Neues Leben.

Neununddreißigstes Stück.

Neues Leben.

Nach einiger Zeit kamen die beiden Wanderer zu einer einfachen Hütte am Wege.

»Da drinnen muß jemand wohnen«, sagte Bengele, ging an die Haustüre und klopfte.

»Wer ist draußen?« rief eine feine Stimme.

»Ein armer Vater und sein Sohn«, sprach Bengele.

»Dreht nur den Schlüssel um, dann geht die Türe auf.«

Sie machten es so und traten in die Hütte ein. – Überall schauten sie sich um; es war niemand zu erblicken.

»Ist jemand daheim?« fragte Bengele.

»Freilich! Ich bin hier oben.«

Sie schauten auf und sahen auf einem Balken das – Lispel-Heimchen.

»Das gute Lispel-Heimchen! Wer hätte das gedacht? Guten Tag, Lispel-Heimchen«, sagte Bengele und zog anständig die Mütze ab.

»Das gute Lispel-Heimchen, sagst du jetzt, nicht wahr? Erinnerst du dich noch daran, wie du mich aus dem Hause gejagt und den Hammer nach mir geworfen hast?«

»Es ist wahr, liebes Heimchen. – Jag mich nur auch fort und wirf mir einen Hammer nach, ich habe es verdient; aber hilf meinem armen Vater!« –

»Ich werde dem armen Vater helfen und auch dem Söhnchen; doch sollst du daran denken, wie unhöflich du dich damals gegen mich benommen. – Jetzt zeigt dir die Erfahrung, daß man gegen alle Leute artig sein soll.«

»Du hast recht, Lispel-Heimchen. Ich habe schon oft an dich gedacht. Es war stets richtig, was du mir gesagt hast. Ich war oft unartig und habe es immer bereuen müssen. – Doch, seit wann wohnst du in diesem hübschen Häuschen?«

»Eine Ziege hat es mir gestern geschenkt, eine wunderschöne Ziege mit goldenem Haar.«

»Und wo ist sie jetzt?«

»Ich weiß es nicht.«

»Kehrt sie zurück?«

»Sie kommt nie mehr wieder. Traurig ging sie weg und sprach: ›Armer Bengele, jetzt bist du mir für immer verloren. – Der Große Hai hat dich nun doch gefressen‹.«

»Das hat die Ziege gesagt? – O, sie war’s! Es war meine liebe Mutter Fee.« Bengele weinte laut.

Er dachte zurück an das glückliche Leben im Hause der guten Mutter. – Er selbst hatte alles verdorben mit seinem Ausreißen, hatte Unglück über Unglück erlebt und nun auch die Mutter Fee verloren. – Sein einziger Trost war jetzt der alte Vater; er nahm sich vor, ganz für ihn zu leben und zu arbeiten.

Das Lispel-Heimchen gab die Hütte als Wohnung. Bengele richtete für den Vater ein Strohlager auf der Erde zurecht. Dann fragte er das gastfreundliche Tierchen:

»Hast du nicht eine Tasse Milch für meinen armen, kranken Vater?«

»Ich brauche nie Milch«, sagte Lispel-Heimchen; »aber eine Viertelstunde von hier wohnt der Gärtner Mäxle, der Kühe hält und Milch verkauft.«

Bengele ging hin und verlangte eine Tasse Milch.

»Kostet fünf Pfennig«, sprach der Mann, »hast du einen Fünfer?«

»Ich habe kein Geld«, gestand Bengele und ward traurig.

»Dann kann ich dir auch keine Milch geben.«

»Ach Gott«, sagte der Hampelmann und wollte wieder gehen.

Mäxle rief ihn zurück und sprach: »Warte ein wenig! Wir könnten es doch machen. Ich weiß eine Arbeit, mit der du dir einen Fünfer verdienen kannst. – Willst du mir das Rad treten?«

»Was ist das?«

»Ein Rad, das die Pumpe treibt, mit der ich das Wasser zum Gießen aus dem Boden ziehe.«

»Ich will es versuchen.«

»Gut! – Wenn du mir zwanzig Kannen Wasser pumpst, so erhältst du eine Tasse Milch.«

Mäxle führte den Hampelmann in den Garten und zeigte ihm, wie das Rad getreten wurde. – Im Schweiße seines Angesichtes arbeitete Bengele, bis die zwanzig Kannen gepumpt waren. So hatte er sich noch nie angestrengt.

Als er aus dem Rade stieg, sprach der Gärtner: »Bisher hat mein Esel dies Geschäft besorgt, aber jetzt liegt er am Sterben.«

»Den Esel möchte ich gerne sehen«, sagte Bengele.

»Komme nur, ich will ihn dir zeigen.«

Sie gingen miteinander in den Stall. Da lag das Tier erschöpft auf dem Boden. Bengele schaute ihn lange an, ward verlegen und sagte:

»Den Esel kenne ich, ich habe ihn schon einmal gesehen.«

Er beugte sich zu ihm nieder und fragte ihn in der Eselssprache: »Wer bist du?«

Der Sterbende schaute auf und röchelte in der gleichen Sprache:

»De… de… der Röhrle!«

Dann machte er die Augen für immer zu und war tot.

»Der arme Röhrle!« sagte Bengele, und wischte sich mit dem Ärmel die Tränen aus den Augen.

»Mir scheint, du weinst um einen fremden Esel«, bemerkte Mäxle. – »Mich hat er viel Geld gekostet. Ein ganzes Jahr muß ich arbeiten und sparen, bis ich einen andern kaufen kann. – Das wäre Grund zum Weinen!«

»Was kümmert mich das Geld«, sagte Bengele. – »Der Esel war mein Freund.«

»Dein Freund?«

»Ja! und mein Schulkamerad.«

»Ha-Ha-Ha«, lachte Mäxle, »das muß eine niedliche Schule gewesen sein! – Da kann man sich denken, was du gelernt hast.«

Bengele schwieg. Er nahm seine Tasse Milch und ging zurück zur Hütte.

Von da an stand der fleißige Hampelmann jeden Morgen sehr früh auf und trat fünf Monate lang Tag für Tag das Pumprad. Damit erwarb er für seinen kranken Vater und sich selbst den Lebensunterhalt. Wenn er abends müde aus der Gärtnerei kam, arbeitete er noch zu Hause. Er lernte Körbe flechten und verdiente ein kleines Taschengeld. – Für den alten Vater fertigte Bengele selbst einen bequemen Fahrstuhl an, und darin brachte er den kranken Mann an sonnigen Tagen ins Freie, daß er sich in der frischen Luft wohler fühlen und an der schönen Welt Freude haben konnte.

Die langen Abende benützte der fleißige Kleine, um noch besser lesen und schreiben zu lernen. Für ein paar Pfennige kaufte er sich sogar ein altes Rechenbuch, und er löste der Reihe nach alle die Aufgaben.

Der Hampelmann hatte sich völlig verändert und lebte ein neues Leben.

Bengele in der Schule

Sechsundzwanzigstes Stück.

Bengele in der Schule

Am andern Morgen ging Bengele zur Schule. War das ein Spektakel für die Schlingel in der Klasse, als sie einen Hampelmann unter sich sahen! Das Lachen wollte nicht mehr aufhören. Jeder hätte ihm gerne einen Streich gespielt: einer riß ihm die Mütze aus der Hand, ein anderer zog ihn hinten am Kittel, ein dritter wollte ihm mit Tinte einen Schnurrbart unter die Nase malen, und ein vierter war frech genug, ihm eine Schnur an Hände und Füße zu binden, um ihn wie einen Hampelmann zappeln zu lassen.

Eine Zeitlang tat Bengele harmlos und ließ sich alles gefallen. Dann aber ging ihm die Geduld aus; er wandte sich mit zornigem Blick gegen die Haupthelden und sagte:

»Nehmt euch in acht! – Ich komme nicht in die Schule, damit ihr mit mir Trödel treibt! Ich bin anständig gegen euch, seid es auch gegen mich!«

»Bravo, Hänsele! Du redest ja wie ein Buch!« schrie einer der Schlingel. Alle andern setzten mit ein, klatschten und johlten. Der Frechste von ihnen streckte sogar eine Hand aus, um Bengele an der Nase zu packen; aber der Hampelmann gab ihm unter der Bank einen kräftigen Tritt auf die Schienbeine.

»Autsch! Hat der harte Stiefel!« schrie der Getroffene und rieb sich die schmerzende Stelle.

»Und was für hölzerne Ellbogen!« heulte ein anderer, der sich durch seine Ungezogenheit einen Rippenstoß geholt hatte.

Die beiden Kraftleistungen verschafften dem Hampelchen bald Respekt bei den Kameraden, und nach einiger Zeit mochten sie ihn ganz gut leiden.

Auch der Herr Lehrer war mit ihm zufrieden; denn der Hampelmann war gescheit, fleißig und aufmerksam; er kam nie zu spät in die Schule und hielt sich treu an die Ordnung.

Nur den einen Fehler hatte Bengele, daß er mit zu viel Kameraden verkehrte; unter diesen waren ein paar bekannte Taugenichtse, die nie lernen wollten und alle möglichen Dummheiten im Kopfe hatten.

