24. Der See Corrib


24. Der See Corrib

(Siehe auch die Anmerkungen)

Nicht weit von dem See Corrib in der Grafschaft Galway lebte ein junges Paar, Cormak und Marie, die sich zärtlich liebten und deren Glück nichts im Wege zu stehen schien. Ihr Hochzeitstag war schon bestimmt, als Marie plötzlich verschwand, niemand wußte wohin. Sie war ausgegangen und abends zu der gewöhnlichen Stunde nicht wieder nach Haus gekommen, und als ihre Eltern, während Sorge und Angst jede Minute wuchs, vergeblich die ganze Nacht auf sie gewartet und auch der helle Morgen ihr geliebtes Kind nicht zurückgeführt hatte, so gaben sie alle Hoffnung auf, und der nagende Schmerz über ihren Verlust wurde noch geschärft durch den Gedanken, daß ein Sturz in Abgründe oder sonst ein jämmerlicher, qualvoller Tod ihrem jungen Leben ein Ende gemacht habe.

Wer vermag Cormaks Schmerz und Verzweiflung zu beschreiben! Er irrte weit und breit umher, die heimlichsten und unzugänglichsten Orte suchte er auf, doch es schien, wenn auch Wald und Feld, Bäume, Blumen und Steine die Sprache erhalten hätten, sie würden nichts von ihr haben sagen können; kein lebendes Wesen hatte sie erblickt und alle Spur von ihrem Dasein war verschwunden.

Von nun an ging er jeden Abend hinaus zu dem See Corrib, setzte sich auf die Felsen am Ufer, wo die wildesten und traurigsten Gedanken, wahnsinnige Wut und lebloses Erstarren, sich abwechselnd seiner Seele bemächtigten und sie in immer tiefere Verwirrung senkten.

»Nein, sie ist nicht tot!« rief er aus, »sie lebt, das dunkle Grab hat kein Verlangen nach dieser reinen Taube, die schneeweiß und unschuldig ist und ohne Sünde; der Tod zielt nur nach jenen, deren Seele gereinigt werden soll. Sie lebt hier unter dem Wasser des Corribs, bei jeder Welle, die daher rauscht, höre ich ihre Stimme und vernehme die Lieder, die ich sie selbst gelehrt habe. Kalt ist der Felsen, auf dem ich sitze, frostig wehen die Winde mich an, Nebel bedeckt das dunkle Gewässer, aber ihr Herz ist noch kälter! Warum kehrt sie nicht zu mir zurück? Ach! harte, entsetzliche Zauberworte halten sie gebannt!«

Einmal lag der See in der tiefsten Ruhe. Nur eine einzige weiße Welle rollte sanft darüber hin. Sie kam näher und näher bis zu Cormaks Sitze. Da schien es ihm, als entwickle sich daraus ein ganzer Zug wunderbarer Gestalten. Der Vollmond leuchtete so hell darüber hin, daß er imstand war, sie deutlich zu unterscheiden, und doch waren die Gestalten so zart und luftig, daß der Strahl des Mondes ungehindert durch sie drang. Vor ihnen entfaltete sich flatternd eine Fahne, dann folgte ein langer Zug in prächtiger Rüstung, Helme und Speere leuchteten in höchstem Glanz und deutlich war zu sehen, wie der Widerschein davon auf dem leicht zitternden Wasserspiegel in beständiger Bewegung hin und her schwankte. Sie saßen auf geschmückten Rossen, welche auf dieser pfadlosen Bahn in die Höhe stiegen und wild sich bäumten, während über ihren Häuptern wallende Düfte hingen, deren Säume in den Farben des Regenbogens schimmerten. Rührte ein leiser Wind daran, so lösten sich schillernde Flöckchen ab und zitterten in dem sanften Luftstrom. Kein Schweigen herrschte, es erhob sich ein langsamer, feierlicher Gesang, dessen Töne in unaussprechlicher Süßigkeit leis und doch mächtig heranschwollen. Bei diesem Gesang bewegte sich die ganz luftige Schar in anmutiger Leichtigkeit.

Cormak saß und starrte die Erscheinung an, seine betäubten Sinne wußten nicht, ob er sich selbst mit diesem Blendwerk täusche, oder ob es wirklich vor ihm nach dem Takt der Musik auf- und abwalle, bald in höchster Lust anschwellend, bald dahinsterbend, als spotte es seiner.

Endlich sich ermannend rief er mit lauter Stimme: »Christ, rette ihre Seele!« und kaum war der geheiligte Namen über seine Lippen gekommen, als ein furchtbares Geheul und teuflisches Geschrei antwortete und die ganze Erscheinung verschwand. Neben ihm am Ufer stand Marie, schöner als je, frei durch das eine Wort von aller Macht des Zaubers und ihm zu neuem Leben und neuer Liebe zurückgegeben.

25. Die Kuh mit den sieben Färsen


25. Die Kuh mit den sieben Färsen

(Siehe auch die Anmerkungen)

Lorenz Cotter besaß ein kleines Gut in der Gegend von dem See Gur und gedieh dabei, denn er war ein guter, fleißiger Mann, der bis an seinen Tod still und ruhig darauf gelebt haben würde, wenn ihn nicht ein Unglück betroffen hätte, von dem ihr sogleich hören sollt. Nah am Wasser gehörte ihm ein feines Stück Wiesenland, wie man es sich nicht besser wünschen kann, um dessen Ertrag er aber schmählich gebracht wurde und niemand konnte sagen, durch wen. Ein Jahr um das andere fand es sich immer auf dieselbe Weise zu Grund gerichtet. Die Einfriedigung war im gehörigen Stand und kein Grenzstein verrückt; des Nachbars Vieh konnte keinen Schaden gestiftet haben, denn es war gekoppelt; aber wie es nun geschehen mochte, das Gras auf der Wiese wurde zu großem Verluste Lorenz völlig verdorben.

»Was in der weiten Welt soll ich nur anfangen?« sagte Lorenz Cotter zu Thomas Welch, seinem Nachbar, einem ehrsamen Mann: »Das bißchen Wiese, wofür ich schwere Abgaben entrichten muß, bringt mir so viel wie nichts ein und die Zeiten sind bitter schlecht genug, sie brauchten nicht noch schlimmer zu werden.«

»Ihr redet wahr, Lorenz« versetzte Welch, »die Zeiten sind bitter schlecht, aber ich glaube, wenn ihr bei Nacht wachen wolltet, ihr könntet bald dahinter kommen; Michel und Diether, meine beiden Jungen, sollen mit euch wachen, es ist zum Erbarmen, daß ein so ehrlicher Mann, wie ihr seid, auf so schimpfliche Weise zugrunde gehen sollte.«

Dieser Übereinkunft gemäß nahmen die folgende Nacht Lorenz Cotter und Welch’s beide Söhne ihren Posten in einer Ecke der Wiese. Es war eben Vollmond, der sein Licht über den ruhigen See ergoß, kein Wölkchen war am Himmel zu sehen, kein Laut zu hören, als der Schrei der Wachteln, die sich einander über das Wasser hin zuriefen.

»Jungen, Jungen!« sagte Lorenz, »schaut auf, schaut auf, aber ums Leben macht kein Geräusch und rührt euch keinen Schritt, bis ich das Wort sage.«

Sie schauten und sahen eine dicke fette Kuh in Begleitung von sieben milchweißen Färsen über die glatte Fläche des Sees sich nach der Wiese zu bewegen.

»Das ist nicht Tim Dwyers, des Pfeifers Kuh, die sich alles Fleisch von den Knochen getanzt hat«, flüsterte Michel zu seinem Bruder.

»Ihr Jungen«, sprach jetzt Lorenz Cotter, der die saubere Kuh mit ihren sieben weißen Färsen schönstens auf der Wiese angelangt sah, »sucht mir zwischen sie und den See zu kommen, wir wollen sie geradezu in den Pfandstall treiben, gleichviel wem sie gehören.«

Die Kuh mußte aber diese Worte vernommen haben, denn augenblicklich wendete sie sich in größter Eile zu dem Ufer des Sees und sprang hinein vor ihrer aller Augen; hinter ihr liefen die sieben Färsen, doch die Jungen gewannen ihnen den Vorsprung ab und hatten große Mühe, sie von dem See weg zu Lorenz Cotter hinzutreiben.

Lorenz trieb die sieben Färsen in den Pfandstall, es waren prächtige Tiere, und nachdem er sie daselbst drei Tage lang gehalten hatte, ohne daß sich ein Eigentümer meldete, so nahm er sie heraus und brachte sie auf eines seiner Grundstücke. Sie wuchsen und gediehen mächtig, bis in einer Nacht das Gatter offen gelassen wurde und des morgens die sieben Färsen fort waren. Lorenz konnte nichts wieder von ihnen in Erfahrung bringen und ohne Zweifel waren sie in den See zurück gegangen. Woher sie nun kamen und welcher Welt sie zugehörten, Lorenz bekam ihretwegen kein Hälmchen Gras mehr von der Wiese. Aus Verdruß gab er sich ans Trinken und der Trunk, sagt man, hat ihn getötet.

26. Der verzauberte See


26. Der verzauberte See

(Siehe auch die Anmerkungen)

Im westlichen Irland war ein See und ohne Zweifel ist er noch daselbst, in dem zu verschiednen Zeiten mehrere junge Leute ertranken. Was dieses Ereignis besonders merkwürdig machte, war, daß man die Leichname der Ertrunkenen niemals wieder fand. Das Volk geriet darüber in Verwunderung und allmählich erlangte der See einen schlimmen Ruf. Schreckvolle Geschichten wurden erzählt, einige behaupteten, in dunkler Nacht leuchteten die Fluten wie Feuer, andere wollten schauerliche Gestalten über den See haben gleiten sehen, jedermann gab zu, daß ein seltsamer Schwefelgeruch aus ihm hervorsteige.

Es lebte in geringer Entfernung von diesem See ein junger Pächter namens Roderich Keating, Bräutigam mit einem der schönsten Mädchen der ganzen Gegend. Eben war er von Limerick, wo er einen Trauring gekauft hatte, im Geleit zweier oder dreier von seiner Bekanntschaft zurückkehrend, an dem Gestade des Sees angelangt, als diese mit ihm über Gretchen Honan ihren Scherz zu treiben begannen. Einer erwähnte sogar, daß der junge Delaney, ein Nebenbuhler, in des Bräutigams Abwesenheit um die Gunst der Geliebten würbe; aber Roderichs Vertrauen auf seine Verlobte war so fest, daß er, ohne im geringsten durch diese Rede beunruhigt zu werden, mit der Hand in die Tasche griff, den Trauring hervorzog und ihn bedeutungsvoll umherblickend in die Höhe hielt. Indem er so den Ring, als ein wahres Siegeszeichen zwischen Zeigefinger und Daumen umdrehte, entfiel er seiner Hand und rollte in den See hinab. Roderich sah ihm mit der höchsten Bestürzung nach, weniger seines Wertes, obgleich er eine halbe Guinee dafür gegeben hatte, als der schlimmen Vorbedeutung wegen; das Wasser war so tief, daß man des Rings schwerlich wieder habhaft werden konnte. Seine Gefährten lachten ihn aus; vergeblich suchte er durch das Anerbieten ansehnlicher Belohnung sie zu bewegen, nach dem Ring unterzutauchen, sie waren sowenig zu dem Wagstücke geneigt, als Roderich selbst; die Erzählungen, die sie als Kinder vernommen hatten, schwebten ihrem Gedächtnis vor und abergläubische Furcht erfüllte die Brust eines jeden.

»Muß ich also nach Limerick umkehren einen andern Ring zu kaufen?« rief der junge Pächter, »zehnmal soviel als der Ring kostet, will es keiner darum wagen?«

Unter den Umstehenden befand sich ein Mensch, den man allgemein für blödsinnig und nicht recht bei Troste hielt, er war aber unschuldig wie ein Kind und pflegte in der Gegend hin und her von einem Ort zum andern zu gehen. Als er so ansehnlichen Lohn ausrufen hörte, erklärte Paddin, denn das war sein Name, wolle ihm Roderich Keating geben, was er den andern verheißen hätte, so getraue er sich wohl nach dem Ring unterzutauchen. Und Paddin schaute, während er sprach, eben so begierig nach der Lustfahrt hin als nach dem Geld.

»Ich halte dich beim Wort« sprach Roderich und augenblicklich seinen Rock abziehend, ohne weiter eine einzige Silbe zu verlieren, stürzte sich Paddin häuptlings in den See. Wie tief er hinein kam, läßt sich nicht genau berichten, aber er ging und ging und ging durch das Wasser fort, bis das Wasser vor ihm wich und er auf ein trockenes Land gelangte. Himmel, Luft, Tageslicht und alles andere waren da gerade so wie hier bei uns; er sah einen reizenden Grund, wodurch ein zierlicher Weg führte nach einem großen, mit stattlichen Treppen umgebenen Hause. Sobald er sich von seinem Staunen erholt hatte, unter dem Wasser so trocknes und anmutiges Land zu finden, schaute er genauer um und was sollte er anders erblicken, als die ertrunkenen Jünglinge, die sich in diesem Lustort beschäftigten, als wäre ihnen niemals ein Übel zugestoßen. Einige mähten Gras, einige schafften Kiessand auf den Weg oder taten andere leichte Arbeiten, und vollbrachten alles auf so gute Art und so munter, als wären sie niemals ertrunken. Dann sangen sie mit großer Lust Lieder, worin sie die Frau vom Hause wegen ihrer Schönheit und ihres Reichtums priesen, wogegen nichts in der Welt bestehen könne. Paddin konnte sich nicht enthalten, ihnen zuzusehen, einige darunter, bevor sie im See ertrunken waren, hatte er gut gekannt; aber er war stumm wie ein Fisch, dachte dafür sein Teil, und kein Sterbenswörtchen kam über seine Lippen. So ging er nach dem großen Haus zu, ganz unbefangen, als habe er nichts gesehen, was der Rede wert gewesen, dabei wünschte er gar sehr, zu wissen, wer die junge Frau wäre, von welcher die jungen Männer in ihrem Gesang so viel Wesens gemacht hatten.

Als er nah zu dem Tor des großen Hauses gelangt war, trat aus der Küche eine gewaltig dicke Frau heraus, wie eine Biertonne auf zwei Beinen. Daher bewegte sie sich und Zähne ragten aus ihrem Munde, nicht geringer als Pferdezähne.

