Thronen, alle von Einem (o entzükende Vorstellung) von Einem und demselben König besezt und ausgefüllt sind! Folget mir in den Garten – – Verliebte Gedanken ligen nirgends schöner, als unter einem grünen Thron-Himmel, auf Polstern von Blumen. (Sie gehen ab.)

Zweite Scene

Die Strasse.

Viola, ein Schiffs-Capitain, und etliche Matrosen.

Viola.

In was für einem Lande sind wir, meine Freunde.

Capitain.

In Illyrien, Gnädiges Fräulein.

Viola.

Und was soll ich in Illyrien machen, da mein Bruder im Elysium ist? – – Doch vielleicht ist er nicht umgekommen; was meynt ihr, meine Freunde?

Capitain.

Es ist ein blosses Glük, daß ihr selbst gerettet worden seyd.

Viola.

O mein armer Bruder! – – aber, hätt‘ er dieses Glük nicht auch haben können?

Capitain.

Es ist wahr; und wenn die Hoffnung eines glüklichen Vielleicht Eu. Gnaden beruhigen kan, so versichre ich euch, wie unser Schiff strandete, und ihr und diese wenigen, die mit euch gerettet wurden, an unserm Boot hiengen, da sah ich euern Bruder, selbst in dieser äussersten Gefahr, Muth und Vorsicht nicht verliehrend, sich selbst an einen starken Mast binden, der auf der See umhertrieb; und auf diese Art schwamm er, wie Arion auf dem Rüken des Delphins, durch die Wellen fort, bis ich ihn endlich aus den Augen verlohr.

Viola.

Hier ist Gold für diese gute Nachricht. Meine eigne Rettung läßt mich auch die seinige hoffen, und dein Bericht bestärkt mich hierinn. Bist du in dieser Gegend bekannt?

Capitain.

Ja, Madam, sehr wohl; der Ort wo ich gebohren und erzogen wurde, ist nicht drey Stunden Wegs von hier entfernt.

Viola.

Wer regiert hier?

Capitain.

Ein edler Herzog, den Eigenschaften und dem Namen nach.

Viola.

Wie nennt er sich?

Capitain.

Orsino.

Viola.

Orsino? Ich erinnre mich, daß ich von meinem Vater ihn nennen hörte; er war damals noch unvermählt.

Capitain.

Er ist’s auch noch, oder war’s doch vor kurzem; denn es ist nicht über einen Monat, daß ich von her abreisete, und damals murmelte man nur einander in die Ohren, (ihr wißt, wie gerne die Kleinern von dem, was die Grossen thun, schwazen,) daß er sich um die Liebe der schönen Olivia bewerbe.

Viola.

Wer ist diese Olivia?

Capitain.

Eine junge Dame von grossen Eigenschaften, die Tochter eines Grafen, der vor ungefehr einem Jahr starb, und sie unter dem Schuz seines Sohns, ihres Bruders, hinterließ; aber auch diesen hat sie erst kürzlich durch den Tod verlohren; und man sagt, sie sey so betrübt darüber, daß sie die Gesellschaft, ja so gar den blossen Anblik der Menschen verschworen habe.

Viola.

Wenn ich nur ein Mittel wißte, in die Dienste dieser Dame zu kommen, ohne eher in der Welt für das was ich bin bekannt zu werden, als ich es selbst meinen Absichten verträglich finden werde.

Capitain.

Das wird schwer halten; denn sie läßt schlechterdings niemand vor sich, sogar den Herzog nicht.

Viola.

Du hast das Ansehen eines rechtschaffnen Manns, Capitain; und obgleich die Natur manchmal den häßlichsten Unrath mit einer schönen Mauer einfaßt, so will ich doch von dir glauben, daß dein Gemüth mit diesem feinen äusserlichen Schein übereinstimme: Ich bitte dich also, (und ich will deine Mühe reichlich belohnen,) verheele was ich bin, und verhilf mir zu einer Verkleidung, die meinen Absichten beförderlich seyn mag. Ich will mich in die Dienste dieses Herzogs begeben; stelle mich ihm als einen Castraten vor; es kan deiner Mühe werth seyn; ich kan singen, ich spiele verschiedene Instrumente, und bin also nicht ungeschikt ihm die Zeit zu verkürzen; was weiter begegnen kan, will ich der Zeit überlassen; nur beobachte du auf deiner Seite ein gänzliches Stillschweigen über mein Geheimniß.

Capitain.

Seyd ihr sein Castrat, ich will euer Stummer seyn. Verlaßt euch auf meine Redlichkeit.

Viola.

Ich danke dir; führe mich weiter. (Sie gehen ab.)

Dritte Scene

Verwandelt sich in ein Zimmer in Olivias Hause. Sir Tobias und Maria treten auf.

Vierte Scene

Sir Andreas zu den Vorigen. Der Character des Sir Tobias und seines Freundes gehört in die unterste Tiefe des niedrigen Comischen; ein paar mäßige, lüderliche, rauschichte Schlingels, deren platte Scherze, Wortspiele und tolle Einfälle nirgends als auf einem Engländischen Theater, und auch da nur die Freunde des Ostadischen Geschmaks und den Pöbel belustigen können. Wir lassen also diese Zwischen-Scenen um so mehr weg, als wir der häuffigen Wortspiele wegen, öfters Lüken machen müßten. Alles was in diesen beyden Scenen einigen Zusammenhang mit unserm Stüke hat, ist dieses, daß Sir Tobias seinen Zechbruder, Sir Andreas, als einen Liebhaber der schönen Olivia ins Haus einführt und ganz ernsthaft der Meynung ist, daß sie ein recht artiges wohlzusammengegattetes Paar ausmachen würden; und daß Jungfer Maria den würdigen Oheim ihrer Dame höflich ersucht, um seiner Gesundheit willen sich weniger zu besauffen; und um der Ehre des Hauses willen, seine Bacchanalien nicht so tief in die Nacht hinein zu verlängern.

Fünfte Scene

Verwandelt sich in den Pallast.

Valentin, und Viola in Mannskleidern, treten auf.

Valentin.

Wenn der Herzog fortfährt euch so zu begegnen wie bisher, Cäsario, so werdet ihr in kurzem einen grossen Weg machen; er kennt euch kaum drey Tage, und er begegnet euch schon, als ob es so viele Jahre wären.

Viola.

Ihr müßt entweder seiner Laune oder meiner Aufführung nicht viel gutes zutrauen, wenn ihr die Fortsezung seiner Gunst in Zweifel ziehet. Ist er denn so unbeständig in seinen Zuneigungen, mein Herr?

Valentin.

Nein, das ist er nicht. Der Herzog, Curio und Gefolge treten auf.

Viola.

Ich danke euch; hier kommt der Herzog.

Herzog.

Sah keiner von euch den Cäsario, he?

Viola.

Hier ist er, Gnädigster Herr, zu Befehl.

Herzog (zu den andern.)

Geht ihr ein wenig auf die Seite – – Cäsario, du weist bereits nicht weniger als alles; ich habe dir das Innerste meines Herzens entfaltet. Geh also zu ihr, mein guter Junge; laß dich nicht abweisen, postiere dich vor ihrer Thüre, und sag ihr, du werdest da wie eingewurzelt stehen bleiben, bis sie dir Gehör gebe.

Viola.

Gnädigster Herr, wenn sie sich ihrer Betrübniß so sehr überläßt, wie man sagt, so ist nichts gewissers, als daß sie mich nimmermehr vorlassen wird.

Herzog.

Du must ungestüm seyn, schreyen, und eher über alle Höflichkeit und Anständigkeit hinüberspringen, als unverrichteter Sachen zurük kommen.

Viola.

Und gesezt, ich werde vorgelassen, Gnädigster Herr, was soll ich sagen?

Herzog.

O dann entfalte ihr die ganze Heftigkeit meiner Liebe; preise ihr meine ungemeine Treue an; es wird dir wol anstehen, ihr mein Leiden vorzumahlen; sie wird es von einem jungen Menschen, wie du, besser aufnehmen, und mehr darauf Acht geben, als wenn ich einen Unterhändler von ernsthafteren Ansehen gebrauchte.

Viola.

Ich denke ganz anders, Gnädigster Herr.

Herzog.

Glaube mir’s, mein lieber Junge; deine Jugend wäre schon genug, diejenigen lügen zu heissen, die dich einen Mann nennten. Dianens Lippen sind nicht sanfter und rubinfarbiger als die deinigen; deine Stimme ist wie eines Mädchens, zart und hell, und dein ganzes Wesen hat etwas weibliches an sich. Ich bin gewiß, du bist unter einer Constellation gebohren, die dich in solchen Unterhandlungen glüklich macht; du wirst meine Sache besser führen, als ich selbst thun könnte. Geh also, sey glüklich in deiner Verrichtung, und du sollst alles was mein ist, dein nennen können.

Viola.

Ich will mein Bestes thun, Gnädigster Herr – – (vor sich.) Eine beschwerliche Commission! Ich soll ihm eine andre kuppeln, und wäre lieber selbst sein Weib. (Sie gehen ab.)

Sechste Scene

Olivia’s Haus.

Maria und der Narr vom Hause treten auf.

Maria schilt den Narren aus, daß er so lange ausgeblieben, und sagt ihm, die Gnädige Frau werde ihn davor hängen lassen. Der Narr erwiedert dieses Compliment mit Einfällen, an denen der Leser nichts verliehrt; man weiß daß auch der allersinnreichste und unerschöpflichste Hans Wurst doch endlich genöthiget ist, sich selbst zu wiederholen, so gut als ein andrer wiziger Kopf; und so geht es Shakespears Clowns oder Narren von Profeßion auch; sie haben ihre locos communes, auf denen sie wie auf Steken-Pferden herumreiten, wenn ihnen nichts bessers einfallen will; und dieser wird endlich der Zuhörer und der Leser satt.

Siebende Scene

Olivia und Malvolio zu den Vorigen.

Narr.

O Verstand, sey so gut und hilf mir den Narren machen – – Diese gescheidten Leute, welche sich einbilden sie haben dich, beweisen sehr oft daß sie Narren sind; und ich, bey dem es ausgemacht ist, daß ich dich nicht habe, mag für einen weisen Mann gelten. Denn was sagt Quinapalus? Besser ein wiziger Narr, als ein närrischer Wizling! Guten Tag, Frau!

Olivia.

Schaft mir den Narren weg.

Narr.

Hört ihr’s nicht, Kerls? Schaft mir die Frau weg.

Olivia.

O, geh; du bist ein trokner Narr; ich habe deiner genug; zu allem Ueberfluß wirst du zu deiner Albernheit noch ungesittet.

Narr.

Das sind zween Fehler, die sich durch guten Rath und einen Krug Halb-Bier verbessern lassen. Denn, gebt dem troknen Narren zu trinken, so ist der Narr nicht mehr troken: Sagt dem ungesitteten Menschen, wie er sich verbessern soll, so wird er nicht länger ungesittet seyn. Alle Dinge in der Welt, die man ausbessert, werden geflikt; Tugend, die sich vergeht, ist nur mit Sünde geflikt; und Sünde, die sich bessert, ist nur mit Tugend geflikt. Wenn dieser einfältige Syllogismus die Sache ausmacht, wol gut; wo nicht, was ist zu thun? Gleichwie kein andrer wahrer Hahnrey ist als Elend; so ist Schönheit eine vergängliche Blume: Die Gnädige Frau sagte, man solle den Narren wegschaffen, also sag ich noch einmal, schafft sie weg.

Olivia.

Sir, ich befahl daß man euch wegschaffen sollte.

Narr.

Mißverstand im höchsten Grade Gnädiges Fräulein, cucullus non facit monachum; das ist auf Deutsch: Mein Hirn sieht nicht so buntschekicht aus als mein Rok: Liebe Madonna, wollt ihr mir erlauben, euch zu beweisen, daß ihr eine Närrin seyd?

Olivia.

Wie willt du das machen?

Narr.

Gar geschikt, gute Madonna.

Olivia.

Nun, so beweise dann.

Narr.

Ich muß euch vorher catechisieren, Madonna, wenn ihr mir antworten wollt.

Olivia.

Gut, Sir, so schlecht der Zeitvertrieb ist, so wollen wir doch euern Beweis hören.

Narr.

Gute Madonna, warum traurest du?

Olivia.

Um meinen Bruder, guter Narr.

Narr.

Ich denke, seine Seele ist also in der Hölle, Madonna?

Olivia.

Ich weiß, seine Seele ist im Himmel, Narr.

Narr.

Eine desto grössere Närrin seyd ihr, Madonna, dafür zu trauern, daß euer Bruder im Himmel ist; schaft mir die Närrin weg, meine Herren.

Olivia.

Was denkt ihr von diesem Narren, Malvolio? Verbessert er sich nicht?

Malvolio.

Ja, und wird sich verbessern bis ihm die Seele ausgehen wird. Zunehmende Jahre machen den vernünftigen Mann abnehmen, und verbessern hingegen den Narren, weil er je älter je närrischer wird.

Narr.

Gott send‘ euch ein frühzeitiges Alter, Herr, um eure Narrheit desto bälder zu ihrer Vollkommenheit zu bringen! Sir Tobias würde schwören wenn man’s verlangte, daß ich kein Fuchs sey; aber er würde sich nicht für zwey Pfenninge verbürgen, daß ihr kein Narr seyd.

Olivia.

Was sagt ihr hiezu, Malvolio?

Malvolio.

Mich wundert, wie Eu. Gnaden an einem so abgeschmakten Schurken ein Belieben finden kan; ich sah ihn erst gestern von einem alltäglichen Narren, der nicht mehr Hirn hatte als ein Stein, zu Boden gelegt. Seht nur, er weiß sich schon nicht mehr zu helfen; wenn ihr nicht vorher schon lacht, und ihm die Einfälle die er haben soll auf die Zunge legt, so steht er da, als ob er geknebelt wäre. Ich versichre, diese gescheidte Leute, die über die albernen Frazen dieser Art von gedungenen Narren so krähen können, sind in meinen Augen die Narren der Narren.

Olivia.

O, ihr seyd am Eigendünkel krank, Malvolio, und habt einen ungesunden Geschmak. Edelmüthige, schuldlose und aufgeräumte Leute sehen diese Dinge für Vögel-Schrot an, die euch Canon-Kugeln scheinen; ein Narr von Profeßion kan niemand beschimpfen, wenn er gleich nichts anders thut als spotten; so wie ein Mann von bekannter Klugheit niemals spottet, wenn er gleich nichts anders thäte als tadeln. Maria zu den Vorigen.

Maria.

Gnädige Frau, es ist ein junger Herr vor der Thüre, der ein grosses Verlangen trägt, mit Euer Gnaden zu sprechen.

Olivia.

Von dem Grafen Orsino, nicht wahr?

Maria.

Ich weiß es nicht, Gnädige Frau, er ist ein hübscher junger Mann, und er macht Figur.

Olivia.

Wer von meinen Leuten unterhält ihn?

Maria.

Sir Tobias, Gnädige Frau, euer Oehm.

Olivia.

Macht daß ihr ihn auf die Seite bringt, ich bitte euch; er spricht nichts als tolles Zeug; der garstige Mann! Geht ihr, Malvolio; wenn es eine Gesandschaft vom Grafen ist, so bin ich krank oder nicht bey Hause: Sagt was ihr wollt, um seiner los zu werden. (Malvolio geht ab.) Ihr seht also, Sir, eure Narrheit wird alt und gefällt den Leuten nicht mehr.

Narr.

Du hast unsre Parthey genommen, Madonna, als ob dein ältester Sohn zu einem Narren bestimmt wäre; Jupiter füll‘ ihm seinen Schedel mit Hirn aus! Hier kommt einer von deiner Familie, der eine sehr schwache pia mater hat – –

Achte Scene

Sir Tobias zu den Vorigen.

Olivia.

Auf meine Ehre, halb betrunken. Wer ist vor der Thür, Onkel?

Sir Tobias.

Ein Edelmann.

Olivia.

Ein Edelmann? Was für ein Edelmann?

Sir Tobias.

Ein Mutter-Söhnchen, dem Ansehen nach – – der Henker hole diese Pikelhäringe! Was machst du hier, Dumkopf?

Narr.

Guter Sir Toby – –

Olivia.

Onkel, Onkel, wie kommt ihr schon so früh zu dieser Lethargie?

Sir Tobias.

Es ist einer vor der Pforte, sag ich.

Olivia.

Nun, wer ist er denn?

Sir Tobias.

Er kan meinethalb der Teufel selber seyn, wenn er will, was bekümmert mich’s; glaubt mir was ich sage. Gut, es ist all eins. (Er geht ab.)

Olivia.

Wem ist ein berauschter Mann gleich, Narr?

Narr.

Einem Narren, einem Ertrunknen und einem Rasenden. Das erste Glas über das was genug ist macht ihn närrisch; das zweyte macht ihn rasend; und das dritte ertränkt ihn gar.

Olivia.

So kanst du nur gehen und ein visum repertum über meinen Oehm machen lassen; er ist würklich im dritten Grade der Trunkenheit; er ist ertrunken; geh, sieh zu ihm.

Narr.

Er ist dermalen erst toll, Madonna, und der Narr wird gehn und zu dem Tollhäusler sehen. (Er geht ab.) Malvolio zu den Vorigen.

Malvolio.

Gnädige Frau, der junge Bursche schwört, daß er mit euch reden wolle. Ich sagte ihm, ihr befändet euch nicht wohl; er antwortet, so komme er eben recht, denn er habe ein vortrefliches Arcanum gegen dergleichen Unpäßlichkeiten. Ich sagte ihm, ihr schliefet, aber es scheint er habe das auch vorher gewußt, und will deßwegen mit euch sprechen. Was soll man ihm sagen, Gnädige Frau? Er will sich schlechterdings nicht abweisen lassen.

Olivia.

Sagt ihm, er solle mich nicht zu sprechen kriegen.

Malvolio.

Das hat man ihm gesagt; und seine Antwort ist, er wolle vor eurer Pforte stehen bleiben wie eine Säule, er wolle das Fußgestell zu einer Bank abgeben; aber er wolle mit euch sprechen.

Olivia.

Von was für einer Gattung Menschen-Kindern ist er?

Malvolio.

Wie, von der männlichen.

Olivia.

Aber was für eine Art von einem Mann?

Malvolio.

Von einer sehr unartigen; er will mit euch reden, ihr mögt wollen oder nicht.

Olivia.

Wie sieht er aus, und wie alt mag er seyn?

Malvolio.

Nicht alt genug, einen Mann und nicht jung genug, einen Knaben vorzustellen; mit einem Wort, ein Mittelding zwischen beyden, ein hübsches, wohlgemachtes Bürschgen, und er spricht ziemlich nasenweise; man dächte, er habe noch was von seiner Mutter Milch im Leibe.

Olivia.

Laßt ihn kommen; ruft mir mein Mädchen.

Malvolio.

Jungfer, die Gnädige Frau ruft. (Er geht ab.)

Neunte Scene

Maria tritt auf.

Olivia.

Gieb mir meinen Schleyer: Komm, zieh ihn über mein Gesicht: Wir wollen doch noch einmal hören, was Orsino’s Gesandtschaft anzubringen haben wird. Viola zu den Vorigen.

Viola.

Wo ist die Gnädige Frau von diesem Hause?

Olivia.

Redet mit mir, ich will für sie antworten; was wollt ihr?

Viola.

Allerglänzendste, auserlesenste und unvergleichlichste Schönheit – – ich bitte euch, sagt mir, ob das die Frau vom Hause ist, denn ich sah sie noch niemals. Es wäre mir leid, wenn ich meine Rede umsonst gehalten hätte; denn ausserdem daß sie über die maassen wol gesezt ist, so hab ich mir grosse Mühe gegeben, sie auswendig zu lernen. Meine Schönen, eine deutliche Antwort; ich bin sehr kurz angebunden, wenn mir nur im geringsten mißbeliebig begegnet wird.

Olivia.

Woher kommt ihr, mein Herr?

Viola.

Ich kan nicht viel mehr sagen als ich studiert habe und diese Frage ist nicht in meiner Rolle. Mein gutes junges Frauenzimmer, gebt mir hinlängliche Versicherung daß ihr die Frau von diesem Hause seyd, damit ich in meiner Rede fortfahren kan.

Olivia.

Seyd ihr ein Comödiant?

Viola.

Nein, vom innersten meines Herzens wegzureden; und doch schwör‘ ich bey den Klauen der Bosheit, ich bin nicht was ich vorstelle. Seyd ihr die Frau vom Hause?

Olivia.

Wenn ich mich selbst nicht usurpiere, so bin ich’s.

Viola.

Unfehlbar, wenn ihr sie seyd, usurpiert ihr euch selbst; denn was euer ist um es wegzugeben, das kömmt euch nicht zu, für euch selbst zurük zu behalten; doch das ist aus meiner Commißion. Ich will den Eingang meiner Rede mit euerm Lobe machen, und euch dann das Herz meines Auftrags entdeken.

Olivia.

Kommt nur gleich zur Hauptsache; ich schenke euch das Lob.

Viola.

Desto schlimmer für mich; ich gab mir so viele Müh es zu studieren, und es ist so poetisch!

Olivia.

Desto mehr ist zu vermuthen, daß es übertrieben und voller Dichtung ist. Ich bitte euch, behaltet es zurük. Ich hörte, ihr machtet euch sehr unnüze vor meiner Thüre, und ich erlaubte euch den Zutritt mehr aus Fürwiz euch zu sehen, als euch anzuhören. Wenn ihr nicht toll seyd, so geht; wenn ihr Verstand habt, so macht’s kurz; es ist gerade nicht die Monds-Zeit bey mir, da ich Lust habe in einem so hüpfenden Dialog‘ eine Person zu machen.

Maria.

Wollt ihr eure Segel aufziehen, junger Herr, hier ligt euer Weg.

Viola.

Nein, ehrlicher Schiffs-Junge, ich werde hier noch ein wenig Flott machen.

Olivia.

Was habt ihr dann anzubringen?

Viola.

Ich bin ein Deputierter.

Olivia.

Wahrhaftig, ihr müßt etwas sehr gräßliches zu sagen haben, da eure Vorrede so fürchterlich ist. Redet was ihr zu reden habt.

Viola.

Es bezieht sich allein auf euer eignes Ohr. Ich bringe keine Kriegs-Erklärung; ich trage den Oelzweig in meiner Hand, und meine Worte sind eben so friedsam als gewichtig.

Olivia.

Und doch fienget ihr unfreundlich genug an. Wer seyd ihr? Was wollt ihr?

Viola.

Wenn ich unfreundlich geschienen habe, so ist es der Art wie ich empfangen wurde, zuzuschreiben. Was ich bin und was ich will, das sind Dinge, die so geheim sind wie eine Jungferschaft; für euer Ohr, Theologie; für jedes andre, Profanationen.

Olivia.

Laßt uns allein. (Maria geht ab.) Wir wollen diese Theologie hören. Nun, mein Herr, was ist euer Text?

Viola.

Allerliebstes Fräulein – –

Olivia.

Eine trostreiche Materie, und worüber sich viel sagen läßt. Wo steht euer Text?

Viola.

In Orsino’s Busen.

Olivia.

In seinem Busen? In was für einem Capitel seines Busens?

Viola.

Um in der nemlichen Methode zu antworten, im ersten Capitel seines Herzens.

Olivia.

O, das hab‘ ich gelesen; es ist Kezerey. Ist das alles was ihr zu sagen habt?

Viola.

Liebe Madam, laßt mich euer Gesicht sehen.

Olivia.

Habt ihr Commission von euerm Herrn, mit meinem Gesicht Unterhandlungen zu pflegen? Ihr geht izt zwar über euern Text hinaus; aber wir wollen doch den Vorhang wegziehen, und euch das Gemählde zeigen. Seht ihr, mein Herr; so eines trag‘ ich dermahlen; ist’s nicht wohl gemacht? (Sie enthüllt ihr Gesicht.)

Viola.

Vortrefflich, wenn Gott alles gemacht hat.

Olivia.

Davor steh ich euch; es ist von der guten Farbe; es hält Wind und Wetter aus.

Viola.

O, gewiß kan nur die schlaue und anmuthreiche Hand der Natur weiß und roth auf eine so reizende Art auftragen, und in einander mischen – – Gnädiges Fräulein, ihr seyd die grausamste Sie in der ganzen Welt, wenn ihr solche Reizungen ins Grab tragen wollt, ohne der Welt eine Copey davon zu lassen.

Olivia.

O, mein Herr, so hartherzig will ich nicht seyn; ich will verschiedene Vermächtnisse von meiner Schönheit machen. Es soll ein genaues Inventarium davon gezogen, und jedes besondre Stük meinem Testament angehängt werden. Als, item, zwo erträglich rothe Lippen. Item, zwey blaue Augen, mit Augliedern dazu. Item, ein Hals, ein Kinn, und so weiter. Seyd ihr hieher geschikt worden, mir eine Lobrede zu halten?

Viola.

Ich sehe nun, was ihr seyd; ihr seyd zu spröde; aber wenn ihr der Teufel selbst wäret, so muß ich gestehen, daß ihr schön seyd. Mein Gebieter und Herr liebt euch: O! eine Liebe, wie die seinige, könnte mit der eurigen, mehr nicht als nur belohnt werden, und wenn ihr zur Schönsten unter allen Schönen des Erdbodens gekrönt worden wäret.

Olivia.

Wie liebt er mich dann?

Viola.

Mit einer Liebe, die bis zur Abgötterey geht, mit immer fliessenden Thränen, mit liebe-donnerndem Aechzen und Seufzern von Feuer.

Olivia.

Euer Herr weiß meine Gesinnung schon, er weiß daß ich ihn nicht lieben kan. Ich zweifle nicht daß er tugendhaft, und ich weiß daß er edel, von grossem Vermögen, von frischer und unverderbter Jugend ist; er hat den allgemeinen Beyfall vor sich, und ist reizend von Gestalt; aber ich kan ihn nicht lieben; ich hab es ihm schon gesagt, und er hätte sich meine Antwort auf diesen neuen Antrag selbst geben können.

Viola.

Wenn ich euch liebte wie mein Herr, mit einer so quälenden, so verzehrenden Liebe, so würd‘ ich mich durch eine solche Antwort nicht abweisen lassen; ich würde gar keinen Sinn in ihr finden.

Olivia.

Wie, was thätet ihr denn?

Viola.

Ich würde Tag und Nacht vor eurer Thüre ligen, und so lange hinein ruffen bis mir der Athem ausgienge: ich würde klägliche Elegien über meine unglükliche Liebe machen, und sie selbst in der Todesstille der Nacht laut vor euerm Fenster singen; euern Namen den zurükschlagenden Hügeln entgegen ruffen, und die schwazhafte Gevatterin der Luft (die Echo) an Olivia sich heiser schreyen machen! O ich wolte euch nirgends Ruhe lassen, bis ihr Mitleiden mit mir hättet.

Olivia.

Ihr könntet es vielleicht weit genug bringen. Was ist euer Stand?

Viola.

Ueber meine Glüks-Umstände, doch bin ich zufrieden; ich bin ein Edelmann.

Olivia.

Kehrt zu euerm Herrn zurük; ich kan ihn nicht lieben; er soll mich mit seinen Gesandtschaften verschonen; ausser ihr wolltet noch einmal zu mir kommen, um mir zu sagen, wie er meine Erklärung aufgenommen hat; lebt wohl; ich dank‘ euch für eure Mühe: nemmt diß zu meinem Andenken – –

Viola.

Ich bin kein Bote der sich bezahlen läßt; Gnädiges Fräulein, behaltet euern Beutel: Mein Herr, nicht ich, bedarf eurer Gütigkeit. Möchte sein Herz von Kieselstein seyn, und ihr so heftig in ihn verliebt werden, als er’s ist, damit ihr die ganze Qual einer verschmähten Liebe fühltet! Lebt wohl, schöne Unbarmherzige! (Sie geht ab.)

Olivia (allein.)

Was ist euer Stand? Ueber meine Glüks-Umstände, doch bin ich zufrieden; ich bin ein Edelmann – – Ich wollte schwören daß du es bist! Deine Sprache, dein Gesicht, deine Gestalt, deine Gebehrden und dein Geist machen eine fünffache Ahnen-Probe für dich – – nicht zu hastig – – sachte! Sachte! – – Es müßte dann bestimmt seyn – – wie, was für Gedanken sind das? Kan man so plözlich angestekt werden? Es ist mir nicht anders, als fühlt‘ ich die Annehmlichkeiten dieses jungen Menschen, mit unsichtbarem leisem Tritt zu meinen Augen hineinkriechen. Gut, laßt es gehn – – He, Malvolio! – – Malvolio tritt auf.

Malvolio.

Hier, Gnädige Frau, zu euerm Befehl.

Olivia.

Lauffe diesem nemlichen wunderlichen Abgesandten, des Herzogs seinem Diener, nach; er ließ diesen Ring zurük, ich wollte oder wollte nicht; sag ihm, ich woll‘ ihn schlechterdings nicht. Ersuch ihn, seinem Herrn nicht zu schmeicheln, und ihn nicht mit falschen Hoffnungen aufzuziehen; ich sey nicht für ihn: wenn der junge Mensch morgen dieser Wege kommt, will ich ihm Ursachen dafür geben. Eile, Malvolio. Malvolio geht ab.

Olivia.

Ich thue etwas, und weiß selbst nicht was; ich besorge, ich besorge, meine Augen haben mein Herz überrascht! Schiksal, zeige deine Macht: Wir sind nicht Herren über uns selbst; was beschlossen ist, muß seyn, und so sey es dann! (Sie geht ab.)

Zweiter Aufzug

Erste Scene

Die Strasse.

Antonio und Sebastiano treten auf.

Antonio.

Ihr wollt also nicht länger bleiben? Und ihr wollt auch nicht erlauben, daß ich mit euch gehe?

Sebastiano.

Nein, verzeiht mir’s; meine Sterne scheinen dunkel über mir; der mißgünstige Einfluß meines Schiksals möchte auch das eurige ansteken; erlaubt mir also, daß ich mich von euch beurlaube, um mein Unglük allein zu tragen. Es würde eine schlechte Belohnung für eure Freundschaft seyn, wenn ich euch auch nur den kleinsten Theil davon auflegen wollte.

Antonio.

Laßt mich wenigstens nur wissen, wohin ihr gehen wollt.

Sebastiano.

Meine Reise ist in der That nichts anders, mein Herr, als ein wunderlicher Einfall, ohne besondere Absicht – – Doch diese edle Bescheidenheit, womit ihr euch zurükhaltet, mir abzunöthigen, was ich, wie ihr merket, gerne bey mir behalten wollte, verbindet mich, von selbst näher gegen euch heraus zu gehen. Wisset also, Antonio, daß mein Name Sebastiano und nicht Rodrigo ist, wie ich vorgab; mein Vater war dieser Sebastiano von Messaline, von dem ihr ohne Zweifel gehört haben müßt. Er hat mich mit einer Schwester hinterlassen, die in der nemlichen Stunde mit mir gebohren worden; möcht‘ es dem Himmel gefallen haben, daß wir auch ein solches Ende genommen hätten. Aber ihr, mein Herr, verhindertet das; denn ungefehr eine Stunde, eh ihr mich aus dem Schiffbruch aufnahmet, war meine Schwester ertrunken.

Antonio.

Ich bedaur‘ euch von Herzen.

Sebastiano.

Eine junge Dame, mein Herr, welche, ob man gleich eine sonderbare Aehnlichkeit zwischen ihr und mir finden wollte, doch von vielen für schön gehalten wurde; und wenn ich gleich über diesen Punkt nicht zu leichtgläubig seyn möchte, so darf ich hingegen kühnlich von ihr behaupten, daß sie ein Gemüthe hatte, das der Neid selbst nicht anders als schön nennen könnte: Nun ist sie ertrunken, mein Herr, und ihr Andenken preßt mir Thränen aus, die ich nicht zurükhalten kan.

Antonio.

Vergebet mir, mein Herr, daß ihr nicht besser bedient worden seyd.

Sebastiano.

O mein allzugütiger Antonio; vergebet mir die Unruhe die ich euch gemacht habe.

Antonio.

Wenn ihr mich für meinen guten Willen nicht ermorden wollt, so laßt mich euer Diener seyn.

Sebastiano.

Wenn ihr eure Wohlthat nicht wieder vernichten, und ein Leben wieder nehmen wollt, das ihr erhalten habt, so muthet mir das nicht zu. Lebt wohl auf immer; mein Herz ist zu sehr gerührt, als daß ich mehr sagen könnte; meine Augen reden für mich – – Ich muß an des Herzogs Orsino Hof; Lebet wohl. (Er geht ab.)

Antonio.

Die Huld aller Götter begleite dich! Ich habe mir Feinde an Orsino’s Hofe gemacht, sonst solltest du mich dort bald in deinem Wege finden: Und doch, es entstehe daraus was immer will, ich liebe dich so sehr daß mich keine Gefahr abschreken kan; ich will gehen. (Geht ab.)

Zweyte Scene

Malvolio trift Viola, in ihrer Verkleidung als Cäsario an, und richtet den Auftrag bey ihr aus, den ihm Olivia vorhin gegeben, und da Viola den Ring nicht annehmen will, wirft er ihn endlich vor ihre Füsse und geht ab.

Viola (allein.)

Ich ließ keinen Ring bey ihr ligen; was meynt diese Dame damit? Das Unglük wird doch nicht wollen, daß ihr meine Gestalt in dieser Verkleidung gefährlich gewesen! Sie schien mich mit günstigen Augen anzusehen, in der That, so sehr, daß ihre Augen ihre Zunge verhext und gelähmt zu haben schienen; denn sie sprach sehr zerstreut und ohne Zusammenhang – – Sie liebt mich, so ist es; und der Auftrag den sie diesem plumpen Abgesandten gemacht, ist ein Kunstgriff, mir ihre Liebe auf eine feine Art zu erkennen zu geben – – Sie will keinen Ring von meinem Herrn; wie? er schikte ihr ja keinen; ich bin der Mann – – Wenn es so ist, (und es ist so) das arme Fräulein! so wär es noch besser für sie, in ein blosses Phantom verliebt zu seyn. Verkleidungen sind, wie ich sehe, eine Gelegenheit, deren Satan sich wol zu bedienen weiß. Wie wenig es braucht, um in ein wächsernes Weiber-Herz Eindruk zu machen! Himmel! daran hat unsre Gebrechlichkeit Schuld, nicht wir; wenn wir so gemacht sind, was können wir dafür, daß wir so sind? – – Aber wie wird sich das zusammen schiken? Mein Herr liebt sie aufs äusserste; ich, arme Mißgestalt, bin eben so stark von ihm bethört; und sie, durch den Schein betrogen, seufzt um mich. Was wird aus diesem allem werden? In so fern ich ein Mann bin, könnte meine Liebe zu Orsino in keinem verzweifeltern Zustand seyn; in so fern ich ein Mädchen bin, wie viele vergebliche Seufzer wird die arme Olivia aushauchen! Hier ist lauter Hoffnunglose Liebe, auf allen Seiten. O Zeit, du must diß entwikeln, nicht ich; es ist ein Knoten, der zu hart verschlungen ist, als daß ich ihn auflösen könnte. (Sie geht ab.)

Dritte Scene

Verwandelt sich in Olivias Haus. Sir Tobias und Sir Andreas, nebst dem Narren.

Vierte Scene

Maria, und endlich auch Malvolio zu den Vorigen. Diese beyden Zwischen-Scenen sind der Uebersezung unwürdig, und eines Aufzugs unfähig.

Fünfte Scene

Verwandelt sich in den Pallast.

Der Herzog, Viola, Curio, und andre.

Herzog.

Macht mir ein wenig Musik; nun guten Morgen, meine Freunde: Wie, mein wakrer Cäsario, in der That, das Stükchen, das alte ehrliche Gassen-Liedchen, das wir lezte Nacht hörten, machte mir leichter ums Herz als diese flüchtigen Läuffe, diese studierten Säze einer rauschenden und schwindlicht sich im Kreise herumdrehenden Symphonie – – Kommt, nur eine Strophe – –

Curio.

Gnädigster Herr, es ist niemand da, der es singen könnte.

Herzog.

Wer sang es denn gestern?

Curio.

Fest, der Pikelhäring, der Narr, mit dem der Gräfin Olivia Vater soviel Kurzweil hatte. Er ist ausgegangen.

Herzog.

Sucht ihn auf, und spielt indessen die Melodie. Komm hieher, Junge: wenn du jemals erfahren wirst was Liebe ist, so denk‘ in ihren süssen Beklemmungen an mich; so wie ich bin, sind alle Liebhaber: unstät und launisch in allen andern Vorstellungen, als allein in dem Bilde des Geliebten, das immer vor ihren Augen schwebt – – wie gefällt dir dieser Ton?

Viola.

Er giebt ein wahres Echo von dem Siz, wo die Liebe thront.

Herzog.

Du sprichst meisterlich. Ich seze mein Leben dran, dein Herz ist nicht so unerfahren als du jung bist; du hast geliebt, nicht wahr, Junge?

Viola.

Ein wenig, Gnädigster Herr.

Herzog.

Von was für einer Gattung Weibsbilder ist sie?

Viola.

Sie sieht Eu. Gnaden gleich.

Herzog.

So ist sie deiner nicht werth. Wie alt, ernsthafter Weise?

Viola.

Von euerm Alter, Gnädigster Herr.

Herzog.

So ist sie zu alt; ein Weibsbild soll immer einen ältern nehmen als sie ist, so daurt sie ihn aus, und ist sicher, ihren Plaz in ihres Mannes Herzen immer zu behalten. Denn, glaube mir, Junge, wir mögen uns so schön machen als wir wollen, so sind doch unsre Zuneigungen immer weit schwindlichter, unsteter, schwankender, und leichter abgenuzt und verlohren, als der Weiber ihre.

Viola.

Das denk‘ ich selbst, Gnädigster Herr.

Herzog.

Wähle dir also eine Liebste die jünger als du bist, oder deine Liebe wird von keiner Dauer seyn: Denn Weiber sind wie Rosen; in der nemlichen Stunde, da ihre schöne Blume sich völlig entfaltet, fällt sie ab.

Viola.

Und so sind sie; wie schade, daß sie so sind! daß sie in dem Augenblik sterben, worinn sie den Punkt ihrer Vollkommenheit erreicht haben. Curio und der Narr zu den Vorigen.

Herzog.

O, komm du, guter Freund – – Das Lied von gestern Nachts – – Gieb Acht darauf, Cäsario, es ist alt und einfältig; die Spinnerinnen und Strikerinnen, wenn sie an der Sonne bey ihrer Arbeit sizen, und die muntern Webers-Mädchen, wenn sie zetteln, pflegen es zu singen; es ist ein läppisches, kindisches Ding, aber es sympathisiert mit der Unschuld der Liebe, wie man vor Alters liebte.

Narr.

Seyd ihr fertig, Herr?

Herzog.

Ja; sing, ich bitte dich. Ein Lied.*

Herzog.

Hier ist was für deine Mühe.

Narr.

Keine Mühe, Herr; singen ist ein Vergnügen für mich, Herr.

Herzog.

So will ich dir dein Vergnügen bezahlen.

Narr.

Das ist ein anders, Herr; Vergnügen will über kurz oder lange bezahlt seyn.

Herzog.

Du kanst nun wieder gehen, so schnell du willst.

Narr.

Nun, der melancholische Gott der Liebe behüte dich, und der Schneider mache dir ein Wamms von schielichtem Taft; denn dein Gemüth ist ein wahrer Opal. Leute von solcher Standhaftigkeit müßte man mir über Meer schiken, damit ihr Geschäfte allenthalben und ihr Ziel nirgends wäre; denn das ist gerade was man braucht, um von einer langen Reise nichts nach Hause zu bringen. Lebt wohl. (Er geht ab.) * Der Verfasser der Beurtheilung des ersten Theils dieser Uebersezung, in der Bibliothek der schönen Wissenschaften hat eine so glükliche Probe mit einem Liede des Narren im König Lear gemacht, daß wir ihm auch dieses Gassenhauerchen überlassen wollen. Es ist in der That alles was Orsino davon sagt, aber es müßte, um nicht alles zu verliehren in der Sprache Sebastian Brands oder einer noch ältern, in der nemlichen oder einer ganz ähnlichen Versart, mit der nemlichen Wahrheit der Erfindung, und tändelnden Einfalt des Ausdruks, übersezt werden – – eine Arbeit, welche vielleicht schwerer ist, als das feinste Sonnet von einem Zappi, in Reime zu übersezen.

Sechste Scene

Herzog.

Macht uns Plaz ihr andern – – Versuch es noch zum leztenmal, Cäsario; geh noch einmal zu dieser schönen Unerbittlichen; sag ihr, meine Liebe lege einer Menge von ausgebreiteten Erdschollen die man Ländereyen heißt, keinen Werth bey; sag ihr, die Güter die das Glük ihr zugelegt habe, seyen in meinen Augen so eitel als das Glük selbst; ihr Gemüth allein, dieses Wunder, dieses unvergleichliche Kleinod, das die Natur so schön gefaßt hat, ziehe meine Seele an, und wenn sie die ganze Welt zum Brautschaz hätte, so würde sie in meinen Augen nicht reizender seyn.

Viola.

Aber wenn sie euch nun nicht lieben kan, Gn. Herr?

Herzog.

Ich will keine solche Antwort haben.

Viola.

Aber wie dann, wenn ihr müßt? Sezet den Fall, es gäbe eine junge Dame, wie es vielleicht eine giebt, die aus Liebe zu euch diese nemliche Quaal in ihrem Herzen fühlte, die ihr für Olivia fühlt; und ihr könntet sie nicht lieben, und ihr sagtet ihr das; müßte sie sich diese Antwort nicht gefallen lassen?

Herzog.

Es giebt kein weibliches Herz das stark genug wäre, den Sturm einer so heftigen Leidenschaft auszuhalten, wie die meinige ist – – es giebt keines, das groß genug wäre, eine solche Liebe zu fassen. Ihre Liebe verdient mehr den Namen eines flüchtigen Gelusts, sie reizt nur ihren Gaumen, nicht ihre Leber, und endigt sich bald durch Ueberfüllungen Ekel und Abscheu; da die meinige hingegen so hungrig ist wie die See, und eben so viel verdauen kan. Mache keine Vergleichung zwischen der Liebe die ein Weibsbild für mich haben kan, und der meinigen für Olivia.

Viola.

Gut, und doch weiß ich – –

Herzog.

Was weißst du?

Viola.

Nur zuwohl was für einer Liebe die Weibsbilder zu den Mannsleuten fähig sind. Aufrichtig zu reden, sie haben so getreue Herzen als wir immer. Mein Vater hatte eine Tochter die jemand so sehr liebte, als ich vielleicht, wenn ich ein Weibsbild wäre, Euer Gnaden lieben würde.

Herzog.

Und was ist ihre Geschichte?

Viola.

Ein weisses Blatt Papier: Nie entdekte sie ihre Liebe sondern ließ ihr Geheimniß, gleich einem Wurm in der Knospe, an ihrer Rosenwange nagen: Sie verschloß ihre Quaal in ihr Herz, und, in blasser hinwelkender Schwermuth, saß sie wie die Geduld auf einem Grabmal, und lächelte ihren Kummer an. War das nicht Liebe, wahre Liebe? Wir Männer mögen mehr reden, mehr schwören, aber daß wir besser lieben, daran läßt sich zweiffeln, ohne uns Unrecht zu thun; wir zeigen immer mehr als wir fühlen – – und unsre Liebe ist oft desto schwächer, je stärker wir sie ausdruken.

Herzog.

Aber starb deine Schwester an ihrer Liebe, Junge?

Viola.

Ich bin alle Töchter die von meines Vaters übrig sind, und alle Brüder dazu – – und doch weiß ich nicht – – Gnädigster Herr, soll ich zu dieser Dame gehen?

Herzog.

Ja, das ist die Sache. Eile zu ihr; gieb ihr dieses Kleinod; sag ihr, meine Liebe könne und werde sich nicht abtreiben lassen. (Sie gehen ab.)

Siebende, achte und neunte Scene

Jungfer Maria hatte mit den beyden würdigen Junkern Sir Tobias und Sir Andreas, in der vierten Scene den Plan zu einem kleinen Streich angelegt, den sie, zu ihrer allerseitigen Belustigung, dem Malvolio, einem einbildischen, in sich selbst verliebten, dummen und dabey sehr feyrlichen Gesellen, spielen wollten. Dieses Complott wird nun in diesen dreyen Scenen ausgeführt. Maria schreibt in ihrer Gebieterinn Namen einen Brief worinn Oliviens Hand so gut als möglich nachgeahmt ist, und legt ihn an einen Ort, wo ihn Malvolio finden muß. Man kan sich vorstellen, was für närrisches Zeug ein solcher Bursche anzugeben fähig ist, da er Oliviens eigne Hand dafür zu haben glaubt, daß sie sterblich in ihn verliebt sey. Alles was wir aus diesem Intermezzo der Uebersezung würdig halten, ist das Gespräch des Malvolio das er mit sich selbst hält, eh und da er den unterschobnen Brief findet, und aus welchem wir nur die abgeschmakten Ausruffungen, Schwüre und Parenthesen weglassen, welche die beyden Junkers a parte machen. Die Scene ist in Olivias Garten. Maria zu Sir Tobias, Sir Andreas und Fabian.

Maria.

Geht, verbergt euch alle drey in die Laube dort; Malvolio kommt diesen Gang herauf; er stuhnd schon diese halbe Stunde lang dort in der Sonne, und gesticulirte gegen seinem eignen Schatten – – gebt auf ihn acht, ich bitte euch, ihr werdet Spaß davon haben: Denn ich bin sicher, dieser Brief wird ihn in die lächerlichste Betrachtungen versenken – – Haltet euch still, wenn ihr euch nicht selbst einen Spaß verderben wollt – – lieg du da – – (Sie wirft den Brief hin, und entfernt sich.) Malvolio tritt auf; mit sich selbst redend.

Malvolio.

Es kommt alles aufs Glük an, alles aufs Glük! Maria sagte mir neulich, sie könne mich überaus wohl leiden, und ich habe selbst gehört, daß sie sich herausgelassen hat, wenn sie sich verlieben wollte, so müßt‘ es in einen von meiner Figur seyn. Ueberdem begegnet sie mir immer mit einer gewissen Achtung, das sie sonst für keinen von ihren Bedienten thut. Was soll ich von der Sache denken – – das wäre mir eins, Graf Malvolio – – Man hat doch dergleichen Exempel – – Die Princessin von Thracien heurathete einen Bedienten von der Garderobe – – Wenn ich dann drey Monate mit ihr verheurathet wäre, und sässe da auf meinem Guthe – – und rieffe meine Officianten um mich herum, in meinem ausgeschnittnen Samtnen Rok – – nachmittags, vom Ruhbette aufgestanden, wo ich Olivia schlafend gelassen hätte – – und dann nähm ich den Humor an den mein Stand erforderte; gienge, die Hände kreuzweis auf den Rüken gelegt, ganz ernsthaft auf und ab, schaute sie dann mit einem kalten, überhinfahrenden Blik an, und sagte ihnen, ich wisse wer ich sey, und wünschte, sie möchten auch wissen wer sie seyen – fragte nach meinem Onkel Tobias – – Sechs oder Sieben von meinen Leuten führen dann plözlich auf, und rennten einander nieder vor Eilfertigkeit ihn aufzusuchen; indessen mach ich eine weil‘ ein finstres Gesicht, ziehe vielleicht meine Uhr auf, oder tändle mit dem Schaupfenning an der goldnen Kette, die ich um die Schultern hängen habe – – Dann kommt Tobias herbey, macht seine Verbeugungen sobald er mich erblikt – – ich streke meine Hand so gegen ihn aus, und lösche mein vertrauliches Lächeln mit einem strengen herrischen Blik – – sag ihm, Onkel Tobias, da mein Schiksal mich eurer Nichte zugeworfen hat, so hoff ich das Recht zu haben zu reden – – ihr müßt euer starkes Trinken lassen – – und zudem verderbt ihr eure kostbare Zeit mit einem närrischen Junker – – einem gewissen Sir Andreas – – He? was giebts hier zu thun? – – (Er hebt den Brief auf.) Bey meinem Leben, das ist der Gnädigen Frau ihre Hand: Das sind ihre natürlichen C., ihre U., und ihre T., und so macht sie ihre grosse P. Es ist ihre Hand, da ist nicht dawider einzuwenden – – Dem Geliebten Ungenannten dieses und meine Zärtlichsten Wünsche: Das ist ihre Schreib-Art: Mit Erlaubniß, Wachs. Sachte! Und das Sigel ihre Lucretia, mit der sie alle ihre Briefe zu sigeln pflegt: An wen mag das seyn?

Das ich lieb‘, ist euch, ihr Götter, kund;

aber wen, verschweige stets, mein Mund Das soll also ein Geheimniß seyn? – – Seltsam! was folgt weiter? Aber wen, verschweige stets mein Mund – – wie wenn du das wärest, Malvolio? – – Sachte, hier haben wir auch Prosa – – »Wenn dieses in deine Hände kommt, so liese es mehr als ein mal. Mein Gestirn hat mich über dich gesezt, aber fürchte dich nicht vor Grösse; einige werden groß gebohren, andre arbeiten sich zu Grösse empor, andern wird sie zugeworffen. Dein glükliches Schiksal öffnet seine Arme gegen dich; habe den Muth ihm entgegen zu eilen; und um dich bey Zeiten an das zu gewöhnen, was du wahrscheinlicher Weise werden wirst, so wirf dein allzu demüthiges Betragen von dir, und zeige dich in einem vortheilhaftern Lichte. Begegne meinem Vetter zuversichtlich, und den Bedienten trozig; rede von Staats-Sachen; nimm in allen Stüken etwas sonderliches an. Das ist der Rath derjenigen, die für dich seufzet. Erinnre dich, wer dir rieth gelbe Strümpfe zu tragen und sie unter dem Knie zu binden. Ich sag‘, erinnre dich daran; Geh, geh, du bist ein gemachter Mann, wenn du nur willst: Wo nicht, so bleibe dann dein Lebenlang ein Hausmeister, der Camerad von Bedienten und unwürdig Fortunens Finger zu berühren. Adieu. Sie, die geneigter ist, deine Sclavin zu seyn, als dir zu gebieten, o glüklicher Sterblicher« – – Sonnenlicht kan nichts klärer machen als das ist – – Das heiß‘ ich klar. Ja, ich will stolz seyn, ich will politische Bücher lesen, ich will Sir Tobiesen scheeren, ich will mit meinen vorigen Bekannten thun, als kennt‘ ich sie nicht, kurz, ich will thun, wie mein Herr selbst. Es ist offenbar, daß ich mir nicht zu viel schmeichle, daß es keine blosse Einbildung ist; alles überzeugt mich, daß die Gnädige Frau verliebt in mich ist. Sie ermahnte mich lezthin gelbe Strümpfe zu tragen, sie lobte meine Beine – – und hier haben wir’s wiederum, und auf eine Art, als ob sie es für eine Gefälligkeit aufnehmen wolle, wenn ich mich nach ihrem Geschmak puze. Dank sey meinen Sternen, ich bin glüklich: Ich will so fremde thun, daß man mich nicht mehr kennen soll, gelbe Strümpfe tragen, und sie unter den Knien binden, und das gleich diesen Augenblik. Jupiter und mein Gestirn sey gepriesen! – – Hier ist noch ein Postscript – – Es ist unmöglich daß du nicht errathen solltest wer ich bin – – wenn dir meine Liebe angenehm ist, so zeig es durch dein Lächeln; das Lächeln läßt dir gar zu gut. Lächle also immer in meiner Gegenwart, mein Allerliebster, ich bitte dich darum – – Jupiter! ich danke dir! Ich will lächeln, ich will alles thun, was du von mir verlangst. (ab.)

Dritter Aufzug.

Erste Scene

Olivia’s Garten. Ein wiziger Wett-Kampf zwischen Viola und dem Narren.

Zweyte Scene

Sir Tobias mit seinem Freund, zu den Vorigen. Bald darauf auch Olivia und Maria.

Dritte Scene

Olivia und Viola allein.

Olivia.

Gebt mir eure Hand, mein Herr.

Viola.

Mit meinen unterthänigsten Diensten, Gnädige Frau.

Olivia.

Wie ist euer Name?

Viola.

Cäsario ist euers Dieners Name, schöne Princessin.

Olivia.

Meines Dieners, mein Herr? Die Welt hat ihre beste Anmuth verlohren, seitdem man erdichtete Gesinnungen Complimente nennt: Ihr seyd des Herzogs Orsino Diener, junger Mensch – –

Viola.

Und also der eurige, Gnädige Frau. Der Diener euers Dieners, muß nothwendig auch euer Diener seyn.

Olivia.

An ihn denk‘ ich nun gar nicht; ich wollte, seine Gedanken wären lieber gar leer als mit mir angefüllt.

Viola.

Gnädige Frau, ich komme in der Absicht, eure schönen Gedanken zu seinem Vortheil zu wenden.

Olivia.

O, mit eurer Erlaubniß, ich bitte euch – – Ich sagt‘ euch ja, ihr möchtet mir nichts mehr von ihm sagen. Ihr könntet eine andre Sayte rühren, wo ich euch lieber hören wollte als Musik aus dem Himmel.

Viola.

Gnädige Frau – –

Olivia.

Mit Erlaubniß, wenn ich bitten darf. Ich schikte euch, nach der lezten zaubrischen Erscheinung, die ihr hier machtet, einen Ring nach. Es war ein Schritt, dessen Bedeutung ihr nicht mißverstehen konntet, und der mich vielleicht in euern Augen herabgesezt hat. Was konntet ihr davon denken? Habt ihr deßwegen so nachtheilig von meiner Ehre gedacht als ein unempfindliches Herz denken kan? Einem von euerm Verstand, ist genug gesagt; ein Cypern, nicht ein Busen dekt mein armes Herz. Und nun laßt hören, was ihr zu sagen habt.

Viola.

Ich bedaure euch.

Olivia.

Das ist eine Stuffe zur Liebe.

Viola.

Nicht allemal; wir bedauren oft sogar unsre Feinde.

Olivia.

Wie dann, so ist es Zeit wieder zu lächeln. O Welt, wie geneigt die Armen sind stolz zu seyn! Wenn man ja zum Raube werden muß, so ist es doch besser durch einen Löwen zu fallen als durch einen Wolf. (Die Gloke schlägt.) Die Gloke wirft mir vor daß ich die Zeit verderbe. Fürchtet euch nicht, guter junger Mensch, ich mache keine Ansprüche an euch; und doch wenn Verstand und Jugend bey euch zur Reiffe gekommen seyn werden, so wird eure Frau, allem Ansehen nach, einen feinen Mann haben: Hier ligt euer Weg, westwärts.

Viola.

So wünsch‘ ich Euer Gnaden Vergnügen und guten Humor; habt ihr mir nichts an meinen Herrn aufzugeben, Madam?

Olivia.

Warte noch; ich bitte dich, sage mir was du von mir denkst?

Viola.

Ich denke, ihr denkt ihr seyd nicht was ihr seyd.

Olivia.

Wenn ich so denke, so denk ich das nemliche von euch.

Viola.

Und so denkt ihr recht, ich bin nicht was ich bin.

Olivia.

Ich wollt‘ ihr wäret wie ich euch wünschte.

Viola.

Würd‘ ich besser seyn, Madam, als wie ich bin? Ich wollt es wäre so, denn izt bin ich euer Narr.

Olivia.

Wie anmuthig selbst Verachtung und Zorn auf seinen schönen Lippen sizt.* Mördrische Schuld verräth sich nicht schneller, als Liebe die sich verbergen will: Die Nacht der Liebe ist Mittag. Cäsario, bey den Rosen des Frühlings, bey meiner jungfräulichen Ehre und Treue, und bey allem in der Welt, ich liebe dich so sehr, daß, troz allem deinem spröden Wesen, weder Wiz noch Vernunft meine Leidenschaft verbergen kan. Erzwinge dir daher, daß ich dir mein Herz selbst antrage, keinen Grund es zu verschmähen; denke lieber so, (du wirst so richtiger denken) gesuchte Liebe ist gut; aber ungesucht geschenkt, ist sie noch besser.

Viola.

Ich schwöre bey meiner Unschuld und Jugend, ich habe Ein Herz, Einen Busen, und Eine Treue, und diese hat kein Weibsbild; noch wird jemals Eine Meisterin davon seyn als ich selbst. Und hiemit, adieu, Gnädiges Fräulein; niemals werd‘ ich mich wieder gebrauchen lassen, euch meines Herrn Thränen vorzuweinen.

Olivia.

Komm nichts desto minder wieder; vielleicht mag es dir endlich gelingen, dieses Herz, das izt seine Liebe verabscheut, zu einer zärtlichern Gesinnung zu bewegen. (Sie gehen ab.)

Vierte Scene

Verwandelt sich in ein Zimmer in Olivias Haus. Sir Tobias, Sir Andreas und Fabian. Sir Tobias und Fabian bemühen sich den Sir Andreas zur Eifersucht gegen den Cäsario oder die verkleidete Viola zu reizen, und bereden ihn, Olivia habe dem Cäsario nur darum so gut begegnet, um zu sehen, ob er, Andreas, so geduldig dazu seyn werde; Sir Tobias sezt hinzu, sie habe ohnfehlbar erwartet, daß er irgend einen tapfern Ausfall gegen seinen Nebenbuhler wagen würde, und da dieses nicht geschehen, so sey er nun ganz gewiß sehr tief in ihrer guten Meynung gefallen. Du bist nun, sagt er, in den Norden, von meiner Nichte guter Meynung hineingesegelt, wo du hangen wirst wie ein Eiszapfe an eines Holländers Bart, wofern du dich nicht durch irgend eine kühne That wieder losmachst – – Kurz, sie bereden ihn endlich, daß er sich schlechterdings mit Cäsario schlagen müsse, und Sir Tobias erbietet sich, diesem die Ausforderung zu überbringen; welche zu schreiben dann Sir Andreas abgeht.

Fünfte Scene

Fabian und Sir Tobias machen sich zum voraus über die Kurzweile lustig, die sie von diesem Zweykampf erwarten. Sir Tobias gesteht von seinem Freund daß er eine Memme sey; wenn man ihn öfnete, sagt er, und ihr findet nur soviel Blut in seiner Leber, daß eine Floh die Füsse darinn naß machen könnte, so will ich den Rest der Anatomie aufessen. Indem kommt Maria zu ihnen, und bittet sie mit ihr zu gehen und zu sehen, wie seltsam sich Malvolio in seinen gelben, unter den Knien gebundnen Strümpfen gebehrde, und wie pünctlich er der Vorschrift des von ihr unterschobnen Briefs nachlebe. Er lächelt (sagt sie) sein breites Gesicht in mehr Linien als auf der neuen Land-Carte sind, die mit den beyden Indien vermehrt ist; ihr habt euere Tage nichts so gesehen; ich bin gewiß, mein Fräulein wird ihm eine Ohrfeige geben; wenn sie’s thut, so wird er lächeln und es für eine grosse Gunstbezeugung aufnemen.

Sechste Scene

Verwandelt sich in die Strasse. Sebastian und Antonio treten auf. Sie freuen sich einander wieder zufinden; Sebastian bittet seinen Freund mit ihm zu gehen, um die Merkwürdigkeiten der Stadt zu sehen; Antonio antwortet, er getraue sich, weil er ehedem gegen den Herzog gedient und ihm einen namhaften Schaden gethan habe, nicht, sich so öffentlich sehen zu lassen, er bestellt also den Sebastian auf den Abend ins Wirthshaus zum Elephanten, giebt ihm, auf den Fall, wenn er etwann Lust hätte etwas einzukauffen, seinen Beutel, und verläßt ihn, um ihm das Nacht-Quartier zu bestellen. * Von hier an bis zu Ende dieser Scene, ist im Original alles in Reimen.