Der Herr Lehrer bemerkte es wohl; auch die gute Fee warnte fortwährend und sagte:

»Sei vorsichtig, Bengele; deine bösen Kameraden bringen es zuwege, daß sie dir die Freude am Lernen nehmen und dich zu dummen Streichen verführen.«

»Nicht daran zu denken!« entgegnete Bengele selbstbewußt; er legte seinen Zeigefinger an die Stirn und sagte: »Da kämen sie an den Rechten, ich bin viel zu gescheit!«

Eines Tages traf es sich, daß er zur Schule ging und unterwegs einigen seiner gewöhnlichen Kameraden begegnete. Wichtigtuend rannten sie ihm entgegen und fragten:

»Hast du das Neueste schon gehört?«

»Was?«

»Daß in unserem Meer ein Fisch sich zeigt so groß wie ein Berg?«

»Was du nicht sagst! – Das ist sicher der ›Große Hai‹, der meinen armen Vater verschlungen hat.«

»Hinaus ans Meer! Wir müssen ihn sehen! Gehst du mit?«

»Nein! Ich gehe zur Schule.«

»Was! – Schule! – Morgen gehen wir wieder in die Schule; einen Tag Schule mehr oder weniger, darauf kommt es gar nicht an.«

»Was wird der Herr Lehrer sagen?«

»Laß ihn sagen, was er will; ob er einmal mehr brummt oder nicht, das ist egal!«

»Und meine Mutter?«

»Die Mütter verstehen von solchen Dingen überhaupt nichts«, sagten die Schlingel.

Bengele war noch nicht besiegt und sagte: »Wißt ihr, was? – Ich muß unbedingt den ›Großen Hai‹ sehen; dafür habe ich meine besondern Gründe; aber – jetzt gehe ich in die Schule!«

»Dummer Kerl,« sagte da einer, »meinst du, der ›Große Hai‹ warte gerade, bis es dir paßt, ihn anzugucken? – Der wird bald genug in unsern Wassern haben und sich wo anders hin verziehen. Dann hast du ihn gesehen!«

Jetzt lenkte Bengele ein: »Wie lange braucht man von hier ans Meer?«

»Wir rennen und sind in einer Stunde schon zurück.«

»Also zu! – Vorwärts! – Wer kann am besten springen?« schrie Bengele, und gleich ging der Wettlauf los.

Die Schlingel rannten mitten durch die bestellten Felder. Bengele war stets voran; denn keiner konnte laufen wie er.

Von Zeit zu Zeit drehte sich der Hampelmann um und lachte die Kameraden aus, daß sie so weit zurückblieben, pusteten und keuchten. Und ihm ging das Rennen so leicht. – Hätte er ahnen können, wie schlimm die Sache ausging!

Die Rauferei am Meere.

Siebenundzwanzigstes Stück.

Die Rauferei am Meere.

Bengele kam zuerst an den Strand. – Die aufgehende Sonne spiegelte sich tausendfältig in der leichtbewegten See, die Luft war so rein und hell, daß man meilenweit hinaussehen konnte über das glänzende Wasser. Der Hampelmann strengte seine Augen an; aber es war nichts zu erspähen, nicht einmal ein Schifferkahn.

»Wo ist jetzt der ›Große Hai‹? fragte Bengele.

»Er wird noch Kaffee trinken!« gab einer spöttisch zur Antwort; ein anderer machte es noch ärger und sagte:

»Er hat vielleicht noch nicht ausgeschlafen.«

Über diese blöden Antworten und das boshafte Gelächter der Kameraden ward Bengele wütend. Er sah ein, daß sie ihn an der Nase geführt hatten, und fuhr sie zornig an:

»Mir so einen Bären aufzubinden! Ihr Gauner! – Was hatte das für einen Sinn?«

»Einen feinen Sinn!« schrien sie alle.

»Nämlich?«

»Wir haben dich heute auch einmal in unsere Gesellschaft bekommen. – Schäme dich doch, jeden Tag so pünktlich zur Schule zu laufen und alle Aufgaben zu machen!«

»Was habt ihr daran auszusetzen?«

»Sehr viel! – Durch dich sind wir immer blamiert!«

»Weshalb?«

»Weil du zu viel lernst, sind wir stets hinten dran. Das lassen wir uns nicht mehr länger gefallen. Auch wir wollen etwas gelten in der Schule.«

»Was muß ich also tun?«

»Du mußt die Schule ebenso satt bekommen wie wir und auch denken, daß es bloß drei Ekel gibt: die Schule, den Lehrer und die Aufgaben.«

»Wenn ich aber nach wie vor meine Sachen lerne?«

»Dann schauen wir dich gar nicht mehr an, und eines schönen Tages wirst du es teuer büßen.«

Da schüttelte sich der Hampelmann vor Lachen und sagte: »Ihr seid doch zu einfältig!«

Jetzt ging der größte von der Schar drohend auf Bengele zu und sagte:

»Du brauchst den Großhans nicht zu spielen! – Wenn du keine Angst vor uns hast, so haben wir noch viel weniger Angst vor dir. Wir sind sieben gegen einen!«

»Die reinsten sieben Hauptsünden!« sagte Bengele und lachte spöttisch.

»Habt ihr’s gehört? – Der will uns so kommen! Sieben Hauptsünden hat er uns geschimpft! – Bengele, nimm’s gleich zurück! – Oder –!«

»Gigigs!« gab der zurück, zog den Mund schief und rieb den einen Zeigefinger über dem andern.

»Bengele, hör auf, sonst geht dir’s schlecht!«

»Gigigs!«

»Wir verhauen dich wie einen Esel!«

»Gigigs!«

»Wir schlagen dir die Beine ab!«

»Ich gebe dir jetzt gleich Gigigs«, schrie da der Frechste, »hier hast du ein Gigigs, gleich kannst du noch mehr haben!«

Eine kräftige Ohrfeige schallte auf den Kopf des Hampelmanns. Bengele ließ sich das natürlich nicht gefallen. Sofort gab er den Schlag zurück, und es kam zu einer allgemeinen Rauferei.

Der Hampelmann war allein; aber er verteidigte sich wie ein Löwe. Mit seinen Holzfüßen und Holzfäusten führte er so kräftige Streiche, daß die andern bald alle zurückwichen. Wo seine Hiebe trafen, gab es einen blauen Fleck zum Andenken.

Die Knaben waren wütend, daß sie Bengele nicht zwingen konnten, und wollten ihm auf eine andere Art beikommen. – Rasch machten sie ihre Schulsäcke auf und warfen ihre Bücher gegen ihn. Da kam eine Grammatik geflogen, da ein Rechenbuch, da eine Naturgeschichte, da ein Geographiebuch, ein Atlas und sogar ein Federkasten. – Aber der Hampelmann hatte scharfe Augen und war sehr flink; er bückte sich und sprang beiseite, so daß die Geschosse alle über ihn weg oder an ihm vorbeiflogen ins Meer hinein.

Wie waren die Fische erstaunt, als die Bücher geflogen kamen! – Sie glaubten, es sei etwas zum Fressen, und schwammen scharenweise herbei. Als sie aber ein paarmal an den Büchern herumgeschnuppert hatten, verzogen sie die Schnauze und dachten: »Das ist nichts für uns, wir sind bessere Sachen gewöhnt.« –

Der Kampf zwischen den Knaben ward indes immer hitziger. Da kroch eine dicke Seekrabbe auf den Sand und fing mit rauher, etwas erkälteter Stimme an zu reden:

»Lausbuben, die ihr seid, und nichts anderes! Wollt ihr gleich aufhören! Bei solchen Prügeleien geht es gewöhnlich schief; muß denn wirklich noch etwas passieren?«

Die arme Krabbe redete in den Wind. – Niemand hörte auf sie; ja der nichtsnutzige Bengele drehte sich um, guckte sie schief an und sprach ganz unverschämt:

»Halt deinen Schnabel, alter Brummkasten! Schlotze lieber ein Paar Lakritzen, daß deine Heiserkeit vergeht, oder lege dich ins Bett und schwitze!«

Die Buben hatten ihre eigenen Bücher alle geworfen und machten sich in die Nähe von Bengeles Schulranzen. Gleich hatten sie ihn und räumten ihn aus.

Unter den Büchern war ein besonders großes, schön gebunden mit festen Lederecken. Es war ein Rechenbuch und sehr schwer.

Einer der Stricke nahm dies Buch und zielte damit nach Bengeles Kopf. Mit aller Kraft schleuderte er es, aber er traf unglücklicherweise einen Kameraden; dieser wurde kreideweiß und konnte nur noch sagen: »Mutter, Mutter! hilf mir, ich muß sterben.« Dann fiel er langgestreckt in den Sand.

Erschreckt liefen die Knaben davon. Bengele allein blieb zurück. Auch er war zum Tode erschrocken beim Anblick des getroffenen Knaben; aber trotzdem ging er gleich ans Wasser, tunkte sein Taschentuch hinein und legte es dem Schulkameraden auf den Kopf. Nochmals wiederholte er diese Arbeit, weinte, jammerte und rief dem Armen beständig:

»Eugen! – Eugen! – Armer Eugen! – Mach doch die Augen auf und schau mich an! Gib mir doch Antwort! Ich habe es ja nicht getan! Ich bin’s sicher nicht gewesen! – Mach die Augen doch auf, Eugen! Wenn du die Augen nicht aufmachst, muß ich auch sterben! – O Gott, wenn ich nach Hause komme! Was wird meine liebe Mutter sagen? Was soll aus mir werden? Wohin soll ich davonlaufen? Wo kann ich mich verstecken? – Wenn ich nur in die Schule gegangen wäre! Warum mußte ich auf die Kameraden hören? Die sind mein Unglück! – Der Herr Lehrer hat es mir immer gesagt und die Mutter auch: ›Geh nicht mit bösen Kameraden!‹ – Ja! Aber ich bin ein eigensinniger Holzkopf! Ich lasse alle reden und tue immer, was ich will. Mit meinem Eigensinn habe ich noch keine glückliche Stunde im Leben gehabt. Lieber Himmel! Wie soll das noch gehen! Wie wird diese Geschichte enden?«

So heulte und jammerte Bengele in einem fort, schlug sich an den Kopf vor Verzweiflung und rief immer wieder dem armen Eugen. – Dumpfe Schritte waren auf einmal zu vernehmen; der Hampelmann drehte sich um, vor ihm standen zwei Gendarmen.