Sie kam auf ihn zu und sagte: »Guten Morgen, Paddin.«

»Guten Morgen, Frau«, antwortete er.

»Was bringt Euch hierher?« fragte sie.

»Ich komme wegen Roderich Keatings Goldring.«

»Hier ist er«, sagte Paddins dicke Freundin, mit einem Lächeln auf ihrem Gesicht, das sich bewegte, wie kochender Haferbrei.

»Ich danke Euch«, antwortete Paddin und nahm den Ring aus ihrer Hand. »Es ist nicht nötig, daß ich hinzufüge, der Herr gebe Euch sein Gedeihen! Denn ihr seid bereits wohlbeleibt genug. Aber wollt Ihr so gut sein und mir sagen, führt der Weg, auf welchem ich gekommen bin, auch wieder zurück?«

»Kamt Ihr denn nicht, mich zu heiraten?« schrie die dicke Frau ganz außer sich.

»Diesmal nicht, mein Schatz, wann ich wiederkomme«, antwortete Paddin. »Ich werde für meinen Gang hierher gut bezahlt und muß machen, daß ich Antwort bringe, oder die werden Wunder denken, was aus mir geworden sei.

»Bekümmert Euch um kein Geld«, sagte die dicke Frau, »wenn Ihr mich heiratet, so sollt Ihr für euer Lebtag in dem Haus wohnen und an nichts Mangel leiden.«

Paddin sah deutlich, daß, da er einmal im Besitz des Ringes sei, die dicke Frau weiter keine Gewalt habe, ihn zurückzuhalten. Ohne also länger auf ihre Worte zu achten, wandelte er ganz gelassen den Gang wieder herab und schaute sich dabei um; denn er hatte, die Wahrheit zu sagen, keine sonderliche Lust, die dicke Hexe zu heiraten. Als er zu dem Gatter kam, stürzte er, ohne nur guten Tag zu sagen, hinaus und fand das Wasser, welches ihm entgegen kam. Er sprang hinein und arbeitete sich in die Höhe und es war wunderbar genug, da man den Paddin nach der entgegengesetzten Seite des Sees hatte wegschwimmen sehen; doch er gelangte bald ans Ufer und erzählte dem Roderich Keating und den andern Burschen, die da standen und auf ihn gewartet hatten, alles was ihm begegnet war. Roderich zahlte ihm auf der Stelle fünf Guineen für diesen Ring und mit diesem Geld in der Tasche deuchte sich Paddin so reich, daß er nicht Lust hatte zurückzukehren und die dicke Frau zu heiraten, die in dem Grund des Sees in dem schönen Hause saß. Er dachte, sie hat ja unter der Menge junger Leute die Wahl, wenn ihr die Lust ankommen sollte, einen Mann zu nehmen.

Der Cluricaun


Der Cluricaun

(Siehe auch die Anmerkungen)

Es gibt wenig Leute in Irland, die nicht die alte Familie der Mac Carthys kennen sollten, deren Zweige sich in dem Süden ausgebreitet haben und die sämtlich durch die Gastfreundschaft berühmt sind, womit sie jeden Fremden, vornehm oder gering, aufnehmen.

Von niemand übertroffen ward hierin Justin Mac Carthy von Ballinacarthy; seine Tafel war mit Speise und Trank reichlich besetzt und herzlich willkommen jeder, der daran Teil nehmen wollte. Sein Weinkeller konnte für ein wahrhaftes Muster gelten und mancher andere mußte sich dagegen seines Namens schämen. So viel Raum er hatte, war er doch mit Körben für Weinflaschen und langen Reihen von Fässern aller Art und Größe angefüllt, so daß sie aufzuzählen mehr Zeit wegnehmen würde, als der mäßigste Mensch übrig behalten könnte an solch einem Platz, umgeben von der Fülle zu trinken und herzlich eingeladen, es zu tun.

Ohne Zweifel wird mancher denken, daß der Mundschenk in einem solchen Hause wenig Ursache habe, Klage zu führen und die ganze Grafschaft würde eingestimmt haben, wenn man nur ein Beispiel gehabt hätte, daß ein Mann in diesem Amt längere Zeit, als der Rede wert ist, bei Herrn Mac Carthy geblieben wäre. Gleichwohl sprach keiner, der in seinen Diensten gewesen war, ein böses Wort von ihm.

»Wir haben an dem Herrn nichts auszusetzen«, sagten sie, »und wenn er nur jemand auftreiben könnte, der ihm den Wein aus dem Keller holte, so wäre ein jeder von uns grau in dem Haus geworden und wir hätten bis an unser seliges Ende ruhig und vergnügt da gelebt.«

»Es ist wahrhaftig eine recht wunderliche Geschichte«, dachte der junge Hans Leary, der von Kindheit an in den Ställen zu Ballinacarthy als Beiläufer aufgewachsen war und gelegentlich dem Mundschenk bei seinem Geschäft hilfreiche Hand geleistet hatte, »es ist wahrhaftig eine wunderliche Geschichte, daß kein einziger mit der besten Stelle im ganzen Haus zufrieden sein will, zumal bei einem so guten Herrn, sondern jeder sie wieder aufgibt und zwar, wie sie alle sagen, des Weinkellers wegen. Wollte mich der Herr, dem Gott langes Leben verleihe! zum Mundschenk machen, so sollte man kein murrendes Wörtchen hören, wenn er mich in den Weinkeller gehen heißt, das verspreche ich.«

Leary wartete daher auf eine günstige Gelegenheit, wo er dem Herrn seine Absicht kund geben könnte.

Einige Tage darnach ging Herr Mac Carthy morgens ungewöhnlich früh in den Stallhof und rief laut nach dem Stallknecht: er sollte ihm die Pferde satteln, da er willens sei mit den Jagdhunden auszureiten. Aber kein Stallknecht gab Antwort und der junge Hans Leary führte Regenbogen aus dem Stall.

»Wo ist Wilhelm?« fragte Herr Mac Carthy.

»Gnädiger Herr?« sagte Hans und Herr Mac Carthy wiederholte die Frage.

»Nach dem Wilhelm fragt der gnädige Herr?« antwortete Hans, »ja die Wahrheit zu sagen, er hat vorige Nacht ein Glas zu viel getrunken.«

»Wie kam er dazu?« fragte Herr Mac Carthy, »seit Thomas weggegangen ist, befinden sich die Kellerschlüssel in meiner Tasche und ich sehe mich genötiget, den Wein den ich brauche selbst zu holen.«

»Ich bin durchaus nicht im Stand, es zu sagen«, erwiderte Leary, »es müßte denn sein, daß ihm der Koch ein kleines Restchen Branntewein gegeben hätte; doch«, fuhr er fort, und schnallte den Bügel niedriger, indem er mit der rechten Hand in die Mähnen griff und seinen Kopf herabsenkte, während er mit dem linken Bein, welches er vorgesetzt hatte, zurückscharrte, »darf ich es wagen, Ew. Gnaden eine Frage zu tun?«

»Rede, Hans«, sagte Herr Mac Carthy.

»Wünschen Ew. Gnaden nicht einen Mundschenk zu haben?«

»Weißt Du mir einen?« antwortete der Herr und lächelte gutgelaunt über seine Haltung, »und einen der sich nicht fürchtet in den Weinkeller zu gehen?«

»Ist bloß davon die Rede?« sagte der junge Leary, »Gott weiß! dazu wäre ich der Mann.«

»Du denkst also mir deine Dienste in der Eigenschaft eines Mundschenks anzubieten?« sagte Herr Mac Carthy mit einigem Erstaunen.

»Ja, gnädiger Herr, das war meine Absicht«, antwortete der junge Leary, der jetzt zum erstenmal von dem Boden aufschaute.

»Wohlan, ich glaube du bist ein braver Bursche und ich habe nichts dagegen mit dir einen Versuch zu machen.«

»Mögen Ew. Gnaden lange unser Herr sein und möge Gott Euch langes Leben verleihen!« rief Leary aus und neigte sich nach üblicher Weise, als sein Herr davon ritt. Er sah ihm noch eine Weile mit gedankenlosem Starren nach, bis er allmählich und gradweise eine wichtige Miene annahm.

»Hans Leary!« sagte er endlich, »Hans, ists Hans?« und in einem Tone von Verwunderung: »Meiner Treue, es ist nun nicht Hans, sondern Herr Johann, der Mundschenk.« Und mit einem Vorgefühl der herannahenden Würde schritt er aus dem Stallhof nach der Küche hin.

Learys alter Stallgenosse, ein armer ausgedienter Hund namens Bran, gewohnt öfter liebreich an den Kopf geklopft zu werden, wurde mit einem Fußtritt und dem Ausruf: »Aus dem Weg, Racker!« fortgejagt. In der Tat, des armen Hans Gedächtnis schien durch seine plötzliche Erhebung verwirrt. Außer Zweifel ward dies gestellt, durch das gänzliche Vergessen des allerliebsten Gesichtes des Küchenmädchens, auf dessen Herz er noch vorige Woche einen Angriff getan hatte, durch das Anerbieten ihr einen goldenen Ring an den vierten Finger der rechten Hand zu kaufen und durch einen derben Kuß auf ihre Lippen.

Als Herr Mac Carthy von der Jagd heimkam, schickte er nach Hans Leary, wie er fortfuhr seinen neuen Mundschenk zu nennen.

»Hans«, sagte er, »ich glaube du bist ein zuverlässiger Bursche, hier sind die Schlüssel zum Keller. Ich habe die Herrn, mit welchen ich heute auf der Jagd war, eingeladen mit mir zu essen und ich hoffe, sie werden mit deiner Aufwartung bei Tische zufrieden sein, vor allen Dingen, sorge dafür, daß es nach dem Essen nicht an Wein fehlt.«

Herr Johann hatte ein leidlich gutes Auge für diese Dinge und war von Natur anstellig; er breitete demnach die Tafeltücher aus, stellte die Teller und legte Messer und Gabel auf dieselbe Art, wie er seinen Vorgänger im Amt dieses Geschäft hatte verrichten gesehen. Und wirklich, für den Anfang ging es bei dem Essen recht gut.

Nur muß man nicht vergessen, daß in dem Hause eines irländischen Landedelmannes, welcher eine Gesellschaft von gestiefelten und gespornten Fuchsjägern bewirtete, manches nicht so sehr in Betracht kam, was als Gegenstand von höchster Wichtigkeit unter andern Umständen und in andern Gesellschaften gegolten hätte.

Keiner von den Gästen des Herrn Mac Carthy, treffliche und ehrenwerte Männer in ihrer Art, trug daher große Sorge, ob der Punsch, der nach der Suppe gereicht wurde, aus Jamaica- oder Antigoa-Rum gemacht war. Ebenso wenig hatten sie Lust, die Reinheit des guten alten gebrannten Wassers zu untersuchen und mit Ausnahme des freigebigen Wirts selbst, zog jeder in der Gesellschaft den Portwein, welchen Herr Mac Carthy auf seine Tafel setzte, dem weniger feurigen Wohlgeschmack des roten französischen Weins vor. Eine Wahl, die eigentlich dem neuem Geschmack widersprechen sollte.

Es ging stark auf Mitternacht, als Herr Mac Carthy dreimal die Schelle zog, welches das Zeichen war, mehr Wein zu bringen. Hans begab sich daher nach dem Keller um frischen Vorrat zu holen, doch, es zu gestehen, mit einem kleinen Zögern.

Der Luxus mit Eis war noch unbekannt in dem südlichen Irland, der Vorzug des kühlen Weins aber von niemand bestritten, der gesundes Urteil und richtigen Geschmack hatte.

Der Großvater des Herrn Mac Carthy, welcher das Wohnhaus von Ballinacarthy auf die Stelle einer alten, seinen Voreltern zugehörigen Burg aufgebaut hatte, nahm auf diesen wichtigen Umstand gar wohl Bedacht. Bei Anlegung des Kellers hatte er ein tiefes Gewölbe benutzt, welches in früheren Zeiten in den mächtigen Felsen als ein sicherer Zufluchtsort ausgehauen war. Man stieg in das Gewölbe auf steinernen Stufen hinab und hier und da waren in der Wand schmale Öffnungen oder, recht zu sagen, Risse, mithin gewisse Stellen, welche tiefe Schatten warfen und recht grausenhaft aussahen, wenn jemand mit einem einzelnen Licht die Stufen herabkam. Aber in Wahrheit, zwei Lichter konnten die Sache nicht viel besser machen, denn wenn auch die Breite des Schattens etwas abnahm, die engen Spalten waren so dunkel und dunkler als je.

Alle seine Entschlossenheit aufbietend machte sich der neue Mundschenk auf den Weg. In der rechten Hand trug er eine Laterne und die Kellerschlüssel, in der linken einen Korb, der ihm fähig schien, so viel zu fassen, als für die noch übrige Nacht nötig sein mochte. Er gelangte ohne irgendeine Störung zu der Türe. Als er aber den Schlüssel, der von alter und plumper Art war, einsteckte und umdrehen wollte, so deuchte ihn, er hörte ein seltsames Gelächter mitten in dem Keller, wobei einige leere Flaschen, welche außen auf der Flur standen, so heftig zitterten, daß sie aneinander zerbrachen; hierin konnte er nicht irren, wenn er sich auch in dem Lachen mochte geirrt haben, denn die Flaschen standen gerade vor seinen Füßen und er sah deutlich ihre Bewegung.

Leary wartete einige Augenblicke und schaute dann mit ungewöhnlicher Behutsamkeit um sich. Dann faßte er keck den Griff des Schlüssels und drehte ihn mit aller Macht in dem Schloß, als bezweifle er seine eigene Stärke; und die Türe flog mit so heftigem Krachen auf daß wenn das Haus nicht auf einem so mächtigen Felsen gestanden hätte, es in seinen Fundamenten wäre erschüttert worden.

Eine Erzählung von dem, was der arme Bursch gesehen hat, ist kaum möglich, da er kein rechtes Bewußtsein von sich selbst scheint gehabt zu haben. Dem Koch erzählte er den folgenden Morgen, daß er ein Heulen und Brüllen gehört habe wie von einem tollgewordenen Ochsen und daß alle Fässer, groß und klein, geschwankt hätten, rückwärts und vorwärts gegangen wären und zwar mit solcher Gewalt, daß er gedacht hätte, sie würden alle miteinander zusammenbrechen und er im Weine ersäuft oder erstickt werden.