Siebende Scene

Verwandelt sich in Olivias Haus.

Olivia und Maria.

Olivia.

Ich habe nach Cäsario geschikt; er sagt, er will kommen; was soll ich ihm für Ehre anthun? Was soll ich ihm geben? Denn Jugend wird öfters erkauft als erbettelt oder entlehnt – – Ich rede zu laut – – Wo ist Malvolio? Er ist ernsthaft und höflich, er schikt sich gut zu einem Bedienten für eine Person von meinen Umständen; wo ist Malvolio?

Maria.

Er kommt sogleich, Gnädiges Fräulein, aber in einem seltsamen Aufzug. Er ist ganz unfehlbar besessen, Gnädiges Fräulein.

Olivia.

Wie, wo fehlt es ihm? Raßt er denn?

Maria.

Nein, Gnädiges Fräulein, er thut nichts als lächeln; Euer Gnaden wird wohlthun, jemand zur Sicherheit bey sich zu haben: denn, ganz gewiß, der Mann ist nicht recht richtig unterm Hut.

Olivia.

Geh, ruf ihm. – – Malvolio tritt auf. – – Ich bin so närrisch als er immer, wenn traurige und lustige Narrheit auf eins hinauslauffen – – Nun, wie gehts, Malvolio?

Malvolio.

Liebstes Fräulein, ha, ha. (Er lächelt auf eine abgeschmakte Art.)

Olivia.

Lächelst du? Ich schikte nach dir, um dich zu einem ernsthaften Geschäfte zu gebrauchen.

Malvolio.

Ernsthaft? Ich könnte wol ernsthaft aussehen, dieses starke Binden unter den Knien macht einige Obstruction im Geblüt; aber was thut das? Wenn es nur Einer gefällt, so geht mir’s vollkommen wie es in dem Sonnet heißt: Gefall ich Einer, so gefall ich Allen.

Olivia.

Wie, was bedeutet das, Mann? Was fehlt dir?

Malvolio.

Es ist in meinem Kopf nicht so schwarz als meine Beine gelb sind: Es ist mir richtig zu Handen gekommen, und Befehle sollen vollzogen werden. Ich denke, wir kennen diese schöne Römische Hand.

Olivia.

Willt du nicht zu Bette gehen, Malvolio?

Malvolio (leise.)

Zu Bette? Ja, Liebchen, und mit dir.

Olivia.

Gott behüte dich! Warum lächelst du so, und küssest deine Hand so oft?

Maria.

Was fehlt euch, Malvolio?

Malvolio.

Habt ihr zu fragen? Wahrhaftig! Nachtigallen antworten gleich Krähen!

Maria.

Wie untersteht ihr euch mit einer so lächerlichen Kühnheit vor meiner Gnäd. Fräulein zu erscheinen?

Malvolio.

Fürchte dich nicht vor Grösse; – – Das war wol gegeben.

Olivia.

Was meynst du damit, Malvolio.

Malvolio.

Einige werden groß gebohren – –

Olivia.

Ha?

Malvolio.

Andre arbeiten sich zur Grösse empor – –

Olivia.

Was sagst du?

Malvolio.

Und andern wird sie zugeworfen.

Olivia.

Der Himmel helfe dir wieder zurechte!

Malvolio.

Erinnre dich, wer dir befahl gelbe Strümpfe zu tragen – –

Olivia.

Deine gelbe Strümpfe?

Malvolio.

Und wünschte, daß du sie unterm Knie binden möchtest?

Olivia.

Unterm Knie binden?

Malvolio.

Geh, geh, du bist ein gemachter Mann, wenn du nur willst.

Olivia.

Was sagst du?

Malvolio.

Wo nicht, so bleibe dein Lebenlang ein Bedienter.

Olivia.

Wie, das ist ja eine wahre Hundstags-Tollheit. (Ein Bedienter meldet den Cäsario an, Olivia geht ab, nachdem sie Befehl ertheilt hat, daß man zu Malvolio Sorge trage.)

Achte Scene

Malvolio, der seine Sachen vortrefflich gemacht zu haben glaubt, bestärkt sich selbst, in einem kleinen Monologen, in seinem angenehmen Wahnwiz, und hält sich seines Glüks so gewiß, daß ihm nichts übrig bleibe, als den Göttern davor zu danken.

Neunte Scene

Sir Tobias, Fabian und Maria zu Malvolio.

Sir Tobias.

Wo ist er, wo ist er, im Namen alles dessen was gut ist? Und wenn alle Teufel in der Hölle sich ins Kleine zusammengezogen hätten und in ihn gefahren wären, so will ich mit ihm reden.

Fabian.

Hier ist er, hier ist er. Wie steht’s um euch, Herr? Wie steht’s um euch?

Malvolio.

Geht eurer Wege; ich entlaß euch; laßt mich bey mir selbst; geht eurer Wege.

Maria.

Seht, wie der böse Feind aus ihm heraus redt! Sagt ich’s euch nicht? Sir Tobias, die Gnädige Fräulein bittet euch, Sorge zu ihm zu tragen.

Malvolio.

Ah, ha! Thut sie das?

Sir Tobias.

Geh, geh; still, still, wir müssen säuberlich mit ihm verfahren; laßt mich allein machen. Wie! Mann! Laß den Teufel nicht Meister seyn; bedenke, daß er ein Feind der Menschen ist.

Malvolio (ernsthaft und stolz.)

Wißt ihr auch was ihr sagt?

Maria.

Da seht ihr; wenn ihr was böses vom Teufel sagt, wie er’s gleich zu Herzen nimmt – – Gott gebe, daß er nicht besessen seyn möge!

Fabian.

Man muß sein Wasser zu der weisen Frauen tragen.

Maria.

Meiner Treue, das soll auch gleich morgen gethan werden, wenn ich das Leben habe. Mein Gnädiges Fräulein würd‘ ihn um mehr als ich sagen mag nicht verliehren wollen.

Malvolio.

Nun wie, Jungfer?

Maria.

O Himmel!

Sir Tobias.

Ich bitte dich, schweige; das ist nicht das rechte Mittel: Siehst du nicht, daß du ihn nur böse machst? Laßt mich allein mit ihm.

Fabian.

Nur keinen andern Weg als Freundlichkeit; nur sanft, nur sanft; der böse Feind ist gar kurz angebunden, er läßt nicht grob mit sich umgehen.

Sir Tobias.

Nun, wie, wie steht’s, mein Truthähnchen? Wie geht’s dir, mein Herzchen?

Malvolio.

Sir? – –

Sir Tobias.

Ja, ich bitte dich, komm du mit mir. Wie, Mann, es schikt sich nicht für einen so weisen Mann wie du bist mit dem Teufel den Narren zu treiben. An den Galgen mit dem garstigen Kohlenbrenner!

Maria.

Laßt ihn sein Gebet hersagen, lieber Sir Tobias; laßt ihn beten.

Malvolio.

Beten, du Affen-Gesicht?

Maria.

Da, hört ihr’s, er will von nichts gutem reden hören.

Malvolio.

Scheret euch alle an den Galgen: Ihr seyd ein einfältiges dummes Pak; ich bin nicht euers Gelichters; ihr werdet mich seiner Zeit schon kennen lernen. (Er geht ab.)

Sir Tobias.

Ist’s möglich?

Fabian.

Wenn man das in einer Comödie spielen würde, wer würd‘ es nicht als eine unwahrscheinliche Erdichtung verurtheilen? (In dem Rest dieser Scene freuen sich Sir Tobias und seine Consorten, daß ihnen ihre Absicht so wol gelungen sey, und entschliessen sich nicht abzulassen, bis sie den armen Malvolio, zur Züchtigung seines Uebermuths in ein finstres Gemach und an Bande gebracht haben würden.)

Zehnte

Scene

Sir Andreas kommt mit der Ausforderung, die er indessen aufgesezt hat, zu den Vorigen, und ließt ihnen das abgeschmakteste Zeug vor, das man sich träumen lassen kan. Alle geben ihm ihren Beyfall, und muntern ihn auf, sich wohl zu halten. Sir Tobias nimmt auf sich, die Ausforderung dem Cäsario einzuhändigen und schikt den Sir Andreas in den Garten, wo er seinem Gegner, der sich würklich bey Fräulein Olivia befindet, aufpassen soll. Allein sobald er weggegangen ist, entdekt Tobias dem Fabian daß er weit entfernt sey, einem so feinen jungen Edelmann als Cäsario zu seyn scheine, ein so vollgültiges Document der verächtlichen Schwäche seines Gegners zu geben; denn so würde der Spaß gleich ein Ende haben: er finde also besser, seine Comission mündlich abzulegen, und dem jungen Cäsario einen ganz entsezlichen Begriff von Sir Andreassen Tapferkeit, und unbezwingbarer Wuth beyzubringen; auf diese Art, sezt er hinzu, werden beyde in eine solche Furcht gesezt werden, daß sie einander nur durch Blike tödten werden, wie die Basilisken.

Eilfte Scene

Olivia und Viola treten auf.

Olivia.

Zu einem Herzen von Stein hab‘ ich zuviel gesagt, und meine Ehre zu wohlfeil ausgelegt. Es ist etwas in mir, das mir meinen Fehler vorrükt; aber es ist ein so eigensinniger hartnäkiger Fehler, daß ihm Vorwürfe nichts abgewinnen können.

Viola.

Der Herzog, mein Herr befindet sich in dem nemlichen Falle.

Olivia.

Hier, tragt dieses Kleinod zu meinem Andenken; es enthält mein Bild; schlagt es nicht aus, es hat keine Zunge euch zu plagen; und ich bitte euch, kommt morgen wieder. Was könntet ihr von mir begehren, das mit Ehren gegeben werden kan, und ich euch abschlagen würde?

Viola.

Ich bitte um nichts als eure Liebe für meinen Herrn.

Olivia.

Wie kan ich ihm mit Ehren geben, was ich euch schon gegeben habe?

Viola.

Ich will euch dessen quitt halten.

Olivia.

Gut, komm morgen wieder; lebe wohl – – (Sie geht ab – -) Ein Teufel der deine Gestalt hätte, könnte meine Seele bis in die Hölle loken – –

Zwölfte und dreyzehnte Scene

Sir Tobias kündigt den Zorn des furchtbaren Sir Andreas und seine Ausforderung dem verkappten Cäsario an, der Mühe genug hat seinen wenigen Muth zu einem solchen Zweykampf zu verbergen. Tobias verspricht ihm endlich seine guten Dienste, um wenigstens die Ursache der grausamen Ungnade zu erkundigen, welche Cäsario durch nichts verdient zu haben sich bewußt ist, und wo möglich den wüthenden Sir Andreas in etwas zu besänftigen. Tobias stellt sich als ob er zu diesem Ende abgehe, da indessen Fabian fortfährt der armen Viola Schreken einzujagen, und ihren Gegner als den besten Fechter und den fatalesten Widerpart den man in ganz Illyrien finden könne, abzumahlen. Sie gehen ab, um dem Sir Tobias Plaz zu geben, in der folgenden Scene, seinen Freund Andreas in eine eben so friedliebende Gemüths-Verfassung zu sezen. Er beschreibt ihm den Cäsario als einen eingefleischten Teufel, der des Sophi Hof-Fechtmeister gewesen sey, und keinen Stoß zu thun pflege, der nicht eine tödtliche Wunde mache. Andreas geräth darüber in solche Angst, daß er verspricht er wolle ihm sein bestes Pferd geben, wenn er die Sache auf sich beruhen lassen wolle. Indessen kommt Fabian mit Cäsario zurük, der, sobald er den Andreas erblikt, sich allen Heiligen zu empfehlen anfängt, ohne gewahr zu werden, daß Andreas wie eine Memme schlottert. Sir Tobias geht von dem einen zum andern, sagt einem jeden, sein Gegner wolle sich durch nichts in der Welt besänftigen lassen, und bringt sie endlich dahin, daß sie, ungern genug, die Degen zu ziehen anfangen; welches alles auf dem Theater eine äusserst lächerliche Scene machen muß.

Vierzehnte Scene

Indem sie ziehen, und Viola mit weinerlicher Stimme protestiert, daß es wider ihren Willen geschehe, kommt Antonio dazu, der durch die vollkommne Aehnlichkeit zwischen ihr und ihrem Bruder und durch ihre Verkleidung betrogen, sie für seinen jungen Freund Sebastiano ansieht, sich ins Mittel schlägt, und sich erklärt, er möge nun der beleidigte Theil oder der Beleidiger seyn, so mache er seine Sache zu seiner eignen. Sir Tobias der es übel nimmt, daß ihm sein Spaß verdorben werden soll, erklärt sich, wenn der Neuangekommne sich zu Cäsarios Secundanten aufwerfe, so wolle er sein Mann seyn; allein kaum haben sie gezogen, so kommt die Wache, bey deren Erblikung Viola den Sir Andreas bittet seinen Degen wieder einzusteken, welches sich dieser nicht zweymal sagen läßt. Antonio, der sich, wie man weiß, des Herzogs Ungnade zugezogen hatte, war verrathen worden. Die Wache suchte ihn auf; und da sie, der gemachten Beschreibung nach, ihren Mann gefunden zu haben glaubt, wird er auf Befehl des Herzogs Orsino in Verhaft genommen.

Antonio (nachdem er sich vergeblich hatte verläugnen wollen.)

Ich muß gehorchen. (Zu Cäsario.) Das begegnet mir, weil ich euch allenthalben aufsuchte. Aber dafür ist nun kein Mittel. Ich werde mich zu verantworten wissen. Was wollt ihr thun? Meine eigne Noth zwingt mich, daß ich meinen Beutel wieder abfordern muß. Dieser Zufall bekümmert mich viel weniger um meiner selbst willen, als weil ich euch unnüz werden muß: Ihr seyd betroffen, seh ich; aber laßt den Muth noch nicht sinken.

1. Officier.

Kommt, Herr, wir müssen fort.

Antonio (Zu Cäsario.)

Ich bin genöthigt euch um etwas Geld zu bitten.

Viola.

Was für Geld, mein Herr? – – Um eures edeln Bezeugens gegen mich willen, und weil ich zum Theil durch den verdrieslichen Zufall, der euch hier zugestossen ist, aus der grösten Verlegenheit gezogen worden bin, will ich euch etwas vorstreken; was ich habe ist was weniges, aber ich will doch mit euch theilen was ich habe; nemmt, das ist die Hälfte meines Vermögens.

Antonio.

Und ihr seyd fähig, mich izt zu mißkennen? Ist’s möglich daß meine guten Dienste – – o sezt meine Noth nicht auf eine so harte Probe, oder ihr könntet mich zu der Niederträchtigkeit versuchen, euch die Freundschaft, die ich euch bewiesen habe, vorzurüken.

Viola.

Ich weiß von keiner, und kenne euch weder an eurer Stimme noch Gestalt. Ich hasse Undankbarkeit mehr an einem Mann als Aufschneiden, einbildisches Wesen, waschhafte Trunkenheit, oder irgend eine andre Untugend, wovon der anstekende Saame in unserm Blute stekt.

Antonio.

O Himmel! – –

Ein Officier.

Kommt, mein Herr, ich bitte euch, geht.

Antonio.

Laßt mich nur noch ein Wort sagen. Diesen jungen Menschen, den ihr hier seht, zog ich aus dem Rachen des Todes; ich that alles was der zärtlichste Bruder thun könnte, ihn wieder herzustellen; ich liebte ihn, und ließ mich von seiner Gestalt, die mir die besten Eigenschaften anzukündigen schien, so sehr einnehmen, daß ich ihn fast abgöttisch verehrte.

1. Officier.

Was geht das uns an? Die Zeit verstreicht indessen; fort!

Antonio.

Aber, oh, was für ein häßlicher Göze ist aus diesem Gotte worden. O Sebastiano, du machst der Schönheit Unehre. Wahrhaftig, man sollte niemand häßlich nennen, als Leute die kein gutes Herz haben. Tugend ist Schönheit; böse Leute, welche schön aussehen, sind hohle Klöze die der Teufel angestrichen hat.

1. Officier.

Der Mann fangt an zu rasen: weg mit ihm. Kommt, kommt, Herr.

Antonio.

Führt mich wohin ihr wollt. (Sie gehen ab.)

Viola.

Mich däucht es ist eine so wahre Leidenschaft in seinen Reden, daß er würklich glaubt was er sagt. Und doch ist gewiß daß ich ihn nicht kenne. O daß die Einbildung sich wahr befinden möge, o, daß es wahr sey, daß man, liebster Bruder, izt für dich mich angesehen habe – – Er nannte mich Sebastian; Ich sehe meinen Bruder noch lebend so oft ich in den Spiegel sehe, er sah vollkommen so aus, und gieng auch eben so gekleidet, von solcher Farbe, und so ausstaffiert wie ich; denn ihn copiere ich in dieser Verkleidung – – O, wenn es so ist, so werd‘ ich den Sturm und die Wellen liebreich statt grausam nennen. (Sie geht ab.)

Sir Tobias.

Ein recht schlechter armseliger Bube, und eine feigere Memme als eine Hindin; seine Schlechtigkeit zeigte sich in seiner Aufführung gegen seinen Freund, den er in der Noth verläugnete; und von seiner Feigheit kan euch Fabian erzählen.

Fabian.

Eine Memme ist er, eine recht fromme, friedfertiger feige Memme.

Sir Andreas.

Mein Seel! Ich will ihm nach und ihn prügeln.

Sir Tobias.

Thut das, gebt ihm Maulschellen, bis er genug hat, nur den Degen zieht nicht gegen ihn.

Sir Andreas.

Wenn ich’s nicht thue – – (Er läuft fort.)

Fabian.

Kommt, wir müssen doch sehen, wie er das machen wird.

Sir Tobias.

Ich wollte wetten was man will, es wird doch nichts daraus werden. (Sie gehen ab.)

Vierter Aufzug.

Erste Scene

Die Strasse.

Hans Wurst, der von Olivia geschikt worden, den Cäsario zu ihr zu ruffen, trift den Sebastiano an, und richtet seinen Auftrag bey ihm aus, weil er ihn für den Cäsario ansieht; Sebastiano, der hier ganz fremd ist, und von der Verkleidung seiner Schwester, die er sogar für todt hält, nichts wissen kan, stellt sich zu diesem qui pro quo so befremdet an, als man sich vorstellen kan, und will schlechterdings derjenige nicht seyn, wofür ihn Hans Wurst ansieht: Indem sie nun mit einander streiten, kommen Sir Andreas und Sir Tobias dazu, von denen der Erste durch den nemlichen Optischen Betrug seinen Mann gefunden zu haben glaubt, und dem vermeynten Cäsario eine Ohrfeige appliciert, welche Sebastiano mit einer Tracht Schläge erwiedert. Sir Andreas hatte sich das nicht vermuthet, und appelliert an die Justiz; denn, sagt er, wenn ich ihm gleich den ersten Schlag gegeben habe, so ist es doch keine Manier, daß er mir soviele dagegen giebt. Indem nun Sir Tobias Friede machen will, wird er selbst mit Sebastiano handgemein; von der dazwischen kommenden Olivia aber in der

Zweyten Scene

so gleich wieder geschieden, welche ihren ungesitteten Oheim unter den bittersten Vorwürfen aus ihren Augen gehen heißt, den vermeynten Cäsario aber aufs zärtlichste zu besänftigen sucht, und zu sich in ihr Haus nöthiget. Sebastiano weiß nun vollends nicht mehr, in was für einer Welt er ist. Was bedeutet alles diß, ruft er aus, entweder hab ich den Verstand verlohren, oder das alles ist ein Traum. O wenn es ein Traum ist, so laßt die Phantasie meine Sinnen immer in Lethe tauchen, so laßt mich nie von diesem Traum erwachen. Nun, sagt Olivia, komm, ich bitte dich; ich wollte du liessest dich von mir regieren; von Herzen gerne, antwortet Sebastian, und so gehen sie in bester Eintracht mit einander ab.

Dritte Scene

Ein Zimmer in Olivias Haus. Maria und Hans Wurst.

Maria.

Ich bitte dich, mache hurtig, zieh diesen Priesterrok an, und binde dir diesen Bart um; wir wollen ihn bereden du seyest Sir Topas der Pfarrer; beschleunige dich; ich will indeß den Sir Tobias ruffen. (Sie geht ab.)

Hans Wurst.

Gut, ich will’s thun, ich will mich verkleiden, und ich wollte wünschen, ich wäre der erste der sich in einen solchen Rok verkleidete. Ich bin nicht lang genug, um eine ansehnliche Person in diesem Habit vorzustellen, noch mager genug, um die Meynung von mir zu erweken, daß ich zuviel studiere; allein, ein ehrlicher Mann und ein guter Haushälter seyn, klingt immer so gut als ein hübscher Mann und ein grosser Gelehrter seyn. Sir Tobias und Maria.

Sir Tobias.

Die Götter seyen mit dir, Herr Pfarrer.

Hans Wurst.

Bonos Dies, Sir Tobias; denn wie der alte Einsiedler von Prag, der in seinem Leben weder Feder noch Dinte gesehen hatte, sehr sinnreich zu König Gorboduks Nichte sagte, daß nemlich alles was ist, ist: Also, da ich der Herr Pfarrer bin, bin ich der Herr Pfarrer; denn was ist was anders als was? Und ist anders als ist?

Sir Tobias.

Zu euerm Patienten, Herr Pfarrer.

Hans Wurst.

Wie, holla, sag ich – – Stille da, in diesem Kerker!

Malvolio (hinter der Bühne.)

Wer ruft hier?

Hans Wurst.

Sir Topas der Pfarrer, welcher Malvolio den Mondsüchtigen besuchen will.

Malvolio.

Sir Topas, Sir Topas, guter Sir Topas, geht zur Gnädigen Fräulein – –

Hans Wurst.

Fahre aus, du Hyperbolicalischer Teufel, warum quälst du diesen armen Menschen so? Redst du von nichts als von Fräulein?

Sir Tobias.

Wohl gegeben, Herr Pfarrer!

Malvolio.

Sir Topas, niemalen ist einem Menschen so übel mitgespielt worden als mir; lieber Sir Topas, bildet euch nicht ein daß ich rasend sey; sie haben mich hier in eine gräßliche Finsterniß gelegt.

Hans Wurst.

Fy, du unartiger Satan; ich bediene mich der gelindesten Ausdrüke gegen dich; denn ich bin einer von diesen manierlichen Leuten, die dem Teufel selbst nicht anders als höflich begegnen wollten: Sagst du, dieses Haus sey finster?

Malvolio.

Wie die Hölle, Sir Topas.

Hans Wurst.

Wie, es hat Bogen-Fenster die so durchsichtig sind wie Gitter, und die innwendigen Steine gegen die Sud-Seite sind so glänzend wie Eben-Holz; und du klagst über Dunkelheit?

Malvolio.

Ich bin nicht toll, Sir Topas; ich sag euch, es ist finster im Hause.

Hans Wurst.

Tollhäusler, du betrügst dich; ich sage dir, es giebt keine andre Finsterniß als Unwissenheit; und in dieser stekst du tiefer als die Egypter in ihrem Schlamme.

Malvolio.

Und ich sage, dieses Haus ist so finster als Unwissenheit, wenn gleich Unwissenheit so finster als die Hölle wäre; und ich sage, niemalen ist einem ehrlichen Manne so übel mitgespielt worden; ich bin nicht mehr rasend als ihr selbst; macht die Probe mit mir, fragt mich etwas gescheidtes was ihr wollt, und seht ob ich euch nicht antworten werde, wie sich’s gehört.

Hans Wurst.

Was statuierte Pythagoras in Betreff des wilden Geflügels?

Malvolio.

Daß es leichtlich begegnen könne, daß die Seele unsrer Großmutter in einem Schnepfen wohne.

Hans Wurst.

Was hältst du von dieser Meynung?

Malvolio.

Ich denke edler von der Seele, und billige diese Meynung keineswegs.

Hans Wurst.

Gehab du dich wohl: Bleib immer in der Finsterniß; du must die Meynung des Pythagoras halten, wenn ich dir zugestehen soll daß du deine fünf Sinne habest, und dich scheuen einen Schneppen zu schiessen, aus Besorgniß du möchtest die Seele deiner Großmutter aus ihrer Wohnung vertreiben. Leb wohl.

Malvolio.

Sir Topas, Sir Topas – –

Sir Tobias.

Der allerliebste Sir Topas!

Hans Wurst.

Gelt, ich schike mich zu allen Rollen?

Maria.

Du hättest das alles ohne Bart und Priesterrok thun können; er sieht dich ja nicht. Hierauf erklärt sich Sir Tobias, daß er dieses Spiels nach gerade überdrüssig sey, und demselben um so mehr ein anständiges Ende gemacht wünsche, da er mit seiner Nichte zerfallen sey. Er geht also mit Maria ab, um sich darüber auf seinem Zimmer mit ihr zu berathen, und läßt Hans Wursten bey Malvolio zurük, der hierauf in der

Vierten Scene

seine eigne Person wieder annimmt, und nachdem er eine Weile den Narren mit ihm getrieben, sich endlich erbitten läßt ihm Papier, Feder, Dinte und ein Licht zu bringen.

Fünfte Scene

Ein andres Zimmer in Olivias Haus.

Sebastian allein.

Diß ist die Luft, diß ist die strahlende Sonne; diese Perle gab sie mir, ich fühle sie und sehe sie, und obgleich alles um mich her lauter Wunder ist, so ist es doch nicht Wahnwiz. Wo ist denn Antonio? Ich konnt‘ ihn im Elephanten nicht finden; alles was ich erfahren konnte war daß er da gewesen und wieder ausgegangen sey, mich überall in der Stadt aufzusuchen. Sein Rath könnte mir izt den grössesten Dienst thun – – Denn wenn gleich meine Vernunft gegen meine Sinnen behauptet, daß diß alles irgend ein Irrthum seyn könne, ohne daß es Einbildungen oder Tollheit seyn müsse; so geht doch dieser Zufall und ein so ausserordentliches Glük so weit über alles, was man sich vorstellen kan, oder was jemals erhört worden ist; daß ich bereit bin, ein Mißtrauen in meine eigne Augen zu sezen, und mit meiner Vernunft zu streiten, wenn sie mich bereden will, irgend etwas anders zu glauben, als daß ich toll sey oder daß es diese junge Dame sey; und doch, wenn das leztere wäre, würde sie ihr Haus regieren, ihren Bedienten Befehle geben, Geschäfte annehmen und auftragen, und das alles mit einer so guten Art, mit einem so sanften, vernünftigen, gesezten Wesen, wie ich sehe, daß sie thut? In der That, es ist etwas unbegreifliches in dieser Sache. Aber da kommt sie ja selbst. Olivia mit einem Priester.

Olivia.

Tadelt nicht, daß ich zu hastig sey; wenn eure Absicht ehrlich ist, so kommt mit mir und diesem heiligen Mann in die Capelle, und unter ihrer geweyhten Umwölbung schwöret mir da, vor ihm, das Gelübd eurer Treue zu, damit meine noch immer mißtrauische, noch immer zweifelnde Seele beruhigt werde. Er soll es geheim halten, bis es euch selbst gefallen wird, die Zeit zu einer öffentlichen Feyer, die meiner Geburt gemäß sey, zu bestimmen. Was sagt ihr hiezu?

Sebastiano.

Ich will diesem heiligen Manne folgen und euch begleiten; und die Treue, die ich euch schwören werde, will ich ewig halten.

Olivia.

So geht dann voran, ehrwürdiger Vater, und der Himmel schaue mit Beyfall auf mein Vorhaben herab! (Sie gehen ab.)

Fünfter Aufzug.

 

Dieser ganze lezte Aufzug enthält nichts mehr als eine Entwiklung, welche leicht vorauszusehen ist. Man weiß schon, daß die Anlegung des Plans und die Entwiklung des Knotens diejenigen Theile nicht sind, worinn unser Autor vortrefflich ist. Hier scheint er, wie es ihm mehrmal in den fünften Aufzügen begegnet, begieriger gewesen zu seyn, sein Stük fertig zu machen, als von den Situationen, worein er seine Personen gesezt hat, Vortheil zu ziehen. Wir werden uns daher begnügen, den blossen Inhalt jeder Scene auszuziehen.

Erste Scene

Die Strasse. Der Herzog kommt, mit Viola, Curio und seinem Gefolge, um in eigner Person den lezten Versuch auf das Herz seiner Unerbittlichen zu machen, und da er nicht gleich vorkommen kan, so unterhält er sich unterdessen mit Hans Wurst, den er vor der Porte antrift.

Zweyte Scene

Antonio wird von dem Gerichts-Beamten, der sich seiner bemächtiget hatte, herbeygeführt, und dem Herzog als jener berüchtigte See-Räuber vorgestellt, gegen welchen er so viele Ursache habe erbittert zu seyn. Viola, die, wie wir wissen, eine gutherzige Art von Mädchen ist, rühmt sogleich den guten Dienst, den er ihr gethan, fügt aber hinzu, daß er zulezt aus einem so seltsamen Ton zu ihr gesprochen habe, daß sie nichts anders vermuthen könne, als er müsse im Kopf nicht gar zu richtig seyn. Antonio vertheidigt sich hierauf gegen den Vorwurf der Seeräuberey, und da er Viola für ihren Bruder ansieht, so erzählt er auf ihre Rechnung alles was wir bereits von seinen Verdiensten um Sebastian wissen, und beklagt sich bitterlich über ihre Undankbarkeit. Indem nun der Herzog der Zeit nachfrägt, und durch den Umstand, daß Cäsario die verflossenen drey Monate an seinem Hofe zugebracht, den Antonio der Unwahrheit überwiesen zu haben glaubt, kommt in der

Dritten Scene

Olivia dazu, und befremdet sich sehr ihren Cäsario gegen sein gegebnes Wort, wieder an des Herzogs Seite zu sehen. Da nun Viola nicht begreiffen kan, was Olivia sagen will, so beginnt sich ein Wortwechsel unter ihnen, der aber sogleich durch die Händel worein diese Dame mit dem Herzog geräth, unterbrochen wird. Sie sagt ihm rund heraus daß ihr seine Standhaftigkeit unerträglich, und seine Liebes-Klagen so angenehm seyen als Heulen nach Musik. Der Herzog wird dadurch so aufgebracht, daß er schwört, die Unerbittlichkeit seiner marmorherzigen Tyrannin an ihrem jungen Liebling, an Cäsario zu rächen – – Ich will ihn, sagt er, aus diesem grausamen Auge reissen, wo er siegreich und gekrönt dasizt und seines Herrn spottet; ich will das Lamm das ich liebe, opfern, um ein Raben-Herz in der Brust einer Daube zu durchboren. Mit diesen Worten, will er fortgehen und befiehlt dem Cäsario ihm zu folgen. Viola erklärt sich bereit tausend Tode zu sterben, wenn seine Zufriedenheit dadurch befördert werde, und will ihm folgen – – Wohin wollt ihr, Cäsario, ruft Olivia – – Dem folgen, antwortet Viola, den ich, der Himmel sey mein Zeuge, mehr als alle Weiber der ganzen Welt, mehr als meine Augen und mein Leben liebe. Izt fängt Olivia auch an aus dem tragischen Ton zu sprechen, und da ihr vermeynter Bräutigam so unverschämt ist, von allem was zwischen ihnen vorgegangen seyn soll, nichts wissen zu wollen, und der Herzog über den Namen eines Gemahls den sie der Viola giebt, wüthend wird, so sieht sie sich endlich genöthiget den Priester, der sie mit Sebastian getraut hat, herausruffen zu lassen, auf dessen vollgültiges Zeugniß hin der Herzog sich überzeugt hat, daß er von Cäsario betrogen worden, und unter bittern Vorwürfen über seine Falschheit das Verbannungs-Urtheil über beyde ausspricht. Indem nun Cäsario sich vergeblich auf seine Unschuld beruft, und Olivia, welche glaubt, daß es nur aus Furcht vor dem Herzog geschehe, ihm Muth einspricht, kommt in der

Vierten Scene

Sir Andreas mit zerbrochnem Kopf heraus, und erhebt ein jämmerliches Geschrey über einen gewissen Kammer-Junker des Herzogs, Cäsario, der ihn und Sir Tobiesen jämmerlich abgeprügelt habe; wir hielten ihn anfangs für eine Memme, sagt er weinend, aber er ist der leibhafte Teufel selbst. Mein Kammer-Junker Cäsario? fragt der Herzog, Ja, Sapperment, (ruft Sir Andreas) hier ist er ja in Person: Ihr habt mir umsonst und um nichts ein Loch in den Kopf geschlagen; und wenn ich euch was gethan habe, so that ich’s nur auf Anstiften des Sir Tobiesen – – Viola, welche von dieser neuen Anklage eben so wenig als von einer Vermählung mit Olivia weiß, hat das Mißvergnügen sich von Sir Tobias und vom Hans Wurst überwiesen zu sehen; die Verwirrung nimmt zu, und steigt endlich auf den höchsten Grad, da in der

Fünften Scene

Sebastian selbst erscheint und der erstaunten Versammlung den Cäsario gedoppelt sehen läßt. Dieser nemliche Augenblik der äussersten Verwirrung bey Orsino und Olivia zieht Antonio und Viola aus der ihrigen. Jener erkennt in Sebastian seinen jungen Freund und diese ihren Bruder: das Geheimniß entdekt sich, Olivia findet sich dem Schiksal mehr verbunden als sie gewußt hatte; Sebastian begreift, was er kurz vorher für einen Traum oder für Bezauberung halten mußte, und der Herzog ergiebt sich den ausserordentlichen Proben die ihm Viola von ihrer Zärtlichkeit gegeben und erklärt sie zur Königin seines Herzens. Damit alles sich entwikle und niemand unglüklich bleibe, so entdekt sich in der

Sechsten und siebenten Scene

durch den Brief des Malvolio, welchen Hans Wurst überbringt, auch der unglükliche Irrthum dieses Bedienten, und der Betrug der ihm gespielt worden; welches dem Hans Wurst Gelegenheit, sich über ihn lustig zu machen, jenem aber, nach einer kleinen Demüthigung seiner Einbildung, die Freyheit verschaft.

Shakespeare – Viel Lärm um nichts

Shakespeare: Viel Lärm um nichts

Erster Aufzug

Erste Szene

Leonato, Hero, Beatrice und ein Bote treten auf

Leonato.

Ich sehe aus diesem Briefe, daß Don Pedro von Arragon diesen Abend in Messina eintrifft.

Bote.

Er kann nicht mehr weit sein: er war kaum drei Meilen von der Stadt entfernt, als ich ihn verließ.

Leonato.

Wieviel Edelleute habt ihr in diesem Treffen verloren?

Bote.

Überhaupt nur wenig Offiziere, und keinen von großem Namen.

Leonato.

Ein Sieg gilt doppelt, wenn der Feldherr seine volle Zahl wieder heimbringt. Wie ich sehe, hat Don Pedro einem jungen Florentiner, namens Claudio, große Ehre erwiesen.

Bote.

Die er seinerseits sehr wohl verdient und Don Pedro nicht minder nach Verdienst erkennt. Er hat mehr gehalten, als seine Jugend versprach, und in der Gestalt eines Lammes die Taten eines Löwen vollbracht; ja, wahrlich, es sind alle Erwartungen noch trefflicher von ihm übertroffen, als Ihr erwarten dürft, von mir erzählt zu hören.

Leonato.

Er hat einen Oheim hier in Messina, welchem diese Nachricht sehr lieb sein wird.

Bote.

Ich habe ihm schon Briefe überbracht, und er scheint große Freude daran zu haben; so große Freude, daß es schien, sie könne sich nicht ohne ein Zeichen von Schmerz bescheiden genug darstellen.

Leonato.

Brach er in Tränen aus?

Bote.

In großem Maß.

Leonato.

Eine zärtliche Ergießung der Zärtlichkeit. Keine Gesichter sind echter, als die so gewaschen werden. Wieviel besser ist’s, über die Freude zu weinen, als sich am Weinen zu freuen.

Beatrice.

Sagt mir doch, ist Signor Schlachtschwert aus dem Feldzug wieder heimgekommen? oder noch nicht?

Bote.

Ich kenne keinen unter diesem Namen, mein Fräulein. Es wird keiner von den Offizieren so genannt.

Leonato.

Nach wem fragt Ihr, Nichte?

Hero.

Meine Muhme meint den Signor Benedikt von Padua.

Bote.

Oh, der ist zurück und immer noch so aufgeräumt als jemals.

Beatrice.

Er schlug seinen Zettel hier in Messina an und forderte den Cupido auf den befiederten Pfeil heraus; und meines Oheims Narr, als er die Aufforderung gelesen, unterschrieb in Cupidos Namen und forderte ihn auf den stumpfen Bolzen. Sagt mir doch, wie viele hat er in diesem Feldzug umgebracht und aufgegessen? Oder lieber, wie viele hat er umgebracht? Denn ich versprach ihm, alle aufzuessen, die er umbringen würde.

Leonato.

Im Ernst, Nichte, Ihr seid unbarmherzig gegen den Signor Benedikt. Aber Ihr werdet Euren Mann an ihm finden, das glaubt mir nur.

Bote.

Er hat in diesem Feldzug gute Dienste getan, mein Fräulein.

Beatrice.

Ihr hattet verdorbnen Proviant, und er half ihn verzehren, nicht wahr? Er ist ein sehr tapfrer Tellerheld und hat einen unvergleichlichen Appetit.

Bote.

Dagegen, Fräulein, ist er auch ein guter Soldat.

Beatrice.

Gegen Fräulein ist er ein guter Soldat: aber was ist er gegen Kavaliere?

Bote.

Ein Kavalier gegen einen Kavalier, ein Mann gegen einen Mann. Er ist mit allen ehrenwerten guten Eigenschaften ausstaffiert.

Beatrice.

Ausstaffiert! O ja! Aber die Staffage ist auch danach. – Ei nun, wir sind alle sterblich.

Leonato.

Ihr müßt meine Nichte nicht mißverstehn, lieber Herr. Es ist eine Art von scherzhaftern Krieg zwischen ihr und Signor Benedikt. Sie kommen nie zusammen ohne ein Scharmützel von sinnreichen Einfällen.

Beatrice.

Leider gewinnt er niemals dabei. In unsrer letzten Affäre gingen ihm vier von seinen fünf Sinnen als Krüppel davon, und seine ganze Person muß sich seitdem mit einem behelfen. Wenn er noch Sinn und Witz genug zurückbehalten hat, sich warmzuhalten, so mag man ihm das als ein Abzeichen gönnen, das ihn von seinem Pferde unterscheidet, denn sein ganzer Vorrat beschränkt sich jetzt darauf, daß man ihn für ein menschliches Wesen hält. Wer ist denn jetzt sein Unzertrennlicher? Denn alle vier Wochen hat er einen neuen Herzensfreund.

Bote.

Ist’s möglich?

Beatrice.

Sehr leicht möglich: denn er hält es mit seiner Treue wie mit der Form seines Huts, die immer mit jeder nächsten Mode wechselt.

Bote.

Wie ich sehe, Fräulein, steht dieser Kavalier nicht sonderlich bei Euch angeschrieben.

Beatrice.

Nein, wenn das wäre, so würde ich alles, was ich schrieb, verbrennen. Aber sagt mir doch, wer ist jetzt sein Kamerad? Gibt’s keinen jungen Raufer, der Lust hat, in seiner Gesellschaft eine Reise zum Teufel zu machen! –

Bote.

Man sieht ihn am meisten mit dem edlen Claudio.

Beatrice.

O Himmel! Dem wird er sich anhängen wie eine Krankheit. Man holt ihn sich schneller als die Pest, und wen er angesteckt hat, der wird augenblicklich verrückt. Tröste Gott den edlen Claudio; wenn er sich den Benedikt zugezogen, wird er nicht unter tausend Pfund von ihm geheilt.

Bote.

Ich wünschte Freundschaft mit Euch zu halten, Fräulein.

Beatrice.

Tut das, mein Freund.

Leonato.

Ihr werdet niemals verrückt werden, Nichte!

Beatrice.

Nein, nicht eh ein heißer Januar kommt.

Bote.

Don Pedro nähert sich eben. (Geht ab.) Don Pedro, Balthasar, Don Juan, Claudio und Benedikt treten auf.

Don Pedro.

Teurer Signor Leonato, Ihr geht Eurer Unruhe entgegen. Es ist sonst der Welt Brauch, Unkosten zu vermeiden, und Ihr sucht sie auf.

Leonato.

Nie kam Unruhe unter Eurer Gestalt in mein Haus, mein gnädiger Fürst. Wenn uns die Unruhe verließ, bleibt sonst die Behaglichkeit zurück: wenn Ihr dagegen wieder abreist, wird die Trauer verweilen und das Glück von mir Abschied nehmen.

Don Pedro.

Ihr nehmt Eure Last zu willig auf. – Das ist Eure Tochter, wie ich vermute?

Leonato.

Das hat mir ihre Mutter oft gesagt.

Benedikt.

Zweifeltet Ihr daran, Signor, daß Ihr sie fragtet?

Leonato.

Nein, Signor Benedikt, denn damals wart Ihr noch ein Kind.

Don Pedro.

Da habt Ihr’s nun, Benedikt: wir sehn daraus, was Ihr jetzt als Mann sein müßt. In der Tat, sie kündigt selber ihren Vater an. – Ich wünsche Euch Glück, mein Fräulein, Ihr gleicht einem ehrenwerten Vater.

Benedikt.

Wenn auch Signor Leonato ihr Vater ist, sie würde nicht um ganz Messina seinen Kopf auf ihren Schultern tragen wollen, wie sehr sie ihm auch gleicht.

Beatrice.

Mich wundert, daß Ihr immer schwatzen müßt, Signor Benedikt; kein Mensch achtet auf Euch.

Benedikt.

Wie, mein liebes Fräulein Hochmut! Lebt Ihr auch noch?

Beatrice.

Wie sollte wohl Hochmut sterben, wenn er solche Nahrung vor sich hat, wie Signor Benedict? – Die Höflichkeit selbst wird zum Hochmut werden, wenn Ihr Euch vor ihr sehen laßt.

Benedikt.

Dann ist Höflichkeit ein Überläufer; aber soviel ist gewiß, alle Damen sind in mich verliebt, Ihr allein ausgenommen; und ich wollte, mein Herz sagte mir, ich hätte kein so hartes Herz; denn wahrhaftig, ich liebe keine.

Beatrice.

Ein wahres Glück für die Frauen; Ihr wäret ihnen ein gefährlicher Bewerber geworden. Ich danke Gott und meinem kalten Herzen, daß ich hierin mit Euch eines Sinnes bin. Lieber wollt ich meinen Hund eine Krähe anbellen hören, als einen Mann schwören, daß er mich liebe.

Benedikt.

Gott erhalte mein gnädiges Fräulein immer in dieser Gesinnung! So wird doch ein oder der andre ehrliche Mann dem Schicksal eines zerkratzten Gesichts entgehn.

Beatrice.

Kratzen würde es nicht schlimmer machen, wenn es ein Gesicht wäre wie Eures.

Benedikt.

Gut, Ihr versteht Euch trefflich drauf, Papageien abzurichten.

Beatrice.

Ein Vogel von meiner Zunge ist besser als ein Vieh von Eurer.

Benedikt.

Ich wollte, mein Pferd wäre so schnell als Eure Zunge und liefe so in eins fort. Doch nun geht und der Himmel sei mit Euch, denn ich bin fertig.

Beatrice.

Ihr müßt immer mit lahmen Pferdegeschichten aufhören; ich kenne Euch von alten Zeiten her.

Don Pedro.

Kurz und gut, Leonato; – ihr, Signor Claudio und Signor Benedikt; – mein werter Freund Leonato hat euch alle eingeladen. Ich sage ihm eben, wir werden wenigstens einen Monat verweilen, und er bittet den Himmel, daß irgendeine Veranlassung uns länger hier aufhalten möge. Ich wollte schwören, daß er kein Heuchler sei, sondern daß ihm dies Gebet von Herzen geht.

Leonato.

Ihr würdet nicht falsch schwören, mein gnädiger Herr. Laßt mich Euch willkommen heißen, Prinz Juan; nach Eurer Aussöhnung mit dem Fürsten, Eurem Bruder, widme ich Euch alle meine Dienste.

Don Juan.

Ich danke Euch. Ich bin nicht von vielen Worten, aber ich danke Euch.

Leonato.

Gefällt’s Euer Gnaden, vorauszugehn?

Don Pedro.

Eure Hand, Leonato, wir gehn zusammen. (Leonato, Don Pedro, Don Juan, Beatrice und Hero gehn ab.)

Benedikt und Claudio.

Claudio.

Benedikt, hast du Leonatos Tochter wohl ins Auge gefaßt?

Benedikt.

Ins Auge habe ich sie nicht gefaßt, aber angesehn habe ich sie.

Claudio.

Ist sie nicht ein sittsames, junges Fräulein?

Benedikt.

Fragt Ihr mich wie ein ehrlicher Mann um meine schlichte, aufrichtige Meinung? Oder soll ich Euch nach meiner Gewohnheit als ein erklärter Feind ihres Geschlechts antworten?

Claudio.

Nein, ich bitte dich, rede nach ernstem, nüchternem Urteil.

Benedikt.

Nun denn, auf meine Ehre: mich dünkt, sie ist zu niedrig für ein hohes Lob, zu braun für ein helles Lob, zu klein für ein großes Lob; alles, was ich zu ihrer Empfehlung sagen kann, ist dies: wäre sie anders, als sie ist, so wäre sie nicht hübsch, und weil sie nicht anders ist, als sie ist, so gefällt sie mir nicht.

Claudio.

Du glaubst, ich treibe Scherz: nein, sage mir ehrlich, wie sie dir gefällt.

Benedikt.

Wollt Ihr sie kaufen, weil Ihr euch so genau erkundigt?

Claudio.

Kann auch die ganze Welt solch Kleinod kaufen?

Benedikt.

Jawohl, und ein Futteral dazu. Aber sprecht Ihr dies in vollem Ernst? Oder agiert Ihr den lustigen Rat und erzählt uns, Amor sei ein geübter Hasenjäger und Vulkan ein trefflicher Zimmermann? Sagt doch, welchen Schlüssel muß man haben, um den rechten Ton Eures Gesanges zu treffen?

Claudio.

In meinem Aug ist sie das holdeste Fräulein, das ich jemals erblickte.

Benedikt.

Ich kann noch ohne Brille sehn, und ich sehe doch von dem allem nichts. Da ist ihre Muhme. wenn die nicht von einer Furie besessen wäre, sie würde Hero an Schönheit so weit übertreffen, als der erste Mai den letzten Dezember. Aber ich hoffe, Ihr denkt nicht daran, ein Ehemann zu werden: oder habt Ihr solche Gedanken? –

Claudio.

Und hätt ich schon das Gegenteil beschworen, ich traute meinem Eide kaum, wenn Hero meine Gattin werden wollte.

Benedikt.

Nun wahrhaftig, steht es so mit Euch? Hat die Welt auch nicht einen einzigen Mann mehr, der seine Kappe ohne Verdacht tragen will? Soll ich keinen Junggesellen von sechzig Jahren mehr sehn? Nun, nur zu; wenn du denn durchaus deinen Hals unters Joch zwängen willst, so trage den Druck davon und verseufze deine Sonntage. Sich, da kommt Don Pedro und sucht dich. Don Pedro kommt zurück.

Don Pedro.

Welch Geheimnis hat euch hier zurückgehalten, daß ihr nicht mit uns in Leonatos Haus gingt?

Benedikt.

Ich wollte, Eure Hoheit nötigte mich, es zu sagen.

Don Pedro.

Ich befehle dir’s bei deiner Lehnspflicht.

Benedikt.

Ihr hört’s, Graf Claudio: ich kann schweigen wie ein Stummer, das könnt Ihr glauben; aber bei meiner Lehnspflicht – seht Ihr wohl, bei meiner Lehnspflicht – er ist verliebt. In wen? (so fragt Eure Hoheit jetzt) und nun gebt acht, wie kurz die Antwort ist: in Hero, Leonatos kurze Tochter.

Claudio.

Wenn dem so wäre, wär es nun gesagt.

Benedikt.

Wie das alte Märchen, mein Fürst: es ist nicht so und war nicht so, und wolle Gott nur nicht, daß es so werde!

Claudio.

Wenn meine Leidenschaft sich nicht in kurzem ändert, so wolle Gott nicht, daß es anders werde.

Don Pedro.

Amen! wenn Ihr sie liebt, denn das Fräulein ist dessen sehr würdig.

Claudio.

So sprecht Ihr nur, mein Fürst, mich zu fangen.

Don Pedro.

Bei meiner Treu, ich rede, wie ich’s denke.

Claudio.

Das tat ich ebenfalls, mein Fürst, auf Ehre.

Benedikt.

Und ich, bei meiner zwiefachen Ehre und Treue, mein Fürst, ich gleichfalls.

Claudio.

Daß ich sie liebe, fühl ich.

Don Pedro.

Daß sie es wert ist, weiß ich.

Benedikt.

Und daß ich weder fühle, wie man sie lieben kann, noch weiß, wie sie dessen würdig sei, das ist eine Überzeugung, welche kein Feuer aus mir herausschmelzen soll; darauf will ich mich spießen lassen.

Don Pedro.

Du warst von jeher ein verstockter Ketzer in Verachtung der Schönheit.

Claudio.

Und der seine Rolle nie anders durchzuführen wußte, als indem er seinem Willen Gewalt antat.

Benedikt.

Daß mich ein Weib geboren hat, dafür dank ich ihr; daß sie mich aufzog, auch dafür sag ich ihr meinen demütigsten Dank: aber daß ich meine Stirn dazu hergebe, die Jagd darauf abzublasen, oder mein Hifthorn an einen unsichtbaren Riem aufhänge, das können mir die Frauen nicht zumuten. Weil ich ihnen das Unrecht nicht tun möchte, einer von ihnen zu mißtrauen, so will ich mir das Recht vorbehalten, keiner zu trauen; und das Ende vom Liede ist (und zugleich gewiß auch das beste Lied), daß ich ein Junggesell bleiben will.

Don Pedro.

Ich erlebe es noch, dich einmal ganz blaß vor Liebe zu sehen.

Benedikt.

Vor Zorn, vor Krankheit oder Hunger, mein Fürst; aber nicht vor Liebe. Beweist nur, daß ich jemals aus Liebe mehr Blut verliere, als ich durch eine Flasche Wein wieder ersetzen kann, so stecht mir die Augen aus mit eines Balladenschreibers Feder, hängt mich auf über der Tür eines schlechten Hauses und schreibt darunter: «Zum blinden Cupido».

Don Pedro.

Nun ja, wenn du je von diesem Glauben abfällst, so mach dir keine Rechnung auf unsre Barmherzigkeit.

Benedikt.

Wenn ich das tue, so hängt mich in einem Faß auf wie eine Katze und schießt nach mir; und wer mich trifft, dem klopft auf die Schulter und nennt ihn Adam.

Don Pedro.

Nun wohl, die Zeit wird kommen, «Wo sich der wilde Stier dem Joche fügt».

Benedikt.

Das mag der wilde Stier; wenn aber der verständige Benedikt sich ihm fügt, so reißt dem Stier seine Hörner aus und setzt sie an meine Stirn, und laßt mich von einem Anstreicher abmalen, und mit so großen Buchstaben, wie man zu schreiben pflegt: «Hier sind gute Pferde zu vermieten», setzt unter mein Bildnis: «Hier ist zu sehn Benedikt, der Ehemann.»

Claudio.

Wenn das geschähe, so würdest du hörnertoll sein.

Don Pedro.

Nun, wenn nicht Cupido seinen ganzen Köcher in Venedig verschossen hat, so wirst du in kurzem für deinen Hochmut beben müssen.

Benedikt.

Dazu müßte noch erst ein Erdbeben kommen.

Don Pedro.

Gut, andre Zeiten, andre Gedanken. Für jetzt, lieber Signor Benedikt, geht hinein zu Leonato, empfehlt mich ihm und sagt ihm, ich werde mich zum Abendessen bei ihm einfinden; denn wie ich höre, macht er große Zurüstungen.

Benedikt.

Diese Bestellung traue ich mir allenfalls noch zu, und somit befehle ich Euch – –

Claudio.

«Dem Schutz des Allerhöchsten: gegeben in meinem Hause (wenn ich eins hätte) – –

Don Pedro.

Den sechsten Juli: Euer getreuer Freund Benedikt».

Benedikt.

Nun, spottet nicht, spottet nicht: der Inhalt Eurer Gespräche ist zuweilen mit Lappen verbrämt und die Verbrämung nur sehr schwach aufgenäht: eh Ihr so alte Späße wieder hervorsucht, prüft Euer Gewissen, und somit empfehle ich mich Euch. (Benedikt ab.)

Claudio.

Eur Hoheit könnte jetzt mich sehr verpflichten.

Don Pedro.

Sprich, meine Lieb ist dein: belehre sie,

Und du sollst sehn, wie leicht sie fassen wird

Die schwerste Lehre, die dir nützlich ist.

Claudio.

Hat Leonato einen Sohn, mein Fürst?

Don Pedro.

Kein Kind, als Hero, sie ist einzge Erbin.

Denkst du an sie, mein Claudio?

Claudio.

O mein Fürst,

Eh Ihr den jetzt beschloßnen Krieg begannt,

Sah ich sie mit Soldatenblick mir an,

Dem sie gefiel: allein die rauhe Arbeit

Ließ Wohlgefallen nicht zur Liebe reifen.

Jetzt kehr ich heim, und jene Kriegsgedanken

Räumten den Platz; statt ihrer drängen nun

Sich Wünsche ein von sanfter, holder Art

Und mahnen an der jungen Hero Reiz,

Und daß sie vor dem Feldzug mir gefiel.

Don Pedro.

Ich seh dich schon als einen Neuverliebten,

Und unser Ohr bedroht ein Buch von Worten.

Liebst du die schöne Hero, sei getrost,

Ich will bei ihr und ihrem Vater werben,

Du sollst sie haben: war es nicht dies Ziel,

Nach dem die feingeflochtne Rede strebte?

Claudio.

Wie lieblich pflegt Ihr doch des Liebeskranken,

Des Gram Ihr gleich an seiner Blässe kennt.

Nur daß zu plötzlich nicht mein Lieben schiene,

Wollt ich durch längre Rede es beschönen.

Don Pedro.

Wozu die Brücke breiter als der Fluß?

Die Not ist der Gewährung bester Grund.

Sieh, was dir hilft, ist da: feststeht, du liebst,

Und ich bin da, das Mittel dir zu reichen.

Heut abend, hör ich, ist ein Maskenball,

Verkleidet spiel ich deine Rolle dann,

Der schönen Hero sag ich, ich sei Claudio,

Mein Herz schütt ich in ihren Busen aus

Und nehm ihr Ohr gefangen mit dem Sturm

Und mächtgen Angriff meiner Liebeswerbung.

Sogleich nachher sprech ich den Vater an,

Und dieses Liedes End ist, sie wird dein.

Nun komm und laß sogleich ans Werk uns gehn. – (Beide ab.)

Zweite Szene

Leonato und Antonio treten auf

Leonato.

Nun, Bruder! wo ist mein Neffe, dein Sohn? – Hat er die Musik besorgt?

Antonio.

Er macht sich sehr viel damit zu tun. Aber, Bruder, ich kann dir seltsame Neuigkeiten erzählen, von denen du dir nicht hättest träumen lassen.

Leonato.

Sind sie gut?

Antonio.

Nachdem der Erfolg sie stempeln wird: indes die Hülle ist gut, von außen sehn sie hübsch aus. Der Prinz und Graf Claudio, die in einer dicht verwachsnen Allee in meinem Garten spazierengingen, wurden so von einem meiner Leute behorcht: der Prinz entdeckte dem Claudio, er sei verliebt in meine Nichte, deine Tochter, und willens, sich ihr heut abend auf dem Ball zu erklären: und wenn er finde, daß sie nicht abgeneigt sei, so wolle er den Augenblick beim Schopf ergreifen und gleich mit dem Vater reden.

Leonato.

Hat der Bursche einigen Verstand, der das sagte?

Antonio.

Ein guter, ein recht schlauer Bursch: ich will ihn rufen lassen, dann kannst du ihn selbst ausfragen.

Leonato.

Nein, nein, wir wollen es für einen Traum halten, bis es an den Tag kommt. – Aber ich will doch meiner Tochter davon sagen, damit sie sich besser auf eine Antwort gefaßt machen kann, wenn es von ohngefähr wahr sein sollte. Geht doch und erzählt ihr’s. (Verschiedene Personen gehn über die Bühne.) Vettern, ihr wißt, was ihr zu tun habt? – – O bitte um Verzeihung, lieber Freund, Ihr müßt mit mir gehn, ich bedarf Eures guten Kopfs. – Lieber Vetter, geht nur in dieser geschäftigen Zeit zur Hand. (Alle ab.)

Dritte Szene

Andres Zimmer in Leonatos Hause Don Juan und Konrad treten auf

Konrad.

Was der Tausend, mein Prinz, warum seid Ihr denn so übermäßig schwermütig?

Don Juan.

Weil ich übermäßig viel Ursache dazu habe, deshalb ist auch meine Verstimmung ohne Maß.

Konrad.

Ihr solltet doch Vernunft anhören.

Don Juan.

Und wenn ich sie nun angehört, welchen Trost hätt ich dann davon?

Konrad.

Wenn auch nicht augenblickliche Hilfe, doch Geduld zum Leiden.

Don Juan.

Ich wundre mich, wie du, der, wie du selbst sagst, unterm Saturn geboren bist, dich damit abgibst, ein moralisches Mittel gegen ein tödliches Übel anzupreisen. Ich kann nicht verbergen, wer ich bin; ich muß ernst sein, wenn ich Ursache dazu habe, und über niemands Einfälle lachen; essen, wenn mich hungert, und auf niemands Belieben warten; schlafen, wenn mich schläfert, und um niemands Geschäfte mich anstrengen; lachen, wenn ich lustig bin, und keinen in seiner Laune streicheln.

Konrad.

Ei ja; aber Ihr solltet Euch nicht so zur Schau tragen, bis Ihr’s ohne Widerspruch tun könnt. Erst neulich habt Ihr Euch mit Eurem Bruder überworfen, und jetzt eben hat er Euch wieder zu Gnaden aufgenommen; da könnt Ihr unmöglich in seiner Gunst Wurzel schlagen, wenn Ihr Euch nicht selbst das gute Wetter dazu macht. Ihr müßt Euch notwendig günstige Witterung für Eure Ernte schaffen.

Don Juan.

Lieber wollt ich eine Hundsrose im Zaun sein, als eine edle Rose in seiner Gnade: und für mein Blut schickt sich’s besser, von allen verschmäht zu werden, als ein Betragen zu drechseln und jemands Liebe zu stehlen. Soviel ist gewiß, niemand wird mich einen schmeichlerischen Biedermann nennen, niemand soll mir’s aber dagegen absprechen, daß ich ein aufrichtiger Bösewicht sei. Mit einem Maulkorb trauen sie mir, und mit einem Block lassen sie mich laufen: darum bin ich entschlossen, in meinem Käfig nicht zu singen. Hätt ich meine Zähne los, so würd ich beißen: hätt ich meinen freien Lauf, so täte ich, was mir beliebt. Bis dahin laß mich sein, was ich bin, und such mich nicht zu ändern.

Konrad.

Könnt Ihr denn von Eurem Mißvergnügen keinen Gebrauch machen?

