382. Die zwei Gleichen

382. Die zwei Gleichen

Nicht weit von Göttingen liegen auf einer Berghöhe zwei Burgruinen, Altengleichen und Neuengleichen genannt. Die Sage geht, daß in sehr frühen Zeiten zwei Grafen aus dem Sachsenlande sie erbaut, welche dann von diesen Burgsitzen aus das Land bedrückt und beraubt hätten, da seien sie unter der Regierung Kaiser Otto IV. befehdet, von den Bewohnern des Landes vertrieben und ihre Burgen zerstört worden, darauf sie sich nach Thüringen gewendet und dort die unter dem Namen der drei Gleichen bekannten Bergschlösser erbaut hätten. Es beruht das aber alles auf Nachrichten, die nur als Sage annehmlich klingen. Die einst schönen und stattlichen Nachbarburgen bei Göttingen gehörten zwei Dynasten, Ezike und Elle von Reinhausen genannt. Der letztere dieser Brüder, Elle, brachte ein mannlich Geschlecht hervor, davon ein Sproß mit dem Bischofshut von Hildesheim sein Haupt geschmückt sah. Doch endlich blühte dieses Geschlecht dennoch ab, und die Burgen sind hernachmals an die Familie von Uslar gekommen. Diese war in zwei Linien geteilt; das Haupt der einen hatte Altengleichen mit drei Vierteilen der Herrschaft inne, das Haupt der andern bewohnte Neuengleichen und besaß nur das letzte Viertel der Gleichenschen Herrschaft. Solcher Ungleichheit halber liebten sich diese beiden Herren keineswegs, sie haßten sich vielmehr recht gründlich und so sehr, daß einer den andern mit einem Pfeilschuß zu töten beschloß. Diesen argen Gedanken blies jedem von beiden der Teufel zu gleicher Zeit ein, und die beiden im Haß einander gleichen Bewohner der Burgen Gleichen gedachten an einem und demselben Morgen jeder den Nachbar und Feind zu erlegen. Der Teufel lenkte jedem zugleich den Schuß in das Herz hinein, und so starben sie wie jene Ritter auf den zwei einander nachbarlich nahen Rheinburgen, die man die Brüder nennt.

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383. Burg Plesse

383. Burg Plesse

Auf dem Plesseberge, anderthalb Stunden von Göttingen, liegt die Trümmer des ehemaligen Bergschlosses Plesse. Von dieser Burg gehen gar mancherlei Sagen. Ein Kind ward lebendig in der Mauer beigesetzt, als man die Burg erbaute, um sie, nach frühem Wahn, unüberwindlich zu machen. Vor fünfzig Jahren fand man das Särglein mit den Gebeinen. Hinter der Burg ging ein Felsenbrunnen zur Tiefe, in dessen Gemäuer ein heimlicher verborgener Eingang zu einem unterirdischen Gang in das Innere der Burg führte, so daß man aus der Burg Wasser holen konnte, auch wenn sie belagert war. Ein mannhaftes Rittergeschlecht nannte sich nach der Burg edle Herren von Plesse, und obschon die einst stattliche Burg in Trümmern liegt, bewachen und beschirmen die Rittergeister noch ihren einstigen Wohnsitz. Einem Maurer, der Steine aus dem Burggemäuer brach, um sie drunten zu verwenden, schreckte ein seltsames unerklärbares Geräusch, daß er fast darüber die Besinnung verlor und endlich von dannen eilte, ohne je wieder hinauf und nach Burgsteinen zu begehren. Der letzte edle Herr von Plesse war Dietrich VI., mit ihm ist am 22. Mai 1571 das Geschlecht ausgestorben, und dann ist alsbald die Plesse ein Zankapfel zwischen Braunschweig und Hessen geworden, bis endlich die Burg nach manchem Streit an Hannover gelangt ist. Hauseten oben über der Erde auf Plesse große und tapfere Ritter, so hauste ebendaselbst unter der Erde ein kleines winziges Völklein, von dem eine gar wunderliche Mär umgeht.

