178. Der Wode

178. Der Wode

Im Lauenburger Lande heißt der wilde Nachtjäger Wode, mag wohl ein Namensnachhall des altheidnischen Sachsenvolkgottes Wodan sein. Der Wode jagt vornehmlich, wie der Harz-, Thüringerwald- und Vogtland-Wilde Jäger in der Adventszeit und in den Zwölften. Er reitet das altheilige große weiße Roß, und es folgen ihm vierundzwanzig Hunde. Sein Pferd hat nur drei Beine. Wenn die Wodensjagd auf Zäune stößt, krachen sie gleich zusammen, über Nacht richten sie sich von selbst wieder auf. Des Woden Hunde bleiben bisweilen ermattet liegen, schnaufen, heulen und winseln, so geschah es in Wulfsdorf, in Fühlenhagen u. a. Andern Tages holt sie der Wode wieder. Läßt eine Frau zur wilden Jagdzeit Wäsche im Freien hängen, so wird sie von den Wodenshunden in Fetzen gerissen. Bäckt jemand zu dieser Zeit, so kann er es erleben, daß die Brotlaibe als Jagdhunde auf- und davonfliegen. Läßt jemand die Haustüre unversehens offen stehen, so kann er gewärtigen, daß das Wodensheer hereinzieht, und hindurch, und daß die Hunde auffressen, was sie vorfinden, absonderlich den Brotteig. Doch weiß der Wode solchen Verlust auch zu vergüten. Einst klagte ein Bäuerlein erbärmlich, was es denn nun mit den Seinen essen sollte, und ob es keinen Schadenersatz erhalten sollte. Der Wode schrie: Jo jo! ho ho! – schmiß einen toten Hund aus der Luft herunter dem Bauer vor die Füße und schrie dazu: Wirf’s Aas durch den Schornstein! – Der Bauer erschrak und tat’s. Der tote Hund war schwer. Auf des Bauern Herd zerplatzte der Hundebalg, und es rollte die Küche voll Goldstücke.

Der Wode jagt, wie der wilde Jäger im Vogtland, die Wichtel, Holzweibel und Moosleute, die kleinen Waldfrauen, die Erd- und Bergmännchen, die die Leute dort im Lauenburger Lande Unterirdische nennen. Er vertilgte sie so ziemlich von der Erde. Sein Hauptjagdweg geht um Krumesse herum über das Moor nach Beidendorf zu.

Ein Beidendorfer Bauer wollte einmal abends nach Krumesse zu, da kam ein ganzer Schwarm Unterirdischer dahergelaufen, waren aber dasmal gar nicht bange und riefen: Heut kann er uns nicht kriegen, heut soll er uns wohl in Ruhe lassen, heut hat er sich nicht gewaschen! – Als der Bauer ein Stück weiter gegangen war, fuhr der Wode daher und fragte den Bauer: Was riefen sie?, und der Bauer antwortete: Sie sprechen, du hättst dich von heut morgen nicht gewaschen! – Gleich ließ der Wode sein Pferd halten, ließ es stallen und wusch sich damit – dann ging die Jagd los. Ehe der Bauer Krumesse erreichte, sah er den Wode schon wiederkommen: der hatte ganze Bündel Unterirdische hüben und drüben am Pferde baumeln, wie Krammetsvögelklubs, und hatte sie mit den Haaren aneinandergebunden. Jetzt jagt der Wode bloß noch in der Luft, denn die Unterirdischen, meinen viele, hat er bereits alle von der Erde fortgebracht.

Auch im Mecklenburger Lande wird der wilde Jäger der Wode genannt, und werden von ihm vielerlei ähnliche Geschichten erzählt.