Sobald Leary wieder zu sich selbst gekommen war, eilte er zu dem Speisezimmer, wo der Herr und die Gesellschaft ungeduldig auf seine Rückkehr warteten.

»Was hast du vor?« sagte Herr Mac Carthy mit einer ängstlichen Stimme, »und wo ist der Wein? Schon vor einer Stunde habe ich geschellt.«

»Der Wein ist in dem Keller, hoffe ich, Herr«, sagte Leary heftig zitternd, »ich hoffe, er ist nicht all verloren.«

»Was meinst du, Narr?« rief Herr Mac Carthy in einem immer ängstlicheren Ton, »Warum hast du keinen mit dir heraufgebracht?«

Leary blickte wild umher und stieß nur einen tiefen Seufzer aus. »Ihr Herrn!« sagte Mac Carthy zu seinen Gästen, »das ist zu arg! Wenn ich das nächstemal Euch an meinem Tische sehe, hoffe ich, soll es in einem andern Hause sein, denn es ist unmöglich, länger in diesem hier zu bleiben, wo man nicht über seinen eigenen Weinkeller Herr ist und keinen Mundschenk bekommen kann, der seine Schuldigkeit tut. Ich habe schon lange daran gedacht, von Ballinacarthy wegzuziehen und bin nun mit Gottes Beistand entschlossen, es morgen am Tage zu verlassen. Doch Wein sollt Ihr haben und müßte ich selbst deshalb in den Keller gehen.« Mit diesen Worten stand er von der Tafel auf, nahm Schlüssel und Laterne seinem halb verrückten Diener, der ihn gedankenlos anstarrte, aus der Hand und stieg die schon beschriebene steinerne Treppe, die zu dem Keller führte, hinab.

Bei der Türe angelangt, die er offen fand, glaubte er ein Geräusch zu hören, wie wenn Mäuse oder Ratten über die Fässer krabbelten und als er näher kam, bemerkte er eine kleine Gestalt, etwa sechs Daumen hoch, welche sich rittlings auf ein Faß mit dem ältesten Portwein gesetzt hatte und einen Zapfen auf der Schulter trug. Mac Carthy hob die Laterne in die Höhe und betrachtete den kleinen Gesellen voll Verwunderung. Er trug eine kleine Nachtmütze auf dem Haupt, vorne ein kurzes Lederschürzchen, das jedoch in seiner gegenwärtigen Stellung auf eine Seite gefallen war; die Strümpfe von hellblauer Farbe gingen so weit herauf, daß sie beinahe sein ganzes Bein bedeckten und an den Schuhen, auf welchen gewaltig große silberne Schnallen lagen, waren hohe Absätze, vielleicht aus Eitelkeit, um größer zu erscheinen. Sein Gesicht glich einem zusammengeschrumpften Winterapfel und seine Nase von glänzender Karmesinfarbe trug auf der Spitze eine zarte Purpurblume gleich einer Rosine. Seine Augen funkelten wie ein paar Johanneswürmchen und sein Mund zog sich mit einem verschmitzten Grinsen nach einer Seite.

»Ach Schurke!« rief Herr Mac Carthy, »habe ich dich endlich gefunden, Ruhestörer! Was hast du in meinem Keller zu schaffen?«

»Freilich, aber, Herr«, antwortete der Kleine und schaute mit einem Auge zu ihm auf, mit dem andern warf er einen listigen Blick nach dem Zapfen auf seiner Schulter, »ziehen wir morgen nicht aus? Ihr werdet den kleinen Cluricaun Naggenin, der Euch angehört, gewiß nicht zurücklassen.«

»O« dachte Mac Carthy, »willst du mir nachfolgen, Meister Naggenin, so sehe ich wenig Vorteil, wenn ich Ballinacarthy verlasse.« Er füllte den Korb, den Leary in seiner Angst nicht mitgenommen und nachdem er die Kellertüre verschlossen hatte, begab er sich wieder zu seinen Gästen.

Einige Jahre lang mußte sich Mac Carthy den Wein für seine Tafel selbst holen und der kleine Cluricaun schien eine persönliche Ehrerbietung vor ihm zu fühlen. Ungeachtet der Beschwerlichkeiten dieser täglichen Reise brachte es der ehrenwerte Herr von Ballinacarthy in seinem väterlichen Hause zu einem hübschen Alter und ward endlich durch die Trefflichkeit seiner Weine so wie durch die Fröhlichkeit seiner Gäste berühmt. Doch zur Zeit seines Todes hatte die Gesellschaft den Weinkeller ziemlich geleert und da er nachher weder so gut wieder angefüllt wurde noch so oft besucht, verloren die Feste des Meister Naggenin ihren Ruf und man hört nur davon, wenn man sich über die Sagen der Gegend belehren läßt. Da wird noch erzählt, der arme Wichtelmann habe sich den Verfall des Weinkellers so schwer zu Herzen genommen, daß er gegen sich selbst nachlässig und gleichgültig geworden und manchmal sei gesehen worden, kaum mit einem Lumpen bedeckt.

13. Der Schuhmacher


13. Der Schuhmacher

(Siehe auch die Anmerkungen)

Es gibt eine Art Menschen, denen jeder einmal hier und da begegnet ist, Menschen, die tun, als glaubten sie nicht, woran sie im Herzen doch glauben und wovor sie sich fürchten. Felix O’Driscoll war ein solcher, überall mit dem Munde voraus, ein Schreier und Schwätzer, gab er vor, weder an die Elfen noch an Cluricaune und Phuken zu glauben und manchmal war er so unverschämt sich anzustellen, als bezweifle er das Dasein der Geister, an welche doch jeder Mensch auf irgendeine Weise glaubt. Die Leute aber pflegten sich zu winken oder einander anzusehen, wenn Felix prahlte, denn man hatte bemerkt, daß er sich fürchtete, wenn er über die Furt von Ahnamoe bei Nacht ging und daß, wenn er einmal über den alten Kirchplatz von Grenaugh in der Dunkelheit ritt, obgleich er sich Mut genug getrunken hatte, er sein Pferd in Trab setzte, so daß niemand gleichen Schritt mit ihm halten konnte und er regelmäßig von Zeit zu Zeit einen scharfen Blick über seine linke Schulter warf.

Eines Abends saßen in Lorenz Reillys Wirtshaus Leute beisammen, tranken und schwätzten und Felix war auch dabei. Er fing wie gewöhnlich mit seinem Geschwätz über die Elfen an und schwur, daß er nicht glaube, es gäbe etwas Lebendiges außer Menschen und Tieren, Fischen und Vögeln und solchen Dingen, die man mit Augen sehen könnte; er begann auf eine so freche Art von dem stillen Volke zu reden, daß etliche in der Gesellschaft erschraken und sich bekreuzigten, ungewiß, was sich ereignen könnte, als eine alte Frau, Moirna Hogaune genannt, welche in einen blauen Mantel gewickelt, in der Ecke beim Feuer gesessen und ihre Pfeife geraucht hatte, ohne in das Gespräch sich einzulassen, ihre Pfeife aus dem Mund nahm, ins Feuer spie und sich umwendend den Felix ins Auge faßte.

»Ihr glaubt also nicht, daß es solche Wesen gibt, als die Cluricaune?« sagte sie.

Felix sah sie erschrocken an, antwortete aber nichts.

»Auf meine Treue, es ziemt wohl Euersgleichen, der nichts ist als ein Stück von einem Gelbschnabel, Euch anzumaßen, Ihr glaubtet nicht an das, was Euer Vater, Eueres Vaters Vater und dessen Voreltern vor ihm niemals im geringsten bezweifelt haben. Doch ich will nicht viele Worte machen, man spricht, wer sieht, der glaubt, so will ich, die ich Eure Großmutter sein könnte, Euch sagen, daß es solche Wesen gibt, wie die Cluricaune und daß ich selbst einen gesehen habe. Was wollt Ihr nun!«

Jedermann in der Stube richtete erstaunt seine Augen nach ihr hin und drängte sich zu dem Feuer, um mit zuzuhören. Felix versuchte zu lachen, aber es wollte nicht gehen und niemand achtete darauf.

»Ich erinnere mich«, sagte sie, »einige Zeit nachdem ich meinen braven Mann, der nun auch dahin gestorben ist, geheiratet hatte, es war gerade, daß ich es bei der Gelegenheit sage, kurz vorher, ehe ich mein erstes Kind zur Welt brachte (und das ist schon eine schöne Zeit), daß ich mich herausgesetzt hatte in unser kleines Gärtchen mit dem Strickzeug in der Hand, auf die Bienen acht zu geben, welche schwärmen wollten. Es war ein schöner Tag mit Sonnenschein in der Mitte Juni, die Bienen flogen von ihren Körben summend aus und ein, die Vögel zwitscherten und hüpften in dem Gebüsch und die Schmetterlinge schwärmten umher und ließen sich auf die Blumen nieder und alles duftete so frisch und süß und ich fühlte mich so glücklich, daß ich kaum wußte, wo ich war. Auf einmal hörte ich zwischen einigen Reihen Bohnen, die wir in der Ecke des Gartens hatten, ein Geräusch, das ging ticktack! ticktack! gerade als wenn ein Schuster den Absatz an einen Schuh anschlägt. »Gott behüte uns!« sagte ich zu mir selbst, »Was in aller Welt kann das sein?« Ich legte mein Strickzeug nieder, stieg auf, schlich mich sachte zu den Bohnen hin, und glaubt mir nimmermehr, wenn ich nicht vor mir, mitten darin, ein altes Männchen sitzen sah, nicht den vierten Teil so groß als ein neugebornes Kind, ein kleines aufgekremptes Hütchen auf dem Haupt, ein Pfeifenstümpfchen in dem Mund, aus dem es beständig rauchte, und einen schlichten, altfränkischen, erbsenfarbigen Rock mit großen Knöpfen auf dem Leibe, ein paar massivsilberne Schnallen auf den Schuhen, die den ganzen Fuß bedeckten, so groß waren sie; dabei arbeitete er in einem fort so eifrig, als er konnte, indem er Absätze an ein paar kleine Holzschuhe machte. Sowie meine Augen nur auf ihn fielen, wußte ich auch, daß es ein Cluricaun war und keck und beherzt sagte ich zu ihm: Gott erhalte Euch, lieber Mann, das ist saure Arbeit für den heißen Tag! Er schaute auf und kam mir vor, als wäre er von Wachs. Indem stürzte ich auf ihn zu, bekam ihn in meine Hand zu fassen und fragte, wo sein Geldbeutel wäre? Geld? sagte er, Geld, wahrhaftig! Und wie sollte ein armes, altes Geschöpf; wie ich bin, zu Geld kommen? Zaudert nicht, gab ich zur Antwort, keine von euern Streichen! Jedermann weiß, daß die Cluricaune wie Ihr so reich sind, wie der Teufel selbst. Zugleich zog ich ein Messer, das ich in meiner Tasche hatte, machte ein Gesicht, so bös als ich nur immer konnte und in Wahrheit, es war nicht leicht für mich (denn mein Gesicht war freundlich und gutmütig, wie Ihr nur eins zu Carrignavar sehen könnt), und schwur, wenn er mir nicht augenblicklich seinen Beutel gäbe oder einen Topf mit Geld zeigte, so würde ich ihm die Nase aus dem Gesicht schneiden. Ich muß gestehen, das kleine Männchen sah so erschrocken aus, als es diese Worte hörte, daß ich mich in meinem Herzen zu Mitleid gegen das arme Geschöpf bewogen fühlte. Nun so kommt, sprach er, kommt mit mir ein paar Felder abwärts, so will ich Euch zeigen, wo ich mein Geld aufbewahre. Immer den Kleinen in der Hand haltend und meine Augen fest auf ihn richtend ging ich fort, als ich plötzlich hinter mir ein Sausen hörte. Dort! Dort! rief er, schwärmen eure Bienen und gehen miteinander fort! Ich war so einfältig und drehte den Kopf um und als ich durchaus nichts sah und mich wieder nach dem Kleinen umwendete, so hatte ich nichts mehr in der Hand. Denn da ich so unglücklich gewesen war, ihn aus den Augen zu lassen, so entschlüpfte er aus meiner Hand wie ein Nebel oder Rauch und mit keinem Tritte kam er je wieder meinem Garten nah.«

14. Herr und Diener


14. Herr und Diener

(Siehe auch die Anmerkungen)

Wilhelm Mac Daniel war ein so artiger junger Bursch, als je einer in einer Tanzgesellschaft seine Sprünge machte, eine Kanne leerte oder den Stock, den er unter dem Rock trug, handhabte. Er fürchtete nichts, als den Mangel eines Trunkes, sorgte für nichts, als wer ihn bezahlen sollte und dachte an nichts, als wie er dem Wirt deshalb einen blauen Dunst vor die Augen machten wollte. Trunken oder nüchtern, ein Wort und ein Schlag war immer seine Weise und das ist eine treffliche Weise entweder einen Streit anzufangen oder zu beendigen. Viel betrübter war es, daß Mac Daniel durch diese Art zu denken, zu fürchten und für nichts zu sorgen in böse Gesellschaft geriet, denn ohne Zweifel ist das stille Volk die schlimmste Gesellschaft, in die jemand geraten kann.

Es trug sich zu, daß Mac Daniel in einer klaren Winternacht nicht lang nach Christtag auf dem Heimwege war. Der Vollmond glänzte, doch obgleich die Nacht so schön war, als das Herz nur wünschen konnte, so fiel ihm doch die Kälte beschwerlich. »Bei meiner Treu«, schnatterte er, »ein gutes Glas Wein wäre auch kein schlimmes Ding, das Herz eines Menschen, der innerlich friert, zu stärken; ich wünschte ich hätte von dem besten und gut gemessen.«

»Brauchst nicht zweimal zu wünschen, Mac Daniel!« sagte ein kleines Männchen in einem dreieckigen, mit Goldtressen besetzten Hut und mit großen Silberschnallen auf den Schuhen, so groß, daß es ein Wunder war, wie es sie tragen konnte. Es reichte ihm ein Glas dar, nicht kleiner als seine eigene Person, angefüllt mit einem so guten Wein, als je Augen gesehen oder Lippen gekostet haben.