Don Juan.

Ich mache allen möglichen Gebrauch davon, ich brauche es eben. Wer kommt denn da? Was gibt’s Neues, Borachio? – Borachio kommt.

Borachio.

Ich komme von drüben von einem großen Abendschmaus: der Prinz, Euer Bruder, wird von Leonato königlich bewirtet, und ich kann Euch vorläufig erzählen, daß eine Heirat im Werke ist.

Don Juan.

Könnte mir das nicht ein Fundament werden, irgendein Unheil drauf zu bauen? Wer ist denn der Narr, der sich an ewige Unruhe verloben will?

Borachio.

Ei, es ist Eures Bruders rechte Hand.

Don Juan.

Wer? der höchst ausbündige Claudio?

Borachio.

Eben der.

Don Juan.

Ein schmuckes Herrchen! Und wer? und wer? Was sein Absehn? –

Borachio.

Nun Hero, Leonatos Tochter und Erbin.

Don Juan.

Das kaum flügge Märzhühnchen? Wie kommst du dazu? –

Borachio.

Ich habe das Ausräuchern der Zimmer zu besorgen; und als ich eben in einem dumpfigen Saal damit beschäftigt bin, kommen der Prinz und Claudio Hand in Hand, in sehr ernsthafter Unterredung. Ich duckte mich hinter die Tapete, und da hört ich, wie sie Abrede nahmen, der Prinz solle um Hero für sich werben, und wenn er sie bekomme, sie dem Grafen Claudio geben.

Don Juan.

Komm, komm, laß uns hinüber; das kann meinem Grimm Nahrung werden. Dieser junge Emporschößling hat den ganzen Ruhm meiner Niederlage; kann ich den nur auf einem Wege kreuzen, so will ich mich allerwegen glücklich schätzen. Ihr seid beide zuverlässig und steht mir bei? –

Konrad.

Bis in den Tod, gnädger Herr.

Don Juan.

Gehn wir zu dem großen Gastmahl! Ihre Fröhlichkeit ist desto größer, weil ich zugrunde gerichtet bin. Ich wollte, der Koch dächte wie ich! Wollen wir gehn und sehn, was zu tun ist? –

Borachio.

Wir sind zu Euerm Befehl, mein gnädiger Herr. (Alle ab.)

Zweiter Aufzug

Erste Szene

Halle in Leonatos Hause Leonato, Antonio, Hero und Beatrice treten auf

Leonato.

War Graf Juan nicht zum Abendessen hier?

Antonio.

Ich sah ihn nicht.

Beatrice.

Wie herbe dieser Mann aussieht! Ich kann ihn niemals ansehn, daß ich nicht eine volle Stunde Sodbrennen bekäme.

Hero.

Er hat eine sehr melancholische Gemütsart.

Beatrice.

Das müßte ein vortrefflicher Mann sein, der gerade das Mittel zwischen ihm und Benedikt hielte: der eine ist wie ein Bild und sagt gar nichts, und der andre wie der «gnädigen Frau» ältester Sohn und plappert immer fort.

Leonato.

Also die Hälfte von Signor Benedikts Zunge in Don Juans Mund, und die Hälfte von Don Juans Schwermut in Benedikts Gesicht. –

Beatrice.

Und dazu ein hübsches Bein und ein feiner Fuß, Onkel, und Geld genug in der Tasche, solch ein Mann müßte jedes Mädchen in der Welt erobern, wenn er’s verstände, ihre Gunst zu gewinnen.

Leonato.

Auf mein Wort, Nichte, du wirst dir in deinem Leben keinen Mann gewinnen, wenn du eine so böse Zunge hast.

Antonio.

Ja wahrhaftig, sie ist zu böse.

Beatrice.

Zu böse ist mehr als böse: auf die Weise entgeht mir eine Gabe Gottes, denn es heißt: «Gott gibt einer bösen Kuh kurze Hörner, aber einer zu bösen Kuh gibt er gar keine.»

Leonato.

Weil du also zu böse bist, wird Gott dir gar keine Hörner geben.

Beatrice.

Richtig, wenn er mir keinen Mann gibt, und das ist ein Segen, um den ich jeden Morgen und jeden Abend auf den Knien bitte. Himmel! Wie sollte ich wohl einen Mann mit einem Bart im Gesicht aushalten: lieber schlief ich auf Wolle.

Leonato.

Du kannst dir ja einen Mann aussuchen, der keinen Bart hat.

Beatrice.

Was sollte ich mit dem anfangen? Ihm meine Kleider anziehn und ihn zum Kammermädchen machen? Wer einen Bart hat, ist mehr als ein Jüngling, und wer keinen hat, weniger als ein Mann: wer mehr als ein Jüngling ist, taugt nicht für mich, und wer weniger als ein Mann ist, für den tauge ich nicht. Deshalb will ich lieber sechs Batzen Handgeld vom Bärenführer als Lohn nehmen und seine Affen zur Hölle führen.

Leonato.

Du gehst also zur Hölle?

Beatrice.

Nein, nur an die Pforte. Da wird mir der Teufel entgegenkommen, mit Hörnern auf dem Kopf, wie ein alter Hahnrei, und sagen: «Mach dich fort und geh zum Himmel, Beatrice, geh zum Himmel! Hier ist kein Platz für euch Mädchen»; darauf liefre ich ihm denn meine Affen ab, und nun flugs hinauf zu Sankt Peter am Himmelstor, der zeigt mir, wo die Junggesellen sitzen, und da leben wir so lustig, als der Tag lang ist.

Antonio (zu Hero).

Nun, liebe Nichte, ich hoffe doch, Ihr werdet Euch von Euerm Vater regieren lassen?

Beatrice.

Ei, das versteht sich. Es ist meiner Muhme Schuldigkeit, einen Knicks zu machen und zu sagen: «Wie es euch gefällt, mein Vater.» Aber mit alledem, liebes Mühmchen, muß es ein hübscher junger Mensch sein, sonst mach einen zweiten Knicks und sage: «Wie es mir gefällt, mein Vater.» –

Leonato.

Nun, Nichte, ich hoffe noch den Tag zu erleben, wo du mit einem Manne versehn bist.

Beatrice.

Nicht eher, bis der liebe Gott die Männer aus einem andern Stoff macht als aus Erde. Soll es ein armes Mädchen nicht verdrießen, sich von einem Stück gewaltigen Staubes meistern zu lassen? Einem nichtsnutzigen Lehmkloß Rechenschaft von ihrem Tun und Lassen abzulegen? Nein, Onkel, ich nehme keinen. Adams Söhne sind meine Brüder, und im Ernst, ich halte es für eine Sünde, so nah in meine Verwandtschaft zu heiraten.

Leonato.

Tochter, denk an das, was ich dir sagte. Wenn der Prinz auf eine solche Art um dich wirbt, so weißt du deine Antwort.

Beatrice.

Die Schuld wird an der Musik liegen, Muhme, wenn er nicht zur rechten Zeit um dich anhält. Wenn der Prinz zu ungestüm wird, so sag ihm, man müsse in jedem Dinge Maß halten; und so vertanze die Antwort. Denn siehst du, Hero, freien, heiraten und bereuen sind wie eine Kurante, ein Menuett und eine Pavana; der erste Antrag ist heiß und rasch wie eine Kurante, und ebenso phantastisch; die Hochzeit manierlich, sittsam wie ein Menuett, voll altfränkischer Feierlichkeit; und dann kommt die Reue und fällt mit ihren lahmen Beinen in die Pavana immer schwerer und schwerer, bis sie in ihr Grab sinkt.

Leonato.

Muhme, du betrachtest alle Dinge sehr scharf und bitter.

Beatrice.

Ich habe gesegnete Augen, Oheim, ich kann eine Kirche bei hellem Tage sehn.

Leonato.

Da kommen die Masken; Bruder, macht Platz. (Leonato, Beatrice, Antonio gehn ab.)

Don Pedro kommt maskiert.

Don Pedro.

Gefällt es Euch, mein Fräulein, mit Eurem Freunde umherzugehn?

Hero.

Wenn Ihr langsam geht und freundlich ausseht und nichts sagt, so will ich Euch das Gehn zusagen; auf jeden Fall, wenn ich davongehe.

Don Pedro.

Mit mir, in meiner Gesellschaft?

Hero.

Das kann ich sagen, wenn mir’s gefällt.

Don Pedro.

Und wann gefällt’s Euch, das zu sagen?

Hero.

Wenn ich Euer Gesicht werde leiden mögen; denn es wäre ein Leiden, wenn die Laute dem Futteral gliche.

Don Pedro.

Deine Maske ist wie Philemons Dach, drinnen in der Hütte ist Jupiter.

Hero.

Auf diese Weise müßte Eure Maske mit Stroh gedeckt sein. (Gehn vorbei.) Margareta und Balthasar maskiert.

Margareta.

Redet leise, wenn Ihr von Liebe redet.

Balthasar.

Nun, ich wollte, Ihr liebtet mich.

Margareta.

Das wollte ich nicht, um Eurer selbst willen. Denn ich habe eine Menge schlimmer Eigenschaften.

Balthasar.

Zum Beispiel?

Margareta.

Ich bete laut.

Balthasar.

Um so lieber seid Ihr mir: da können die Euch hören, Amen sagen.

Margareta.

Der Himmel verhelfe mir zu einem guten Tänzer.

Balthasar.

Amen.

Margareta.

Und schaffe mir ihn aus den Augen, sobald der Tanz aus ist. – Nun, Küster, antwortet.

Balthasar.

Schon gut, der Küster hat seine Antwort. (Gehn vorbei.)

Ursula und Antonio treten maskiert ein.

Ursula.

Ich kenne Euch gar zu gut, Ihr seid Signor Antonio.

Antonio.

Auf mein Wort, ich bin’s nicht.

Ursula.

Ich kenne Euch an Eurem wackelnden Kopf.

Antonio.

Die Wahrheit zu sagen, das mache ich ihm nach.

Ursula.

Ihr könntet ihn unmöglich so vortrefflich schlecht nachmachen, wenn Ihr nicht der Mann selber wärt. Hier ist ja seine trockne Hand ganz und gar; Ihr seid’s, Ihr seid’s.

Antonio.

Auf mein Wort, ich bin’s nicht.

Ursula.

Geht mir doch! Denkt Ihr denn, ich kenne Euch nicht an Eurem lebhaften Witz? Kann sich Tugend verbergen? Ei, ei, Ihr seid’s. Die Anmut läßt sich nicht verhüllen, und damit gut. (Gehn vorüber.) Benedikt und Beatrice maskiert.

Beatrice.

Wollt Ihr mir nicht sagen, wer Euch das gesagt hat?

Benedikt.

Nein, das bitte ich mir aus.

Beatrice.

Und wollt Ihr mir auch nicht sagen, wer Ihr seid?

Benedikt.

Jetzt nicht.

Beatrice.

Daß ich voller Hochmut sei – und daß ich meinen besten Witz aus den hundert lustigen Erzählungen hernehme. – Nun seht, das sagte mir Signor Benedikt.

Benedikt.

Wer ist das?

Beatrice.

Ich bin gewiß, Ihr kennt ihn mehr als zuviel.

Benedikt.

Nein, gewiß nicht.

Beatrice.

Hat er Euch nie lachen gemacht?

Benedikt.

Sagt mir doch, wer ist er denn?

Beatrice.

Nun, er ist des Prinzen Hofnarr: ein sehr schaler Spaßmacher, der nur das Talent hat, unmögliche Lästerungen zu ersinnen. Niemand findet Gefallen an ihm als Wüstlinge, und was ihn diesen empfiehlt, ist nicht sein Witz, sondern seine Schlechtigkeit: denn er unterhält sie und ärgert sie zugleich, und dann lachen sie einmal über ihn, und ein andermal schlagen sie ihn. Ich weiß gewiß, er ist hier in diesem Geschwader: ich wollte, unsre Fahrzeuge begegneten sich.

Benedikt.

Sollte ich diesen Kavalier finden, so will ich ihm erzählen, was Ihr von ihm sagt.

Beatrice.

Ja, ja, tut das immer. Er wird dann allenfalls ein paar Gleichnisse an mir zerbrechen, und wenn sich’s etwa fügt, daß niemand drauf achtgibt oder drüber lacht, so verfällt er in Schwermut, und dann ist ein Rebhuhnflügel gerettet, denn der Narr wird den Abend gewiß nicht essen. (Musik drinnen.) Wir müssen den Anführern folgen.

Benedikt.

In allem, was gut ist.

Beatrice.

Freilich, wenn sie zu etwas Bösem führen, so fall ich bei der nächsten Tour von ihnen ab. (Beide ab.)

Tanz drinnen. Es kommen Don Juan, Borachio, Claudio.

Don Juan.

Es ist richtig, mein Bruder ist in Hero verliebt und hat ihren Vater auf die Seite genommen, um ihm den Antrag zu machen: die Damen folgen ihr, und nur eine Maske bleibt zurück.

Borachio.

Und das ist Claudio, ich kenne ihn an seiner Haltung.

Don Juan.

Seid Ihr nicht Signor Benedikt?

Claudio.

Ihr habt’s getroffen, ich bin’s.

Don Juan.

Signor, Ihr steht sehr hoch in meines Bruders Freundschaft. Er ist in Hero verliebt: redet ihm das aus, ich bitte Euch. Sie ist ihm an Geburt nicht gleich; Ihr würdet darin als ein rechtschaffner Mann handeln.

Claudio.

Wie wißt Ihr’s denn, daß er sie liebt? –

Don Juan.

Ich hörte ihn seine Zuneigung beteuern.

Borachio.

Ich auch. Er schwur, er wolle sie noch diesen Abend heiraten.

Don Juan.

Kommt, wir wollen zum Bankett. – (Don Juan und Borachio ab.)

Claudio.

So gab ich Antwort ihm als Benedikt,

Doch Claudios Ohr vernahm die schlimme Zeitung.

Es ist gewiß, der Prinz warb für sich selbst;

Freundschaft hält stand in allen andern Dingen,

Nur in der Liebe Dienst und Werbung nicht.

Drum brauch ein Liebender die eigne Zunge,

Es rede jeglich Auge für sich selbst,

Und keiner trau dem Anwalt: Schönheit weiß

Durch Zauberkünste Treu in Blut zu wandeln,

Das ist ein Fall, der stündlich zu erproben,

Und dem ich doch vertraut: Hero, fahr hin. Benedikt kommt wieder.

Benedikt.

Graf Claudio?

Claudio.

Ja, der bin ich.

Benedikt.

Kommt, wollt Ihr mit?

Claudio.

Wohin?

Benedikt.

Nun, zum nächsten Weidenbaum, in Euren eignen Angelegenheiten, Graf. Auf welche Manier wollt Ihr Euern Kranz tragen; um den Hals, wie eines Wucherers Kette? oder unterm Arm, wie eines Hauptmanns Schärpe? Tragen müßt Ihr ihn, auf eine oder die andre Weise, denn der Prinz hat Eure Hero weggefangen.

Claudio.

Viel Glück mit ihr!

Benedikt.

Nun, das nenn ich gesprochen wie ein ehrlicher Viehhändler: so endigt man einen Ochsenhandel. Aber hättet Ihr’s wohl gedacht, daß der Prinz Euch einen solchen Streich spielen würde?

Claudio.

Ich bitte Euch, laßt mich.

Benedikt.

Oho, Ihr seid ja wie der blinde Mann. Der Junge stahl Euch Euer Essen, und Ihr schlagt den Pfeiler.

Claudio.

Wenn Ihr denn nicht wollt, so gehe ich. (Ab.)

Benedikt.

Ach, das arme angeschoßne Huhn! Jetzt wird sich’s in die Binsen verkriechen. – – Aber daß Fräulein Beatrice mich kennt, und doch auch nicht kennt… Des Prinzen Hofnarr? Ha! Mag sein, daß man mir diesen Titel gibt, weil ich lustig bin. – Aber nein! tue ich mir denn nicht selbst Unrecht? Halten mich denn die Leute für so etwas? Ist’s denn nicht die boshafte, bittre Gemütsart Beatricens, welche die Rolle der Welt übernimmt und mich dafür ausgibt? Gut, ich will mich rächen, wie ich kann. Don Pedro, Hero und Leonato kommen.

Don Pedro.

Sagt, Signor, wo ist der Graf? Habt Ihr ihn nicht gesehn?

Benedikt.

Wahrhaftig, gnädigster Herr, ich habe eben die Rolle der Frau Fama gespielt. Ich fand ihn hier so melancholisch wie ein Jagdhaus im Forst: darauf erzählte ich ihm – und ich glaube, ich erzählte die Wahrheit – Euer Gnaden habe die Gunst dieses jungen Fräuleins gewonnen, und bot ihm meine Begleitung zum nächsten Weidenbaum an, entweder ihm einen Kranz zu flechten, weil man ihm untreu geworden, oder ihm eine Rute zu binden, weil er nichts Besseres verdiene als Streiche.

Don Pedro.

Streiche? Was hat er denn begangen?

Benedikt.

Die alberne Sünde eines Schulknaben, der, voller Freuden über ein gefundenes Vogelnest, es seinem Kameraden zeigt, und dieser stiehlt’s ihm weg.

Don Pedro.

Willst du denn das Zutrauen zur Sünde machen? Die Sünde ist beim Stehler.

Benedikt.

Nun, es wäre doch nicht umsonst gewesen, wenn wir die Rute gebunden hätten und den Kranz dazu; den Kranz hätte er selbst tragen können, und die Rute wäre für Euch gewesen, denn Ihr habt ihm, wie mir’s vorkommt, sein Vogelnest gestohlen.

Don Pedro.

Ich will ihm seine Vögel nur singen lehren und sie dann dem Eigentümer wieder zustellen.

Benedikt.

Wenn ihr Gesang zu Euren Worten stimmt, so war es bei meiner Treue ehrlich gesprochen.

Don Pedro.

Fräulein Beatrice hat einen Handel mit Euch; der Kavalier, mit dem sie tanzte, hat ihr gesagt, Ihr hättet sehr übel von ihr gesprochen.

Benedikt.

Oh! Sie ist vielmehr mit mir umgegangen, daß kein Klotz es ausgehalten hätte; eine Eiche, an der nur noch ein einziges grünes Laub gewesen wäre, hätte ihr geantwortet; ja, selbst meine Maske fing an lebendig zu werden und mit ihr zu zanken. Sie sagte mir, indem sie mich für einen andern hielt, ich sei des Prinzen Hofnarr; ich sei langweiliger als ein starkes Tauwetter; das ging, Schlag auf Schlag, mit einer so unglaublichen Geschwindigkeit, daß ich nicht anders dastand als ein Mann an einer Scheibe, nach welcher eine ganze Armee schießt. Sie spricht lauter Dolche, und jedes Wort durchbohrt; wenn ihr Atem so fürchterlich wäre als ihre Ausdrücke, so könnte niemand in ihrer Nähe leben, sie würde alles bis an den Nordpol vergiften. Ich möchte sie nicht heiraten, und bekäme sie alles zur Mitgift, was Adam vor dem Sündenfall besaß. Sie hätte den Herkules gezwungen, ihr den Braten zu wenden, ja, er hätte seine Keule spalten müssen, um das Feuer anzumachen. Nein, reden wir nicht von der; an der werdet Ihr die höllische Ate finden, nur in schmucken Kleidern. Wollte doch Gott, wir hätten einen Gelehrten, der sie beschwören könnte; denn wahrhaftig, solange sie hier ist, lebt sich’s in der Hölle so ruhig, als auf geweihter Stätte, und die Leute sündigen mit Fleiß, um nur hinzukommen: so sehr folgen ihr alle Zwietracht, Grausen und Verwirrung. Claudio und Beatrice kommen.

Don Pedro.

Seht, da kommt sie.

Benedikt.

Hat Eure Hoheit nicht eine Bestellung für mich an das Ende der Welt? Ich wäre jetzt bereit, um des geringsten Auftrags willen, der Euch in den Sinn käme, zu den Antipoden zu gehn. Ich wollte Euch vom äußersten Rande von Asien einen Zahnstocher holen; Euch das Maß vom Fuß des Priesters Johannes bringen; Euch ein Haar aus dem Bart des großen Khans holen; eine Gesandtschaft zu den Pygmäen übernehmen – ehe ich nur drei Worte mit dieser Harpye wechseln sollte. Habt Ihr kein Geschäft für mich?

Don Pedro.

Keines, als daß ich um Eure angenehme Gesellschaft bitte.

Benedikt.

O Himmel, mein Fürst, hier habt Ihr ein Gericht, das nicht für mich ist; ich kann diese gnädige Frau Zunge nicht vertragen. (Ab.)

Don Pedro.

Seht Ihr wohl, Fräulein, Ihr habt Signor Benedikts Herz verloren.

Beatrice.

Es ist wahr, gnädiger Herr, er hat es mir eine Zeitlang versetzt, und ich gab ihm seinen Zins dafür, ein doppeltes Herz für sein einfaches. Seitdem hatte er mir’s aber mit falschen Würfeln wieder abgenommen, so daß Euer Gnaden wohl sagen mag, ich habe es verloren.

Don Pedro.

Ihr habt ihn untergekriegt, mein Fräulein, Ihr habt ihn untergekriegt.

Beatrice.

Ich wollte nicht, daß er mir das täte, gnädiger Herr, ich möchte sonst Narren zu Kindern bekommen. Hier bringe ich Euch den Grafen Claudio, den Ihr mir zu suchen auftrugt.

Don Pedro.

Nun, wie steht’s, Graf, warum seid Ihr so traurig?

Claudio.

Nicht traurig, mein Fürst.

Don Pedro.

Was denn? krank?

Claudio.

Auch das nicht.

Beatrice.

Der Graf ist weder traurig, noch krank, noch lustig, noch wohl; aber höflich, Graf, höflich wie eine Apfelsine, und ein wenig von ebenso eifersüchtiger Farbe.

Don Pedro.

In Wahrheit, Fräulein, ich glaube, Eure Beschreibung trifft zu; obgleich ich schwören kann, daß, wenn dies der Fall ist, sein Argwohn im Irrtum sei. Sieh, Claudio, ich warb in deinem Namen, und die schöne Hero ist gewonnen; ich hielt bei ihrem Vater an und habe seine Einwilligung erhalten. Bestimme jetzt deinen Hochzeitstag, und Gott schenke dir seinen Segen.

Leonato.

Graf, empfangt von mir meine Tochter und mit ihr mein Vermögen. Seine Gnaden haben die Heirat gemacht, und die ewige Gnade sage Amen dazu.

Beatrice.

Redet doch, Graf, das war eben Euer Stichwort.

Claudio.

Schweigen ist der beste Herold der Freude. Ich wäre nur wenig glücklich, wenn ich sagen könnte, wie sehr ich’s bin. Fräulein, wie Ihr die Meine seid, bin ich nun der Eure; ich gebe mich selbst für Euch hin und bin selig über die Auswechslung.

Beatrice.

Redet doch, Muhme, oder wenn Ihr nichts wißt, so schließt ihm den Mund mit einem Kuß und laßt ihn auch nicht zu Wort kommen.

Don Pedro.

In der Tat, mein Fräulein, Ihr habt ein fröhliches Herz.

Beatrice.

O ja, gnädiger Herr, ich weiß es ihm Dank, dem närrischen Dinge, es hält sich immer an der Windseite des Kummers. Meine Muhme sagt ihm da ins Ohr, er sei in ihrem Herzen.

Claudio.

Ja, das tut sie, Muhme.

Beatrice.

Lieber Gott, über das Heiraten! So kommt alle Welt unter die Haube, nur ich nicht, und mich brennt die Sonne braun; ich muß schon im Winkel sitzen und mit Ach und Weh nach einem Mann weinen.

Don Pedro.

Fräulein Beatrice, ich will Euch einen schaffen.

Beatrice.

Ich wollte, Euer Vater hätte diese Mühe übernommen. Haben Euer Gnaden nicht vielleicht einen Bruder, der Euch gleicht? Euer Vater verstand sich auf herrliche Ehemänner, wenn ein armes Mädchen nur dazu kommen könnte!

Don Pedro.

Wollt Ihr mich haben, mein Fräulein?

Beatrice.

Nein, mein Prinz, ich müßte denn einen andern daneben für die Werkeltage haben können. Eure Hoheit ist zu kostbar, um Euch für alle Tage zu tragen. – Aber ich bitte, verzeiht mir, mein Prinz; ich bin einmal dazu geboren, lauter Torheiten und nichts Ernsthaftes zu sprechen.

Don Pedro.

Euer Schweigen verdrießt mich am meisten; nichts kleidet Euch besser als Munterkeit, denn Ihr seid ohne Frage in einer lustigen Stunde geboren.

Beatrice.

O nein, gnädigster Herr, denn meine Mutter weinte. Aber es tanzte eben ein Stern, und unter dem bin ich zur Welt gekommen. Glück zu, Vetter und Muhme! –

Leonato.

Nichte, wollt Ihr das besorgen, wovon ich Euch sagte?

Beatrice.

O ich bitte tausendmal um Vergebung, Oheim; mit Eurer Hoheit Erlaubnis. (Ab.)

Don Pedro.

Wahrhaftig, ein angenehmes, muntres Mädchen! –

Leonato.

Melancholisches Element hat sie nicht viel, gnädiger Herr. Sie ist nie ernsthaft, als wenn sie schläft: und auch dann ist sie’s nicht immer. Denn, wie meine Tochter mir erzählt, träumt ihr zuweilen tolles Zeug, und vom Lachen wacht sie auf.

Don Pedro.

Sie kann’s nicht leiden, daß man ihr von einem Manne sagt.

Leonato.

O um alles in der Welt nicht; sie spottet alle ihre Freier von sich weg.

Don Pedro.

Das wäre eine vortreffliche Frau für Benedikt! –

Leonato.

O behüte Gott, mein Fürst; wenn die eine Woche verheiratet wären, sie hätten einander toll geschwatzt.

Don Pedro.

Graf Claudio, wann gedenkt Ihr Eure Braut zur Kirche zu führen?

Claudio.

Morgen, gnädiger Herr. Die Zeit geht auf Krücken, bis die Liebe im Besitz aller ihrer Rechte ist.

Leonato.

Nicht vor dem nächsten Montag, mein lieber Sohn, welches gerade heute über acht Tage wäre; und auch das ist noch immer eine zu kurze Zeit, um alles nach meinem Sinn zu veranstalten.

Don Pedro.

Ich sehe, ihr schüttelt den Kopf über einen so langen Aufschub, aber ich verspreche dir’s, Claudio, diese Woche soll uns nicht langweilig werden. Ich will während dieser Zwischenzeit eine von Herkules‘ Arbeiten vollbringen, und zwar die, den Signor Benedikt und das Fräulein Beatrice sterblich ineinander verliebt zu machen. Ich sähe die beiden gar zu gern als ein Paar und zweifle nicht, damit zustande zu kommen, wenn ihr drei mir solchen Beistand versprechen wollt, wie ich’s jedem von euch anweisen werde.

Leonato.

Ich bin zu Euren Diensten, mein Fürst, und sollte mich’s zehn schlaflose Nächte kosten.

Claudio.

Ich auch, gnädiger Herr.

Don Pedro.

Und Ihr auch, schöne Hero?

Hero.

Ich will alles tun, was nicht unziemlich ist, um meiner Muhme zu einem guten Mann zu verhelfen.

Don Pedro.

Und Benedikt ist noch keiner von den hoffnungslosesten Ehemännern, die ich kenne. Soviel kann ich von ihm rühmen: er ist von edler Geburt, von erprobter Tapferkeit und bewährter Rechtschaffenheit. Ich will Euch lehren, wie Ihr Eure Muhme stimmen sollt, daß sie sich in Benedikt verliebe: und ich werde mit eurer beider Hilfe Benedikt so bearbeiten, daß er trotz seinem schnellen Witz und seinem verwöhnten Gaumen in Beatricen verliebt werden soll. Wenn wir das zustande bringen, so ist Cupido kein Bogenschütze mehr; sein Ruhm wird uns zuteil werden, denn dann sind wir die einzigen wahren Liebesgötter. Kommt mit mir hinein, ich will euch meinen Plan sagen. (Ab.)

Zweite Szene

Zimmer in Leonatos Hause Don Juan und Borachio treten auf

Don Juan.

Es ist richtig; Graf Claudio wird Leonatos Tochter heiraten.

Borachio.

Ja, gnädiger Herr; ich kann aber einen Querstrich machen.

Don Juan.

Jeder Schlagbaum, jeder Querstrich, jedes Hindernis wird mir eine Arznei sein. Ich bin krank vor Verdruß über ihn, und was nur irgend seine Neigung kreuzt, geht gleichen Weges mit der meinigen. Wie willst du denn diese Heirat hindern?

Borachio.

Nicht auf eine redliche Art, gnädiger Herr, aber so versteckt, daß keine Unredlichkeit an mir sichtbar werden soll.

Don Juan.

Wie denn? Mach’s kurz.

Borachio.

Ich glaube, ich sagte Euch schon vor einem Jahr, gnädiger Herr, wie weit ich’s in Margaretens Gunst gebracht, des Kammermädchens der Hero?

Don Juan.

Ich erinnere mich.

Borachio.

Ich kann sie zu jedem ungewöhnlichen Augenblick in der Nacht so bestellen, daß sie aus dem Kammerfenster ihres Fräuleins heraussieht.

Don Juan.

Und was für Leben ist darin, der Tod dieser Heirat zu werden?

Borachio.

Das Gift hieraus zu mischen ist hernach Eure Sache. Geht zum Prinzen, Eurem Bruder; seid nicht sparsam damit, ihm zu sagen, welchen Schimpf es seiner Ehre bringe, den hochberühmten Claudio (dessen Würdigung Ihr mächtig erheben müßt) mit einer verrufenen Dirne zu vermählen, wie diese Hero.

Don Juan.

Und welchen Beweis soll ich ihm davon geben?

Borachio.

Beweis genug, den Prinzen zu täuschen, Claudio zu quälen, Hero zugrunde zu richten und Leonato zu töten. Wollt Ihr denn noch mehr haben?

Don Juan.

Alles will ich dran setzen, nur um sie zu ärgern.

Borachio.

Nun wohl, so findet mir eine bequeme Stunde, in der Ihr Don Pedro und Graf Claudio beiseite nehmen könnt. Sagt ihnen, Ihr wüßtet, Hero liebe mich; zeigt einen besondern Eifer für den Prinzen wie für Claudio, und wie Ihr aus Besorgnis für Eures Bruders Ehre, der diese Heirat gemacht, und für seines Freundes Ruf, der im Begriff sei, durch die Larve eines Mädchens hintergangen zu werden, dies alles offenbartet. Sie werden Euch schwerlich ohne Untersuchung glauben: dann erbietet Euch, Beweise zu schaffen, und zwar nicht geringere, als daß sie mich an ihrem Kammerfenster sehn sollen; mich hören, wie ich Margareten Hero nenne, wie Margarete mich Borachio ruft: und dies alles laßt sie grade in der Nacht vor dem bestimmten Hochzeitstage sehn. Denn ich will indes die Sache so einrichten, daß Hero abwesend sein soll, und daß, wenn sich so wahrscheinliche Gründe für ihre Treulosigkeit häufen, Argwohn als Überzeugung erscheinen und die ganze Zurüstung unnütz werden soll.

Don Juan.

Mag daraus Unheil kommen, was will, ich unternehme es. Zeige dich gewandt in der Ausführung, und tausend Dukaten sollen deine Belohnung sein.

Borachio.

Bleibt nur standhaft in Eurer Anklage, meine Gewandtheit soll mir keine Schande machen.

Don Juan.

Ich will gleich gehn und hören, welchen Tag sie zur Hochzeit angesetzt haben. (Beide ab.)

Dritte Szene

Leonatos Garten Benedikt und ein Page treten auf

Benedikt.

Höre!

Page.

Signor?

Benedikt.

In meinem Kammerfenster liegt ein Buch, bringe mir das hieher in den Garten.

Page.

Ich bin schon hier, gnädiger Herr.

Benedikt.

Das weiß ich, aber ich will dich fort haben und hernach wieder hier. (Page geht.) Ich wundre mich doch außerordentlich, wie ein Mann, der sieht, wie ein anderer zum Narren wird, wenn er seine Gebärden der Liebe widmet, doch, nachdem er solche läppischen Torheiten an jenem verspottet, sich zum Gegenstand seiner eignen Verachtung macht, indem er sich selbst verliebt: und solch ein Mann ist Claudio. Ich weiß die Zeit, da ihm keine Musik recht war, als Trommel und Querpfeife, und nun hörte er lieber Tamburin und Flöte. Ich weiß die Zeit, wo er fünf Stunden zu Fuß gelaufen wäre, um eine gute Rüstung zu sehn, und jetzt könnte er fünf Nächte ohne Schlaf zubringen, um den Schnitt eines neuen Wamses zu ersinnen. Sonst sprach er schlicht vom Munde weg, wie ein ehrlicher Junge und ein guter Soldat; nun ist er ein Wortdrechsler geworden, seine Rede ist wie ein phantastisch besetztes Bankett, ebensoviel kurioses, seltsames Konfekt. – Sollt ich jemals so verwandelt werden können, solange ich noch aus diesen Augen sehe? Wer weiß: – Ich glaube es nicht. Ich will nicht darauf schwören, daß mich die Liebe nicht in eine Auster verwandeln könne; aber darauf möchte ich doch einen Eid ablegen, daß sie mich vorher erst in eine Auster verwandelt haben muß, eh sie einen solchen Narren aus mir machen soll. Dieses Mädchen ist schön, das tut mir noch nichts; ein andres hat Verstand, das tut mir auch nichts; eine dritte ist tugendhaft, das tut mir immer noch nichts: und bis nicht alle Vorzüge sich in einem Mädchen vereinigen, soll kein Mädchen bei mir einen Vorzug haben. Reich muß sie sein, das ist ausgemacht; verständig, oder ich mag sie nicht; tugendhaft, oder ich biete gar nicht auf sie; schön, oder ich sehe sie nicht an; sanft, oder sie soll mir nicht nahe kommen; edel, oder ich nehme sie nicht, und gäbe man mir noch einen Engel zu; angenehm in ihrer Unterhaltung, vollkommen in der Musik: und wenn sie das alles ist, so mag ihr Haar eine Farbe haben, wie es Gott gefällt. Ach! da kommen der Prinz und unser Amoroso. Ich will mich in die Laube verstecken. (Geht beiseite.) Don Pedro, Leonato und Claudio kommen.

Don Pedro.

Gefällt’s Euch jetzt, das Lied zu hören?

Claudio.

Ja, teurer Herr. – Wie still der Abend ist,

Wie schlummernd, daß Musik noch süßer töne! –

Don Pedro.

Seht Ihr, wie Benedikt sich dort versteckt?

Claudio.

Jawohl, mein Fürst. Wenn der Gesang beendigt,

Soll unser Füchslein gleich sein Teil erhalten. Balthasar mit Musik kommt.

Don Pedro.

Kommt, Balthasar, singt das Gedicht noch einmal.

Balthasar.

Mein Fürst, verlangt nicht von so rauher Stimme,

Zum zweitenmal dies Lied Euch zu verderben.

Don Pedro.

Stets war’s ein Merkmal der Vortrefflichkeit,

Durch Larve die Vollendung zu entstellen: –

Ich bitt dich sing, laß mich nicht länger werben.

Balthasar.

Weil Ihr von Werbung sprecht, so will ich singen,

Denn oft beginnt sein Werben ein Galan,

Wo ’s ihm der Müh nicht wert scheint: dennoch wirbt er

Und schwört, er sei verliebt.

Don Pedro.

Nun bitt ich, singe,

Und willst du erst noch länger präludieren,

So tu’s in Noten.

Balthasar.

Welche Not! die Noten

Sind der Notiz nicht wert, notiert Euch das.

Don Pedro.

Das nenn ich drei gestrichne Noten mir,

Not, Noten und Notiz! (Musik)

Benedikt.

Nun, divina musica. Nun ist seine Seele in Verzückung! Ist es nicht seltsam, daß Schafdärme die Seele aus eines Menschen Leibe ziehn können? Nun, im Ernst, eine Hornmusik wäre mir lieber. Lied.

Klagt, Mädchen, klagt nicht Ach und Weh,

Kein Mann bewahrt die Treue,

Am Ufer halb, halb schon zur See

Reizt, lockt sie nur das Neue.

Weint keine Trän und laßt sie gehn,

Seid froh und guter Dinge,

Daß statt der Klag und dem Gestöhn

Juchheisasa erklinge. Singt nicht Balladen trüb und bleich,

In Trauermelodien:

Der Männer Trug war immer gleich

Seitdem die Schwalben ziehen.

Weint keine Trän usw.

Don Pedro.

Auf meine Ehre, ein hübsches Lied.

Balthasar.

Und ein schlechter Sänger, gnädiger Herr.

Don Pedro.

Wie? O nein doch, du singst gut genug für den Notbehelf.

Benedikt (beiseite).

Wär’s ein Hund gewesen, der so geheult hätte, sie hätten ihn aufgehängt. Nun, Gott gebe, daß seine heisre Stimme kein Unglück bedeute! – Ich hätte ebenso gern den Nachtraben gehört, wäre auch alles erdenkliche Unglück danach erfolgt.

Don Pedro (zu Claudio).

Ja, Ihr habt recht. – Höre, Balthasar! Schaffe uns eine recht ausgesuchte Musik; morgen abend soll sie unter Fräulein Heros Fenstern spielen.

Balthasar.

Die beste, die ich finden kann, gnädiger Herr. (Ab mit den Musikern.)

Don Pedro.

Schön; – jetzt laß uns. – Kommt, Leonato, was erzähltet Ihr mir doch vorhin? Daß Eure Nichte Beatrice in Benedikt verliebt sei?

Claudio (beiseite).

O nur zu, nur zu, der Vogel sitzt. (Laut.) Ich hätte nie geglaubt, daß das Fräulein einen Mann lieben könnte.

Leonato.

Ich ebensowenig. Aber das ist eben das Wunderbarste, daß sie grade für den Benedikt schwärmt, den sie dem äußern Schein nach bisher verabscheute.

Benedikt.

Ist’s möglich? bläst der Wind aus der Ecke?

Leonato.

Auf mein Wort, gnädiger Herr, ich weiß nicht, was ich davon denken soll. Aber sie liebt ihn mit einer rasenden Leidenschaft, es geht über alle Grenzen der Vorstellung.

Don Pedro.

Vielleicht ist’s nur Verstellung.

Claudio.

Das möcht ich auch glauben.

Leonato.

O Gott, Verstellung? Es ist wohl noch nie eine verstellte Leidenschaft der lebendigen Leidenschaft so nahe gekommen, als sich’s an ihr äußert.

Don Pedro.

Nun, und welche Symptome der Leidenschaft zeigt sie denn?

Claudio (leise).

Jetzt ködert den Hamen, dieser Fisch wird anbeißen.

Leonato.

Welche Symptome, gnädiger Herr? Sie sitzt Euch da,… nun, meine Tochter sagte Euch ja, wie.

Claudio.

Ja, das tat sie.

Don Pedro.

Wie denn? Wie? Ihr setzt mich in Erstaunen. Ich hätte immer gedacht, ihr Herz sei ganz unempfindlich gegen alle Angriffe der Liebe.

Leonato.

Darauf hätte ich auch geschworen, mein Fürst, und besonders gegen Benedikt.

Benedikt (beiseite).

Ich hielte es für eine Prellerei, wenn’s der weißbärtige Kerl nicht sagte. Spitzbüberei, meiner Seele, kann sich doch nicht hinter solcher Ehrwürdigkeit verbergen.

Claudio (beiseite).

Jetzt hat’s gefaßt, nur immer weiter.

Don Pedro.

Hat sie Benedikt ihre Neigung zu erkennen gegeben?

Leonato.

Nein, sie schwört auch, dies nie zu tun: das ist eben ihre Qual.

Claudio.

Jawohl, darin liegt’s. Das sagte mir auch Eure Tochter; «Soll ich», sagte sie, «die ich ihm sooft mit Spott begegnet, ihm jetzt schreiben, daß ich ihn liebe?»

Leonato.

Das sagt sie, wenn sie grade einen Brief an ihn angefangen hat. Denn sie steht wohl zwanzigmal in der Nacht auf, und da sitzt sie dann in ihrem Nachtkleide und schreibt ganze Seiten voll – meine Tochter sagt uns alles. – – Und nachher zerreißt sie den Brief in tausend Hellerstückchen, zankt mit sich selbst, daß sie sowenig Zurückhaltung besitze, an jemand zu schreiben, von dem sie’s doch wisse, er werde sie verhöhnen: «Ich beurteile ihn», sagt sie, «nach meiner eigenen Sinnesart, denn ich würde ihn verhöhnen, wenn er mir schriebe; ja, wie sehr ich ihn liebe, ich tät es doch».

Claudio.

Dann nieder auf die Knie stürzt sie, weint, seufzt, schlägt sich an die Brust, zerrauft ihr Haar, betet, flucht: «O süßer Benedikt! Gott schenke mir Geduld!»

Leonato.

Freilich, das tut sie, das sagt mir meine Tochter, ja, sie ist so außer sich in ihrer Ekstase, daß meine Tochter zuweilen fürchtet, sie möchte in der Verzweiflung sich ein Leids tun: das ist nur zu wahr.

Don Pedro.

Es wäre doch gut, wenn Benedikt es durch jemand anders erführe, da sie es ihm nun einmal nicht entdecken wird.

Claudio.

Wozu? Er würde doch nur Scherz damit treiben und das arme Fräulein dafür ärger quälen.

Don Pedro.

Wenn er das täte, so wär’s ein gutes Werk, ihn zu hängen. Sie ist ein vortreffliches, liebes Fräulein und ihr guter Ruf über allen Verdacht erhaben.

Claudio.

Dabei ist sie ausgezeichnet verständig.

Don Pedro.

In allen andern Dingen, nur nicht darin, daß sie den Benedikt liebt.

Leonato.

O gnädiger Herr! wenn Verstand und Leidenschaft in einem so zarten Wesen miteinander kämpfen, so haben wir zehn Beispiele für eines, daß die Leidenschaft den Sieg davonträgt. Es tut mir leid um sie, und ich habe die gerechteste Ursache dazu, da ich ihr Oheim und Vormund bin.

Don Pedro.

Ich wollte, sie hätte diese Entzückungen mir gegönnt; ich hätte alle andern Rücksichten abgetan und sie zu meiner Hälfte gemacht. Ich bitte Euch, sagt doch dem Benedikt von der Sache und hört, was er erwidern wird.

Leonato.

Meint Ihr wirklich, daß es gut wäre?

Claudio.

Hero ist überzeugt, es werde ihr Tod sein; denn sie sagt, sie sterbe, wenn er sie nicht wiederliebe, und sie sterbe auch lieber, als daß sie ihm ihre Liebe entdecke; und wenn er sich wirklich um sie bewirbt, so wird sie eher sterben wollen, als das Geringste von ihrem gewohnten Widerspruchsgeist aufgeben.

Don Pedro.

Sie hat ganz recht; wenn sie ihm ihre Neigung merken ließe, so wär’s sehr möglich, daß er sie nur verlachte. Der Mann hat, wie ihr alle wißt, eine sehr übermütige Gesinnung.

Claudio.

Er ist sonst ein feiner Mann.

Don Pedro.

Er hat allerdings eine recht glückliche äußere Bildung.

Claudio.

Ganz gewiß, und wie mich dünkt, auch viel Verstand.

Don Pedro.

Es zeigen sich in der Tat mitunter Funken an ihm, welche wie Witz aussehn.

Leonato.

Und ich halte ihn auch für tapfer.

Don Pedro.

Wie Hektor, das versichre ich Euch; und nach der Art, wie er mit Händeln umzugehn versteht, muß man auch einräumen, daß er Klugheit besitzt. Denn entweder weicht er ihnen mit großer Vorsicht aus, oder er unterzieht sich ihnen mit einer christlichen Furcht.

Leonato.

Wenn er Gott fürchtet, so muß er notwendig Frieden halten. Wenn er den Frieden bricht, kann’s nicht anders sein, als daß er seine Händel mit Furcht und Zittern anfängt.

Don Pedro.

Und so ist es auch. Denn der Mann fürchtet Gott, obgleich nach seinen derben Späßen kein Mensch das von ihm glauben sollte. Mit alledem dauert mich Eure Nichte. Wollen wir gehn und Benedikt aufsuchen und ihm von ihrer Liebe sagen?

Claudio.

Nimmermehr, gnädigster Herr. Diese Schwachheit wird endlich verständigem Rate weichen.

Leonato.

Ach, das ist unmöglich. Eher wird ihr Leben von ihr weichen.

Don Pedro.

Nun, wir wollen hören, was Eure Tochter weiter davon sagt, und sich’s indes verkühlen lassen. Ich halte viel auf Benedikt und wünsche sehr, er möchte sich einmal mit aller Bescheidenheit prüfen und einsehn, wie wenig er eine so treffliche Dame zu besitzen verdient.

Leonato.

Wollen wir gehn, mein Fürst? Das Mittagessen wird fertig sein.

Claudio (beiseite).

Wenn er sich hierauf nicht sterblich in sie verliebt, so will ich nie wieder einer Wahrscheinlichkeit trauen.

Don Pedro (beiseite).

Man muß jetzt das nämliche Netz für sie aufstellen, und das laßt Eure Tochter und ihre Kammerfrau übernehmen. Der Spaß wird sein, wenn jeder von ihnen sich von der Leidenschaft des andern überzeugt hält, und ohne allen Grund. Das ist die Szene, die ich sehen möchte: es wird eine wahre Pantomime sein. Wir wollen sie abschicken, um ihn zu Tische zu rufen. (Don Pedro, Claudio und Leonato ab.)

Benedikt (tritt hervor).

Das kann keine Schelmerei sein; das Gespräch war zu ernsthaft. Sie haben die Gewißheit der Sache von Hero; sie scheinen das Fräulein zu bedauern: es scheint, ihre Leidenschaft hat die höchste Spannung erreicht. – In mich verliebt? Oh, das muß erwidert werden. Ich höre, wie man von mir denkt: sie sagen, ich werde mich stolz gebärden, wenn ich merke, wie sie mich liebt. Sie sagen ferner, sie werde eher sterben, als irgendein Zeichen ihrer Neigung geben. Ich dachte, nie zu heiraten; aber man soll mich nicht für stolz halten. Glücklich sind, die erfahren, was man an ihnen aussetzt, und sich danach bessern können. Sie sagen, das Fräulein sei schön; ja, das ist eine Wahrheit, die ich bezeugen kann; und tugendhaft: – allerdings, ich kann nichts dawider sagen; – und verständig, ausgenommen, daß sie in mich verliebt sei: – nun – meiner Treu, das ist eben kein Zuwachs ihrer Verständigkeit, aber doch kein großer Beweis ihrer Torheit, denn ich will mich entsetzlich wieder in sie verlieben. – Ich wage es freilich drauf, daß man mir etliche alberne Späße und Witzbrocken zuwirft, weil ich selbst so lange über das Heiraten geschmält habe; aber kann sich der Geschmack nicht ändern? Es liebt einer in seiner Jugend ein Gericht, das er im Alter nicht ausstehn kann – sollen wir uns durch Sticheleien und Sentenzen und derlei papierene Kugeln des Gehirns aus der rechten Bahn unsrer Laune schrecken lassen? Nein, die Welt muß bevölkert werden. Als ich sagte, ich wolle als Junggeselle sterben, dacht ich es nicht zu erleben, daß ich noch eine Frau nehmen würde. Da kommt Beatrice. Beim Sonnenlicht, sie ist schön! ich erspähe schon einige Zeichen der Liebe an ihr. Beatrice kommt.

Beatrice.

Wider meinen Willen hat man mich abgeschickt, Euch zu Tische zu rufen.

Benedikt.

Schöne Beatrice, ich danke Euch für Eure Mühe.

Beatrice.

Ich gab mir nicht mehr Mühe, diesen Dank zu verdienen, als Ihr Euch bemüht, mir zu danken. Wär es mühsam gewesen, so wär ich nicht gekommen.

Benedikt.

Die Bestellung machte Euch also Vergnügen?

Beatrice.

Ja, grade soviel, als Ihr auf einer Messerspitze nehmen könnt, um’s einer Dohle beizubringen. Ihr habt wohl keinen Appetit, Signor? So gehabt Euch wohl. (Ab.)

Benedikt.

Ah, «wider meinen Willen hat man mich abgeschickt, Euch zu Tische zu rufen!» Das kann zweierlei bedeuten: «es kostete mich nicht mehr Mühe, diesen Dank zu verdienen, als Ihr Euch bemüht, mir zu danken»: das heißt soviel als: jede Mühe, die ich für Euch unternehme, ist so leicht als ein Dank. Wenn ich nicht Mitleid für sie fühle, so bin ich ein Schurke; wenn ich sie nicht liebe, so bin ich ein Jude. Ich will gleich gehn und mir ihr Bildnis verschaffen. (Ab.)

Dritter Aufzug

Erste Szene

Es treten auf Hero, Margareta, Ursula

Hero.

Lauf, Margareta, in den Saal hinauf,

Dort findst du meine Muhme Beatrice

Mit Claudio und dem Prinzen im Gespräch:

Raun ihr ins Ohr, daß ich und Ursula

Im Garten sind und unsre Unterhaltung

Nur sie betrifft; sag, daß du uns behorcht.

Dann heiß sie schleichen in die dichte Laube,

Wo Geißblattranken, an der Sonn erblüht,

Der Sonne Zutritt wehren: – wie Günstlinge,

Von Fürsten stolz gemacht, mit Stolz verschatten

Die Kraft, die sie erschaffen. – Dort versteckt

Soll sie uns reden hören: dies besorge,

Mach deine Sachen gut und laß uns jetzt.

Margareta.

Ich schaffe gleich sie her, verlaßt Euch drauf. (Ab.)

Hero.

Nun, Ursula, wenn Beatrice kommt

Und wir im Baumgang auf- und niederwandeln,

Sei einzig nur vom Benedikt die Rede.

Wenn ich ihn nenne, sei es deine Rolle,

Ihn mehr, als je ein Mann verdient, zu loben.

Darauf erzähl ich dir, wie Benedikt

In Beatricen sterblich sei verliebt.

So schnitzt der kleine Gott die schlauen Pfeile,

Die schon durch Hören treffen. Jetz fang an:

Denn sieh nur, Beatrice, wie ein Kiebitz,

Schlüpft dicht am Boden hin, uns zu belauschen. (Beatrice schleicht in die Laube.)

Ursula.

Die Lust beim Angeln ist, sehn, wie der Fisch

Den Silberstrom mit goldnen Rudern teilt,

Den tückschen Haken gierig zu verschlingen.

So angeln wir nach jener, die sich eben

Geduckt dort in die Geißblatthülle birgt.

Sorgt nicht um meinen Anteil am Gespräch.

Hero.

Komm näher nun, daß nichts ihr Ohr verliere

Vom süßen Köder, den wir trüglich legen.

(Sie nähern sich der Laube.)

Nein, wahrlich, Ursula, sie ist zu stolz.

Ich kenn ihr Herz, es ist so spröd und wild

Wie ungezähmte Falken.

Ursula.

Ist’s denn wahr?

Liebt Benedikt so einzig Beatricen?

Hero.

So sagt der Prinz und auch mein Bräutigam.

Ursula.

Und trugen sie Euch auf, es ihr zu sagen?

Hero.

Sie baten mich, ich mög es ihr entdecken.

Ich sprach, da Benedikt ihr Freund, sie möchten

Ihm raten, diese Neigung zu besiegen,

Daß Beatrice nie davon erfahre.

Ursula.

Warum, mein Fräulein? Sagt, verdienet er

So reiche, vollbeglückte Ehe nicht,

Als Beatrice je gewähren kann?

Hero.

Beim Liebesgott! Ich weiß es, er verdient

Soviel, als man dem Manne nur vergönnt.

Doch schuf Natur noch nie ein weiblich Herz

Von spröderm Stoff, als das der Beatrice;

Hohn und Verachtung sprüht ihr funkelnd Auge

Und schmäht, worauf sie blickt: so hoch im Preise

Stellt sie den eignen Witz, daß alles andre

Ihr nur gering erscheint; sie kann nicht lieben,

Noch Bild und Form der Neigung in sich prägen,

So ist sie in sich selbst vergafft.

Ursula.

Gewiß,

Und darum wär’s nicht gut, erführe sie’s,

Wie er sie liebt; sie würd ihn nur verspotten.

Hero.

Da sagst du wahr. Ich sah noch keinen Mann,

So klug, so jung und brav, so schön gebildet,

Sie münzt ihn um ins Gegenteil. Wenn blond,

So schwur sie, sollt er ihre Schwester heißen.

Wenn schwarz, hatt‘ Natur einen Harlekin,

Sich zeichnend, einen Tintenfleck gemacht;

Schlank, war’s ein Lanzenschaft mit schlechtem Kopf,

Klein, ein Achatbild, ungeschickt geschnitzt:

Sprach er, ein Wetterhahn für alle Winde,

Schwieg er, ein Block, den keiner je bewegt.

So kehrt sie stets die falsche Seit hervor

Und gibt der Tugend und der Wahrheit nie,

Was Einfalt und Verdienst erwarten dürfen.

Ursula.

Gewiß, so scharfer Witz macht nicht beliebt.

Hero.

O nein! So schroff, so außer aller Form,

Wie’s Beatrice liebt, empfiehlt wohl nie.

Wer aber darf ihr’s sagen? Wollt ich reden,

Ich müßt an ihrem Spott vergehn; sie lachte

Mich aus mir selbst, erdrückte mich mit Witz.

Mag Benedikt drum wie verdecktes Feuer

In Seufzern sterben, innen sich verzehren:

Das ist ein beßrer Tod, als totgespottet,

Was schlimmer ist, als totgekitzelt werden.

Ursula.

Erzählt’s Ihr doch, hört, was sie dazu sagt.

Hero.

Nein, lieber geh ich selbst zu Benedikt

Und rat ihm, seine Leidenschaft zu zähmen.

Und wahrlich, einge ehrliche Verleumdung

Auf meine Muhm ersinn ich. Niemand glaubt,

Wie leicht ein böses Wort die Gunst vergiftet.

Ursula.

Tut Eurer Muhme nicht so großes Unrecht,

Sie kann nicht alles Urteil so verleugnen,

Mit soviel schnellem, scharfem Witz begabt

(Als man sie dessen rühmt), zurückzuweisen

Solch seltnen Kavalier als Signor Benedikt.

Hero.

In ganz Italien sucht er seinesgleichen:

Versteht sich, meinen Claudio ausgenommen.

Ursula.

Ich bitt Euch, zürnt mir deshalb nicht, mein Fräulein:

Nach meiner Ansicht glaub ich, Signor Benedikt

Gilt nach Gestalt und Haltung, Geist und Mut

In unserm Welschland für den ersten Mann.

Hero.

Gewiß, er ist von hochbewährtem Ruf.

Ursula.

Den ihm sein Wert verdient, eh er ihn hatte.

Wann macht Ihr Hochzeit, Fräulein?

Hero.

Nun, allernächstens; morgen wohl. Jetzt komm,

Ich will dir Kleider zeigen, rate mir,

Was morgen mich am besten schmücken wird.

Ursula.

Die klebt am Leim: Ihr fingt sie, dafür steh ich.

Hero.

So bringt ein Zufall Amorn oft Gelingen:

Den trifft sein Pfeil, den fängt er sich mit Schlingen. (Beide ab.)

Beatrice (kommt hervor)

Welch Feur durchströmt mein Ohr! Ist’s wirklich wahr?

Wollt ihr mir Spott und Hohn so scharf verweisen?

Leb wohl denn, Mädchenstolz, auf immerdar,

Mich lüstet nimmermehr nach solchen Preisen.

Und, Benedikt, lieb immer: so gewöhn ich

Mein wildes Herz an deine teure Hand:

Sei treu, und, Liebster, deine Treue krön ich,

Und unsre Herzen bind ein heilges Band.

Man sagt, du bist es wert, und ich kann schwören,

Ich wußt es schon, und besser als vom Hören. (Ab.)

Zweite Szene

Zimmer in Leonatos Hause

Don Pedro, Claudio, Benedikt und Leonato

Don Pedro.

Ich bleibe nur noch, bis Eure Hochzeit vorüber ist, und gehe dann nach Arragon zurück.

Claudio.

Ich will Euch dahin begleiten, mein Fürst, wenn Ihr mir’s vergönnen wollt.

Don Pedro.

Nein, das hieße, den neuen Glanz Eures Ehestands ebenso verderben, als einem Kinde sein neues Kleid zeigen und ihm verbieten, es zu tragen. Ich will mir nur Benedikts Gesellschaft erbitten, denn der ist von der Spitze seines Scheitels bis zur Sohle seines Fußes lauter Fröhlichkeit. Er hat Cupidos Bogensehne zwei- oder dreimal durchschnitten, und der kleine Henker wagt seitdem nicht mehr, auf ihn zu schießen. Er hat ein Herz, so gesund und ganz wie eine Glocke, und seine Zunge ist der Klöpfel, denn was sein Herz denkt, spricht seine Zunge aus.

Benedikt.

Ihr Herrn, ich bin nicht mehr, der ich war.

Leonato.

Das sag ich auch, mir scheint, Ihr seid ernster.

Claudio.

Ich hoffe, er ist verliebt.

Don Pedro.

Fort mit dem unnützen Menschen! – Es ist kein so wahrer Blutstropfen in ihm, daß er durch eine Liebe wahrhaft gerührt werden könnte; ist er ernst, so fehlt’s ihm an Geld.

Benedikt.

Mich schmerzt der Zahn.

Don Pedro.

Heraus damit! – Was! um Zahnweh seufzen?

Leonato.

Was doch nur ein Fluß oder ein Wurm ist?

Benedikt.

Gut, jeder kann den Schmerz bemeistern, nur der nicht, der ihn fühlt.

Claudio.

Ich bleibe doch dabei, er ist verliebt.

Don Pedro.

Es ist kein Zeichen verliebter Grillen an ihm, es müßte denn die Grille sein, mit der er in fremde Moden verliebt ist – also z. B. heut ein Holländer, morgen ein Franzos, oder in der Tracht zweier Länder zugleich, ein Deutscher, vom Gürtel abwärts ganz Pluderhosen, und ein Spanier drüber, ohne Wams. Hätte er also nicht eine verliebte Grille für diese Narrheit (wie er sie denn wirklich hat), so wäre er kein Narr aus Liebe, wie ihr ihn dazu machen wollt.

Claudio.

Wenn er nicht in irgendein Frauenzimmer verliebt ist, so traut keinem Wahrzeichen mehr. Er bürstet alle Morgen seinen Hut; was kann das sonst bedeuten?

Don Pedro.

Hat ihn jemand beim Barbier gesehn?

Claudio.

Nein, aber wohl den Barbiersdiener bei ihm, und die alte Zier seiner Wangen ist schon gebraucht, Bälle damit zu stopfen.

Leonato.

In der Tat, er sieht um einen Bart jünger aus.

Don Pedro.

Und was mehr ist, er reibt sich mit Bisam; merkt ihr nun, wo ’s ihm fehlt?

Claudio.

Das heißt mit andern Worten, der holde Knabe liebt.

Don Pedro.

Der größte Beweis ist seine Schwermut.

Claudio.

Und wann pflegte er sonst sein Gesicht zu waschen?

Don Pedro.

Ja, oder sich zu schminken? Ich höre aber wohl, was man deswegen von ihm sagt.

Claudio.

Und sein sprudelnder Geist! der jetzt in eine Lautensaite gekrochen ist und durch Griffe regiert wird.

Don Pedro.

