170. Mannigfual

170. Mannigfual

In der Nordsee, erzählen die nordfriesischen Seefahrer, steuert ein Riesenschiff. Sein Umfang ist untümlich groß, die Masten sind höher als alle Kirchtürme, die Taue sind so dick wie große Tannen. In der Takellage sind Öffnungen, dahinein die Matrosen zum öftern gehen, der Einkehr halber, um eine Stärkung zu sich zu nehmen, denn wer als junger Matrose da hinaufklettert, der kommt erst in hohen Jahren mit grauem Haar und Bart wieder herunter. Der Kapitän reist zu Pferde auf dem Verdeck herum, um seine Befehle zu erteilen, und ist froh, wenn er in einem Tage herumkommt. Dieses wundersame Schiff heißt der Mannigfual. Insgeheim hält es seinen Kurs nur im hohen Norden, im tiefsten Fahrwasser, denn sonst könnte es in der Landnähe bald aufsitzen. Einstmals wurde das Schiff dennoch südwärts getrieben, es befand sich im Atlantischen Ozean und kam in den Kanal zwischen Dover und Calais. Da war ihm das Fahrwasser zu schmal, es füllte beinahe den Kanal ganz aus, da hätten die Franzosen auf trocknem Boden über das Schiff weg nach England spazierengehen können. Da fiel dem Kapitän ein guter Gedanke ein, er ließ die Backbordseite, nach Dover zu, ganz mit weißer Seife bestreichen, das glückte, jetzt wischte der Mannigfual glücklich durch die Meerenge und kam in die Nordsee. Aber die abgescheuerte Seife und der Schaum, den es gab, verliehen den Felsen der britischen Küste bei Dover ihre weiße Farbe bis auf den heutigen Tag.

Einst geriet der Mannigfual in die Ostsee, Gott weiß wie. Da war das Wasser gar zu seicht. Die Schiffsleute warfen ihren Ballast, Schlacken und Asche über Bord, um das Schiff flott zu machen. Daraus ist die Insel Bornholm entstanden, und aus dem Unrat der Kabuse das dabeiliegende Inselchen Christiansoe.

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171. Der Geldsot

171. Der Geldsot

In Süddithmarschen bei Marne rinnt eine helle Quelle über die Marsch hin, die blinkt wie Silber. Nahe dabei hat ein Dorf gestanden, das verheerte erst der Moskowiterkrieg, nachher kam die Seuche, und da starb es ganz aus bis auf einen einzigen Mann, das war der Hirte, und der erbte nun all das Geld und Gut, das die Verstorbenen hatten zurücklassen müssen, doch half es ihm auch weiter nichts, denn er verließ den Ort nicht. Er hatte aber seine Lust daran, alles zusammenzutragen, und versenkte dann alles hinab in den Quellbrunnen, und dann starb er und hinterließ keine Erben. Es mochte es aber im Vorbeireisen doch jemand gesehen haben, was der Hirte getan, denn die Sache kam unter die Leute, und der Brunnen wurde der Geldsot geheißen. Wenn einer mit einem Stocke in den Quell hineinstieß, klang es hohl, und man konnte bisweilen in der Tiefe den kleinen grauen Mann sehen, wie er, einen schwarzen Hut auf dem Kopf und ein brennendes Licht in der Hand, nachsieht, ob der Schatz noch ganz vorhanden ist. Wollte einer versuchen und hinabgreifen, so war der Hirte verschwunden. Einstmals haben sich ihrer Dreie verbunden, den Schatz zu heben, und haben die Quelle weit aufgegraben, und da sind sie auf einen großen Braukessel gestoßen, den konnten sie so nicht herausheben, da legten sie einen Windebaum quer über das Loch und banden Stricke an die Öhre und begannen den Kessel in die Höhe zu winden, das taten sie aber ganz stillschweigend, weil man beim Schatzheben ja nicht reden darf. Mit einem Male hörten sie Räder rollen und Achsen ächzen, und da fuhr ein Fuder Heu vorbei, das zogen sechs weiße Mäuse. Aber keiner von den Dreien verlor ein Wort, noch einen Laut, und der Kessel rückte schon merklich höher. Da kam der Mann mit dem dreieckichten Hute auf einem Schimmel geritten, der nur drei Beine hatte. – Guten Abend! sagte der Alte, aber die Drei waren klug und antworteten nicht.– Könnt‘ ich wohl das Heufuder einholen? fragte der Mann weiter, und da fuhr’s dem einen heraus: Den Teufel wirst du’s einholen, du lahmer Krüppel auf deinem lebendigen Dreibein! – O weh, da brach die Winde, und der Kessel versank, und nimmermehr, so viel ihrer es auch später wieder versucht haben, hat einer vermocht, ihn zu heben.