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384. Das stille Volk zu Plesse

384. Das stille Volk zu Plesse

Tief unterm Boden des Burgberges der Plesse wohnt ein stilles Zwergenvolk, hülfreich und guttätig den Menschen, das sich unsichtbar zu machen vermag und durch jede verschlossene Türe, durch jede Mauer wandelt, so es ihm beliebt. Bei dem tiefen Felsbrunnen ist der Haupteingang in des stillen Volkes unterirdisches Reich. Wie die Herren Studenten zu Göttingen gar gern die Burgruinen der beiden Gleichen und die absonderlich schöne und anmutige der Plesse besuchen, so tat auch ein Göttinger Student im Jahre 1743. Er hatte ein Buch mitgebracht, und da er sich auf dem von lieblichen Schatten malerischer Bäume umspiegelten Burgplatz allein fand, legte er sich auf den Rasen und las. Ein süßer Geruch, wie von Waldmeister, Maienglöckchen und Flieder, schläferte ihn ein. Lange schlief er, bis ein Donnerschlag und strömender Regen ihn weckten. Dunkel war es um ihn her, nur Blitze beleuchteten mit fahlem Schein die verwitternden Trümmer. Der Student betete, denn damals pflegten die Studenten noch zu beten, jetzt werden’s wohl nur noch wenige tun – da kam ein Licht auf ihn zu. Ein kleines altes Männchen mit eisgrauem Bart trug’s und hieß jenen ihm folgen. Das Männlein führte den Jüngling zum Brunnen, in welchem ein Brettergerüst stand, darauf traten beide, und jetzt ging es wie auf der schönsten Versenkung eines Theaters sanft zur Tiefe bis auf den Wasserspiegel. Da wölbte sich eine Grotte, in der es trocken und reinlich war. Da sagte das Männlein: Es stehet dir nun frei, hier im Trocknen zu verharren, bis droben das Unwetter vorüber, oder mir in das Reich der Unterirdischen zu folgen. Der Student erklärte, letzteres wählen zu wollen, wenn keine Gefahr ihm drohe. Darüber beruhigte ihn das alte eisgraue Männlein, und so folgte er ihm gleich einem Führer durch einen gar niedern und engen Gang, der für das Männlein just hoch und weit genug war, aber für den Bruder Studio nichts weniger als bequem, so daß ihm ganz schlecht wurde. Endlich traten beide aus dem Gange und sahen vor sich eine weite Landschaft, durch die ein rauschender Bach floß, mit Dörfern aus lauter kleinen Häusern, wie die chinesischen, und ganz kunterbunt bemalt, wie die Wachtelhäuser. In das schönste dieser Häuschen traten sie ein, und darin war des eisgrauen Männleins werte Familie, welcher der Studiosus Theologiä aus Göttingen vorgestellt wurde. Hierauf grüßten ihn die Anwesenden mit einer stillen Verbeugung. Dann stellte das Männlein dem Studenten die werte Familie vor, seinen Vater, das war aber ein ganz schneefarbiger Greis, und ebenso seine Mutter, beide waren so alt, daß sie nur noch auf Stühlen sitzen, nicht mehr stehen und gehen konnten; dann seinen Großvater und seine Großmutter, die hatten beide kein Härlein mehr auf ihrem Kopf und kein Fleisch mehr auf ihren Knochen und konnten bloß liegen, dann des Männleins Frau, auch schon aus den Zwanzigen und etwa in den Sechzigen, und ihre Kindlein von dreißig bis vierzig Jährchen und die kleinen Enkelchen etwa von vierzehn bis fünfzehn Jahren. Dann sprach der alte Großvater einige Worte des Grußes, der Gast aus der Oberwelt möge sich nur umsehen und ohne Furcht sein. Dann kam die jüngste Tochter, die war nur eines Schuhes hoch, doch dreizehn Jahre alt, und sagte: Es ist angerichtet. Das hörte der Student gern, daß die stillen Leutchen auch anrichteten. Und die Tafel war königlich, was die Geräte, Tafeltücher, von Asbest gewebt, Teller und Löffel von Gold, Messer und Gabeln von Silber und dergleichen betraf. Das Essen war und schmeckte gut, und was das Trinken anlangte, so dünkte dem Studenten, er trinke den köstlichsten Wein, die Zwerglein aber behaupteten, es sei nur Wasser. Nach Tische erzählte der uralte Vater dem Studenten viel von der Einrichtung des unterirdischen Reiches. Ihm und den Seinen, als geborenen Herrn desselben, gehorche alles willig und gern. Landstände habe das Land keine, und er als Regent halte auch keine Minister, die einen so teuer und so unnütz wie die andern. Es gebe in diesem stillen Reiche nur Friede, Zufriedenheit und Wohlwollen. Ein jeder tue ungeheißen seine Pflicht. Es gebe keine Zwiste, keine Kriege, keine sogenannte Politik. Man kenne hier unten keine Wühler als die Maulwürfe und Reitmäuse, und die stammten aus dem unterirdischen Reiche. Wie der Alte noch redete, erscholl ein Zeichen von einem stark geblasenen Horne: das Zeichen zum Gebet. Alles faltete die Hände und fiel auf die Kniee und betete still und leise. Der Abend brach an, und es kamen Lichte auf großen silbernen Armleuchtern, und man ging in ein anderes Zimmer. Alles, was er bis jetzt gesehen, gehört und wahrgenommen, reizte gar sehr die Wiß- und Neubegier des Studenten. Er dachte, es müsse nicht übel spekuliert sein, über diesen so wohlgeordneten Staat unter dem althessischen Boden eine Reisebeschreibung zu verfassen und herauszugeben, wie weiland Nils Klimm getan, zu Nutz und Frommen der Oberwelt, und wollte schon beginnen, sich Bemerkungen in seine Brieftasche zu machen. Aber das alte Männlein verhinderte ihn daran und sagte: Laß das! Ihr da oben lernt doch nicht, glücklich zu sein; ihr versteht das Befehlen so schlecht wie das Gehorchen. Ziehe hin und fürchte Gott, ehre den Herrscher und die Gesetze und scheue niemand! Der Studiosus fand es sonderbar, daß man die Gäste, die man erst eingeladen, gehen heiße, mußte sich aber fügen. Er empfing noch einige Gaben mit auf den Weg und fand sich unversehens wieder oberhalb des Brunnens auf der Plesse. Der Morgen war prächtig angebrochen, und der Burgwald erschallte von Vogelstimmen. Der Studiosus besah die Gaben und befand, daß es Gold und Edelsteine waren von hohem Wert. Er hatte, wenn er diesen Reichtum gut und vernünftig anwandte, genug für sein ganzes Leben.