»Was machst du da auf dem Boden?« fragten sie.

»Ich helfe meinem armen Schulkameraden.«

»Ist ihm übel geworden?«

»Ich glaube, ja.«

Da bückte sich der eine Gendarm nieder und schaute Eugen an: »Was!« sagte er darauf, »übel geworden? Allerdings! man kann auch so sagen. – Dieser Knabe hat einen Schlag an die Schläfe bekommen! Wer hat ihn geschlagen?«

»Ich nicht!« stotterte Bengele; schon nahm ihm die Angst den Atem.

»Wer dann?«

»Ich nicht!« beteuerte Bengele.

»Womit ist er geschlagen worden?«

»Mit diesem Buch!« sagte der Hampelmann, und hob das schwere Rechenbuch auf.

»Wem gehört das Buch?«

»Mir!«

»Das sagt alles! Es bedarf keines weiteren Beweises mehr! Vorwärts! Auf! Du gehst jetzt mit uns!«

»Ja, aber …«

»Vorwärts!«

»Ich bin doch unschuldig!«

»Keine Redensarten! – Du gehst mit uns!«

Die Gendarmen riefen ein paar Fischer herbei, die gerade am Ufer mit ihren Kähnen vorbeifuhren, und sagten zu ihnen:

»Nehmt diesen ohnmächtigen Knaben mit nach Hause und pfleget ihn; morgen werden wir kommen und nach ihm sehen.«

Dann nahmen sie Bengele in die Mitte und kommandierten nach Soldatenart:

»Vorwärts! Gut ausgeschritten! Sonst kannst du Schlimmeres erleben!«

Ohne Widerrede ging Bengele voran ins Land hinein. Es war derselbe Weg, auf dem er einst das erste Mal nach Fleißigenstadt gekommen war. Das arme Kerlchen wußte nicht mehr, wo ihm der Kopf stand. Alles erschien ihm wie ein böser Traum. Er war halb von Sinnen, sah alles doppelt, seine Beine wackelten, die Zunge war ihm wie gelähmt; er hätte kein Wort mehr herausbringen können. – Ein Gedanke aber ging ihm wie ein Nadelstich durch die Seele: »Was wird die gute Fee sagen, wenn sie mich zwischen den Gendarmen am Hause vorbeigehen sieht? Ich möchte lieber sterben als diese Schande erleben!«

Sie kamen schon zu den ersten Häusern des Städtchens. Da riß ein Windstoß dem Bengele die Mütze vom Kopfe und trug sie zehn Schritte ins Feld hinein.

»Darf ich, bitte, meine Kappe holen?« – fragte er die Gendarmen.

»Geh! Aber flink!«

Bengele ging, hob die Mütze auf und – lief davon. In großen Sprüngen rannte er durch die Felder dem Meere zu.

Die Gendarmen versuchten es gar nicht, den leichtfüßigen Hampelmann zu fangen. Sie hetzten ihm eine schreckliche Bulldogge nach, und nun begann ein lustiges Jagen. Die Leute auf der Straße blieben stehen und schauten den beiden Rennern nach. – Aber weit konnte man den Wettlauf nicht verfolgen. Bengele und die Bulldogge wirbelten einen Staub auf wie ein rasendes Auto und waren bald verschwunden.

Der grüne Fischer.

Achtundzwanzigstes Stück.

Der grüne Fischer.

Für Bengele war das Rennen nicht so lustig wie für die Zuschauer. – Die Bulldogge hieß Bollo und konnte entsetzlich laufen. Der Augenblick mußte kommen, wo sie den Hampelmann einholte.

Schon hörte Bengele hinter sich den wutschnaubenden Hund, schon fühlte er den heißen Atem des grimmigen Tieres, – da kamen sie ans Meer.

Wie ein Frosch sprang Bengele sofort weit hinein ins Wasser. Plumps! fiel er auf und schwamm davon.

Bollo liebte das Wasser nicht. – Er schnupperte daran, sprang ein paar Mal am Ufer auf und ab; aber als er den Hampelmann wegschwimmen sah, erfaßte ihn aufs neue die Wut und er sprang ins Meer.

Rasend zappelte der Hund mit den Tatzen, bald war er müde und sank unter. Mit der letzten Kraft arbeitete er sich noch einmal über Wasser und rief:

»Hilf, hilf! – Ich muß ertrinken.«

»Ersaufe nur«, entgegnete Bengele. – Er war ein gut Stück weiter und außer Gefahr.

»Hilf mir doch, Bengele; rette mich vom Tode!«

Der Hampelmann bekam Mitleid mit seinem Feinde, schwamm zurück und fragte in einiger Entfernung:

»Wirst du mich unbehelligt laufen lassen, wenn ich dich rette?«

»Gewiß! Ich verspreche es dir! Aber jetzt mache schnell! Wenn du noch länger säumst, dann ist es mit mir vorbei.«

Noch zögerte Bengele; aber es fiel ihm ein, daß sein Vater stets gesagt hatte: »Geh nie einer guten Tat aus dem Wege!« Er schwamm darum rasch auf Bollo zu, faßte ihn am Schwanze, und mit wenigen kräftigen Schwimmzügen hatte er ihn aufs trockene Ufer gesetzt.

Der arme Hund konnte nicht mehr auf den Beinen stehen; denn er hatte zu viel Salzwasser geschluckt und einen kugelrunden Bauch bekommen. Bengele traute ihm aber doch noch nicht und hielt es für das klügste, gleich wieder ins Wasser zu hüpfen und davonzuschwimmen.

»Adieu, Bollo! Komm gut nach Hause!« rief er noch und ruderte ins Meer hinein.

»Adieu, Bengele«, erwiderte der Hund, »ich danke dir tausendmal; du hast mir das Leben gerettet! – Ein Dienst ist den andern wert! Vielleicht kann ich dir deine edle Tat einmal vergelten.«

Bengele schwamm am Ufer entlang. Nach einer Stunde glaubte er vor den Verfolgern sicher zu sein und näherte sich dem Strande. Er gewahrte eine Felsengrotte, aus der Rauch aufstieg.

»Wo Rauch ist, da ist auch Feuer«, dachte der Hampelmann; »dort geh‘ ich hinein und trockne mich ein bißchen; dann will ich weiter sehen, was sich tun läßt.«

Er schwamm ans felsige Ufer und hatte sich schon an einem Steine festgeklammert. Da fühlte er unter seinen Füßen etwas emportauchen, und im Nu war er hoch in die Luft gehoben. Er wollte ins Wasser zurückspringen; doch es war zu spät. Der Unglückliche war in ein Fischernetz geraten, und um ihn zappelte und trappelte es von Fischen aller Art.

Gleich kam auch oben vor der Felsenhöhle der Fischer zum Vorschein, ein grausiges Geschöpf, ein entsetzlich häßliches Ungetüm. Er hatte keine Haare auf dem Kopf, sondern einen Busch von grünem Seegras, seine Haut, seine Augen, sein langer Bart, alles war meergrün. Im ganzen sah er aus wie ein Laubfrosch, der auf den Hinterbeinen steht; aber er war schrecklich wild und unbeschreiblich garstig.

Als der Fischer das Netz ans Land gezogen hatte, grunzte er zufrieden und sprach:

»Ein guter Fang! Auch heute kann ich mich an einem feinen Mahle gütlich tun.« –

»Ein Glück für mich, daß ich kein Fisch bin«, dachte Bengele bei diesen Worten und faßte etwas Mut. Der Fischer trug das Netz in seine Höhle. – Diese war ganz ausgeräuchert schwarz und unheimlich. In der Mitte brannte ein Herdfeuer; darauf stand eine Pfanne. Der ranzige Tran, der darin brodelte, verpestete die Luft.

Der grüne Fischer holte mit seiner plumpen Hand einen Fisch nach dem andern aus dem Netze. Jeder wurde genau untersucht:

»Barben sind gut«, sagte er, hielt eine vor seine Augen, beschnupperte sie und warf sie in einen leeren Kübel. Das Wasser lief dem Höhlenmenschen im Munde zusammen, ehe die Fische noch gekocht waren. Er wurde immer lustiger und sprach:

»Fein diese Nasen! – Ausgezeichnete Äschen! – Und diese Zungen! – Ha! – Solch seine Barsche erst! – Hurra, auch noch Sardellen!« –

Alles flog unbarmherzig in den großen Kübel. Jetzt war Bengele noch übrig. Der grüne Fischer zog ihn heraus; unbeschreibliches Erstaunen erfaßte ihn, seine grünen Augen wurden groß wie Pflugrädchen, und er fragte verwundert:

»Was ist das für eine Sorte? Diesen Fisch habe ich noch nie gegessen!«

Aufmerksam schaute er den Neuling von allen Seiten an und meinte schließlich:

»Ja, ja, es muß eine Art Meerkrebs sein!«

Daß er ein Meerkrebs sein sollte, war dem Bengele doch zu viel, und er schrie beleidigt:

»Was?! – Ein Meerkrebs! – Dich soll das Mäusle beißen! Merke es dir ein für allemal: ich bin ein Hampelmann.«

»Ein Ham-pel-mann?« – sagte der Fischer in langgezogenem Tone, »ich muß schon sagen, einen Hampelmannfisch habe ich noch nie gegessen. Aber gerade deshalb wirst du mir um so besser schmecken.«

»Wie! Essen willst du mich! – Ich bin doch gar kein Fisch. Begreifst du nicht, daß ich reden kann wie du?«

»Das schon«, meinte der Fischer, »aber weil du doch ein Fisch bist und dazu reden kannst wie ich, so will ich dich auch entsprechend behandeln.«

»Das heißt?«

»Als ein Zeichen von Freundschaft und besonderer Hochachtung lasse ich dir die Wahl, wie du gekocht sein willst. Willst du gebraten, gesotten oder geräuchert werden?«

»In diesem Fall fällt mir die Wahl nicht schwer: am liebsten möchte ich losgelassen werden, weil ich nach Hause will.«

»Mach doch keine dummen Witze!« sagte der Fischer, »ich muß dich unbedingt versuchen; die Gelegenheit kommt selten wieder, daß mir ein Hampelmannfisch ins Netz gerät. – Vertraue nur ruhig auf mich; ich brate dich zusammen mit allen andern in der Pfanne, und damit kannst du wohl zufrieden sein. Es ist immerhin ein Trost, wenn man in Gesellschaft gebraten wird.«

Bengele weinte und flehte den Fischer an, daß er ihn frei gebe; er wolle nach Hause gehen zu seiner Mutter. Das grüne Scheusal hatte kein Herz und hörte gar nicht auf des Hampelmanns Gejammer. Verzweifelt drehte und wand sich Bengele; die grünen Tatzen ließen ihn nicht mehr los. – Der grausame Fischer machte schließlich dem Zappeln ein Ende; er nahm ein paar Weidenzweige und band dem Hampelchen Hände und Füße fest. Darauf warf er den neuen Fisch zu den andern in den Kübel.