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172. Röwerlöwe

172. Röwerlöwe

Der Dithmarschen Volk liebte von Urväterzeiten her seine Freiheit über alles. Große Kämpfe hat es bestanden und blutige Schlachten geschlagen, und viele siegreich, bis es zuletzt noch überwunden ward. Aber immer noch ist in ihm die Erinnerung an seinen alten Ruhm lebendig, wie die Hoffnung auf seiner Freiheit Wiederkehr.

Kaiser Karl der Große schon hatte mit den Dithmarschen zu kämpfen. Nun lebte zu Windbergen ein starker und tapferer Kampfheld, genannt Röwerlöwe, der trat in des Kaisers Dienst, und Karl setzte ihn zu einem Herrn über das Dithmarschenland und -volk als einen Vogt, der die Unterjochten im Zaume halten und zum Christentume zwingen sollte. Aber die Dithmarschen ließen sich mitnichten im Zaume halten, sie empörten sich gegen den Röwerlöwe, nahmen ihn gefangen und räderten ihn. Von diesem Röwerlöwe soll das berühmte Geschlecht derer von Reventlowen abstammen, er soll dessen Ahnherr gewesen sein. Lange Zeit wohnten seine Nachkommen noch in Dithmarschen, aber immer glimmte im Volk ein alter Groll gegen dasselbe fort, da hat es sich endlich hinweggewendet und sich über Holstein, Schleswig und Dänemark verbreitet.

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159. Stavorens Untergang

159. Stavorens Untergang

Das große Zeichen, das der Herr getan, als er die Sanddüne aus dem Meeresgrunde aufwachsen ließ, besserte noch lange nicht die Ruchlosigkeit der Einwohner von Stavoren, denn solcher Leute, wie jene gottlose Witwe war, gab es dort nur noch allzuviele. Da war eine reiche und übermütige Jungfrau, die hatte viele Schiffe in See und des Gutes so viel, daß sie nicht wußte, wie viel. Die beauftragte auch einen Schiffer zur Zeit, wo große Hungersnot im Lande war, ihr das Kostbarste und Wertvollste, was er in fernen Landen nur immer zu finden vermöge, mitzubringen. Und der Schiffer fuhr hinweg und kam bald wieder, und als die Jungfrau fragte, was er Köstliches für sie mitbringe, da er so bald zurück sei, sie habe ihn noch nicht erwartet, sprach der Schiffer: Meine Jungfrau, das Köstlichste ist jetzt, was der Mensch zum Leben braucht; ich bringe den schönsten Weizen. – Die Jungfrau aber hatte reichen Schmuck, Gold, Perlen und Diamanten erwartet und zürnte: Weizen! Was soll mir dieses elende Zeug? Gleich über Bord damit! – Das hörte eine Schar hungernder Armen, die flehten die Jungfrau kniefällig an, doch ihnen das Getreide zu geben, es nicht verderben zu lassen! – Aber die stolze Jungfrau blieb bei ihrem harten Sinne. Der Schifführer sprach: Meine Jungfrau, bedenket Euch wohl, es könnte Euch reuen! Gott hört und sieht Gutes und Schlimmes, er lohnt und rächt. Ein Tag könnte kommen, wo Ihr, hungrig und arm gleich diesen Elenden, gern die Körnlein einzeln aufläset, die Ihr jetzt in das Meer wollt schütten lassen! – Frecher Knecht! zürnte da die Jungfrau und schlug ein satanisches Gelächter auf. Gleich wirf den Weizen ins Meer, und diesen goldnen Ring werfe ich hinterdrein! So wenig werde ich verarmen, so wenig ich diesen Ring jemals wiedersehe! Und so geschah die gottlose Tat.