Freilich, das alles kündigt eine tragische Geschichte an. Summa summarum, er ist verliebt.

Claudio.

Ja, und ich weiß auch, wer in ihn verliebt ist.

Don Pedro.

Nun, das möchte ich auch wissen. Ich wette, es ist eine, die ihn nicht kennt.

Claudio.

O freilich! Ihn und alle seine Fehler; und die demungeachtet für ihn stirbt.

Don Pedro.

Die muß mit dem Gesicht aufwärts begraben werden.

Benedikt.

Das alles hilft aber nicht für mein Zahnweh. Alter Herr, kommt ein wenig mit mir auf die Seite; ich habe acht oder neun vernünftige Worte ausstudiert, die ich Euch sagen möchte, und die diese Steckenpferde nicht zu hören brauchen. (Benedikt und Leonato ab.)

Don Pedro.

Ich wette mein Leben, er hält bei ihm um Beatricen an.

Claudio.

Ganz gewiß. Hero und Margarete haben unterdes ihre Rolle mit Beatricen gespielt, und nun werden wohl diese Bären einander nicht beißen, wenn sie sich begegnen. Don Juan kommt.

Don Juan.

Mein Fürst und Bruder, grüß Euch Gott!

Don Pedro.

Guten Tag, Bruder.

Don Juan.

Wenn es Euch gelegen wäre, hätte ich mit Euch zu reden.

Don Pedro.

Allein?

Don Juan.

Wenn es Euch gefällt – doch Graf Claudio mag’s immer hören; denn was ich zu sagen habe, betrifft ihn.

Don Pedro.

Wovon ist die Rede?

Don Juan.

Gedenkt Ihr Euch morgen zu vermählen, edler Herr?

Don Pedro.

Das wißt Ihr ja.

Don Juan.

Das weiß ich nicht, wenn er erst wissen wird, was ich weiß.

Claudio.

Wenn irgendein Hindernis stattfindet, so bitte ich Euch, entdeckt es.

Don Juan.

Ihr denkt vielleicht, ich sei Euer Freund nicht: das wird sich hernach ausweisen, und Ihr werdet mich besser würdigen, erfahrt Ihr, was ich Euch entdecken werde. Von meinem Bruder glaube ich, daß er Euch wohlwill und aus Herzensliebe Euch dazu verholfen hat, Eure baldige Heirat ins Werk zu richten. In Wahrheit, eine schlimm angebrachte Werbung! Eine schlimm verwandte Mühe! –

Don Pedro.

Nun? was wollt Ihr damit sagen?

Don Juan.

Ich kam hieher, es Euch mitzuteilen; und um die Sache kurz zu fassen – denn es ist schon zu lange die Rede davon gewesen – das Fräulein ist treulos.

Claudio.

Wer? Hero?

Don Juan.

Eben sie; Leonatos Hero, Eure Hero – jedermanns Hero.

Claudio.

Treulos?

Don Juan.

Das Wort ist zu gut, ihre Verderbtheit zu malen: ich könnte sie leicht schlimmer nennen. Denkt nur auf die schlimmste Benennung, ich werde sie rechtfertigen. Wundert Euch nicht, bis wir mehr Beweis haben: geht nur heut abend mit mir, dann sollt Ihr sehn, wie ihr Kammerfenster erstiegen wird, und zwar noch in der Nacht vor ihrem Hochzeitstage. Wenn Ihr sie dann noch liebt, so heiratet sie morgen; aber Eurer Ehre wird es freilich besser stehn, wenn Ihr Eure Gedanken ändert.

Claudio.

Wär es möglich?

Don Pedro.

Ich will es nicht glauben.

Don Juan.

Habt Ihr nicht Mut, zu glauben, was Ihr seht, so bekennt auch nicht, was Ihr wißt. Wollt Ihr mir folgen, so will ich Euch genug zeigen. Wenn Ihr erst mehr gehört und gesehn habt, so tut hernach, was Euch beliebt.

Claudio.

Sehe ich diese Nacht irgend etwas, weshalb ich sie morgen nicht heiraten könnte, so will ich sie vor der ganzen Versammlung, wo sie getraut werden sollte, beschimpfen.

Don Pedro.

Und so wie ich für dich warb, sie zu erlangen, so will ich mich nun mit dir vereinigen, sie zu beschämen.

Don Juan.

Ich will sie nicht weiter verunglimpfen, bis ihr meine Zeugen seid. Seid nur ruhig bis Mitternacht, dann mag der Ausgang sich offenbaren.

Don Pedro.

O Tag, verkehrt und leidig!

Claudio.

O Unglück, fremd und seltsam!

Don Juan.

O Schmach mit Glück verhütet:

So sollt ihr sagen, saht ihr erst den Ausgang. (Alle ab.)

Dritte Szene

Straße

Holzapfel, Schlehwein und Wache treten auf

Holzapfel.

Seid ihr fromme, ehrliche Leute und getreu?

Schlehwein.

Ja; sonst wär’s schade drum, wenn sie nicht die ewige Salvation litten an Leib und Seele.

Holzapfel.

Nein, das wäre noch viel zuwenig Strafe für sie, wenn sie nur irgendeine Legitimität an sich hätten, da sie doch zu des Prinzen Wache inkommodiert sind.

Schlehwein.

Richtig. Teilt ihnen jetzt ihr Kommando aus, Nachbar Holzapfel.

Holzapfel.

Erstens also. Wer meint ihr, der die meiste Unkapazität hätte, Konstabler zu sein? –

Erste Wache.

Veit Haberkuchen, Herr, oder Görge Steinkohle, denn sie können lesen und schreiben.

Holzapfel.

Kommt her, Nachbar Steinkohle. Gott hat Euch mit einem guten Namen gesegnet. Ein Mann von guter Physiognomik sein, ist ein Geschenk des Glücks; aber die Schreibe- und Lesekunst kommt von der Natur.

Zweite Wache.

Und beides, Herr Konstabler – –

Holzapfel.

Habt Ihr, ich weiß, daß Ihr das sagen wolltet. Also dann, was Eure Physiognomik betrifft, seht, da gebt Gott die Ehre und macht nicht viel Rühmens davon; und Eure Schreibe- und Lesekunst, damit könnt Ihr Euch sehn lassen, wo kein Mensch solche Dummheiten nötig hat. Man hält Euch hier für den allerstupidsten Menschen, um Konstabler bei unsrer Wache zu sein; darum sollt Ihr die Laterne halten. So lautet Eure Vorschrift: Ihr sollt alle Fragebunten irritieren; Ihr seid dazu da, daß Ihr allen und jedem zuruft: Halt! in des Prinzen Namen.

Zweite Wache.

Aber wenn nun einer nicht halten will?

Holzapfel.

Nun, seht Ihr, da kümmert Euch nicht um ihn, laßt ihn laufen, ruft sogleich die übrige Wache zusammen und dankt Gott, daß Ihr den Schelm los seid.

Schlehwein.

Wenn man ihn angerufen hat, und er will nicht stehn, so ist er keiner von des Prinzen Untertanen.

Holzapfel.

Richtig. Und mit solchen, die nicht des Prinzen Untertanen sind, sollen sie sich gar nicht abgeben. Dann sollt Ihr auch keinen Lärm auf der Straße machen, denn daß eine Wache auf dem Posten Toleranz und Spektakel treibt, kann gar nicht geduldet werden.

Zweite Wache.

Wir wollen lieber schlafen als schwatzen, wir wissen schon, was sich für eine Wache gehört.

Holzapfel.

Recht. Ihr sprecht wie ein alter und tranquiller Wächter; denn ich sehe auch nicht, was im Schlafen für Sünde sein sollte. Nur nehmt Euch in acht, daß sie Euch Eure Piken nicht stehlen. Ferner! Ihr sollt in allen Bierschenken einkehren, und den Besoffenen sollt Ihr befehlen, zu Bett zu gehn. –

Zweite Wache.

Aber wenn sie nun nicht wollen. –

Holzapfel.

Nun, seht Ihr, da laßt sie sitzen, bis sie wieder nüchtern sind. Und wenn sie Euch dann keine bessere Antwort geben, da könnt Ihr ihnen sagen, sie wären nicht die Leute, für die Ihr sie gehalten habt.

Zweite Wache.

Gut, Herr.

Holzapfel.

Wenn Ihr einem Diebe begegnet, so könnt Ihr ihn kraft Eures Amts in Verdacht haben, daß er kein ehrlicher Mann sei; und was dergleichen Leute betrifft, seht Ihr, je weniger Ihr mit Ihnen zu verkehren oder zu schaffen habt, je besser ist’s für Eure Repetition.

Zweite Wache.

Wenn wir’s aber von ihm wissen, daß er ein Dieb ist, sollen wir ihn da nicht festhalten?

Holzapfel.

Freilich, kraft Eures Amts könnt Ihr’s tun; aber ich denke, wer Pech angreift, besudelt sich: der friedfertigste Weg ist immer, wenn Ihr einen Dieb fangt, laßt ihn zeigen, was er kann und sich aus Eurer Gesellschaft wegstehlen.

Schlehwein.

Ihr habt doch immer für einen sanftmütigen Mann gegolten, Kamerad.

Holzapfel.

Das ist wahr, mit meinem Willen möcht ich keinen Hund hängen, wieviel mehr denn einen Menschen, der nur einige Redlichkeit im Leibe hat.

Schlehwein.

Wenn Ihr ein Kind in der Nacht weinen hört, so müßt Ihr der Amme rufen, daß sie’s stillt.

Zweite Wache.

Wenn aber die Amme schläft und uns nicht hört?

Holzapfel.

Nun, so zieht ihn Frieden weiter und laßt das Kind sie mit dem Schreien wecken. Denn wenn das Schaf sein Lamm nicht hören will, das da bäh schreit, so wird’s auch keinem Kalb antworten, wenn’s blökt.

Schlehwein.

Das ist sehr wahr.

Holzapfel.

Dies ist das Ende Eurer Destruktion: Ihr, Konstabler, sollt jetzt den Prinzen in eigner Person präsentieren: wenn Ihr dem Prinzen in der Nacht begegnet, könnt Ihr ihn stehen heißen.

Schlehwein.

Nein, mein Seel, das kann er doch wohl nicht.

Holzapfel.

Fünf Schillinge gegen einen: jedermann, der die Konstipation dieser Bürgerwache kennt, muß sagen, er kann ihn stehn heißen: aber zum Henker, versteht sich, wenn der Prinz Lust hat: denn freilich, die Wache darf niemand beleidigen, und es ist doch eine Beleidigung, jemand gegen seinen Willen stehn zu heißen.

Schlehwein.

Sapperment, das denk ich auch.

Holzapfel.

Ha, ha, ha! – Nun, Leute, gute Nacht. Sollte irgend eine Sache von Wichtigkeit passieren, so ruft nach mir. Wahret das Amtsgeheimnis, jeder für alle; und so schlaft wohl. Kommt, Nachbar.

Zweite Wache.

Nun, Leute, wir wissen jetzt, was unsres Amtes ist – kommt und setzt euch mit auf die Kirchenbank bis um zwei Uhr, und dann zu Bett.

Holzapfel.

Noch ein Wort, ehrliche Nachbarn. Ich bitte euch, wacht doch vor Signor Leonatos Türe, denn weil’s da morgen eine Hochzeit gibt, so wird heut abend viel Spektakel sein. Gott befohlen! Nun, gute Addition! das bitte ich euch. (Holzapfel und Schlehwein ab.)

Borachio und Konrad kommen.

Borachio.

He, Konrad.

Erste Wache.

Still! rührt Euch nicht. –

Borachio.

Konrad, sag ich!

Konrad.

Hier, Mensch! ich bin an deinem Ellbogen.

Borachio.

Zum Henker, mein Ellbogen juckte mir auch, ich wußte wohl, daß das die Krätze bedeuten würde.

Konrad.

Die Antwort darauf will ich dir schuldig bleiben; nun nur weiter in deiner Geschichte.

Borachio.

Stelle dich nur hart unter dieses Vordach, denn es fängt an zu regnen; und nun will ich dir, wie ein redlicher Trunkenbold, alles offenbaren.

Erste Wache.

Irgendeine Verräterei, Leute! Steht aber stockstill!

Borachio.

Wisse also, ich habe tausend Dukaten von Don Juan verdient.

Konrad.

Ist’s möglich, daß eine Schurkerei so teuer sein kann?

Borachio.

Du solltest lieber fragen, ob’s möglich sei, daß ein Schurke so reich sein könne: denn wenn die reichen Schurken der armen bedürfen, so können die armen fordern, was sie wollen.

Konrad.

Das wundert mich.

Borachio.

Man sieht wohl, du bist noch kein Eingeweihter, du solltest doch wissen, daß die Mode eines Mantels, eines Wamses oder eines Huts für einen Mann soviel als nichts ist.

Konrad.

Nun ja, es ist die Kleidung.

Borachio.

Ich meine aber die Mode.

Konrad.

Ja doch, die Mode ist die Mode.

Borachio.

Ach was, das heißt ebensoviel als ein Narr ist ein Narr. Aber siehst du denn nicht, was für ein mißgestaltet Schelm diese Mode ist?

Erste Wache.

Ei! den Herrn Mißgestalt kenne ich: der hat nun an die sieben Jahr das Schelmenhandwerk mitgemacht und geht jetzt herum wie ein vornehmer Herr; ich besinne mich auf seinen Namen.

Borachio.

Hörtest du nicht eben jemand?

Konrad.

Nein, es war die Fahne auf dem Hause.

Borachio.

Siehst du nicht, sag ich, was für ein mißgestalter Schelm diese Mode ist? Wie schwindlicht er all das hitzige, junge Blut zwischen vierzehn und fünfunddreißig herumdreht? Bald stutzt er sie dir zu, wie Pharaos Soldaten auf den schwarzgeräucherten Bildern, bald wie die Priester des Baal zu Babel auf den alten Kirchenfenstern, bald wie den kahlgeschornen Herkules auf den braunen, wurmstichigen Tapeten, wo sein Hosenlatz so groß ist wie seine Keule.

Konrad.

Kann sein, ich sehe auch, daß die Mode mehr Kleider aufträgt als der Mensch. Aber hat sie dich denn nicht auch schwindlicht gemacht, daß du von deiner Erzählung abgekommen bist, um mir von der Mode vorzufaseln?

Borachio.

Nicht so sehr, als du denkst. Wisse also, daß ich diese Nacht mit Margareten, Fräulein Heros Kammermädchen, unter Heros Namen ein Liebesgespräch geführt; daß sie sich aus ihres Fräuleins Fenster zu mir heruntergeneigt und mir tausendmal gute Nacht gewünscht hat: oh, ich erzähle dir die Geschichte erbärmlich: – ich hätte vorher sagen sollen, wie der Prinz, Claudio und mein Herr, gekörnt, gestellt und geprellt von meinem Herrn Don Juan, von weitem im Garten diese zärtliche Zusammenkunft mit ansahen.

Konrad.

Hielten sie denn Margarete für Hero?

Borachio.

Zwei von ihnen taten’s, der Prinz und Claudio; aber mein Herr, der Teufel, wußte wohl, daß es Margarete sei. Teils seine Schwüre, mit denen er sie vorher berückt hatte, teils die dunkle Nacht, die sie täuschte, vor allem aber meine künstliche Schelmerei, die alle Verleumdung des Don Juan bekräftigte, brachten’s so weit, daß Claudio wütend davonging und schwur, er wolle morgen, wie es verabredet war, in der Kirche mit ihr zusammenkommen, sie dann vor der ganzen Versammlung durch Entdeckung von dem, was er in der Nacht gesehn, beschimpfen und sie ohne Gemahl nach Hause schicken.

Erste Wache.

Wir befehlen euch in des Prinzen Namen, steht!

Zweite Wache.

Ruft den eigentlichen Herrn Konstabler; wir haben hier das allergefährlichste Stück von liederlicher Wirtschaft decoffriert, das jemals im Lande vorgefallen ist.

Erste Wache.

Und ein Herr Mißgestalt ist im Spiel, ich kenne ihn, er trägt eine Locke.

Konrad.

Liebe Herren…

Zweite Wache.

Ihr sollt uns den Herrn Mißgestalt herbeischaffen, das werden wir Euch wohl zeigen.

Konrad.

Meine Herren – –

Erste Wache.

Stillgeschwiegen! Ihr sollt wissen, daß wir Euch gehorchen, mit Euch zu gehn.

Borachio.

Wir werden da in eine recht bequeme Situation kommen, wenn sie uns erst auf ihre Piken genommen haben.

Konrad.

O ja, eine recht pikante Situation. Kommt, wir wollen mit euch gehn. (Alle ab.)

Vierte Szene

Zimmer in Leonatos Hause

Hero, Margareta, Ursula

Hero.

Liebe Ursula, wecke doch deine Muhme Beatrice und bitte sie, aufzustehn.

Ursula.

Sogleich, mein Fräulein.

Hero.

Und hieher zu kommen.

Ursula.

Sehr wohl. (Ab.)

Margareta.

Ich dächte doch, Eure andre Palatine sei noch schöner.

Hero.

Nein, liebes Gretchen, ich werde diese tragen.

Margareta.

Sie ist wahrhaftig nicht so hübsch, und ich stehe Euch dafür, Eure Muhme wird Euch dasselbe sagen.

Hero.

Meine Muhme ist eine Närrin, und du bist die zweite; ich werde keine andre als diese nehmen.

Margareta.

Euern neuen Aufsatz finde ich allerliebst, wenn das Haar nur um einen Gedanken brauner wäre; und Euer Kleid ist nach der geschmackvollsten Mode, das ist gewiß. Ich habe das Kleid der Herzogin von Mailand gesehn, von dem man soviel Wesens macht.

Hero.

Das soll ja über alles gehn, sagt man.

Margareta.

Auf meine Ehre, es ist nur ein Nachtkleid im Vergleich mit dem Eurigen. Das Zeug von Goldstoff und die Aufschnitte mit Silber garniert und mit Perlen gestickt; niederhängende und Seitenärmel, und Garnierungen unten herum, die mit einem bläulichen Lahn unterlegt sind. Was aber die schöne, ausgesuchte, gefällige und ganz besondere Mode betrifft, da ist Eures zehnmal mehr wert.

Hero.

Gott gebe, daß ich’s mit Freuden tragen möge, denn mein Herz ist erstaunlich schwer.

Margareta.

Es wird bald noch schwerer werden, wenn es erst das Gewicht eines Mannes tragen soll.

Hero.

Pfui doch, schämst du dich denn nicht? –

Margareta.

Warum denn, mein Fräulein? Daß ich von Dingen in Ehren rede? Ist nicht eine Heirat ein Ding in Ehren, auch bei Bettlern? Ist nicht Euer Herr ein Ehrenmann auch ohne Heirat? Ich hätte wohl sagen sollen – haltet mir’s zu Gnaden – das Gewicht eines Gemahls? Wenn nicht schlimme Gedanken gute Reden verdrehen, so werde ich niemanden Ärgernis geben. Ist wohl irgendein Anstoß darin, wenn ich sage: schwerer durch das Gewicht eines Gemahls? Nein, gewiß nicht, wenn es nur der rechte Mann und die rechte Frau sind, sonst freilich hieße das, die Sache leicht nehmen und nicht schwer. Fragt nur Fräulein Beatrice, hier kommt sie. Beatrice kommt.

Hero.

Guten Morgen, Muhme.

Beatrice.

Guten Morgen, liebe Hero.

Hero.

Nun, was ist dir? Du sprichst ja in einem so kranken Ton?

Beatrice.

Mich dünkt, aus allen andern Tonarten bin ich heraus. – Es ist gleich fünf Uhr, Muhme, es ist Zeit, daß du dich fertig machst. – Mir ist ganz krank zu Mut, wahrhaftig! – Ach!

Margareta.

Nun, wenn Ihr nicht eine Renegatin geworden seid, so kann man nicht mehr nach den Sternen segeln.

Beatrice.

Was meint die Närrin damit?

Margareta.

Ich? O gar nichts, aber Gott schenke jedem, was sein Herz wünscht.

Hero.

Diese Handschuhe schickte mir der Graf, es ist der lieblichste Wohlgeruch.

Beatrice.

Der Sinn ist mir benommen; ich rieche nichts.

Margareta.

Benommen? Oder eingenommen? je nun, man erkältet sich wohl.

Beatrice.

O Gott steh uns bei, Gott steh uns bei! Wie lange ist’s denn, daß du Jagd auf Witz machst?

Margareta.

Seitdem Ihr es aufgegeben habt, mein Fräulein. Steht mein Witz mir nicht vortrefflich?

Beatrice.

Er scheint noch nicht genug ins Feld, du solltest ihn an deiner Kappe tragen. – Aber auf mein Wort, ich bin recht krank.

Margareta.

Euer Gnaden sollten sich abgezogenen Kardobenedikt holen lassen und ihn aufs Herz legen; es gibt kein beßres Mittel für Beklemmungen.

Hero.

Da stichst du sie mit einer Distel.

Beatrice.

Benedikt? Warum Benedikt? Soll vielleicht eine Moral in dem Benedikt stecken?

Margareta.

Moral? Nein, mein‘ Treu, ich meinte nichts Moralisches damit, ich meinte natürliche Kardobenediktendistel. Ihr denkt vielleicht, ich halte Euch für verliebt. Nein, beim Himmel, ich bin nicht solch eine Närrin, daß ich alles denken sollte, was mir einfällt, und es fällt mir auch nicht ein, zu denken, was ich könnte. Denn wenn ich mir auch den Kopf ausdächte, so kann ich mir’s nicht denken, daß Ihr, mein Fräulein, verliebt seid, oder jemals sein werdet, oder jemals sein könnt. Und doch war Benedikt auch so einer, und ist jetzt ein Mensch wie andre. Er schwur, er wolle nie heiraten, und jetzt, trotz seinem hohen Sinn, verzehrt er sein Essen ohne Murren. Ob Ihr noch zu bekehren seid, weiß ich nicht; aber mir scheint, Ihr seht auch schon aus den Augen wie andre Mädchen.

Beatrice.

Was ist das für eine Art von Gang, den deine Zunge nimmt?

Margareta.

Kein falscher Galopp.

Ursula (kommt zurück).

Gnädiges Fräulein, macht Euch fertig, der Fürst, der Graf, Signor Benedikt, Don Juan und alle jungen Kavaliere aus der Stadt sind da, um Euch zur Kirche zu führen.

Hero.

Helft mir mich ankleiden, liebe Muhme, liebes Gretchen, liebe Ursula. (Alle ab.)

Fünfte Szene

Anderes Zimmer in Leonatos Hause

Leonato, Holzapfel, Schlehwein treten auf

Leonato.

Was habt Ihr mir zu sagen, mein ehrlicher Nachbar?

Holzapfel.

Ei, gnädiger Herr, ich möchte gern eine Konfidenz mit Euch haben, die Euch sehr introduziert.

Leonato.

Macht’s kurz, ich bitt Euch: Ihr seht, ich habe viel zu tun.

Holzapfel.

Ja, gnädiger Herr, so ist es.

Schlehwein.

Ja, wahrlich, so ist es.

Leonato.

Was ist denn, meine guten Freunde?

Holzapfel.

Der gute, liebe Schlehwein, mein gnädiger Herr, bleibt nicht recht bei der Sache. Ein alter Mann, gnädiger Herr! Und sein Verstand ist nicht so konfus, wie ich’s ihm mit Gottes Hilfe wünschen möchte. Aber, das muß ich sagen, ehrlich! ehrlich! wie die Haut zwischen seinen Augenbraunen!

Schlehwein.

Ja, gottlob! ich bin so ehrlich, als irgendein Mann auf der Welt, der ein alter Mann ist, und nicht ehrlicher als ich.

Holzapfel.

Korporationen sind odorös, palabras, Nachbar Schlehwein!

Leonato.

Nachbarn, ihr seid mir nachgrade ennuyant!

Holzapfel.

Das sagen Euer Gnaden nur so aus Höflichkeit, denn wir sind des armen Herzogs Gerichtsdiener. Aber wär ich auch so ennuyant als ein König, so wollt ich’s mich nicht dauern lassen und alles auf Euer Gnaden wenden.

Leonato.

Dein ganzes Talent zu ennuyieren auf mich?

Holzapfel.

Ja, und wenn’s noch tausendmal mehr wäre, als es schon ist; denn ich höre eine so gute Exklamation von Euer Gnaden, als von irgend jemand in der Stadt; und obgleich ich nur ein armer Mann bin, so freut’s mich doch, es zu hören.

Schlehwein.

Und mich auch.

Leonato.

Wenn ich nur wüßte, was ihr mir denn zu sagen habt.

Schlehwein.

Seht Ihr, Herr, unsre Wache hat diese Nacht, immer in Exzeption von Eurer höchsten Gegenwart, ein paar so durchtriebne Spitzbuben aufgefangen, als nur in Messina zu finden sind.

Holzapfel.

Ein guter, alter Mann, gnädiger Herr! Er muß immer was zu schwatzen haben; wie man zu sagen pflegt: Wenn das Alter eintritt, geht der Verstand zu Ende. Gott steh mir bei! Man sollt’s nicht glauben! Brav, meiner Treu, Nachbar Schlehwein! Seht Ihr, der liebe Gott ist ein guter Mann; wenn ihrer zwei auf einem Pferde reiten, so muß schon einer hinten aufsitzen. Eine ehrliche Seele, meiner Treu! Ja, gnädiger Herr, das ist er, so gut als einer, der Brot ißt. Aber was Gott tut, das ist wohlgetan. Die Menschen können nicht alle gleich sein. Ja, ja! der liebe, gute Nachbar!

Leonato.

In der Tat, Nachbar, er reicht doch nicht an Euch.

Holzapfel.

Gaben, die von Gott kommen.

Leonato.

Ich muß gehn.

Holzapfel.

Ein einziges Wort, gnädiger Herr: unsre Wache hat wirklich zwei perspektivische Kerls imitiert, und wir möchten, daß Euer Gnaden sie noch heut morgen exanimierten.

Leonato.

Übernehmt dieses Examen selbst und bringt mir das Protokoll. Ich bin jetzt sehr eilig, wie ihr wohl seht.

Holzapfel.

Das soll aufs komplottste besorgt werden.

Leonato.

Trinkt ein Glas Wein, ehe ihr geht, und so lebt wohl! Ein Diener kommt.

Diener.

Gnädiger Herr, man wartet auf Euch, um Euer Fräulein Tochter zur Trauung zu führen.

Leonato.

Ich komme gleich, ich bin fertig. (Ab.)

Holzapfel.

Geht doch, lieber Kamerad, geht doch zum Görge Steinkohle, sagt doch, er soll seine Feder und Tintenfaß mit ins Gefängnis nehmen. Wir sollen jetzt hin und diese Kerls exanimieren.

Schlehwein.

Und das muß mit Verstand geschehn.

Holzapfel.

An Verstand soll’s nicht fehlen, darauf verlaßt Euch. Hier sitzt was (an die Stirn deutend), das soll einen oder den andern schon zur Konfektion bringen. Holt Ihr nur den gelehrten Schreiber, um unsre ganze Exkommunikation zu Papiere zu liefern, und kommt dann wieder zu mir ins Gefängnis. (Gehn ab.)

Vierter Aufzug

Erste Szene

In der Kirche Don Pedro, Don Juan, Leonato, Mönch, Claudio, Benedikt, Hero und Beatrice

Leonato.

Wohlan, Pater Franziskus, macht’s kurz; nichts als was zur eigentlichen Trauung gehört. Ihre besonderen Pflichten könnt Ihr ihnen hernach vorhalten.

Mönch.

Ihr seid hier, gnädiger Herr, um Euch diesem Fräulein zu vermählen?

Claudio.

Nein.

Leonato.

Um mit ihr vermählt zu werden, Pater; Ihr seid hier, um sie zu vermählen.

Mönch.

Fräulein, seid Ihr hier, um mit diesem Grafen vermählt zu werden?

Hero.

Ja.

Mönch.

Wofern einer von euch ein innres Hindernis weiß, weshalb ihr nicht verbunden werden dürfet, so beschwöre ich euch, bei dem Heil eurer Seelen, es zu entdecken.

Claudio.

Wißt Ihr eines, Hero?

Hero.

Keines, Herr.

Mönch.

Wißt Ihr eines, Graf?

Leonato.

Ich getraue mich, für ihn zu antworten: keines.

Claudio.

Oh, was sich die Menschen nicht alles getrauen! Was sie alles tun! Was sie täglich tun, und wissen nicht, was sie tun! –

Benedikt.

Nun? Interjektionen? Freilich! Einige werden gebraucht beim Lachen, als z.B. Ha, ha, ha! –

Claudio.

Pater, mach Platz! Erlaubt ein Wort, mein Vater:

Gabt Ihr aus freier Wahl mir, ohne Zwang,

Dies Mädchen, Eure Tochter?

Leonato.

So frei, mein Sohn, als Gott sie mir gegeben.

Claudio.

Und was geb ich zurück Euch, dessen Wert

So reichem, köstlichem Geschenk entspräche?

Don Pedro.

Nichts, wenn Ihr nicht zurück sie selbst erstattet.

Claudio.

Ihr lehrt mich edle Dankbarkeit, mein Prinz.

Hier, Leonato, nehmt zurück sie wieder,

Gebt Eurem Freunde nicht die faule Frucht,

Sie ist nur Schein und Zeichen ihrer Ehre. –

Seht nur, wie mädchengleich sie jetzt errötet.

O wie vermag in Würd und Glanz der Tugend

Verworfne Sünde listig sich zu kleiden!

Zeugt nicht dies Blut als ein verschämter Anwalt

Von ihrer schlichten Tugend? Schwürt ihr nicht,

Ihr alle, die sie seht, sie sei noch schuldlos,

Nach diesem äußern Schein? Doch ist sie’s nicht:

Sie kennt die Gluten heimlicher Umarmung,

Nur Schuld, nicht Sittsamkeit, ist dies Erröten.

Leonato.

Was meint Ihr, Herr?

Claudio.

Sie nicht zu nehmen, mein ich,

Mein Herz an keine Buhlerin zu knüpfen.

Leonato.

Mein teurer Graf, wenn Ihr in eigner Prüfung

Schwach ihre unerfahrne Jugend traft

Und ihre Jungfraunehre überwandet –

Claudio.

Ich weiß schon, was Ihr meint! Erkannt ich sie,

Umarmte sie in mir nur ihren Gatten

Und milderte die vorbegangne Sünde:

Nein, Leonato!

Nie mit zu freiem Wort versucht ich sie;

Stets wie ein Bruder seiner Schwester zeigt ich

Schamhafte Ehrbarkeit und züchtge Liebe.

Hero.

Und hab ich jemals anders Euch geschienen?

Claudio.

Fluch deinem Schein! Ich will dagegen schreiben.

Du schienst Diana mir in ihrer Sphäre,

Keusch wie die Knospe, die noch nicht erblüht:

Doch du bist ungezähmt in deiner Lust,

Wie Venus oder jene üppgen Tiere,

Die sich im wilden Sinnentaumel wälzen.

Hero.

Ist meinem Herrn nicht wohl, daß er so spricht?

Claudio.

Ihr, teurer Fürst, sagt nichts?

Don Pedro.

Was soll ich sagen?

Ich steh entehrt, weil ich die Hand geboten,

Den teuern Freund der Dirne zu verknüpfen.

Leonato.

Wird dies gesprochen oder ist’s ein Traum?

Don Juan.

Es wird gesprochen, Herr, und ist auch wahr.

Benedikt.

Dies sieht nicht aus wie Hochzeit.

Hero.

Wahr? O Gott! –

Claudio.

Leonato, steh ich hier?

Ist dies der Prinz, ist dies des Prinzen Bruder?

Dies Heros Antlitz? Sind dies unsre Augen? –

Leonato.

Das alles ist so; doch was soll es, Herr?

Claudio.

Erlaubt nur eine Frag an Eure Tochter:

Beim Recht, das Euch Natur und Blut gegeben

Auf Euer Kind, heißt sie die Wahrheit reden.

Leonato.

Tu’s, ich befehl es dir, wenn du mein Kind.

Hero.

O Gott, beschütze mich! Wie man mich drängt! –

Wie nennt Ihr diese Weise des Verhörs?

Claudio.

Antwortet jetzt, nennt wahrhaft Euren Namen.

Hero.

Ist der nicht Hero? Wer schmäht diesen Namen

Mit irgend wahrem Vorwurf?

Claudio.

Das tut Hero,

Ja, Hero selbst kann Heros Tugend schmähn. –

Wer ist der Mann, den gestern nacht Ihr spracht

Aus Eurem Fenster zwischen zwölf und eins?

Wenn Ihr unschuldig seid, antwortet mir.

Hero.

Ich sprach mit keinem Mann zu dieser Stunde.

Don Pedro.

Nun wohl, so seid Ihr schuldig! Leonato,

Mich schmerzt, daß Ihr dies hört, bei meiner Ehre!

Ich selbst, mein Bruder, der gekränkte Graf,

Sahn sie und hörten sie zu jener Stunde

An ihrem Fenster mit ’nem Wüstling reden,

Der, wie ein frecher Schuft, auch eingestand

Die tausend schändlichen Zusammenkünfte,

So heimlich stattgehabt.

Don Juan.

Pfui! Pfui! man kann

Sie nicht benennen, Herr, noch drüber reden.

Die Sprach ist nicht so rein, um ohne Sünde

Davon zu sprechen; drum, mein schönes Kind,

Beklag ich Euren schlecht beratnen Wandel.

Claudio.

O Hero! Welche Hero könntst du sein,

Wenn halb nur deine äußre Huld im Innern

Dein Tun und deines Herzens Rat bewachte!

So fahr denn wohl, höchst Häßliche, höchst Schöne!

Du reine Sündlichkeit, sündhafte Reinheit!

Um deinethalb schließ ich der Liebe Tor

Und häng als Decke Argwohn vor mein Auge;

Sie wandle jede Schönheit mir in Unheil,

Daß nie ihr Bild im Glanz der Huld mir strahle.

Leonato.

Ist niemands Dolch für meine Brust geschliffen? (Hero fällt in Ohnmacht.)

Beatrice.

Was ist dir, Muhme? warum sinkst du nieder?

Don Juan.

Kommt, gehn wir. Diese Schmach ans Licht gebracht,

Löscht ihre Lebensgeister. (Don Pedro, Don Juan und Claudio ab.)

Benedikt.

Wie geht’s dem Fräulein?

Beatrice.

Tot, fürcht ich – Oheim, helft!

Hero! ach Hero! Oheim! Pater! Benedikt! –

Leonato.

Zieh, Schicksal, nicht die schwere Hand zurück!

Tod ist die schönste Hülle ihrer Schmach,

Und einzig zu erflehn.

Beatrice.

Wie ist dir, Muhme?

Mönch.

Getrost, mein Fräulein!

Leonato.

Blickst du noch auf?

Mönch.

Ja, warum soll sie nicht?

Leonato.

Warum? Ha! ruft nicht jede Kreatur

Schmach über sie? Vermochte sie es wohl,

Die in ihr Blut geprägte Schuld zu leugnen?

Du sollst nicht leben? Schließ dein Aug auf ewig!

Denn glaubt ich nicht, daß du alsbald hier stürbest,

Daß deine Kraft die Schande überlebte,

Ich würde selbst als Schlußwort meiner Flüche

Dein Herz durchbohren. – Klagt ich, du seist mein Einzges?

Zürnt ich deshalb der kargenden Natur?

O eins zuviel an dir! Weshalb das Eine! –

Weshalb warst du je lieblich meinem Auge,

Weshalb nicht nahm ich mit barmherzger Hand

Ein Bettlerkind mir auf vor meinem Tor?

Daß, wenn es so mit Schmach besudelt wäre,

Alsdann ich spräch: kein Teil davon ist mein,

Im fremden Stamm hat diese Schande Wurzel. –

Doch mein! meins, das ich liebte, das ich pries,

Mein Eigentum, mein Stolz: so sehr ja meins,

Daß ich mir selbst nicht mehr als mein erschien,

Mich an ihr messend: Ha, sie! sie ist gefallen

In einen Pfuhl von Schwarz: die weite See

Hat Tropfen nicht genug, sie reinzuwaschen,

Zu wenig Salz, vor Fäulnis zu bewahren

Dies bös verderbte Fleisch!

Benedikt.

Herr, seid geduldig;

Ich, wahrlich, bin vor Staunen so betäubt,

Daß mir die Worte fehlen.

Beatrice.

Bei meinem Leben! man verleumdet‘ sie!

Benedikt.

Fräulein, schlieft Ihr zu Nacht in ihrem Zimmer?

Beatrice.

Nein, diesmal nicht; doch bis zur letzten Nacht

Schlief ich das ganze Jahr in ihrer Kammer.

Leonato.

Bestätigt! Ha, bestätigt! Noch verstärkt,

Was schon verschlossen war mit Eisenbanden!

Wie könnten beide Prinzen, Claudio, lügen?

Der so sie liebte, daß, die Schmach erzählend,

Er sie mit Tränen wusch? Fort! laßt sie sterben.

Mönch.

Hört jetzt mich an;

Denn nur deshalb hab ich so lang geschwiegen

Und diesem Vorfall freien Raum gegeben,

Das Fräulein zu beachten. Sah ich doch,

Wie tausend Röten durch ihr Antlitz fuhren

Als Boten; und wie tausend Unschuldsengel

In weißer Scham hinweg die Röten trieben.

Und in dem Auge glüht‘ ein Feuer auf,

Verbrennend allen Irrwahn, den die Prinzen

Aufstellten wider ihre Mädchentreu.

– – Nennt mich Tor,

Traut meinem Wissen nicht, noch der Erfahrung,

Die mit der Prüfung Siegel stets bekräftigt

Die Wahrheit meines Wissens, nicht dem Alter,

Ehrwürdgem Stand, Beruf und heilgem Amt,

Liegt nicht dies süße Fräulein schuldlos hier,

Von giftgem Wahn getroffen.

Leonato.

Mönch, unmöglich!

Du siehst, es blieb ihr nur so viele Gnade,

Nicht zur Verdammnis ihrer Schuld zu fügen

Des Meineids Sünde. Leugnet sie es denn?

Was suchst du denn entschuldgend zu verhüllen,

Was frei in eigner Nacktheit vor uns steht?

Mönch.

Fräulein, wer ist’s, mit dem man Euch verklagt?

Hero.

Die mich verklagten, wissen’s, ich weiß keinen.

Weiß ich von irgendeinem Mann, der lebt,

Mehr, als der Jungfrau Sittsamkeit erlaubt

Sei keine Sünde mir vergeben. – Vater,

Beweist, daß irgendwer mit mir gesprochen

Um Mitternacht, und daß ich gestern abend

Mit irgendeinem Wesen Wort gewechselt,

Verstoßt mich, haßt mich, martert mich zu Tode.

Mönch.

Ein seltsam Irren muß die Prinzen täuschen!

Benedikt.

Gewiß sind zwei von ihnen Ehrenmänner;

Und ward ihr beßres Urteil fehlgeleitet,

Schreibt sich die Bosheit wohl vom Bastard her,

Des Geist und Sinn nur lebt von Trug und Tücke.

Leonato.

Ich weiß nicht. Sprachen wahr sie, so zerreiße

Dich diese Hand; ist falsch sie angeklagt,

So soll der Stolzeste wohl davon hören.

Zeit hat noch nicht mein Blut so ausgetrocknet,

Noch Alter meinen Geist so abgestumpft,

Noch Armut mein Vermögen so vernichtet,

Noch schlechter Wandel mich beraubt der Freunde,

Daß sie nicht, so mich kränkend, fühlen sollen

Der Glieder Kraft, als auch des Geistes Klugheit,

Des Reichtums Macht und auserwählter Freunde,

Es ihnen übergnug zu zahlen.

Mönch.

Haltet!

Laßt meinen Rat in diesem Fall Euch leiten.

Die Prinzen ließen Eure Tochter tot;

Laßt eine Zeitlang heimlich sie verschließen

Und macht bekannt, daß wirklich sie gestorben.

Entfaltet allen äußern Prunk der Trauer;

Und hängt an Eurer Ahnen altes Grabmal

Ein Epitaph; vollziehet jede Feier,

Die zur Beerdigung die Sitt erheischt.

Leonato.

Und wohin führt dies alles? Was dann weiter?

Mönch.

Dies wird, gut durchgeführt, Verleumdung wandeln

In Mitleid gegen sie; das ist schon viel.

Doch mehr noch träum ich von so kühnem Wagnis,

Von größerer Geburt aus diesen Wehn.

Sie starb, so muß man überall verbreiten,

Im Augenblick, als man sie angeklagt;

So wird sie dann entschuldigt und bedauert

Von jedem, der es hört; denn so geschieht’s,

Daß, was wir haben, wir nach Wert nicht achten,

Solange wir’s genießen; ist’s verloren,

Dann überschätzen wir den Preis; ja dann

Erkennen wir den Wert, den uns Besitz

Mißachten ließ. So wird’s mit Claudio sein,

Hört er, daß seine Worte sie getötet.

Mit süßer Macht schleicht ihres Lebens Bild

Sich in die Werkstatt seiner Phantasie,

Und jedes liebliche Organ des Lebens

Stellt sich, in köstliches Gewand gekleidet,

Weit zarter, rührender, voll frischern Lebens

Dem innern Auge seines Geistes dar,

Als da sie wirklich lebt‘; und er wird trauern,

Hat Lieb in seinem Herzen je geherrscht,

Und wünschen, daß er nicht sie angeklagt,

Selbst wenn er auch die Schuld als wahr erkannte.

Geschieht dies nun, so zweifelt nicht, Erfolg

Wird diese Sache besser noch gestalten,

Als ich das ungefähre Bild entwerfe.

Doch wär auch jeglich andres Ziel verfehlt,

Die Überzeugung von des Fräuleins Tod

Tilgt das Gerücht von ihrer Schmach gewiß;

Und schlüg Euch alles fehl, so bergt sie dann,

Wie’s ihrem wunden Ruf am besten ziemt

In eines Klosters abgeschiednem Leben

Vor aller Augen, Zungen, Schmähn und Kränkung.

Benedikt.

Signor Leonato, folgt dem Rat des Mönchs,

Und wißt Ihr schon, wie sehr ich Lieb und Neigung

Dem Prinzen und Graf Claudio zugewendet,

Doch will ich, auf mein Wort, so sorglich schweigen,

So streng und treu für Euch, wie Eure Seele

Sich selber bleibt.

Leonato.

In dieser Flut des Grams

Mögt ihr mich lenken an dem schwächsten Faden.

Mönch.

So sei denn, wenn Euch Fassung nicht verläßt,

Seltsame Heilung seltnem Schmerz beschieden. –

Ihr, Fräulein, sterbt zum Schein; Eur Hochzeitsfest

Ward, hoff ich, nur verlegt; drum harrt in Frieden. (Mönch, Hero und Leonato ab.)

Benedikt.

Fräulein Beatrice, habt Ihr die ganze Zeit geweint?

Beatrice.

Ja, und ich werde noch viel länger weinen.

Benedikt.

Das will ich nicht wünschen.

Beatrice.

Dessen bedarf’s auch nicht, ich tu es freiwillig.

Benedikt.

Gewiß, ich denke, Eurer schönen Base ist Unrecht geschehn.

Beatrice.

Ach! Wie hoch würde der Mann sich um mich verdient machen, der ihr Recht verschaffte!

Benedikt.

Gibt es irgendeinen Weg, solche Freundschaft zu zeigen?

Beatrice.

Einen sehr ebnen Weg, aber keinen solchen Freund.

Benedikt.

Kann ein Mann es vollbringen?

Beatrice.

Es ist eines Mannes Amt, aber nicht das Eure.

Benedikt.

Ich liebe nichts in der Welt so sehr, als Euch; ist das nicht seltsam?

Beatrice.

So seltsam, als etwas, von dem ich nichts weiß. Es wäre mir ebenso möglich, zu sagen, ich liebte nichts in der Welt so sehr, als Euch; aber glaubt mir’s nicht; und doch lüg ich nicht; ich bekenne nichts und leugne nichts. Mich jammert meine Muhme.

Benedikt.

Bei meinem Degen, Beatrice, du liebst mich.

Beatrice.

Schwört nicht bei Eurem Degen und eßt ihn.

Benedikt.

Ich will bei ihm schwören, daß du mich liebst; und ich will den zwingen, meinen Degen zu essen, der da sagt, ich liebe Euch nicht.

Beatrice.

Ihr wollt Euer Wort nicht wiederessen?

Benedikt.

Mit keiner Brühe, die nur je ersonnen werden kann. Ich beteure, daß ich dich liebe.

Beatrice.

Nun denn, Gott verzeihe mir!

Benedikt.

Was für eine Sünde, liebste Beatrice?

Beatrice.

Ihr unterbracht mich eben zur guten Stunde; ich war im Begriff zu beteuern, ich liebte Euch.

Benedikt.

Tue das von ganzem Herzen.

Beatrice.

Ich liebe Euch mit soviel von meinem Herzen, daß nichts mehr übrigbleibt, es Euch dabei zu beteuern.

Benedikt.

Heiß mich, was du willst, für dich ausführen.

Beatrice.

Ermorde Claudio.

Benedikt.

Oh, nicht für die ganze Welt!

Beatrice.

Ihr ermordet mich, indem Ihr’s weigert; lebt wohl!

Benedikt.

Warte noch, süße Beatrice.

Beatrice.

Ich bin fort, obgleich ich noch hier bin. – Nein, Ihr seid keiner Liebe fähig; – nein, ich bitt Euch, laßt mich.

Benedikt.

Beatrice – –

Beatrice.

Im Ernst, ich will gehn.

Benedikt.

Laßt uns erst Freunde sein.

Beatrice.

O ja, Ihr wagt eher Freund mit mir zu sein, als mit meinem Feinde zu fechten.

Benedikt.

Ist Claudio dein Feind?

Beatrice.

Hat sich der nicht auf den äußersten Grad als ein Schurke gezeigt, der meine Verwandte verleumdet, geschmäht, entehrt hat? Oh, daß ich ein Mann wäre! – Was! Sie hinzuhalten, bis sie ihm am Altar die Hand hinhält, und dann mit so öffentlicher Beschuldigung, so unverhohlener Beschimpfung, so unbarmherziger Tücke – o Gott! daß ich ein Mann wäre! ich wollte sein Herz auf offnem Markt verzehren.

Benedikt.

Höre mich, Beatrice – –

Beatrice.

Mit einem Manne aus ihrem Fenster reden! Ein feines Märchen!

Benedikt.

– Nein, aber Beatrice – –

Beatrice.

Die süße Hero! Sie ist gekränkt, sie ist verleumdet, sie ist vernichtet!

Benedikt.

Beatr… – –

Beatrice.

Prinzen und Grafen! Wahrhaftig, ein recht prinzliches Zeugnis! ein honigsüßes Grafenstückchen! ein lieber Bräutigam, wahrhaftig! O daß ich ein Mann wäre um seinetwillen! oder daß ich einen Freund hätte, der um meinetwillen ein Mann sein wollte! Aber Mannheit ist in Zeremonien und Höflichkeiten zerschmolzen, Tapferkeit in Komplimente; die Männer sind ganz Zungen geworden, und noch dazu sehr gezierte. Es ist jetzt schon einer ein Herkules, der nur eine Lüge sagt und darauf schwört; ich kann durch meinen Wunsch kein Mann werden, so will ich denn als ein Weib mich grämen und sterben.

Benedikt.

Warte, liebste Beatrice; bei dieser Hand, ich liebe dich.

Beatrice.

Braucht sie mir zuliebe zu etwas Besserm, als dabei zu schwören!

Benedikt.

Seid Ihr in Eurem Gewissen überzeugt, daß Graf Claudio Hero Unrecht getan hat?

Beatrice.

Ja, so gewiß ich einen Gedanken oder eine Seele habe.

Benedikt.

Genug, zählt auf mich. Ich fordre ihn heraus. Laßt mich Eure Hand küssen; und so empfehle ich mich Euch; bei dieser Hand, Claudio soll mir eine schwere Rechenschaft ablegen. Wie Ihr von mir hört, so denket von mir. Geht, tröstet Eure Muhme; ich muß sagen, sie sei gestorben, und so lebt wohl! (Beide ab.)

Zweite Szene

Gefängnis

Holzapfel, Schlehwein, Schreiber; alle drei in ihren Amtsröcken,

Wache mit Konrad und Borachio

Holzapfel.

Sind alle Verschwornen unsres Trübenaals beisammen?

Schlehwein.

Oh, einen Stuhl und Kissen für den Herrn Schreiber.

Schreiber.

Welches sind die Malefikanten?

Holzapfel.

Zum Henker, der bin ich und mein Gevatter.

Schlehwein.

Das versteht sich. Wir haben die Introduktion, sie zu exanimieren.

Schreiber.

Aber wo sind die Verbrecher, die examiniert werden sollen? Laßt sie vor den Herrn Konstabler führen.

Holzapfel.

Ja, zum Henker, laßt sie vorführen. Wie ist sein Name, Freund?

Borachio.

Borachio.

Holzapfel.

Seid so gut, schreibt’s auf, Borachio. – Seiner, Musjeh? –

Konrad.

Ich bin ein Kavalier, Herr, und mein Name ist Konrad.

Holzapfel.

Schreibt auf, Meister Kavalier Konrad. Leute, sagt einmal, dient ihr Gott?

Konrad und Borachio.

Nun, das hoffen wir.

Holzapfel.

Schreibt’s nieder: sie hoffen, sie dienen Gott, und schreibt Gott voran: denn Gott bewahre doch, daß Gott vor solchen Schelmen vorangehn sollte. Leute, es ist bereits erwiesen, daß ihr nicht viel besser seid als Spitzbuben, und man wird bald genug eine Ahndung davon kriegen. Was könnt ihr nun für euch anführen?

Konrad.

Ei nun, Herr, wir sagen, wir sind keine.

Holzapfel.

Ein verdammt pfiffiger Bursch, das muß ich sagen; aber ich will schon mit ihm fertig werden. – Kommt einmal hier heran, Musjeh; ein Wort ins Ohr, Herr: ich sage Ihm, man glaubt von euch, ihr seid zwei Spitzbuben.

Borachio.

Herr, ich sage Euch, wir sind keine.

Holzapfel.

Tretet wieder auf die Seite. Bei Gott, sprechen sie nicht, als hätten sie sich miteinander verabredet? Habt Ihr’s hingeschrieben, daß sie keine sind? –

Schreiber.

Herr Konstabler, das ist nicht die Manier zu examinieren. Ihr müßt die Wache abhören, die sie verklagt hat.

Holzapfel.

Ja, zum Henker, das ist die vidimierte Heerstraße. Die Wache soll kommen. (Wache kommt.) Leute, ich befehle euch in des Prinzen Namen, verklagt mir einmal diese beiden Menschen.

Erste Wache.

Dieser Mann hier sagte, Herr, Don Juan, des Prinzen Bruder, sei ein Schurke. –

Holzapfel.

Schreibt hin – Don Juan ein Schurke. – Was! das ist ja klarer Meineid, des Prinzen Bruder einen Schurken zu nennen.

Borachio.

Herr Konstabler –

Holzapfel.

Still geschwiegen, Kerl, dein Gesicht gefällt mir gar nicht, muß ich dir gestehn.

Schreiber.

Was hörtet ihr ihn sonst noch sagen?

Zweite Wache.

Ei nun, er sagte auch, er hätte tausend Dukaten vom Don Juan erhalten, um Fräulein Hero fälschlich anzuklagen.

Holzapfel.

Klare Brandmörderei, wenn jemals eine begangen ist.

Schlehwein.

Ja, mein Seel, so ist es auch.

Schreiber.

Was sonst noch, Mensch?

Erste Wache.

Und daß Graf Claudio nach seinen Reden sich vorgesetzt habe, Fräulein Hero vor der ganzen Versammlung zu beschimpfen und sie nicht zu heiraten.

Holzapfel.

O Spitzbube! Dafür wirst du noch ins ewige Jubiläum verdammt werden.

Schreiber.

Was noch mehr?

Zweite Wache.

Das war alles.

Schreiber.

Und das ist mehr, Leute, als ihr leugnen könnt. Prinz Juan hat sich diesen Morgen heimlich weggestohlen; Hero ward auf diese Weise angeklagt, auf ebendiese Weise verstoßen, und ist aus Gram darüber plötzlich gestorben. Herr Konstabler, laßt die beiden Leute binden und in Leonatos Haus führen, ich will vorangehn und ihm das Verhör zeigen. (Ab.)

Holzapfel.

Recht so; laßt ihnen die Bandagen antun.

Schlehwein.

Laßt sie festbinden.

Konrad.

Fort, ihr Maulaffen!

Holzapfel.

Gott steh mir bei, wo ist der Schreiber? Er soll schreiben: des Prinzen Konstabler ein Maulaffe! Wart! bindet sie fest! Du nichtswürdiger Kerl! –

Konrad.

Fort! Ihr seid ein Esel, Ihr seid ein Esel.

Holzapfel.

Despektierst du denn mein Amt nicht? Despektierst du denn meine Jahre nicht? – Wär er doch noch hier, daß er es aufschreiben könnte, daß ich ein Esel bin! Aber, ihr Leute, vergeßt mir’s nicht, daß ich ein Esel bin; wenn’s auch nicht hingeschrieben ward, erinnert’s euch ja, daß ich ein Esel bin. Nein, du Spitzbube, du steckst voller Moralität, das kann ich dir durch zuverlässige Zeugen beweisen. Ich bin ein gescheuter Mann, und was mehr ist, ein Mann bei der Justiz, und was mehr ist, ein ansässiger Mann, und was mehr ist, ein so hübsches Stück Fleisch, als nur irgendeines in ganz Messina, und ein Mann, der sich auf die Gesetze versteht, siehst du, und ein Mann, der sein Vermögen hat, siehst du, und ein Mann, der um vieles gekommen ist, und der seine zwei Röcke hat, und alles, was an ihm, ist sauber und akkurat. Bringt ihn fort! Ach, hätten sie’s nur von mir aufgeschrieben, daß ich ein Esel bin! – (Alle ab.)

Fünfter Aufzug

Erste Szene

Vor Leonatos Hause

Es treten auf Leonato und Antonio

Antonio.

Fährst du so fort, so bringst du selbst dich um;

Und nicht verständig ist’s, dem Gram so helfen,

Dir selbst zum Schaden.

Leonato.

Spare deinen Rat!

Er fällt so fruchtlos in mein Ohr, wie Wasser

Ein Sieb durchströmt. O gib mir keinen Rat!

Und keinen Tröster laß mein Ohr erquicken,

Als solchen, dessen Schmerz dem meinen gleicht. –

Bring mir ’nen Vater, der sein Kind so liebte,

Des Freud an ihm vernichtet ward, wie meine,

Und heiß Geduld ihn predigen.

Miß seinen Gram nach meinem auf ein Haar,

Jeglichem Weh entsprech ein gleiches Weh,

Und hier wie dort ein Schmerz für jeden Schmerz,

In jedem Zug und Umriß Licht und Schatten;

Wenn der nun lächelt und den Bart sich streicht,

Ruft: Gram, fahr hin, und ei! statt tief zu seufzen,

Sein Leid mit Sprüchen flickt, mit Bücherphrasen

Den bittern Schmerz betäubt, den bringe mir,

Von diesem will ich dann Geduld erlernen.

Doch solchen Mann gibt’s nicht. Denn, Bruder, Menschen,

Sie raten, trösten, heilen nur den Schmerz,

Den sie nicht selber fühlen. Trifft er sie,

Dann wird zur wilden Wut derselbe Trost,

Der eben noch Arznei dem Gram verschrieb,

An seidner Schnur den Wahnsinn wollte fesseln,

Herzweh mit Luft, den Krampf mit Worten stillen.

Nein! nein! Stets war’s der Brauch, Geduld zu rühmen

Dem Armen, den die Last des Kummers beugt;

Doch keines Menschen Kraft noch Willensstärke

Genügte solcher Weisheit, wenn er selbst

Das gleiche duldete, drum keinen Rat;

Denn lauter schreit mein Schmerz als dein Ermahnen.

Antonio.

So hat der Mann dem Kinde nichts voraus?

Leonato.

Ich bitt dich, schweig! Ich bin nur Fleisch und Blut

Denn noch bis jetzt gab’s keinen Philosophen,

Der mit Geduld das Zahnweh konnt ertragen,

Ob sie der Götter Sprache gleich geredet,

Und Schmerz und Zufall als ein Nichts verlacht.

Antonio.

So häufe nur nicht allen Gram auf dich;

Laß jene, die dich kränkten, gleichfalls dulden.

Leonato.

Da sprichst du weislich: ja, so soll’s geschehn.

Mein Herz bezeugt mir’s, Hero ward verleumdet,

Und dies soll Claudio hören, dies der Fürst,

Und alle sollen’s, die sie so entehrt. Don Pedro und Claudio kommen.

Antonio.

Hier kommen Claudio und der Prinz in Eil.

Don Pedro.

Ah, guten Morgen!

Claudio.

Guten Tag euch beiden.

Leonato.

Hört mich, ihr Herrn – –

Don Pedro.

Leonato, wir sind eilig.

Leonato.

So eilig, Herr? So lebt denn wohl, ihr Herrn; –

Jetzt habt ihr Eile? – Wohl, ’s ist einerlei.

Don Pedro.

Nun, guter Alter, zankt doch nicht mit uns.

Antonio.

Schafft ihm ein Zank sein Recht, so weiß ich solche,

Die wohl den kürzern zögen.

Claudio.

Ei, wer kränkt ihn?

Leonato.

Ha, wahrlich du! Du kränktest mich, du Heuchler! –

O leg die Hand nur nicht an deinen Degen,

Ich fürchte nichts.

Claudio.

Verdorre diese Hand,

Eh sie dem Alter so zu drohen dächte.

Die Hand am Schwert hat nichts bedeutet, wahrlich!

Leonato.

Ha, Mann! Nicht grinse so und spotte meiner!

Ich spreche nicht als Tor und blöder Greis,

Noch unter meines Alters Freibrief prahl ich,

Was ich als Jüngling tat, was ich noch täte,

Wär ich nicht alt: Nein, hör es, auf dein Haupt!

Du kränktest so mein schuldlos Kind und mich,

Daß ich ablege meine Würd und Ehrfurcht;

Mit grauem Haar und vieler Jahre Druck

Fordr‘ ich dich hier, als Mann dich mir zu stellen.

Ich sage, du belogst mein schuldlos Kind;

Dein falsches Zeugnis hat ihr Herz durchbohrt,

Und unter ihren Ahnen ruht sie jetzt,

Ha! in dem Grab, wo Schande nimmer schlief,

Als ihre, die dein Schurkenstreich ersann.

Claudio.

Mein Schurkenstreich?

Leonato.

Ja, deiner, Claudio, deiner.

Don Pedro.

Ihr drückt Euch unrecht aus, Signor.

Leonato.

Mein Prinz,

An ihm will ich’s beweisen, wenn er’s wagt,

Trotz seiner Fechterkunst und raschen Übung,

Trotz seiner Jugend Lenz und muntern Blüte.

Claudio.

Laßt mich. Ich habe nichts mit Euch zu schaffen.

Leonato.

So willst du gehn? Du hast mein Kind gemordet;

Ermordst du, Knabe, mich, mordst du ’nen Mann.

Antonio.

Er muß uns beide morden, ja, zwei Männer,

Darauf kommt’s hier nicht an: zuerst den einen;

Ja, wer gewinnt, der lacht. Mir steh er Rede!

Komm, Bursche, folge mir! Komm, folg mir, Bursch! –

Herr Jung! ich haue deine Finten durch.

Ja, ja, so wahr ich Edelmann, das will ich!