»Prost, kleiner Mann«, sagte Mac Daniel unerschrocken, wiewohl er gleich merkte, daß er zu dem stillen Volke gehörte, »auf euer Wohl und mich bestens zu bedanken; mit der Zahlung hat’s gute Wege« und nahm das Glas und trank es in einem Zuge rein aus.

»Prost!« sagte der Kleine, »und sei herzlich willkommen, aber denke nicht mich zu prellen, wie du bei andern getan hast. Heraus mit dem Beutel und als ein ehrlicher Mann bezahlt!«

»Bezahlen soll ich Euch?« antwortete Mac Daniel, »könnte ich Euch nicht aufheben und in meine Tasche stecken, wie eine Brombeere?«

»Wilhelm Mac Daniel«, sagte der Kleine und ward ganz ängstlich; »willst du mir dienen sieben Jahre und einen Tag, so soll das meine Bezahlung sein. Mache dich bereit, mir zu folgen.«

Als Mac Daniel das hörte, reute es ihn, so keck zu dem Kleinen gesprochen zu haben. Er fühlte sich und konnte doch nicht sagen wie, genötigt dem fremden Mann durch das Land zu folgen, auf und ab, über Hecken und Graben, Sumpf und Moor, ohne Rast und Ruhe.

Als der Morgen zu dämmern begann, wendete sich der Kleine um und sprach: »Du kannst nun heim gehen, Mac Daniel, aber auf deine Gefahr säume nicht, dich nachts auf dem Fortfield bei mir einzustellen, sonst wird es dir lange Zeit schlecht ergehn. Finde ich dich aber als einen treuen Diener, so wirst du mich als einen nachsichtigen Herrn finden.«

Mac Daniel ging heim, müde und matt wie er war, ließen ihn die Gedanken an den kleinen Mann keinen Augenblick schlafen. Doch wagte er es nicht, seinem Gebot ungehorsam zu sein und in der Abendzeit machte er sich auf und ging nach Fortfield. Er war noch nicht lange da, so kam der Kleine auf ihn zu und sagte: »Mac Daniel, ich habe für diese Nacht eine weite Reise vor, sattle mir eins von meinen Pferden, das andere kannst du für dich satteln, denn du sollst mich begleiten und bist wahrscheinlich von deinem Gang in voriger Nacht noch müde.«

Mac Daniel dankte seinem Herrn für diese Aufmerksamkeit, »doch«, sagte er, »wenn ich mir die Freiheit nehmen darf, Herr, so möchte ich fragen, wo der Weg nach euerm Stall ist, denn ich sehe nichts als die Burg hier und den alten Dornstamm in der Ecke des Feldes und den Strom, der in dem Tal unten rinnt und ein Stückchen Moor uns gegenüber.«

»Spare nur deine Fragen«, sagte der Kleine, »aber geh hinüber zu dem Stückchen Moor und bringe mir zwei von den stärksten Binsen, die du finden kannst.«

Mac Daniel gehorchte, verwunderte sich aber, was der kleine Mann damit wollte. Er zog zwei der stärksten Binsen, die er finden konnte, aus, mit einem kleinen Büschel brauner Blüten an jeder Seite, und brachte sie seinem Herrn.

»Sitz auf, Mac Daniel«, sprach der Kleine, indem er eine von den Binsen nahm und quer darüber schritt.

»Wo soll ich aufsitzen, wenn’s Ew. Gnaden beliebt?«

»Ei, auf den Rücken des Pferdes, wie ich, natürlich«, sagte der Kleine.

»Wollt Ihr einen Narren aus mir machen, wie Ihr einer seid«, sagte Mac Daniel, »indem Ihr verlangt, ich soll mich zu Pferd auf dieses Stückchen Binse setzen? Ihr möchtet mich wohl weismachen, die Binse, die ich eben drüben aus dem Moor ausrupfte, sei ein Pferd?«

»Auf! Auf! ohne Widerrede«, sagte das Männchen und sah ängstlich aus, »das beste Pferd, das du je geritten hast, war nur eine Mähre gegen dieses.«

Mac Daniel dachte, das alles wäre nur ein Scherz und besorgt, sein Herr möchte verdrießlich werden, beschritt er die Binse. Der Kleine rief dreimal: »borram! borram! borram!« (d.h. werde groß!) und Mac Daniel tat dasselbe. Augenblicklich schwollen die Binsen zu prächtigen Pferden auf und jagten rasch dahin; aber Mac Daniel, der die Binse zwischen seine Beine genommen hatte, ohne viel zu achten wie, fand sich auf dem Rücken des Pferdes verkehrt sitzen und ganz tölpisch mit dem Gesicht nach dem Schweif. Und so rasch war das Roß mit ihm fortgesprengt, daß es ihm unmöglich war, sich herumzusetzen und nichts übrig blieb, als sich an den Schweif zu halten.

Endlich gelangten sie zu dem Ziele ihrer Reise und hielten vor der Türe eines ansehnlichen Hauses. »Nun, Mac Daniel«, sagte der Kleine, »tue, was du siehst, daß ich tue und folge mir auf der Ferse; doch da du nicht deines Pferdes Kopf von seinem Schweif unterscheiden konntest, so hüte dich, daß du nicht in deinen eigenen Kopf den Wirbel bekommst, und du am Ende nicht recht weißt, ob du auf dem Kopf stehst oder auf den Beinen; denn kann auch nach dem Sprichwort der alte Rebensaft eine Katze zum Sprechen bringen, so kann er auch einen Menschen stumm machen.«

Darauf sprach der Kleine einige wunderlich lautende Worte, aus welchen Mac Daniel keinen Sinn bringen konnte, wiewohl er die Fähigkeit erhielt, sie nachzusprechen. Nun schlüpften beide durch das Schlüsselloch des Tors und so durch ein Schlüsselloch nach dem andern, bis sie in den Keller kamen, der mit allen Arten von Wein wohl versehen war.

Der Kleine fing alsbald an, gewaltig zu trinken und Mac Daniel, dem das Beispiel keineswegs mißfiel, tat dasselbe. »Wahrhaftig, Ihr seid der beste Herr«, sagte Mac Daniel, »einen bessern gibts auf der ganzen Welt nicht; ich bleibe mit dem größten Vergnügen in Euerm Dienst, wenn Ihr fortfahrt, mir Wein vollauf zu geben.«

»Ich habe keinen Handel mit dir gemacht«, antwortete der Kleine, »und will auch keinen machen, doch auf und folge mir.« Sie gingen fort von Schlüsselloch zu Schlüsselloch und beide stiegen auf die Binsen, die sie am Eingangstor gelassen hatten und kaum waren die Worte borram! borram! borram! über ihre Lippen, so rauschten sie fort, indem sie die dunkeln Wolken wie Schneebälle vor sich her stießen.

Als sie zu Fortfield wieder angelangt waren, entließ der kleine Mann seinen Diener, jedoch mit dem Befehl, in der folgenden Nacht um dieselbe Stunde sich wieder einzustellen. Und so ging es von nun an eine Nacht nach der andern, sie richteten ihre Fahrt bald hierhin, bald dorthin, nördlich, östlich und südlich, bis es in ganz Irland keinen ordentlichen Weinkeller mehr gab, den sie nicht besucht hatten und sie kannten Blume und Geschmack eines jeden Weines so gut, ja noch besser, als der Kellner selbst.

In einer Nacht, als Mac Daniel den kleinen Mann wie gewöhnlich in Fortfield antraf und im Begriff war, nach dem Moor zu gehen und die Reisepferde zu holen, sagte der Herr:

»Heute abend mußt du noch ein Pferd mehr mitbringen, möglich, daß wir in größerer Gesellschaft zurückkommen, als wir ausziehen.«

Mac Daniel, der schon wußte, daß er einen Befehl seines Herrn ohne weiteres Fragen auszurichten hatte, brachte noch eine dritte Binse, voll Verwunderung, wer es wohl sein könnte, der in ihrer Gesellschaft zurück reisen würde, und ob er einen Kameraden im Dienste bekommen sollte. »Ist er nur erst da«, dachte Mac Daniel, »so soll er jedesmal gehen und die Pferde im Moor holen, denn ich sehe nicht, warum ich nicht von Haut und Haar ein eben so feiner Mann sein soll, als mein Meister.«

Sie machten sich auf den Weg, und Mac Daniel hatte das dritte Pferd am Zügel. Sie hielten nicht eher an, als bis sie zu einem einsam liegenden Pächterhaus in der Grafschaft Limerick gekommen waren, nahe bei der alten Burg von Carrigogunniel, welche nach der Sage von dem großen Brian Boru gebaut war. Drinnen im Haus wurde ein Fest gefeiert und der Kleine blieb einige Zeit außen stehen, um zu horchen; aber plötzlich kehrte er sich um und sagte: »Mac Daniel, morgen werde ich tausend Jahr alt!«

»Werdet Ihr das, Herr«, antwortete Mac Daniel, »Gott segne Euch!«

»Aber sage das niemand wieder, Mac Daniel, was ich dir da entdeckt habe, es würde zu meinem Verderben auf immer gereichen. Da ich aber morgen tausend Jahr auf der Welt bin, so denke ich, es ist hohe Zeit, mich zu verheiraten.«

»Das scheint mir auch so, ohne allen Zweifel«, antwortete Mac Daniel, »wenn Ihr Willens seid zu heiraten.«

»Und bloß aus diesem Grunde bin ich nach Carrigogunniel gekommen, denn in diesem Hause, gerade an diesem Abend ist der junge Darby Riley im Begriff, die Brigitte Runey zu heiraten, und da es ein schlankes und allerliebstes Mädchen ist und von ehrbaren Leuten abstammt, so denke ich sie selber zu heiraten und mit mir fortzunehmen.«

»Und was wird Darby Riley dazu sagen?« bemerkte Mac Daniel.

»Schweig«, sagte der Kleine und sah ihn mit strengem Blick an, »ich habe dich nicht hergebracht, daß du mir Fragen vorlegen solltest.« Und ohne weiter sich über diesen Gegenstand zu äußern, sprach er jene seltsamen Worte aus, welche die Kraft verliehen, durch die Schlüssellöcher so leicht als durch die freie Luft zu gehen und dem Mac Daniel gefiel es selbst gar sehr, daß er imstande war, sie ihm nachzusagen.

Beide drangen also hinein und um die Gesellschaft besser zu sehen, hüpfte der Kleine behend wie ein Sperling auf einen von den dicken Balken, welche quer durch das Haus über den Häuptern der Leute herliefen und Mac Daniel tat dasselbe von der andern Seite. Doch nicht gewohnt, auf einem solchen Platz, wie auf einer Hühnerstange zu sitzen, hingen seine Beine so ungeschickt als möglich herab und offenbar hatte er sich die Art, mit welcher der Kleine sich zusammenkauchte, nicht zum Muster genommen. Aber dieser, wenn er sein Lebtag ein Schneider gewesen wäre, hätte nicht zufriedner mit untergeschlagenen Beinen dasitzen können.

So saßen beide, Herr und Diener, und schauten auf das lustige Fest herab, das vor ihren Augen begangen wurde. Da war der Geistliche, der Pfeifer, der Vater von Darby Riley mit Darby’s zwei Brüdern und seines Oheims Sohn; da war der Vater und die Mutter von Brigitte Runey (das alte Paar war diesen Abend stolz auf die Tochter und das mit allem Recht) und ihre vier Schwestern mit funkelneuen Bändern auf den Mützen und ihre drei Brüder, die alle so frisch und munter aussahen, als je drei Burschen in Munster; da waren Oheime und Muhmen, Gevatterinnen und Vettern genug, um das Haus voll zu machen. Da war Essen und Trinken im Überfluß und Platz an dem Tisch für jeden und wenn die Zahl noch einmal so groß gewesen wäre.

Nun ereignete es sich, gerade als Frau Runey dem Geistlichen bei dem ersten Schnitt in das Haupt des Spanferkels, das mit weißem Wirsing köstlich gefüllt war, hilfreiche Hand leistete, daß die Braut niesen mußte. Jedermann an dem Tisch fuhr auf, aber keine Seele sprach: »Gott segne uns!« denn alle dachten, der Geistliche würde das tun, wie er auch, wenn er seine Pflicht beachtet hätte, tun mußte, und niemand wollte ihm das Wort vor dem Munde wegnehmen, während er unglücklicherweise mit dem Haupt des Spanferkels und dem Gemüse beschäftigt war. Nach einem augenblicklichen Stillschweigen machten Scherz und Fröhlichkeit bei dem Fest, daß der fromme Segenspruch vergessen wurde.

Bei diesem Umstand waren beide Mac Daniel und sein Meister, von ihren erhabenen Sitzen herab keine gleichgültigen Zuschauer.

»Ha!« rief der Kleine, indem er mit freudiger Bewegung ein Bein unter sich hervorzog und sein Auge mit ungewöhnlichem Feuer funkelte, während seine Augenbrauen sich spitz in die Höhe zogen, »ha!« sagte er, schielte nach der Braut und dann nach Mac Daniel, »halb habe ich sie; wahrhaftig, laß sie nur zweimal niesen, so ist sie mein, dem Priester, Meßbuch und Darby Riley zum Trotz!«

Die schöne Braut nieste zum zweitenmal, doch so sanft und verschämt, daß wenige, den kleinen Mann ausgenommen, es bemerkten oder zu bemerken schienen, und niemand dachte daran zu sagen, »Gott segne uns!«

Mac Daniel hatte während dieser Zeit das arme Mädchen mit den traurigsten Blicken angesehen, denn er mußte beständig daran denken, wie betrübt es wäre für ein artiges junges Geschöpf von neunzehn Jahren mit großen blauen Augen, zarter Haut und Grübchen in den Backen, von Glück und Lust erfüllt, gezwungen zu werden, ein garstiges, kleines Stück von einem Manne zu heiraten, der tausend Jahr, weniger einen Tag, alt ist.

In diesem entscheidenden Augenblick nieste die Braut zum drittenmal und Mac Daniel rief aus allen Kräften: »Gott segne uns!» Ob dieser Ausruf eine Folge seines Selbstgesprächs war oder Macht der Gewohnheit, konnte er selbst nicht genau sagen. Aber kaum waren die Worte heraus, so sprang der kleine Mann, dessen Gesicht von Zorn und Verdruß glühte, von dem Balken, auf welchem er gehuckt hatte, herab und schrie mit dem grellen Ton einer kreischenden Sackpfeife:

»Ich entlasse dich aus meinem Dienste! Nimm das zum Lohn!« wobei er dem Mac Daniel einen wütenden Stoß gab, der den armen zappelnden Diener auf Gesicht und Hände mitten zwischen die aufgetragenen Speisen herunterstürzte.