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16. Kastelen-Alpe

16. Kastelen-Alpe

Auf der Kastelen-Alpe wohnte ein reicher Bauer, der hatte viele Herden und Matten, und drunten in Kriens hatte er eine arme Muhme, die war Witwe, hatte nur eine einzige Tochter und nährte sich mit dieser gar kümmerlich, lag auch schwer an der Gicht darnieder. Da entschloß sich das Maidli, hinauf auf die Alp zum reichen Vetter zu gehen und ihn um eine Unterstützung anzusprechen. Da stieg ein schrecklich Gewitter am Himmel auf, als sie auf der Alpe ankam, ihr aber ward kein Trost und keine Gabe, nur Hohn und Scheltworte, und sie ließen droben auch trotz des drohenden Wetters das Mägdlein wieder fortgehen. Das kam tüchtig in das Wetter und erreichte mit Not die Hütte eines Sennen, das war ihr Bube Aloys, der hatte noch einen kleinen Käs, den gab er ihr für sie und ihre Mutter. Raschen Schrittes eilte die Dirne abwärts, da glitt sie auf der glatten Trift, fiel hin, und der Käs rollte in die Tiefe, unaufhaltbar in unzugängliche Felsklüfte. Weinend und kummervoll schaute die arme Dirne dem entrollten Käse nach, da faßte etwas ihre Hand, und sie erschrak zum Tode, und bei ihr stand so ein klein winziges graues Herdmanndli, das hatte auf seiner Schulter das verlorengegangene Stückchen Alpenkäse, etwa so groß wie ein Viertelsmühlstein und in der Hand ein Büschel Kräuter, und sprach: Magst den Käs mit heimnehmen und deiner Mutter von den Kräutern einen Tee kochen, sollst nicht mehr hülflos weinen. – Hoch droben im Gebirg aber tobte das Unwetter noch fort, über alle Maßen greulich, und war ein Donnern, Tosen und Krachen, als ginge die Welt unter. Wie das Maidli zur Mutter kam, war der Käs ein Stück so schweres Gold geworden, und vom Kräutertee wurde die Mutter ganz gesund. Über die Kastelen-Alp aber hatte sich im Gewitter ein Bergsturz geschüttet, die Matten verwüstet, die Herden erschlagen und ein Stein, etwa so groß wie ein Alpenkäs, hatte dem geizigen Vetter einen Fuß abgeschlagen. Später ist er noch zu seiner Muhme Haus gehinkt gekommen und hat gebettelt.

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169. Der Jungfernstuhl und der Mönch auf Helgoland

169. Der Jungfernstuhl und der Mönch auf Helgoland

Da die eilftausend Jungfrauen unter Anführung der heiligen Ursula aus Albion gen Köln zogen, kamen sie auf ihrer Meerfahrt auch nach dem grünen Helgoland und landeten allda, aber die Einwohner verfolgten einige an das Land Gekommene, daß sie nicht wußten, wie sich retten, da eilten sie an den Strand und sprangen auf das Wasser, darin gingen sie nicht unter, sondern es hob sich ein Fels unter ihren Füßen, auf dem sie ruhten, bis ihr Schiff herankam und sie einnahm. Dieser Fels hat davon den Namen Jungfernstuhl erhalten. Um ihn her wurden noch lange Jahre die Fußtapfen der Jungfrauen tief in den Boden eingedrückt ersehen. Aber zur Strafe verwünschten die Jungfrauen alles auf der Insel, außer die Menschen. Da verwandelte sich alles Geräte in Stein. Ein Prediger hat davon lange ein Endchen Wachslicht in Verwahrung behalten, das ganz zu Stein geworden.

Als hernachmals Helgoland dennoch christlich geworden war, hielten seine Bewohner fest am alten Glauben. Da sendete der König einen Mönch, welcher Luthers Lehre angenommen hatte, dorthin, diese Lehre dort zu predigen, aber die Einwohner stürzten ihn von einem Felsen herab in das Meer. Da wuchs ein steinern Gebilde aus der Tiefe, ganz wie ein Mönch gestaltet, und auf der Klippe ging der Geist des Bekehrers um und predigte mit einer Donnerstimme, so lange, bis sich die Leute dennoch zur neuen Lehre bekehrten, dann hatte der Geist Ruhe, aber der steinerne Mönch blieb als ein sonderbares Wahrzeichen stehen.