Und wie die Jungfrau handelte, so handelten in anderer Weise freventlich auch die meisten Einwohner von Stavoren. Am andern Tage aber traf die Jungfrau die Nachricht, daß viele ihrer Schiffe auf der Heimfahrt aus dem Morgenlande gescheitert seien; am zweiten Tage die weitere Nachricht, daß ihre übrigen Schiffe von den Seeräubern genommen seien; am dritten Tage verbreitete sich die Kunde, daß ihr sonstiges Vermögen, das sie einem reichen Handelshause anvertraut hatte, durch den Fall dieses Hauses verloren sei. Am vierten Tage wurde aus ihrem Ziehbrunnen ein Seefisch, eine Bütte, herausgezogen, niemand wußte, wie dieser Fisch in den süßen Brunnen kam; als der Fisch geschlachtet wurde, fand sich in seinem Eingeweide – der Ring, den die Jungfrau mit frevelndem Ausruf in das Meer geworfen hatte.

Noch ein Jahr verging, da sah man das vordem so stolze Weib betteln gehen von Haus zu Haus und auf dem Felde Ähren lesen, um sein elendes Leben zu fristen.

Auch dieses Zeichen der Warnung, das der Herr tat, irrte die Einwohner von Stavoren nicht, ihr Leben fortzusetzen, obschon die Stadt durch den versperrten Hafen zu verarmen begann. Da geschah es mit einem Male, daß man in allen Ziehbrunnen Bütten und Schellfische und Heringe fing, daß das Wasser stieg und das Land sank, und mehr als drei Vierteile der reichen Stadt verschlang die Flut, die fort und fort am Lande nagt, und aller Segen war hinweg, und der Rest der Stadt verarmte mehr und mehr.

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160. Die sieben Meerminnen

160. Die sieben Meerminnen

Ein friesischer Schiffer hatte sein Schiff gerüstet zu weiter Fahrt, und stand am Bord, und hob die Hand, und gelobte sich dem Meere. Es solle das Meer ihm schirmen und schonen sein Schiff und seine Ladung, so wolle er auch ihm getreu sein all sein Leben lang und nimmer an das Land begehren zu längerm Verweilen. Da hoben sieben Meerminnen ihre Leiber halb aus der Flut, und hörten seinen Schwur, und nahmen ihn, und tauchten wieder in die Tiefe nieder. Lange fuhr der Schiffer von Meere zu Meere, von Lande zu Lande, und sein Reichtum mehrte sich, aber er konnte dessen auf dem Schiffe nicht froh werden, ihn nicht genießen, und allmählich kam doch ein Sehnen in sein Herz nach dem Lande. Und da kam sein Schiff einst an einen blumenreichen Strand voll Reiz und blühender Gärten, und er sah eine wunderholde Jungfrau wandeln, die sein Herz gewann, und er gewann bald auch das ihre, freite um sie, verkaufte sein Schiff, erbaute ein herrliches Haus am Strande, schmückte es aus mit seinen Schätzen wie ein Königsschloß, und dahinein führte er seine Erkorene als liebe Braut. Aber siehe, in der Nacht, als der Schiffer im Arme seiner Liebsten ruhte, da hoben sich die sieben Meerminnen aus der See nahe dem Ufer an des Schiffers Palast und sangen ein entsetzlich Lied, und es rollte ein Wellenberg heran, der übersprang das Ufer und stieß ans Haus, da bebte das Haus in seinen Fugen; dem sprang ein zweiter nach, der brach die Türen ein und rauschte in die Flur, und ein dritter, der brach durch die untern Fenster, und ein vierter, der brach oben durch, und ein fünfter, der riß den Schiffer hinweg, und ein sechster, der fing den Schiffer auf und warf ihn im Zurückbranden in die wildwogende schaumspritzende See. Da empfingen die Meerminnen den Schiffer und führten ihn tief hinab zum Grunde. Dort muß er wohnen, von dort springt er mit den Wellen im Maimond herauf nach seinem zerstörten Hause und will sein Lieb retten, aber immer ziehen ihn die Meerminnen wieder zurück.