Wenn Mac Daniel erschrocken war, so war es ein jeder in der Gesellschaft, in welche er ohne alle Feierlichkeit eingeführt wurde, noch mehr; doch als sie seine Erzählung hörten, legte Vater Cuney Messer und Gabel hin und traute das junge Paar auf der Stelle. Mac Daniel tanzte die Rinka bei der Hochzeit und aß und trank nach Herzenslust, worauf er mehr hielt, als auf den Tanz.

15. Das Feld mit Hagebuchen


15. Das Feld mit Hagebuchen

(Siehe auch die Anmerkungen)

Thomas Fitzpatrick war der älteste Sohn eines wohlhabenden Pächters, der zu Ballincolig in der Grafschaft Cork lebte. Thomas, ein munterer, hübscher, reinlicher Bursche, der jedermann gefiel, wer ihn ansah, hatte gerade neun und zwanzig Jahr erreicht, als er folgende Begebenheit erlebte. An einem schönen Herbsttage, es war am Tage unserer lieben Frau, der, wie jeder weiß, einer der größten Feiertage ist, streifte Thomas durch die Trift und ging an der Sonnenseite einer Hecke daher, während er bei sich bedachte, worin wohl das Unrecht liegen möchte, wenn die Leute statt müßig umher zu laufen und nichts zu tun das Heu aufschüttelten und den Hafer in Garben aufbänden, der bereits gemäht war, zumal da das Wetter wieder anfing unbeständig zu werden; als er plötzlich ein klapperndes Geräusch nicht weit von sich in der Hecke hörte. »Ei der tausend!« sagte Thomas, »Das ist ja wunderbar, noch so spät im Jahre die Schmetze singen zu hören!« Er schlich auf den Zehen herbei, ob er die Ursache des Geräusches zu Gesicht bekommen könnte und er sich in seiner Vermutung nicht geirrt habe. Das Geklapper hörte auf, aber als Thomas scharf durch das Buschwerk sah, so erblickte er in einer Ecke des Zauns einen braunen Krug, der etwa sechs Maß Flüssigkeit halten konnte und nahe dabei ein winziges, altes Männchen mit gekremptem Hut auf dem Kopf und ledernem Schürzchen, das vorne herabhing. Es schleppte einen kleinen hölzernen Stuhl herbei, stieg darauf, tauchte ein kleines Eimerchen in den Krug und zog es voll wieder heraus, stellte es neben den Stuhl und setzte sich dann bei dem Krug und fing an zu arbeiten, indem es auf einen kleinen Schuh, wie er gerade für sein Füßchen paßte, einen Fleck aufschlug. »So wahr ich lebe«, sprach Thomas zu sich selbst, »ich habe oft von einem Cluricaun reden hören, aber ehrlich zu gestehen, ich habe nie recht daran geglaubt, doch hier ist einer in allem Ernst. Wenn ich geschickt zu Werke gehe, so bin ich ein gemachter Mann. Wie ich gehört habe, darf man die Augen nicht von ihm abwenden, oder er weiß zu entwischen.«

Thomas schlich sich jetzt herbei und richtete die Augen auf ihn, wie eine Katze auf die Maus, oder wie man liest, daß die Klapperschlange tut, wenn sie die Vögel festbannen will. So kam er ganz nahe zu ihm. »Gott segne Eure Arbeit, Nachbar!« sagte Thomas.

Der Kleine richtete den Kopf in die Höhe: »Ich danke Euch schönstens«, antwortete er.

»Mich wundert, daß Ihr an dem heiligen Tage arbeitet«, sagte Thomas.

»Das ist meine Sorge, nicht Eure.«

»Freilich«, sprach Thomas, »aber Ihr seid ja wohl so gut und sagt mir, was Ihr da in der Kanne habt?«

»Herzlich gerne«, antwortete der Kleine, »es ist gutes Bier.«

»Bier!« rief Thomas, »Blitz und Hagel! Wie seid Ihr dazu gekommen?«

»Wie ich dazu gekommen bin? Gebraut habe ich es. Und wovon denkt Ihr, daß ich es gemacht habe?«

»Das mag der Guckguck wissen!« sprach Thomas, »ich denke aus Malz, woraus sonst?«

»Ihr irrt, ich mache es aus Heide.«

»Aus Heide!« rief Thomas, indem er in lautes Lachen ausbrach; »Ihr denkt doch nicht, daß ich ein solcher Narr wäre, um das zu glauben?«

»Wie es Euch beliebt«, antwortete er, »doch was ich Euch sage, ist wahr. Habt Ihr nie etwas von den Dänen erzählen gehört?«

»Gewißlich habe ich das«, sagte Thomas, »waren das nicht die Burschen, die wir ins Gebet nahmen, als sie uns Limerick zu entreißen gedachten?«

»Geht«, sagte der Kleine mit geringschätziger Miene, »ist das alles, was Ihr davon wißt?«

»Nun, was ist denn mit den Dänen?« fragte Thomas.

»Die Sache ist diese: als sie hier waren, so lehrten sie uns Bier aus Heide machen und das Geheimnis ist seitdem immer in meiner Familie geblieben.«

»Gebt Ihr einem zu versuchen von euerm Bier?« sprach Thomas.

»Ich will Euch etwas sagen, junger Mann. Es würde Euch besser ziemen, Eueres Vaters Haushalt zu besorgen, als bescheidene und ruhige Leute mit Euern dummen Fragen zu quälen. Eben jetzt, während Ihr Eure Zeit in Müßiggang zubringt, sind die Kühe in den Hafer geraten und haben die Frucht ganz niedergetreten.«

Thomas erschrak über diese Nachricht so sehr, daß er eben im Begriff war, sich umzuwenden, als er sich noch besann. Und da er befürchtete, es könnte ihm abermals begegnen, so grapste er nach dem Kleinen und packte ihn mit der Hand; doch in der Hast warf er die Kanne um und verschüttete all das Bier, so daß er es nicht versuchen und nicht sagen konnte, von welcher Art es gewesen sei. Er schwur dem Kleinen zu, daß er ihm kein Leid zufügen wollte, wenn er ihm zeigte, wo sein Geld wäre. Thomas sah so bös und blutdürstig aus, daß der Cluricaun sich gewaltig fürchtete. »Kommt mit mir«, sprach er, »über ein paar Felder, so will ich Euch einen ganzen Topf voll Gold zeigen.«

Sie gingen fort, und Thomas hielt den Kleinen fest in der Hand und wendete die Augen nicht von ihm weg. Sie mußten über Zaun und Graben, denn der Cluricaun schien aus bloßer Schadenfreude den härtesten und beschwerlichsten Weg auszusuchen, bis sie endlich auf ein Feld kamen, das ganz mit Hagebuchen angefüllt war und der Cluricaun ging auf einen dicken Stamm zu und sprach: »Grabt nur unter diesem Hagebuchenbaum, Ihr werdet einen ganzen Topf voll Goldstücke finden.«

Thomas hatte in der Hast nicht daran gedacht, einen Spaten mitzunehmen; er wollte nach Hause laufen und einen holen, und um die Stelle desto besser wiederzufinden, nahm er eins von seinen roten Strumpfbändern, das er um den Hagebuchenbaum knüpfte.

»Ich denke, Ihr bedürft mein nicht weiter«, sagte der Cluricaun mit Höflichkeit.

»Nein«, antwortete Thomas, »Ihr könnt Eurer Wege gehen, wenns Euch beliebt. Gott geleite Euch und gutes Glück folge Euern Schritten.«

«Laßt’s Euch wohl ergehen, Thomas Fitzpatrick«, sagte der Cluricaun, »und möge Euch alles zum Glück ausschlagen!«

Thomas rannte wie besessen nach Hause und holte einen Spaten und lief ebenso schnell, was er nur konnte, wieder nach dem Felde zurück. Aber wie er ankam, siehe da! Kein Hagebuchenbaum auf dem Felde, um den er nicht ein rotes Strumpfband gefunden hätte, dem seinigen völlig ähnlich, und es wäre ein unsinniger Gedanke gewesen, das ganze Feld umzugraben, denn es enthielt mehr als vierzig Acker Land.

Thomas ging also mit seinem Spaten auf der Schulter nach Hause, ein wenig kühler, als er gekommen war und verwünschte den Cluricaun, so oft er an den saubern Streich dachte, den er ihm gespielt hatte.

16. Die kleinen Schuhe


16. Die kleinen Schuhe

(Siehe auch die Anmerkungen)

»Nun sagt mir, Marie«, sprach Herr Cote zu Marie Cogan, als er ihr eines Tages auf der Straße, gerade auf dem alten Torweg von Kilmallock begegnete, »habt Ihr je etwas von einem Cluricaun gehört?«

»Von einem Cluricaun? Das mein‘ ich und mehr als einmal; wie oft habe ich meinen Vater, Ruhe seiner Seele! davon erzählen hören, eine Geschichte nach der andern.«

»Aber habt Ihr selbst niemals einen gesehen, Marie?«

»Nein, ich selbst mein Lebtag nicht; aber mein Großvater, meines Vaters Vater, ja der hat einmal einen gesehen, sogar in den Händen gehabt.«

»In den Händen gehabt! Ei, Marie, das müßt Ihr mir erzählen.«

»Gerne will ich das tun. Seht, mein Großvater war draußen im Moor gewesen, hatte Torf heimgefahren und der arme, alte Gaul war von seinem Tagewerk müde und der alte Mann war hinaus in den Stall gegangen, um nach ihm zu sehen, ob er sein Futter gefressen habe. Und als er zu der Stalltür kam, hörte er etwas hämmern und hämmern, ganz genau so, als wenn ein Schuster Schuhe macht, und dabei ein so hübsches Liedchen pfeifen, wie er sein Lebtag noch keins gehört hatte. Mein Großvater, der dachte gleich, das ist ein Cluricaun und sprach zu sich selbst und sagte: »Wenn’s geht, so fange ich ihn und dann habe ich Geld genug, solange ich lebe.« Er öffnete die Türe sachte, sachte, und machte nicht so viel Lärm als eine Katze, die nach der Maus schleicht; er schaute sich überall um, es war aber von dem kleinen Männchen nichts zu sehen und doch hörte er, wie es hämmerte und pfiff. Da schaute er und schaute, bis er endlich den kleinen Gesellen sah und denkt, er saß in der Gurt unter der Stute. Er hatte ein kleines Schürzfell um, den Hammer in der Hand und eine kleine rote Nachtmütze auf dem Kopf und machte Schuhe. Er war so mit seiner Arbeit beschäftigt, hämmerte und pfiff so laut, daß er meinen Großvater gar nicht merkte, bis ihn dieser fest mit der Hand packte. Jetzt habe ich Euch, rief er und ich sage Euch, ich lasse Euch nicht eher los, als bis ich Euern Geldbeutel habe, der ist jetzt mein, nur gleich heraus damit. Halt, halt! sagte der Cluricaun, ich will ihn holen. Mein Großvater, denkt Euch, ist so ein Narr und öffnet seine Hand ein wenig, und der Kleine hüpft lachend fort, und er sah ihn niemals wieder, noch weniger etwas von dem Geldbeutel; nur den kleinen Schuh, an dem er arbeitete, hatte der Cluricaun zurückgelassen. Mein Großvater war über sich selbst ärgerlich genug, daß er ihn hatte entschlüpfen lassen; den Schuh behielt er, solange er lebte und meine eigene Mutter hat mir erzählt, daß sie ihn oft genug gesehen und in der Hand gehabt, und daß es der niedlichste Schuh gewesen, den ihre Augen jemals erblickt hätten.«

»Und habt Ihr ihn auch gesehen, Marie?«

»Lieber Himmel, nein, das war lange, ehe ich auf die Welt kam, meine Mutter hat mir oft genug davon erzählt.«

Die Banshi


Die Banshi

(Siehe auch die Anmerkungen)

Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts war Pfarrer zu Buttevant in der Grafschaft Cork der ehrwürdige Herr Carl Bunworth, ein Mann von gründlichen Kenntnissen und ungeheuchelter Frömmigkeit. Von den Reichen war er geachtet, von den Armen geliebt und ein Unterschied im Glauben minderte nicht die Zuversicht, mit der sie sich in einer schwierigen Angelegenheit oder in Zeiten des Mißgeschickes an ihn wendeten; denn sie waren gewiß, von ihm Beistand in Rat und Tat zu erhalten, wie ihn ein Vater seinen Kindern zu gewähren pflegt. Zu ihm kamen aus der benachbarten Stadt Newmarket seines Rates und Unterrichts wegen Curran sowohl als Yelverton vor ihrem Eintritt in die hohe Schule zu Dublin. Jung, ohne Vermögen und Erfahrung empfingen diese späterhin berühmten Männer außer der Belehrung, die sie suchten, noch Unterstützung in Geld, und ihre glänzende Laufbahn in der Folge rechtfertigte den feinen Takt, womit der Geber sie auszeichnete.

Was indessen den Ruf des Herrn Bunworth weit über die Grenzen der nächsten Kirchsprengel verbreitete, war seine Fertigkeit auf der irischen Harfe, und die gastfreundliche Aufnahme und Bewirtung der armen Harfenspieler, die von Haus zu Haus in der Grafschaft umherzogen. Dankbar san-gen sie auf ihren Wanderungen den Ruhm des Wohltäters zu den rauschenden Tönen ihrer Harfe, indem sie zur Vergeltung seiner Güte reiche Segnungen auf sein weißes Haupt herabriefen und in schlichten, kunstlosen Worten die Reize seiner blühenden Töchter, Elisabeth und Marie, priesen. Es war alles, was diese armen Sänger vermochten, aber wer will an der Aufrichtigkeit ihres Dankes zweifeln, da bei dem Tod des Herrn Bunworth nicht weniger als fünfzehn Harfen auf dem Boden seines Kornhauses sich hinterlegt fanden, die ihm von den letzten Gliedern eines Stammes, der nun aufgehört hat zu bestehen, waren vermacht worden? Geringfügig ohne Zweifel war der eigentliche Wert dieser Überbleibsel, doch in den Gaben des Herzens liegt etwas, das verdient erhalten zu werden und es ist zu bedauern, daß nach seinem Tode diese Harfen eine nach der andern zerschlagen und von einem unwissenden Glied der Familie, nachdem man, als sie für eine Zeitlang ihren Aufenthalt in Cork nahm, die Sorge für das Hauswesen übertragen hatte, zum Feueranmachen verbraucht wurden.