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374. Das Glück im Brunnen

374. Das Glück im Brunnen

Zu Schilda im Amte Torgau, dessen Bürger unter dem Namen der Herren von Schilda bekannt sind, und welches Städtlein von wegen der kurzweiligen Reden und Taten, so man von denen Einwohnern erzählt, weitberühmt ist, hat sich im Jahre 1553 diese wahrhaftige Geschichte zugetragen. Es wohnete daselbst ein Bürger, der hieß Urban Ermtraut, der hatte auf seinem Hof einen tiefen Brunnen, aber des Wassers wenig darin, und wollte ihn tiefer graben lassen, verdingte das einem Maurer des Namens Hemberg. Der machte sich am 18. November im Brunnen sein Gerüst über dem Wasser, stellt die Leiter ein, steigt herauf, verzehrt sein Morgenbrot, muß aber erst ein Maß fertigen, daran es ihm gebricht, bevor er weiterarbeiten kann, hat jedoch seinen Hammer drunten liegenlassen, steigt nochmals hinunter, denselben zu holen; indem, wie er drunten ist, verfällt unten das Erdreich, weichen oben die Steine und bricht mit Donnergepolter der ganze Brunnen zusammen, daß er sich mit Schutt und Gestein füllt bis herauf zum Rande. Alle Welt zu Torgau erschrak. Der ist gut aufgehoben! sprachen die weisen Herren zu Schilda, lasset ihn begraben sein! Damit war es abgetan. Der Rat war doch noch weiser wie die Bürger, der beriet sich und ratschlagte ein langes und ein breites, endlich drang die Meinung durch: Nein! Der Brunnen muß geräumt werden und der arme Verschüttete heraufgeholt und dahin begraben werden, wo ihm als einem Christen zu liegen ziemt. Das geschahe am 21. Tage des Wintermonds, und es wurde nun erst begonnen zu graben nach der Zeche und nach Schachten fort und fort. Und am folgenden Tage nach Mittag um zwei Uhr kamen die Arbeiter auf einen großen Stein, da ging ein Loch hinunter, da stießen sie eine Stange hinab, zu fühlen, wie tief es gehe – und da schrie es drunten: Au! meine Nase! – und der Verschüttete lebte noch und hatte sich von selbiger Stange unangenehm berührt gefühlt und schrie, sie möchten ihn um Gottes willen aus dem kalten Loch helfen, es sei gar nicht schön da herunten! – Wie nun die Arbeiter hörten, daß der Mann noch lebte, arbeiteten sie sehr fleißig bis zehn Uhr abends, da wurden sie seiner ansichtig; er stand hinter der Leiter, die hatte ihn gegen die Steine geschützt, aber mit dem halben Leib stak er im Erdreich, und rief: Sagt meiner Frau, sie solle mir eine Biersuppe kochen, dieweil mich hungert! – Aber indem er das rief, tat das Erdreich unter den Arbeitern wieder einen Schuß hinab und auf ihn drauf und verschüttete ihn aufs neue ganz und gar. – Nun ist’s aus, nun ist Feierabend! sprachen die Arbeiter und stiegen gemächlich wieder hinauf. Droben aber stand der Bürgermeister zu Schilda, Herr Jakob Schmied, und befahl zu arbeiten ohne Aufhören. Man sollte Schilda nicht auch noch zu den vielen Lügenmären, die über das Städtlein im Schwange gingen, nachsagen, es begrübe die Leute in die Brunnen. – Und so ward aufs neue begonnen, mit keiner Hoffnung – doch um Mitternacht gelangten sie zu dem verfallenen Maurer, und da fragte er: Ist die Biersuppe fertig? Und brachten ihn frisch und gesund herauf, und war vier Tage und drei und eine halbe Nacht, achtundachtzig Stunden, im Brunnen gewesen; ließ sich seine Suppe von Torgauer Würzbier übertrefflich schmecken und lobte Gott, dessen hohe Wundermacht er im Finstern erkannt hatte, wie geschrieben steht im 88. Psalm V. 13.

