374. Das Glück im Brunnen

374. Das Glück im Brunnen

Zu Schilda im Amte Torgau, dessen Bürger unter dem Namen der Herren von Schilda bekannt sind, und welches Städtlein von wegen der kurzweiligen Reden und Taten, so man von denen Einwohnern erzählt, weitberühmt ist, hat sich im Jahre 1553 diese wahrhaftige Geschichte zugetragen. Es wohnete daselbst ein Bürger, der hieß Urban Ermtraut, der hatte auf seinem Hof einen tiefen Brunnen, aber des Wassers wenig darin, und wollte ihn tiefer graben lassen, verdingte das einem Maurer des Namens Hemberg. Der machte sich am 18. November im Brunnen sein Gerüst über dem Wasser, stellt die Leiter ein, steigt herauf, verzehrt sein Morgenbrot, muß aber erst ein Maß fertigen, daran es ihm gebricht, bevor er weiterarbeiten kann, hat jedoch seinen Hammer drunten liegenlassen, steigt nochmals hinunter, denselben zu holen; indem, wie er drunten ist, verfällt unten das Erdreich, weichen oben die Steine und bricht mit Donnergepolter der ganze Brunnen zusammen, daß er sich mit Schutt und Gestein füllt bis herauf zum Rande. Alle Welt zu Torgau erschrak. Der ist gut aufgehoben! sprachen die weisen Herren zu Schilda, lasset ihn begraben sein! Damit war es abgetan. Der Rat war doch noch weiser wie die Bürger, der beriet sich und ratschlagte ein langes und ein breites, endlich drang die Meinung durch: Nein! Der Brunnen muß geräumt werden und der arme Verschüttete heraufgeholt und dahin begraben werden, wo ihm als einem Christen zu liegen ziemt. Das geschahe am 21. Tage des Wintermonds, und es wurde nun erst begonnen zu graben nach der Zeche und nach Schachten fort und fort. Und am folgenden Tage nach Mittag um zwei Uhr kamen die Arbeiter auf einen großen Stein, da ging ein Loch hinunter, da stießen sie eine Stange hinab, zu fühlen, wie tief es gehe – und da schrie es drunten: Au! meine Nase! – und der Verschüttete lebte noch und hatte sich von selbiger Stange unangenehm berührt gefühlt und schrie, sie möchten ihn um Gottes willen aus dem kalten Loch helfen, es sei gar nicht schön da herunten! – Wie nun die Arbeiter hörten, daß der Mann noch lebte, arbeiteten sie sehr fleißig bis zehn Uhr abends, da wurden sie seiner ansichtig; er stand hinter der Leiter, die hatte ihn gegen die Steine geschützt, aber mit dem halben Leib stak er im Erdreich, und rief: Sagt meiner Frau, sie solle mir eine Biersuppe kochen, dieweil mich hungert! – Aber indem er das rief, tat das Erdreich unter den Arbeitern wieder einen Schuß hinab und auf ihn drauf und verschüttete ihn aufs neue ganz und gar. – Nun ist’s aus, nun ist Feierabend! sprachen die Arbeiter und stiegen gemächlich wieder hinauf. Droben aber stand der Bürgermeister zu Schilda, Herr Jakob Schmied, und befahl zu arbeiten ohne Aufhören. Man sollte Schilda nicht auch noch zu den vielen Lügenmären, die über das Städtlein im Schwange gingen, nachsagen, es begrübe die Leute in die Brunnen. – Und so ward aufs neue begonnen, mit keiner Hoffnung – doch um Mitternacht gelangten sie zu dem verfallenen Maurer, und da fragte er: Ist die Biersuppe fertig? Und brachten ihn frisch und gesund herauf, und war vier Tage und drei und eine halbe Nacht, achtundachtzig Stunden, im Brunnen gewesen; ließ sich seine Suppe von Torgauer Würzbier übertrefflich schmecken und lobte Gott, dessen hohe Wundermacht er im Finstern erkannt hatte, wie geschrieben steht im 88. Psalm V. 13.