Die Umstände bei dem Tode des Herrn Bunworth mögen von manchem in Zweifel gezogen werden; doch es leben noch jetzt glaubwürdige Zeugen, welche die Wahrhaftigkeit davon behaupten und gestellt werden können, um die meisten, wo nicht alle Einzelheiten der folgenden Erzählung zu verbürgen.

Ungefähr eine Woche vor seinem Ende bei dem Eintritt der Nacht ward ein Geräusch an der Saaltüre vernommen, etwa als ob ein Schaf geschoren würde, ohne daß man damals besonders darauf acht hatte. Es war bald elf Uhr in derselben Nacht, als der Hirte Kavanagh von Mallow zurückkehrte, wohin er einiger Arzneien wegen nachmittags war ausgeschickt worden und Miß Bunworth, welcher er das Glas überreichte, bemerkte, daß er sehr verstört aussah. Zu dieser Zeit glaubte man, was wohl zu beachten ist, daß der Zustand ihres Vaters durchaus nicht gefährlich sei.

»Was habt Ihr, Kavanagh?« fragte sie; aber der arme Mensch mit ganz verwildertem Blick, brachte nur die Worte hervor: »Der Herr, Miß, der Herr, er verläßt uns!« Und überwältigt von heftigster Betrübnis brach er in eine Flut von Tränen aus. Miß Bunworth, deren kräftige Natur nicht leicht zu schrecken war, fragte, ob er in Mallow etwas gehört hätte, was ihn veranlassen könnte zu vermuten, daß es mit ihrem Vater schlimm stände?

»Ach nein, es war nicht in Mallow« – antwortete er.

»Kavanagh«, sagte Miß Bunworth mit jenem entschiedenen Wesen, das in ihrem Charakter lag; »ich fürchte, Ihr habt getrunken und ich gestehe, daß ich es am wenigsten in dieser Zeit von Euch erwartete, wo Ihr besonders verpflichtet war’t, nüchtern zu bleiben. Ich dachte, man könnte sich auf Euch verlassen. Was hätten wir anfangen sollen, wenn die Arzneiflasche zerbrach oder verloren ging? Denn der Arzt hat gesagt, es sei von größter Wichtigkeit, daß der Herr noch heute nacht davon nehme; doch ich will morgen mit Euch sprechen, wenn Ihr Euch in einem Zustand befindet, in welchem Ihr fähiger seid zu wissen, was Ihr sagt.«

Kavanagh schaute auf mit einem dummen Blick, der nicht dazu dienen konnte, den Eindruck seiner Trunkenheit zu entfernen, so wenig als die trüben, vom Weinen geschwollenen Augen; doch seine Stimme war nicht die eines Berauschten.

»Miß«, sagte er, »so wahr mir Gott helfe! Kein Tropfen ist über meine Lippen gekommen, seit ich dieses Haus verlassen habe; doch der Herr –«

»Redet leise«, antwortete Miß Bunworth, »er schläft und es geht so gut, als wir nur immer erwarten können.«

»Gott sei gelobt!«, sagte Kavanagh; »Doch ach, er verläßt uns, wahrhaftig, Miß, er verläßt uns!« und rang die Hände.

»Was meint Ihr, Kavanagh?« fragte sie.

»Was ich meine? Die Banshi hat sich gezeigt, seinetwegen, und ich bin es nicht allein, der sie gehört hat.«

»Das ist bloßer Aberglaube!« sagte Miß Bunworth.

»Mag wohl sein!« versetzte Kavanagh, als wenn die Worte bloßer Aberglaube nur in seine Ohren geklungen wären, ohne seine Seele zu erreichen; »mag wohl sein; doch«, fuhr er fort, »als ich durch das Tal von Ballybeg kam, ging sie daher, jammernd und schreiend und die Hände zusammenschlagend; an meiner Seite war sie bei jedem Schritt, den ich auf dem Weg tat; ihr langes, weißes Haar fiel über ihre Schultern und ich konnte hören, wie sie des Herrn Namen dann und wann aussprach, so deutlich, als ich jemals gehört habe. Wie ich zu der alten Abtei kam, verließ sie mich und wendete sich nach dem Taubenfeld zunächst dem Gottesacker und, sich in ihren Mantel hüllend, setzte sie sich unter einen vom Blitz gespaltenen Baum und hub an so bitterlich zu wehklagen, daß es durch’s Herz ging, es mit anzuhören.«

»Kavanagh«, sagte Miß Bunworth, die gleichwohl aufmerksam seiner wunderlichen Erzählung zugehört hatte, »mein Vater befindet sich, wie ich glaube, besser und ich hoffe, er wird bald wieder auf sein und selbst imstande, Euch zu überzeugen, daß dies alles nur Einbildung von Euch ist. Indessen verlange ich von Euch, nichts von dem zu erwähnen, was Ihr mir soeben erzählt habt, denn es ist nicht Augenblick, die Leute im Hause mit dieser Geschichte in Furcht zu setzen.«

Herrn Bunworths Kräfte nahmen allmählich ab, doch kein besonderer Umstand ereignete sich, bis zu der Nacht vor seinem Tode. In dieser Nacht ließen die beiden Töchter, erschöpft von Wachen und der beständigen, aufmerksamen Pflege, sich überreden, ein wenig auszuruhen, eine ältliche Frau, nahe Verwandte und Freundin der Familie, blieb neben dem Bett des Kranken sitzen. Der alte Mann lag in dem Gesellschaftszimmer, wohin er den Morgen auf sein eigenes Verlangen gebracht worden war, weil er sich einbildete, diese Veränderung wurde ihm einige Erleichterung gewähren; mit dem Kopf lag er nahe an dem Fenster. In dem anstoßenden Zimmer saßen einige Freunde und wie gewöhnlich bei solchen traurigen Anlässen waren in der Küche mancherlei Menschen aus Anhänglichkeit an die Familie versammelt.

Es war eine mondhelle Nacht, der Kranke schlief und nichts unterbrach die Stille des traurigen Wachens, als die kleine Gesellschaft in dem anstoßenden Zimmer, dessen Türe offen stand, aufgeschreckt wurde durch einen Ton an dem Fenster nahe bei dem Bett. Ein Rosenbaum stand außen, so nahe, daß er die Scheiben des Fensters berührte. Dieses wurde plötzlich mit einigem Geräusch aufgestoßen und leises Wimmern gehört und ein Zusammenschlagen der Hände, wie von einem Weib in tiefem Jammer. Es schien, als käme der Ton von jemand, der seinen Mund ganz nah an das Fenster hielt. Die Frau, welche neben dem Bette des Kranken saß, stand auf und ging in das Nebenzimmer und fragte mit ängstlichem Ton die Herren, ob sie die Banshi gehört hätten? Zwei von ihnen, die an übernatürliche Erscheinungen wenig glaubten, standen sogleich auf, um die Ursache jener Klänge zu entdecken, die sie gleichfalls deutlich vernommen hatten. Sie gingen rund um das Haus, untersuchten jede Stelle, vorzüglich jene in der Nähe des Fensters, woher die Stimme gekommen war; alles Suchen jedoch war vergeblich, sie entdeckten nicht das geringste und ununterbrochene Stille herrschte überall. In der Hoffnung, das Geheimnis zu enthüllen, setzten sie ihre Nachforschungen die Straße entlang auf das genauste fort, und da diese sehr gerad war und die Nacht vollkommen hell, hinderte sie nichts rund umher eine ziemliche Strecke zu übersehen; indessen war alles still und öd und sie kehrten mit Verwunderung und getäuscht in ihren Erwartungen zurück. Um so größer war ihr Erstaunen, als sie vernahmen, daß in der ganzen Zeit, während ihrer Abwesenheit, jene, die im Hause zurückgeblieben waren, das Wehklagen und Zusammenschlagen der Hände gehört hatten und zwar viel lauter und deutlicher, als zuvor; und kaum hatten sie die Türe des Zimmers hinter sich zugemacht, als sie abermals jene klägliche Stimme vernahmen. Der Kranke ward von Stunde zu Stunde schlimmer und beim ersten Schimmer des Morgens tat Herr Bunworth den letzten Atemzug.

18. Die Banshi von Mac Carthy


18. Die Banshi von Mac Carthy

(Siehe auch die Anmerkungen)

Karl Mac Carthy war im Jahr 1749 der einzige noch lebende Sohn einer zahlreichen Familie. Sein Vater starb, als er wenig mehr als zwanzig Jahr alt war und hinterließ ihm die Güter ziemlich unverschuldet. Karl war lebhaft und wohlgebildet, weder durch Dürftigkeit, noch einen Vater oder Wächter gezügelt und eben deshalb in einem solchen Alter kein Tugendspiegel. Offenherzig zu reden, er war ein verschwenderischer, man sollte wohl sagen wüster Schwelger. Seinen Umgang suchte er, wie sich denken läßt, in der benachbarten Jugend der höheren Stände, deren Vermögensumstände in der Regel glänzender waren, als die seinigen, deren Hang zu Vergnügungen deshalb noch weniger Einschränkung kannte und in deren Beispiel er eben sowohl Anreizung zu seinem unordentlichen Leben als Billigung desselben fand.

Karl Mac Carthy versank so tief in die Lüste, welchen sich zu ergeben die schwache Jugend ohnehin geneigt ist, daß um die Zeit, wo er sein vier und zwanzigstes Jahr vollendete, er von einem heftigen Fieber befallen wurde, welches als höchst bösartig bei der Hinfälligkeit seines Körpers kaum Hoffnung zur Genesung ließ. Seine Mutter, die anfänglich mancherlei Anstrengungen gemacht hatte, ihn von dem Irrwege abzubringen und am Ende genötigt war, die raschen Fortschritte zum Verderben mit stiller Verzweiflung anzusehen, wachte Tag und Nacht bei seinem Lager. Die Angst des mütterlichen Gefühls war gemischt mit einem noch tiefern Jammer, welchen jene allein kennen, die unablässig bemüht ein geliebtes Kind in Tugend und Frömmigkeit zu erhalten, gesehen haben, wie es nach den Wünschen ihres Herzens bis zum Manne heranwuchs, dann, wenn ihr Stolz am höchsten war, erleben mußten, daß eben das, was ihnen das liebste auf der Welt war, sorglos in den Strom des Lasters sich stürzte und nach einem schnellen Lauf vor die Pforten der Ewigkeit zu stehen kam ohne Zeit und Kraft zur Reue. Es war ihr heißes Gebet, wenn sein Leben nicht könnte erhalten werden, daß die Bewußtlosigkeit, welche seit den ersten Stunden seiner Krankheit mit immer wachsender Gewalt fortdauerte, vor seinem Ende aufhören und ihm Besinnung und Ruhe genug hinterlassen möchte, seinen Frieden mit dem beleidigten Himmel zu machen. Nach wenigen Tagen indessen schien die Natur völlig erschöpft und er versank in einen Zustand, der dem Tode zu ähnlich war, als daß man ihn für Ruhe des Schlafes hätte halten können. Sein Gesicht war bleich, glatt und marmorartig, zum sichersten Zeichen, daß das Leben die irdische Wohnung verlassen hat. Seine Augen waren geschlossen und eingesunken, die Augenlider hatten jenes erstarrte und eingedrückte Wesen, das anzuzeigen pflegt, daß die Hand eines Freundes schon den letzten Dienst geleistet hat. Die Lippen, halb geschlossen und vollkommen aschgrau, ließen nur etwas von den Zähnen sehen, um dem Bild des Todes seinen furchtbarsten aber ausdrucksvollsten Zug zu geben. Er lag auf dem Rücken, die Hände zur Seite ausgestreckt, ganz bewegungslos, und die erschütterte Mutter konnte nach wiederholten Versuchen nicht das geringste Zeichen von Leben entdecken. Der Arzt, der zugegen war und die üblichen Proben angestellt hatte, um Gewißheit über den Zustand zu erhalten, erklärte endlich, daß er verschieden sei und traf Anstalt, das Sterbehaus zu verlassen. Sein Pferd wurde vorgeführt. Eine Menge Leute, die sich vor den Fenstern oder in Haufen hier und da auf dem Platz versammelt hatten, eilten herzu, als die Türe sich öffnete. Es waren Diener des Hauses, Leute, die Wohltaten empfingen, arme Verwandte der Familie, wozu noch andere sich gesellten, durch Anhänglichkeit herbeigezogen, auch wohl durch Teilnahme, die zwar mit aus Neugierde entspringt, aber doch noch etwas mehr ist und welche die niedern Stände um ein Haus zu versammeln pflegt, wo ein menschliches Wesen in die andere Welt übergeht. Sie sahen den Mann, der im Beruf zugegen gewesen war, aus der Haustüre treten und zu seinem Pferde gehen; und während er langsam, mit traurigem Wesen sich anschickte aufzusteigen, drängten sie sich forschenden und bewegten Blicks um ihn her. Man hörte kein lautes Wort und doch war ihre Meinung außer Zweifel; der Arzt, als er aufgesessen war, während der Diener beständig den Zaum in den Händen behielt, als wollte er ihn zurückhalten, und ängstlich nach seinen Mienen schaute, als wenn er erwartete, er werde die beklemmende Ungewißheit lösen, schüttelte den Kopf und sagte mit gedämpfter Stimme: »Es ist vorbei, Jacob!« und ritt langsam fort. Kaum war das Wort aus seinem Munde, so stießen die in nicht geringer Zahl anwesenden Weiber einen heftigen Schrei aus, welcher, nachdem er eine halbe Minute lang gedauert hatte, plötzlich in ein lautes, fortgesetztes und mißhelliges, aber jammervolles Wehklagen herabsank, durch welches nur dann und wann die tiefern Töne männlicher Stimmen drangen, manchmal in abgebrochenem Schluchzen, manchmal in deutlichen Ausrufungen des Schmerzens. Karls Milchbruder ging unter der Menge Menschen umher, die Hände bald zusammenschlagend, bald in schmerzvoller Angst ringend. Der arme Bursch war in der Jugend Karls Gefährte und Spielgenosse, in der Folge sein Diener gewesen, hatte sich immer durch eine besondere Anhänglichkeit ausgezeichnet und zuletzt seinen jungen Herrn wie sein eigenes Leben geliebt.