Leonato.

Bruder – –

Antonio.

Sei du nur still! Gott weiß, das Mädchen liebt‘ ich.

Nun ist sie tot, von Schurken tot geschmäht,

Die wohl so gern sich einem Manne stellen,

Als ich der Schlang an ihre Zunge griffe.

Gelbschnäbel, Buben, Affen, Prahler. – –

Leonato.

Bruder! –

Antonio.

Ei was, sei still! – Was da! ich kenne sie,

Weiß, was sie gelten, bis auf Gramm und Skrupel:

Vorlaute, dreiste, modesüchtge Knaben,

Die lügen, trügen, höhnen, schmähn und lästern.

Mit bunter Narrentracht den Helden spielen,

Und ein halb Dutzend grimmer Worte lernten:

«Was sie dem Feind antäten, käm’s soweit -»

Und das ist alles.

Leonato.

Bruder – –

Antonio.

’s ist schon gut,

Du kümmre dich um nichts, laß mich nur machen.

Don Pedro.

Ihr Herrn, wir wolln nicht euern Unmut wecken.

Daß Eure Tochter starb, geht mir zu Herzen;

Doch auf mein Wort, sie war um nichts beschuldigt,

Als was gewiß und klar erwiesen stand.

Leonato.

Mein Fürst, mein Fürst – –

Don Pedro.

Ich will nicht hören.

Leonato.

Nicht?

Fort, Bruder! – Ihr sollt hören!

Antonio.

Ja, Ihr sollt!

Ja! oder einge von uns sollen’s fühlen! (Leonato und Antonio ab.)

Benedikt kommt.

Don Pedro.

Seht, da kommt der Mann, den wir gesucht.

Claudio.

Nun, Signor, was gibt’s Neues?

Benedikt.

Guten Tag, mein Fürst.

Don Pedro.

Willkommen, Signor. Ihr hättet eben beinahe einen Strauß trennen können.

Claudio.

Es fehlte nicht viel, so hätten zwei alte Männer ohne Zähne unsre zwei Nasen abgebissen.

Don Pedro.

Leonato und sein Bruder. Was denkst du wohl? Hätten wir gefochten, so fürchte ich, wir wären zu jung für sie gewesen.

Benedikt.

In einer schlechten Sache hat man keinen rechten Mut. Ich kam, euch beide aufzusuchen.

Claudio.

Und wir sind schon lange auf den Beinen, dich zu suchen. Denn wir sind gewaltig melancholisch und sähen’s gern, wenn uns das jemand austriebe. Willst du deinen Witz in Bewegung setzen?

Benedikt.

Er steckt in meiner Scheide, soll ich ihn ziehn?

Don Pedro.

Trägst du deinen Witz an der Seite?

Claudio.

Das tat noch niemand, obgleich wohl viele ihren Witz beiseite gelegt haben. Ich will dich spielen heißen, wie wir’s den Fiedlern tun; spiel auf, mach uns lustig.

Don Pedro.

So wahr ich ehrlich bin, er sieht blaß aus. Bist du krank oder verdrießlich?

Claudio.

Mut, Freund! Wenn der Gram auch eine Katze ums Leben bringen kann, so hast du doch wohl Herz genug, den Gram ums Leben zu bringen?

Benedikt.

Signor, wenn Ihr Euern Witz gegen mich richtet, so denk ich ihm in seinem Rennen standzuhalten. Habt die Güte und wählt ein andres Thema.

Claudio.

So schafft Euch erst eine neue Lanze, denn diese letzte brach mittendurch.

Don Pedro.

Beim Himmel, er verändert sich mehr und mehr; ich glaube, er ist im Ernst verdrießlich.

Claudio.

Nun, wenn er’s ist, so weiß er, wie er seinen Gürtel zu schnallen hat.

Benedikt.

Soll ich Euch ein Wort ins Ohr sagen?

Claudio.

Gott bewahre uns vor einer Ausforderung!

Benedikt (beiseite zu Claudio).

Ihr seid ein Nichtswürdiger; ich scherze nicht. Ich will’s Euch beweisen, wie Ihr wollt, womit Ihr wollt und wann Ihr wollt. Tut mir Bescheid, oder ich mache Eure Feigherzigkeit öffentlich bekannt. Ihr habt ein liebenswürdiges Mädchen getötet, und ihr Tod soll schwer auf Euch fallen. Laßt mich Eure Antwort hören.

Claudio (laut).

Schön, ich werde mich einfinden, wenn Eure Mahlzeit der Mühe verlohnt.

Don Pedro.

Was? ein Schmaus? ein Schmaus?

Claudio.

Jawohl, er hat mich eingeladen auf einen Kalbskopf und einen Kapaun, und wenn ich beide nicht mit der größten Zierlichkeit vorschneide, so sagt, mein Messer tauge nichts. Gibt’s nicht etwa auch eine junge Schnepfe?

Benedikt.

Signor, Euer Witz geht einen guten leichten Paß, er fällt nicht schwer.

Don Pedro.

Ich muß dir doch erzählen, wie Beatrice neulich deinen Witz herausstrich. Ich sagte, du hättest einen feinen Witz; o ja, sagte sie, fein und klein. Nein, sagte ich, einen großen Witz; recht, sagte sie, groß und derb; nein, sagte ich, einen guten Witz; sehr wahr, sagte sie, er tut niemanden weh. Aber, sagte ich, es ist ein kluger, junger Mann; gewiß, sagte sie, ein recht superkluger, junger Mensch. Und was noch mehr ist, sagte ich, er versteht sich auf verschiedene Sprachen. Das glaub ich, sagte sie, denn er schwur mir Montag abend etwas zu, was er Dienstag morgen wieder verschwor; da habt Ihr eine doppelte Sprache, da habt Ihr zwei Sprachen. So hat sie eine ganze Stunde lang alle deine besondern Tugenden travestiert, bis sie zuletzt mit einem Seufzer schloß: du seist der artigste Mann in Italien.

Claudio.

Wobei sie bitterlich weinte und hinzufügte: sie kümmre sich nichts drum.

Don Pedro.

Ja, das tat sie; und doch mit alledem, wenn sie ihn nicht herzlich haßte, so würde sie ihn herzlich lieben. Des Alten Tochter hat uns alles erzählt.

Claudio.

Alles, alles! und noch obendrein, Gott sahe ihn, als er sich im Garten versteckt hatte.

Don Pedro.

Und wann werden wir denn des wilden Stieres Hörner auf des vernünftigen Benedikt Stirne sehn?

Claudio.

Und wann werden wir mit großen Buchstaben geschrieben lesen: Hier wohnt Benedikt, der verheiratete Mann?

Benedikt.

Lebt wohl, junger Bursch; Ihr wißt meine Meinung, ich will Euch jetzt Euerm schwatzhaften Humor überlassen. Ihr schwadroniert mit Euern Späßen, wie die Großprahler mit ihren Klingen, die gottlob! niemand verwunden. Gnädiger Herr, ich sage Euch meinen Dank für Eure bisherige Güte; von nun an muß ich mich Eurer Gesellschaft entziehn. Euer Bruder, der Bastard, ist aus Messina entflohen; ihr beide habt ein liebes, unschuldiges Mädchen ums Leben gebracht. Was diesen Don Ohnebart hier betrifft, so werden er und ich noch miteinander sprechen, und bis dahin mag er in Frieden ziehn. (Ab.)

Don Pedro.

Es ist sein Ernst?

Claudio.

Sein ehrsamster Ernst, und ich wollte wetten, alles aus Liebe zu Beatrice.

Don Pedro.

Und er hat dich gefordert?

Claudio.

In aller Form.

Don Pedro.

Was für ein artiges Ding ein Mann ist, wenn er in Wams und Hosen herumläuft und seinen Verstand zu Hause läßt! –

Claudio.

Er ist alsdann ein Riese gegen einen Affen; aber dafür ist dann auch ein Affe ein Doktor gegen solch einen Mann. Holzapfel, Schlehwein, Wache mit Konrad und Borachio.

Don Pedro.

Aber jetzt stille, laß gut sein, und du, mein Herz, geh in dich und sei ernst. Sagte er nicht, mein Bruder sei entflohn?

Holzapfel.

Nur heran, Herr, wenn Euch die Gerechtigkeit nicht zahm machen kann, so soll die Justiz niemals wieder ein Argelment auf ihre Waagschale legen; ja, und wenn Ihr vorher ein hippokratischer Taugenichts gewesen seid, so muß man Euch jetzt auf die Finger sehn.

Don Pedro.

Was ist das? Zwei von meines Bruders Leuten gebunden? und Borachio der eine?

Claudio.

Forscht doch nach ihrem Vergehn, gnädiger Herr.

Don Pedro.

Gerichtsdiener, welches Vergehn haben sich diese Leute zuschulden kommen lassen?

Holzapfel.

Ei, gnädiger Herr, falschen Rapport haben sie begangen; überdem sind Unwahrheiten vorgekommen; andernteils haben sie Kolonien gesagt; sechstens und letztens haben sie ein Fräulein verlästert; drittens haben sie Unrichtigkeiten verifiziert, und schließlich sind sie lügenhafte Spitzbuben.

Don Pedro.

Erstens frage ich dich, was sie getan haben; drittens frag ich dich, was ihr Vergehn ist; sechstens und letztens, warum man sie arretiert hat; und schließlich, was ihr ihnen zur Last legt.

Claudio.

Richtig subdividiert, nach seiner eignen Einteilung. Das nenn ich mir entwirrte Verwirrung.

Don Pedro.

Was habt ihr begangen, Leute, daß man euch auf diese Weise gebunden hat? Dieser gelehrte Konstabler ist zu scharfsinnig als daß man ihn verstehen könnte. Worin besteht euer Vergehn?

Borachio.

Teuerster Prinz, laßt mich nicht erst vor Gericht gestellt werden; hört mich an, und mag dieser Graf mich niederstoßen. Ich habe Euch mit sehenden Augen blind gemacht; was euer beider Weisheit nicht entdecken konnte, haben diese schalen Toren ans Licht gebracht, die mich in der Nacht behorchten, als ich diesem Manne hier erzählte, wie Don Juan, Euer Bruder, mich angestiftet, Fräulein Hero zu verleumden; wie Ihr in den Garten gelockt wurdet und mich um Margareten, die Heros Kleider trug, werben saht; wie Ihr sie verstoßen habt, als Ihr sie heiraten solltet. Diesen meinen Bubenstreich haben sie zu Protokoll genommen, und lieber will ich ihn mit meinem Blut versiegeln, als ihn noch einmal zu meiner Schande wiederholen. Das Fräulein ist durch meine und meines Herrn falsche Beschuldigung getötet worden; und kurz, ich begehre jetzt nichts als den Lohn eines Bösewichtes.

Don Pedro.

Rennt nicht dies Wort wie Eisen durch dein Blut?

Claudio.

Ich habe Gift getrunken, als er sprach.

Don Pedro.

Und hat mein Bruder hiezu dich verleitet?

Borachio.

Ja, und mich reichlich für die Tat belohnt.

Don Pedro.

Er ist Verrat und Tücke ganz und gar –

Und nun entfloh er auf dies Bubenstück.

Claudio.

O süße Hero! jetzt strahlt mir dein Bild

Im reinen Glanz, wie ich zuerst es liebte.

Holzapfel.

Kommt, führt diese Requisiten weg; unser Schreiber wird alleweil auch den Signor Leonato von dem Handel destruiert haben; und ihr, Leute, vergeßt nicht zu seiner Zeit und an seinem Ort zu spezifizieren, daß ich ein Esel bin.

Schlehwein.

Hier, hier kommt der Herr Signor Leonato und der Schreiber dazu. Leonato, Antonio und der Schreiber kommen.

Leonato.

Wo ist der Bube? Laßt mich sehn sein Antlitz,

Daß, wenn ein Mensch mir vorkommt, der ihm gleicht,

Ich ihn vermeiden kann. Wer ist’s von diesen?

Borachio.

Wollt Ihr den sehn, der Euch gekränkt? Ich bin’s.

Leonato.

Bist du der Sklav, des Hauch getötet hat

Mein armes Kind?

Borachio.

Derselbe; ich allein.

Leonato.

Nein, nicht so, Bube, du verleumdest dich.

Hier steht ein Paar von ehrenwerten Männern,

Ein Dritter floh, des Hand im Spiele war: –

Euch dank ich, Prinzen, meiner Tochter Tod,

Den schreibt zu euern hohen, würdgen Taten,

Denn herrlich war’s vollbracht, bedenkt ihr’s recht.

Claudio.

Ich weiß nicht, wie ich Euch um Nachsicht bäte,

Doch reden muß ich. Wählt die Rache selbst,

Die schwerste Buß erdenkt für meine Sünde,

Ich trage sie. Doch nur im Mißverstand

Lag meine Sünde!

Don Pedro.

Und meine, das beschwör ich.

Und doch, dem guten Greis genugzutun,

Möcht ich mich beugen unterm schwersten Joch,

Mit dem er mich belasten will.

Leonato.

Befehlen kann ich nicht: «Erweckt mein Kind»,

Das wär unmöglich. Doch ich bitt euch beide,

Verkündet’s unsrer Stadt Messina hier,

Wie schuldlos sie gestorben. Wenn Eur Lieben

Ein Lied der Trauer Euch ersinnen läßt,

So hängt ein Epitaph an ihre Gruft

Und singt es ihrer Asche, singt’s heut nacht.

Auf morgen früh lad ich Euch in mein Haus,

Und könnt Ihr jetzt mein Eidam nicht mehr werden,

So seid mein Neffe. Mein Bruder hat ’ne Tochter,

Beinah ein Abbild meines toten Kindes,

Und sie ist einzge Erbin von uns beiden;

Der schenkt, was ihre Muhm erhalten sollte,

Und so stirbt meine Rache.

Claudio.

Edler Mann!

So übergroße Güt entlockt mir Tränen.

Mit Rührung nehm ich’s an: verfügt nun künftig

Nach Willkür mit dem armen Claudio.

Leonato.

Auf morgen denn erwart ich Euch bei mir,

Für heut gut Nacht. Der Niederträchtige

Steh im Verhör Margreten gegenüber,

Die, glaub ich, auch zu dem Komplott gehörte,

Erkauft von Euerm Bruder.

Borachio.

Bei meiner Seele, nein, so war es nicht;

Sie sprach mit mir, nicht wissend, was sie tat;

Stets hab ich treu und rechtlich sie gefunden

In allem, was ich je von ihr erfahren.

Holzapfel.

Anbei ist noch Meldung zu tun, gnädiger Herr, obgleich es freilich nicht weiß auf schwarz dasteht, daß dieser Requisit hier, dieser arme Sünder, mich einen Esel genannt hat. Ich muß bitten, daß das bei seiner Bestrafung in Anregung kommen möge. Und ferner hörte die Wache sie von einem Mißgestalt reden; er leiht Geld um Gottes willen und treibt’s nun schon so lange, und gibt nichts wieder, daß die Leute anfangen, hartherzig zu werden und nichts mehr um Gottes willen geben wollen. Seid von der Güte und verhört ihn auch über diesen Punkt.

Leonato.

Hab Dank für deine Sorg und brav Bemühn.

Holzapfel.

Eur Wohlgeboren reden wie ein recht ehrwürdiger und dankbarer junger Mensch, und ich preise Gott für Euch.

Leonato.

Da hast du für deine Mühe.

Holzapfel.

Gott segne dieses fromme Haus.

Leonato.

Geh, ich nehme dir deine Gefangenen ab und danke dir.

Holzapfel.

So resigniere ich Eur Wohlgeboren einen infamen Spitzbuben, nebst untertänigster Bitte an Eur Wohlgeboren, ein Exempel an sich zu statuieren, andern dergleichen zur Warnung. Gott behüte Eur Wohlgeboren; ich wünsche Euch alles Gute; Gott geb Euch gute Beßrung, ich erlaube Eur Wohlgeboren, jetzt alleruntertänigst nach Hause zu gehn; und wenn ein fröhliches Wiedersehn zu den erwünschten Dingen gehört, so wolle Gott es in seiner Gnade verhüten. Kommt, Nachbar. (Gehn ab.)

Leonato.

Nun bis auf morgen früh, ihr Herrn, lebt wohl.

Antonio.

Lebt wohl, ihr Herren, vergeßt uns nicht auf morgen.

Don Pedro.

Wir fehlen nicht.

Claudio.

Heut nacht wein ich um Hero. (Don Pedro und Claudio ab.)

Leonato.

Schafft diese fort: jetzt frag ich Margareten,

Wie sie bekannt ward mit dem schlechten Menschen. (Ab.)

Zweite Szene

Leonatos Garten

Benedikt und Margareta, die sich begegnen

Benedikt.

Hört doch, liebe Margareta, macht Euch um mich verdient und verhelft mir zu einem Gespräch mit Beatricen.

Margareta.

Wollt Ihr mir dafür auch ein Sonett zum Lobe meiner Schönheit schreiben?

Benedikt.

In so hohem Stil, Margareta, daß kein jetzt Lebender, noch so Verwegner sich daran wagen soll, denn in Wahrheit, das verdienst du.

Margareta.

Daß keiner sich an meine Schönheit wagen soll?

Benedikt.

Dein Witz schnappt so rasch wie eines Windspiels Maul; er fängt auf.

Margareta.

Und Eurer trifft so stumpf wie eines Fechters Rapier; er stößt und verwundet nicht.

Benedikt.

Lauter Galanterie, Margareta, er will kein Frauenzimmer verwunden. Und nun bitte ich dich, rufe mir Beatrice, ich strecke die Waffen vor dir.

Margareta.

Nun, ich will sie rufen, ich denke, sie hat ihre Füße bei der Hand.

Benedikt.

Wenn das ist, so hoffe ich, kommt sie.

(Singt.)

Gott Amor droben

Kennt meinen Sinn,

Und weiß aus vielen Proben,

Wie schwach ich bin. – – Ich meine im Singen; aber in der Liebe – – Leander, der treffliche Schwimmer; Troilus, der den ersten Pandarus in Requisition setzte, und ein ganzes Buch voll von diesen weiland Liebesrittern, deren Namen jetzt so glatt in der ebenen Bahn der fünffüßigen Iamben dahingleiten, alle diese waren nie so ernstlich über und über in Liebe versenkt, als mein armes Ich. Aber wahrhaftig, ich kann’s nicht in Reimen beweisen; ich hab’s versucht; ich finde keinen Reim auf Mädchen als – Schäfchen, ein zu unschuldiger Reim; auf Zorn, als Horn, ein harter Reim; auf Ohr, Tor, ein alberner Reim – sehr verfängliche Endungen; nein, ich bin einmal nicht unter einem reimenden Planeten geboren, ich weiß auch nicht in Feiertagsworten zu werben.

Beatrice kommt.

Schönste Beatrice, kamst du wirklich, weil ich dich rief?

Beatrice.

Ja, Signor, und ich werde gehn, wenn Ihr mir’s sagt.

Benedikt.

Oh, Ihr bleibt also bis dahin?

Beatrice.

Dahin habt Ihr jetzt eben gesagt, also lebt nun wohl. Doch eh ich gehe, sagt mir das, weshalb ich kam; laßt mich hören, was zwischen Euch und Claudio vorgefallen ist.

Benedikt.

Nichts als böse Reden, und demzufolge laß mich dich küssen.

Beatrice.

Böse Reden sind böse Luft, und böse Luft ist nur böser Atem, und böser Atem ist ungesund, und also will ich ungeküßt wiedergehn.

Benedikt.

Du hast das Wort aus seinem rechten Sinn herausgeschreckt, so energisch ist dein Witz. Aber ich will dir’s schlechtweg erzählen. Claudio hat meine Forderung erhalten, und ich werde jetzt bald mehr von ihm hören, oder ich nenne ihn öffentlich eine Memme. Und nun sage mir, in welche von meinen schlechten Eigenschaften hast du dich zuerst verliebt? –

Beatrice.

In alle auf einmal; denn sie bilden zusammen eine so wohlorganisierte Republik von Fehlern, daß sie auch nicht einer guten Eigenschaft gestatten, sich unter sie zu mischen. Aber um welche von meinen schönen Qualitäten habt Ihr zuerst die Liebe zu mir erdulden müssen?

Benedikt.

Die Liebe erdulden! Eine hübsche Phrase! Freilich erdulde ich die Liebe, denn wider meinen Willen muß ich dich lieben.

Beatrice.

Wohl gar deinem Herzen zum Trotz? Ach, das arme Herzchen! – Wenn Ihr um meinetwillen trotzt, will ich ihm um Euretwillen Trotz bieten, denn ich werde niemals das lieben, was mein Freund haßt.

Benedikt.

Du und ich sind zu vernünftig, um uns friedlich umeinander zu bewerben.

Beatrice.

Das sollte man aus dieser Beichte nicht schließen: unter zwanzig vernünftigen Männern wird nicht einer sich selbst loben.

Benedikt.

Ein altes, altes Sprichwort, Beatrice, das gegolten haben mag, als es noch gute Nachbarn gab: wer in unserm Zeitalter sich nicht selbst eine Grabschrift aufsetzt, ehe er stirbt, der wird nicht länger im Gedächtnis leben, als die Glocke läutet und die Witwe weint.

Beatrice.

Und das wäre?

Benedikt.

Ihr fragt noch? Nun, eine Stunde läuten und eine Viertelstunde weinen. Deshalb ist der beste Ausweg für einen Verständigen (wenn anders Don Wurm, sein Gewissen, ihn nicht daran hindert), die Posaune seiner eigenen Tugenden zu sein, wie ich’s jetzt für mich bin. Soviel über mein Selbstlob (und daß ich des Lobes wert sei, will ich selbst bezeugen); nun sagt mir aber, wie geht es Eurer Muhme? –

Beatrice.

Sehr schlecht.

Benedikt.

Und wie geht es Euch selbst?

Beatrice.

Auch sehr schlecht.

Benedikt.

Seid fromm, liebt mich und bessert Euch; und nun will ich Euch Lebewohl sagen, denn hier kommt jemand in Eil. Ursula kommt.

Ursula.

Mein Fräulein, Ihr sollt zu Euerm Oheim kommen, es ist ein schöner Lärm da drinnen! man hat erwiesen, unser Fräulein Hero sei böslich verleumdet, die Prinzen und Claudio mächtig betrogen, und Don Juan, der Anstifter von dem allem, hat sich auf und davon gemacht. Wollt Ihr jetzt gleich mitkommen?

Beatrice.

Wollt Ihr diese Neuigkeiten mit anhören, Signor? –

Benedikt.

Ich will in deinem Herzen leben, in deinem Schoß sterben, in deinen Augen begraben werden, und über das alles will ich mit dir zu deinem Oheim gehn. (Ab.)

Dritte Szene

In der Kirche

Don Pedro, Claudio, Gefolge mit Musik und Fackeln

Claudio.

Ist dies des Leonato Grabgewölb?

Diener.

Ja, gnädger Herr.

Claudio (liest von einer Rolle).

Schmähsucht brach der Hero Herz

Hier schläft sie im Jungfraunkranz.

Für der Erde kurzen Schmerz

Schmückt sie Tod mit Himmelsglanz;

Leben mußt in Schmach ersterben,

Tod ihr ewgen Ruhm erwerben.

(Hängt die Rolle auf.)

Häng an ihres Grabmals Steinen,

Wenn ich tot, sie zu beweinen. Nun stimmet an und singt die Todeshymne.

Gesang. Gnad uns, Königin der Nacht,

Die dein Mägdlein umgebracht;

Trauernd und mit Angstgestöhn

Um ihr Grab wir reuig gehn.

Mitternacht, steh uns bei!

Mehr‘ unser Klaggeschrei!

Feierlich, feierlich!

Gräber, gähnt weit empor!

Steig auf, o Geisterchor,

Feierlich, feierlich!

Claudio.

Nun ruh in Frieden dein Gebein!

Dies Fest soll jährlich sich erneun.

Don Pedro.

Löscht eure Fackeln jetzt, schon fällt der Tau,

Der Wolf zieht waldwärts, und vom Schlaf noch schwer,

Streift sich der Osten schon mit lichtem Grau,

Vor Phöbus‘ Rädern zieht der Tag einher.

Euch allen Dank! verlaßt uns und lebt wohl.

Claudio.

Guten Morgen, Freunde, geh nun jeder heim.

Don Pedro.

Kommt, laßt zum neuen Feste jetzt uns schmücken,

Und dann zu Leonato folgt mir nach.

Claudio.

Und Hymen mög uns diesmal mehr beglücken,

Als an dem heut gesühnten Trauertag. (Alle ab.)

Vierte Szene

Zimmer in Leonatos Hause

Leonato, Antonio, Benedikt, Beatrice, Ursula, Mönch und Hero treten auf

Mönch.

Sagt ich’s euch nicht, daß sie unschuldig sei? –

Leonato.

Wie Claudio und der Prinz, die sie verklagt

Auf jenen Irrtum, den wir jetzt besprochen.

Doch etwas ist Margret im Fehl verstrickt,

Zwar gegen ihren Willen, wie’s erscheint

In dem Verlauf der ganzen Untersuchung.

Antonio.

Nun, ich bin froh, daß alles glücklich endet.

Benedikt.

Das bin ich auch, da sonst mein Wort mich band,

Vom jungen Claudio Rechenschaft zu fordern.

Leonato.

Nun, meine Tochter und ihr andern Fraun

Zieht in das nächste Zimmer euch zurück,

Und wenn ich sende, kommt in Masken her.

Der Prinz und Claudio wolln um diese Stunde

Mich hier besuchen. Du, Bruder, kennst dein Amt,

Du mußt der Vater deiner Nichte sein

Und Claudio sie vermählen. (Die Frauen ab.)

Antonio.

Das tu ich dir mit fester, sichrer Miene.

Benedikt.

Euch, Pater, denk ich auch noch zu bemühn.

Mönch.

Wozu, Signor?

Benedikt.

Zu binden oder lösen, eins von beiden.

Herr Leonato, so weit ist’s, mein Teurer,

Mit günstgen Augen sieht mich Eure Nichte.

Leonato.

Die Augen lieh ihr, wahrlich, meine Tochter.

Benedikt.

Und ich vergelt es mit verliebten Augen.

Leonato.

Den Liebesblick habt Ihr von mir erhalten,

Von Claudio und dem Prinzen. Doch, was wollt Ihr?

Benedikt.

Die Antwort, Herr, bedünkt mich problematisch.

Mein Wille wünscht, daß Euer guter Wille

Sich unserm Willen fügt und dieser Tag

Uns durch das Band der heilgen Eh verknüpfe

Und dazu, würdger Mann, schenkt Euern Beistand.

Leonato.

Mein Jawort geb ich gern.

Mönch.

Ich meinen Beistand.

Hier kommt der Prinz und Claudio. Don Pedro und Claudio mit Gefolge.

Don Pedro.

Guten Morgen diesem ganzen edlen Kreis!

Leonato.

Guten Morgen, teurer Fürst, guten Morgen, Claudio!

Wir warten Euer; seid Ihr noch entschlossen,

Mit meines Bruders Kind Euch zu vermählen?

Claudio.

Ich halte Wort, und wär sie eine Mohrin.

Leonato.

Ruf, Bruder, sie, der Priester ist bereit. (Antonio ab.)

Don Pedro.

Ei, guten Morgen, Benedikt, wie geht’s?

Wie kommt Euch solch ein Februarsgesicht,

So voller Frost und Sturm und Wolkenschatten?

Claudio.

Ich denk, er denkt wohl an den wilden Stier.

Nur still! dein Horn schmück ich mit goldnem Knopf,

Und ganz Europa soll dir Bravo rufen,

Wie einst Europa sich am Zeus erfreute,

Da er als edles Vieh trug Liebesbeute.

Benedikt.

Zeus brüllt‘ als Stier ein sehr verführend Muh,

Und solch ein Gast kirrt‘ Eures Vaters Kuh,

Und ließ ein Kalb zurück dem edlen Tier,

Ganz so von Ansehn und Geblök wie Ihr. Antonio kommt wieder, mit ihm die Frauen maskiert.

Claudio.

Das zahl ich Euch; doch jetzt kommt andre Rechnung.

An welche Dame darf ich hier mich wenden?

Antonio.

Hier, diese ist’s, nehmt sie von meiner Hand.

Claudio.

So ist sie mein! Zeigt mir Eur Antlitz, Holde.

Leonato.

Nicht so, bevor du ihre Hand erfaßt

Vor diesem Priester und ihr Treu gelobt.

Claudio.

Gebt mir die Hand vor diesem würdgen Mönch,

Wenn Ihr mich wollt, so bin ich Euer Gatte.

Hero.

Als ich gelebt, war ich Eur erstes Weib;

Als Ihr geliebt, wart Ihr mein erster Gatte. (Nimmt die Maske ab.)

Claudio.

Noch eine Hero?

Hero.

Nichts ist so gewiß.

Geschmäht starb eine Hero; doch ich lebe,

So wahr ich lebe, bin ich rein von Schuld.

Don Pedro.

Die vorge Hero! Hero! die gestorben! –

Leonato.

Sie lebte wieder, als Verleumdung starb.

Mönch.

All dies ‚ Erstaunen bring ich zum Verständnis.

Sobald die heilgen Bräuche sind vollbracht,

Bericht ich jeden Umstand ihres Todes.

Indes nehmt als Gewöhnliches dies Wunder

Und laßt uns alle zur Kapelle gehn.

Benedikt.

Still, Mönch, gemach! Wer ist hier Beatrice?

Beatrice.

Ich bin statt ihrer da. Was wollt Ihr mir?

Benedikt.

Liebt Ihr mich nicht?

Beatrice.

Nein, weiter nicht als billig.

Benedikt.

So sind Eur Oheim und der Prinz und Claudio

Gar sehr getäuscht; sie schwuren doch, Ihr liebtet.

Beatrice.

Liebt Ihr mich nicht?

Benedikt.

Nein, weiter nicht als billig.

Beatrice.

So sind mein Mühmchen, Ursula und Gretchen

Gar sehr getäuscht; sie schwuren doch, Ihr liebtet.

Benedikt.

Sie schwuren ja: Ihr seid fast krank um mich.

Beatrice.

Sie schwuren ja: Ihr seid halbtot aus Liebe.

Benedikt.

Ei, nichts davon, Ihr liebt mich also nicht?

Beatrice.

Nein, wahrlich, nichts als freundliches Erwidern.

Leonato.

Kommt, Nichte, glaubt mir’s nur, Ihr liebt den Herrn.

Claudio.

Und ich versichr‘ es Euch, er liebt auch sie:

Seht nur dies Blatt, von seiner Hand geschrieben,

Ein lahm Sonett aus seinem eignen Hirn

Zu Beatricens Preis.

Hero.

Und hier ein zweites

Von ihrer Schrift, aus ihrer Tasch entwandt,

Verrät, wie sie für Benedikt erglüht.

Benedikt.

O Wunder, hier zeugen unsre Hände gegen unsre Herzen. Komm, ich will dich nehmen, aber bei diesem Sonnenlicht, ich nehme dich nur aus Mitleid.

Beatrice.

Ich will Euch nicht geradezu abweisen; aber bei diesem Tagesglanz, ich folge nur dem dringenden Zureden meiner Freunde, und zum Teil, um Euer Leben zu retten; denn man sagt mir, Ihr hättet die Auszehrung.

Benedikt.

Still! ich stopfe dir den Mund. (Küßt sie.)

Don Pedro.

Wie geht’s nun, Benedikt, du Ehemann? –

Benedikt.

Ich will dir etwas sagen, Prinz: eine ganze hohe Schule von Witzknackern soll mich jetzt nicht aus meinem Humor sticheln. Meinst du, ich frage etwas nach einer Satire oder einem Epigramm? Könnte man von Einfällen beschmutzt werden, wer hätte dann noch einen saubern Fleck an sich? Mit einem Wort, weil ich mir’s einmal vorgesetzt, zu heiraten, so mag mir die ganze Welt jetzt vorsetzen, was sie an Gegengründen weiß, mir soll’s eins sein; und darum macht nur keine Glossen wegen dessen, was ich ehmals dagegen gesagt habe; denn der Mensch ist ein wandelbares Geschöpf, und damit ist’s gut. Was dich betrifft, Claudio, so dachte ich dir, eins zu versetzen; aber da es den Anschein hat, als sollten wir jetzt Vettern werden, so lebe fort in heiler Haut und liebe meine Muhme.

Claudio.

Ich hatte schon gehofft, du würdest Beatricen einen Korb geben, damit ich dich aus deinem einzelnen Stande hätte herausklopfen können und dich zu einem Dualisten machen, und ein solcher wirst du auch ohne Zweifel werden, wenn meine Muhme dir nicht gewaltig auf die Finger sieht.

Benedikt.

Still doch, wir sind Freunde. Laßt uns vor der Hochzeit einen Tanz machen, das schafft uns leichtere Herzen und unsern Frauen leichtere Füße.

Leonato.

Den Tanz wollen wir hernach haben.

Benedikt.

Nein, lieber vorher; spielt nur, ihr Musikanten. – Prinz, du bist so nachdenklich, nimm dir eine Frau! nimm dir eine Frau! Es gibt keinen ehrwürdigern Stab, als der mit Horn beschlagen ist. Ein Diener kommt.

Diener.

Mein Fürst, Eur Bruder ward im Fliehn gefangen;

Man bracht ihn mit Bedeckung nach Messina.

Benedikt.

Denkt nicht eher als morgen an ihn; ich will unterdes schon auf derbe Strafen sinnen. Spielt auf, Musikanten! (Tanz. Alle ab.)

William Shakespeare – Romeo und Juliette

William Shakespeare: Romeo und Juliette

Übersetzt von Christoph Martin Wieland

Personen.

Escalus, Fürst von Verona. Paris, ein junger Cavalier, dem Fürsten verwandt, und Juliettens Liebhaber. Montague und Capulet, die Häupter von zween edlen Geschlechtern, die in Feindschaft mit einander stehen. Romeo, Montaguens Sohn. Mercutio, ein Verwandter des Fürsten, und Romeos Freund. Benvolio, Vetter und Freund des Romeo. Tybalt, Neffe des Capulet. Bruder Lorenz und Bruder Johann, Mönche. Balthasar, Bedienter von Romeo. Ein Edelknabe des Paris. Sampson und Gregorio, Capulets Bediente. Abraham, ein Bedienter von Montague. Ein Apotheker. Simon Kazen-Darm, Hug Leyermann und Samuel Windlade, Musicanten. Peter, der Amme Diener. Lady Montague. Lady Capulet. Julietta, Capulets Tochter. Die Amme derselben. Bürger von Verona, Masken, Trabanten, Wache, und andre stumme Personen.

Die Scene ist im Anfang des fünften Aufzugs in Mantua, und sonst immer in Verona.

Erster Aufzug.

Erste Scene.

Eine Strasse in Verona.

Sampson und Gregorio, zween Bediente der Capulets, treten mit Schwerdtern und Schilden bewaffnet auf, und ermuntern einander sich tapfer gegen die Montägues zu halten; ihre ganze Unterredung ist ein Gewebe von Wortspielen, Doppelsinn und Zoten. Abraham und Balthasar zu den Vorigen.

Gregorio zu Sampson.

Zieh vom Leder, hier kommen ein Paar von den Montägischen – –

Sampson.

Meine Fuchtel ist heraus; fang nur Händel an, ich will dir den Weg weisen – –

Gregorio.

So? Willt du davon lauffen?

Sampson.

Sey ohne Sorge, ich will stehen wie eine Mauer; aber es ist doch das Sicherste, wenn wir das Gesez auf unsrer Seite haben; wir wollen sie anfangen lassen.

Gregorio.

Ich will die Nase rümpfen, indem ich bey ihnen vorbeygehe; sie mögen’s dann aufnehmen, wie sie es verstehen.

Sampson.

Oder wie sie das Herz dazu haben. Ich will meinen Daumen gegen sie beissen, welches eine Beschimpfung für sie ist, wenn sie’s leiden.

Abraham.

Beißt ihr euern Daumen gegen uns, Herr?

Sampson.

Ich beisse meinen Daumen, Herr.

Abraham.

Beißt ihr euern Daumen gegen uns, Herr?

Sampson zu Gregorio leise.

Ist das Gesez auf unsrer Seite, wenn ich sage, ja?

Gregorio.

Nein.

Sampson laut.

Nein, Herr, ich beisse meinen Daumen nicht gegen euch, Herr: Aber ich beisse doch meinen Daumen, Herr.

Gregorio.

Sucht ihr Händel, Herr?

Abraham.

Händel, Herr? Nein, Herr.

Sampson.

Wenn ihr’s thut, Herr, so bin ich auch da, ich diene einem so brafen Mann als ihr.

Abraham.

Keinem bessern.

Sampson.

Gut, Herr. Benvolio zu den Vorigen.

Gregorio zu Sampson leise.

Sag, einem bessern: Hier kommt einer von unsers Herrn Neffen.

Sampson laut.

Ja, einem bessern, Herr.

Abraham.

Ihr lügt.

Sampson.

Zieht, wenn ihr Männer seyd – – Gregorio, das war eine Ohrfeige, die du nicht einsteken must – –

Benvolio.

Aus einander, ihr Narren, stekt eure Degen ein, ihr wißt nicht was ihr thut. Tybalt zu den Vorigen.

Tybalt.

Wie, du ziehst deinen Degen gegen diese verzagten Hasen? Kehre dich um, Benvolio, und sieh deinen Tod an.

Benvolio.

Ich mache nur Frieden; stek deinen Degen ein, oder brauch‘ ihn, mir Friede unter diesen Leuten machen zu helfen.

Tybalt.

Wie, mit gezogenem Degen von Frieden schwazen? Ich hasse diess Wort wie die Hölle, wie alle Montägues und dich – – wehr dich, H** (Sie fechten.) Drey oder vier Bürger mit Knitteln treten auf.

Ein Bürger.

Knittel, Spiesse, Hellebarden her! Schlagt zu! Schlagt sie nieder! Zu Boden mit den Capulets! Zu Boden mit den Montägues! Der alte Capulet in einem Schlafrok, und Lady Capulet.

Capulet.

Was für ein Lerm ist das? Gebt mir meinen langen Degen, he!

Lady Capulet.

Eine Krüke, eine Krüke – – was wollt ihr mit einem Degen machen?

Capulet.

Meinen Degen, sag ich; da kommt der alte Montague, und fuchtelt mir mit seiner Klinge unter die Nase – – Der alte Montague, und Lady Montague.

Montague.

Du nichtswürdiger Capulet – – Halt mich nicht, laß mich gehn!

Lady Montague.

Du sollt mir keinen Fuß rühren, um einen Feind zu suchen. Der Fürst von Verona mit seinem Gefolge tritt auf, erzürnt sich gewaltig über diesen Unfug, wirft den beyden Alten vor, daß sie ihrer Familien-Feindschaft wegen Verona schon dreymal in Aufruhr gesezt, verbietet ihnen bey Todes-Straffe die Strassen nicht mehr zu beunruhigen, und tritt, nachdem er sie geschieden, wieder ab.

Zweyte Scene.

Der alte Montague, Lady Montague, und Benvolio bleiben zurük.

Lady.

Wer brachte diesen alten Handel wieder in Bewegung? Redet, Neffe, war’t ihr dabey, wie er angieng?

Benvolio.

Hier fand ich die Bedienten euers Gegentheils, und die eurigen, die sich mit einander herumschlugen, wie ich kam; ich brachte sie aus einander: In dem nemlichen Augenblik kam der feurige Tybalt mit gezognem Degen, den er unter drohenden Herausforderungen über meinem Kopf schwang, und damit auf die Winde zuhieb, die so wenig nach seinen Streichen fragten, daß sie ihn noch dazu auszischten. Wie wir nun an einander waren, so kamen immer mehr Leute, und fochten zu beyden Seiten, bis der Fürst kam, und uns aus einander sezte.

Lady.

O wo ist Romeo? Habt ihr ihn heute nie gesehen? Ich bin recht froh, daß er nicht bey dieser Schlägerey war.

Benvolio.

Madam, eine Stunde eh die* Sonne aufgieng, trieb mich ein beunruhigtes Gemüth aufzustehen, und vor die Stadt hinaus zu gehen; und da traf ich auf der West-Seite der Stadt euern Sohn einsam unter einem Gang von Egyptischen Feigen-Bäumen an. Ich gieng auf ihn zu; aber kaum ward er mich gewahr, so schlich er sich in das dichteste Gehölze. Ich urtheilte von seiner Gemüths-Beschaffenheit nach der meinigen, (denn wir sind innerlich nie mehr beschäftigst, als wenn wir die Einsamkeit suchen,) und anstatt ihm nachzugehen, gieng ich meinen Gedanken nach, und war so vergnügt, daß er mich ausgewichen hatte, als er selbst.

Montague.

Schon manchen Morgen ist er dort gesehen worden, wie er den frischen Morgenthau mit seinen Thränen, und die Morgen-Wolken mit tieffen Seufzern vermehrte; aber kaum fängt die alles erfreuende Sonne an, im fernsten Osten die Vorhänge von Aurorens Bette wegzuziehen, so schleicht sich der schwermüthige Jüngling vom Licht nach Hause und kerkert sich in sein Zimmer ein, versperrt seine Fenster, schließt das schöne Tageslicht hinaus, und macht sich selbst eine erkünstelte Nacht. Er muß nothwendig in einen schwarzen und Unglük-brütenden Humor verfallen wenn nicht bey Zeiten darauf gedacht wird, die Ursache des Uebels wegzuräumen.

Benvolio.

Mein edler Oheim, kennt ihr die Ursache?

Montague.

Ich kenne sie nicht, und kan sie auch nicht aus ihm herausbringen.

Benvolio.

Habt ihr schon in ihn gedrungen?

Montague.

Durch euch selbst und durch viele andre Freunde, aber vergebens; seines eignen Herzens geheimer Rathgeber, ist er gegen sich selbst, ich will nicht sagen so getreu, aber doch so geheim und verschwiegen, so entfernt sich selbst zu verrathen, oder nur einer Muthmassung Grund zu geben, als eine Blumen-Knospe, die von einem inwendig verborgnen Wurm gebissen worden, eh sie ihre zarten Schwingen an der Luft ausspreiten, und ihre Schönheit der Sonne wiedmen konnte. Könnt‘ ich nur erfahren, woher sein Kummer entspringt, es sollte ihm augenbliklich abgeholfen werden. Romeo tritt auf.

Benvolio.

Hier kommt er selbst; wenn’s euch beliebt, so gehet bey Seite; ich will sein Geheimniß ausfündig machen, oder ich müßte mich sehr betrügen.

Montague.

Ich wünsche, daß du so glüklich seyn mögest – – Kommt Madam, wir wollen gehen. (Sie gehen ab.)

Benvolio.

Guten Morgen, Vetter.

Romeo.

Ist der Tag noch so jung?

Benvolio.

Es hat eben neune geschlagen.

Romeo.

Weh mir! Wie lang scheinen uns Kummer-volle Stunden! War das mein Vater, der so eilfertig sich entfernte?

Benvolio.

Er war’s; aber was für ein Kummer verlängert Romeo’s Stunden?

Romeo.

Der Kummer, das nicht zu haben, was sie verkürzen würde.

Benvolio.

Seyd ihr verliebt?

Romeo.

Ohne Hoffnung wieder geliebt zu werden.

Benvolio.

Wie Schade, daß die Liebe, die von Ferne so reizend anzusehen ist, so grausam und tyrannisch seyn soll, so bald sie uns erreicht!

Romeo.

Wie Schade, daß die Liebe, mit verbundnen Augen, Pfade zu ihrem Unglük sehen soll! – – Wo werden wir zu Mittag essen? – – Weh mir! – – Was für ein Tumult war vorhin? – – Doch sagt mir nichts davon, ich hab alles schon gehört. Der Haß macht hier viel zu thun, aber die Liebe noch mehr: Wie dann, o mißhellige Liebe! o liebender Haß! O unwesentliches Etwas, und würkliches Nichts! So leicht und doch zu Boden drükend! So ernsthaft und doch Tand! Du ungestaltes Chaos von reizenden Phantomen! Bleyerne Feder, glänzender Rauch, kaltes Feuer, kranke Gesundheit, immer-wachender Schlaf – – o! du wunderbares Gemisch von Seyn und Nichtseyn! – – Das ist die Liebe die ich fühle, ohne in dem was ich fühle die Liebe zu erkennen – – Lachst du nicht?

Benvolio.

Nein, Vetter, ich möchte lieber weinen.

Romeo.

Du gutes Herz! Worüber?

Benvolio.

Dein gutes Herz so beklemmt zu sehen.

Romeo.

Du vermehrest meinen Kummer durch den deinigen, anstatt ihn zu erleichtern.** – – Liebe ist ein Rauch, der vom Hauch der Seufzer erregt wird, aber gereinigt ein Feuer das in der Liebenden Augen schimmert – – Unglükliche Liebe ist eine See, die mit den Thränen der Liebenden genährt wird; was ist sie noch mehr? Eine vernünftige Tollheit, eine erstikende Galle, eine erquikende Herzstärkung – – Lebt wohl, Vetter. (Er will gehen.)

Benvolio.

Sachte, ich will mitgehen. Ihr beleidigt meine Freundschaft, wenn ihr mich auf eine solche Art verlaßt.

Romeo.

Still! Ich habe mich selbst verlohren, ich bin nicht hier; das ist nicht Romeo, er ist sonst irgendwo.

Benvolio.

– – *** Aber wer ist dann die Person, die du liebst?

Romeo.

Ich will dir’s sagen, Vetter; ich liebe – – ein Weibsbild.

Benvolio.

Das errieth ich, sobald ich merkte, daß ihr verliebt wäret.

Romeo.

Du hast eine vortreffliche Gabe zum Errathen – – und sie ist schön, die ich liebe.

Benvolio.

Ein schönes Ziel ist desto leichter zu treffen.

Romeo.

Aber sie wird von Cupido’s Pfeile nicht getroffen werden; sie hat Dianens Sprödigkeit, und lebt in der wolgestählten Rüstung ihrer Keuschheit sicher vor Amors kindischem Bogen. Sie sezt sich keinen nachstellenden Bliken aus, sie öffnet ihr Ohr keinen Liebes-Erklärungen, noch ihren Schooß dem Golde, das sonst oft die Heiligen selbst verführt. O! Sie ist reich an Schönheit, und allein darinn arm, daß der ganze Schaz der Schönheit, in ihr versammelt, sterblich ist.

Benvolio.

Hat sie denn geschworen, daß sie in ewiger Jungfrauschaft leben will?

Romeo.

Sie hat, und macht sich durch diese Sparsamkeit einer ungeheuren Verschwendung schuldig. Denn Schönheit, die durch ihre eigne Strenge umkommt, vernichtet auf einmal die Schönheit einer ganzen Nachkommenschaft. Sie ist zu weise um so schön, oder zu schön um so weise zu seyn; und es ist grausam an ihr, den Himmel damit verdienen zu wollen, daß sie mich zur Verzweiflung treibt – –

Benvolio.

Laßt euch einen guten Rath geben, und vergeßt, an sie zu denken.

Romeo.

O lehre mich erst, wie ich vergessen kan, mich meiner selbst zu erinnern.

Benvolio.

Gieb deinen Augen ihre Freyheit wieder; lenke deine Aufmerksamkeit auf andre Schönheiten.

Romeo.

Das wäre das Mittel, alle Augenblike an den Vorzug der ihrigen erinnert zu werden. Diese glüklichen Schleyer, die die Stirne schöner Damen küssen, erheben durch ihre Schwärze, die Schönheit, so sie verbergen. Wer durch einen Unfall blind worden ist, kan nicht vergessen, was für einen kostbaren Schaz er mit seinem Gesicht verlohren hat. Zeigt mir ein Frauenzimmer, das unter tausenden die schönste ist; wozu kan mir ihre Schönheit dienen, als zu einem Spiegel, worinn ich diejenige erblike, die noch schöner als die schönste ist? Lebe wohl, und gieb‘ es auf, mich sie vergessen zu lehren.

Benvolio.

Ich will diesen Unterricht bezahlen, oder als Schuldner sterben. (Sie gehen ab.)

* Im Original: »Eh die angebetete Sonne sich durch das goldne Fenster des Osten sehen ließ.« Es ist nichts leichters, als durch eine allzuwörtliche Uebersezung den Shakespear lächerlich zu machen, wie der Herr von Voltaire neulich mit einer Scene aus dem Hamlet eine Probe gemacht, die wir an gehörigem Ort ein wenig näher untersuchen wollen. Indeß erzürnt sich doch Herr Freron zu sehr über diese und andre Alters-Schwachheiten des Autors der Zayre. Er mag seine Ursachen dazu haben; aber die Welt urtheilt mit kälterm Blute; wenigstens werden die Briten, welche sehr wol wissen warum sie auf ihren Shakespear stolz sind, es dem französischen Poeten sehr leicht zu gut halten können, daß er (in einem Alter, wo er sich nicht mehr stark genug fühlt, sich mit der Beute die er ihrem Shakespear abgenommen zu brüsten) seine Freude daran hatte, durch eine Schulknaben-mäßige Nachäffung den Narren mit ihm zu spielen, und dadurch dem Publico wenigstens eben so viel Spaß zu machen, als er selbst von einer so kindischen Kurzweil nur immer haben kann. ** Es ist ein Unglük für dieses Stük, welches sonst so viele Schönheiten hat, daß ein grosser Theil davon in Reimen geschrieben ist. Niemals hat sich ein poetischer Genie in diesen Fesseln weniger zu helfen gewußt als Shakespear; seine gereimten Verse sind meistens hart, gezwungen und dunkel; der Reim macht ihn immer etwas anders sagen als er will, oder nöthigt ihn doch, seine Ideen übel auszudrüken. Die Feinde des Reims werden dieses vielleicht als eine neue Instanz anziehen, um diese vergebliche Fesseln des Genie den Liebhabern und Lesern so verhaßt zu machen, als sie ihnen sind. Aber warum hat z. Ex. Pope die schönsten Gedanken, die schimmerndste Einbildungskraft, den feinsten Wiz, den freyesten Schwung, den lebhaftesten Ausdruk, die gröste Anmuth, Zierlichkeit, Correction, und über alles dieses, den höchsten Grad der musicalischen Harmonie, deren die Poesie in seiner Sprache fähig ist, in seinen Gedichten mit dem Reim durchaus zu verbinden gewußt? Die Reime können vermuthlich nichts dazu, wenn sie für einige Dichter schwere Ketten mit Fuß-Eisen sind; für einen Prior oder Chaulieu sind sie Blumen-Ketten, womit die Grazien selbst sie umwunden zu haben scheinen, und in denen sie so leicht und frey herumflattern als die Scherze und Liebes-Götter, ihre beständigen Gefehrten. Shakespears Genie war zu feurig und ungestüm, und er nahm sich zu wenig Zeit und Mühe seine Verse auszuarbeiten; das ist die wahre Ursache, warum ihn der Reim so sehr verstellt, und seinen Uebersezer so oft zur Verzweiflung bringt.

*** Hier haben etliche Non-Sensicalische Zeilen ausgelassen werden müssen.

Dritte Scene.

Capulet, Paris, und ein Bedienter treten auf.

Capulet.

Montague ist so gut gebunden als ich; er hat die nemliche Straffe zu befürchten; und für alte Leute wie wir sind, sollt‘ es nicht schwer seyn, Frieden zu halten.

Paris.

Ihr seyd beyde rechtschaffne Männer, und es ist recht zu bedauren, daß ihr so lang in Mißhelligkeit gelebt habt – – Aber nun, gnädiger Herr, was sagt ihr zu meiner Anwerbung?

Capulet.

Ich kann euch nichts anders sagen, als was ich schon gesagt habe: Mein Kind ist noch ein neu angekommener Fremdling in der Welt, sie hat noch nicht vierzehn Jahre gesehen; laßt wenigstens noch zween Sommer verblühen, eh wir denken können, daß sie zum Braut-Stande reif sey.

Paris.

Jüngere als sie, sind schon glükliche Mütter geworden.

Capulet.

Und verderben auch desto früher, je frühzeitigere Früchte von ihnen erzwungen werden. Die Erde hat alle meine andern Hoffnungen verschlungen; ich habe kein Kind als sie; sie ist das einzige Vergnügen meines Alters, indeß bewirb dich bey ihr selbst um sie, mein lieber Paris, such ihr Herz zu gewinnen; wenn du ihren Beyfall hast, so hast du meine Einwilligung. Diese Nacht geb‘ ich, einer alten Gewohnheit nach, ein Gastmahl, wozu ich viele werthe Freunde eingeladen habe: Vermehret ihre Anzahl, unter allen soll mir keiner willkommner seyn. Ihr werdet diese Nacht in meinem armen Haus irdische Sterne sehen, welche die himmlischen selbst verdunkeln können.* Ihr werdet mit dem Vergnügen, das muntre junge Leute fühlen wenn der schmuke April den hinkenden Winter vor sich hertreibt, unter einem Frühling voll neu entfalteter Mädchen-Knospen wandeln; betrachtet sie alle, höret alle, und laßt euch diejenige am besten gefallen, die es am meisten verdient; ihr werdet so viele liebenswürdigere finden, daß die meinige sich unbemerkt in der Menge verliehren wird. Kommt, geht mit mir – – Du, Bursche, geh, trotte ganz Verona durch, und lade die Personen zu mir ein, deren Namen auf diesem Zettel stehen – – (Capulet und Paris gehen ab.)

Bedienter.

Lade mir die Personen ein, die auf diesem Zettel stehen – – Es steht geschrieben, der Schuster soll sich mit seinem Ellen-Stab abgeben, der Schneider mit seinem Leist, der Fischer mit seinem Pinsel, und der Mahler mit seinem Nez. Aber ich soll die Personen finden, deren Namen hier geschrieben sind, und kan doch nicht finden, was für Namen die schreibende Person hieher geschrieben hat. Ich muß mich bey den Gelehrten Raths erholen – – Da lauffen mir gerad ihrer ein Paar in die Hände – – Benvolio und Romeo treten auf.

Benvolio.

Still, Mann! Eine Hize treibt die andre aus, und die Pein eines Schmerzens wird durch einen andern Schmerz vermindert; wenn dir taumlicht ist, so hilfst du dir damit, daß du dich wieder zurük drehest, und deiner Hoffnungslosen Liebe kan nicht besser als durch eine neue geholfen werden.

Romeo.

Wegbreit-Blätter sind unvergleichlich für das.

Benvolio.

Für was, wenn man bitten darf?

Romeo.

Für euern Beinbruch.

Benvolio.

Wie, Romeo, bist du toll?

Romeo.

Nicht toll, aber fester angebunden als irgend einer im Tollhause; in ein Gefängniß eingesperrt, zur Hunger-Cur verurtheilt, gepeitscht und gepeinigt: Und – – guten Abend, Camerad – – (Zum Bedienten.)

Bedienter.

Einen guten Abend geb‘ euch Gott: Ich bitte euch, Herr, könnt ihr lesen?

Romeo.

Ja, mein Schiksal in meinem Unglük.

Bedienter.

Vielleicht habt ihr ohne Buch lesen gelernt; aber ich bitte euch, könnt ihr alles lesen was ihr seht?

Romeo.

Ja, wenn ich die Buchstaben und die Sprache weiß.

Bedienter.

Das ist gesprochen wie ein Bidermann – – Gott behüt‘ euern guten Humor! (Er will gehen.)

Romeo.

Bleib, Bursche, ich kan lesen – – Er ließt das Papier. Signor Martino und seine Frau und Töchter: Graf Anselmo und seine schönen Schwestern; die verwittibte Donna Vitruvia; Signor Placentio und seine liebenswürdige Nichten; Mercutio und sein Bruder Valentin; mein Oheim Capulet mit Frau und Töchtern; meine schöne Nichte Rosalinde; Livia, Signor Valentio und sein Vetter Tybalt; Lucio, und die lebhafte Signora Helena – – Eine hübsche Assamblee, und wohin sollen sie kommen?

Bedienter.

Herauf – –

Romeo.

Wohin?

Bedienter.

Zum Nacht-Essen in unser Haus.

Romeo.

In wessen Haus?

Bedienter.

In meines Herren seines.

Romeo.

In der That, das hätte ich dich vorher fragen sollen.

Bedienter.

Nein, ich will euch eine Müh ersparen. Mein Herr ist der grosse reiche Capulet, und wenn ihr keiner vom Haus der Montägues seyd, so bitt‘ ich euch, kommt, und helft uns die Gläser ausleeren. Eine gute Zeit. (Geht ab.)

Benvolio.

Wie wohl sich das fügt! die schöne Rosalinde, in die du so verliebt bist, wird mit allem was das Schönste in Verona ist, diesem Familien-Gastmal der Capulets beywohnen. Geh du auch hin, vergleich mit unpartheyischen Augen ihr Gesicht mit einigen, die ich dir zeigen will, und du sollst finden, daß dein Schwan eine Krähe ist.

Romeo.

** – – – – – – Eine schönere als meine Liebe! die allsehende Sonne sah niemals ihres gleichen, seit die Welt begann.

Benvolio.

Gut, gut! Ihr habt sie nur gesehen, wenn keine andre dabey war, und ihr sie, in beyden Augen, nur mit sich selbst abwoget; aber laßt ihre Reizungen in diesen crystallnen Waagschaalen gegen ein gewisses andres Mädchen, das ich euch bey diesem Gastmahl in seinem vollen Glanze zeigen will, abgewogen werden; so wird euch diejenige kaum noch erträglich vorkommen, die izt die beste scheint.

Romeo.

Ich will mit dir gehen, nicht weil ich dir glaube, sondern um das Vergnügen zu haben, dich von dem Triumph meiner Geliebten zum Zeugen zu machen. (Sie gehen ab.)

* Hr. Warbürton ist der Welt als ein grosser Criticus bekannt, und es ist gewiß, daß wir seiner Scharfsinnigkeit viele Verbesserungen unsers durch die Schauspieler so übel zugerichteten Autors zu danken haben. Dem ungeachtet, scheint er zuweilen in den fast allgemeinen Fehler der Verbal-Critiker zu fallen, und mit dem Shakespear nicht viel besser zu verfahren, als der gelehrte Bentley mit dem Horaz. Hier ist ein Beyspiel davon, das wir zur Probe anführen wollen, ob es gleich sonst desto unnöthiger ist, die Leser mit critischen Noten zu behelligen, da selbige die Kenntniß der Englischen Sprache voraussezen, und diese Uebersezung nur für diejenige gemacht ist, die das Original nicht lesen können. Warbürton nennt den Vers: Earthtreading stars that make dark heaven’s Light, Unsinn, und will daß man lesen soll: That make dark Even light – – Eine Verbesserung im echten Bentleyischen Geschmak! Die Verbesserung ist wahrer Unsinn, der Text aufs höchste eine weder ungewöhnliche noch unschikliche Hyperbole. Es ist etwas sehr mögliches, daß die irdischen Sterne, welche Shakespear meynt, bey einem Bal den Glanz der himmlischen in den Augen eines jungen Liebhabers verdunkeln; und das ist der natürlichste Sinn des Texts: Aber daß eine ganze Schaar der schimmerndsten Schönen durch den blossen Glanz ihrer Augen, einen Tanzsaal so wol erleuchten sollte, daß man die Lichter dabey ersparen könnte, ist mehr als man auch der feurigsten Orientalischen Einbildungskraft zumuthen dürfte. Wenn wir, wie schon öfters geschehen ist, die Lesart des Texts der vermeynten Verbesserung des Hrn. Warbürtons vorziehen, so geschieht es allemal mit so gutem Grund als dieses mal, obgleich manche von denenjenigen, die wir verwerfen, seinem Wiz mehr Ehre machen, als die gegenwärtige. ** Eine Lüke von vier abgeschmakten Reimen.