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375. Die Erbsensteine

375. Die Erbsensteine

In einer Zeit großer Teuerung trug sich’s zu, daß ein reicher Bauer in der Mark, der noch mehrere Ernten liegen hatte, vermeinte, er werde Hungers sterben müssen, denn solche Zagheit befällt oft die Geizigen, und weil das Korn sich nicht mehren und nicht wohlfeiler werden sollte, so besäete der Geizige seinen Acker mit Erbsen, aber ganz heimlich, und sprach dazu:

Ich säe Erbeis,
Daß’s weder Gott noch die Welt weiß.

Aber ein Nachbar, welcher der Erbsen wirklich bedurfte und deren ebenfalls säete, hörte diese Worte und rief jenem auf seinen Acker hinüber:

Lieber Nachbar! Ich säe auch Erbeis,
Aber, daß Gott und die Welt darum weiß.

Da geschahe das Wunderbare, daß des letztern Mannes Erbsensaat keimte und fröhlich aufgrünte, aber die Saat des Geizigen, die ist durch Gottes Schickung samt der Ackerkrume versteinert. Und die in Steine verwandelten Erbsen sind noch heutiges Tages vorhanden, man kann darin Erbsen aus der versteinerten Ackerkrume gleichsam wie aus einer Hülse lösen, und die Hülsen selbst lösen sich vom Gestein ab und sind steinern.

Solcher Erbsensteine und Erbsenäcker finden sich aber nicht allein in der Mark, sondern auch in Thüringen und in Westfalen.

Zwischen Eisfeld und Krock am Abhang des Thüringer Waldes gegen Franken liegt ein solcher Erbsenacker, aber die Sage von ihm lautet ganz anders. Ja dieselbe Sage in wieder veränderter Form klingt aus Palästina herüber und tut überall dar, wie die kindliche Phantasie wundersame Gebilde der Natur sich poetisch zu deuten und zu erklären versuchte und verstand. Und da war es vorzugsweise das Reich der Steine, an dem jene Phantasie ihre Kraft übte.

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364. Die Geharnischten

364. Die Geharnischten

Zu Küstrin hat es sich am Bartholomäustage des Jahres 1555 begeben, daß man auf dem Markte mit einem Male zwei Geharnischte sah, und zwar geharnischt vom Kopf bis zum Fuße, die gingen miteinander Hand in Hand um den ganzen Markt, während droben am Himmel ein seltsames Wunderzeichen erblickt wurde. Da sahe man eine große Schlacht, hörte in der Luft großes Getümmel und jämmerliches Geschrei. Plötzlich vernahm man auch einen lauten wehklagenden Ruf der beiden Geharnischten, und so verschwanden sie vor aller Augen und ebenso das Luftgesicht einer Schlacht in den Wolken. Niemand wußte diese Zeichen zu deuten, und so sehr man auch von ihnen fürchtete und mannigfaches Unheil daraus prophezeite, so geschahe doch darauf nicht mehr und nicht minder, als was auf das Erscheinen der gespenstigen Mäher bei Berlin geschah, nämlich – nichts. Im darauffolgenden Jahre erschien zu Küstrin des Nachts am Himmel ein feuriges Chasma, und erzeugeten sich am Himmel unzählige Flammen, auch zwei flammende Säulen, und ward von oben eine Stimme gehört, welche schrie: Wehe, wehe der Christenheit! Wie in Berlin, so waren nach der Zeit auch zu Küstrin zwei verrufene Wetterhexen und boshafte Zaubersäcke, die schufen, als ein Pfarrer begraben ward, der öfter gegen ihren Unfug gepredigt, ein greuliches Unwetter mit Schloßen und Hagel, Donnern und Blitzen, daß die Menschen vermeinten, es komme der Jüngste Tag oder sei schon beihanden. Da man nun gegen die beiden alten Hexen Verdacht schöpfte, so wurden sie eingezogen, erst üblichermaßen gütlich und dann peinlich befragt und gestanden dann, sie hätten allerdings das Ungewitter hervorgerufen, damit der Wahn entstehe, der Pfarrer habe es mit dem Teufel gehalten, und seine Seele sei von diesem geholt worden. Darauf wurden sie gerechtfertigt, will sagen: verbrannt. –