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170. Mannigfual

170. Mannigfual

In der Nordsee, erzählen die nordfriesischen Seefahrer, steuert ein Riesenschiff. Sein Umfang ist untümlich groß, die Masten sind höher als alle Kirchtürme, die Taue sind so dick wie große Tannen. In der Takellage sind Öffnungen, dahinein die Matrosen zum öftern gehen, der Einkehr halber, um eine Stärkung zu sich zu nehmen, denn wer als junger Matrose da hinaufklettert, der kommt erst in hohen Jahren mit grauem Haar und Bart wieder herunter. Der Kapitän reist zu Pferde auf dem Verdeck herum, um seine Befehle zu erteilen, und ist froh, wenn er in einem Tage herumkommt. Dieses wundersame Schiff heißt der Mannigfual. Insgeheim hält es seinen Kurs nur im hohen Norden, im tiefsten Fahrwasser, denn sonst könnte es in der Landnähe bald aufsitzen. Einstmals wurde das Schiff dennoch südwärts getrieben, es befand sich im Atlantischen Ozean und kam in den Kanal zwischen Dover und Calais. Da war ihm das Fahrwasser zu schmal, es füllte beinahe den Kanal ganz aus, da hätten die Franzosen auf trocknem Boden über das Schiff weg nach England spazierengehen können. Da fiel dem Kapitän ein guter Gedanke ein, er ließ die Backbordseite, nach Dover zu, ganz mit weißer Seife bestreichen, das glückte, jetzt wischte der Mannigfual glücklich durch die Meerenge und kam in die Nordsee. Aber die abgescheuerte Seife und der Schaum, den es gab, verliehen den Felsen der britischen Küste bei Dover ihre weiße Farbe bis auf den heutigen Tag.

Einst geriet der Mannigfual in die Ostsee, Gott weiß wie. Da war das Wasser gar zu seicht. Die Schiffsleute warfen ihren Ballast, Schlacken und Asche über Bord, um das Schiff flott zu machen. Daraus ist die Insel Bornholm entstanden, und aus dem Unrat der Kabuse das dabeiliegende Inselchen Christiansoe.

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171. Der Geldsot

171. Der Geldsot

In Süddithmarschen bei Marne rinnt eine helle Quelle über die Marsch hin, die blinkt wie Silber. Nahe dabei hat ein Dorf gestanden, das verheerte erst der Moskowiterkrieg, nachher kam die Seuche, und da starb es ganz aus bis auf einen einzigen Mann, das war der Hirte, und der erbte nun all das Geld und Gut, das die Verstorbenen hatten zurücklassen müssen, doch half es ihm auch weiter nichts, denn er verließ den Ort nicht. Er hatte aber seine Lust daran, alles zusammenzutragen, und versenkte dann alles hinab in den Quellbrunnen, und dann starb er und hinterließ keine Erben. Es mochte es aber im Vorbeireisen doch jemand gesehen haben, was der Hirte getan, denn die Sache kam unter die Leute, und der Brunnen wurde der Geldsot geheißen. Wenn einer mit einem Stocke in den Quell hineinstieß, klang es hohl, und man konnte bisweilen in der Tiefe den kleinen grauen Mann sehen, wie er, einen schwarzen Hut auf dem Kopf und ein brennendes Licht in der Hand, nachsieht, ob der Schatz noch ganz vorhanden ist. Wollte einer versuchen und hinabgreifen, so war der Hirte verschwunden. Einstmals haben sich ihrer Dreie verbunden, den Schatz zu heben, und haben die Quelle weit aufgegraben, und da sind sie auf einen großen Braukessel gestoßen, den konnten sie so nicht herausheben, da legten sie einen Windebaum quer über das Loch und banden Stricke an die Öhre und begannen den Kessel in die Höhe zu winden, das taten sie aber ganz stillschweigend, weil man beim Schatzheben ja nicht reden darf. Mit einem Male hörten sie Räder rollen und Achsen ächzen, und da fuhr ein Fuder Heu vorbei, das zogen sechs weiße Mäuse. Aber keiner von den Dreien verlor ein Wort, noch einen Laut, und der Kessel rückte schon merklich höher. Da kam der Mann mit dem dreieckichten Hute auf einem Schimmel geritten, der nur drei Beine hatte. – Guten Abend! sagte der Alte, aber die Drei waren klug und antworteten nicht.– Könnt‘ ich wohl das Heufuder einholen? fragte der Mann weiter, und da fuhr’s dem einen heraus: Den Teufel wirst du’s einholen, du lahmer Krüppel auf deinem lebendigen Dreibein! – O weh, da brach die Winde, und der Kessel versank, und nimmermehr, so viel ihrer es auch später wieder versucht haben, hat einer vermocht, ihn zu heben.