Vierte Scene.

Verwandelt sich in Capulets Haus. Lady Capulet und die Amme treten auf.

Lady.

Amme, wo ist meine Tochter? Ruffe sie zu mir heraus.

Amme.

Nun, bey meiner Jungferschaft, (wie ich zwölf Jahre alt war, meyn‘ ich;) ich sagte ihr, sie möchte kommen; wie, Schäfchen – – he! Mein Däubchen – – daß uns Gott behüte! Wo ist das Mädchen? he! Juliette! Juliette zu den Vorigen.

Juliette.

Was ists? Wer ruft?

Amme.

Eure Frau Mutter.

Juliette.

Madam, hier bin ich, was ist euer Wille?

Lady.

Das ist eben die Sache – – Amme, verlaß uns eine Weile, wir müssen allein mit einander reden; Amme, komm wieder zurük, ich habe mich anders besonnen, du darfst wohl bey unsrer Unterredung zugegen seyn: du weist, meine Tochter hat ein artiges Alter.

Amme.

Mein Treu, ich kan ihr Alter bey einer Stunde sagen.

Lady.

Sie ist noch nicht vierzehn.

Amme.

Ich will gleich vierzehn Zähne daran sezen, (und doch muß ich’s zu meiner Schande sagen, ich habe nur noch vier,) sie ist nicht vierzehn; wie lang ist es noch von izt bis an St. Peters-Tag?

Lady.

Vierzehn Tage, oder noch ein paar drüber.

Amme.

Sey es vierzehn Tage oder fünfzehn, das thut nichts, kommt St. Peters-Abend, so wird sie vierzehn seyn. Süßchen und sie (Gott tröst ihre Seele!) waren von gleichem Alter. Wohl, Süßchen ist im Himmel, sie war zu gut für mich. Aber, wie ich sagte, an St. Peters-Abend des Nachts wird sie vierzehn seyn, das wird sie, meiner Six, ich erinnre mich’s als ob’s seit gestern wäre. Es ist seit dem Erdbeben nun eilf Jahre daß sie entwöhnt wurde; unter allen Tagen im Jahr will ich den Tag nicht vergessen; ich hatte denselben Tag Wermuth an meine Brust gestrichen, und saß in der Sonne an der Mauer unter dem Dauben-Schlag; der Gnädige Herr und Eu. Gnaden waren damals zu Mantua – gelt, ich kan etwas im Kopf behalten? – – Aber, wie ich sagte, wie das Kind den Wermuth an meiner Brustwarze kostete, und schmekte daß es bitter war, das artige Närrchen, da hättet ihr sehen sollen, wie es so gescheid war und augenbliklich die Brust fahren ließ. Schüttle dich, sagte der Dauben-Schlag – – mein Treu! es mußte mir niemand sagen, daß ich hurtig lauffen sollte; und seitdem ist es nun eilf Jahre, denn sie konnte damals schon allein stehen; ja, bey meiner Treu, sie, konnte schon lauffen, und watschelte schon allenthalben herum; dann just den Tag vorher, da sie das Loch in ihre Stirne fiel, und da hub mein Mann (Gott tröst ihn, er war ein muntrer Mann) da hub er das Kind auf; so, sagt‘ er, fällst du auf die Nase? Du wirst auf den Rüken fallen, wenn du mehr Verstand haben wirst; wirst du nicht Julchen? Und, bey unsrer lieben Frauen! Das artige Tröpfchen hörte auf schreyen, und sagte, Ay – – so daß man sehen kan, wie endlich aus Spaß Ernst wird – – Da steh ich dafür, und wenn ich tausend Jahre leben sollte, so vergeß ichs nicht: Wirst du nicht, Julchen, sagt‘ er? Und das artige Närrchen, es hörte auf schreyen, und sagte, Ay!

Lady Capulet.

Genug hievon, ich bitte dich, stille!

Amme.

Ja, Gnädige Frau; und doch kan ich mir nicht helfen, ich muß lachen, wenn ich dran denke daß es aufhörte zu schreyen, und Ay sagte; und doch bin ich gut dafür, daß es eine Beule an der Stirne hatte, so dik wie ein junger Hahnen-Stein, eine recht gefährliche Beule, und es weinte bitterlich. So, sagte mein Mann, fällst du auf die Nase? Du wirst rükwärts fallen, wenn du älter wirst, wirst du nicht, Julchen? Und da schwieg es, und sagte, Ay.

Juliette.

Und schweig du auch, ich bitte dich, Amme, sag ich.

Amme.

Still, ich bin fertig: Gott zeichne dich zu seinem Segen aus! Du warst das holdseligste Kind, das ich gesäugt habe; und wenn ich nur so lange lebe, daß ich dich verheurathet sehe, so wünsch‘ ich mir nichts mehr.

Lady Capulet.

Diese Heurath ist eben die Sache, wovon ich reden wollte. Sagt mir, Tochter Juliette, habt ihr Lust zum Heurathen?

Juliette.

Es ist eine Ehre, von der ich mir nicht träumen lasse.

Amme.

Eine Ehre? Wenn ich nicht deine leibliche Amme wäre, so würd‘ ich sagen, du habst die Weisheit mit der Milch eingezogen.

Lady Capulet.

Gut, es ist nun Zeit daran zu denken; es giebt hier in Verona jüngere als ihr, und Frauenzimmer von Stand und Ansehen, die schon Mütter sind. Bey meiner Ehre, in dem Alter worinn ihr noch ein Mädchen seyd, war ich schon eure Mutter. Ich will’s also kurz machen, und euch sagen, daß sich der junge Paris um euch bewirbt.

Amme.

Ein Mann, junges Fräulein, ein Mann, dessen gleichen in der ganzen Welt – – Sapperment! es ist ein Mann wie in Wachs boßiert.

Lady Capulet.

Verona’s Sommer hat keine schönere Blume.

Amme.

Das ist wahr, er ist eine Blume; mein Treu, eine wahre Blume.

Lady Capulet.

Was sagt ihr dazu? Gefällt euch der Cavalier? Ihr werdet ihn diese Nacht bey unserm Gastmahl sehen; beobachtet ihn recht, ihr werdet gestehen müssen, daß nichts liebenswürdigers seyn kan. Er ist eurer würdig, und wird euch glüklich machen* – – Doch, ihr habt ihn ja sonst schon gesehen; sagt, mit einem Wort, könnt ihr euch seine Liebe gefallen lassen?

Juliette.

Ich will ihn erst genauer betrachten; alles was ich izt sagen kan, ist, daß meine Augen allezeit durch euern Willen geleitet werden sollen. Ein Bedienter zu den Vorigen.

Bedienter.

Gnädige Frau, die Gäste sind angekommen, das Essen ist aufgetragen, man wartet auf Euer Gnaden und mein junges Fräulein, man flucht auf die Amme im Speißgewölbe, und alles ist in der Extremität. Ich muß wieder zur Aufwartung; ich bitte euch, kommet augenbliklich.

Lady Capulet.

Wir kommen – – Juliette, es wird den Grafen nach dir verlangen.

Amme.

Geh, Mädchen, und suche zu deinen guten Tagen auch glükliche Nächte. Sie gehen ab.

* Man hat gut gefunden diese Rede zu verändern und abzukürzen. Sie ist im Original die Grundsuppe der abgeschmaktesten Art von Wiz, und des Characters einer Mutter äusserst unwürdig. Pope scheint zu vermuthen, daß sie von Schauspielern eingeflikt worden sey.

Fünfte Scene.

Eine Strasse vor Capulets Haus.

Romeo, Mercutio, Benvolio mit fünf oder sechs andern Masken, Fakel-Trägern und Trummeln.

Romeo.

Wie, soll diese Rede unsre Entschuldigung machen, oder wollen wir ohne Apologie auftreten?

Benvolio.

Diese Weitläufigkeiten sind nicht mehr Mode. Wir brauchen keinen Cupido, mit einer Schärpe von Flittergold und einem gemahlten Tartar-Bogen von Schindeln, der die armen Mädchen, wie ein Vögel-Schrek die Krähen, zu fürchten macht. Sie mögen von uns halten was sie wollen, wenn wir ihnen nicht gefallen, oder sie uns nicht, so gehen wir wieder.

Romeo.

Gebt mir eine Fakel; ich bin nicht im Humor, Sprünge zu machen.

Mercutio.

Nicht doch, mein lieber Romeo, ihr müßt eins tanzen.

Romeo.

Ich gewiß nicht, das glaubt mir; ihr habt Tanzschuhe mit dünnen Solen, ich habe eine Seele von Bley,* die mich so zu Boden zieht, daß ich nicht von der Stelle kommen kan.

Mercutio.

Ihr seyd ein Liebhaber; borgt dem Cupido seine Flügel ab, und schwingt euch damit empor.**

Romeo.

Ich bin zu hart von seinem Pfeil verwundet, als daß ich mich auf seinen Flügeln erheben könnte – –

Mercutio.

Gebt mir ein Futteral, worein ich mein Gesicht steken kan – – (Er nimmt seine Maske ab.) – – Eine Maske für ein Frazen-Gesicht! – – wozu brauch ich eine Maske? Es wird niemand so vorwizig seyn, ein Gesicht wie das meinige genau anzusehen.

Benvolio.

Kommt, wir wollen anklopfen und hineingehn; und wenn wir einmal drinn sind, dann mag ein jeder seinen Füssen zusprechen. (Hier fallen noch etliche sinnreiche Wizspiele von der grammaticalischen Art, zwischen Mercutio und Romeo weg.)

Romeo.

Wir gedenken uns bey diesem Ball eine Kurzweil zu machen, und doch sind wir nicht klug, daß wir gehen.

Mercutio.

Warum, wenn man fragen darf?

Romeo.

Mir träumte vergangne Nacht – –

Mercutio.

Mir auch.

Romeo.

Gut, was träumte euch?

Mercutio.

Daß Träumer manchmal lügen.

Romeo.

Ja, in ihrem Bette,*** wo sie oft wahre Dinge träumen.

Mercutio.

O, dann seh ich, daß ihr einen Besuch von der Königin Mab gehabt habt. Sie ist die Heb-Amme der Phantasie, kommt bey Nacht, nicht grösser als ein Agtstein am Zeigfinger eines Aldermanns, und fährt euch mit einem Gespan von kleinen Atomen über die Nasen der Schlafenden hin. Ihre Rad-Speichen sind von langen Spinnen-Beinen, die Deken von Grashüpfers-Flügeln, das Geschirr vom feinsten Spinnen-Web, die Kummet von Mondscheins-Stralen; ihre Peitsche von einem Grillen-Bein, und der Riemen von der feinsten Membrane; ihr Kutscher eine dünne grau-rokichte Schnake, nicht halb so dik als ein kleiner runder Wurm, den der schleichende Finger eines kleinen Mädchens aufgestochert hat. Ihr Wagen ist eine leere Hasel-Nuß, von Schreiner Eichhorn, oder Meister Wurm gemacht, die seit unfürdenklicher Zeit die Wagner der Feen sind: und in diesem Staat galloppiert sie, Nacht für Nacht, durch das Gehirn der Verliebten, und dann träumen sie von Liebe; über die Kniee der Hofleute, welche dann straks von Aufwartungen; über die Finger der Advocaten, die straks von Sporteln; über die Lippen der Damen, die straks von Küssen träumen, aber oft von der erzürnten Mab mit Hiz-Blattern gestraft werden, wenn ihr Athem nach parfümiertem Zuker-Werk riecht. Zuweilen galloppiert sie über eines Hofschranzen Nase, und da träumt er, er hab‘ eine Pension ausgespürt: ein andermal kommt sie mit dem Wedel eines Zehend-Schweins in der Hand, und küzelt den schnarchenden Pfarrer; straks träumt er, daß er eine bessere Pfründe bekommen habe. Zuweilen fährt sie über eines Soldaten Hals, und da träumt er von ausländischen Hälsen die er abgeschnitten, von Friedens-Brüchen, Scharmüzeln, Spanischen Klingen, und fünf-Faden-tieffen Gesundheiten; dann trummelt sie wieder in seinen Ohren und er fährt erschroken auf, und erwacht, schwört ein paar Stoß-Gebette, und schläft wieder ein. Das ist die nemliche Mab, die den Kühen die Milch aussaugt, und den Pferden im Schlaf die Mähne verstrikt; das ist die Drutte, (der Alp,) welche die Mädchens drükt, wenn sie Nachts auf dem Rüken ligen – – das ist – –

Romeo.

Stille, Stille, Mercutio, wie lange kanst du von nichts reden?

Mercutio.

In der That, ich rede von Träumen, diesen Kindern die ein müßiges Hirn mit der eiteln Phantasie erzeugt, welche so wenig Leib hat als die Luft, und unbeständiger ist als der Wind, der nur eben um den kalten Busen des Nords buhlte, und den Augenblik drauf, in einem Anstoß von Laune, hinwegstürmt, und sein Gesicht dem thauichten Sud zudreht.

Benvolio.

Dieser Wind von dem ihr euch so gelassen besprecht, bläßt uns von uns selbst weg; das Gastmal ist indeß vorbey, und wir werden zu spät kommen.

Romeo.

Ich fürchte, nur zu früh – – Denn mein Gemüth weissagt mir irgend eine schwarze noch in den Sternen hangende Begebenheit, die von den Spielen dieser Nacht ihren furchtbaren Anfang nehmen, und vielleicht das Ziel meines verhaßten Lebens durch die gewaltsame Hand eines frühzeitigen Todes beschleunigen wird. Doch Er, der das Steuer-Ruder meines Lauffes führt, lenk‘ ihn nach seinem Gefallen! – – Wohlan, meine muntern Freunde!

Benvolio.

Rührt die Trummel! – – (Sie ziehen über den Schauplatz, und treten ab.) * Wortspiel mit Sole, und Soul, welche fast gleich ausgesprochen werden. ** In dieser Rede, der Antwort des Romeo, und etlichen folgenden Zeilen, die man gänzlich weglassen mußte, dreht sich alles um Wortspiele mit Bound und bound, soar und sore, und ein paar eben so frostige Antithesen herum. Alles dieses armselige Zeug findet sich, wie Pope bemerkt, nicht in der ersten Ausgabe dieses Stüks von 1597. *** Wortspiel mit lie und lye, liegen, und lügen, welches sich zu gutem Glük übersezen läßt.

Sechste Scene.

Verwandelt sich in eine Halle in Capulets Hause.

Etliche Bediente, mit Handtüchern.

1. Bedienter.

Wo ist Potpan, daß er uns nicht aufräumen hilft – – er hat einen Teller weggeschnappt! Er hat einen Teller mit sich gehen heissen!

2. Bedienter.

Wenn gute Manieren alle in eines oder zweener Händen liegen, und die noch dazu ungewaschen sind, das ist eine garstige Sache.

1. Bedienter.

Fort mit den Lehnstühlen, das kleine Schenk-Tisch’gen aus dem Wege, seht zu dem Silber-Geschirr; du, guter Freund, mache daß du mir ein Stük Marzipan auf die Seite kriegst; und wenn du mich lieb hast, so sorge, daß der Thorhüter Susanna Mühlstein und Nell, Antoni und den Potpan hereinläßt – –

2. Bedienter.

Gut, Junge, das will ich.

3. Bedienter.

Man sieht sich nach euch um, man ruft euch, man fragt nach euch, man sucht euch, im grossen Saal.

2. Bedienter.

Wir können nicht an zween Orten zugleich seyn; hurtig, ihr Jungens; seyd eine Weile munter, und wer alle andre überlebt, kriegt alles! – – (Sie gehen ab.) Die Gäste und Damen, nebst den Masken treten sämtlich auf.

1. Capulet.

Willkommen, meine Herren – – Und ihr, meine Damen, ihr habt noch keine Hüner-Augen an den Zehen, wir wollen eins lustig mit einander machen. Ich will doch nicht hoffen, meine Königinnen, daß mir eine unter euch ein Tänzchen abschlagen wird – – eine jede, die sich lange bitten läßt, hat Hüner-Augen, das schwör‘ ich; – – He? bin ich euch zu nah gekommen? – – Willkommen allerseits, ihr Herren; ich weiß die Zeit auch noch, da ich eine Maske trug, und einem jungen Fräulein hübsche Sachen ins Ohr flüstern konnte; aber es ist vorbey, vorbey, vorbey! (Die Musik fangt an; man tanzt.) Mehr Lichter her, ihr Schurken, und die Tische aus dem Weg; und laßt das Feuer abgehen, es ist zu warm im Zimmer – – Gelt, junger Herr, ein unvermutheter Spaß ist der angenehmste – – Nun sezt euch, sezt euch, mein guter Vetter Capulet, denn die Tanz-Zeit ist doch bey euch und mir vorbey: Wie lang ist es wohl, seit ihr und ich das leztemal auf einem Masken-Bal tanzten?

2. Capulet.

Bey unsrer Frauen! dreißig Jahre.

1. Capulet.

Wie, Mann? Es ist noch nicht so lang, es ist noch nicht so lang; es war an Lucentio’s Hochzeit; es wird auf kommende Pfingsten fünf und zwanzig Jahre, daß wir in Masken tanzten.

2. Capulet.

Es ist mehr, es ist mehr; sein Sohn ist älter, Herr; sein Sohn hat schon dreißig.

1. Capulet.

Das werdet ihr mir nicht weiß machen; sein Sohn war vor zwey Jahren noch nicht mündig.

Romeo (in einem andern Theil des Saals.)

Wer ist die junge Dame, die dort jenem Ritter die Hand giebt?

Bedienter.

Ich weiß es nicht.

Romeo.

O, sie glänzt mehr als alle diese Fakeln zusammen genommen; ihre Schönheit hängt an der Stirne der Nacht, wie ein reiches Kleinod an eines Mohren Ohr: Und welch eine Schönheit! Sie ist zu reich zum Gebrauch, und zu kostbar für diese Erde. So glänzt die schneeweisse Daube aus einem Schwarm von Krähen, wie dieses Fräulein unter ihren Gespielen glänzt. Wenn der Tanz vorbey ist, will ich mir den Plaz merken, wo sie steht, und ihr meine Hand geben. Welch eine Glükseligkeit ihre Hand zu berühren! – – Nein, ich habe noch nie geliebt – – Schwör es, mein Auge; vor dieser glüklichen Nacht wußtest du nicht, was Schönheit ist.

Tybalt (der dem Romeo bey den lezten Worten sich nähert.)

Der Stimme nach sollte dieß ein Montague seyn – – hol mir einen Degen, Junge – – wie? der Sclave darf sich erfrechen in einer Maske hieher zu kommen, und unsrer feyerlichen Lust zu spotten? Nein, bey der bejahrten Ehre meines Geschlechts, es ist keine Sünde, den Nichtswürdigen zu todt zu schlagen.

Capulet.

Wie, wie, Vetter? Warum so stürmisch?

Tybalt.

Oheim, hier ist einer unsrer Feinde, ein Montague; ein Bube der gekommen ist, uns unter die Nase zu lachen, und unsre Familien-Freude zu stören – –

Capulet.

Ist es vielleicht der junge Romeo?

Tybalt.

Er selbst, der Schurke Romeo!

Capulet.

Gieb dich zu frieden, lieber Vetter, laß ihn gehen; er sieht einem jungen wakern Edelmann gleich; und, wenn ich die Wahrheit sagen soll, er hat den Ruf eines tugendhaften wohlgesitteten Jünglings, der Verona Ehre macht. Ich wollte nicht um unsre ganze Stadt, daß ihm in meinem Hause was zu Leide gethan würde. Seyd also ruhig, thut als ob ihr ihn nicht kennet; ich will es so haben, und wenn ihr einige Achtung für mich habt, so heitert eure Stirne auf, und macht keine Gesichter, die sich so übel zu einer Lustbarkeit schiken.

Tybalt.

Sie schiken sich, wenn ein solcher Bube sich zum Gast aufdringt: ich will ihn nicht dulden!

Capulet.

Das sollt ihr aber! Wie, Herr Junge? – – Ihr sollt, sag ich – – Geht, geht, bin ich hier Meister oder ihr? Geht, geht – – Ihr wollt ihn nicht dulden? Hol mich Gott, ihr würdet mir einen feinen Lermen unter meinen Gästen anrichten! Ihr wollt mir hier den Eisenfresser machen? Gelt, das wollt ihr?

Tybalt.

Wie, Oehm, es ist eine Schande – –

Capulet.

Geht, geht, ihr seyd ein abgeschmakter Knabe – – (auf die Seite zu einem von der Gesellschaft.) Ist es so, in der That? – – (zu Tybalt) ihr könnt was anfangen, das euch gereuen wird, ich weiß was ich sage – – (Seitwärts;) wohl gesprochen, meine Kinder – – (zu Tybalt,) Ihr seyd ein Hasenfuß, geht – – seyd ruhig, oder – – (seitwärts.) Mehr Lichter, mehr Lichter, es ist eine Schande, so dunkel ist’s – – (zu Tybalt) ich will euch ruhig machen – – (Seitwärts:) Wie, munter, meine Herzen!

Tybalt.

Geduld und Zorn vertragen sich nicht wohl bey mir zusammen; sie stossen, indem sie sich begegnen, die Köpfe so hart an einander an, daß mir alle Glieder davon wakeln. Ich will mich entfernen, aber er soll mir diese Zudringlichkeit bezahlen! (Tybalt geht ab.)

Romeo (zu Juliette.)

* [Wenn meine unwürdige Hand diesen heiligen Leib entweiht hat, so laß dir diese Busse gefallen: Meine Lippen, zween erröthende Pilgrimme, stehen bereit den Frefel, mit einem zärtlichen Kuß abzubüssen.

Juliette.

Ihr thut eurer Hand unrecht, mein lieber Pilgrim; sie hat nichts gethan, als was die bescheidenste Andacht zu thun pflegt; Heilige haben Hände, die von den Händen der Wallfahrenden berührt werden, und Hand auf Hand ist eines Pilgrims Kuß.

Romeo.

Haben Heilige nicht Lippen, und andächtige Pilgrimme auch?

Juliette.

Ja, Pilgrim, sie haben Lippen, aber zum Beten.

Romeo.

O so erlaube, theure Heilige, erlaube den Lippen nur, was du den Händen gestattest; sie bitten, (und du, erhöre sie,) daß du den Glauben nicht in Verzweiflung fallen lassest.

Juliette.

Heilige rühren sich nicht, wenn sie gleich unser Gebet erhören.

Romeo.

O so rühre du dich auch nicht, indem ich mich der Würkung meines Gebets versichre – – (Er küßt sie.) Die Sünde meiner Lippen ist durch die deinige getilgt.]

Juliette.

Also tragen nun meine Lippen die Sünde, die sie von den deinigen weggenommen haben.

Romeo.

Sünde von meinen Lippen? O! angenehme Strenge! Gebt mir meine Sünde nur wieder zurük.

Juliette.

Ihr habt küssen gelernt; ich verstehe mich nicht darauf.

Amme.

Gnädiges Fräulein, eure Frau Mutter möchte gern ein Wort mit euch sprechen – – (Juliette entfernt sich.)

Romeo.

Wer ist ihre Mutter?

Amme.

Sapperment, junger Herr, ihre Mutter ist hier die Frau vom Hause, und eine brave, gescheidte, tugendsame Frau. Ich säugte ihre Tochter, mit der ihr geredet habt; und ich sag euch, wer sie kriegt, bekommt so gewiß eine Jungfer – –

Romeo (indem er sich entfernt, vor sich.)

Eine Capulet? O Himmel! Mein Herz und mein Leben sind unwiderbringlich in der Gewalt meiner Feindin.

Benvolio.

Weg, wir wollen gehen, der gröste Spaß ist vorbey.

Romeo.

Das fürcht‘ ich selbst, das übrige wird mich mehr als meinen Schlaf kosten.

Capulet.

Nein, ihr Herren, geht noch nicht weg, wir haben noch ein kleines schlechtes Nachtessen vor uns – – Wie, muß es denn seyn? Nun dann, so dank ich euch allen – – Ich dank euch, meine liebe Herren, gute Nacht – – Mehr Fakeln her – – (Zu den übrigen:) Kommt hinein, und dann zu Bette. – – Ah, guter Freund, bey meiner Treu, es ist schon späte. Ich will in mein Bette. (Sie gehen nach einander ab.)

Juliette.

Ein wenig hieher, Amme – – Wer ist der junge Herr dort?

Amme.

Der einzige Sohn des alten Tiberio.

Juliette.

Wer ist der, der eben izt zur Thüre hinausgeht?

Amme.

Das ist der junge Petrucchio, bild‘ ich mir ein.

Juliette.

Wer ist der, der ihm folgt, der nicht tanzen wollte?

Amme.

Ich kenn‘ ihn nicht.

Juliette.

Geh, frage nach seinem Namen (leise.) Wenn er schon vermählt ist, so ist sehr wahrscheinlich, daß mein Grab mein Braut-Bette seyn wird.

Amme.

Er heißt Romeo, er ist ein Montague, der einzige Sohn von unserm großen Feind.

Juliette vor sich.

O Himmel! der, den ich einzig lieben kan, ist der, den ich einzig hassen sollte – – Zu früh gesehn, eh ich ihn kannte; und zu spät erkannt; was für eine seltsame Mißgeburt ist meine Liebe – – ich liebe – – meinen verhaßtesten Feind.

Amme.

Was sagtet ihr da? Was habt ihr?

Juliette.

Ein paar Reime, die ich eben von einem gelernt, mit dem ich tanzte. (Man ruft hinter der Scene Juliette.)

Amme.

Gleich, gleich; Kommt, wir wollen gehen, die Fremden sind schon alle fort. (Sie gehen ab.)

[Zum Beschluß dieses Aufzugs tritt ein Chor auf, und sagt den Zuschauern in vierzehn Reimen, was sie vermuthlich von selbst errathen hätten – – daß Romeo, seit der Nacht, da er die schöne Juliette gesehen, seine erste Liebste nicht mehr schön befunden – – daß er nun Julietten liebe, und von ihr wieder geliebt werde – – daß die tödtliche Feindschaft ihrer Häuser zwar die Sympathie ihrer Herzen nicht habe verhindern können, aber ihnen hingegen alle Gelegenheit abschneide, sich zu sehen und zu sprechen, ohne daß jedoch dieser harte Zwang eine andre Würkung gethan habe, als die Heftigkeit ihrer Liebe und Sehnsucht zu verdoppeln.]

* Dieser Dialogus ist im Original eine Elegie mit verschränkten Reimen.

Zweyter Aufzug.

Erste Scene.

Die Strasse.

Romeo tritt allein auf.

Romeo.

Kan ich weggehen, wenn mein Herz hier ist? Dreh dich zurük, plumpe Erde, und suche deinen Mittelpunct. (Er geht ab.) Indem er sich entfernt, treten Benvolio und Mercutio von der andern Seite auf und werden ihn gewahr.

Benvolio.

Romeo, Vetter Romeo!

Mercutio.

Er ist klug, und schleicht sich, auf mein Leben, heim zu Bette.

Benvolio.

Nein er lief diesen Weg, und sprang dort über die Garten-Mauer. Ruf ihm, Mercutio!

Mercutio.

Nicht nur das, ich will ihn gar beschwören. He! Romeo! Grillenfänger! Wetterhahn! Tollhäusler! Liebhaber! Erscheine du, erschein in der Gestalt eines Seufzer, rede, aber in lauter Reimen, und ich bin vergnügt. Aechze nur, Ach und O! reime nur Liebe und Triebe, sag meiner Gevatterin Venus nur ein einziges hübsches Wörtchen, häng‘ ihrem stokblinden Sohn und Erben nur einen einzigen Ueber-Namen an, (dem jungen Abraham Cupido, ihm der so gut schoß, als König Cophetua um ein Bettel-Mädchen seufzte* – – doch er hört nicht, er rührt sich nicht, er giebt kein Zeichen von sich; der Affe ist todt, ich muß ihn schon beschwören – – So beschwör‘ ich dich dann bey Rosalinens schönen Augen, bey ihrer hohen Stirne, und bey ihren Purpur-Lippen, bey ihrem niedlichen Fuß, schlanken Bein, runden Knie, und bey den angrenzenden schönen Gegenden, beschwör‘ ich dich, daß du uns in deiner eignen Gestalt erscheinest!

Benvolio.

Wenn er dich hörte, würdest du ihn böse machen.

Mercutio.

Das kan ihn nicht böse machen: Das würd‘ ihn böse machen, wenn ich einen Geist von irgend einer seltsamen Gestalt in seines Mädchens Circel citierte, und ihn so lange dort stehen liesse, bis sie ihn gelegt und zu Boden beschworen hätte; das wäre was, das er vielleicht übel nehmen könnte – – Aber meine Citation ist ehrlich und redlich, und ich beschwör‘ ihn, in seiner Liebsten Namen, einzig und allein zu seinem eignen Besten.

Benvolio.

Kommt, er hat sich vermuthlich hinter diese Bäume verstekt, um keine andre Gesellschaft zu haben, als die schwermüthige Nacht; die Liebe ist blind, und schikt sich am besten in die Dunkelheit.

Mercutio.

Izt wird er dir unter einem Mispeln-Baum sizen, und wünschen, daß seine Liebste von der Art von Früchten seyn möchte, welche die Mädchens Mispeln nennen, wenn sie allein zusammen schwazen – – Gute Nacht, Romeo, ich will in mein Roll-Bette, ich; dieses Feld-Bette ist mir zu kalt; kommt, wollen wir gehen?

Benvolio.

Es wird klüger seyn, als hier jemand zu suchen, der sich nicht finden lassen will.

* Eine doppelte Anspielung, auf eine alte Ballade, oder Romanze, und einen damals bekannten Schüzen, der Abraham hieß.

Zweyte Scene.

Verwandelt sich in Capulets Garten.

Romeo tritt auf.

Romeo.

Der lacht über Narben, die nie keine Wunde fühlte – – Aber stille! was für ein Licht bricht aus jenem Fenster hervor? Es ist der Osten, und Juliet ist die Sonne – – (Juliette erscheint oben am Fenster.) Geh auf, schöne Sonne, und lösche diese neidische Luna aus, die schon ganz bleich und krank vor Verdruß ist, daß du, ihr Mädchen, schöner bist als sie. Sey nicht länger ihre Aufwärterin, da sie so neidisch ist; ihre Vestalen-Livree ist nur blaß und grün, und wird nur von Thörinnen getragen; wirf sie ab – – Sie spricht, und sagt doch nichts; was ist das? – – Ihr Auge redt, ich will ihm antworten – – Wie voreilig ich bin! Sie redt nicht mit mir: Zween von den schönsten Sternen des ganzen Himmels, die anderswo Geschäfte haben, bitten ihre Augen, daß sie, indessen bis sie wiederkommen, in ihren Sphären schimmern möchten – – Wie wenn ihre Augen dort wären, und jene in ihrem Kopfe? Der Glanz ihrer Wangen würde diese Sterne beschämen, wie Tag-Licht eine Lampe; ihre Augen, wenn sie am Himmel stühnden, würden einen solchen Strom von Glanz durch die Luft herabschütten, daß die Vögel zu singen anfiengen, und dächten, es sey nicht Nacht: Sieh! sie lehnt ihre Wange an ihre Hand! O daß ich ein Handschuh an dieser Hand wäre, damit ich diese Wange berühren möchte!

Juliette.

Ach! ich Unglükliche! – –

Romeo.

Sie redt. O, rede noch einmal, glänzender Engel! Denn so über meinem Haupt schwebend scheinst du diesen Augen so glorreich als ein geflügelter Bote des Himmels den weitofnen emporstarrenden Augen der Sterblichen, die, vor Begierde ihn anzugaffen, auf den Rüken fallen – – wenn er die trägschleichenden Wolken theilend auf dem Busen der Luft in majestätischem Flug dahersegelt.

Juliette.

O Romeo, Romeo – – Warum bist du Romeo? – – Verläugne deinen Vater und entsage deinem Namen – – oder wenn du das nicht willt, so schwöre mir nur ewige Liebe und ich will keine Capulet mehr seyn.

Romeo leise.

Soll ich länger zuhören, oder auf dieses antworten?

Juliette.

Nicht du, bloß dein Nahme ist mein Feind; du würdest du selbst seyn, wenn du gleich kein Montague wärest – – Was ist Montague? – – Es ist weder Hand noch Fuß, weder Arm noch Gesicht, noch irgend ein andrer Theil. Was ist ein Name; Das Ding das wir eine Rose nennen, würde unter jedem andern Namen eben so lieblich riechen. Eben so würde Romeo, wenn er schon nicht Romeo genannt würde, diese ganze reizende Vollkommenheit behalten, die ihm, unabhängig von diesem Namen, eigen ist – – Romeo, gieb deinen Namen weg, und für diesen Namen, der kein Theil von dir ist, nimm mein ganzes Ich.

Romeo.

Ich nehme dich beym Wort; nenne mich nur deinen Freund, und ich will meinem Taufnamen entsagen, ich will von nun an nicht mehr Romeo seyn.

Juliette.

Wer bist du, der hier, in Nacht gehüllt, mein einsames Selbstgespräche belauscht?

Romeo.

Durch einen Namen weiß ich dir nicht zu sagen, wer ich bin; mein Name, theure Heilige, ist mir selbst verhaßt, weil er ein Feind von dir ist. Ich wollt‘ ihn zerreissen, wenn ich ihn geschrieben hätte.

Juliette.

So neu sie mir ist, so kenn‘ ich doch diese Stimme – – Bist du nicht Romeo, und ein Montague?

Romeo.

Keines von beyden, schöne Heilige, wenn dir eines davon mißfällt.

Juliette.

Wie kamst du hieher, sage mir das, und warum? Die Garten-Mauer ist hoch und schwer zu ersteigen, und der Ort Tod, wenn dich einer von meinen Verwandten gewahr würde.

Romeo.

Mit der Liebe leichten Flügeln überflog ich diese Mauern, einen zu schwachen Wall gegen den mächtigsten Gott; was die Liebe thun kan, dazu hat sie auch den Muth; und deßwegen können deine Verwandten mich nicht abschreken.

Juliette.

Wenn sie dich sehen, so ermorden sie dich.

Romeo.

O Götter! Es ist mehr Gefahr in deinem Aug als in zwanzig ihrer Schwerdter; sieh nur du mich huldreich an, so verlache ich alles was ihr Groll gegen mich unternehmen kan.

Juliette.

Ich wollte nicht um die ganze Welt, daß sie dich hier sähen.

Romeo.

Der Mantel der Nacht wird mich vor ihren Augen verbergen, und wenn nur du mich liebst, so mögen sie mich immer finden; besser daß ihr Haß mein Leben ende, als daß der Mangel deiner Liebe meinen Tod verlängre.

Juliette.

Wer gab dir Anweisung diesen Plaz zu finden?

Romeo.

Die Liebe, die mich antrieb ihn zu suchen; sie lehnte mir Wiz, und ich lehnte ihr Augen – – Ich bin kein Steuermann, aber wärst du so fern als jenes vom entferntesten Ocean bespülte Ufer, ich würd‘ um ein solches Kleinod mein Leben wagen.

Juliette.

Die Maske der Nacht liegt auf meinem Gesicht, sonst würde meine glühende Wange dir zeigen, wie beschämt ich bin, daß du mich reden hörtest da ich allein zu seyn glaubte. Vergeblich würd‘ ich izt mich befremdet stellen wollen, vergeblich, vergeblich läugnen wollen was ich gesprochen habe – – So fahre dann wohl, Verstellung! Liebst du mich? Ich weiß, du wirst sagen, ja; und ich will mit deinem Wort zufrieden seyn – – wenn du schwörst, so könntest du meineydig werden; Jupiter lacht nur, sagen sie, zu den falschen Schwüren der Verliebten. O werther Romeo, sey redlich, wenn du mir sagst, du liebest mich: Oder wenn du denkst, ich lasse mich zu leicht gewinnen, so will ich sauer sehen, und verkehrt seyn, und dir nein sagen – – aber anders nicht um die ganze Welt – – In der That liebenswürdiger Montague, ich bin zu zärtlich; du könntest deswegen nachtheilig von meiner Aufführung denken; Aber glaube mir, edler Jüngling, du wirst mich in der Probe zuverläßiger finden, als diejenigen welche List genug haben sich zuverstellen und Umstände zu machen. Ich würde selbst mehr gemacht haben, ich muß es bekennen, wenn der Zufall dich nicht, mir unwissend, zum Zeugen meiner zärtlichen Gesinnungen gemacht hätte. Vergieb mir also, und denke, um dieser schleunigen Ergebung willen, nicht schlimmer von einer Liebe, die dir die dunkle Nacht so unverhoft entdekt hat.

Romeo.

Fräulein, bey jenem himmlischen Mond schwör‘ ich, der alle diese frucht-vollen Wipfel mit Silber mahlt – –

Juliette.

O schwöre nicht bey dem Mond, dem unbeständigen Mond, der alle Wochen in seinem cirkelnden Kreise sich ändert – – oder deine Liebe könnte eben so veränderlich werden.

Romeo.

Wobey soll ich denn schwören?

Juliette.

Schwöre gar nicht, oder wenn du ja willst, so schwöre bey deinem anmuthsvollen Selbst, bey dem theuren Gegenstand meiner Anbetung, und ich will dir glauben.

Romeo.

Wenn jemals meine redliche Liebe – –

Juliette.

Gut, schwöre nicht – – So angenehm du selbst mir bist, so ist mir doch diese nächtliche Verbindung nicht angenehm; sie ist zu rasch, zu unbesonnen, zu plözlich zu ähnlich dem Bliz, der schon aufgehört hat zu seyn, eh man sagen kan, es blizt – – Gute Nacht, mein Liebster. Diese Knospe von Liebe kan durch des Sommers reiffenden Athem sich zu einer schönen Blume entfalten, bis wir wieder zusammen kommen. Gute Nacht, gute Nacht – – Eine so süsse Ruhe komme über dein Herz, als die, so ich in meiner Brust empfinde!

Romeo.

O, willt du mich so unbefriediget verlassen?

Juliette.

Und was für eine Befriedigung kanst du noch verlangen?

Romeo.

Die Auswechslung des Gelübds deiner treuen Liebe gegen das Meinige.

Juliette.

Das that ich schon, eh du mich darum batest, und ich wollte lieber ich hätt‘ es nicht gethan.

Romeo.

Möchtest du dein Herz wieder zurüknehmen? Warum das, meine Liebe?

Juliette.

Nur damit ich dir’s noch einmal geben könnte – – und doch, was wünsch‘ ich mir damit, als was ich schon habe? Meine Zärtlichkeit ist so grenzenlos als die See, meine Liebe so tief; je mehr ich dir gebe, je mehr ich habe, denn beyde sind unerschöpflich – – Ich höre ein Getöse – – Lebe wohl, mein Geliebter – – (Man ruft Julietten hinter der Scene.) Gleich, gute Amme; lieber Romeo, sey getreu warte nur ein wenig, ich komme gleich wieder. (Sie geht weg.)

Romeo.

O, glükliche, glükliche Nacht! Ich besorge nur, weil es Nacht ist, daß alles das nur ein Traum sey; es ist zu schmeichelnd-süß um würklich zu seyn. Juliette kommt wieder.

Juliette.

Drey Worte, liebster Romeo, und dann gute Nacht, im Ernst – – Wenn die Absicht deiner Liebe rechtschaffen ist, und auf eine geheiligte Verbindung abzielet, so laß mich durch jemand, den ich morgen an dich schiken will, wissen, wann und wo du die Ceremonien verrichten lassen willst, und ich bin bereit, mein ganzes Glük zu deinen Füssen zu legen, und dir, mein Liebster, durch die ganze Welt zu folgen. (Man ruft Julietten hinter der Scene.) Ich komme gleich – – wenn du es aber nicht wohl meynst, so bitt‘ ich dich – – (Man ruft wieder) Den Augenblik – – ich komme – – gieb deine Bewerbung auf und überlaß mich meinem Gram – – Morgen will ich schiken – –

Romeo.

So möge meine Seele leben – –

Juliette.

Tausendmal gute Nacht – – (Sie geht weg.)

Romeo.

Wie kann dein Wunsch erfüllt werden, da du mich verlässest? – – Schmerzen-volles Scheiden! – – Liebe zu Liebe eilt so freudig wie Schulknaben von ihren Büchern – – aber wenn Liebe sich von Liebe scheiden soll, da geht’s der Schule zu, mit schwermüthigen Bliken – – (Er entfernt sich.) Juliette kommt noch einmal zurük.

Juliette.

St! Romeo! St! – – Wo nemm‘ ich eines Falkeniers Stimme her, um diesen Terzelot sachte wieder zurük zuloken – – Ich darf nicht laut ruffen, sonst wollt ich die Höle wo Echo ligt zersprengen, und ihre helle Zunge von Wiederholung meines Romeo heiser machen.

Romeo.

Ist es meine Liebe die mir bey meinem Namen ruft? welche Musik tönt so süß als die Stimme der Geliebten durch die Nacht hin dem Liebenden tönt!

Juliette.

Romeo!

Romeo.

Meine Liebe!

Juliette.

In welcher Stunde soll ich morgen zu dir schiken?

Romeo.

Um neun Uhr.

Juliette.

Ich will es nicht vergessen, es ist zwanzig Jahre bis dahin – – Ich habe vergessen, warum ich dich zurükrief.

Romeo.

Laß mich hier stehen, biß es dir wieder einfällt.

Juliette.

Deine Gegenwart ist mir so angenehm, daß ich vergessen werde, daß ich dich zu lange hier stehen lasse.

Romeo.

Und ich stehe so gerne hier, daß ich mich nicht erinnre eine andre Heimat zu haben als diese.

Juliette.

Es ist bald Morgen – – Ich wollte du wärest weg, und doch nicht weiter als der Vogel eines spielenden Mädchens, den sie ein wenig von ihrer Hand weghüpfen läßt, aber aus zärtlicher Eifersucht über seine Freyheit, wenn er sich zu weit entfernen will, den armen kleinen Gefangnen gleich wieder an einem seidnen Faden zurükzieht.

Romeo.

Ich wollt‘ ich wäre dein Vogel.

Juliette.

Das wollt‘ ich auch, mein Herz, wenn ich nicht fürchtete daß ich dich gar zu tode liebkosen möchte. Gute Nacht, gute Nacht. Das Scheiden kommt mich so sauer an, daß ich so lange gute Nacht sagen werde, biß es Morgen ist. (Sie geht weg.)

Romeo.

Schlummer ruhe auf deinen Augen, und süsser Friede in deiner Brust! Möcht‘ ich der Schlaf und der Friede seyn, um so lieblich zu ruhen! – – Ich gehe nun in die Celle meines Geistlichen Vaters, ihm mein Glük zu entdeken und ihn um seinen Beystand zu bitten. (ab.)

Dritte Scene.

Verwandelt sich in ein Kloster.

Pater Lorenz tritt mit einem Korb auf.

Lorenz.

Der grau-augichte Morgen lächelt die runzelnde Nacht weg, und zeichnet die östlichen Wolken mit Streiffen von Licht; indem die geflekte Finsterniß gleich einem Betrunknen, den brennenden Rädern des Titan aus dem Wege taumelt. Nun ist es Zeit, daß ich, eh das flammende Auge der Sonne näher kömmt, dem Tag zu liebkosen, und den nächtlichen Thau aufzutroknen, diesen Korb mit balsamischen Kräutern und Blumen von heilsamer Kraft anfülle. Die Erde, die Mutter der Natur, ist auch ihr Grab, und dieses fruchtbare Grab ists, aus dessen Schoos alle diese verschiednen Kinder entspringen, die wir saugend an ihrem mütterlichen Busen hangen sehen; jede Art mit besondern Kräften begabt, jede mit einer eignen Tugend geschmükt, und keine der andern gleich. Wie groß ist nicht die manchfaltige Kraft die in Pflanzen, Kräutern und Steinen ligt! Nichts was auf der Erde sich findet, ist so schlecht, daß die Erde nicht irgend einen besondern Nuzen davon ziehe; nichts so gut, dessen Mißbrauch nicht schädlich sey. Die Tugend selbst, wird durch Ueberspannung oder irrige Anwendung zum Laster, und das Laster hingegen zuweilen durch die Art wie es ausgeübt wird, geadelt – – In dieser kleinen Blume hier liegt Gift und Heil-Kraft beysammen; ihr Geruch stärkt und ermuntert alle Lebens-Kräfte; gekostet hingegen, raubt sie den Sinnen alle Empfindung, und das Leben selbst. Zween eben so feindselige Gegner ligen allezeit in jedes Menschen Brust, die Gnade, und der verdorbne Wille, und wo dieser die Oberhand gewinnt, da hat der krebsartige Tod nur gar zu bald die ganze Pflanze aufgefressen. Romeo zu dem Vorigen.

Romeo.

Guten Morgen, Vater.

Bruder Lorenz.

Benedicite! Was für eine frühe Zunge grüßt mich so freundlich? – – Junger Sohn, es zeigt einen verstörten Kopf an, daß du dein Bette so früh schon verlässest. Sorgen wachen wohl in alter Leute Augen, und wo Sorge wohnt, wird der Schlaf nie sein Nachtlager nehmen: Aber wo kummerfreye Jugend mit unbeladnem Hirn ihre Glieder ruhen läßt, da herrschst der goldne Schlaf. Dein frühes Aufseyn ist mir also ein Zeichen daß irgend eine aufrührische Leidenschaft deine innerliche Ruhe stört – – oder wenn dieses nicht ist, nun, so ist’s bald errathen, daß unser Romeo diese Nacht gar nicht zu Bette gegangen ist.

Romeo.

Das leztere ist wahr, weil mir eine süssere Ruhe zu theil ward.

Bruder Lorenz.

Gott verzeihe dir deine Sünde! warst du bey Rosalinen?

Romeo.

Bey Rosalinen, mein geistlicher Vater? Nein. Ich habe sie bis auf ihren Namen vergessen.

Bruder Lorenz.

Das ist mein guter Sohn! Aber wo bist du denn gewesen?

Romeo.

Ich will es aufrichtig gestehen; ich befand mich vor einiger Zeit, unerkannt, bey einem Gastmal meines Feindes; dort wurd‘ ich unversehens, von einer Person verwundet, die ich zu gleicher Zeit verwundet habe; du besizest die geheiligte Arzney, die uns allein helfen kan; du siehest, heiliger Mann, daß ich keinen Haß in meinem Herzen hege, da meine Bitte sich auf meinen Feind erstrekt.

Bruder Lorenz.

Rede gerad und ohne Umschweiffe mit mir, mein Sohn; eine räthselhafte Beicht‘ erhält auch nur einen räthselhaften Ablaß.

Romeo.

So wisse dann, daß ich des reichen Capulets schöne Tochter liebe; ihr Herz hängt an meinem, wie das meinige an dem ihrigen: Alles ist schon unter uns verglichen, und um gänzlich vereinigt zu seyn, fehlt uns nichts, als der Knoten, den du machen kanst. Wenn, wo, und wie, wir einander zuerst gesehen, geliebt, und unsre Herzen ausgetauscht haben, will ich dir hernach erzählen; alles warum ich izt bitte, ist, daß du einwilligest uns heute noch zu vermählen.

Bruder Lorenz.

Heiliger Franciscus! Was für eine Veränderung ist das! Ist Rosaline, die du so zärtlich liebtest, so schnell vergessen? So sizt wohl die Liebe junger Leute bloß in ihren Augen und nicht im Herzen! Jesu, Maria! Was für Fluthen von Thränen haben deine Wangen um Rosalinen willen überschwemmt! Die Sonne hat deine Seufzer noch nicht vom Himmel weggewischt, dein Gewinsel hallt noch in meinen alten Ohren; sieh, hier sizt auf deiner Wange noch der Flek von einer alten Thräne, die noch nicht weggewaschen ist. Wenn du damals du selbst warst, so gehörst du Rosalinen – – und du bist ihr untreu worden? So gestehe dann, daß es unbillig ist, auf den Leichtsinn der Weiber zu schmählen, da in Männern selbst keine Standhaftigkeit ist.

Romeo.

Und doch beschaltest du mich so oft, daß ich Rosalinen liebe?

Bruder Lorenz.

Daß du in sie vernarrt warst, nicht daß du sie liebtest, mein Kind – –

Romeo.

Und befahlst mir, meine Liebe zu begraben?

Bruder Lorenz.

Aber nicht eine neue aus ihrem Grab heraus zu holen.

Romeo.

Ich bitte dich, schohne meiner; Sie die ich liebe, erwiedert meine Zuneigung durch die ihrige; das that die andre nicht.

Bruder Lorenz.

Ohne Zweifel sagte ihr Herz ihr vorher, wie unzuverläßig das deinige sey! Doch komm nur, junger Flattergeist, folge mir; dein Wankelmuth kan vielleicht gute Folgen nach sich ziehen. Diese Verbindung kan das gesegnete Mittel werden, den alten Haß eurer Familien auszulöschen – – und in dieser einzigen Betrachtung will ich dir behülflich seyn.

Romeo.

O laß uns gehen, ich habe keine Zeit zu versäumen – –

Bruder Lorenz.

Bedächtlich und langsam! Wer zu schnell lauft, stolpert leicht. (Sie gehen ab.)

Vierte Scene.

Verwandelt sich in die Strasse.

Benvolio und Mercutio treten auf.

Mercutio.

Wo, zum T**, mag denn dieser Romeo seyn? Kam er verwichene Nacht nicht nach Hause?

Benvolio.

Sein Bedienter sagt, nein.

Mercutio.

Wie, zum Henker, dieses bleichsüchtige, hartherzige Mensch, diese Rosaline quält ihn, daß er endlich zum Narren d’rüber werden wird.

Benvolio.

Tybalt, des alten Capulets Neffe, hat einen Brief in seines Vaters Haus geschikt.

Mercutio.

Eine Ausforderung, auf mein Leben!

Benvolio.

Romeo wird ihm antworten, wie sich’s gebührt.

Mercutio.

Auf einen Brief kan endlich ein jeder antworten, der Schreiben gelernt hat.

Benvolio.

Nein, ich meyne, Tybalt wird seinen Mann in Romeo finden.

Mercutio.

Wollte Gott! Aber ach, der arme Romeo! er ist schon tod; von einer weissen Dirne schwarzem Aug zu tod gestochen! mit einem Liebes-Liedchen durch und durch – – die Ohren gestossen! Der kleine blinde Bogenschüze hat ihm den Herz-Bendel abgeschossen; und er soll der Mann seyn, sich mit einem Tybalt zu messen?

Benvolio.

Wie, was ist denn Tybalt – –

Mercutio.

Mehr als der Fürst der Kazen; das glaube mir – – O, das ist der herzhafte Obrist-Leutenant aller Complimente; er ficht dir so leicht als du einen Gassen-Hauer singst, und bohrt dir nach der Cadenz, troz dem besten Tanzmeister – – mit eins, zwey, drey, sein Federmesser in den Busen, daß es eine Lust zu sehen ist – – ein wahrer Mörder eines seidnen Knopfs, ein Duellist, ein Duellist! Ein Mann, der immer zu förderst an der Spize seines hohen Hauses steht, ein Mann der sich nach den Noten schlägt – – ah, der unsterbliche Passado, der Punto reverso, der – – Hey! – –

Benvolio.

Der – – was?

Mercutio.

Der Henker hohle diese frazigten, lispelnden, affectierten Narren! Diese süssen Bürschchen, die mit einem halbausländischen Accent ausruffen: Jesu! die allerliebste Klinge! – – Der allerliebste Grenadier! – – die allerliebste H**! – – Wie, ist es nicht erbärmlich, Großvater, daß wir mit diesen Schmetterlingen, mit diesen Mode-Frazen, diesen pardonnés-moi’s heimgesucht seyn sollen, die so steiff auf der neuen Mode halten, daß sie unmöglich auf dem alten Bank ruhig sizen können? – – O! ihre bons, ihre bons! Romeo zu den Vorigen.

Benvolio.

Hier kommt Romeo, hier kommt er – –

Mercutio.

Ohne seinen Rogen, wie ein gedörrter Häring – – O Fleisch, Fleisch, wie bist du fischificiert! – – Izt ist er in den Harmonien vertieft, worinn Petrarch daherfließt: Laura war gegen sein Fräulein nur ein Küchen-Mensch – – Zum Henker, sie hatte einen Liebhaber der sie besser bereimen konnte – – Dido war gegen sein Mädchen nur eine dike Säug-Amme, Helena und Hero Mezen und Landstreichers-Waare, Thisbe ein kazen-augichtes Ding, oder so was – – Aber nun zur Sache! Signor Romeo, bon jour; das ist ein französischer guter Morgen für eure französischen Hosen – – Ihr spieltet uns einen artigen Streich lezte Nacht – –

Romeo.

Guten Morgen – – meine Freunde: Was für einen Streich spielt‘ ich euch dann?

Mercutio.

Daß ihr so davon schlüpftet, wie wir euch ruften.

Romeo.

Um Vergebung, mein lieber Mercutio, mein Geschäfte war wichtig, und in einem solchen Fall wie der meinige, ist es einem ehrlichen Mann erlaubt, eine kleine Ausnahme von den Regeln der Höflichkeit zu machen – -* Die Amme, mit Peter, ihrem Diener, zu den Vorigen.

Amme.

Peter – –

Peter.

He?

Amme.

Meinen Fächer, Peter – –

Mercutio.

Thu es, guter Peter, damit sie ihr Gesicht verbergen kan; ihr Fächer ist doch das schönste von beyden.

Amme.

Guten Tag geb euch Gott, ihr Herren.

Mercutio.

Ein gutes Mittag-Essen geb euch Gott, schönes Frauenzimmer.

Amme.

Ist es schon Mittag-Essens-Zeit?

Mercutio.

Es ist nicht weniger, sag ich euch; denn die – -** [Nachdem diese drey jungen Herren eine Zeitlang ihren geistreichen Spaß mit der Amme gehabt haben, welche dem Romeo sagt, daß sie einen Auftrag an ihn habe, so führen sich endlich die beyden andern ab, und Romeo bleibt bey der Amme zurük.]

Amme.

Ich bitte euch, Gnädiger Herr, wer war der grobe Geselle da, der so voller Raupereyen stekte?

Romeo.

Ein junger Edelmann, Amme, der sich selber gerne reden hört, und in einer Minute mehr sagt, als er in einem Monat zu verantworten im Sinn hat.

Amme.

Wenn er etwas wider mich sagte, so wollt‘ ich ihn auf den Boden kriegen, und wenn er noch einmal so muthig wär‘ als er ist, und zwanzig solche Hansen; und wenn ich nicht kan, so will ich die wol finden, die es können – – der Schurke, der! Ich bin keine von seinen Fleder-Wischen; ich bin keine von seinen Unter-Pfülben! Und du must so da stehn, und zusehen, wie ein jeder Flegel seine Lust an mir büßt?

Peter.

Ich sah niemand seine Lust an euch büssen; wenn ich so was gesehen hätte, ich wollte bald mit der Fuchtel heraus gewesen seyn, das versichr‘ ich euch. Ich habe so viel Herz als ein andrer, wenn ich Sicherheit in einem Handel sehe, und das Gesez auf meiner Seite ist.

Amme.

Nun, bey Gott, ich bin so übel, daß alles an mir zittert – – der garstige Mensch! Ich bitte euch, Gnädiger Herr, ein einziges Wort; und wie ich euch sagte, mein junges Fräulein befahl mir euch aufzusuchen; was sie mir sagte, daß ich sagen sollte, will ich bey mir behalten; aber ich will nur so viel sagen, wenn ihr sie ins Narren-Paradies führen würdet, wie man zu sagen pflegt, so wär‘ es gewißlich eine grosse Sünde, denn das Fräulein ist jung, und wenn ihr sie also nur betrügen wolltet, so wär‘ es in der That nicht hübsch mit einem jungen Fräulein umgegangen – –

Romeo.

Empfiehl mich deiner Fräulein; ich protestiere dir – –

Amme.

Das gute Herz! Wohl, meiner Treue, das will ich ihr sagen: Herr, Gott, sie wird sich vor Freude kaum zu lassen wissen – –

Romeo.

Was willt du ihr denn sagen, Amme? Du hörst mich ja nicht an.

Amme.

Ich will ihr sagen, Gnädiger Herr, daß ihr protestiert, welches, wie ich’s verstehe, ein recht honnettes Anerbieten von einem jungen Cavalier ist – –

Romeo.

Sag ihr, sie möchte ein Mittel ausfindig machen, diesen Nachmittag zur Beichte zu gehen; so solle sie in Bruder Lorenzens Celle zu gleicher Zeit absolviert und copuliert werden – – Hier ist was für deine Mühe.

Amme.

Nein, wahrhaftig, Gnädiger Herr, nicht einen Pfenning.

Romeo.

Geh, geh, mach keine Umstände, du must – –

Amme.

Diesen Nachmittag, Gnädiger Herr? Gut, wir wollen uns einfinden.

Romeo.

Noch eins, gute Amme; warte hinter der Kloster-Mauer, mein Diener soll binnen dieser Stunde bey dir seyn, und dir eine Strik-Leiter bringen, die mich diese Nacht auf den Gipfel meiner Glükseligkeit führen soll. Lebe wohl, sey getreu, und ich will deine Mühe reichlich belohnen.

Amme.

Nun, Gott im Himmel segne dich! Hört einmal, Gnädiger Herr – –

Romeo.

Was willt du mir sagen, meine liebe Amme?

Amme.

Ist euer Bedienter auch verschwiegen? Hörtet ihr niemal sagen, zween können ein Geheimniß am besten bey sich behalten, wenn man einen davon thut?

Romeo.

Ich stehe dir davor, mein Kerl ist so zuverlässig als Stahl und Eisen.

Amme.

Gut, Gnädiger Herr, mein Fräulein ist das holdseligste Fräulein von der Welt – – Herr Gott! wie sie noch ein kleines plapperndes Ding war – – O, – – es ist ein Edelmann in der Stadt, ein gewisser Paris, der seinen Mann gar zu gern bey ihr anbringen möchte; aber sie, die gute Seele, sie säh eben so gern eine Kröte als sie ihn sieht: Ich erzürne sie manchmal und sag ihr, Paris sey der schönere von beyden – – aber das versichr‘ ich euch, wenn ich so rede, so wird sie so bleich wie ein weisses Tuch – – Fangen nicht Rosmarin und Romeo beyde mit einem Buchstaben an?

Romeo.

Ja, Amme, warum fragst du das? Beyde mit einem R.

Amme.

Ah, Spottvogel! Das ist ja ein Hunds-Name – – Nein, nein, ich weiß, es fangt mit einem andern Buchstaben an, und sie sagt die artigsten Sentenzien darüber, über euch und den Rosmarin, daß es euch im Herzen wohlthäte, wenn ihr’s hörtet.

Romeo.

Meine Empfehlung an dein Fräulein – – (Romeo geht ab.)

Amme.

O, tausendmal, Peter – –

Peter.

He?

Amme.

Nimm meinen Fächer, und geh voran. (Sie gehen ab.)

* Hier fängt sich bis zum Auftritt der Amme eine Art von wizigem Duell mit Wortspielen, und abgeschmakt-sinnreichen Einfällen zwischen Romeo und Mercutio an, welcher leztere zuweilen auch noch mit schmuzigen Scherzen um sich wirft, wenn er sich nicht anders mehr zu helfen weiß – – Man kennt schon diese Mode-Seuche von unsers Autors Zeit, und erlaubt uns, eine Lüke zu machen, wo es in unsrer Sprache unmöglich ist so wizig zu seyn wie seine Spaß-Macher.

** Eine abermalige Lüke, die sich von einer Zote des sinnreichen Mercutio anhebt, und im Original mit dem albersten Zeug von der Welt ausgefüllt ist.