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365. Die Adamstänzer

365. Die Adamstänzer

In der Mark, in Thüringen, auch sonst in Deutschland, in Böhmen und in Holland erhob sich zu einer Zeit eine Sekte von Leuten, die gingen unbekleidet einher, weil der Urvater Adam auch keine Kleider gehabt, trieben allerlei seltsame Bräuche, andern Christen zum Ärgernis, sich selbst zur Schande, und nannten sich Adamiten. Sie führten auch Tänze auf, bei denen sie splitternackt einhersprangen. Eine solche Gesellschaft war auch im Dorfe Virchow in der Neumark, die nahm zwei Fiedler und zwei Bierschenken mit, sie selbst waren sieben Paare, und Schenken und Fiedler mußten auch also nackend mitlaufen. Und der Tag, an welchem sie es taten, war der heilige Pfingsttag, derselbe, an welchem der Herr auch die gottlosen Tänzer von Kolbeck strafte. Da huben die Adamstänzer und Tänzerinnen auf einem Plan vor dem Dorfe ihren gottlosen Reigen an, wild und sündlich und schändlich, aber als sie zum dritten Male antraten, geschahe ein Blitz und ein Donnerschlag bei hellem Himmel, und der helle Himmel wurde plötzlich schwarz wie die Nacht, und den Tänzern und Tänzerinnen erstarrte vor Schreck das Blut in den Adern, und diese Erstarrung mehrte sich, und keiner regte mehr ein Glied, weder die Adamstänzer, noch die Schenken, noch die Fiedler. Sie waren allzumal zu nackten Steinen geworden und müssen also stehen von Jahrhundert zu Jahrhundert, und nur ganz langsam sinken sie allmählich ein. Jetzt sind sie immer noch zwei bis dritthalb Fuß hoch, die Schenken in der Mitte des Kreises sind noch zwei Ellen hoch. An den Spielleuten, die außerhalb des Kreises stehen, erkennt man noch die Fiedeln. Das Volk nennt sie noch heute den Steintanz oder die Adamstänzer.

In Amerika gibt es noch bis heute eine zahlreiche Sekte, die Gott durch Tanzen und Narrensprünge zu ehren vermeint wie einst die Adamiten.

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366. Die Strohbrücke

366. Die Strohbrücke

Mancher sah wohl schon ein Holzgebild oder ein Porzellanfigürchen, darstellend einen jungen Mönch, der eine Schütte Stroh auf dem Rücken trägt, und in der Schütte Stroh gucken schelmisch oben ein Köpfchen und unten ein Paar Füßchen heraus, die beide keinem Männlein angehören – und keiner dachte wohl dabei daran, daß diesem Gebild eine Sage zum Grunde liegt.

In der Uckermark lag ein Kloster des Namens Himmelspforten, nahe dabei zwei Seen, Modernitz und Sidow genannt, welche miteinander durch einen Wasserarm verbunden sind, von einem Steg überbrückt, über den der Weg von Himmelpforten nach dem Dorfe Lichen geht. Da hatte nun vorlängst, als im Kloster Himmelpforten noch Mönche waren, ein Mönch im Dorfe Lichen ein Liebchen, das mochte er wohl für seine wahre irdische Himmelpforte halten, die ihm den Weg in den Himmel aufschließen sollte. Ward daher mit sich und dem Liebchen einig, es in eine Schütte Stroh zu verpacken und huckepack in das Kloster zu tragen. Die Sache machte sich ganz vortrefflich, nur war die Schütte Stroh etwas schwerer, als sonst eine solche zu sein pflegt. Aber wenn Unglück sein Spiel haben soll, bricht einer den Arm im Bette; dort auf der Brücke stand der gestrenge Abt von Himmelpforten und ward des Strohträgers ansichtig und erwartete ihn. Da begann das Mönchlein zu schwitzen, teils von der Last, die es trug, noch mehr aber vor Angst, und grüßete den Abt mit frommem Gruß demütiglich. Was trägst du denn, mein Sohn? fragte der Abt. – Eine Schütte Stroh, hochwürdigster Vater Gnaden, antwortete bebend das Mönchlein. – Wo hast du denn die bekommen? – Drüben in Lichen, hochwürdigster Vater Gnaden! – Aber ich sehe mein Sohn, sie wird dir zu schwer, komm, ich will sie dir abnehmen! – O nein, hochwürdigster Vater Gnaden, das würde sich für Euch nicht schicken. – O doch, mein Sohn, wir sind ja Brüder, und es stehet geschrieben: Einer trage des andern Last. – Da nun der geängstigte junge Mönch sich nicht mehr zu helfen wußte, so lösete er das Trageband und ließ die Schütte auf den Boden gleiten, und wie die Füßchen den Boden spürten, siehe, da lief die Schütte, was sie laufen konnte, von der Brücke herunter und wieder nach Lichen zu. Der Abt aber schlug ein Kreuz und rief: Apage Satana! Was ist dies für ein Zeichen? – Der Mönch fiel dem Abt zu Füßen und rief: Verzeihung, hochwürdigster Vater Gnaden! Diese Schütte Stroh ward mir nicht geschenkt – ich hatte sie – genommen! – Da strafte der Abt den Mönch mildiglich und warnte ihn, solche grobe Sünde nie wieder zu begehen. Unter der Brücke saß ein Bäuerlein, das sah das Wunder, welches sich begeben, daß eine gestohlene Strohschütte lebendig wurde und dahin lief, woher sie genommen war, und brachte es unter die Leute. Seitdem wird jene Brücke zwischen Lichen und Himmelpforten die Strohbrücke genannt.