Bengele ergab sich seinem traurigen Geschicke. Leise wimmerte er:

»Wäre ich doch in die Schule gegangen! – Hätte ich doch nicht auf schlechte Kameraden gehört! – Ach, wie muß ich meine Fehler büßen!«

Der Grüne machte sich daran, die Fische zu braten. Er holte sie der Reihe nach aus dem Kübel, drehte jeden zuerst in einer Schüssel voll Paniermehl und legte ihn dann in den siedenden Tran. Bengele war wieder der letzte. Er zitterte und konnte nicht mehr reden. Aber er schaute den Fischer mit einem Blicke an, der einen Stein erweichen mußte. – Das Ungetüm hatte kein fühlendes Herz. Der Hampelmann wurde ins Paniermehl gesteckt, bis er von allen Seiten dicht davon bedeckt war. – Max und Moritz sahen nicht schlimmer aus, als sie in den Teig fielen. – Der grüne Unmensch faßte den Hampelmannfisch und …

Meister Seppel erhält das Stück Holz

Zweites Stück.

Meister Seppel erhält das Stück Holz

Es klopfte an.

»Nur zu!« rief der Schreiner; er saß noch immer auf dem Boden.

Ein lustiger Alter kam zur Türe herein; es war der Seppel. Von seinem Handwerk hatte er den Namen »Schnefler«, denn er war ein geschickter Holzschnitzer. Die bösen Buben in der Nachbarschaft hießen ihn freilich nur den »Gälfinken«. Seine gelbe Perücke hatte diesen Übernamen verschuldet.

Der »Schnefler-Seppel« war sehr jähzornig. Gnad‘ Gott dem, der ihn »Gälfink« nannte. Das machte ihn teufelswild, und im Zorne kannte er sich selbst nicht mehr.

»Guten Tag, Meister Toni!« grüßte Seppel artig, »was schaffst du denn auf dem Boden?«

»Ich will den Ameisen das ABC beibringen.«

»Ein neuer Beruf! – Guten Erfolg!«

»Was bringt dich heute zu mir, Seppel?«

»Eine kleine Sorge, Toni; ich möchte dich um einen Gefallen bitten. – Heute früh ist mir ein neuer Gedanke in den Kopf gekommen.«

»Laß hören!« sagte der Schreiner und stand vom Boden auf.

»Ich möchte mir einen hölzernen Hampelmann schnitzen; denn ich habe eine neue Art erfunden, den Zauberhampel. Fechten und seiltanzen muß er mir lernen. Dann reise ich mit ihm durch die Welt und verdiene mein Brot. – Was meinst du dazu, Toni?«

»Sehr gut, Gälfink!« kreischte ein feines Stimmchen.

Seppel hörte »Gälfink«, ward vor Zorn rot wie eine Himbeere und fuhr den Schreiner wütend an:

»Warum sagst du mir eine Grobheit?«

»Wer?« –

»Du! – Gälfink hast du mich geheißen!«

»Aber ich nicht!«

»Wer denn? vielleicht ich selber? – Lüg nicht! – Du hast’s gesagt!«

»Nein!«

»Doch!«

»Nein!!«

»Doch!!«

Immer hitziger wird der Streit. Mit Worten ist ihr Zorn nicht mehr zufrieden: schon packen sie sich an den Kitteln; der eine schlägt, der andere beißt; jetzt ringen sie miteinander auf dem Boden; jetzt schnellen sie beide auf und lassen einander los. Zwei Siegern gleich stehen sie da, einer stolzer wie der andere. Der Schnefler zerknittert Tonis Zipfelmütze in seiner Faust; Meister Pflaum aber schwingt als Siegesfahne den künstlichen Haarwuchs des »Gälfinken«.

Eine Zeitlang schauen sie sich triumphierend an; dann sagt der Schreiner:

»Gib mir meine Mütze her!«

»Wenn du mir meine Perücke gibst.«

Lachend tauschten die beiden Alten ihre Beute aus, gaben einander die Hand und versprachen treu und fest, nie mehr zu raufen, sondern stets gute Freunde zu bleiben.

»Nun denn, lieber Seppel«, fing der Schreiner an, »womit kann ich dir dienen?« –

»Ich suche ein Stück Holz für meinen Hampelmann; hast du ein passendes?«

Toni nahm das Scheit von der Hobelbank, das ihm so viel Angst eingejagt hatte, und wollte es dem Freunde in die Hand geben.

Wupp!! – Das Scheit schnellt dem guten Meister Pflaum aus der Hand, überschlägt sich und versetzt dem armen Seppel einen derben Hieb auf die harten Knochen seiner Schienbeine.

»Au!! – au!! – So, Toni! – Ist das die Freundschaft? Die Beine hast du mir halb abgeschlagen! – Au!«

»Ich habe es nicht getan; du kannst es mir glauben.«

»Dann bin ich es wieder selbst gewesen!«

»Das Holzscheit war’s.«

»Rede nicht so einfältig! Du hast es mir an die Beine geschlagen!«

»Es ist nicht wahr!«

»Verlogener Kerl!«

»Seppel, keine Unarten! – Sonst heiße ich dich Gälfink.«

»Esel!«

»Gälfink!«

»Ochs!«

»Gälfink!«

»Dummer Affe!«

»Gälfink!«

Dreimal »Gälfink«, das war für Seppel zu viel. Es ging ihm Hören und Sehen aus, er stürzte auf den Schreiner los, und der Kampf entbrannte hitziger als zuvor.

Schließlich hatte der Schreiner-Toni zwei rote Kratzer mehr auf seiner blauen Pflaumennase; dem Seppel aber fehlten zwei weitere Knöpfe an der Weste. – Ihre Rechnung war damit ausgeglichen; sie drückten einander die Hand und gelobten sich aufs neue ewige Freundschaft.

Seppel nahm sein Holzscheit, dankte dem guten Meister Pflaum, und obgleich ihn sein Bein noch schmerzte, hinkte er doch fröhlich nach Hause.

Bollos Dankbarkeit.

Neunundzwanzigstes Stück.

Bollos Dankbarkeit.

Eben wollte der grüne Fischer den panierten Hampelmann in die Pfanne legen, da kam ein fremder Hund in die Höhle. Er hatte Bratenduft gerochen und war ihm nachgegangen.

»Hinaus da!« – schrie der Grüne; er hatte immer noch den Hampelmann in den Händen.

Der arme Hund hatte schrecklich Hunger; er kauerte sich nieder, winselte und wedelte und bat um ein Stückchen Fisch.

»Marsch hinaus!« rief der Unmensch zum zweiten Male, »sonst! …« schon hob er ein Bein hoch und wollte dem hungrigen Tiere einen Tritt versetzen.

Der Hund war empört über die Grobheit. Knurrend zeigte er dem Grünen seine beiden Reihen spitzer Zähne und stellte sich auf zum Angriffe.

Da erklang in der Höhle eine leise Stimme:

»Bollo, hilf mir, ich werde gebraten.«

Sofort erkannte der Hund Bengeles Stimme und merkte, daß sie aus dem panierten Dinge kam, das der Fischer in der Hand hielt.

Was tut der treue Hund? – Er springt hoch, faßt den panierten Bengele mit seinen Zähnen, reißt ihn dem erstaunten Fischer rasch aus der Hand und trägt ihn schnellen Laufes davon.

Der Fischer war wütend, daß ihm der seltene Leckerbissen entgangen war; er wollte dem Hunde nachrennen, aber nach wenigen Sprüngen ging ihm schon der Atem aus und er keuchte verärgert in seine Höhle zurück.

Bollo blieb erst stehen, als er an den Fußweg gekommen war, der vom Meer nach Fleißigenstadt führte. Dort legte er seinen Freund Bengele sanft auf die Erde nieder.

»Bollo, du hast mir das Leben gerettet«, sagte der Hampelmann; »ich kann dir nie genug danken.«

»Gar nicht notwendig!« entgegnete der treue Hund; »ich habe nur meine Schuld abgetragen. – Schau dort das Meer!«

»Wie bist du nur in jene Höhle gekommen?« fragte Bengele.

»Ich lag immer noch halbtot am Ufer, da trug mir der Wind von weitem einen Bratengeruch daher. Weil ich Appetit hatte, ging ich diesem Dufte nach. Wäre ich eine Minute später gekommen, –«

»Sei still:« – sagte Bengele und fing von neuem an zu zittern. »Sprich nicht mehr davon! Wärst du eine Minute später gekommen, dann wäre ich jetzt schon gebraten und verspeist. Brrr! – Es schauert mich jetzt noch, wenn ich nur daran denke.«

Bollo mußte lachen! – Er reichte dem Hampelmann seine rechte Pfote zum Abschiede. Dieser drückte sie fest und liebevoll dem treuen Freunde; dann gingen sie auseinander.