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375. Die Erbsensteine

375. Die Erbsensteine

In einer Zeit großer Teuerung trug sich’s zu, daß ein reicher Bauer in der Mark, der noch mehrere Ernten liegen hatte, vermeinte, er werde Hungers sterben müssen, denn solche Zagheit befällt oft die Geizigen, und weil das Korn sich nicht mehren und nicht wohlfeiler werden sollte, so besäete der Geizige seinen Acker mit Erbsen, aber ganz heimlich, und sprach dazu:

Ich säe Erbeis,
Daß’s weder Gott noch die Welt weiß.

Aber ein Nachbar, welcher der Erbsen wirklich bedurfte und deren ebenfalls säete, hörte diese Worte und rief jenem auf seinen Acker hinüber:

Lieber Nachbar! Ich säe auch Erbeis,
Aber, daß Gott und die Welt darum weiß.

Da geschahe das Wunderbare, daß des letztern Mannes Erbsensaat keimte und fröhlich aufgrünte, aber die Saat des Geizigen, die ist durch Gottes Schickung samt der Ackerkrume versteinert. Und die in Steine verwandelten Erbsen sind noch heutiges Tages vorhanden, man kann darin Erbsen aus der versteinerten Ackerkrume gleichsam wie aus einer Hülse lösen, und die Hülsen selbst lösen sich vom Gestein ab und sind steinern.

Solcher Erbsensteine und Erbsenäcker finden sich aber nicht allein in der Mark, sondern auch in Thüringen und in Westfalen.

Zwischen Eisfeld und Krock am Abhang des Thüringer Waldes gegen Franken liegt ein solcher Erbsenacker, aber die Sage von ihm lautet ganz anders. Ja dieselbe Sage in wieder veränderter Form klingt aus Palästina herüber und tut überall dar, wie die kindliche Phantasie wundersame Gebilde der Natur sich poetisch zu deuten und zu erklären versuchte und verstand. Und da war es vorzugsweise das Reich der Steine, an dem jene Phantasie ihre Kraft übte.

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368. Das wunderbare Christusbild

368. Das wunderbare Christusbild

Zu Wittenberg ist ein Christusbild von wunderbarer Art, das erscheint einem jeden Menschen einen Zoll größer, als er selbst ist. Tritt ein Mann vor dasselbe, der über die gewöhnliche Mannesgröße hinausragt, so wächst es Zoll um Zoll bis zu seiner Höhe und noch einen Zoll darüber, und tritt ein kleiner Mensch davor, so wächst es in sich hinein, bis es dessen Kleinheit nur um einen einzigen Zoll überragt. Und treten mehrere von unterschiedlicher Größe davor, so sieht es doch ein jeder nur mit seinen Augen in seiner eigenen Größe und einen Zoll höher. Wie das zugehe, ob durch irdische Kunst oder himmlische Kraft, hat noch keiner zu ergründen vermocht.