Ähnliches wird von einem jungen Mönch aus einem Kloster des Harzes erzählt.

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367. Die Geldfresserin

367. Die Geldfresserin

Zu Frankfurt an der Oder hat sich im Jahre 1536 eine verwunderliche Geschichte zugetragen. Eines Mannes, Marx Fischers, Tochter Gertrud diente zu Lebus als Magd; die war eine Teufelsbuhle, und ihr höllischer Galan besuchte sie als ein stattlicher Kriegsmann. Sie wurde aber ganz und gar von ihm besessen und offenbarte bald genug, daß es ein Geldteufel war, der in ihr stak. Wohin sie griff, an Wände, Tische, Bänke, an der Leute Röcke, Ärmel, Barette, stets berappte sie Geld, oft eine ganze Handvoll, Groschen und Pfennige, Silber und Kupfer, wie es gang und gäbe war im Lande, und das führte sie dann alsbald zum Munde und zerbiß es, kaute es und verschlang es. Da ward sie von Lebus nach Frankfurt, ihrer Heimat, zurückgebracht, ihr mit Beten zu helfen, und auch alldort trieb sie das seltsamliche Geldessen fort. Sie verspeiste auch Nähnadeln und Stecknadeln und redete mit einem Male hochdeutsch, da sie doch vorher nur stets den landüblichen Dialekt gesprochen. Da ward ein Exorzist verschrieben, der sollte ihr den Teufel austreiben, allein weder Weihwasser noch Geißel, weder Gebet noch Formel half. Nur erst, als Herr Andreas Ebert aus Grüneberg in Schlesien sich fragend über diesen verzweifelten Fall an Doktor Luther nach Wittenberg wandte und auf dessen Anraten die Besessene in seine Predigten führen ließ und mit der ganzen Gemeinde für die Geldfresserin betete, wich der Teufel, aus Respekt vor dem Grüneberger, aus ihr, doch nicht ohne Geplärr und Rumor in der Kirche, und endlich wußte die arme Magd nicht, wie ihr geschehen war, und hat, ohne je wieder eine Anfechtung zu erleiden, noch viele Jahre nachher frisch und gesund zu Frankfurt an der Oder gedient.