Fünfte Scene.

Verwandelt sich in Capulets Haus.

Juliette tritt auf.

Juliette.

Die Gloke schlug neun, wie ich die Amme ausschikte: und sie versprach in einer halben Stunde wieder zu kommen. Vielleicht kan sie ihn nicht finden – – Das kan es nicht seyn – – Oh, sie ist lahm. Die Boten der Liebe sollten Gedanken seyn, die zehnmal schneller fortschlüpfen als Sonnenstralen, wenn sie von dämmernden Hügeln die Schatten der Nacht vertreiben. Deßwegen ziehen leicht-geflügelte Dauben die Liebes-Göttin, und deßwegen hat der Wind-schnelle Cupido Schwingen. Die Sonne hat bereits den höchsten Gipfel ihrer täglichen Reise erstiegen; von neun bis zwölf sind drey lange Stunden – – und doch ist sie noch nicht da – – O, hätte sie warmes jugendliches Blut und ein gerührtes Herz, sie würde so schnell seyn als ein Ball; meine Worte würden sie zu meinem Geliebten stossen, und die seinigen zu mir – – Die Amme und Peter treten auf. O Gott, sie kommt – – O Zuker-Amme, was bringst du mir für eine Zeitung? Hast du ihn angetroffen? – – Schik deinen Diener weg.

Amme.

Peter warte vor der Tür auf mich. (Peter geht ab.)

Juliette.

Nun, gute liebe Amme – – O Himmel, warum siehst du so finster? Wenn deine Zeitung böse ist, so solltest du doch freundlich dazu aussehen; und ist sie gut, so verderbst du ihre Musik, wenn du sie mir mit einem sauern Gesicht vorspielst.

Amme.

Ich bin müde, laßt mich ein wenig ausruhen – – Fy, meine Beine schmerzen mich, was das für ein Gang war!

Juliette.

Ich wollte du hättest meine Beine, und ich deine Zeitung. Nein, komm, ich bitte dich, rede – – Gute, liebe Amme rede.

Amme.

Jesu! was für eine Ungeduld! Könnt ihr denn nicht ein wenig warten? Seht ihr nicht, daß ich ganz ausser Athem bin.

Juliette.

Wie bist du ausser Athem, da du Athem genug hast mir zu sagen, daß du ausser Athem bist? Die Entschuldigung die du für dein Zaudern machst ist länger als die Erzählung, auf die du mich warten läßst. Ist deine Zeitung gut oder böse? Antworte mir nur das; Sag eines von beyden, und ich will auf die Umstände warten; laß mich nicht in der Unruh, ist sie gut oder böse?

Amme.

Wohl, wohl, ihr habt eine feine Wahl getroffen; ihr wißt nicht wie man sich einen Mann auslesen muß: Romeo nein, er nicht; und doch, wenn sein Gesicht gleich nicht besser ist als andrer Leute ihres, so hat er doch die schönsten Waden, die man sehen kan; und was eine Hand, einen Fuß, und einen Leib anbetrift, wenn man schon nicht davon redt, so sind sie doch unvergleichlich. Er ist kein Complimenten-Narr nicht, aber ich bin gut davor, daß er so sanft ist wie ein Lamm – – Geh deines Wegs, Mädchen, und danke Gott – – Wie, habt ihr schon zu Mittag gegessen?

Juliette.

Nein, nein aber das alles wußt‘ ich schon vorher; was sagt er von unsrer Verheurathung? was sagt er davon?

Amme.

Herr, wie mir der Kopf weh thut! was ich für einen Kopf habe! Es schlägt nicht anders drinn, als ob er in zwanzig Stüke fallen sollte – – Und mein Rüken – – O mein Rüken, mein Rüken! Gott verzeih‘ es euch, daß ihr mich ausgeschikt, mit auf- und ablauffen mein Leben einzubüssen.

Juliette.

Bey meiner Treue, es ist mir leid, daß du so übel bist. Liebe, liebe, liebe Amme, ich bitte dich, was sagt mein Romeo?

Amme.

Euer Romeo redt wie ein rechtschaffner Edelmann, und ein artiger, und ein freundlicher, und ein hübscher, und, ich bin gut dafür, auch ein tugendhafter – Wo ist eure Mutter?

Juliette.

Wo meine Mutter ist? Wie, sie ist in ihrem Zimmer; wo soll sie sonst seyn? Wie wunderlich du fragst? Euer Liebhaber redt wie ein rechtschaffner Edelmann – – wo ist eure Mutter! – –

Amme.

O heilige Mutter Gottes, wie hizig ihr seyd! Wahrhaftig, ihr macht mir’s, daß es nicht recht ist. Ist das der Lohn für meine Schmerzen in den Beinen? Ein andermal rüstet eure Gesandschaften selbst aus – –

Juliette.

Was du für einen Lerm machst? Komm, was sagt Romeo?

Amme.

Habt ihr Erlaubniß gekriegt, heut zur Beichte zu gehen?

Juliette.

Ja.

Amme.

So macht euch, sobald ihr könnt, nach Bruder Lorenzens Celle; dort wartet ein Mann auf euch, der euch zu einem Weibe machen will – – Nun rennt das muthwillige Blut wieder in eure Wangen – – Man kan euch kaum was neues sagen, so sind sie lauter Scharlach. Geht ihr zur Kirche; ich muß einen andern Weg, eine Leiter zu holen, auf der euer Liebhaber zu einem Vogel-Nest hinaufklettern soll, so bald es dunkel seyn wird. Ich bin den ganzen Tag mit euerm Vergnügen geplagt, aber heute Nacht werdet ihr die Last selber tragen. Geht, ich will zum Mittag-Essen, macht ihr daß ihr in die Celle kommt.

Juliette.

Wie glüklich bin ich! Leb wohl indessen, gute Amme! (Sie gehen ab.)

Sechste Scene.

Verwandelt sich in das Kloster.

Bruder Lorenz und Romeo treten auf.

Bruder Lorenz.

So lächle der Himmel auf diese heilige Handlung, daß keine nachfolgende Unglüks-Stunden uns zur Reue zwingen mögen!

Romeo.

Amen, Amen! Doch komme was für ein Unglük auch will, es kan die Wonne nicht überwiegen, die mir eine einzige kurze Minute in ihrem Anblik giebt: Vereinige du nur mit heiligen Worten unsre Hände, und dann mag der Tod selbst sein ärgstes thun; es ist genug, wenn ich sie nur mein nennen kann.

Bruder Lorenz.

Diese heftigen Entzükungen nehmen gemeiniglich ein plözliches Ende, und sterben in ihrem Triumph; wie Feuer und Pulver, die sich, indem sie sich begegnen, verzehren. Des süssesten Honigs wird man um seiner Süssigkeit willen zulezt überdrüssig. Liebe also mässig, damit du lange lieben könnest; zu schnell kommt eben so spät an, als zu langsam. (Juliette zu den Vorigen.) Hier kommt das Fräulein. Wie munter, wie leicht auf den Füssen sie ist! Ein Verliebter könnte das leichte Pflaum-Federchen besteigen, das in der üppigen Sommer-Luft herumflattert, und würde doch nicht fallen, so leicht ist Eitelkeit.

Juliette.

Guten Abend, mein geistlicher Vater.

Bruder Lorenz.

Romeo, meine Tochter, soll dir für uns beyde danken.

Juliette.

Ich wünsche ihm eben so viel, sonst wäre sein Dank zu viel.

Romeo.

Ah! Juliette, wenn das Maaß deiner Freude so aufgehäuft ist als das meinige, und du fähiger bist als ich, sie auszudrüken, o so versüsse durch deinen Athem diese umgebende Luft, und laß die zauberische Musik deiner Zunge die Glükseligkeit entfalten, die wir beyde von dieser frohen Zusammenkunft erhalten.

Juliette.

Mein Herz ist zu voll von seinem Glük, als daß es sich in Worte ergiessen könnte – – Die sind nur arm, welche sagen können, wie reich sie sind – – Meine Zärtlichkeit ist zu einem solchen Uebermaaß gestiegen, daß ich nicht die Hälfte meines Reichthums anzugeben vermag.

Bruder Lorenz.

Kommt, kommt mit mir, und wir wollen kurze Arbeit machen; denn, mit eurer Erlaubniß, sollt ihr nicht allein beysammen bleiben, bis die heilige Kirch aus beyden Einen Leib gemacht hat. (Sie gehen ab.)

Dritter Aufzug.

Erste Scene.

Die Strasse.

Mercutio und Benvolio mit ihren Bedienten treten auf.

Benvolio.

Ich bitte dich, lieber Mercutio, laß uns gehen, der Tag ist heiß, und die Capulets schwärmen in den Strassen herum; wenn wir ihnen begegnen, so wird es unfehlbar Händel absezen; denn in diesen heissen Tagen ist das tolle Blut aufrührisch.

Mercutio.

Du kommst mir gerade so vor, wie einer von den tapfern Männern, die, wenn sie in ein Weinhaus kommen, gleich ihren Degen auf den Tisch schmeissen und sagen: Gott gebe daß ich dich nicht nöthig habe! aber sobald ihnen die zweyte Flasche in den Kopf gestiegen ist, ihn gegen den Keller-Jungen ziehen, welches sie in der That nicht nöthig hatten.

Benvolio.

Und einem solchen Burschen bin ich gleich?

Mercutio.

Komm, komm, wenn du aufgebracht bist, bist du ein so hiziger Klingen-Fresser als irgend einer in Italien – – und das schlimmste dabey ist, daß du eben so schnell aufzubringen bist, als du hizig bist, wenn man dich aufgebracht hat.

Benvolio.

Wie kömmt das?

Mercutio.

Wahrhaftig, wenn zween solche wären wie du, wir würden gar bald gar keinen haben, denn einer würde den andern in der ersten Stunde aufreiben. Du? du fängst ja Händel mit einem an, weil er ein Haar mehr oder weniger in seinem Bart hat, als du; du würdest mit einem anbinden, der Nüsse aufknakte, ohne eine andre Ursache angeben zu können, als weil du nußbraune Augen hast. Dein Kopf ist so voller Händel, als ein Ey voll von Dotter und Eyer-Klar – – und doch ist dir dieser nemliche Kopf, um deiner Schlägereyen willen, schon so weich geschlagen worden, als ein gesottnes Ey. Du hast dich mit einem geschlagen, der auf der Strasse hustete, weil er deinen Hund damit aufgewekt habe, der in der Sonne schlafend lag. Fiengst du nicht mit einem Schneider Händel an, weil er sein neues Wams vor Ostern trug? und mit einem andern, weil er seine neue Schuhe mit einem alten Nestel zugeknöpft hatte? Und du willt hier den Hofmeister mit mir machen, und mich vor Händeln warnen!

Benvolio.

Wenn ich so händelsüchtig wäre wie du, es würde mir niemand zwo Stunden um mein Leben geben – – Tybalt, Petrucchio und andre von den Capulets treten auf. Bey meinem Kopf, hier kommen die Capulets – –

Mercutio.

Bey meiner Ferse, ich frage nichts darnach.

Tybalt.

Haltet euch dicht an mir, ich will mit ihnen reden – – Guten Tag, meine Herren, ein Wort mit einem von euch.

Mercutio.

Warum nur Ein Wort? Kuppelt es mit einem leibhaftern Ding zusammen, macht daß ein Wort und eine Ohrfeige draus wird.

Tybalt.

Ihr sollt mich willig genug dazu finden, Herr, wenn ihr mir Gelegenheit dazu geben wollt.

Mercutio.

Könnt ihr denn keine Gelegenheit nehmen, ohne daß man sie euch geben muß?

Tybalt.

Mercutio, du ziehst immer mit Romeo herum – –

Mercutio.

Herumziehen! wie, machst du Bier-Fidler aus uns? Wenn du Bier-Fidler aus uns machst, so erwarte nichts bessers als Mißtöne zu hören – – Hier ist mein Fiddel-Bogen – – Hier ist was, das euch tanzen machen soll! – – Höll-Teufel! Herumziehen! (Er legt die Hand an seinen Degen.)

Benvolio.

Wir sind hier mitten unter den Leuten. Entweder zieht euch an einen abgelegnen Ort zurük, oder macht euren Zwist mit kaltem Blut aus; hier gaffen uns alle Augen an.

Mercutio.

Die Leute haben ihre Augen drum, damit sie sehen sollen; laß sie gaffen; ich will niemand zum Gefallen von der Stelle gehen, ich. Romeo zu den Vorigen.

Tybalt.

Gut! Ihr könnt Friede haben, Herr! Hier kommt mein Mann.

Mercutio.

Aber ich will gehangen seyn, Herr, wenn er euere Liverey trägt; geht nur zuerst zu Felde, er wird euch auf dem Fusse folgen; in diesem Sinn kan Eu. Gnaden ihn wol einen Mann heissen.

Tybalt.

Romeo, die Liebe die ich zu dir trage, giebt mit keinen bessern Gruß für dich als diesen, du bist ein nichtswürdiger Kerl – –

Romeo.

Tybalt, die Ursache die ich habe dein Freund zu seyn, ist groß genug, mich gegen die beleidigende Wuth eines solchen Grusses unempfindlich zu machen – – Ich bin nicht was du sagst – – Also, lebe wohl; ich sehe, du kennst mich nicht.

Tybalt.

Junge, damit sollst du nicht für die Beleidigungen davon kommen, die ich von dir empfangen habe; kehr um, und zieh.

Romeo.

Ich schwöre dir, daß ich dich nie beleidigt habe; ich liebe dich mehr als du dir einbilden kanst; und bis du die Ursach erfahren wirst, warum ich dich liebe, guter Capulet, (leiser) – – dessen Name mir so theuer ist als mein eigner – – gieb dich zufrieden.

Mercutio.

Wie? So gelassen? O schimpfliche, niederträchtige Gelassenheit! – – Tybalt, du Razenfänger, willt du mit mir kommen?

Tybalt.

Was willst du von mir?

Mercutio.

Guter Kazen-König, nichts als eines von deinen neun Leben, um ein bißchen lustig damit zu machen, und je nach dem ihr euch künftig aufführen werdet, euch auch die übrigen auszuklopfen. Wollt ihr euern Degen ziehen? Macht hurtig – –

Tybalt.

Ich bin zu euern Diensten. (Er zieht.)

Romeo.

Liebster Mercutio, stek dein Rapier ein.

Mercutio.

Wolan, Herr, einen kleinen Gang. (Mercutio und Tybalt fechten.)

Romeo.

Zieh, Benvolio – – hilf mir ihnen die Degen aus den Händen schlagen – – Meine Herren – – Um’s Himmels willen, haltet ein – – Tybalt – – Mercutio – – Ihr wißt das ausdrükliche Verbot des Fürsten – – Halt, Tybalt – – armer Mercutio – – (Tybalt geht ab.)

Mercutio.

Ich bin verwundet – – Verderben über eure beyde Häuser! Ich habe meinen Theil. Ist er weg, und hat nichts?

Benvolio.

Wie, bist du verwundet?

Mercutio.

Ja, ja, eine Rize, eine Nadelrize – – Zum Henker, es ist genug, wo ist mein Diener? Geh, Schurke, hol einen Wund-Arzt.

Romeo.

Gutes Muths, Mann, die Wunde wird nicht viel zu bedeuten haben.

Mercutio.

Nein, sie ist nicht so tief als ein Zieh-Brunnen, noch so weit als eine Kirchen-Thür, aber sie ist eben recht, so viel ich brauche; fragt morgen wieder nach mir. Ich bin gepfeffert für diese Welt, das glaubt mir; der Henker hole eure beyden Häuser! Wie? ein Hund, eine Raze, eine Maus, eine Kaze soll einen Mann zu tod krazen? Eine feige Hure, ein Schurke, ein Lumpen-Kerl, der nach dem Rechenbuch ficht? Warum zum Teufel kam’t ihr zwischen uns? Ich wurde unter euerm Arm gestossen – –

Romeo.

Ich that es aus der besten Absicht.

Mercutio.

Hilf mir in irgend ein Haus, Benvolio, oder ich werde umsinken – – Die Pest über eure Häuser! Sie haben eine Wurms-Mahlzeit aus mir gemacht; ich hab‘ es, und bald genug – – Den Teufel über eure Häuser! – – (Mercutio und Benvolio gehen ab.)

Zweyte Scene.

Romeo.

Dieser Edelmann, ein naher Verwandter des Prinzen, mein bester Freund, muß um meinetwillen sein Leben lassen – – meine Ehre ist durch Tybalts Lästerungen beflekt, Tybalts, der kaum seit einer Stunde mein Vetter ist: O süsse Juliette, deine Schönheit hat mich weibisch gemacht – – Würd‘ ein Mann soviel leiden und gelassen bleiben? Benvolio tritt auf.

Benvolio.

O Romeo, Romeo, der brave Mercutio ist todt – –

Romeo.

Dieser unglükselige Tag, es ahnet mir, wird mehr andre nach sich ziehen – – Tybalt zu den Vorigen.

Benvolio.

Hier kommt der rasende Tybalt wieder zurük.

Romeo.

Lebend, im Triumph? und Mercutio ist erschlagen? Hinweg gen Himmel, zurükhaltende Sanftmuth, und du, feuer-augichte Wuth, sey nun meine Führerin! Nun, Tybalt nimm den nichtswürdigen Kerl zurük, den du vorhin mir gabst – – Mercutio’s Seele schwebt nicht weit über unsern Häuptern und wartet auf die deinige – – Du oder ich, einer von uns muß ihm Gesellschaft leisten.

Tybalt.

Du, armseliger Junge, der hier mit ihm zu lauffen gewohnt war, du sollst mit ihm. (Sie fechten; Tybalt fällt.)

Benvolio.

Romeo, hinweg, fliehe – – die Bürger lauffen zusammen, und Tybalt ist erschlagen – – Steh nicht so sinnlos da – – der Prinz wird dein Todes-Urtheil sprechen, wenn du ergriffen wirst – – Hinweg, fliehe, fort!

Romeo.

O! Ich unglükseliger Ball des Glüks – –

Benvolio.

Wie, du zögerst noch? (Romeo entweicht.)

Dritte Scene.

Einige Bürger treten auf.

Bürger.

Welchen Weg floh Tybalt, der den Mercutio ermordet hat? Wo floh er hin?

Benvolio.

Hier ligt Tybalt.

Bürger.

Auf, Herr, geht mit mir – – ich befehle dir’s in des Fürsten Namen, gehorche. Der Prinz, Montague, Capulet, ihre Weiber, u. s. w. treten auf.

Prinz.

Wo sind die schändlichen Urheber dieser Unruh?

Benvolio.

Gnädigster Herr, ich kan den ganzen unglüklichen Hergang dieses fatalen Zwists erzählen; hier ligt, vom jungen Romeo erschlagen, der Mann der den tapfern Mercutio, euern Vetter erschlug.

Lady Capulet.

Tybalt, mein Neffe! O meines Bruders Kind! Unglükseliger Anblik! O weh mir, das Blut meines liebsten Neffen ist vergossen – – Prinz, so wahr du diesen Namen verdienst, so laß unser Blut durch das Blut des mördrischen Montague gerochen werden.

Prinz.

Benvolio, wer war der Anfänger des Handels?

Benvolio.

Tybalt, der hier von Romeo’s Hand erschlagen ligt, von Romeo, der ihm freundlich zuredete, ihn bat die Gefährlichkeit der Händel, die er anfieng, zu bedenken, und daß er sich die schärfste Ahndung von Eurer Durchlaucht zuziehen werde; aber alles was er mit sanfter Stimme, ruhigen Bliken, und demüthig gebognen Knien sagte, war nicht vermögend die wüthende Galle des tauben Tybalts zu besänftigen – – noch ihn abzuhalten, den scharfen Stahl nach des kühnen Mercutio Brust zu züken, der gleich hizig ihm Stoß um Stoß wiedergab, und mit furchtlosem Kaltsinn, mit der einen Hand den kalten Tod auf die Seite schlug, mit der andern ihn zu Tybalt zurük sandte, von dessen geschikter Faust er gleich wieder auf seinen Gegner zurükprallte. – – Romeo ruft was er kan: haltet ein! Freunde! Freunde, haltet ein! und schneller als seine Zunge schlägt sein behender Arm beyder tödtliche Klingen nieder, und stürzt sich zwischen sie: Aber in eben diesem Augenblik durchbort, unter seinem Arm, ein unglüklicher Stoß von Tybalt des unbändigen Mercutio’s Herz; Tybalt entflieht, aber bald kommt er wieder zu Romeo zurük, den eines Freundes Tod zur Rache anspornt, und wie der Bliz sind sie an einander: Denn eh ich sie von einander reissen konnte, war Tybalt erschlagen, und so wie er fiel, begab sich Romeo auf die Flucht. Diß ist die Wahrheit, oder laßt Benvolio sterben.

Lady Capulet.

Er ist ein Verwandter von den Montaguen, die Freundschaft macht ihn verdächtig, er sagt nicht die Wahrheit. Es waren ihrer wenigstens zwanzig gegen den einzigen Tybalt, weniger als diese zwanzig hätten nichts über ihn vermocht. Ich verlange Justiz, Prinz, und es ist nicht in deiner Gewalt sie abzuschlagen. Romeo tödtete Tybalt, Romeo soll nicht leben!

Prinz.

Romeo erschlug ihn, und er erschlug den Mercutio – – von wem soll dann ich das werthe Blut meines Anverwandten fordern?

Lady Montague.

Nicht von Romeo, Prinz, er war Mercutio’s Freund: Sein ganzer Fehler war, daß er dem Mörder Tybalt das Leben nahm, welches ihm das Gesez ohnehin genommen hätte.

Prinz.

Und dieses Verbrechens wegen verbannen wir ihn von Stund an aus Verona – – Euere Feindschaft, euer ungezähmter Groll kostet mich mein eignes Blut, es ist hohe Zeit um meiner eignen Sicherheit willen ihm Einhalt zu thun. Ich will es, ich will durch den Zwang der Straffen erhalten, was Drohung nicht vermocht hat. Keine Entschuldigungen! Keine Vorbitten! weder Thränen noch Fußfälle sollen die ermüdete Gerechtigkeit versöhnen – – Laßt Romeo unverzüglich fliehen, oder die Stunde, worinn er ergriffen wird, ist seine lezte – – Traget diesen Leichnam von hinnen, und erwartet meinen fernern Willen – – Gnade wird selbst zur Mörderin, wenn sie Mördern vergiebt. (Sie gehen ab.)

Vierte Scene.

Verwandelt sich in ein Zimmer in Capulets Haus.

Juliette tritt allein auf.

Juliette.

Eilet, eilet davon, ihr feurigen Rosse der Sonne, euerm Nachtlager zu – – ein solcher Führer, wie Phaeton war, würde euch bald nach Westen gepeitscht, und in einem Augenblik den Tag in düstre Nacht verwandelt haben – – Spreite deinen dichten Vorhang aus, Liebebefördernde Nacht! daß die Augen des müden Phöbus niken, und unbesprochen und ungesehn Romeo in diese Arme fliege. Liebende sehen genug zu ihren zärtlichen Geheimnissen beym Glanz ihrer eignen Schönheiten: Oder wenn die Liebe blind ist, so taugt sie am besten zur Nacht. Komm, stille Nacht, gleich einer sittsamen Matrone ganz in Schwarz gekleidet; komm und lehre mich ein gewinnreiches Spiel verliehren, das um ein paar unbeflekte Jungferschaften gespielt wird – – Verhülle das unbemannte Blut, das meine Wangen erhizt, in deinen schwarzen Schleyer, bis die ungewohnte Liebe kühner wird, und in ihren brünstigsten Ausbrüchen nichts als Unschuld findt. Komm, Nacht, komm, Romeo, komm du Tag in der Nacht, denn du wirst auf den Flügeln der Nacht weisser als Schnee auf eines Raben Rüken ligen; komm, holde Nacht, komm, liebende, schwarz-augichte Nacht! Gieb mir meinen Romeo, und wenn er einst sterben muß, so nimm ihn und schneid ihn in kleine Sterne aus, und er wird dem Antliz des Himmels eine so reizende Anmuth geben, daß die ganze Welt in die Nacht verliebt werden, und den Flitter-Glanz der Sonne nichts mehr achten wird – – O wie lang, wie verdrießlich lang ist dieser Tag, so lang, wie die Nacht vor einem Festtag einem ungeduldigen Kinde, das neue Kleider bekommen hat, und sie noch nicht tragen darf. O, hier kommt meine Amme – – Die Amme mit einer Strik-Leiter. und bringt mir Nachrichten – -jede Zunge, die meines Romeo Namen ausspricht, ist die Zunge eines Engels für mich – – Nun Amme, was giebt’s neues? Was hast du hier? Die Strik-Leiter die Romeo dich holen hieß?

Amme.

Ja, ja, die Strik-Leiter – –

Juliette.

Weh mir! was ist begegnet? warum ringst du die Hände?

Amme.

Ach! daß’s Gott erbarm‘! er ist todt, er ist todt, er ist todt! wir sind verlohren, Fräulein, wir sind verlohren! – – Ach, daß’s Gott erbarm! er ist hin, er ist umgebracht, er ist todt!

Juliette.

Kan der Himmel so mißgünstig seyn?

Amme.

Was der Himmel nicht kan, kan Romeo – – O Romeo! Romeo! Wer hätte sich das einbilden können, Romeo?

Juliette.

Was für ein Teufel bist du, der mich so martert? Diese Folter sollte im Abgrund der Hölle geheult werden! Hat Romeo sich selbst ermordet? Sag nur ja, und diese einzige Sylbe wird mich schneller vergiften als das todtschiessende Auge des Basilisken.

Amme.

Ich sah die Wunde, ich sah sie mit meinen Augen, Gott behüte mich! Hier – – auf seiner männlichen Brust. Eine erbärmliche Leiche, eine blutige erbärmliche Leiche, bleich, bleich wie Asche, ganz mit Blut beschmiert, lauter geronnen Blut – – es wurde mir ohnmächtig wie ich es sah.

Juliette.

O brich mein Herz – – schließt euch zu, meine Augen; öffnet euch nicht mehr – – stirb, arme Unglükliche, daß dich und Romeo Eine Baare drüke!

Amme.

O Tybalt, Tybalt, der beste Freund den ich hatte: O freundlicher, wakrer, edler Tybalt, daß ich leben mußte, dich todt zu sehen!

Juliette.

Was für ein Sturm ist das, der von so entgegenstehenden Seiten bläst. Ist Romeo erschlagen, und ist Tybalt todt? Mein vielgeliebter Vetter, und mein geliebterer Gemahl? Wenn das ist, so mag die Posaune zum allgemeinen Gerichts-Tag blasen – – Denn wer lebt noch, wenn diese zween nicht mehr sind?

Amme.

Tybalt ist todt, und Romeo verbannt; Romeo, der ihn erschlug, ist verbannt.

Juliette.

O Gott! Romeo’s Hand vergoß Tybalts Blut?

Amme.

Das that sie, das that sie, leider Gott erbarm’s, das that sie.

Juliette.

O Schlangen-Herz, unter einem blühenden Gesicht verborgen! wohnte jemals ein Drache in einer so schönen Höhle? Liebreizender Unmensch, Englischer Teufel! – – O Natur, was hast du in der Hölle zu thun, wenn du den Geist eines solchen Teufels in ein irdisches Paradies herbergest? War jemals ein Buch von so schändlichem Inhalt so schön eingebunden? O, daß in einem so prächtigen Palast gleißnerisches Laster wohnen soll!

Amme.

Es ist weder Treu, noch Glauben, noch Ehrlichkeit in diesen Mannsleuten; sie sind alle meineydig, alle Verräther, lauter Nichts, alle Heuchler – – Ah! wo ist mein Diener? Gieb mir ein wenig Aquavit – – Dieser Jammer, diese Noth, diese Sorgen machen eins vor der Zeit grau – – Schaam über diesen Romeo!

Juliette.

Verflucht sey deine Zunge durch einen solchen Wunsch! Er ward nicht zur Schaam gebohren, sie untersteht sich nicht auf seine Stirne zu sizen: Sie ist ein Thron, wo die Ehre zum allgemeinen Monarchen der ganzen Welt gekrönt werden sollte! O was für eine Unglükliche war ich, so wider ihn auszubrechen!

Amme.

Wolltet ihr gut von dem Mörder euers Verwandten reden?

Juliette.

Soll ich übel von meinem Ehemann reden? Ach, armer Gemahl, was für eine Zunge soll deinem Namen liebkosen, da ich, dein dreystündiges Weib, ihn mißhandelt habe? – – Aber warum, Unglüklicher, tödtetest du meinen Vetter? Dieser Vetter, der Unglükselige! würde sonst meinen Gemahl getödtet haben. Zurük, thörichte Thränen, zurük in eure Quelle; ihr seyd ein Zoll der dem Kummer gebührt, und ihr bietet ihn aus Irrthum der Freude dar? Mein Gemahl lebt, den Tybalt ermorden wollte, und Tybalt ist todt, der meinen Gemahl gern getödtet hätte; alles dieses ist Trost; warum wein‘ ich dann? Ach! es war noch ein Wort, schlimmer als Tybalts Tod, das mich ermordet hat; ich streb‘ umsonst es zu vergessen, ach! es dringt sich meinem Gedächtniß auf, wie das Bewußtseyn böser Thaten dem Gemüthe des Sünders; Tybalt ist todt und Romeo verbannt; dieses verbannt, dieses einzige Wort verbannt, hat zehntausend Tybalts ermordet; Tybalts Tod war für sich allein Unglüks genug – – Oder wenn das Unglük ja Gesellschaft haben will, warum folgte, wie sie sagte – – Tybalt ist todt – – warum folgte nicht, dein Vater, oder deine Mutter, oder gar beyde? Aber mit diesem gräßlichen Nachklang: auf, Tybalt ist todt – – Romeo ist verbannt – – Durch dieses einzige Wort ist Vater, Mutter, Tybalt, Romeo, Juliet, alles erschlagen, alles todt! – – Romeo verbannt! Es ist weder Ziel, noch Maaß, noch Ende in dem Tod dieses Worts – – es sind keine Worte die den Jammer ausdrüken, den es in sich hält. Wo ist mein Vater und meine Mutter, Amme?

Amme.

Weinend und jammernd über Tybalts Leiche. Wollt ihr zu ihnen? Ich will euch hinführen.

Juliette.

Waschen sie seine Wunden mit Thränen? Meine sollen, wenn die ihrigen vertroknet sind, über Romeo’s Verbannung fliessen. Nimm diese Strike zu dir – – arme Strike, ihr seyd verrathen, ihr und ich; Romeo ist verbannt! Er wollte sich auf euch einen Weg zu meinem Bette machen; aber nun werd‘ ich als eine verwittwete Jungfrau sterben. Komm, Strik-Leiter; komm, Amme; ich will in mein Braut-Bette, um dem Tod, nicht meinem Romeo in die Arme zu sinken.*

Amme.

Geht in euer Zimmer; ich will den Romeo aufsuchen, der euch trösten soll. Ich weiß wol wo er ist; ich will zu ihm, er ist in Bruder Lorenzens Celle.

Juliette.

O such ihn, find ihn, gieb ihm diesen Ring, und bitt‘ ihn daß er komme, sein leztes Lebewohl zu nehmen. (Sie gehen ab.)

* Im Original sagt Juliette: And Death, not Romeo, take my Maidenhead! – – Shakespear mußte einen Reim auf den vorhergehenden Vers haben, und es ist kein Unsinn, keine Unanständigkeit, die er sich nicht erlauben sollte, um sich nicht lang auf einen Reim besinnen zu dürfen.

Fünfte Scene.

Verwandelt sich in das Kloster.

Bruder Lorenz und Romeo treten auf.

Bruder Lorenz.

Romeo, komm hervor, hervor du furchtsamer Mann; der Kummer ist in deine Schönheit verliebt, und du bist mit der Wiederwärtigkeit verheurathet.

Romeo.

Was bringt ihr mir neues, mein Vater? Was ist des Prinzen Urtheil? Was für ein noch unbekanntes Elend will Bekanntschaft mit mir machen?

Lorenz.

Nur allzuvertraut ist mein theurer Sohn mit so beschwerlicher Gesellschaft. Ich bringe dir Nachricht von des Prinzen Urtheil.

Romeo.

Was weniger kan mein Urtheil seyn als der Tod?

Lorenz.

Ein milderer Spruch ergieng von seinen Lippen – – Nicht dein Tod, nur deine Verbannung.

Romeo.

Ha! Verbannung! Sey mitleidiger, sage, Tod; denn Verbannung hat weit mehr schrekliches in ihren Bliken als der Tod selbst. Sage nicht, Verbannung.

Lorenz.

Hier aus Verona bist du verbannt; sey geduldig, die Welt ist weit und breit.

Romeo.

Ausser Verona’s Mauern ist keine Welt, sondern nichts als Fegfeuer, Abgrund und Hölle. Von hier verbannt ist aus der ganzen Welt verbannt, und aus der Welt verbannt seyn, ist Tod. Dieses verbannt ist nur ein unrecht benannter Tod; wenn du den Tod Verbannung nennst, so ist das nichts bessers als ob du mir den Kopf mit einem goldnen Beil abhautest und zu dem Streich lächeltest, womit du mir das Leben nimmst.

Lorenz.

O Todsünde! O rohe Undankbarkeit! Auf dein Vergehen sezt unser Gesez den Tod; der gütige Fürst tritt dazwischen, stößt das Gesez auf die Seite, und verwandelt das schwarze Wort Tod in Verbannung; welch eine Gnade, und du siehst sie nicht?

Romeo.

Marter ist’s, nicht Gnade! Der Himmel ist da, wo Juliette lebt; jede Kaze, jeder Hund, jede kleine Maus, jedes unwürdige Ding lebt hier im Himmel, und kan sie ansehen, nur Romeo nicht. Armselige Schmeis-Fliegen haben mehr Recht, sind achtbarer, edler, glüklicher als Romeo; sie können sich auf die weisse Hand meiner theuren Juliette sezen, und unsterbliche Wonne von ihren Lippen stehlen – – Fliegen können das thun, indeß daß ich von ihr fliehen muß; und sagst du noch, daß Verbannung nicht Tod ist? – – Sie können’s, nur Romeo kan nicht, denn er ist verbannt – – Hast du keinen Gift-Trank, keinen Dolch, kein plözliches Todes-Werkzeug, (so elend es seyn mag, kan es doch nicht so elend seyn als verbannt) mir das Leben zu nemmen? Ha! Verbannt! O Vater, die Verdammten in der Hölle brauchen dieses Wort, und Heulen folgt darauf – – Wie kanst du so unbarmherzig seyn, du ein Mann Gottes, ein geistlicher Vater, ein Beichtiger, und mein erklärter Freund, mich mit diesem verfluchten Wort, zu zerschmettern?

Lorenz.

Wahnwiziger, liebeskranker Thor, höre mich reden – –

Romeo.

O du willst wieder von Verbannung anfangen – –

Lorenz.

Ich will dir Waffen geben, wodurch du dieses Wort von dir abhalten kanst; die süsse Milch der Wiederwärtigkeit – – Philosophie, die dich beruhigen wird, ob du gleich verbannt bist.

Romeo.

Immer noch verbannt? An den Galgen mit Philosophie; wenn Philosophie nicht eine Juliette machen, eine Stadt versezen, die Urthel eines Prinzen aufheben kan, so hilft sie nicht, so nüzt sie nichts, sagt mir nichts mehr davon – –

Lorenz.

Nun dann, tolle Leute haben keine Ohren, wie ich sehe.

Romeo.

Wie sollten sie, wenn kluge Leute keine Augen haben?

Lorenz.

Komm, laß uns vernünftig von deinen Umständen reden – –

Romeo.

Du kanst von dem nicht reden was du nicht fühlst; wärest du so jung wie ich, und wäre Juliette deine Liebste, wärst du vor einer Stunde mit ihr verheurathet, und hättest in dieser Stunde Tybalten umgebracht, und liebtest bis zum Wahnwiz wie ich, und wärest wie ich verbannt – – dann möchtest du reden, dann möchtest du dir die Haare ausrauffen, und dich auf den Boden werfen, wie ich izt thue, und das Maas zu deinem Grabe nemmen. (Er wirft sich auf den Boden.)

Lorenz.

Steh auf – – es klopft jemand: (Man hört klopfen.) Guter Romeo, verbirg dich.

Romeo.

Nein wahrhaftig, wenn nicht der Dampf Herzzersprengender Seufzer, mich wie ein Nebel vor den Augen der Leute verbirgt.

Lorenz.

Horche! was das für ein Klopfen ist! wer ist da? – – (leise.) Romeo steh auf, du wirst ergriffen werden – – (laut.) – – Nur einen Augenblik Geduld! – – (leise.) Steh auf, (Man klopft immer lauter.) lauf in meine Celle – – (laut.) Gleich, gleich – – Um Gottes willen, was für eine Halsstarrigkeit ist das! – – (Man klopft.) Ich komme, ich komme. Wer klopft so stark? Wer seyd ihr? Was wollt ihr?

Amme (hinter der Scene.)

Laßt mich nur ein, so sollt ihr gleich erfahren, worinn mein Auftrag besteht – – Ich komme von Fräulein Juliette – –

Lorenz.

So seyd willkommen – – (Er macht auf.) Die Amme tritt auf.

Amme.

O ehrwürdiger Herr, o sagt mir, ehrwürdiger Herr, wo ist meiner Fräulein ihr Herr? Wo ist Romeo?

Bruder Lorenz.

Hier, auf dem Boden, den seine Thränen überschwemmen.

Amme.

O, so macht er’s gerade wie mein Gnädiges Fräulein, sie macht’s gerade auch so; o trauervolle Sympathie! Gerade so ligt sie, schluchzend und weinend, und weinend und schluchzend – – Die Baken sind ihr ganz davon aufgeschwollen – – Steht auf, steht auf – – Steht, wenn ihr ein Mann seyd – – Um Juliettens willen, um ihrentwillen, auf vom Boden und steht! warum sollt ihr in ein so tiefes O! – – fallen? – –

Romeo.

Amme! – –

Amme.

Ach, Gnädiger Herr, Gnädiger Herr! – – Mit dem Tod hört alles auf.

Romeo.

Redst du von Julietten? Wie steht es um sie? Glaubt sie nicht, ich sey ein verhärtetet Ruchloser, ein Mörder vom Handwerk, da ich die Kindheit unsrer Freude mit ihr so nahverwandtem Blut beflekt habe? Wo ist sie? Was macht sie? Was sagt meine neuangetraute Gemahlin zu den unverhoften Hinternissen unsrer Liebe?

Amme.

O, sie sagt nichts, Gnädiger Herr; sie thut nichts als weinen und weinen, und sinkt dann auf ihr Bett hin, und fährt dann wieder auf, ruft Tybalt, und dann Romeo, – – und sinkt dann wieder von neuem hin – –

Romeo.

– – Als ob dieser Name wie aus dem tödtlichen Canal einer Flinte geschossen, sie ermorde, wie dieses Namens verfluchte Hand ihren Verwandten ermordet hat – – Sag mir, Vater, sag mir, in was für einem verworfnen Theil dieses Körpers mein Name wohnt? Sag mir’s, damit ich die verhaßte Wohnung zerstören kan. (Er zükt seinen Degen.)

Bruder Lorenz.

Halt deine verzweifelnde Hand. Deine Thränen sind unmännlich und deine wilden Bewegungen die Ausbrüche der vernunftlosen Wuth eines wilden Thiers – – Unweibliches Weibsbild in Gestalt eines Manns, wildes Thier in der schönen Gestalt eines vernünftigen Geschöpfs – – Du sezst mich in Erstaunen. Bey meinem heiligen Orden! Ich traute dir mehr Muth, mehr geseztes Wesen zu. Du hast Tybalten erschlagen – – Willt du nun auch dich, auch deine Geliebte, die in dir lebt, ermorden? Verachtest du so, was deine Geburt, was Himmel und Erde für dich gethan haben; alle drey vereinigten sich, dich groß und glüklich zu machen, und du willt alles durch einen Streich verliehren? Fy, fy, du entehrst deine Gestalt, deine Liebe, deine Vernunft, da du, wie ein Wucherer, an allen dreyen so reich bist, und keines zu dem edeln Gebrauch anwendest wozu du es empfiengest. Deine schöne Gestalt ist ohne den tapfern Muth eines Mannes, nur ein wächsernes Bild – – Deine heilig beschwohrne Liebe nur treuloser Meineyd, da du eben diese Liebe tödten willst, die du zu ernähren angelobet hast. Deine Vernunft, welche beyde regieren und verschönern sollte, wird wie Pulver in eines unachtsamen Soldaten Beutel, durch deine eigne Unbesonnenheit in Feuer gesezt, und du durch dasjenige aufgerieben, was dich beschüzen sollte. Wie, stehe auf, Mann, deine Julia lebt noch, um derentwillen du todt warest: Hierinn bist du glüklich. Tybalt wollte dir das Leben nehmen, aber du nahmst es ihm; hierinn bist du auch glüklich. Das Gesez, das dir den Tod dräute, wurde dein Freund, und verwandelte ihn in Verweisung; auch darinn bist du glüklich. Wie viel Glükseligkeiten – – und du erkennst sie nicht? Die Glükseligkeit kleidet dich in ihren schönsten Puz, und wie ein unartiges verdrießliches Mädchen, schielst du dein Glük und deine Liebe mit unzufriednen Bliken an. Nimm dich in acht, nimm dich in acht, solche Leute nehmen meistens ein elendes Ende. Geh, geh zu deiner Geliebten wie es abgeredet war, steig in ihr Zimmer, weg, und tröste sie; aber siehe zu, daß du dich nicht so lange verweilest, bis die Wache aufzieht; sonst könntest du nicht nach Mantua entrinnen, wo du dich so lange aufhalten sollst, bis wir die gelegne Zeit ersehen, eure Heyrath bekannt zu machen, euch mit euern Freunden auszusöhnen, des Prinzen Verzeihung zu erlangen, und dich mit zwanzigtausendmal mehr Freude zurük zu beruffen, als izt der Schmerz ist mit dem du fortgehst. Geh voran, Amme; grüsse mir dein Fräulein, und bitte sie, sie soll machen, daß das ganze Haus fein bald zu Bette komme, wozu die allgemeine Betrübniß sie ohnehin geneigt machen wird. Romeo wird bald nachfolgen.

Amme.

O Herre, ich hätte die ganze Nacht hier stehen mögen, um so gescheidte Sachen reden zu hören: O was das ist, wenn man gestudiert ist! Gnädiger Herr, ich will meiner Fräulein sagen, daß ihr kommen werdet.

Romeo.

Thu das, und bitte sie, sie soll sich gefaßt machen, mich auszuschelten.

Amme.

Hier ist ein Ring, Gnädiger Herr, den sie mir für euch mitgab – – Eilet doch, macht hurtig, es ist schon sehr spät – –

Romeo.

Wie schnell diese Erwartung meinen Muth wiederaufleben macht!

Bruder Lorenz.

Halte dich in Mantua auf; ich will einen zuverläßigen Mann für euch ausfündig machen, der euch von Zeit zu Zeit berichten soll, was für günstige Umstände sich hier für euch ereignen. Gieb mir deine Hand, es ist späte, lebe wohl! Gute Nacht!

Romeo.

Rieffe mich nicht Freude über alle Freuden hinweg, wie schmerzlich würde mir dieser schnelle Abschied seyn! (Sie gehen ab.)

Sechste Scene.

Verwandelt sich in Capulets Haus. Capulet, Lady Capulet und Paris treten auf.

Capulet.

Es sind so unglükliche Umstände eingefallen, mein Herr, daß wir keine Zeit gehabt haben, unsrer Tochter zuzureden. Seht ihr, sie liebte ihren Vetter Tybalt gar herzlich, und das that ich auch – – Wohl, wir werden gebohren, um wieder zu sterben – – Es ist sehr spät, sie wird diese Nacht nicht herunter kommen; ich versichre euch, wenn mir eure Gesellschaft nicht so lieb wäre, ich würde schon eine Stunde im Bette seyn.

Paris.

Ich bescheide mich gerne, daß diese Trauer-Tage keine Zeit zu Liebes-Bewerbungen sind. Gute Nacht, Gnädige Frau – – Empfehlt mich eurer Tochter – –

Lady Capulet.

Ich will, und morgen früh nachforschen, wie sie gesinnt ist – – Für diese Nacht ist sie zu ihrer Traurigkeit eingeschlossen.

Capulet.

Signor Paris, ich getrau es auf mich zu nehmen, euch meines Kindes Liebe zu versprechen: Ich denke, sie wird sich in allen Stüken von mir regieren lassen – – nichts weiter, ich zweifle gar nicht, Frau, geh du noch zu ihr, eh du zu Bette gehst, gieb ihr Nachricht von Signor Paris Liebe, und sag ihr, hörst du, bis nächsten Mittwoch – – aber sachte – – was ist heut für ein Tag? – –

Paris.

Montag, Gnädiger Herr.

Capulet.

Montag? Ha, ha, gut, Mittwoch ist zu bald, laßt es den Donnerstag seyn; nächsten Donnerstag, sag ihr, soll sie mit diesem edeln Grafen vermählt werden – – Wollt ihr bisdahin fertig seyn? Seyd ihr mit dieser Eilfertigkeit zufrieden? – – wir wollen kein grosses Wesen nicht machen – – Einen oder zween Freunde – – Denn, seht ihr, da Tybalt so kürzlich erst ermordet worden, so würde es so herauskommen, als ob wir wenig Antheil an seinem Unfall nähmen, wenn wir grosse Freuden-Bezeugungen anstellen wollten – – Deßwegen wollen wir etwann ein halb Duzend Freunde haben, und damit ist’s aus. Aber was sagt ihr zum Donnerstag?

Paris.

Gnädiger Herr, ich wollte der Donnerstag wäre Morgen.

Capulet.

Gut, gut, geht izt zu Bette – – auf Donnerstag sey es also – – (Zu Lady Capulet.) Du, geh zu Julietten eh du zu Bette gehst, Weib – – Bereite sie auf ihren Hochzeit-Tag vor. Lebt wohl, Graf – – Licht in mein Zimmer, he! – – Geht zu, geht zu, es ist schon so spät, daß wir’s bald früh heissen dürften. Gute Nacht – – (Sie gehen ab.)

Siebende Scene.

Juliettens Zimmer, von der Garten-Seite. Romeo und Juliette, oben an einem Fenster; woran eine Strik-Leiter befestigt ist.

Juliette.

Willt du schon gehen? Es ist noch lange bis zum Tag: Es war die Nachtigall und nicht die Lerche, die dich vorhin erschrekte – – sie pflegt alle Nacht auf jenem Granatbaum zu singen; glaube mir, mein Herz, es war die Nachtigall.

Romeo.

Es war die Lerche, die Heroldin des Morgens, nicht die Nachtigall. Siehst du, meine Liebe, die neidischen Streiffen, die dort im Osten die sich scheidenden Wolken umwinden: Die Kerzen der Nacht sind abgebrannt, und der fröliche Tag gukt auf den Zehen stehend über die Spizen der neblichten Berge. Ich muß gehen und leben, oder bleiben und sterben.

Juliette.

Jenes Licht ist nicht Tag-Licht, glaube mir’s, es ist irgend ein Meteor, das die Sonne ausdünstet, um in dieser Nacht deine Reise nach Mantua zu beleuchten; bleibe noch ein wenig, du sollst nicht so früh gehen.

Romeo.

Laß mich ergriffen, laß mich zum Tod verurtheilt werden; ich bin zufrieden, wenn du es haben willst. Ich will sagen, jenes Grau sey nicht des Morgens Auge, sondern nur der blasse Gegenschein von Cynthia’s Stirne; und es sey nicht die Lerche, deren Noten so hoch über unserm Haupte zu den himmlischen Gewölben hinauftönen. Nichts als die Sorge um unsre Sicherheit kan mich aus deinen Armen reissen; aber Juliette will’s, und der Tod soll mir willkommen seyn. Wie ists, meine Seele? Laß uns schwazen, es ist noch nicht Tag.

Juliette.

Es ist, es ist; verlaß mich, fliehe, mein Geliebter; es ist die Lerche, die so tonloß singt, ihr mißlautendes, unangenehm-scharfes Gurgeln ruft dich weg – – O gehe, gehe, es wird immer heller und heller.

Romeo.

Sage, immer finstrer und finstrer, da ich in wenigen Augenbliken dich nicht mehr sehen werde. Die Amme kommt herein.

Amme.

Gnädige Frau – –

Juliette.

Amme?

Amme.

Euer Gnaden Frau Mutter ist im Begriff heraufzukommen: Der Tag bricht an, nehmt euch in Acht, seht euch vor – – (ab.)

Juliette.

So muß ich dann von meinem Leben scheiden? – –

Romeo.

Lebe wohl, lebe wohl; noch einen Kuß, und ich will gehen. (Romeo steigt aus dem Fenster herab.)

Juliette.

Und gehst du dann so? O mein Liebster, mein Herr, mein Gemahl, mein Freund! Ich muß alle Tage Nachricht von dir haben, alle Stunden, denn in einer Minute ohne dich sind viele Tage. Ach! nach dieser Rechnung werd‘ ich alt seyn, eh ich meinen Romeo wieder sehe.

Romeo.

Lebe wohl, meine Liebe: ich will keine Gelegenheit versäumen, wodurch ich dir meinen Gruß übermachen kan.

Juliette.

Ach, denkst du, wir werden uns jemals wieder sehen?

Romeo.

Zweifle nicht; es wird eine Zeit kommen, wo alle diese Wiederwärtigkeiten uns zum Stoff angenehmer Gespräche dienen werden.

Juliette.

O Gott! ich hab‘ eine Unglük-weissagende Seele – – Mich dünkt, ich seh dich, da ich so auf dich hinunter schaue, wie einen, der todt in seinem Grabe ligt. Entweder werden meine Augen düster, oder du siehst bleich – –

Romeo.

Glaube mir, Liebe, du kommst mir eben so vor; der Kummer trinkt das Blut in unsern Wangen auf – – Lebe wohl, lebe wohl! – – (Romeo geht ab.)

Achte Scene.

Juliette.

O Glük, Glük, alle Leute nennen dich unbeständig; wenn du unbeständig bist, was thust du mit dem, dessen Treue du kennen solltest? Doch, sey immerhin unbeständig, denn so hab ich Hoffnung, daß du ihn nicht lange behalten, sondern mir bald zurückschiken wirst. Lady Capulet tritt auf.

Lady.

Wie, Tochter, seyd ihr schon auf?

Juliette.

Wer ist da, wer ruft? Ist es meine Gnädige Mamma? Was für eine ungewöhnliche Ursache führt sie so früh hieher?

Lady.

Wie, Juliette, wie steht’s um dich?

Juliette.

Ich bin nicht wohl, Gnädige Frau.

Lady.

Immer noch in Thränen um deines Vetters Tod? Wie, hofst du ihn mit deinen Thränen aus seinem Grab herauszuwaschen? Wenn du es auch könntest, so könntest du ihn doch nicht wieder lebendig machen. Gieb dich also einmal zufrieden. Ein gemässigter Schmerz ist ein Beweis der Liebe; aber zuviel Schmerz beweist allemal zu wenig Verstand.

Juliette.

Ich kan einen so empfindlichen Verlust nicht zuviel beweinen.

Lady.

Auf diese Art verewigst du das Gefühl deines Verlusts, und kanst doch den Freund nicht zurük bringen, dessen Verlust du beweinst.

Juliette.

So wie ich den Verlust meines Freundes fühle, kan ich nicht anders als ihn immer beweinen.

Lady.

Gut, Mädchen, du weinst nicht so sehr um seinen Tod, als daß der Bösewicht lebt, der ihn ermordet hat.

Juliette.

Was für ein Bösewicht, Gnädige Frau?

Lady.

Was für ein andrer als Romeo?

Juliette (leise.)

Bösewicht, und er, sind manche Meilen von einander. (laut.) Gott verzeih‘ ihm! Ich thue es von ganzem Herzen – – Und doch ist niemand der meinem Herzen empfindlichere Schmerzen verursacht als er.

Lady.

Du meynst, weil der Verräther lebt – –

Juliette.

Ich, gnädige Frau, – – (leise.) Ohne daß ihn diese meine Arme erreichen können – – (laut.) Ich wollte nichts, als daß ich allein meines Vetters Tod rächen dürfte.

Lady.

Wir wollen uns Rache verschaffen, sey du unbekümmert; höre nur auf zu weinen. Ich will jemand nach Mantua, wo der verbannte Renegat sich aufhält, senden, der ihn bald genug dem Tybalt nachschiken soll; und dann, hoff ich, wirst du doch zufrieden seyn.

Juliette.

In der That, Gnädige Frau, ich werde nie mit Romeo zufrieden seyn, ich seh‘ ihn dann – – todt – – ist mein armes Herz für meinen unglüklichen Freund.* Gnädige Frau, wenn ihr mir nur einen Mann finden könnt, der ihm einen Gift-Trank bringen wollte, ich wollte ihn so mischen, daß Romeo, sobald er ihn eingenommen hätte, im Frieden schlafen sollte – – O! wie mein Herz es verabscheut, daß ich ihn nennen höre – – und nicht zu ihm kommen kan – – um die Liebe, die ich zu meinem ermordeten Vetter trug, an der Person desjenigen auszulassen, der ihn ermordet hat.

Lady.

Finde du nur das Mittel aus, und laß du mich für den Mann sorgen. Aber nun will ich dir eine angenehme Zeitung sagen, Mädchen.

Juliette.

Sie kommt sehr zu gelegner Zeit, wenn sie angenehm ist. Und worinn besteht sie dann, wenn ich Euer Gnaden bitten darf?

Lady.

Gut, gut, du hast einen sorgfältigen Vater, Kind; der, um dich von deiner Schwermuth zu befreyen, einen unverhoften Freuden-Tag angeordnet hat, an den keine von uns beyden dachte.

Juliette.

Und darf man fragen, was für ein Tag das ist, Gnädige Frau?

Lady.

Den nächsten Donnerstag, mein Kind, früh Morgens wird der junge, edle, liebenswürdige Graf Paris in St. Peters Kirche dich zu einer glüklichen Braut machen.

Juliette.

Nun, bey St. Peters Kirch, und bey St. Peter selbst, das soll er nicht. Ich bin sehr verwundert, daß ich mit so grosser Eilfertigkeit vermählt werden soll, eh mein bestimmter Gemahl sich die mindeste Mühe um mich gegeben hat. Ich bitte Eu. Gnaden, sagt meinem Herrn und Vater, daß ich noch nicht heurathen will; und wenn ichs thue, so soll es eher Romeo seyn, den ich hasse, wie ihr wißt, als Paris – – das sind neue Zeitungen, in der That!

Lady.

Hier kommt euer Vater, sagt ihm das selbst, und seht wie wohl ers von euch aufnehmen wird. Capulet und Amme zu den Vorigen.

Capulet.

Nun, wie gehts? was machst du, Mädchen? Wie, immer noch Thränen? Immer regnerisch? Du stellst in deiner einzigen kleinen Person ein Schiff, die See und den Wind vor; deine Augen, die eine immer abwechselnde Ebbe und Fluth von Thränen machen, sind die See; dein Leib ist das Schiff das in dieser salzichten See dahersegelt; und die Winde deine Seufzer, die, mit deinen Thränen in die Wette rasend, wenn nicht eine plözliche Stille erfolgt, deinen vom Sturm herumgewälzten Leib endlich untergehen machen werden – – Was ist’s, Frau? Habt ihr dem Mädchen unsern Entschluß bekannt gemacht?

Lady.

Ja, mein Herr; aber sie will nichts davon hören, sie bedankt sich davor; ich wollte, die Närrin wäre mit ihrem Grabe verheurathet.

Capulet.

Sachte, nehmt mich mit, Frau, nehmt mich mit euch. Wie, sie will nichts davon hören? Sie dankt uns nicht davor? Sie ist nicht stolz darauf, sie schäzt sich nicht glüklich so unwürdig als sie ist, daß wir ihr einen so würdigen Edelmann zum Bräutigam auserkohren haben?

Juliette.

Nicht stolz darauf, daß ihr es gethan habt, aber doch dankbar; stolz kan ich nicht seyn auf etwas das ich hasse, aber dankbar, selbst für etwas Böses das eure Liebe gut gemeynt hat.

Capulet.

Wie, was, wie, Distinctionen-Macherin? Was soll das bedeuten? Stolz! und ich dank euch! und ich dank euch nicht! und doch nicht stolz! – – Wie, Fräulein Wunderlich, Ihr, schwazt mir nichts von Dank und Stolz und Unstolz und Undank daher, sondern legt eure schönsten Kleider auf Donnerstag Morgen zurechte, um mit Paris zur St. Peters Kirche zu gehen, oder ich will dich auf einer Schleiffe hinziehen lassen. Aus meinem Gesicht, du bleichsüchtiges Raben-Aas! Fort, du Sausödel! du Talk-Gesicht!

Lady Capulet.

Fy, fy, wie, seyd ihr toll?

Juliette.

Liebster Herr Vater, ich bitte euch auf meinen Knien, hört mich nur ein einziges Wort mit Geduld an.

Capulet.

An den Galgen, du junge Meze! Ungehorsame, leichtfertige Creatur! Ich will dir was sagen, geh mir auf den Donnerstag in die Kirche, oder komm mir nimmer vor mein Angesicht. Sag nichts, replicier nicht, antworte mir nichts; meine Finger juken mir. Weib, wir hielten uns kaum für glüklich, weil uns Gott nur dieses einzige Kind gegeben hatte; aber nun seh ich, daß dieses einzige zuviel ist, und daß wir sie zu einem Fluch bekommen haben – – Aus meinem Gesicht, Bastart!

Amme.

Gott im Himmel segne sie! Ihr habt unrecht, Gnädiger Herr, daß ihr so hart mit ihr verfahrt.

Capulet.

Und wie, My Lady Weisheit? Haltet ihr euer Maul, und schnattert mit euern Gevattrinnen – – pakt euch – –

Amme.

Ich rede nichts unrechtes; – – O, Gott gebe euch einen guten Tag – – Darf eins nicht mehr reden?

Capulet.

Still, still, ihr murmelnde Närrin, spielt eure Gravität wenn ihr mit euern Gevatterinnen zecht; hier haben wir ihrer nicht vonnöthen.

Lady.

Ihr seyd zu hizig.

Capulet.

Wie, Sakerlot! Soll einen das nicht wild machen? Tag und Nacht, früh und spat, daheim und ausser dem Haus, allein und in Gesellschaft, wachend und schlafend ist immer meine einzige Sorge gewesen, wie ich sie wohl verheurathen wolle: und izt, da ich einen wakern jungen Edelmann, von schönen Mitteln, von der ansehnlichsten Verwandtschaft, für sie gefunden habe; der, wie alle Leute sagen, Verdienste hat; kurz einen Mann, wie man sich einen wünschen mag, soll ich eine heillose alberne Tröpfin, ein pinselndes Püpchen haben, die, wenn das Glük sie anlacht, antwortet: Ich will noch nicht heurathen – – Ich kan nicht lieben – – Ich bin noch zu jung – – ich bitte um Vergebung – – Gut, wenn ihr nicht heurathen wollt, so will ich euch vergeben; graßt wo ihr wollt, aber mit mir sollt ihr nicht in einem Hause leben; Ueberlegts, denkt ihm nach, es ist mein Brauch nicht, zu spassen. Es ist nicht mehr lange bis Donnerstag; leg die Hand auf dein Herz, bedenk dich; wenn du mein bist, so will ich dich meinem Freunde geben; und bist du’s nicht, so häng dich, bettle, verhungre, stirb auf der Strasse; bey meiner Seele, ich will dich nicht für mein Kind erkennen, und du sollst von dem meinigen nicht soviel bekommen, als du auf der Zunge spüren könntest – Verlaß dich drauf, und bedenk dich, ich werde meinen Eyd gewiß nicht brechen. (Er geht ab.)