Als die Mutter überzeugt war, daß der harte Schlag sie wirklich getroffen hatte und ihr geliebter Sohn in der Blüte seiner Sünde dahingegangen war, die letzte Rechenschaft abzulegen, blieb sie eine Zeitlang und schaute mit unverwandten Blicken das erstarrte Antlitz an; dann als habe plötzlich etwas die Saite ihrer zärtlichsten Liebe berührt, rollte eine Träne nach der andern über ihre von Angst und Nachtwachen abgebleichten Wangen. Sie schaute noch immer auf ihren Sohn, ohne zu wissen, daß sie weinte und ohne nur einmal ihr Tuch vor die Augen zu halten, bis sie an die beschwerlichen Pflichten, welche herkömmliche Landessitte ihr auflegte, durch die Menge Frauen erinnert ward, die zu der bessern Klasse der Bauern gehörte und nun unter lautem Schreien beinahe das ganze Gemach anfüllten. Sie entfernte sich hierauf, um Anordnungen wegen der Feierlichkeit bei dem Wachen zu treffen und um die zahlreichen Besucher aus allen Ständen mit den bei dieser traurigen Gelegenheit üblichen Erfrischungen versorgen zu lassen. Obgleich ihre Stimme kaum gehört wurde und niemand sie sah, als zwei Diener und ein oder zwei bewährte Hausfreunde, die ihr bei den nötigsten Einrichtungen Beistand leisteten, so wurde doch alles mit der größten Regelmäßigkeit ausgeführt. Und wiewohl sie sich keineswegs anstrengte, ihren Schmerz zu unterdrücken, so hemmte er doch keinen Augenblick ihre Aufmerksamkeit, die gerade jetzt nötiger als je war, um Ordnung in ihrem Hauswesen zu erhalten, welches in dieser Unglückszeit ohne sie ganz in Verwirrung geraten wäre.

Die Nacht war ziemlich vorgerückt, das laute Jammergeschrei, welches den Tag über in und um das Haus herrschte, hatte einem feierlichen und düstern Schweigen Platz gemacht, und Frau Mac Carthy, der das Herz ungeachtet der langen Ermüdung und nächtlichen Wachen zu schwer war, um schlafen zu können, lag in heißem Gebet auf den Knien in einem Zimmer, das unmittelbar an das ihres Sohnes stieß. Plötzlich ward sie in ihrer Andacht durch ein ungewöhnliches Geräusch unterbrochen, welches von den Personen kam, die bei der Leiche wachten. Zuerst war es ein leises Gemurmel, dann war alles still, als wenn die Bewegungen jener, die in dem Zimmer sich befanden, durch einen heftigen Schrecken wären gelähmt worden; jetzt brach ein lauter Schrei des Entsetzens aus, die Türe des Zimmers ward aufgerissen und was im Gedränge sich aufrecht erhalten konnte, stürzte wild untereinander nach der Treppe hin, zu welcher der Weg durch der Frau Mac Carthy Gemach führte. Frau Mac Carthy drang durch das Gewirr in das Zimmer ihres Sohnes und fand ihn aufrecht im Bette sitzen, starr um sich schauend, gleich einem, der aus dem Grabe erstanden ist. Ein gewisser Glanz, der sich über die eingesunkenen Züge und die spitzen, abgestorbenen Formen verbreitete, verlieh seinem ganzen Anblick etwas überirdisch Grauenhaftes. Frau Mac Carthy war nicht ohne Festigkeit der Seele, aber befangen in dem Aberglauben ihres Vaterlandes. Sie sank auf die Knie und die Hände faltend betete sie laut. Die Gestalt vor ihr bewegte den Mund und brachte bloß »Mutter!« heraus, die bleichen Lippen zuckten, als hätten sie die Absicht, den Gedanken zu beendigen, aber die Zunge versagte den Dienst. Sie sprang auf ihn zu und die Hände ausstreckend, rief sie: »Rede, im Namen Gottes und seiner Heiligen, rede, lebst du?«

Er wendete sich langsam zu ihr hin und sprach mit sichtbarer Anstrengung: »Ja, meine Mutter, ich lebe; aber sitzt nieder und sammelt Euch. Ich will Euch etwas erzählen, worüber Ihr mehr erstaunen werdet, als über das, was Ihr gesehen habt!« Er lehnte sich aufs Kopfkissen zurück und während sie neben dem Bette knien blieb, eine von seinen Händen in den ihrigen haltend und zu ihm aufschauend, wie jemand, der seinen eigenen Sinnen nicht mehr traut, fuhr er fort:

»Unterbrecht mich nicht, bis ich zuende bin; ich möchte gerne sprechen, so lange der Reiz des wiederkehrenden Lebens in mir dauert, denn ich fühle, daß ich hernach langer Ruhe bedarf. Von dem Anfang meiner Krankheit habe ich nur eine verwirrte Erinnerung, doch in den letzten zwölf Stunden habe ich vor dem Richterstuhl Gottes gestanden. Starrt mich nicht so ungläubig an, Mutter, es ist wahr, wie es meine Sünden sind und wie ich hoffe, daß es meine Reue sein wird. Ich habe den hehren Richter gesehen, strahlend in all den Schrecken, die ihn umgeben, wenn die Gnade der Gerechtigkeit weicht. Ich habe die furchtbare Herrlichkeit der beleidigten Allmacht gesehen und ich erinnere mich dessen wohl. Es ist mir fest eingeprägt und mit unauslöschlicher Schrift in mein Gehirn gedrückt, aber dahin reicht menschliche Sprache nicht. So viel ich kann, will ich beschreiben, ich muß mich kurz fassen. Es ist genug gesagt, ich ward auf die Waage gelegt und zu leicht befunden. Das unwiderrufliche Urteil sollte eben gefällt werden, die Augen meines allmächtigen Richters, die mich angestrahlt hatten, sprachen schon halb meine Verdammung aus, als ich bemerkte, daß der heilige Schutzengel, an den Ihr so oft mein Gebet richtetet, als ich noch ein Kind war, mit einem Ausdruck voll Güte und Mitleid mich ansah. Ich streckte die Hände nach ihm aus und flehte um seine Fürsprache. Ein Jahr nur, ein Monat, bat ich, möchte mir noch auf Erden gegeben werden zur Reue und Sühne für meine Vergehungen. Er kniete selbst vor den Füßen meines Richters und flehte um Gnade. Ach! niemals, und sollte ich noch übergehen nacheinander in zehntausend verschiedene Zustände meines Daseins, niemals in alle Ewigkeit werde ich das Entsetzen jenes Augenblickes vergessen, wo mein Schicksal zur Entscheidung kam und von einer Sekunde abhing, ob unaussprechliche Qualen auf endlose Zeiten mein Los sein sollten. Doch die Gerechtigkeit verschob ihren Beschluß und die Gnade sprach in festem, mildem Ton: kehre zurück auf die Welt, in welcher du gelebt hast, aber nur um die Gesetze dessen zu versöhnen, der die Welt und dich geschaffen hat. Drei Jahre sind dir gegeben zu bereuen, sind diese verflossen, dann sollst du abermals hier stehen, um erlöst zu werden oder dem ewigen Verderben preisgegeben. Ich hörte nichts mehr, ich sah nichts mehr, bis ich zum Leben erwachte, in dem Augenblick, wo Ihr eintratet.«

Seine Kräfte reichten gerade so weit, um diese letzten Worte zuende zu bringen und sobald er sie ausgesprochen hatte, schloß er die Augen und lag völlig erschöpft. Die Mutter, obgleich sie, wie vorhin bemerkt, übernatürliche Erscheinungen nicht gerade ableugnete, war doch ungewiß, ob sie ihm glauben sollte, oder annehmen, daß er, wiewohl aus einer Ohnmacht erwacht, welche die Krisis der Krankheit möchte gewesen sein, noch immer an Geistesabwesenheit litte. Ruhe indessen war ihm in jedem Falle Bedürfnis und sie traf sogleich Vorkehrungen, daß er sie ungestört genießen konnte. Nach einigen Stunden Schlaf wachte er neugestärkt auf und von da an nahm die Genesung stufenweise beständig zu.

Karl beharrte stets bei der Erzählung von seiner Vision, so wie er sie gleich das erstemal gegeben hatte und die Überzeugung von ihrer Wahrheit mußte notwendig von entschiedenem Einfluß auf seine Lebensweise und sein Betragen sein. Er gab seinen früheren Umgang nicht völlig auf, denn die Heiterheit seiner Natur war durch seine Umwandlung nicht getrübt worden, aber er nahm an Ausschweifungen niemals Teil, dagegen war er oft ernstlich bemüht, die andern davon abzuhalten. Er war gottesfürchtig ohne Scheinheiligkeit, ernst ohne Strenge, und gab ein Beispiel, wie Laster sich in Tugend umwandeln könne, ohne vornehm, herb und trübselig zu werden.

Die Zeit verstrich und lang ehe die drei Jahre zu Ende gingen, war die Geschichte von der Vision vergessen oder wenn die Rede darauf kam, wurde sie gewöhnlich als ein Beweis angeführt, wie unvernünftig es sei, an solche Dinge zu glauben. Karls Gesundheit, bei der Mäßigung und Regelmäßigkeit seiner Lebensweise, ward kräftiger als je. Es ist wahr, seine Freunde hatten oft Gelegenheit, ihn wegen seines ernsthaften und zurückgezogenen Betragens zu necken, welches man an ihm bemerkte, als sich die Zeit näherte, wo er sein siebenundzwanzigstes Jahr vollendete, gewöhnlich jedoch zeigte er im Umgang jene Lebendigkeit und Heiterheit, die ihm eigentümlich war. Unter Leuten wich er jedem aus, der sich bemühte, ihm eine bestimmte Äußerung rücksichtlich jener Voraussagung zu entlocken, doch in seiner eigenen Familie war es kein Geheimnis, daß er fest daran glaubte. Indessen als der Tag herankam, an welchem die Prophezeiung durchaus sich bewähren mußte, versprach sein ganzes Aussehen ein so langes und gesundes Leben, daß er sich durch seine Freunde überreden ließ zur Feier seines Geburtstages, eine große Gesellschaft zu einem Gastmahl auf Springhouse einzuladen. Veranlassung dazu und alle Umstände, die sie begleiteten, lernt man am besten kennen, wenn man folgende von Verwandten der Familie sorgfältig aufbewahrten Briefe liest.

Der erste ist von der Frau Mac Carthy an eine vertraute und bewährte Freundin, welche zu Castle Barry in der Grafschaft Cork, etwa zwölf Meilen von Springhouse wohnte.

»Dienstag den 15ten Oktober 1752.

Teuerste Marie. Ich fürchte, ich setze durch diesen Brief Eure Liebe für Eure alte Freundin und Verwandtin auf eine zu harte Probe. Zwei Tage in dieser Jahreszeit auf schlechten Wegen und in dieser unruhigen Gegend zu reisen, in der Tat, man muß auf eine Freundschaft wie die Eurige bauen, wenn man eine besonnene Frau zu diesem Unternehmen bereden will. Aber in Wahrheit, ich habe oder bilde mir ein mehr als gewöhnliche Ursache zu haben, Euch in meiner Nähe zu wünschen. Ihr kennt die Geschichte von meinem Sohn. Ich kann nicht sagen, wie es zugeht, aber mit dem daß der nächste Sonntag heranrückt, wo die Voraussagung seines Traumes sich als falsch oder wahr bewähren muß, fühle ich im Herzen eine Mutlosigkeit, die ich nicht besiegen kann und Eure Gegenwart, geliebteste Marie, würde, wie sie schon mehr getan hat, manche von meinen Sorgen beschwichtigen. Mein Neffe Jacob Ryan wird sich mit Johanne Osborne (wie Ihr wißt, meines Sohnes Mündel) verheiraten und das Hochzeitfest soll hier den nächsten Sonntag gefeiert werden, obgleich Karl sehr darauf dringt, es einen oder zwei Tage weiter hinaus zu schieben. Wollte Gott – doch ich verspare alles auf mündliche Unterredung. Überwindet Euch, Euren guten Mann auf eine Woche zu verlassen, wenn die Landwirtschaft ihm nicht erlauben sollte, Euch zu begleiten, bringt aber die Mädchen mit und kommt so früh vor Sonntag, als Euch möglich ist.«

Obgleich dieser Brief den Mittwochen morgen zu Castle Barry anlangte, da der Bote durch Sumpf und Moor auf Fußwegen gegangen war, wo Pferd und Wagen nicht fortkommen, so hatte doch Frau Barry, zwar gleich zur Reise entschlossen, doch so mancherlei Einrichtungen für den Haushalt zu treffen, welcher in Irland bei dem mittlern Adel leicht in Verwirrung gerat, wenn die Hausfrau nicht zugegen ist, daß es ihr und den beiden jüngern Töchtern unmöglich fiel, eher als Freitag morgen abzureisen. Die älteste Tochter blieb zurück, dem Vater Gesellschaft zu leisten und die Aufsicht über das Hauswesen zu führen. Da sie die Reise in einem offenen einspännigen Wagen machten, und die Wege, zu aller Zeit schlecht, durch häufige Regengüsse noch grundloser geworden waren, so nahmen sie sich vor, zwei bequeme Stationen zu machen, die erste Nacht auf der Hälfte des Wegs zuzubringen und sonnabends bei guter Zeit zu Springhouse einzutreffen. Dieser Plan konnte aber nicht ausgeführt werden, da sie einsahen, daß bei ihrer späten Abfahrt sie höchstens fünf Meilen den ersten Tag machen könnten, sie beschlossen daher in dem Hause des Herrn Bourke, eines Freundes, zu übernachten, der noch etwas näher wohnte. Sie langten ziemlich durchgeschüttelt, aber doch wohlbehalten bei ihm an. Was ihnen auf der Reise den folgenden Tag bis nach Springhouse und nach ihrer Ankunft daselbst begegnete, ist ausführlich in einem Brief erzählt, den die zweite Miß Barry an ihre älteste Schwester von dorther schrieb.