Nächtliche Heimkehr. – Die gemütliche Schnecke.

Dreißigstes Stück.

Nächtliche Heimkehr. – Die gemütliche Schnecke.

Der Hund lief heim; Bengele wandte sich einer nahegelegenen Hütte zu. Dort saß ein alter Mann vor der Haustüre, und Bengele fragte ihn:

»Sagt, lieber Mann, habt ihr nichts gehört von einem Knaben, der Eugen hieß und an den Kopf geschlagen wurde?«

»Man hat ihn dort zu den Fischersleuten gebracht und jetzt …«

»Wird er tot sein«, fiel Bengele schmerzlich bewegt dem Alten in die Rede.

»Nein, nein! Er ist wieder gesund und schon nach Hause gegangen.«

»Wirklich? – Wirklich?« rief Bengele und tat einen Freudensprung. – »Also war die Verletzung nicht so schlimm?«

»Es hätte schlimmer gehen können«, sagte der Alte; »das Buch war gar zu schwer, das sie ihm an den Kopf geworfen haben.«

»Wer hat es geworfen?«

»Einer von seinen Schulkameraden, ein gewisser Bengele.«

»Wer ist dieser Bengele?« fragte der Hampelmann.

»Man sagt, er sei ein Schlingel, ein Bummler, ein ganz lotteriger Bube.«

»Alles erlogen!«

»Kennst du Bengele?«

»Vom Sehen, ja!«

»Was hältst du von ihm?« fragte der Alte weiter.

»Ich halte ihn für einen braven Knaben, einen fleißigen Schüler, ein folgsames Kind, das sehr an seinem Vater und an seiner Mutter hängt.«

Plötzlich griff Bengele nach seiner Nase: sie war durch diese Schwindelei eine Spanne länger geworden. Voller Angst sagte er darum gleich:

»Nein, nein, lieber Mann, ich habe nur Spaß gemacht; Ihr dürft nicht glauben, was ich gesagt habe. Ich kenne nämlich Bengele sehr gut und weiß, daß er wirklich ein nichtsnutziger Strick ist, ein eigensinniger Schlingel, der die Schule schwänzt und mit schlechten Kameraden herumbummelt.«

Sofort bekam die Nase ihre richtige Größe wieder. –

Es ging gegen Abend. Ein kühler Wind kam vom Meere her und der Hampelmann fing an zu frieren. Der grüne Fischer hatte ihm alle Kleider vom Leibe gerissen; überall klebte ihm noch das Paniermehl an. Er schämte sich, so nach Hause zu gehen, und bat den Alten um ein Gewand.

Der Mann war arm und sagte:

»Mein lieber Kleiner, ich kann dir nichts geben als einen alten Sack.«

Bengele nahm das Anerbieten dankbar an. Der Alte holte einen Sack in seiner Hütte, schnitt mit der Schere an den Zipfeln zwei Löcher für die Arme und dazwischen in der Mitte ein größeres für den Hals. – Der Hampelmann zog den Sack über den Kopf, streckte die Hände bei den Zipfeln heraus und trottelte in diesem Kleide der Heimat zu.

Das Herz pochte ihm laut, manchmal wollte er wieder umkehren; denn er dachte:

»Wie kann ich so zu meiner guten Mutter Fee zurückkommen? Was wird sie sagen, wenn sie mich sieht? Sie wird mir nicht mehr verzeihen, sicher nicht! Aber ich bin selbst daran schuld; ich bin ein Schlingel; ich verspreche immer, mich zu bessern, aber ich halte es nie!«

Als Bengele nach Fleißigenstadt kam, war es schon dunkel. Kein Sternlein war am Himmel zu sehen und bald fing es an zu regnen. Der Hampelmann nahm den nächsten Weg zum Hause der Mutter Fee. Er stand vor der Haustüre und wollte klopfen. Der Mut verließ ihn, und er ging zehn Schritte weiter. – Er kehrte zurück, stand wieder vor der Türe und – ging wieder weg. Erst das vierte Mal pochte er zaghaft und leise.

Er wartete und wartete. Nach einer halben Stunde wurde im vierten Stock ein Fenster geöffnet. Eine große Schnecke kroch über die Fensterbrüstung. Sie trug zwischen den Hörnchen eine brennende Kerze, blickte zur Haustüre und fragte:

»Wer kommt noch so spät?«

»Ist die Herrin zu Hause?« rief Bengele empor.

»Die Frau Fee schläft und will nicht geweckt werden; – wer bist du denn?«

»Ich bin’s!«

»Wer ich?«

»Bengele.«

»Was für ein Bengele?«

»Der Hampelmann, der bei der Frau Fee wohnt.«

»Ah so!« sagte die Schnecke. »Warte ein bißchen, ich komme gleich hinunter und mache dir auf.«

»Spute dich, sonst muß ich in diesem Wetter erfrieren.«

»Mein Lieber, ich bin eine Schnecke, und den Schnecken pressiert es nie.«

Eine Stunde verging, es verging eine zweite, und die Türe war immer noch zu. Bengele klapperte mit den Zähnen und litt unsäglich durch die Kälte und Nässe. Er faßte Mut und klopfte noch einmal und diesmal viel fester.

Da ging im dritten Stock das Fenster auf, und die Schnecke zeigte sich wieder:

»Liebe Schnecke«, rief Bengele, »zwei Stunden warte ich schon, und in diesem Hundewetter ist eine Stunde so lang wie ein Jahr. – Mach vorwärts, ums Himmels willen beeile dich!«

Die Schnecke aber regte sich nicht auf. So langsam und gemächlich wie zuvor sagte sie: »Ich bin eine Schnecke, mein Lieber, und den Schnecken pressiert es nie.« – Und wieder ging das Fenster zu.

Gleich danach schlug es Mitternacht, dann 1 Uhr, dann 2 Uhr, und die Haustüre war immer noch zu.

Jetzt ging dem Bengele die Geduld aus, er klopfte und rüttelte mit aller Gewalt an der Türklinke; aber auf einmal verwandelte sich der eiserne Griff in einen lebendigen Aal, quietschte ihm aus der Hand und verschwand in der Wasserrinne neben der Straße.

»Auch das noch!« schrie Bengele, immer mehr vom Zorn erfaßt. – »Jetzt muß ich mir schon mit den Füßen helfen.«

Er nahm einen Anlauf und tat einen kräftigen Tritt gegen die Türe. Da gab ein Brett nach, der Fuß ging durch und blieb wie ein Nagel im Holze stecken. Vergeblich waren alle Anstrengungen des Hampelmannes; er brachte sein Bein nicht mehr heraus.

Mit einem Fuß auf dem Boden stehen und mit dem andern in einer Türe festgeklemmt sein, ist kein Vergnügen. Aber Bengele mußte aushalten.

Beim Morgengrauen wurde endlich die Türe geöffnet. Die wackere Schnecke war in neun Stunden vom vierten Stock herunter gekrochen; sie hatte sich wirklich beeilt.

»Was machst du denn mit dem Fuß in der Türe?« fragte sie Bengele.

»Das war eine dumme Geschichte. Schau mal, liebe Schnecke, ob du mir nicht heraushelfen kannst.«

»Mein Lieber, da muß ich schon den Schreiner kommen lassen; auf solche Arbeit verstehe ich mich nicht.«

»Dann geh und bitte die Mutter Fee, daß sie mich losmache.«

»Die Herrin schläft und will Ruhe haben.«

»Aber ich kann doch nicht den ganzen Tag wie ein Nagel in der Türe stecken!«

»Zähle zur Unterhaltung die Käfer, die auf der Straße vorbeilaufen!«

»Bring mir lieber etwas zu essen, ich bin halbverhungert!«

»Sofort!« sagte die Schnecke.

In der Tat kam sie nach drei Stunden wieder und trug eine Silberplatte auf dem Kopf. Darauf lag ein Brötchen, ein Stück Fleisch und vier schöne Aprikosen.

Für Bengele war das der erste Trost nach dem vielen Unglück. Aber auf seine Freude folgte sogleich die bitterste Enttäuschung: das Brot wurde in seiner Hand ein Stein, das Fleisch verwandelte sich in rostiges Eisen und die Aprikosen erwiesen sich als bunte Glaskugeln.

Der Hampelmann schäumte vor Zorn. Er faßte die Platte und wollte sie mit dem ganzen Inhalt hinaus auf die Straße werfen. Doch die Kräfte gingen ihm aus; ohnmächtig sank er zusammen und war wie tot.

Als Bengele wieder zu sich kam, lag er in seinem Bette. Die Mutter Fee saß neben ihm und sprach:

»Mein Kind, du bist sehr unartig gewesen; die Strafe dafür hast du heute nacht erhalten. Ich verzeihe dir deinen Leichtsinn; aber dies ist das letzte Mal.«

Bengele weinte und küßte der guten Mutter die Hand. Er versprach ihr fest, daß er keine Streiche mehr mache, und wurde sehr ernst.

Die gute Fee machte ihm neue Kleider, und Bengele ging wieder zur Schule. Bis zum Schlusse des Schuljahres lernte er mit großem Fleiße und war musterhaft brav.

In der Prüfung wurde er belobt und erhielt ein schönes Buch als Preis.