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161. Der Friesen Bekehrung

161. Der Friesen Bekehrung

Nach Friesland kam der heilige Wolfram, der wurde des Volkes und Landes erster Apostel. Ein Traumgesicht hatte ihm offenbart, daß er das werden solle, und so kam er zum Hofe des Friesenherzogs, der hieß Radbot, und wie der Heilige kam, da sollte dem Götzen nach der heidnischen Landessitte eben wieder ein Opfer durch den Strang gebracht werden, ein durch das Los erwählter Knabe des Namens Occo. Da bat Wolfram für den Knaben und um dessen Leben im Namen seines Gottes und Heilandes bei Herzog Radbot, und Radbot sprach: Siehe, ob dein Christus ihn vom Tode erretten kann, dann soll er dein sein. – Wie nun der Knabe zum Strange geführt und aufgeknüpft ward, da betete Wolfram, und da riß der Strang, der Knabe fiel zur Erde und wandelte unversehrt, und Wolfram taufte ihn. Da erkannte Radbot die Macht des Heilandes und dachte, sich auch zum Christenglauben zu bekehren. Ehe Radbot aber dazu schritt, erschien ihm in der Nacht der Teufel in Engelsgestalt und in herrlichem Geschmuck und flüsterte ihm zu: Warum willst du abfallen von deines Landes Gott? Tust du das nicht, so wirst du künftig wohnen in einem goldnen Hause, das will ich dir zeigen morgen des Tages. Nun frage aber auch Wolfram, wo denn sein Himmel sei, den er dir verheißt. Er soll ihn dir auch zeigen, so er das vermag. –

Das sagte Radbot andern Tages dem heiligen Wolfram an und verhieß, er wolle ein Christ werden, wenn der Friesen Gott ihm nicht das goldne Haus zeige, Wolfram aber sagte, und wenn dem Herzoge auch solches Haus gezeigt werde, so werde es ein Gaukelspiel des Satans sein. – Da wurde nun ein Friese erwählt für Radbot und ein Diakon für Wolfram, die gingen aus zusammen, das Haus zu finden, und alsbald gesellte sich ein Dritter zu ihnen als ein Wegweiser. Sie kamen unvermerkt auf einen herrlichen Weg, der war mit Marmor geplattet, und von fern leuchtete ihnen das goldene Haus entgegen, herrlich und voller Glast, und darin stand auch ein Thron von Elfenbein mit Edelsteinen geziert und mit Purpur ausgeschlagen. Und der Führer sprach zu dem Diakon und zu dem Friesen: Sehet, das ist Herzog Radbots ewiges Haus. – Und der Diakonus sprach: Ja, wenn Gott es gebaut hat, so wird es ewig stehen, und schlug ein Kreuz gegen das Haus: hui, da schwand es dahin, und war ein stinkender Kothaufen, und der Marbelweg war eine Sumpflache, und der Führer war der Teufel selber, der verschwand mit Gestank und Zorngebrüll. Schnell waren der Friese und der Diakon zum Hause gelangt, aber drei Tage lang mußten sie mühsam durch Binsen und Geröhrig schreiten, ehe sie die Stadt des Herzogs wieder erreichten. Der Friese sagte seine Botschaft an, und was er gesehen, und ließ sich taufen. Sein Name hieß Sugomar. Und Herzog Radbot, als er diese Mär vernommen, wollte sich auch taufen lassen, und da er in das große steinerne Taufbecken treten wollte und schon einen Fuß hineingestellt hatte, fragte er, wo die Schar seiner Vorfahren sich befinde, bei den Seligen im Himmel oder bei den Teufeln in der Hölle. – Darauf antwortete der Bischof: Wer nicht glaubet und getauft wird, der wird nicht selig. – Da zog Radbot den Fuß wieder aus dem Becken und sprach: Wo meine Voreltern sind, will ich auch sein, bei meiner Magschaft und Sippschaft; was soll ich allein im Paradiese bei den wenigen Christenleuten? – Und ließ sich nicht taufen. Aber am dritten Tage starb Herzog Radbot und fuhr hin zu seiner Sippschaft und Magschaft.

Da der heilige Bonifazius zu den Friesen kam und sie auch bekehren wollte, ließ wohl ein Teil sich taufen, aber nachher erschlugen sie ihn samt seinen Gefährten Adolar und Theoban und fielen wieder in das Heidentum zurück.

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162. Wittekinds Taufe

162. Wittekinds Taufe

Kaiser Karl der Große war gar mildtätig gegen Arme und Gaben Heischende, absonderlich an den großen Festtagen, deshalb folgten ihm auch die Bettler in Scharen nach. Da geschah es in einer Karwoche, daß Wittekind, der Sachsen Heerführer, der zu Engern saß, den Kaiser zu versuchen dachte, legte Bettlergewande an, ging in Karls Lager, wollte auch der Franken Heimlichkeit erkunden und setzte sich unter die Schar der Bettler. Da nun der erste Ostertag angebrochen war, wurde die heilige Messe gelesen, und wie der Priester das Heiligtum emporhob, so erblickte Wittekind durch ein göttliches Wunder in der Monstranz ein Kind, so schön, wie er noch nie eines gesehen hatte, und ward gegen das Kind voller Liebe. Nach dem Messeopfer wurden den Bettlern Silberpfennige ausgeteilt, und da wurde Wittekinds Heldengestalt erkannt trotz seiner Verkleidung und er vor Kaiser Karl geführt. Aber Karl empfing seinen großen Gegner gütig und sprach mit ihm über den Christengott und seinen Dienst, und Wittekind erzählte von dem Kinde, das ihm vorgeschwebt. Darauf hat der Sachsenheld die heilige Taufe willig angenommen und hat auch veranlaßt, daß viele seiner ihm untergebenen Fürsten und Führer sich taufen ließen, und Karl der Große machte ihn zum Herzoge von Sachsen, Engern und Westfalen und verwandelte das schwarze springende Roß, welches der Sachsenheld in seinem Schilde führte, in ein weißes.