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36. Vater und Sohn

36. Vater und Sohn

Es war ein Graf im Oberelsaß, Herr Hug von Egisheim, dem gebar sein Ehegemahl einen Sohn, der ward Bruno genannt in der heiligen Taufe. Aber ein böser Argwohn umdüsterte des Grafen Herz, als sei das Söhnlein nicht sein eigen, und da befahl er einem Knecht, daß er es hinaustrage in den Wald, es töte und ihm sein Herz, der Tat zum Zeugen, darbringe. Den Knecht aber jammerte des unschuldigen Kindleins, und konnte solchen Mord nicht über das eigene Herz bringen. Er gab das Kind in sichere Hut, erlegte ein Rehkälbchen und brachte dessen Herz seinem grausamen Herrn. Der Knabe erwuchs und kam weit hinweg, die Jahre vergingen, und über den alten Grafen kam die Reue, denn es war ihm klar und offenbar geworden, daß er damals im Irrwahn befangen die schrecklichste Sünde begangen hatte. Und da litt es ihn endlich nicht länger mehr in der Heimat, er verließ seine Schlösser und sein Land und ging in Pilgertracht über die Alpen und wandelte gen Rom, dem Heiligen Vater seine schwere Schuld zu bekennen und eine Buße sich auferlegen zu lassen. Und er kam zum Papste und kniete zu dessen Füßen und beichtete sein Verbrechen und flehte zerknirscht um Entsündigung. Da erhob sich von seinem Thronsitz der Heilige Vater und sprach: Graf Hugo von Egisheim! Der allbarmherzige Gott hat nicht gewollt, daß Bruno, dein Sohn, sterbe, sondern hat ihn aufbehalten zu hohen Dingen. Und Gott verzeiht dir durch mich, den Knecht seiner Knechte, den grausamen Vorsatz. Deine Reue soll deine Buße gewesen sein. Stehe auf, Graf Hugo, umarme mich, ich bin es, der dir Verzeihung kündet, ich bin Bruno, dein Sohn, Leo der Neunte geheißen auf St. Petri heiligem Stuhle! – Dem alten Grafen war, als ob er träume, als ob der Himmel sich ihm erschließe.

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369. Erscheinungen zu Wittenberg

369. Erscheinungen zu Wittenberg

Im Jahre 1553 ist des Nachts ein feuriger Mann oben am Schloßturm, da, wo er anfängt, sich zu spitzen, eine lange Weile herumgegangen, das haben viele glaubwürdige Leute gesehen und bestätigt, und nicht lange darauf haben sich in demselben Schlosse drei Männer sehen lassen in schloßenweißer Kleidung, die sind bei dreien Stunden umhergegangen, haben sich über Geländer und Brüstungen gelegt und hinab in den Hofraum geschaut, sind durch alle Fürstengemächer still und ernst gegangen und von vielen Leuten gesehen worden.

In demselben Jahre, kurz vor der Schlacht von Sievershausen, in welcher Kurfürst Moritz von Sachsen seinen Tod fand, flammte im Saale des Schlosses zu Wittenberg ein helles Feuer auf; alle, welche diese Flammen von unten sahen, rannten eilends hinauf, die Glut zu löschen, und als sie hinaufkamen, sahen sie nichts. Drunten sahen sie es wieder im Saale lichterloh brennen. Das geschahe zu dreien Malen.

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370. Das Männlein auf dem Rücken