Juliette.

Ist denn hier kein mitleidiges Wesen, in den Wolken sizend, das in den Grund meines Schmerzens hinabschaut? – – O meine liebste Mutter, werft mich nicht hinweg, verschiebt diese Heurath nur einen Monat – – nur eine Woche; oder, wenn ihr nicht wollt, so macht mein Braut-Bette in das düstre Begräbniß, wo Tybalt ligt.

Lady Capulet.

Wende dich nicht an mich, ich will kein Wort reden: Thu, was du willst, ich habe dir nichts mehr zu sagen. (Sie geht ab.)

Juliette.

O Gott! O Amme, wie kan diesem vorgebaut werden? Mein Gemahl ist auf Erden; meine Treue im Himmel; wie kan diese Treue wieder zurük kommen, wenn nicht mein Gemahl sie mir zurükschikt, indem er die Erde verläßt? – – Tröste mich, gieb mir einen Rath. O Jammer, Jammer, daß der Himmel so hart, so streng mit einem so sanften Geschöpf als ich bin, verfahren soll! Was sagst du? Hast du kein einziges tröstliches Wörtchen? Nur einen kleinen Trost, Amme! – –

Amme.

Ey ja, und hier ist er; Romeo ist verbannt: Ich wette die ganze Welt gegen nichts, daß er das Herz nicht hat, zurük zu kommen, und Anspruch an euch zu machen; oder wenn ers thun wollte, so müßt er’s doch nur heimlich thun. Weil also die Umstände so beschaffen sind, so wäre das beste, däucht mich, ihr nähmet den Grafen. Oh, er ist ein liebenswürdiger junger Herr! Romeo ist nur ein Feg-Lumpen gegen ihn; ein Adler hat kein so scharfes, so munteres, so schönes Aug als Paris hat. Ich will nicht ehrlich seyn, wenn diese andre Partie nicht besser ist als die erste; und wenn es auch nicht wäre, so ist ja euer erster Mann gestorben, oder so viel als gestorben, da er fern von hier lebt, und euch zu nichts gut ist.

Juliette.

Redst du aus deinem Herzen?

Amme.

Und aus meiner Seele dazu, oder ich will beyde verlohren haben!

Juliette.

Amen.

Amme.

Was?

Juliette.

Gut; du hast mir einen vortrefflichen Trost gegeben; geh hinein, und sag der Gnädigen Frau, weil ich meinen Vater erzürnt habe, so sey ich in Bruder Lorenzens Celle gegangen, um meine Beicht abzulegen, und den Ablaß zu empfangen.

Amme.

Meiner Six, das will ich; und es ist auch wohl gethan. (Sie geht ab.)

Juliette.

Alte Todsünde! böser verführischer Teufel! Es ist wol eine grössere Sünde von dir, daß du mich treubrüchig machen willst, und daß du meinen Gemahl mit eben dieser Zunge lästerst, mit der du ihn so viel tausendmal über alles erhoben hast? Geh, Rathgeberin – – du und mein Busen sollen von nun an keine Gemeinschaft mehr mit einander haben: Ich will zu dem Pater, um zu hören, ob er mir zu helfen weiß; und fehlt alles andre, so hab ich Muth zum Sterben. (Sie geht ab.)

* Der Leser bemerkt ohne unsre Erinnerungen, den erkünstelten Doppelsinn in den Reden der Juliette, womit der Autor ein ziemlich kindisches Spiel treibt. Man hat sie, so gut es möglich war, auszudrüken gesucht, obgleich die natürliche Wortfügung in unsrer Sprache sich nicht recht dazu bequemen wollte.

Vierter Aufzug.

Erste Scene.

Das Kloster. Bruder Lorenz und Paris treten auf.

Bruder Lorenz.

Auf den Donnerstag, Gnädiger Herr! Die Zeit ist sehr kurz.

Paris.

Mein Vater Capulet will es so haben, und seine Eilfertigkeit stimmt zu sehr mit meinen Wünschen überein, als daß ich sie aufzuhalten gedenken könnte.

Bruder Lorenz.

Ihr gesteht doch, daß ihr die Gesinnungen der jungen Dame noch nicht wißt – – Diese Sache geht nicht wie sie gehen soll; es gefällt mir gar nicht.

Paris.

Sie überläßt sich einer ganz unmässigen Traurigkeit über Tybalts Tod, und das war die Ursache, warum ich ihr noch wenig von Liebe sagen konnte; denn Venus lächelt nicht in einem Trauer-Hause. Nun hält es ihr Vater für gefährlich, daß sie ihrem Kummer so viel Plaz geben solle, und beschleuniget unsre Vermählung, in der Absicht, dem Lauf ihrer Thränen dadurch Einhalt zu thun; allein und sich selbst überlassen, findet sie eine Art von Ergözung darinn, eine Traurigkeit zu nähren, von der nichts als die Gesellschaft sie zerstreuen kan. Begreift ihr nun die Ursache dieser Eilfertigkeit?

Bruder Lorenz (bey Seite.)

Ich wollt‘, ich wißte nicht, warum ihr Einhalt gethan werden muß – – Seht, Gnädiger Herr, hier kommt das Fräulein gegen meine Celle her. Juliette zu den Vorigen.

Paris.

Willkommen, meine Liebe, meine Gebieterin, und mein Weib.

Juliette.

Das erste mag alsdann seyn, wenn das lezte seyn kan.

Paris.

Das wird, das muß nächsten Donnerstag seyn, meine Liebe.

Juliette.

Was seyn muß, das wird seyn.

Bruder Lorenz.

Das ist ein Text, über den kein Streit seyn kan.

Paris.

Kommt ihr, diesem Vater zu beichten?

Juliette.

Wenn ich diese Frage beantwortete, so würd‘ ich euch beichten.

Paris.

Läugnet ihm wenigstens nicht, daß ihr mich liebet.

Juliette.

Ich will euch hiemit gebeichtet haben, daß ich ihn liebe.

Paris.

Das will ich auch; ich bin gewiß, daß ihr mich liebt.

Juliette.

Wenn ich das thue, so würd‘ es von grösserm Werth seyn, es hinter euerm Rüken, als es euch ins Gesicht zu sagen.

Paris.

Arme Seele, dein Gesicht ist ganz von Thränen entstellt.

Juliette.

Die Thränen haben nur einen kleinen Sieg dadurch erhalten, denn es war vorhin schon schlecht genug.

Paris.

Du thust ihm mehr Unrecht, mein Kind, indem du das sagst, als alle deine Thränen.

Juliette.

Was die blosse Wahrheit ist, mein Herr, ist keine Verläumdung; und was ich da sagte, sagt‘ ich zu meinem Gesicht.

Paris.

Dein Gesicht ist mein, und du hast es verleumdet.

Juliette.

Es mag seyn, denn mein ist es in der That nicht – – Ist es euch izt gelegen, heiliger Vater, oder soll ich nach der Vesper wieder kommen?

Bruder Lorenz.

Ich habe izt Musse, meine Gedanken-volle Tochter. Gnädiger Herr, mit eurer Erlaubniß – –

Paris.

Gott verhüte, daß ich eure Andacht stören wolle – – Juliette, nächsten Donnerstag will ich euch früh genug weken – – bis dahin, adieu, mit diesem unschuldigen Kuß. (Paris geht ab.)

Juliette.

Geh, verschließ die Thür, und wenn du’s gethan hast, so komm, und weine mit mir – – Mein Elend läßt keine Hoffnung, kein Mittel, keine Rettung übrig.

Bruder Lorenz.

O Juliette, ich kenne deine Noth, und es ängstigt mich, daß ich kein Mittel kenne dir zu helfen. Bis nächsten Donnerstag, hör‘ ich, sollt ihr an diesen Grafen vermählt werden, und nichts kan es hintertreiben.

Juliette.

Sage mir nichts davon, daß du das hörst, wenn du mir nicht sagen kanst, wie ich’s vermeiden kan. Wenn deine Weisheit dir kein Mittel an die Hand geben kan, so billige du nur meinen Entschluß, und ich will mir auf der Stelle durch diesen Dolch helfen. Gott vereinigte mein Herz und Romeo’s; du, unsre Hände; und eh diese Hand, die du meinem Romeo versiegelt hast, eh dieses Herz, das ihn allein für seinen Herrn erkennt, verräthrischer Weise sich einem andern ergeben soll, eh soll dieser Stahl beyden die Bewegung rauben. Suche also in der Wissenschaft, womit die graue Erfahrung eines langen Lebens dich bereichert hat, einen schleunigen Rath; oder gestatte, daß dieses blutige Messer der Schiedrichter zwischen mir und meinem grausamen Schiksal sey – – Antworte mir kurz – – ein jeder Augenblik den ich noch lebe, ist mir verhaßt, wenn das was du mir sagen willst, kein Rettungs-Mittel ist.

Bruder Lorenz.

Halt ein, meine Tochter, ich entdeke eine Art von Hoffnung, die von einem eben so verzweifelten Mittel abhängt, als dasjenige ist, was wir vermeiden wollen. Wenn du entschlossen bist dir eher selbst das Leben zu nehmen, als den Grafen Paris zu heurathen, so ist zu vermuthen, du werdest dir kein Bedenken machen etwas zu wagen, das dem Tod ähnlich ist, um einer Schande zu entgehen, der du dich durch den Tod selbst zu entziehen bereit bist. Wofern du also Muth genug dazu hast, will ich dir ein Mittel geben.

Juliette.

O, befiehl mir, eher als daß ich mich dem Paris überlasse, von den Zinnen jenes Thurms herabzuspringen, oder feßle mich an die felsichte Spize eines steilen Gebürgs, wo heulende Bären und Grimm-volle Löwen schwärmen – – Oder schließ mich eine ganze Nacht durch in ein Beinhaus ein, bis an den Hals, mit morschen Todten-Knochen, dürren Schien-Beinen, und kahlen gelben Schädeln bedekt – – oder befiehl mir in ein neugemachtes Grab zu gehen, und mich zu einem Todten unter sein Leichen-Tuch zu verbergen – – Dinge, wovon der blosse Gedanke mich zittern macht – – befiehl mir’s, und ich will es ohne Zögern thun, um meinem Geliebten eine unbeflekte Treue zu erhalten.

Bruder Lorenz.

Wolan dann, so geh heim, sey aufgeräumt, und thu, als ob du in deine Vermählung mit dem Paris einwilligest; morgen ist Mittwoch; morgen Nachts siehe, daß du dich von deiner Amme erledigest, und allein ligen könnest; und wann du dann in deinem Bette bist, so nimm diese Phiole, und trinke sie rein aus, so wird augenbliklich ein erkältender einschläfernder Dunst durch alle deine Adern lauffen, und jeden deiner Lebens-Geister binden; der Kreislauf deines Bluts wird stillstehen, keine Wärme, kein Athem wird verrathen, daß du noch lebest; die Rosen auf deinen Lippen und Wangen werden zu aschfarber Blässe verwelken; deine Auglieder sich schliessen, als ob der Tod selbst sie vorm Licht des Tages verriegelt hätte; jeder Theil, seiner elastischen Biegsamkeit beraubt, wird steif, kalt und starr seyn; und in dieser anscheinenden Todes-Gestalt wirst du zwo und vierzig Stunden verharren, und dann wie aus einem süssen Schlaf erwachen. Wenn nun der Bräutigam des Morgens kommt, dich aufzuweken, so bist du todt, und wirst dann, nach dem Gebrauch unsers Landes, in deinem schönsten Anzug in eine Baare ohne Dekel gelegt, und in das Begräbniß deiner Familie gebracht – – in eben diese alte Gruft, wo alle Abkömmlinge der Capulets ligen. In der Zwischen-Zeit bis du erwachst, will ich durch Briefe den Romeo von unserm Anschlag benachrichtigen, und ihn hieher beruffen; er und ich wollen dein Erwachen abwarten, und in der nemlichen Nacht soll Romeo dich von hier nach Mantua bringen. Hier hast du das Mittel, das dich von der vorschwebenden Schande, die du fürchtest, retten kan, wenn du frey genug von weibischer Zagheit bist, es mit Entschlossenheit zu gebrauchen.

Juliette.

Gieb mirs, o, gieb mir’s, sag mir nichts von Furcht. (Sie nimmt die Phiole.)

Bruder Lorenz.

Gut, geh izt, und bleibe standhaft bey diesem Entschluß; ich will eilends einen vertrauten Ordensmann mit Briefen an deinen Gemahl nach Mantua senden.

Juliette.

Liebe, gieb mir Stärke, und Stärke wird mir Hülfe geben – – Lebet wohl, mein theurer Vater! – – (Sie gehen ab.)

Zweyte Scene.

Verwandelt sich in Capulets Haus. Capulet, Lady Capulet, Amme, und zween oder drey Bediente treten auf.

Capulet.

Lade alle Gäste ein, deren Namen auf diesem Papier sind – – Du, geh und bestelle mir zwanzig gute Köche.

Bedienter.

Ihr sollt keinen schlechten kriegen, Gnädiger Herr, denn ich will probieren, ob sie ihre Finger leken können.

Capulet.

Wie willst du das probieren?

Bedienter.

Sapperment, Gnädiger Herr, das muß ein schlechter Koch seyn, der seine eigne Finger nicht leken kan; wenn also einer seine Finger nicht leken kan, so soll er daheim bleiben.

Capulet.

Geh, geh – – Wir werden schlecht genug auf einen solchen Anlaß versehen seyn – – He? ist meine Tochter zu Bruder Lorenzen gegangen?

Amme.

Ja, wahrlich.

Capulet.

Gut; vielleicht kan er etwas gutes bey ihr ausrichten: die unartige, eigensinnige Beze, die sie ist! Juliette zu den Vorigen.

Amme.

Seht, da kommt sie von der Beichte; sie sieht ganz frölich aus – –

Capulet.

Was giebts, Starr-Kopf? Wo seyd ihr herumgeschwärmt?

Juliette.

Ich war an einem Ort, wo ich die Sünde des Ungehorsams gegen euch und eure Befehle bereuen lernte, und wo mir auferlegt wurde, auf meine Knie zu fallen und euch um Vergebung zu bitten – – Vergebet mir also, ich bitte euch; von nun an soll euer Wille allezeit meine Richtschnur seyn.

Capulet.

Schikt nach dem Grafen, geht, sagt ihm das; ich will diesen Knoten gleich morgen zusammengeknüpft haben.

Juliette.

Ich traf ihn in Bruder Lorenzens Celle an, und begegnete ihm so freundlich als ich konnte, ohne die Grenzen der Anständigkeit zu überschreiten.

Capulet.

Gut, das hör‘ ich gerne, es ist gut, steh auf; es ist wie es seyn soll; ich muß den Grafen sehen – – He, zum Henker, geht, sag‘ ich, und holt ihn her – – Nun, bey Gott, dieser Pater ist in der That ein ehrwürdiger heiliger Mann, und ein Mann, dem unsre ganze Stadt viel zu danken hat.

Juliette.

Amme, wollt ihr mit mir in mein Zimmer gehen, und mir den Puz aussuchen helfen, den ihr auf den morgenden Tag schiklich findet?

Lady Capulet.

Es ist noch Zeit genug bis Donnerstag.

Capulet.

Geh, Amme, geh mit ihr; morgen soll die Ceremonie vor sich gehen. (Juliette und Amme gehen ab.)

Lady Capulet.

Aber wo sollen wir auf diese Weise Zeit zu den Vorbereitungen hernehmen? Es ist schon beynahe Nacht.

Capulet.

Still, ich will selbst ausgehen, und es soll für alles gesorgt werden, Frau, ich stehe dir davor. Geh du zu Julietten, hilf sie aufpuzen; ich will heute nicht zu Bette gehen, laß mich allein: Ich will einmal in meinem Leben die Hausmutter vorstellen – – he! holla! – – Sie sind alle fort; gut, ich will selbst zu Graf Paris gehen, damit er sich auf morgen gefaßt mache. Es ist mir recht leicht um’s Herz, seitdem sich das Hexen-Mädchen so zum Ziel gelegt hat. (Sie gehen ab.)

Dritte Scene.

Juliettens Zimmer.

Juliette und die Amme treten auf.

Juliette.

Ja, dieser Anzug ist der beste; aber, liebe Amme, ich bitte, laß mich heute Nacht allein; ich werde einen guten Theil davon mit beten zubringen, um den Himmel zu bewegen, daß er mein Vorhaben begünstige – – Du kennst meine sündhaften Umstände, und weißst also wol, daß ichs nöthig habe. Lady Capulet zu den Vorigen.

Lady.

Wie, so geschäftig? Kan ich euch was helfen?

Juliette.

Nein, Gnädige Mamma, wir haben alles zusammengesucht, was wir auf unsern morgenden Umstand nöthig haben können; wenn ihr’s erlauben wolltet, so wünscht‘ ich izt allein gelassen zu werden, und daß ihr die Amme bey euch aufbleiben liesset; denn ich bin gewiß, daß ihr bey diesem unverhoften Vorfall alle Hände voll zu thun haben werdet.

Lady Capulet.

Gute Nacht, geh du zu Bette und schlafe; du hast es vonnöthen. (Lady Capulet und Amme gehen ab.)

Juliette.

Gute Nacht – – Gott weiß, wenn wir uns wieder sehen werden! – – Ich weiß nicht was für ein kalter schrekhafter Schauer durch meine Adern fährt – – Ich will sie zurükruffen, daß sie mir einen Muth einsprechen – – Amme! – – Aber was soll sie hier? Ich muß meine schrekenvolle Scene nothwendig allein spielen – – Komm, Phiole – – Wie wenn diese Tinctur keine Würkung thäte? Soll ich mich dann mit Gewalt an den Grafen verheurathen lassen? Nein, nein, diß soll es verwehren – – Lig‘ du hier – – (Sie weißt auf einen Dolch.) Wie, wenn es ein Gift wäre, das mir der Pater auf eine feine Art beybringen will, um mich aus dem Wege zu schaffen, aus Furcht seine Ehre möchte unter dieser Heurath leiden, da er mich schon vorher mit dem Romeo getrauet hat? Ich fürcht‘, es ist so, und doch, däucht mich, kan es nicht seyn, denn er ist immer als ein heiliger Mann befunden worden. Wie, wenn ich, nachdem man mich in die Gruft geleget, eher erwache als Romeo gekommen ist, mich abzuholen? Das ist ein fürchterlicher Umstand: Werd ich nicht in diesem Gewölbe, dessen fauler Mund keine gesunde Luft einathmet, von dem verpesteten Schwall erstikt werden, eh mein Romeo kommt? Und wenn ich auch lebe, ist es nicht ganz natürlich, daß die grauenvolle Scene von Tod und Nacht, die Vorstellung des Orts, wo ich bin – – in diesem uralten Gewölbe, wo seit so vielen hundert Jahren die Gebeine aller meiner Vorfahren zusammengehäuft ligen – – wo der blutige Tybalt in gähnender Verwesung in seinen Grabtüchern ligt – – wo, wie man sagt, zu gewissen Stunden in der Nacht Geister gehen – – O! Himmel, ist es nicht wahrscheinlich, daß die scheuslichen Ausdünstungen, das gräßliche Geheul der Gespenster, (gleich den Alraunen, wenn sie aus der Erde gerissen werden,) Töne, von deren Anhören lebende Menschen den Verstand verliehren – – mich vor der Zeit erweken werden; oder wenn ich erwache, werd‘ ich von allen diesen Schreknissen umringt, von Sinnen kommen, wahnwiziger Weise mit meiner Voreltern Gebeinen spielen, den halbverfaulten Tybalt aus seinen Tüchern reissen, und in dieser Raserey, mit den Knochen irgend eines grossen Ahnherrn, wie mit einer Keule, mir mein verzweifelndes Gehirn ausschlagen? – – O! Sieh, mich däucht ich sehe meines Vetters Geist, der diesen Romeo bey mir sucht, seinen Mörder! und meinen Gemahl! – – Halt, Tybalt, halt! Romeo, ich komme! Diß trink ich dir zu. (Sie trinkt die Phiole aus, und wirft sich auf ihr Bette.)

Vierte Scene.

Ein Vorsaal in Capulets Hause.

Lady Capulet und die Amme treten auf.

Lady Capulet.

Warte, nimm diese Schlüssel, und hole mehr Gewürz, Amme.

Amme.

Sie ruffen um Datteln und Quitten in die Tarte? Capulet zu den Vorigen.

Capulet.

Auf, munter, hurtig, regt euch, der Hahn hat schon zum andern mal gekräht, die Morgen-Gloke ist schon geläutet worden, es ist drey Uhr – – Sieh zu dem Bakwerk, gute Angelica – – Spar’t nur nichts an den Sachen – –

Amme.

Geht, geht, und mengt euch nicht in Weiber-Sachen – – geht in euer Bett, ihr werdet morgen krank dafür seyn, daß ihr diese Nacht nicht geschlaffen habt.

Capulet.

Nein, nichts weniger – – was? Ich denke wol der Zeit, da ich ganze Nächte durch um einer schlechtern Ursache willen gewacht habe, und bin nie krank geworden.

Lady.

Ja, ja, ihr seyd ein feiner Mäuse-Jäger in eurer Jugend gewesen – – aber heutigs Tags will ich euch schon bewachen, daß ihr nicht so wachen sollt. (Lady Capulet und Amme gehen ab.)

Capulet.

Eifersucht, pure Eifersucht! Nun, Bursche, was giebt’s hier zu thun? Drey oder viere mit Bratspiessen, Körben, Holz, u. s. w. treten auf.

Bedienter.

Sachen für den Koch, Gnädiger Herr, aber ich weiß nicht was.

Capulet.

Macht hurtig, macht hurtig; Schurke, hole trokneres Holz, ruf dem Peter, er wird dir weisen wo es ligt.

Bedienter.

Gnädiger Herr, um Klöze zu finden, hab‘ ich selber Kopfs genug, ich brauche keinen Peter dazu.

Capulet.

Sakerlot! wol gegeben, – – du hast Wiz, Bursche, ha, ha – – Aber bey meiner Treue, es ist schon Tag – – (Man hört Musik von Ferne.) Der Graf wird bald mit Musicanten hier seyn – – er hat es versprochen – – Ich hör ihn schon kommen. Amme – – Frau – – wie, holla, he! Amme, sag ich! Die Amme kommt. Geh, weke Julietten, geh und puze sie auf, ich will gehn und indeß mit Paris schwazen: Fort, mach hurtig, mach hurtig, der Bräutigam ist schon da – – Mach hurtig, sag ich – – (Sie gehen ab.)

Fünfte Scene.

Verwandelt sich in Juliettens Schlaf-Zimmer; Juliette ligt

auf dem Bette.

Die Amme tritt wieder auf.

Amme.

Gnädiges Fräulein he! Fräulein! Juliette Das heißt geschlaffen, das gesteh ich – – he, Däubchen – – he, Fräulein – – fy, ihr Sieben-Schläferin – – he! Liebchen, sag ich – – Fräulein – – Herzchen – – Braut – – wie? nicht ein Wort? Ich seh, ihr nehmt für eure drey Pfenninge zum Voraus; ihr schlaft vor die ganze Woche; gut, in der nächsten Nacht, da bin ich gut dafür, wird Graf Paris Mann dafür seyn, daß ihr wenig genug schlafen sollt – – Gott verzeih mir’s – – heilige Marie! und Amen! – – was für einen gesunden Schlaf sie hat! Ich muß sie aufschreyen – – Fräulein, Fräulein, Fräulein – – Nun, wahrlich, laßt nur den Grafen euch in sein Bette kriegen, er wird euch aufrütteln, mein Treu – – Kan’s denn nicht seyn? Wie, angezogen, in euern Kleidern – – und wieder zurük! – – Ich muß Ernst brauchen – – Fräulein, Fräulein, Fräulein – – O Gott! o Gott! helft, helft, helft! Mein Fräulein ist todt! O Herzenleid! O! warum mußt ich gebohren werden! – – O, einen Schluk Aquavit – – he! – – Gnädiger Herr! Gnädige Frau! Lady Capulet.

Lady Capulet.

Was ist hier für ein Geschrey?

Amme.

O unglükseliger Tag!

Lady Capulet.

Was ist’s, was ist’s?

Amme.

Da seht – – O unglüklicher Tag!

Lady Capulet.

O Gott, o Gott! mein Kind, mein einziges Leben! leb wieder auf, sieh mich an, oder laß mich mit dir sterben. Hülfe, Hülfe! schrey um Hülfe! Capulet zu den Vorigen.

Capulet.

Schämt euch doch, warum bringt ihr Julietten so lange nicht; ihr Gemahl ist gekommen.

Amme.

Sie ist todt, gestorben ist sie, sie ist todt: O! daß es Gott erbarme!

Capulet.

Ha! laßt mich sehen – – O Himmel! es ist aus, sie ist kalt, ihr Blut ist gestockt und ihre Gelenke sind starr – – ihre Lippen sind ohne Leben, der Tod ligt auf ihr, wie ein frühzeitiger Frost auf der angenehmsten Blume des ganzen Gefildes. Verfluchter Unfall! Unglükseliger alter Mann!

Amme.

O des kläglichen Hochzeit-Tags!

Lady Capulet.

Arme trostlose Mutter!

Capulet.

Der Tod, der mir die Freude meines Alters geraubt hat, bindet meine Zunge, und will mich nicht reden lassen. Bruder Lorenz und Paris mit Musicanten.

Bruder Lorenz.

Kommt, ist die Braut fertig zum Kirchgang?

Capulet.

Zum Kirchgang, aber nicht zur Heimholung. O Sohn, in der Nacht vor deinem Hochzeit-Tag ist der Tod bey deinem Weibe gelegen. Sieh, hier ligt sie, die holde Blume die sie war, nun von ihm ihres Schmuks beraubt: Der Tod ist mein Tochter-Mann.

Paris.

Hab ich so lange mich gesehnt, diesen Morgen zu sehen, und giebt er mir nun einen solchen Anblik?

Lady Capulet.

Verfluchter, elender, unseliger, verhaßter Tag! Jammervolleste Stunde, die jemals die Zeit auf ihrer immerwährenden Pilgrimschaft erblikte! Nur ein einziges, ein armes, einziges, liebes, zärtliches Kind; nur ein einziges, das mir zur Freude und zum Trost war, und der unbarmherzige Tod hat es mir weggenommen.*

Capulet.

Unseliger Zufall! – – Mußte unsre Freude auf eine so meuchelmördrische Art ermordet werden! O mein Kind, mein Kind! Meine Seele, nicht mein Kind, sollst du todt seyn? O Gott, todt! – – Mein Kind ist todt – – alle meine Hoffnungen sinken mit ihm ins Grab.

Bruder Lorenz.

Nun, so hemmt doch endlich diesen Ausbruch der Ungeduld und Verzweiflung! Alle diese trostlosen Klagen können euer Weh nicht heilen: Der Himmel und ihr hattet Antheil an diesem liebenswürdigen Mädchen; nun hat der Himmel Alles, und desto besser ist es für sie. Euern Antheil an ihr konntet ihr nicht vor dem Tode bewahren: Aber der Himmel erhält den seinen bey ewigem Leben. Alles was ihr suchtet, war ihre Erhebung – – und ihr weint nun, sie über die Wolken, so hoch als der Himmel selber ist, erhoben zu sehen? Was für eine verkehrte Liebe zu euerm Kind ist das, daß ihr von Sinnen kommen wollt, da ihr seht daß sie glüklich ist! Troknet eure Thränen, umstekt diese schöne Leiche mit Rosmarin, und traget sie, wie es der Gebrauch ist, in ihrem besten Anzug in die Kirche.

Capulet.

Alle Zurüstungen, die wir zu unserm Fest gemacht haben, verwandeln sich nun in ein trauervolles Leichen-Gepränge. Unsre musicalischen Instrumente in melancholische Todten-Gloken, unser hochzeitliches Gastmahl in ein schwermüthiges Leichen-Mahl, unsre festlichen Lobgesänge in bange Klaglieder, und unsre hochzeitlichen Blumen-Kränze dienen nun eine Todten-Baare zu schmüken – – O der kläglichen Verwandlung!

Bruder Lorenz.

Gnädiger Herr, geht hinein, und ihr, Madam, geht mit ihm, und ihr, Signor Paris; ein jedes bereite sich, diese schöne Leiche zu ihrem Grabe zu begleiten; und hütet euch, durch murrende Ungeduld den über euch schwebenden Zorn des Himmels noch mehr zu reizen. (Sie gehen ab.) Sechste Scene. Die Amme und die Musicanten bleiben, wie natürlich, zurük. Die leztern sind so fein, es von sich selbst zu merken, daß sie hier zu nichts mehr nuzen, und die weise Amme sagt es ihnen noch zum Ueberfluß; sie steken also ihre Pfeiffen ein, und wollen gehen. Aber zu grossem Vergnügen der Zuschauer in den obersten Gegenden kommt Peter, und verlangt, daß sie ihm ein lustiges Stükchen aufspielen sollen; dieses giebt dann den Anlaß zu einem kleinen Divertissement von Wortspielen und Spässen im Geschmak des Wiener-Harlequins; einer Abwechslung, die freylich, (wie der sinnreiche Herr von Voltaire weislich bemerkt,) dem Geschmak unsers Autors und seiner Zeitgenossen wenig Ehre macht, aber doch den Vortheil mit sich führt, daß die Zuschauer, (welche ans Ende doch in die Comödie gegangen sind, um sich einen Spaß zu machen,) durch die kläglichen Scenen nicht gar zu sehr gerührt werden.

* Paris hat hier im Original eine Rede, die vollkommner Non-Sense ist, und durch die er die Amme ablößt, die sich mit unaufhörlichen Ausruffungen »O weh, o weh; o Tag, o Tag,« heiser geschrien. Man hat beyde dem Genius des Shakespears aufgeopfert.

Fünfter Aufzug.

Erste Scene.

Mantua.

Romeo tritt auf.

Romeo.

Wenn ich den schmeichelnden Eingebungen des Schlafs trauen dürfte, so würden mir meine Träume angenehme Neuigkeiten vorbedeuten. Ein ungewöhnlicher Geist der Frölichkeit erfüllt meinen Busen, und hebt mich mit angenehmen Gedanken über den Boden empor: Ich träumte, meine Geliebte käme und fände mich todt – – (Was für ein seltsames Ding ein Traum ist, daß er todten Leuten doch noch die Erlaubniß giebt zu denken!) – – und hauchte durch ihre Küsse ein solches Leben in meine Lippen, daß ich wieder von den Todten auferstand und ein Kayser wurde. O Himmel! wie süß ist der würkliche Genuß der Liebe, da ihre Schatten schon so reich an Wonne sind! Balthasar tritt auf. Neue Zeitungen von Verona – – Wie steht’s Balthasar? Bringst du mir Briefe vom Pater? Was macht meine Geliebte? Ist mein Vater wohl? Was macht meine Juliette? Das muß ich noch einmal fragen; denn wenn sie wohl ist, so ist nichts übel.

Balthasar.

So ist sie denn wohl und nichts ist übel. Ihr Leichnam schläft in dem Begräbniß der Capulets, und ihr unsterblicher Theil lebt mit Engeln. Ich sah sie in das Gewölb ihrer Familie legen, und nahm sogleich die Post es euch zu berichten. Vergebung, Gnädiger Herr, daß mein Dienst mich nöthigt, euch eine so böse Zeitung zu bringen!

Romeo.

Ist es würklich so? – – So biet‘ ich euch Troz, ihr Sterne! – – Du kennst meine Wohnung, geh, hole mir Dinte und Papier, und bestelle Post-Pferde – – Ich will diese Nacht noch fort.

Balthasar.

Um Vergebung, Gnädiger Herr, ich darf euch nicht so verlassen. Eure Blike sind düster und wild, und bedeuten nichts Gutes.

Romeo.

Stille! du betrügst dich. Verlaß mich und thu was ich dir sage: Hast du keine Briefe vom Pater an mich?

Balthasar.

Nein, gnädiger Herr.

Romeo.

Das hat nichts zu bedeuten: geh, und bestelle die Pferde; ich will gleich bey dir seyn. (Balthasar geht ab.) Gut, Juliette, heute Nacht will ich bey dir ligen – – Laß sehen, wie machen wir das? Wie schnell findet Unheil den Eingang in ein verzweifelndes Gemüth! – – Ich erinnre mich eines Apothekers, der hier irgend wohnt, und den ich lezthin in einem zerlumpten Kittel, mit überhangenden Augbrauen, Kräuter suchend fand. Ich faßte den Mann ins Auge; seine Blike sahen mager und verhungert aus, Kummer und Elend schien ihn bis auf die Knochen abgenuzt zu haben; in seiner armseligen Bude hieng eine Schildkröte, ein ausgestopfter Alligator, und ein paar andre Häute von mißgeschaffnen Fischen; und rings um auf dem Gestelle stuhnd ein bettelhaftes Gepränge von leeren Büchsen, grünen irdnen Töpfen, Blasen, muffigen Saamen, Resten von Pakfaden, und alte Rosen-Kuchen dünn genug zerstreut, damit es doch etwas gleich sehen sollte. In dem Augenblik da mir dieser armselige Zustand in die Augen fiel, dacht‘ ich bey mir selbst, wenn izt einer Gift brauchte, dessen Verkauff in Mantua ohne Gnad‘ am Leben gestraft wird, so lebt hier ein armseliger Tropf, der ihm’s zu kauffen gäbe. O! dieser Gedanke war eine Ahnung, daß ich diesen Mann bald selber nöthig haben würde. So viel ich mich erinnere, sollte diß das Haus seyn; weil heut ein Feyertag ist, so ist des Bettlers Bude geschlossen. Holla! he! Apotheker. Der Apotheker kommt heraus.

Apotheker.

Wer ruft so laut?

Romeo.

Komm hervor, Mann! Ich sehe, du bist arm; sieh, da sind vierzig Ducaten, gieb mir eine Drachme Gift davor, von so schneller Würkung, daß es sich in einem Augenblik durch alle Adern verbreite, und der Lebens-überdrüssige, der es einnimmt, so plözlich und mit solcher Gewalt des Athemholens entladen werde, als das unaufhaltsame Pulver, sobald es sich entzündet, aus dem fatalen Bauch einer Canone losbricht.

Apotheker.

Dergleichen tödtliche Präparata hab‘ ich; aber das Gesez ist Tod für den, welcher sie hergiebt.

Romeo.

Bist du so nakend und mit Elend beladen, und fürchtest den Tod? Hunger sizt auf deinen Wangen, Mangel und Kummer schauen aus deinen holen Augen hervor, Verachtung und Betteley hangen auf deinem Rüken, und du fürchtest den Tod? Die Welt ist nicht dein Freund, und ihr Gesez auch nicht; die Welt giebt kein Gesez dich reich zu machen; sey also klüger, brich es, und nimm mein Gold.

Apotheker.

Meine Dürftigkeit williget ein, nicht mein Wille.

Romeo.

Auch bezahl‘ ich nicht deinen Willen, sondern deine Dürftigkeit.

Apotheker.

Gießt dieses in was für einen Liquor ihr wollt, und trinkt es aus; und wenn ihr die Stärke von zwanzig Männern hättet, so wird es euch in die andre Welt schiken.

Romeo.

Hier ist dein Gold; ein schädlichers Gift für die Seelen der Menschen, und welches mehr Mordthaten in dieser heillosen Welt verursacht, als diese arme Quaksalbereyen, die du nicht verkauffen kanst: Ich habe dir Gift verkauft, nicht du mir – – fahre wohl, kauf dir zu essen, und mach, daß du zu Fleisch kommst – – Komm, Herz-Stärkung, nicht Gift; komm mit mir, wo ich dich brauche, zu Juliettens Grab. (Sie gehen ab.)

Zweyte Scene.

Verwandelt sich in das Kloster zu Verona. Bruder Johann tritt auf.

Johann.

Ehrwürdiger Sohn des heiligen Franciscus, Bruder! he! Bruder Lorenz kommt heraus.

Lorenz.

Das sollte Bruder Johanns Stimme seyn – – Willkommen von Mantua; was sagt Romeo? Oder habt ihr mir einen Brief von ihm?

Johann.

Da ich abreisen wollte, gieng ich, einen Baarfusser-Bruder von unserm Orden zum Reise-Gefährten zu suchen, der hier in der Stadt war, um Kranken beyzustehen. Ich fand ihn; aber wie wir aus dem Hause gehen wollten, kamen die Visitatoren der Stadt, und weil sie einen Argwohn hatten, daß in dem Hause worinn sie uns fanden, eine anstekende Krankheit grassiere, versiegelten sie die Thüren und liessen uns nicht fort; so daß also meine Reise nach Mantua unterbleiben mußte.

Lorenz.

Wer brachte dann dem Romeo meinen Brief?

Johann.

Ich konnt‘ ihn nicht fortschiken, hier ist er wieder; ich konnte nicht einmal jemand finden, der ihn dir wiedergebracht hätte, so groß war ihre Furcht, sie möchten angestekt werden.

Lorenz.

Das ist ein unglüklicher Zufall! Bey meinem Ordens-Gelübd, der Brief enthielt Sachen von der grössesten Wichtigkeit, und diese Versäumung kan böse Folgen haben. Bruder Johann, geh, schaff mir ein Brech-Eisen und bring mirs in meine Celle.

Lorenz.

Nun muß ich allein in die Gruft; in den nächsten drey Stunden wird die schöne Juliette erwachen – – Wie wird sie über mich schmählen, daß ihr Romeo von allen diesen Vorfällen keine Nachricht bekommen hat! Aber ich will noch einmal nach Mantua schreiben, und sie indeß in meiner Celle verbergen, bis Romeo kommt. Arme lebende Leiche, ich eile, dich aus deiner Todten-Gruft zu ziehen! – – (Er geht ab.)

Dritte Scene.

Verwandelt sich in einen Kirchhof – – auf demselben die Familien-Gruft der Capulets.

Paris und sein Edelknabe, mit einer Fakel, treten auf.

Paris.

Gieb mir deine Fakel, Junge: Geh und steh von Ferne. Doch nein, lösche sie aus, ich möchte nicht gesehen werden – – Leg dich, so lang du bist, unter jenen Taxus-Bäumen hin, und halte dein Ohr dicht an den hohlen Boden, so wird kein Fuß auf diesen Kirchhof treten können, ohne daß du es hörst; und sobald du hörst, daß sich etwas nähert, so zische mir zu; das soll das Zeichen seyn. Gieb mir diese Blumen – – thu, was ich dir sage, geh.

Edelknabe.

Ich fürchte mich herzlich, so allein hier auf dem Kirchhof zu seyn, und doch will ich es wagen. (Geht ab.)

Paris (geht an die Gruft, und streut Blumen über sie.)

Anmuthsvolle Blume! So bestreu‘ ich mit Blumen dein Brautbette: Schöne Juliette, nun die Gespielin der Engel, nimm dieses lezte Merkmal der Liebe, von einem der im Leben dich verehrte, und nun im Tode – – (der Knabe zischt) Der Junge giebt ein Zeichen, es nähert sich was – – was für verfluchte Füsse wandern in dieser späten Nacht hieher, mich in den zärtlichen Gebräuchen der traurenden Liebe zu stören? – – Wie? ein Licht? Verhülle mich eine Weile, o Nacht – – (Er geht bey Seite.)

Vierte Scene.

Romeo und Balthasar mit einem Lichte.

Romeo.

Gieb mir den Karst und das Heb-Eisen. Hier, nimm diesen Brief, und sieh daß du ihn morgen früh meinem Herrn und Vater überlieferst. Gieb mir das Licht; so lieb dir dein Leben ist, befehl‘ ichs dir, du magst hören oder sehen, was du willst, so bleib von ferne stehen, und unterbrich mich nicht in meinem Vorhaben. Warum ich in diese Gruft herabsteige, ist, theils meine Geliebte noch einmal zu sehen, hauptsächlich aber um von ihrem todten Finger einen kostbaren Ring zu ziehen, einen Ring den ich zu einem wichtigen Gebrauch nöthig habe; entfern dich also von hier, geh – – unterfängst du dich aber aus Fürwiz zurükzukehren, um zu sehen, was ich noch mehr zu thun im Sinn habe, beym Himmel, so will ich dich Gelenk für Gelenk in Stüke reissen, und diesen hungrigen Kirchhof mit deinen Gliedern bestreuen. Die Zeit und meine Absichten sind grausam und wild, grimmiger und unerbittlicher als blut-lechzende Tyger und die heulende See.

Balthasar.

Ich will gehen, Gnädiger Herr, und euch nicht stören.

Romeo.

So kanst du mir deine Freundschaft beweisen – – Nimm du das; leb und sey glüklich, fahrwohl, guter Junge.

Balthasar (im Weggehen vor sich.)

Das alles ist mir ein desto stärkerer Beweggrund, mich hier in der Nähe zu verbergen. Ich fürchte seine Blike, und zweifle, daß er was Gutes im Sinn habe.

Romeo.

Du abscheulicher Schlund, verfluchter Rachen des Todes, der das kostbarste was die Welt hatte, verschlungen hat, so zwing ich deine morschen Kinnbaken sich zu öfnen, (er bricht die Gruft auf) um dich mit Gewalt mit noch mehr Speise vollzustopfen.

Paris (kommt hervor.)

Diß ist der verbannte übermüthige Montague, der den Vetter meiner Geliebten erschlug, (welches durch den Kummer den sie darüber hatte, wie man glaubt, die Ursach ihres Todes gewesen ist), und nun ist er gekommen, irgend eine niederträchtige Schmach an ihren Leichnamen auszuüben: Ich will ihn anhalten – – Halt ein mit deiner verdammlichen Arbeit, nichtswürdiger Montague: Willt du deine Wuth bis auf die Todten ausdehnen? Verurtheilter Bösewicht, ich bemächtige mich deiner; gehorche, geh mit mir, du must sterben.

Romeo.

Ich muß, in der That, und darum kam ich hieher – – Guter junger Mensch, reize nicht einen verzweifelnden Mann; flieh von hinnen, und laß mich: Denk an diese, die hier ligen, und laß sie dich schreken. Ich bitte dich, Jüngling, häuffe nicht noch eine neue Sünde über mein Haupt, treibe mich nicht zur Wuth. O geh! Beym Himmel! ich liebe dich besser als mich selbst; denn ich bin gegen mich bewaffnet hieher gekommen. Verweile nicht, geh, und sage, daß du dein Leben der Barmherzigkeit eines rasenden Mannes zu danken habest.

Paris.

Ich verschmähe dein Mitleiden, und arrestiere dich hier als einen Hochverräther.

Romeo.

So willst du mich denn mit Gewalt reizen? Hab es dann an dir selber, Junge. (Sie fechten. Paris fällt.)

Edelknabe.

O Gott, sie fechten, ich will gehen und die Wache holen.

Paris.

Oh, ich bin des Todes; wenn du einiger Erbarmung fähig bist, so öffne die Gruft und lege mich zu Julietten. (Er stirbt.)

Romeo.

Auf meine Ehre, das will ich: Laß mich dieses Gesicht in der Nähe besehen – – Mercutio’s Vetter! der edle Graf Paris! was sagte mir mein Diener unterwegs, indem meine im Sturm herumgewälzte Seele nicht darauf Acht gab, was er sagte – – Mich däucht, er erzählte mir, Paris habe Julietten heurathen sollen. Sagte er das nicht? oder träumte mir’s nur? Oder bin ich unsinnig, daß ich mir einbilde es sey so, weil ich ihn so zärtlich von Julietten reden hörte? – – O gieb mir deine Hand, du, den das Schiksal in mein Unglük verflochten hat, ich will dir ein beneidenswürdiges Grab gewähren – – Ein Grab? O nein, eine Glorie, ermorderter Jüngling; denn Juliette ligt hier, und ihre Schönheit erfüllt diese grauenvolle Gruft mit Licht und Herrlichkeit; Todter, lige du hier, von einem Todten begraben. (Er legt ihn in die Gruft.) Wie oft ist es schon begegnet, daß Sterbende kurz vor ihrem lezten Augenblik noch aufgeräumt gewesen sind – – O gönne mir noch einen solchen Augenblik! – – Meine Geliebte, mein Weib, der Tod, der den Honig deines Athems aufgesogen, hat noch keine Gewalt über deine Schönheit gehabt; du bist nicht besiegt; noch schwebt die purpurne Fahne der Schönheit auf deinen Lippen und Wangen, und die blasse Flagge des Todes ist hier noch nicht aufgestekt – – Tybalt, ligst du hier in deinem blutigen Leichen-Tuch? O was kan ich mehr thun, wie kan ich dich besser rächen, als eben diese Hand, die dein jugendliches Leben geendigt hat, gegen deinen Mörder zu gebrauchen? Vergieb mir, theurer Vetter! – – Ach! liebste Juliette, warum bist du noch so schön? Soll ich glauben, der unwesentliche Tod sey in dich verliebt worden, und das dürre scheußliche Ungeheuer unterhalte dich hier im Dunkeln, um seine Liebste zu seyn? Aus Furcht es möchte so seyn, will ich immer bey dir bleiben, und von diesem Augenblik diesen Palast der düstern Nacht nimmermehr verlassen; hier, hier will ich bleiben, bey den Würmern, die deine Kammer-Mädchen sind; hier will ich eine immerwährende Ruhe finden, wenn ich das tyrannische Joch erboßter Sterne von diesem Lebens-überdrüssigen Fleisch abgeschüttelt habe – – Mein Auge, sieh‘ sie zum leztenmal an; umfanget sie zum leztenmal, meine Arme, und ihr, siegelt, o meine Lippen, mit dem lezten Kuß dem wuchernden Tod eine Verschreibung, die nie wieder abgelößt werden kan – – Diß, meine Liebe, trink ich dir zu! – – o ehrlicher Apotheker, (er trinkt das Gift aus,) Deine Tränke würken gut – – Noch diesen Kuß. (Er stirbt.) Bruder Lorenz mit einer Laterne, einem Brech-Eisen, und einer Spathe.

Bruder Lorenz.

St. Franciscus steh mir bey! Wie manchmal haben schon in später Nacht meine alten Füsse an Gräbern gestolpert! Wer ist hier? Balthasar kommt hervor.

Balthasar.

Ein Freund, der euch wol kennt.

Lorenz.

Heil sey dir! Sage mir, guter Freund, was für eine Fakel seh ich dort, die ihr Licht so vergeblich Würmern und auglosen Schädeln leiht? Wie mich däucht, so brennt sie in der Gruft der Capulets.

Balthasar.

Es ist würklich so, heiliger Vater, und derjenige, der darinn ist, ist mein Herr, einer von euern liebsten Freunden.

Lorenz.

Wie nennt er sich?

Balthasar.

Romeo.

Lorenz.

Wie lang ist er schon da?

Balthasar.

Eine volle halbe Stunde.

Lorenz.

Geh mit mir in die Gruft.

Balthasar.

Ich habe das Herz nicht, ehrwürdiger Herr – – Mein Herr weiß nichts anders als daß ich weggegangen sey, und bedräute mich auf eine fürchterliche Art, daß er mich umbringen wolle, wenn ich zurükbleiben und sein Vorhaben belauschen würde.

Lorenz.

So bleibe du hier, ich will allein gehen – – mich kommt ein Grauen an – – ich fürcht‘, ich fürcht‘ es ist ein Unglük geschehen.

Balthasar.

Wie ich unter diesem Taxus-Baum schlief, da träumte mir mein Herr und ein andrer fechten mit einander und mein Herr habe ihn erschlagen.

Lorenz (bey dem Eingang der Gruft.)

Romeo! O Himmel! was bedeutet dieses Blut das den steinernen Eingang dieser Gruft beflekt? Was bedeuten diese herrenlose Schwerdter, die mit geronnenem Blut beschmizt an diesem Ort des Friedens ligen? Romeo! o Gott, ohne Leben! und dieser? – – Wie? Paris? – – im Blute schwimmend? Ha, was für eine unselige Stunde ist an diesem jammervollen Zufall schuldig? – – Das Fräulein rührt sich – –

Juliette (erwachend.)

O Trostbringender Vater! wo ist mein Gemahl? Ich erinnre mich wohl, wo ich seyn soll, und ich bin da – – Aber wo ist Romeo?

Lorenz.

Ich hör ein Getöse – – Fräulein, komm hervor aus dieser Höle des Todes, der Verwesung und des unnatürlichen Schlafs; eine grössere Macht, als der wir wiederstreben könnten, hat unsern Entwurf durchschnitten; komm, komm mit mir – – dein Gemahl ligt todt hier, und Paris auch – – Komm, ich will dich in ein Kloster von heiligen Schwestern führen: Halte dich nicht mit Fragen auf, ich sehe die Wache kommen – – Komm, geh, liebste Juliette; ich kan nicht länger bleiben – – (Er geht.)

Juliette.

Geh, geh du, und laß mich hier bleiben – – Was ist hier? Ein Becher, in meines Geliebten Hand? – – Gift, wie ich seh, ist sein unzeitiger Tod gewesen – – O du Unfreundlicher, alles auszutrinken, und nicht einen freundschaftlichen Tropfen übrig zu lassen, der mir dir nach helfe! Ich will deine Lippen küssen; vielleicht hängt noch so viel Gift daran, als ich nöthig habe – – Deine Lippen sind noch warm – – Der Edelknabe, mit der Wache treten auf.

Wache.

Weis‘ uns den Weg, Junge.

Juliette.

So? Kommt jemand? So will ich’s kurz machen – – (sie findt einen Dolch.) O glüklicher Dolch! hier ist deine Scheide, hier roste und laß mich sterben. (Sie ersticht sich.)

Knabe.

Hier ist der Ort; dort, wo die Fakel brennt.

Wache.

Der Boden ist voller Blut. Sucht auf dem ganzen Kirchhof, geht, etliche von euch, macht feste wen ihr findet. Erbärmlicher Anblik! Hier ligt der Graf erschlagen, und Juliette in ihrem Blut, noch warm, und kaum entseelt, die doch diese zween Tage schon hier begraben gelegen ist. Geht, zeigt es dem Fürsten an, rennt zu den Capulets, wekt die Montaguen auf – – Und ihr andere sucht – – Die Umstände allein können diese klägliche Begebenheit begreiflich machen. Etliche Wächter mit Balthasar.

2. Wächter.

Hier ist ein Bedienter von Romeo, den wir auf dem Kirchhof gefunden haben.

1. Wächter.

Haltet ihn auf, bis der Fürst kommt. Ein andrer Wächter, mit Bruder Lorenzen.

3. Wächter.

Hier ist ein Franciscaner, der zittert, ächzt und weint; wir fanden dieses Brech-Eisen und diese Spathe bey ihm, und er kam von dieser Seite des Kirchhofs her.

1. Wächter.

Das ist sehr verdächtig; haltet ihn auch auf.

Fünfte Scene.

Der Fürst und sein Gefolge, treten vorn auf der Schaubühne auf.

Fürst.

Was für ein Unheil ist so früh auf, daß es uns aus unserm Morgen-Schlaf wekt? Capulet und Lady Capulet, treten auf der andern Seite auf.

Capulet.

Was mag das seyn, daß ein so gräßliches Geschrey auf den Strassen ist?

Lady Capulet.

Die Strassen sind voll Volks das Romeo schreyt; einige schreyen, Juliette; einige Paris; und alle rennen mit Entsezen und Geschrey unserm Begräbniß zu.

Fürst.

Was für Töne des Schrekens stürzen sich in unser Ohr?

1. Wächter.

Gnädigster Herr, hier ligt der Graf Paris ermordet, und Romeo todt, und Juliette, die zuvor todt war, warm, und vor wenigen Minuten umgebracht.

Fürst.

Sucht, forscht nach, und späht aus, woher diese scheußliche Mordthaten kommen?

1. Wächter.

Hier ist ein Mönch, und des erschlagnen Romeo’s Diener, die mit Werkzeugen, diese Todten-Gräber aufzubrechen, ertappt worden sind.

Capulet.

O Himmel! – – O Weib! Sieh, wie unsre Tochter blutet! Dieser Dolch hat sich verfehlt; sieh, die Scheide ligt auf dem Rüken des Montaguen, und die entblößte Klinge in meiner Tochter Busen – –

Lady Capulet.

O Gott, dieser Anblik ist wie eine Todten-Gloke, die meinem grauen Alter zu Grabe läutet. Montague zu den Vorigen.

Fürst.

Komm, Montague – – und sieh hier deinen einzigen Sohn und Erben – –

Montague.

Weh mir! – – Mein Weib, Gnädigster Herr, ist in dieser Nacht verschieden – – Der Gram über ihres Sohnes Verbannung hat ihr das Herz gebrochen – – Was für ein neues Weh verschwört sich gegen mein graues Alter?

Fürst.

Schau hieher, so wirst du’s sehen.

Montague.

O du Uebelgezogner, was für Lebens-Art war das, dich vor deinem Vater so in’s Grab zu drängen?

Fürst.

Haltet noch mit euern Klagen ein, bis wir diese verworrene Geschichte ins Klare gesezt, und ihren Ursprung und wahren Hergang herausgebracht haben; alsdann will ich selbst der Anführer euers Klag-Geschreys seyn – – Bis dahin, haltet inn! – – bringet die verdächtigen Personen herbey!

Bruder Lorenz.

Ich, der unvermögendste, bin derjenige, den der stärkste Verdacht drükt; Zeit und Ort scheinen mich dieses gräßlichen Mords anzuklagen; und hier steh ich, zugleich mein eigner Ankläger und Advocat zu seyn.

Fürst.

So sage dann, ohne Umschweiffe, was dir davon bekannt ist.

Bruder Lorenz.

Ich will kurz seyn, mein Athem ist ohnehin nicht lang genug für eine langweilige Historie. Romeo, der hier todt ligt, war Juliettens Gemahl, und Sie, die hier todt ligt, Romeo’s getreues Weib: Ich segnete ihre Ehe ein; und der Tag ihrer heimlichen Vermählung war Tybalts Sterb-Tag, dessen unzeitiger Tod den neuen Bräutigam aus dieser Stadt verbannte, und dieses, nicht Tybalts Tod, war die Ursache von Juliettens Gram. Ihr, (zu Capulet) um ihr diesen Kummer aus dem Sinn zu bringen, versprachet sie dem Grafen Paris, und waret im Begriff, sie zu dieser Heurath mit Gewalt zu zwingen. In diesen Umständen kommt sie zu mir, und, mit wilden Bliken, bittet sie mich daß ich ihr ein Mittel an die Hand gebe, diese zweyte Heurath zu vermeiden, oder sie wolle sich in meiner Celle selbst ums Leben bringen. In diesem schwürigen Augenblik kam mir meine Wissenschaft zu Hülfe; ich gab ihr einen Schlaf-Trunk, dessen Würkung meiner Absicht vollkommen antwortete – – denn er sezte sie in einen Zustand, der dem Tode so gleich sah, daß sie für eine Leiche angesehen, und so behandelt wurde. Inmittelst schrieb ich an Romeo, und bestellte ihn, daß er in eben dieser schreklichen Nacht, als der Zeit, worinn die Würkung des Tranks zu Ende gehen würde, hieher kommen, und mir helfen möchte, sie aus ihrem geborgten Grabe heraus zu holen. Allein, Bruder Johann, der ihm meinen Brief überbringen sollte, wurde durch einen Zufall aufgehalten, und gestern kam mein Brief mir wieder zu; ich war also genöthigt, um die bestimmte Zeit ihres Erwachens ganz allein hieher zu kommen, und sie aus der Gruft ihrer Familie zu befreyen: Des Vorhabens, sie so lange in meiner Celle verborgen zu halten, bis ich Gelegenheit fände, den Romeo hieher zu beruffen. Aber wie ich kam, (wenige Minuten vor ihrem Erwachen) da lag der edle Paris hier erschlagen, und der allzugetreue Romeo todt. Sie erwacht, und ich bitte sie inständigst mit mir zu gehen, und diese Schikung des Himmels mit Geduld zu tragen: Allein ein Getöse, das ich gleich darauf hörte, scheuchte mich von der Gruft weg, und sie, verzweifelnd und entschlossen zu sterben, wollte nicht mit mir gehen, sondern legte, wie es scheint, gewaltsame Hand an sich selbst. Alles dieses weiß ich, und von der heimlichen Heurath kan auch ihre Amme Zeugniß geben: Ist aber in allem diesem etwas durch meine Schuld gefehlt und zu diesem unglüklichen Ausgange gebracht worden, so laßt immer mein altes Leben, etliche Stunden vor meiner bestimmten Zeit, der Strenge des Gesezes aufgeopfert werden.

Fürst.

Wir haben dich jederzeit als einen heiligen Mann gekannt. Wo ist Romeo’s Diener? Was kan Er von der Sache berichten?

Balthasar.

Ich brachte meinem Herren die Zeitung von Julia’s Tod, und sogleich kam er mit Post-Pferden von Mantua hieher, unmittelbar hieher, zu dieser nehmlichen Gruft; übergab mir diesen Brief an seinen Vater, und dräute mir, indem er auf die Gruft zugieng, den Tod, wenn ich nicht weggehen und ihn allein lassen wollte.

Fürst.

Gieb mir den Brief, ich will ihn übersehen – – Wo ist des Grafen Knabe, der die Wache herbeyholte? Bursche, was machte dein Herr an diesem Orte?

Knabe.

Er kam, das Grab seiner Geliebten mit Blumen zu bestreuen, und befahl mir von Ferne stehn zu bleiben, wie ich auch that; bald darauf kommt einer mit einem Licht, die Gruft zu öffnen, und augenbliklich zieht mein Herr den Degen gegen ihn; und da lief ich und holte die Wache.

Fürst.

Dieser Brief bekräftiget die Erzählung des Ordens-Manns – – und hier schreibt er, daß er Gift von einem armen Apotheker gekauft, und damit in diese Gruft gekommen sey, um zu sterben und in Juliettens Grab zu ligen – – Wo sind diese Feinde? Capulet! Montague! Seht hier die Ruthe, womit euere Unversöhnlichkeit gezüchtiget wird; seht wie der Himmel Mittel findet, durch die Liebe selbst die Freuden euers Lebens zu tödten. Auch ich, weil ich zuviel Nachsicht gegen euere Uneinigkeiten hatte, habe zween Verwandte verlohren: Wir sind alle gestraft!

Capulet.

O Bruder Montague, gieb mir deine Hand; das ist meiner Tochter Witthumb – – mehr kan ich nicht verlangen.

Montague.

Aber ich kann dir mehr geben; denn ich will ihre Bild-Säule von gediegnem Gold aufstellen, daß, so lange Verona diesen Namen trägt, kein Denkmal dem Denkmal der zärtlichen und getreuen Juliette gleich geschäzt werde!

Capulet.

Eben so glänzend soll Romeo bey seiner Gattin ligen; theure, unglükliche Opfer unsrer unseligen Feindschaft!

Fürst.

Dieser Morgen bringt uns einen düstern Frieden, und die Sonne selbst scheint trauernd ihr Haupt verhüllt zu haben – – Geht, und erwartet unsre Entscheidung, was in diesem unglüklichen Handel Strafe und was Verzeihung verdient – – [Ihr aber, getreue Liebende, die ein allzustrenges Schiksal im Leben getrennt, und nun ein freiwilliger Tod auf ewig vereiniget hat, lebet, Juliette und Romeo, lebet in unserm Andenken, und die späteste Nachwelt möge das Gedächtniß eurer unglüklichen Liebe mit mitleidigen Thränen ehren!]