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163. Das Oldenburger Horn

163. Das Oldenburger Horn

Im heutigen Oldenburger Lande herrschte ein Graf, des Namens Otto, der hatte große Lust am Jagen, und zog aus mit seinen Vasallen, Jagdgenossen und Jägern nach einem Walde, der hieß Bernefeuer, nicht allzufern von dem Osenberge. Da stieß dem Grafen ein Reh auf, das floh vor ihm her, und er hetzte es mit seinen Rüden und kam in der Verfolgung seinem Jagdgefolge ganz aus dem Gesicht, und sein weißes Pferd trug ihn also schnell von dannen, daß er selbst seinen schnellen Winden aus der Spur kam und sich mit einem Male, ohne auch nur vom weiten etwas von seiner Jägerei zu sehen oder zu hören, auf einer stillen Bergfläche befand. Auch das Reh, das ihn so weit verlockt, sah er nimmer. Nun war die Hitze an diesem Tage groß, es soll im Julimond gewesen sein, und den Grafen durstete sehr, daher sprach er zu sich selbst: O Gott, wer kühlen Wassers nur einen einzigen Trunk hätte! – Siehe, da öffnete sich eine Felswand am Osenberg, und es trat aus ihr eine schöne, wohlgezierte Jungfrau, reizend anzuschauen, die hielt in ihrer Hand ein uraltes Jägertrinkhorn, verziert mit mancherlei seltsamem Bildwerk, das war von Silber überkleidet und kostbar vergüldet und überaus künstlich, voll Figuren, und das Horn war voll eines Trankes, den bot die Jungfrau dem Grafen sittiglich dar. Graf Otto nahm das Trinkhorn, schlug den Deckel auf und wollte es zum Munde führen, sah aber in das Horn hinein und beschaute den Trank, und der gefiel ihm mitnichten, denn als er ihn schüttelte, war er trübe und roch auch nicht wie Malvasier – und der Graf trank nicht. Die Jungfrau aber ermunterte den Grafen, er solle nur ihr vertrauen und trinken; es werde ihm und seinem Geschlechte gedeihen. Dies und die Landschaft Oldenburg werde davon ein gutes Gedeihen haben. – Aber der Graf weigerte sich fortdauernd, um so mehr, da die Jungfrau in ihn drang, doch zu trinken, und so sagte sie: Wo du nicht trinkest, wird in deinem Geschlechte und deiner Nachkommenschaft nimmermehr Einigkeit sein. Nun hielt der Graf immer noch das Horn mit dem Trunke in seiner Hand und hatte sein Bedenken, und da zuckte das Roß, und es troff etwas von dem Tranke über und auf des Pferdes hintern Bug, da gingen gleich dem Pferde die Haare weg. Jetzt langte die Jungfrau nach dem Horne und begehrte es wieder aus seiner Hand zu nehmen, aber der Graf behielt es in seiner Hand und ritt von dannen, und die Jungfrau schwand wieder in den Berg hinein. Den Grafen aber kam ein Grauen an, und schüttete das Horn aus, und behielt es, und ritt weiter, indem er sein Roß spornte, bis er sich wieder zu seiner Jägerei fand, zeigte ihr das Horn und erzählte, auf wie wunderbarliche Weise er zu dem köstlichen Kleinod gekommen sei. Darauf ist das Horn sorgsam im Schatz der Grafen von Oldenburg aufbewahrt worden.

Dieser Graf Otto war dieses Namens der erste in seinem edlen Geschlecht und hatte von seiner Gemahlin Mechthild, Gräfin von Alvensleben, fünf Söhne, deren ältester war Johannes der Erste, dieser hatte wiederum fünf Söhne, von denen ward der erste Udo geheißen, Bischof zu Hildesheim, der zweite aber hieß Huno, der war gar herrlich und ehrenreich, also daß er den Beinamen Gloriosus empfangen hat.