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172. Röwerlöwe

172. Röwerlöwe

Der Dithmarschen Volk liebte von Urväterzeiten her seine Freiheit über alles. Große Kämpfe hat es bestanden und blutige Schlachten geschlagen, und viele siegreich, bis es zuletzt noch überwunden ward. Aber immer noch ist in ihm die Erinnerung an seinen alten Ruhm lebendig, wie die Hoffnung auf seiner Freiheit Wiederkehr.

Kaiser Karl der Große schon hatte mit den Dithmarschen zu kämpfen. Nun lebte zu Windbergen ein starker und tapferer Kampfheld, genannt Röwerlöwe, der trat in des Kaisers Dienst, und Karl setzte ihn zu einem Herrn über das Dithmarschenland und -volk als einen Vogt, der die Unterjochten im Zaume halten und zum Christentume zwingen sollte. Aber die Dithmarschen ließen sich mitnichten im Zaume halten, sie empörten sich gegen den Röwerlöwe, nahmen ihn gefangen und räderten ihn. Von diesem Röwerlöwe soll das berühmte Geschlecht derer von Reventlowen abstammen, er soll dessen Ahnherr gewesen sein. Lange Zeit wohnten seine Nachkommen noch in Dithmarschen, aber immer glimmte im Volk ein alter Groll gegen dasselbe fort, da hat es sich endlich hinweggewendet und sich über Holstein, Schleswig und Dänemark verbreitet.

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173. König Dan

173. König Dan

Im Lande Dithmarschen geht die Sage, daß der erste König von Dänemark Dan geheißen, der habe dem Lande den Namen gegeben, und nach ihm heiße es Danemark, er habe aber nicht im heutigen Dänemark gewohnt, sondern in Schleswig. Früher habe er auch lange Zeit unter den Heiligen im Kalender gestanden. Zu seiner Zeit war alles noch heidnisch, die Leute verbrannten ihre Toten, taten die Asche in Urnen und setzten sie bei in Riesenbergen (Hünenhügeln), König Dan wollte aber nicht verbrannt sein, sondern auf seinem königlichen Stuhl im Grabe sitzen, und wollte auch sein aufgesattelt Pferd bei sich haben, das ist auch so befolgt worden.

Ohnweit Tönningen in Eiderstede ist ein kleiner Erdhügel mit einer Höhle. Darinnen sitzt König Dan wie der Kaiser Friedrich im Kyffhäuser, mit zweimalhunderttausend Mann Wappnern, und alle schlafen. Einstmals wurde einem zum Tode verurteilten Soldaten das Leben versprochen, wenn er in die Höhle hineingehen und berichten wollte, was er sähe. Da nun der Soldat in die Höhle kam, sah er den König sitzen an einem Tisch, und hatte sein Haupt auf den Arm gestützt und schlief. Der Bart war ihm lang gewachsen und hing unter den Tisch herab. Jetzt erwachte der König und fragte den Soldaten: Was willst du? – Mich schickt mein Herr und König herein, daß ich Nachricht von Euch bringe. Sage deinem Herrn, erwiderte König Dan, ich werde zu seiner Zeit wiederkommen und ihm Hülfe bringen, und er soll herrschen über die ganze Welt. – Diese Zeit ist noch nicht gekommen und dürfte wohl auch noch etwas lange verziehen.

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174. Die Schlacht auf dem Tausendteufelsdamme