»Sonntag abend den 20sten Oktober 1752.

Da der Mutter Brief, in welchem dieser eingeschlossen liegt, Euch im Allgemeinen die traurige Nachricht ankündigt, welche ich hier vollständiger mitteilen soll, so glaube ich, es ist besser wenn ich bei der Erzählung von den ungewöhnlichen Ereignissen der beiden letzten Tage regelmäßig verfahre.

Bei Herrn Bourke trafen wir den Freitag abend so spät ein, daß wir gestern unmöglich zu rechter Zeit ausfahren konnten und deshalb mit einbrechender Nacht noch mehr als drei Meilen von Springhouse entfernt waren. Die Wege, von dem anhaltenden Regen in voriger Woche ganz aufgeweicht, gestatteten uns nur ein langsames Fortbewegen, so daß sich die Mutter endlich entschloß, die Nacht in dem Hause von Herrn Bourke’s Bruder zuzubringen, das eine kurze Strecke von dem Weg abliegt. Der Tag war windig und regenhaft gewesen und der Himmel schien drohend, trüb und ungewiß. Der Mond stand voll und zeigte sich wohl dann und wann hell und glänzend, meist aber hinter schwerem, dunkelem und zerrissenem Gewölk versteckt, das schnell vorüber zog, jeden Augenblick in noch größern Massen heranrückte und sich für einen kommenden Sturm anzuhäufen schien. Der Wind, der uns ins Gesicht blies, pfiff kalt durch die niedrigen Hecken an den Seiten der Landstraße, auf welcher wir bei der Menge tiefer Pfützen nur mit Mühe weiter kamen und wo wir nirgends den geringsten Schutz hoffen durften, da meilenweit keine Anpflanzung war. Die Mutter fragte daher den Lorenz, welcher den Wagen führte, wie weit wir noch von Herrn Bourke’s Gut wären.

‚Noch ein paar Steinwürfe weiter‘, antwortete er, ‚bis zu dem Kreuzweg, dann brauchen wir uns nur links in den Baumgang zu wenden.‘

‚Gut Lorenz, wenn du zu dem Kreuzweg kommst, so lenke ein nach Herrn Bourke’s Haus.‘

Kaum hatte die Mutter diese Worte gesprochen, so drang ein Schrei, vor dem wir zusammenfuhren, als habe er uns das Herz durchschnitten, von der Hecke gerade auf uns ein. War er irgend einem irdischen Laute ähnlich, so schien es der Schrei eines Weibes, welches von einem heftigen und mördrischen Schlag getroffen, sein Leben in tiefer, entsetzlicher Todesangst ausstößt.

‚Gott behüte uns!‘ rief die Mutter, ’steig über die Hecke, Lorenz, und hilf dem Weib, wenn es nicht schon tot ist, während wir zu der Hütte zurück eilen, an der wir eben vorüber gekommen sind und im nächsten Dorfe Lärm machen.‘

‚Ein Weib!‘ sagte Lorenz, indem er mit aller Macht aufs Pferd peitschte und seine Stimme zitterte, ‚Das ist kein Weib! Je schneller wir davon eilen, desto besser!‘ und strengte sich aufs neue an, die trägen Schritte des Pferdes zu beleben. Wir sahen nichts, der Mond hatte sich versteckt. Es war ganz dunkel und wir erwarteten längst einen Regenguß. Eben aber als Lorenz gesprochen hatte und es ihm gelungen war, das Pferd in raschere Bewegung zu bringen, hörten wir deutlich ein lautes Zusammenschlagen der Hände, auf welches ein Schrei nach dem andern folgte, was die letzte Anstrengung der Angst und Verzweiflung zu bezeichnen und von einer Person auszugehen schien, welche innerhalb der Hecke eilig dahinrannte, um mit uns gleichen Schritt zu halten. Noch immer sahen wir nicht das geringste, endlich, als wir nur noch zehn Schritte von der Stelle waren, wo ein Fahrweg zu Herrn Bourke’s Haus links einbog, die Straße nach Springhouse aber nach rechts sich wendete, brach der Mond plötzlich hinter den Wolken hervor und ließ uns so deutlich, als ich hier dieses Papier sehe, die Gestalt einer schlanken, hagern Frau erblicken mit unbedecktem Haupte und langem, rund um ihre Schultern flatternden Haare, gekleidet in etwas, das aussah wie ein weiter, weißer Mantel oder ein eilig umgeworfenes Bettuch. Sie stand in dem Winkel der Hecke, wo die Straße, auf der wir uns befanden, an jene stieß, welche nach Springhouse führte, mit dem Gesicht uns zugewendet, während sie den rechten Arm gewaltsam und heftig auf und ab bewegte, als wollte sie uns in dieser Richtung fortziehen. Das Pferd stutzte, sichtbar erschrocken über die plötzliche Gegenwart der Gestalt, deren äußere Erscheinung ich soeben beschrieben habe, und welche eine halbe Minute lang jenes herzzerschneidende Geschrei ausstieß. Sie lief dann auf die Landstraße, verschwand einen Augenblick vor unsern Augen und bald danach sahen wir sie auf einer hohen Mauer stehen, eine kleine Strecke über dem Fahrweg, in welchen wir einzulenken im Begriff waren; sie deutete beständig auf die Straße nach Springhouse hin, doch mit trotziger und gebietender Gebärde, als sei sie bereit sich unserer Einfahrt in jenen Weg zu widersetzen. Die Gestalt schwieg nun gänzlich und ihr Gewand, das vorhin frei in dem Wind geflattert hatte, war jetzt fest um sie gewickelt.

‚Dreh um, Lorenz, nach Springhouse, in Gottes Namen‘, sagte die Mutter, ‚welcher Welt sie auch angehören mag, wir wollen sie nicht erzürnen.‘

‚Es ist die Banshi‘, sagte Lorenz, ‚und ich möchte um mein Leben nicht in dieser Nacht woanders hingehen, als nach Springhouse, aber ich fürchte, dort gibts ein Unglück, sonst zeigte sie uns nicht den Weg dahin.‘

Mit diesen Worten trieb er das Pferd an, und als wir rechts einbogen, entzog der Mond auf einmal sein Licht und wir sahen die Gestalt nicht weiter, doch hörten wir deutlich ein fortwährendes Zusammenschlagen der Hände, das jedoch gradweise abnahm, als komme es von jemand, der sich schnell entferne. Wir setzten unsern Weg fort, so rasch es die schlechte Straße und das abgemattete Tier, das uns zog, erlaubte, und kamen vorige Nacht gegen elf Uhr hier an. Den Zustand, in welchem wir das Haus fanden, kennt Ihr bereits aus der Mutter Brief. Um ihn vollständig zu beschreiben, ist es nötig, daß ich einiges von den Ereignissen erzähle, die hier im Laufe der vorigen Woche sich zugetragen haben.

Ihr wißt schon, daß die Hochzeit der Johanne Osborne mit Jacob Ryan an diesem Tage sollte gefeiert werden und daß die Brautleute mit ihren Freunden vorige Woche hier angelangt waren. Verflossenen Dienstag, an welchem gerade Frau Mac Carthy morgens früh den Einladungsbrief an uns abgeschickt hatte, war die ganze Gesellschaft kurz vor dem Mittagsessen ein wenig ins Freie gegangen. Es scheint, daß ein unglückliches, von Jacob Ryan verführtes Geschöpf in der Nachbarschaft in einem erbärmlichen, höchst betrübten Zustand einige Tage vorher war gesehen worden. Er hatte sich schon seit einigen Monaten von ihr getrennt und, wie man behauptet, sie reichlich versorgt, doch sie war durch ein Eheversprechen verführt worden und die Scham über ihren unglücklichen Zustand, wozu Mißgeschick und Eifersucht kamen, hatten ihre Sinne verwirrt. Den ganzen Vormittag über hatte man sie in den Anlagen bei Springhouse umherwandeln gesehen, in einen Mantel gehüllt mit einer Kappe, die ihr fast das Gesicht bedeckte. Sie hatte vermieden, mit einem Glied der Familie zu reden oder ihm nur zu begegnen.

Karl ging zu der angegebenen Zeit zwischen Jacob Ryan und einem dritten in kleiner Entfernung von den übrigen auf einem Sandweg, der eine Anlage von feinem Buschwerk umgab. Jedermann wurde durch einen Pistolenschuß in großen Schrecken gesetzt, welcher aus der dichtesten Stelle des Ge-sträuchs fiel, an welchem Karl und seine Begleiter eben vorbeigingen. Karl stürzte sogleich zur Erde und es fand sich, daß er am Bein verwundet war. Da sich in der Gesellschaft gerade ein Arzt befand, eilte dieser, Beistand zu leisten, und nachdem er die Wunde untersucht hatte, erklärte er, daß die Gefahr sehr gering und kein Knochen verletzt sei, die bloße Wunde ins Fleisch aber in wenigen Tagen heilen werde. ‚Wir werden den Sonntag mehr wissen‘, sagte Karl, der in sein Zimmer gebracht wurde. Man verband die Wunde und so wenig Beschwerde entstand daraus, daß einige seiner Freunde einen Teil des Abends in seinem Schlafgemach zubrachten.

Bei näherer Nachforschung ergab sich, daß der unglückliche Schuß von jenem armen Mädchen herrührte, dessen ich vorhin Erwähnung getan habe. Offenbar hatte sie nicht auf Karl gezielt, sondern auf den Zerstörer ihrer Unschuld und Glückseligkeit, der an seiner Seite gegangen war. Nachdem man sie in den Anlagen vergeblich gesucht hatte, kam sie aus freien Stücken in das Haus gegangen. Sie lachte und tanzte, wild singend und jeden Augenblick ausrufend: ‚Endlich habe ich den Ryan getötet!‘ Als sie vernahm, daß es Karl war, nicht Herr Ryan, den der Schuß getroffen, fiel sie besinnungslos nieder und nachdem sie einige Zeit in krampfhaften Bewegungen gelegen hatte, sprang sie auf, nach der Türe hin, und entschlüpfte den Nacheilenden. Man konnte ihrer nicht wieder habhaft werden, bis in der letzten Nacht, wo sie kurz vor unserer Ankunft, vollkommen wahnsinnig hieher gebracht wurde.

Man hielt Karls Wunde für so unbedeutend, daß die Vorbereitungen zu dem Hochzeitsfest auf den Sonntag ihren Fortgang hatten. Doch in der Freitagnacht ward er unruhig und fiebrig und gestern, den Sonnabend, fühlte er sich so schlecht, daß man es für nötig hielt, noch einen Kunstverstän-digen zu Hilfe zu nehmen. Zwei Ärzte und ein Wundarzt gingen um Mittag zu Rat und der furchtbare Ausspruch lautete, daß, wo nicht vor Nacht eine kaum zu hoffende Veränderung eintrete, binnen vierundzwanzig Stunden der Tod sich einstellen werde. Wie es schien, hatte man die Wunde zu fest zusammengeschnürt und auch in anderer Hinsicht ungeschickt behandelt. Leider hatten sich die Ärzte in ihrer Voraussagung nicht geirrt. Kein günstiges Zeichen erschien und lange bevor wir Springhouse erreichten, war jeder Strahl von Hoffnung verschwunden. Der Auftritt, von dem wir bei unserer Ankunft Zeuge waren, hätte ein Herz von Stein gespalten. Schon auf der Straße hörten wir, daß Karl Mac Carthy auf dem Totbett liege, und als wir das Haus erreichten, bestätigte der Diener, der das Tor öffnete, diese Nachricht. Gerade, als wir eintraten, wurden wir durch ein furchtbares Geschrei erschreckt, das von der Treppe aus uns entgegenschallte. Die Mutter glaubte die Stimme der armen Frau Mac Carthy zu hören und eilte weiter. Wir folgten und einige Stufen hinaufgestiegen fanden wir ein junges Weib in dem Zustand wahnsinniger Leidenschaft mit zwei Mägden ringend, deren vereinte Kräfte kaum zureichten, jene abzuhalten, daß sie nicht die Treppe hinaufrannte über den Körper der Frau Mac Carthy, welche von Schwachheit überwältigt auf die Stufen niedergesunken war. Wie ich hernach hörte, war es jenes unglückliche Geschöpf, dessen ich vorhin gedacht habe, welches durchaus in Karls Zimmer dringen wollte, um von ihm Vergebung zu erhalten, wie sie sagte, ehe er scheide, sie des Mordes wegen anzuklagen. Dieser wahnwitzige Gedanke war mit einem andern gemischt, welcher jenem den Besitz ihrer Seele streitig zu machen schien. In einem Atem verlangte sie Karls Vergebung und klagte Herrn Ryan als ihren und Karls Mörder an. Endlich brachte man sie weg, und die letzten Worte, die ich sie schreien hörte, waren:

‚Ryan hat ihn getötet, nicht ich! Ryan hat ihn getötet, nicht ich!‘

Als Frau Mac Carthy wieder zu sich selbst kam, sank sie in die Arme der Mutter, deren Gegenwart ihr ein großer Trost zu sein schien. Sie weinte; die ersten Tränen, welche sie, wie man uns sagte, seit dem unglücklichen Ereignis vergossen hatte. Sie führte uns in Karls Zimmer, welcher, wie sie äußerte, verlangt hatte, uns gleich nach unserer Ankunft zu sehen, weil er sein herannahendes Ende fühle und die letzten Stunden seines irdischen Daseins ungestört dem Gebet und der Betrachtung zu widmen wünsche. Wir fanden ihn vollkommen ruhig, ergeben, ja heiter. Er sprach von dem schrecklichen Vorfall, dem man Mut und Vertrauen entgegensetzen müsse und den er als eine Entscheidung betrachte, auf welche er seit jener wunderbaren Krankheit vorbereitet gewesen, da er an der Wahrheit der Vorausverkündigung niemals gezweifelt habe. Er sagte uns Lebewohl mit dem Ausdruck eines Menschen, der im Begriffe steht, eine kurze und vergnügte Reise anzutreten und wir verließen ihn mit einem Eindruck, der bei allem traurigen uns, wie ich gewiß glaube, niemals ganz verlassen wird.« –

Der Brief war nicht geendigt, weil die Schreiberin abgerufen ward. Ehe die Sonne an seinem siebenundzwanzigsten Geburtstag aufging, war Karls Seele geschieden, vor seinem Schöpfer die letzte Rechenschaft abzulegen.