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164. Friedrich der Löwensieger

164. Friedrich der Löwensieger

Graf Huno von Oldenburg war auch ein frommer und rechter Mann, der lebte zu den Zeiten Kaiser Konrad des Saliers und wurde von diesem Kaiser zu einem Reichstag nach Goslar beschieden. Aber über den Übungen seiner Frömmigkeit vor Gott und über guten Werken verabsäumte er den Fürstentag, weshalb Übelgesinnte ihn übler und aufwieglerischer Gesinnung ziehen und den Zorn des Kaisers gegen ihn erregten. Und der Kaiser gebot, Graf Huno solle seine Unschuld durch ein Gottesurteil beweisen oder als Aufrührer sterben. Er solle auf Tod und Leben mit einem ungeheuern, grausamen Löwen kämpfen. Nun hatte Graf Huno einen jungen freudigen Sohn, der war stark und gewandt und mutvoll, der begleitete seinen Vater an des Kaisers Hof und trat für seinen Vater als Kämpfer ein, denn Graf Huno war alt und wäre dem grimmen Löwen wohl leicht erlegen. Beide gelobten der heiligen Jungfrau, wenn ihnen der Sieg zufiele, ein reiches Stift zu gründen. Vor dem Kampfe ersann der junge Graf von Oldenburg eine List, er ließ eine Puppe von Stroh und Leinwand lebensgroß anfertigen und dieselbe ritterlich bekleiden, so daß sie einen Mann vorstellte, die trug er vor sich her, und als der Löwe ihm entgegensprang, warf er ihm die Puppe entgegen, darauf fiel er den Löwen an, während der Löwe den Strohmann zerriß, und besiegte ihn ohne Verletzung. Der Kaiser war froh und umarmte den jungen Helden, schenkte ihm seinen eigenen Schwertgurt und seinen Ring und belehnte ihn mit vielen Gütern. Lange Zeit sind von diesem Löwensiege im Friesenlande Lieder gesungen worden.

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165. Das Zwergvolk im Osenberge

165. Das Zwergvolk im Osenberge

Das Zwergvolk im Osenberg

Im Osenberge, aus dem vorzeiten die Jungfrau trat, welche dem Grafen von Oldenburg das Horn darreichte, gibt es Zwerge und Erdmännlein. Im Dorfe Bümmerstett war ein Wirtshaus, das hatte von den Zwerglein gute Nahrung. Sie liebten das Bier und holten es gern, wenn es vom Brauen noch warm aus der Bütte kam, und bezahlten es mit gutem Gelde vom feinsten Silber, obschon solches Geld kein landübliches Gepräge hatte. Da ist auch einmal ein uraltes Zwerglein zu durstiger Jahreszeit in das Brauhaus gekommen und hat Bier holen wollen, hat aber großmächtigen Durst mitgebracht und gleich etwelche gute Züge in die Hitze getan, darauf ist es eingeschlafen tief und fest, und niemand hat gewagt, es zu stören oder zu wecken. Aber als das steinalte Männlein endlich wieder aufgewacht ist, da hat es angehoben bitterlich zu weinen und zu klagen: Ach ach ach! was wird mein Großvater mir nun für Schläge geben! – Und ist so eilend davongesprungen, daß es gar seinen Bierkrug vergessen gehabt, und nimmermehr ist das Männlein oder ein anderes Gezwerg wieder in das Brauhaus zu Bümmerstett gekommen. Den Krug aber hob der Wirt gut auf, und hatte die beste Nahrung; dann heiratete des Wirtes Tochter, blieb aber mit ihrem Mann im Hause und setzte die Wirtschaft fort, und hatten auch lange Zeit Nahrung vollauf. Aber endlich wurde durch Unvorsicht der Krug zerbrochen, und von da an ging gleich die Wirtschaft den Krebsgang, und mit dem Kruge war das Glück zerbrochen, denn Glück und Glas, wie bald bricht das, oder Glück und Glas, wie bald zerbricht ein Bierkrug! Der Wirt, der die Tochter des alten Wirts gefreit hatte, wurde an die hundert Jahre alt und hat es selbst oft und viel erzählt, es ist aber schon lange her, daß er es erzählt hat, schon volle zweihundert Jahre.

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