174. Die Schlacht auf dem Tausendteufelsdamme

König Johann von Dänemark sprach zu dem Herzog, seinem Bruder: Was beginnen wir nur, daß wir das reiche freie Dithmarschenland an uns bringen? Da sprach der Herzog: Wir wollen einen Boten an die sächsische Garde senden, mit deren Beistand wollen wir wohl den Dithmarschen obsiegen. Und sendeten einen Boten auch in die Marsch und kündigten dem Volke an, daß der König drei feste Schlösser haben wolle im Lande, aber das wollten die Bauern mitnichten leiden. Und der Bote ging zurück nach Rendsburg, allwo der König lagerte und ein mächtig großes Heer sammelte aus Jütland, aus Fünen, aus Holstein und aus deutschen Landen; Soldknechte eine ganze Schar vom Rhein, aus Franken und Sachsen, die hatten sich zusammengetan und nannten sich die sächsische Garde. Und da die Garde zu dem Königsheere stieß, da fragte sie: Herr König, wo liegt denn das Dithmarschen? Liegt es im Himmel droben oder auf schlichter Erde? – Da sprach der König: Es ist nicht mit Kloben an den Himmel geschlossen, es liegt auf Erden. – Darauf sprach wieder die Garde: Herr König, wenn das Dithmarschenland nicht mit Kloben an den Himmel geschlossen ist, so soll es bald unser werden. – Und da ließ der König die Fahnen fliegen und die Trommeln schlagen und zog mit dem Heere von zwölftausend Mann auf das tiefe Land zu. Zuerst zog das Heer nach Windbergen, da lag es eine kleine Weile und rastete, hernach zog es weiter nach Meldorf zu und trieb allerlei Übermut und Grausamkeit. Sie steckten des Königs Banner hoch vom Turme aus und hingen ihre Schilde über die Mauer, alles den Dithmarschen zum Hohne. Die hatten nur eine kleine Schar von tausend Streitern und wichen zurück bis an die Hemmingstetter Brücke. Da war noch ein Wall aus der alten Sassenzeit und tiefe Graben, und die Graben waren schlammig und voll Wasser. Da machten die Dithmarschen in der Nacht ein Bollwerk, stopften die Lücken des alten Erdwalles mit Moos und Schlamm und Binsen, machten ein Pfahlwerk und erwarteten den Feind. Der kam im Frühstrahl herangezogen, voll Kampfesmut, und die Dithmarschen warfen ihnen einen Steinhagel entgegen. Die Feinde aber suchten in Eile den Graben zu überbrücken, sie banden Speere zusammen, und darauf warfen sie querüber wieder Speerbündel, und nun hinüber, aber rücklings wurden sie niedergestürzt und niedergeschmettert. Viele wollten im Sprung die Höhe des Walles gewinnen und schwangen sich am Schaft der Lanzen hoch empor, aber sie sprangen zu kurz, und wem ja der Sprung gelang, den empfing in Kolbenstreichen auf dem Wall der sichere Tod. Da leuchtete mancher alte Morgenstern vom Bornhöveder Schlachttage wieder hell, und manche verrostete Klinge von damals schliff sich heute wieder blank an Feindes Helm und Panzer.

Aber siehe, plötzlich entstand ein Angst- und Schreckensruf im Kampfhaufen der Dithmarschen: Umgangen! Weh! Wir sind umgangen! Im Rücken heran zog Feindesgewimmel, das an anderer Stelle den Wall überklettert hatte, und es drohte nun der sichere Tod. Da trat plötzlich allen unversehens eine Dithmarschenjungfrau vor, die schwang hoch in der Hand eine Fahne mit dem Bilde des Heilandes und rief laut zur Mutter Gottes: Hilf uns, Maria, Gebenedeite, so gelobe ich dir ewige Keuschheit! – Und: Mir nach, rief sie, drauf! – und stürmte mit der Fahne und einem Schwert und fliegenden Haares geradezu gegen den Feind. Da entstand ein hartes und fürchterliches Schlagen, und lange stand der Kampf, aber die Übermacht der Feinde war allzu groß. Da aber hatte Gott ein Erbarmen und sandte die Flut. Die wälzte sich heran, krachte an die Schleuse, brach die Schleuse, überströmte die Felder von Hemmingstett, und wie die Bauern die Wogen daherbrausen sahen, da jauchzten sie in erneuter Kampflust, nahmen wieder hinterm Tausendteufelsdamme festen Stand, wo sie sicher vor der Flut waren, und schlugen auf den Feind los, den rings die Wogen bedräuten. Da war ein Gardenführer, sie nannten ihn den langen Jürgen, der hatte Herz im Leibe und spornte seinen Hengst, und sprengte glücklich auf den Wall, und rief: Wer wagt es mit mir, der komme heran! – Und da war ein Bauer, der hieß der Reimer von Wiemerstede, der sprang vor, schlug mit seiner Mordaxt des Junker Jürgen Speer zur Seite und hieb mit derselben Axt in den Panzer des Junker ein, die saß so fest, daß er sie nicht wieder herausziehen konnte. Da riß der Reimer den Jürgen am Axtstiel nieder, trat auf das Eisen und trat es dem Junker fünf Zoll tief in den Leib hinein. Und von den andern Feinden blieben zahllose Tote in dieser wilden Schlacht, außer denen, die von den Wogen verschlungen wurden, es blieben da fünf von dem Geschlechte derer von Rantzau, von Ahlefeld sieben, von Wackerbarth vierzehn, der König entfloh zu Schiffe. Lange sind noch Lieder von dieser Schlacht auf die sächsische Garde, von Jürgen Slens, von der kühnen Maid und dem Reimer von Wiemerstede im Dithmarschenlande gesungen worden.