370. Das Männlein auf dem Rücken

Ein Seiler aus Torgau, der über Land gewesen war und seines Weges heimwärts wandelte, traf einen Knaben auf dem Felde an, der saß am Boden, hatte ein Brettspiel vor sich liegen und spielte in demselben. Da der Weg nicht breit war und das Knäblein schier mitten im Wege saß, so stieß der Seiler im Überschreiten an das Brett, so daß die Steine sich verschoben. Da schrie der Knabe: Warum verrücket Ihr mein Brettspiel? Wartet nur, mein Vater wird’s Euch danken! Und rückte darauf seine Steine wieder in Ordnung, und der Seiler ging weiter. Nicht lange währte es, etwa nach hundert Schritten, so holte der Mann ein uraltes graues greises Männlein ein, das sehr müde schien und ihn ansprach, es sei gar so müde, er möge es doch tragen. Des lachte der Seiler über die Maßen; ob das Männlein ihn für ein Kameel halte, das einen alten Affen tragen müsse? – Mußt doch tragen, mußt doch tragen! Hast meinem Söhnlein das Spiel verrückt! rief das Männlein und sprang mir nichts dir nichts dem Seiler auf den Rücken und war so schwer, ach so schwer, und jener mochte schütteln und rütteln, wie er wollte, er rüttelte und schüttelte das alte Männlein nimmer ab. Und so hockelte er es bis vor das Tor von Torgau, dort fiel es von ihm wie ein Nußsack und war verschwunden. Von Zorn und Angst und Mattigkeit schwach und krank kam der Seiler nach Hause, und nach zehn Tagen war er tot. Nun hatte der Seiler einen kleinen Sohn, der jammerte und schrie unsäglich, da trat das Bübchen zu ihm, dem sein Vater das Spiel verstört, und sprach: Höre auf zu klagen und zu weinen. Deinem Vater ist ganz wohl geschehen. Bald sollst du und deine Mutter ihm nachfolgen, denn es wird eine gar schlimme Zeit kommen in Preußen, Meißen und Reußen, darinnen niemand besser sein wird als denen, die gestorben sind. – Das geschah im Jahre 1669, und gingen bald darauf der Kriegstroublen genug durch die Länder, da der Kurfürst von Brandenburg mit einer Armee von zweiundzwanzigtausend Mann zu Roß und zu Fuß aufbrach und gegen die in Deutschland eingefallenen Franzosen zu Felde zog und andere deutsche Völker sich ihm verbündeten.

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371. Die Teufelshufeisen

371. Die Teufelshufeisen

Im Städtchen Belgern zwischen Torgau und dem durch die Schlacht, in welcher Kurfürst Johann Friedrich der Großmütige zum Gefangenen gemacht wurde, berühmten Mühlberg hat es sich begeben, daß einer Bierschenkin, die zwar sehr gutes Bier hatte, dasselbe aber sehr knapp maß, ein seltsamliches Abenteuer zustieß. Zu Belgern wurde vorzeiten, wird auch vielleicht noch jetzt ein über die Maßen gutes Bier gebraut, und wenn von dem Torgauischen Bier das Sprüchwort ging: Torgauisch Bier ist der Armen Malvasier – dieweil es einen überaus würzhaften Geruch und Geschmack hatte – so galt von dem Belgerschen Bier der lateinische Spruch: Cerevisia Belgrana omnibus est sana, Während man dem Wittenberger Bier, Kuckuck genannt, spöttlich nachsagte, daß diesem Vogel unterweilen von den Brauern der Hals allzu lang gedehnt werde. Jene Bierwirtin nun mochte es mit dem Teufel entweder verdorben oder es mit ihm allzu gut gemeint haben, genug, der Teufel ritt sie in einer schönen Nacht vor die Schmiede in Pferdsgestalt, lärmte den Schmied munter und gebot ihm, sein Pferd zu beschlagen. Derselbe ging rasch an seine Arbeit, wie er aber dem Pferde den rechten Vorderfuß hob, raunte ihm die Bierschenkin, welche seine Gevatterin war, zu: Gevattersmann, verfahret doch nicht so eilig! – Der Schmied erschrak zum Tode und antwortete: Jo, Frau Gevattersche! Reitet Euch denn der Teufel? – Freilich wohl! antwortete das Pferd, knapp Maß, knapp Maß! Tu’s nimmer, tu’s nimmer! – Da konnte der Schmied vor Zittern kein Glied rühren, und ließ die Hufeisen fallen, und lief in die Schmiede, und machte sich darin zu schaffen die längste Zeit und sagte, er könne die Nägel nicht finden – und die Kohlen wollten nicht brennen, und da krähete der Hahn. Hui – waren Reiter und Stute ihm aus den Augen. Am andern Tage lag die Krügerin krank im Bette und blieb lange krank; an ihrem Hause hingen statt des üblichen Bierzeichens vier Hufeisen, und als jemand diese herabtun wollte, verbrannte er sich die Hände daran derb und tüchtig.

Dieselbe Sage wird auch erzählt vom Orte Schwarzenstein bei Rastenburg an der Guber, dort soll der Schmied zwei Hufeisen wirklich aufgenagelt haben, die man dann an den Händen der Bierschenkin fand, mühsam abnahm und in der Kirche aufbewahrte.

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