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360. Die weiße Frau

360. Die weiße Frau

Es ist eine allgemeine Sage, daß, gleich wie in andern Fürstenschlössern, auch im Königsschlosse zu Berlin eine weiße Frau umwandle, welche sich sichtbar zeige bei bevorstehenden wichtigen Ereignissen, namentlich bei Sterbefällen. Zahllos sind die Anführungen solcher Fälle, vor denen sie erschienen sein soll, aber schwankend und ungewiß sind die Angaben und Annahmen, wen auf Erden dieser ruhelose Geist beseelt, wer in solcher Tracht, altväterisch, grabsteinähnlich, das Haupt mit einem Matronenschleier bedeckt, starren, steifen Gewandes, im Leben umgewandelt. Spinnwebfarben ist ihr Gesicht, Moderduft ist ihr Parfüm, Grauen weht eisig vor ihr her, und Odemstocken folgt ihrem Verschwinden. Gar viele hohe Personen nennt die Sage, denen sie soll erschienen sein, bald in Zimmern, bald auf den Gängen, bald am hellen Tage, bald im Zwielicht, bald in tiefer Nacht. Einige nennen sie die Ahnfrau des königlichen Hauses, aber welche der Ahnfrauen soll es sein? Die erste Zollerin aus der Zeiten Frühe oder die erste Burggräfin von Nürnberg, Sophia? Elisabeth von Meran oder Margaretha von Kärnten? Die Hennebergerin Elisabeth, Johann II. Burggrafen von Nürnberg, des Reichsfürsten, oder die Sachsin Elisabeth, Friedrich V. Burggrafen von Nürnberg, Markgrafen zu Brandenburg erlauchte Gemahlin, oder die bayrische Elisabeth, Friedrich, des ersten Kurfürsten, hohe Vermählte? Niemand weiß es. Einige sagten und schrieben, daß jene Gräfin von Orlamünde es sei, die Albrecht der Schöne, Burggraf zu Nürnberg, geliebt haben soll, allein deren Geist ist gebannt an das alte Haus Plassenburg und kann nicht wohl im Schlosse zu Berlin umgehend gedacht werden. Wer sie auch sei und gewesen sei, so sei ihr Erscheinen stets das eines guten Geistes.

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361. Der starke Jochem

361. Der starke Jochem

Zu Kurfürst Georgs Zeiten lebte zu Berlin ein Edelmann, Joachim von Schapelow geheißen, sie nannten ihn nur kurzweg den starken Jochem wegen seiner ungeheuren Stärke. Niemand konnte ihn niederringen, obgleich er von Gestalt nichts weniger als ein Riese war. Da kam einmal ein fremder Fürst an den Berliner Hof, der hatte in seinem Gefolge einen ungemein großen und auch sehr starken Mann, den konnte auch keiner bezwingen, und der Fürst rühmte absonderlich dessen Stärke gegen den Kurfürsten, und daß seinesgleichen nicht zum zweiten Male gefunden werde. Hm, machte der Kurfürst, mein Schapelow nimmt’s am Ende doch mit deinem starken Hans auf! – und da wetteten die Fürsten miteinander um vier Eimer, das sind zwei Ohm, Wein, wessen Mann obsiege, der solle selbigen Wein gewonnen haben. Die Kämpfer traten auf den Plan, der große Ausländer und der kleine, aber kernfeste Märker. Der Kampf begann, und nach kurzem Ringen warf Schapelow seinen riesigen Gegner zu Boden, daß ihm die Rippen krachten, und als dieser wieder aufzustehen versuchte, ergriff ihn der starke Jochem, hielt ihm beide Hände eisenfest, packte ihn, trug ihn zum Fenster und wollte ihn hinauswerfen – was jedoch der Kurfürst verhinderte. Um nun den Schapelow für seine Anstrengung auch zu belohnen, so befahl er ihm, sich im Hofkeller seinen Lohn zu holen und sich so viel Wein zu nehmen, als er auf einmal herauftragen könne, der solle ihm eigen gehören. Das war dem starken Jochem sehr willkommen, er stieg hinab in den Keller, besah sich die Fässer und griff nicht blöde zu. Der Kurfürst und sein hoher Gast standen oben auf dem Söller nach dem Hofe und blickten hinab, da erschien der wackere Jochem unten auf der Kellertreppe. Er hatte drunten aus zwei Eimern die Spunde geschlagen, hatte einen vollen Eimer unter dem rechten, einen unter dem linken Arm, und an den Fingern, die er in die Spundlöcher gesteckt, trug er rechts einen Eimer und links auch einen Eimer, da sonst ein Mann an einem einzigen vollen halben Eimerfaß gerade genug zu tragen hat. Die Herren lachten über diese komische Erscheinung und bewunderten die gewaltige Kraft des Mannes, und der Kurfürst rief hinunter: Bist du des Teufels, Schapelow? Wenn du meinen Wettgewinn wegträgst, was trägt’s denn mir? – Ach Durchlaucht! rief Joachim von Schapelow hinauf, es trägt’s nicht aus.