Die Mutter Fee war sehr zufrieden und sprach zu ihm:

»Von mir sollst du die schönste Gabe empfangen; morgen will ich deinen Herzenswunsch erfüllen. Nun verdienst du es nicht mehr, ein Hampelmann zu sein; über Nacht sollst du ein Knabe werden. – Wir machen morgen nachmittag ein kleines Fest in unserem Garten. Du darfst deine Schulkameraden dazu einladen. Es gibt Kaffee mit Kuchen, Butterbrot und Honig.«

Unbeschreiblich groß war Bengeles Freude. Was er als Hampelmann verübt und ausgestanden hatte, das alles soll vergangen und vergessen sein. Morgen fängt er als Knabe ein neues, glückliches Leben an.

Kein Hindernis schien mehr im Wege; aber … In Bengeles Leben gab es immer wieder ein »Aber«, das alles Schöne verdarb.

Freund Röhrle.

Einunddreißigstes Stück.

Freund Röhrle.

Nach dem Mittagessen wollte Bengele seine Freunde im Städtchen aufsuchen und zum Feste laden.

Vor dem Weggehen mahnte ihn die Fee und sprach: »Achte darauf, daß du vor Dunkelheit wieder zu Hause bist!«

»In einer Stunde bin ich zurück«, sagte der Hampelmann zuversichtlich.

»Versprich nicht zu viel, Bengele! – Wer zu viel verspricht, hält gewöhnlich wenig.«

»Aber ich nicht! – Und erst, wenn ich ein Knabe bin …«

»Abwarten! – Jetzt bist du noch ein Hampelmann. Wenn du heute nicht gehorchst, ist es dein größter Schaden.«

»Warum?«

»Wer nicht hören will, muß fühlen.«

»Das ist wahr. Ich habe es genug erfahren. Aber ich mache keine dummen Streiche mehr.«

»Abwarten!«

Bengele verabschiedete sich von der guten Mutter, sang und sprang und ging zum Hause hinaus.

In einer Stunde hatte er wirklich all seine Freunde eingeladen. Die meisten nahmen gerne an; manche ließen sich auch bitten. Doch als sie hörten, daß es dickgestrichene Butterbrote mit Honig gebe, sagten sie gerne zu. Äußerlich zierten sie sich freilich und meinten: »Wir wollen dir deine Freude nicht verderben.«

Bengeles bester Freund war Friedrich. Die Knaben nannten ihn nur den »Röhrle«. Er war ein dünnes, zartes Kerlchen, aber in allen Streichen durch wie ein Blasröhrle. Gerade deshalb liebte ihn Bengele mehr als alle andern. Er hatte ihn auch zuerst einladen wollen, aber er traf ihn nicht zu Hause. Auch ein zweites und drittes Mal war sein Gang vergeblich.

Nun suchte der Hampelmann seinen Röhrle in allen Winkeln und Ecken, wo sie miteinander gespielt hatten. Schließlich fand er ihn vor dem Städtchen hinter der Scheune eines Bauernhofes.

»Röhrle«, rief Bengele schon von weitem, »wo steckst du nur? – Was treibst du denn hier außen?«

Röhrle hatte ein schlechtes Zeugnis erhalten und fürchtete sich vor seinem Vater, der abends nach Hause kam. Er antwortete seinem Freunde:

»Ich warte bis Mitternacht, um auszureißen.«

»Wohin?«

»Weit, weit fort!«

»Dreimal schon habe ich dich daheim gesucht.«

»Warum?«

»Hast du es noch nicht gehört, was morgen geschieht? – Weißt du nicht, was ich werden soll?«

»Was?«

»Morgen hat es mit dem Hampelmann ein Ende, und ich werde ein Knabe wie du und alle andern.«

»Ich gratuliere!«

»Also morgen kommst du zum Feste.«

»Ich habe dir schon gesagt, daß ich ausreiße.«

»Wann?«

»Bald!«

»Wohin?«

»In ein fremdes Land, ins schönste Land der Welt!«

»Wie heißt es?«

»Faulenzerland! – Willst du nicht mitgehen?«

»Nein!«

»Sehr dumm, Bengele! – Es wird dich einmal reuen. Faulenzerland ist das schönste Land der Welt. Schulen und Bücher sind dort verboten. Wer lernt, wird bestraft. Jeden Tag ist schulfrei. Die großen Ferien gehen vom 1. Januar bis 31. Dezember. – Das ist ein Leben nach meinem Geschmacke. Daran könnten sich die zivilisierten Länder ein Vorbild nehmen.«

»Aber was treibt man denn jeden Tag im Faulenzerland?«

»Man spielt von Morgen bis Abend; dann geht man schlafen und am andern Morgen fängt es von vorne an. Na!?«

»Hmm!« machte Bengele und neigte den Kopf zur Seite. Das bedeutete: »Es tät mir auch gefallen.«

»Gehst du also mit? Ja oder nein! – Sei nicht langweilig!«

»Nein, nein, nein! – Ich habe meiner guten Mutter Fee versprochen, ein richtiger Knabe zu werden, und jetzt wird es auch gehalten. – Übrigens geht die Sonne gleich unter. – Ich gehe heim. Adieu, glückliche Reise!«

»So wird es doch gerade nicht eilen?«

»Doch! Ich habe es meiner Mutter versprochen; bevor es dunkel wird, will ich daheim sein.«

»Bleibe nur noch ein wenig da!«

»Es wird zu spät!«

»Nur noch ein ganz klein wenig!«

»Dann schimpft die Mutter Fee!«

»Laß sie schimpfen; sie hört auch wieder auf«, sagte der schlimme Röhrle.

»Gehst du allein oder mit andern?« fragte Bengele.

»Wo denkst du hin? – allein! – Es sind über hundert Knaben.«

»Geht die Reise zu Fuß?«

»Nein, nein! Gleich kommt das Fuhrwerk, mit dem man bis ins Faulenzerland fahren kann.«

»Wenn es nur gleich käme!«

»Warum?«

»Ich möchte euch abfahren sehen.«

»Warte noch ein wenig, und du kannst alles sehen.«

»Nein, nein, nein, jetzt gehe ich heim.«

»Warte doch nur noch ein bißchen!«

»Ich habe lang genug gewartet. Die gute Mutter ängstigt sich um mich.«

»Die arme Fee! Sie wird vielleicht denken, daß dich der Nachtkrabb frißt.«

»Na also!« sagte Bengele; »aber weißt du auch bestimmt, daß es in jenem Lande keine Schulen gibt?«

»Keine Spur davon!«

»Auch keine Lehrer?«

»Keinen einzigen!«

»Muß man gar nie lernen?«

»Gar nie!«

»Ein schönes Land!« murmelte Bengele, – schon war er halb gefangen. – »Ein schönes Land! Ich habe es zwar noch nie gesehen, aber ich kann mir’s vorstellen.«

»Warum gehst du dann nicht mit?«

»Du kriegst mich nicht herum und brauchst darum gar keine Anstrengungen mehr zu machen. Nun habe ich es einmal der Mutter versprochen, ein guter Knabe zu werden; ich werde es halten.«

»Also, Adieu! Einen schönen Gruß an die Schulhäuser, wenn du dran vorbeigehst!«

»Adieu, Röhrle, gute Reise, viel Vergnügen, vergiß deine alten Freunde nicht!«

Bengele wollte gehen; aber er hatte keine drei Schritte gemacht, so drehte er sich noch einmal um und sprach:

»Sag, Röhrle, gibt es dort wirklich immer Ferien?«

»Gewiß!«

»Weißt du ganz sicher, daß die Ferien vom 1. Januar bis zum 31. Dezember gehen?«

»Ganz sicher!«

»Ein schönes Land!« seufzte Bengele und rückte seine Mütze zurecht. Aber er siegte noch einmal über sich selbst und sagte rasch:

»Also, Adieu! Gute Reise!«

»Adieu!« –

Gleich drehte sich Bengele noch einmal um und fragte:

»Wann geht es ab?«

»Gleich!«

»Schade! – Wenn es nicht über eine Stunde ginge, dann könnte ich vielleicht doch warten.«

»Aber die Fee!« bemerkte der schlaue Röhrte.

»Jetzt ist es sowieso zu spät, und auf eine Stunde mehr oder weniger kommt es nicht mehr an.«

»Armer Bengele, wenn die Fee dich ausschimpft!«

»Macht nichts; ich lasse sie schimpfen, sie hört schon wieder auf.«

Es war dunkle Nacht geworden. Nach langem Warten sahen die beiden von ferne her ein Lichtlein kommen; sie hörten tuten und blasen, aber es war so leise wie Fliegengesumme.

»Da, da!« rief Röhrle.

»Was?« fragte Bengele.

»Da kommt das Fuhrwerk! – Gehst du mit? – Ja oder nein!?«

»Muß man dort wirklich nicht lernen?«

»Gar nicht! Wirklich gar nicht!«

»Ein schönes Land, ein schönes Land! – Wirklich ein schönes Land!«

Faulenzerland – ein schönes Land.

Zweiunddreißigstes Stück.

Faulenzerland – ein schönes Land.

Fast geräuschlos auf seinen Gummirädern näherte sich ein großer Postwagen. Ihn zogen zwölf Paar Eselchen, alle gleich groß, nur verschiedenfarbig. Da gab es graue, weiße, gesprenkelte, gefleckte, gestreifte, gelbe und sogar blaue Esel.

Man erblickte keine Hufe; denn die Tiere trugen gelbe Schuhe mit Gummisohlen.

Und erst der Kutscher! – Denkt euch ein kugeliges Männchen, fettglänzend wie einen Butterballen. Sein Gesicht glich einem rotbackigen Apfel; um sein Mündchen flog immerdar ein süßes Lächeln; seine Stimme war so schmeichelhaft zart wie das Schnurren der Katze, die sich der Herrin in den Schoß legen will.

Alle Knaben waren von der Liebenswürdigkeit des Männleins gefangen, wenn sie ihn nur sahen, stiegen sofort in seinen Wagen und fuhren mit ihm ins Faulenzerland.