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362. Das große Los

362. Das große Los

Zu Berlin war ein armer Schuhmacher, dem hing ein Jude statt baren Geldes für Stiefeln oder Schuhe ein Lotterielos auf; der Mann legte das Papier ins Fenster und hatte dessen keine Acht. Als der Sonntag kam, ging er mit seiner Frau spazieren, ließ aber aus Ursachen die Kinder daheim. Die Kinder hatten ihre Lust mit Pappen und Kleistern, und wie sie nach Papier umhersuchten, fanden sie auf dem Fensterbrett das Los. – Ach, ein Bild! so riefen sie, das muß hin – zu den andern Bildern – an die Stubentüre! – Gesagt, getan, das Los bekam auf seine minder schöne Rückseite eine merklich dicke Lage Mehlkleister und erhielt seine Stelle neben einem berühmten Kriegshelden, einer Kompanie Soldaten und sonstigen Dreier- oder Pfennigbildern, welche das Bilderquodlibet an der Stubentüre bereits bilden halfen. In der Woche tat der Schuhmacher einen Geschäftsgang, von diesem kam er ganz atemlos nach Hause, seine Augen glänzten – er stürzte nach dem Fenster, seine Hand streckte sich nach dem Papiere aus – es war fort. Wo – wo – wo ist das Los? Das Papier? Hier hab‘ ich’s hergelegt! Himmel tausend Donner – Frau und Kinder zitterten – der Schuster wurde wild – seine Hand erfaßte den Knieriem, es drohte ein schreckliches Gewitter – da faßte das jüngste Kind, ein Mägdlein mit schelmischen Augen, des Vaters Hand und sah ihn bittend und zitternd an und wies nach der Türe. Da klebte das Los, gut und sicher – aus dem Fenster hätt‘ es vielleicht ein Windstoß geweht. Goldkind! rief der Schuster, und hob das Kind empor, und küßte es, und ließ den Knieriem fallen. Aber das Los saß fest, herunter ging es nicht – der Versuch, mit Wasser es abzuweichen, hätte das dünne Papier jedenfalls vernichtet. Der glückliche Gewinner, denn das Los war als großes Los aus der Ziehung gekommen, faßte sich kurz, er hob die Türe aus den Angeln und trug sie huckepack auf das Rathaus, wo die Ziehung stattfand. Alles erstaunte, als das Los so groß und schwer hereinkam, doch da alles in Ordnung befunden ward, so mußte gleich dem Besitzer des glückhaften Loses die Türe zum Zählbrett dienen. Darauf hat selbiger Schuster in der Wallstraße zu Berlin ein hübsches Haus erbaut und über der Türe sich selbst abbilden lassen, wie er seine Stubentüre huckepack trägt, dem Helden Simson ähnlich, der gar ein Stadttor trug, dem aber ein schlechtes Los gefallen. Das Haus hat die Nummer 25.

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363. Der Blumenthal

363. Der Blumenthal

Zwischen Berlin und dem Oderbruch liegt ein weit ausgedehnter Wald, darin hat vor alten Zeiten eine Stadt gestanden, von der sich noch Spuren finden lassen, aber keine Sage, keine Chronik kündet von ihrem Ursprung, Bestehen und Vergehen. Nur übergroße und bemooste Trümmer zeigen noch alte Ummauerung, Straßen und Tore an, und zur Nacht tanzen Irrlichter über der längst verödeten Stätte. Blumenthal soll die Stadt geheißen haben, und manchesmal soll sie in besondern Nächten sich sichtbar zeigen voll ernster Schönheit, belebt von einem ernsten Volke. Man hat den Raum des alten verschollenen Blumenthal gemessen nach Länge und Breite; vier Tore führten hinein, die Hauptstraße hatte die Richtung nach Strausberg. Vier ummauerte Plätze trugen eine Kirche, ein Schloß, ein Rathaus und ein Kloster. Mitten in der Stadt ruhen drei mächtige Hünengräber. Man sagt, daß vor einigen hundert Jahren das Mauerwerk noch manneshoch über der Erde sichtbar gewesen, jetzt aber ist alles überraset und übergraset, und starke Baumstämme bedecken den Boden. Von dieser vormaligen Stadt Blumenthal hat der ganze weite Forst den Namen der Blumenthal empfangen.

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