Auch diesmal war das Gefährt schon dicht besetzt. Die kleinen Faulenzer saßen gedrängt wie Heringe in der Tonne. Aber keiner beklagte sich. Alle waren froh, ins glückliche Land zu kommen, wo die Bücher und die Schulen verboten sind. Sie dachten nicht mehr an die Eltern, hatten keinen Hunger mehr, vergaßen den Schlaf und waren voll Freude und Ausgelassenheit.

Das Fuhrwerk blieb stehen. Lächelnd fragte der Kutscher den Röhrle:

»Sag, mein Söhnchen, willst du auch mitfahren ins glückliche Land?«

»Natürlich will ich mit!«

»Aber sieh, es gibt keinen Platz mehr im Wagen; er ist schon völlig überfüllt.«

»Es wird schon gehen«, meinte Röhrle, »im schlimmsten Falle kann ich mich auch auf das Trittbrett setzen; ich habe es schon oft gemacht.« – Wirklich fuhr er auf dem Trittbrett mit.

»Und du, mein lieber Kleiner«, wandte sich der Kutscher an Bengele, »was hast denn du im Sinn? – Fährst du auch mit?«

»Ich gehe nicht mit. – Ich gehe jetzt heim, ich will lernen und ein ordentlicher Knabe werden.«

»Viel Vergnügen und viel Glück!«

»Bengele«, rief Röhrle, »horch! komm mit, wir wollen ein lustiges Leben führen!«

»Nein, nein, ich bleibe da!«

»Komm doch mit«, schrien alle aus dem Wagen, »wir wollen vergnügt miteinander spielen.«

»Ja, aber was wird meine gute Mutter sagen?« entgegnete Bengele; doch schon war es ihm leid, daß er daheim bleiben sollte. Er fuhr mit dem Ärmel über die Augen.

»Werde mir doch nicht trübsinnig«, sprach da das dicke Männchen, »komm mit ins Land der Freude!«

Bengele tat einen tiefen Seufzer, dann noch einen und einen dritten. Er war besiegt und sprach:

»Macht mir ein wenig Platz! – ich fahre mit.«

»Es ist alles besetzt«, sprach das Männchen, »aber du sollst sehen, wie gern ich dich habe. Komm und setze dich auf den Kutscherbock!«

»Und Sie?«

»Ich gehe zu Fuß nebenher.«

»Nein, nein, das gebe ich nicht zu! – Dann setze ich mich lieber auf einen Esel und reite«, sprach Bengele.

Gleich sprang er auf den ersten Esel rechts an der Deichsel. Der aber bäumte sich und warf ihn ab. – Das Gelächter und den Spektakel der Knaben hättet ihr hören sollen! – Aber das fette Männchen lachte nicht. Gelassen ging es auf den widerspenstigen Esel zu, tat, als sage es ihm etwas Liebes ins Ohr, biß ihm aber in Wirklichkeit die Ohrenspitze ab.

Bengele war von seinem Falle wieder aufgestanden; er schämte und ärgerte sich. Noch einmal schwang er sich elegant auf den Esel. Alle Knaben im Wagen bewunderten den Hampelmann; sie riefen: »Brav gemacht, Bengele!« und klatschten ihm Beifall.

Die Reise ging weiter. Gleichmäßig trabten die Eselchen dahin. Bengele fühlte sich schon ganz sicher im Sattel und dachte nicht mehr an die Bosheit seines Reittieres. Da fiel dem Esel eine neue Schlechtigkeit ein. Plötzlich hob er beide Hinterbeine hoch, und Bengele sauste über seinen Kopf weg in den Straßenschmutz.

Neuer Spektakel im Wagen! Aber das Männchen sagte dem Esel etwas ins andere Ohr und biß ihm die andere Ohrenspitze ab.

Hierauf tröstete es den Bengele und sprach:

»Nun setze dich ruhig auf den Burschen da! Er hatte Grillen im Kopfe, aber ich habe sie ihm herausgeblasen. Jetzt ist er fromm und wirft dich nicht mehr ab.«

Bengele stieg auf. Der Wagen rollte weiter. Die Knaben schwatzten und lachten nicht mehr. Auf einmal hörte Bengele ein verstohlenes Geflüster: »Armer Tölpel! Ungehorsam und herzlos bist du von der Mutter weggelaufen; bald wird es dich reuen!«

Bengele bekam Angst und schaute sich nach allen Seiten um. Es war niemand zu sehen. – Die Esel trippelten gleichmäßig weiter, im Wagen schliefen die Knaben, Röhrle schnarchte, das Männchen auf dem Bocke sang leise vor sich hin:

Ich fahre durch die Länder
In stiller dunkler Nacht.
Zwei Dutzend fauler Knaben
Hab‘ heut ich aufgebracht.

Die bunten Esel fuhren
Als Knaben einmal mit,
Und spielend lernten alle
Den leichten Eselschritt.

Es geht das Spiel zu Ende,
Eh’s einer nur bedacht, –
Und neue Esel ziehen
Den Wagen in der Nacht.

Bengele achtete nicht auf das Lied. Er wollte wissen, woher das eigentümliche Geflüster gekommen war, und strengte seine Augen an, ob vielleicht doch jemand in der Nähe sei. Da ließ sich dieselbe Stimme wieder vernehmen:

»Bengele, dummer Hampelmann, laß es dir sagen: Wer nicht lernt und die Bücher nicht leiden mag, wer seinen Eltern davonläuft und dem Lehrer, wer nur faulenzen und spielen will, mit dem nimmt es ein schlimmes Ende. Ich spreche aus Erfahrung; glaube mir! Der Tag wird kommen, wo du weinst wie ich; aber dann ist es zu spät.«

Entsetzt sprang der Hampelmann vom Esel und faßte ihn am Zügel. – Der Wagen hielt an. Bengele wußte nicht, was er denken sollte: sein Esel weinte wie ein Kind.

»Heh! Herr Kutscher!« rief Bengele, »was soll das heißen, der Esel da kann ja weinen!«

»Laß ihn weinen, er wird auch wieder lachen.«

»Gut! Aber wer hat ihn zum Sprechen abgerichtet?«

»Er hat von selber ein paar Worte gelernt, weil er drei Jahre lang mit dressierten Hunden zusammen war.«

»Du armes Tier!«

»Hi! hi!« rief der Kutscher und schwang die Peitsche; »wir können keine Zeit verlieren, weil mal ein Esel weint. – Setze dich in den Sattel! Vorwärts, wir haben noch einen weiten Weg.«

Bengele gehorchte ohne Widerrede. Der Wagen fuhr weiter, und am andern Morgen kamen sie glücklich ins Faulenzerland.

Wie dieses Land gibt es kein zweites auf der ganzen Welt. – Hier wohnen nur Knaben. Die ältesten sind 14 Jahre alt, die jüngsten etwa 8 Jahre. Auf allen Straßen geht es lustig her. Da ist ein Spektakel und ein Gebrüll, daß man die Ohren verstopfen möchte. – Überall sind Knabenscharen. Die einen spielen mit Klickern, andere Tanzknopf, andere alle Art Ballspiele, andere fahren Rad, wieder andere haben ein Schaukelpferd. – Hier machen sie »Blinde Kuh«, dort »Drei Mann hoch«, dort »Hasch-Hasch«. Die singen, die schlagen Purzelbäume, da läuft einer auf den Händen, dort schlägt einer ein Rad, hier marschiert ein strammes Generälchen mit Papierhelm und Holzsäbel. Sie schreien, lachen, fuchteln mit den Händen. Der eine pfeift, ein anderer singt und ein dritter ahmt sogar die Hühner und Hähne nach: ki-ke-ri-ki!

Der Lärm ist ohrenbetäubend, die reinste Hexenküche.

Auf allen Plätzen gibt es kleine Theater, die von Morgen bis Abend überfüllt sind. An den Häusern sieht man mit Kohle und Kreide allerhand Unfug anschrieben:

»hoch faulentzerlant!« – »Wier wolen keine schuhle Meer!« – »Fort mit den Rechenbiechern.«

Merkst du, kleiner Leser, wer das geschrieben hat?

Bengele, Röhrle und die Kameraden, die mit dem Männchen kamen, wurden bald mit den anwesenden Faulenzern bekannt. Sie machten überall mit und waren bald die glücklichsten Kinder auf der Welt. Wie der Blitz flog die Zeit dahin mit Spielen und Spassen.

»Wie schön ist jetzt das Leben!« sagte Bengele, so oft er den Röhrle traf.

»Siehst du«, meinte dieser einmal, »ich habe doch recht gehabt. – Du wolltest heim zu deiner Fee und lernen. – So eine Verrücktheit! – Daß du heute nicht in der langweiligen Schule sitzest, hast du mir allein zu verdanken. – Und wie mußte ich mir Mühe geben, bis ich dich so weit gebracht hatte! – Aber nun siehst du ein, daß ich eben doch allein dein guter Freund bin.«

»Es ist wahr, Röhrle«, gestand Bengele, »dir verdanke ich mein Glück. – Aber weißt du auch, was der Lehrer einmal über dich sagte?«

»Na?«

»Er warnte mich und sprach: »Verkehre nicht mit dem Röhrle; er ist ein schlechter Kamerad und verleitet dich nur zu bösen Streichen!«

»Der dumme Lehrer!« bedauerte Röhrle; »er hat mich nie leiden können, ich weiß es wohl. Darum hat er mich immer verleumdet. – Aber ich verzeihe ihm und will es vergessen.«

»Du bist ein guter Kerl«, sagte Bengele, umarmte herzlich den Röhrle und versprach ihm ewige Freundschaft.

Zwei neue Esel.

Dreiunddreißigstes Stück.

Zwei neue Esel.

Fünf Monate Faulenzerleben waren schon vergangen. Die Knaben hatten ohne Unterlaß gespielt und nie ein Buch angeschaut. – Da erwachte Bengele eines Morgens, und alle Freude am Faulenzerlande war mit einem Schlage vernichtet.

Was war vorgefallen? – Geduld, meine kleinen Leser, ich werde euch alles erzählen.

Bengele wachte also auf, und wie gewöhnlich, wenn er aus dem Bette steigen wollte, kratzte er sich zuerst hinter den Ohren. Wie er nun dieses Mal an den Kopf griff, merkte er – na ratet mal, was? – merkte er zu seinem Entsetzen, daß seine Ohren ein gutes Stück länger geworden waren.

Ihr erinnert euch noch, daß der Hampelmann ursprünglich kleine Öhrchen hatte, so winzig, daß man sie mit bloßem Auge kaum sehen konnte. – Seppel hatte ja vergessen, sie zu schnitzen. – Das dumme Gesicht Bengeles hättet ihr sehen sollen, als er merkte, daß seine Ohren über Nacht so sehr gewachsen waren, daß sie wie Hörner am Kopfe standen. – Gleich suchte sich der Hampelmann einen Spiegel. Es war keiner zu finden. Da füllte er die Waschschüssel mit Wasser und schaute hinein. – Welch entsetzliches Bild! Er hätte es lieber nie gesehen. An seinem Kopfe standen zwei richtige Eselsohren.

Wie ihm das in der Seele weh tat, wie er sich schämte, wie er verzweifelte! – Der arme Bengele! –

Weinen und jammern, mit dem Kopfe an die Wand rennen, an den langen Ohren zerren, alles war umsonst; sie wuchsen immer noch mehr und bekamen ihre Haarbüsche an der Spitze.

Ein hübsches Murmeltierchen, das ein Stockwerk höher wohnte, hatte das Jammergeheul gehört und kam zu Bengele, um ihn zu trösten. Es fand ihn ganz von Sinnen und fragte liebevoll:

»Was fehlt denn meinem Herrn Nachbar?«

»Ich bin krank, liebes Murmeltierchen, schlimm krank! – Diese Krankheit macht mir große Sorge; fühle doch mal meinen Puls!«

»Er ist etwas bewegt.«

»Habe ich vielleicht Fieber?«

Das Murmeltierchen setzte sich auf die Hinterbeine, fühlte genau den Puls, zählte und sagte traurig:

»Mein lieber Freund, das ist eine böse Sache!«

»Wirklich?«

»Du hast ein ekliges Fieber.«

»Was für eines?«

»Das Eselsfieber!«

»Von dem habe ich noch nie etwas gehört«, meinte Bengele; aber ihm ahnte das Unglück.

»Nun denn«, fuhr das Murmeltierchen fort, »so will ich dir alles erklären. – In zwei bis drei Stunden bist du kein Hampelmann mehr und wirst auch kein Knabe sein, sondern –«

»Sondern was?«

»Sondern ein richtiger, vierbeiniger Esel. – Vielleicht kommt dann ein Bauer, kauft dich und nimmt dich mit nach Hause. Du wirst vor sein Wägelchen gespannt und kannst das Gemüse und die Milch in die Stadt fahren.«

»O weh, o weh!« rief Bengele, packte die langen Ohren mit beiden Händen und riß daran, als ob sie gar nicht ihm gehörten.

»Lieber Freund«, beruhigte ihn das Murmeltierchen, »es ist nichts mehr zu machen. Das ist das Schicksal, und so ist es unabänderlich bestimmt, daß alle nichtsnutzigen Kinder, die von Büchern, von Lehrern und von der Schule nichts wissen wollen, nur faulenzen, spielen und den Tag totschlagen, früher oder später Esel werden müssen.«

»Ist das wirklich so?« schluchzte der Hampelmann.

»Leider ja! Mit Heulen ist hier nichts mehr gut zu machen. Du hättest früher daran denken müssen.«

»Aber ich bin nicht daran schuld, glaub es nur, liebes Murmeltierchen, der Röhrle und nur der Röhrle …«

»Wer ist der Röhrle?«

»Mein Schulkamerad. – Ich habe nach Hause gehen wollen, ich habe folgen wollen, ich habe gelernt und gute Noten bekommen; aber der Röhrle hat zu mir gesagt: ›Wozu willst du dich abplagen? Wozu willst du in die Schule gehen? Geh mit mir ins Faulenzerland! Dort spielt man Tag für Tag und ist immer lustig.‹«

»Warum hast du denn auf einen schlechten Freund und bösen Kameraden gehört?«

»Weil …, weil … o du liebes Murmeltier, weil ich ein unvernünftiger Hampelmann bin und gar kein Herz habe. – Ja, hätte ich nur einen Funken Liebe gehabt, dann wäre ich meiner lieben Mutter Fee nicht davongelaufen. – Sie war so gut gegen mich! – Jetzt wäre ich schon lange kein Hampelmann mehr, sondern ein braver Knabe wie viele andere. – Aber wenn ich den Röhrle erwische, wehe dem! Ich werde ihn gründlich verhauen.« –

Er wollte hinausgehen; aber unter der Türe fielen ihm die Eselsohren ein. Er schämte sich vor den Leuten. – Was tun? – Erfinderisch machte er sich eine hohe Mütze aus Pappdeckel und stülpte sie über die Ohren.

Jetzt suchte er den Röhrle überall: auf den Straßen, in den Theatern, in allen Winkeln; aber er war nicht zu finden. Er fragte andere Knaben nach ihm; keiner hatte ihn gesehen.

Schließlich ging er nach Röhrles Hause und klopfte an die Türe.

»Wer ist draußen?« fragte Röhrle.

»Ich bin’s«, antwortete Bengele.

»Warte ein wenig, ich mache dir gleich auf.«

Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis Röhrle fertig war. – Bengele war höchst erstaunt, als er den Röhrle mit einer ganz ähnlichen Pappdeckelmütze erblickte. Das tröstete den Hampelmann ein wenig; denn er dachte, daß Röhrle die gleiche Krankheit habe. Er tat aber, als merke er nichts, und fragte lachend:

»Wie geht es dir, Freund Röhrle?«

»Sehr gut, wie dem Vogel im Hanfsamen.«

»Sehr gut? im Ernste?«

»Ich hätte keinen Grund zu lügen.«

»Nimm mir’s nicht übel, Röhrle, warum trägst du dann diese Pappdeckelmütze über den Ohren?«

»Der Arzt hat sie mir verschrieben, weil ich Zahnweh hatte. Aber du, lieber Bengele, warum trägst du eine solche Mütze?«

»Mir hat sie der Arzt verordnet, weil ich Halsweh hatte.«

»Armer Bengele!«

»Armer Röhrle!«

Jetzt war es lange still im Zimmer; die beiden Freunde sahen schweigend einander an und einer wollte den andern auslachen. Schließlich ging der Hampelmann auf seinen Freund zu und flötete ihm zärtlich ins Ohr:

»Ich bin neugierig, Röhrle; sag mal, hast du je etwas an den Ohren gehabt?«

»Nie! – Du vielleicht?«

»Auch nie! – Aber seit heute früh habe ich etwas an einem Ohr.«

»Ich auch.«

»Du auch? An welchem?«

»An allen beiden! – Und du?«

»Auch an allen beiden. – Wir haben die gleiche Krankheit.«

»Ich glaube es auch.«

»Röhrle, tu mir einen Gefallen.«

»Gern!«

»Laß mich deine Ohren sehen!«

»Weshalb nicht; aber erst zeig mir deine!«

»Nein, zuerst du!«

»Nein, mein Lieber, erst du, dann ich!«

»Gut«, sagte da der Hampelmann, »wir wollen etwas miteinander ausmachen.«

»Nämlich?«

»Wir nehmen alle zwei auf einmal die Mütze ab.«

»Angenommen!«

»Also aufgepaßt!«

Bengele zahlte: »Eins, zwei, drei!«

Auf drei flögen zwei Pappdeckelmützen in die Luft. – Was darauf folgte, ist fast nicht zu glauben. Bengele und Röhrle sahen, daß sie wirklich beide die gleiche Krankheit hatten; aber sie konnten nicht traurig sein; zu drollig war’s, einander anzugucken. Sie wackelten mit dem Kopfe, ließen ihre Eselsohren aneinander bammeln, schüttelten sich und konnten aus dem Lachen nicht mehr herauskommen. – Plötzlich im größten Hallo wechselte Röhrle die Farbe, ward ganz still, knackte zusammen und rief:

»Hilf, Bengele, hilf!«

»Was hast du?«

»Ich kann nicht mehr aufrecht stehen.«

»Ich auch nicht mehr«, seufzte Bengele und wackelte ganz bedenklich.

Schon neigten sich beide vornüber, schon liefen sie auf allen vieren im Zimmer herum. Die Arme wurden Beine, das Gesicht verzog sich zu einer langen Eselsschnauze, die Haut wurde mit einem grauschwarzen Fell bedeckt. – Das Ärgste kam zuletzt. – Wie sie sich schämten, als ihnen der Schwanz wuchs, dieser häßliche Eselsschwanz! – Sie wollten weinen und klagen über ihr maßloses Elend. – Hätten sie lieber geschwiegen! – Kein Klagelaut drang aus ihrer Kehle, und weinen konnten sie auch nicht mehr. Laut und schnarrend ertönte durch das Haus ein unbändiges: I-ah, I-ah, I-ah!

Bald klopfte es an die Türe und draußen brummte einer:

»Aufgemacht! Ich bin’s, der Kutscher des Wagens, auf dem ihr in dies Land gefahren seid. Gleich aufgemacht, oder paßt auf …!«