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175. Wunderbäume in Dithmarschen und Holstein

175. Wunderbäume in Dithmarschen und Holstein

In der Kirche von Süderhadstede steht ein alter Holunderbaum. Zu diesem Baume, geht die Sage, kam oft der Geist des Königs geritten, der den Dithmarschen ihre Freiheit genommen. Er ritt auf einem grauen Schimmel und betete unter dem Baume. Einst wird die Zeit kommen, da wird auf dem Heideviert, darauf Süderhadstede liegt, eine große Schlacht geliefert, das fliehende Heer wird nach dem Dorfe zugetrieben werden und wird es mit Getümmel erfüllen. Da wird der König kommen, seinen grauen Schimmel an den Holunderbaum binden und niederknien und inbrünstig beten. Dann aber werden dreihundert Dithmarscher Bauern hinter der Kirche hervortreten, bewaffnet mit Sensen, Hauen und Dreschflegeln, und aus ihrer Mitte einer in grauen Hosen, blauer Weste und mit weißen Hemdsärmeln wird herzutreten und wird dem König auf die Schulter klopfen und wird sprechen: Herr König, Er hat uns die Freiheit genommen, doch sei Er nur gutes Mutes und besteige wieder sein Pferd, wir wollen Ihm doch beistehen. Da wird der König sich erheben und seine Leute sammeln, die Bauern aber werden den Feind aufhalten, und nach neuer blutiger Schlacht wird dann ein langer Friede ins Land kommen.

So stand auch bei Süderhadstede zu den Zeiten der Freiheit auf einem schönen runden Raum eine uralte Linde, die ward der Wunderbaum geheißen im ganzen Marschlande. Ihre Höhe übertraf die aller andern Bäume ringsumher, ihre Zweige standen alle kreuzweis, ihresgleichen war nirgends zu finden. Jahr auf Jahr ergrünte sie frisch, trotz ihres hohen Alters, und die Rede ging, solange des Landes Freiheit blühe und grüne, werde auch der Wunderbaum also fortbestehen. Und so geschah es. Als der Dithmarschen Freiheit gebrochen ward, verdorrte die Wunderlinde. Aber noch geht die Sage: auf der dürren Linde wird eine Elster ihr Nest bauen und wird darinnen ausbrüten fünf weiße Junge. Das wird das Zeichen sein von der Freiheit Wiederkehr, und dann wird die Linde wieder ausschlagen und grünen, wie der dürre Birnbaum auf dem Walserfeld, wann der Kaiser Friedrich hervortritt und die große Freiheitsiegesschlacht schlägt. Und dann wird das Dithmarschenland auch wieder zu seiner Freiheit kommen. – Ein verheißungenreicher Holunder ist aus der Nortorfer Kirchhofmauer herausgewachsen und ein anderer in Schenefeld, an welche Bäume ganz ähnliche Prophezeiungen sich knüpfen.

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176. Der wilde Jäger in Dithmarschen

176. Der wilde Jäger in Dithmarschen

Auch in Dithmarschen kennt man den wilden Jäger, wie am Rheine, auf dem Harz, in Thüringen, im Vogtlande und sonst. Also wird vom Freischützen zu Marne erzählt, daß er ein ziemlich wilder Bauernbursch gewesen, der die Jagd über alles geliebt, aber, nachdem er sich verheiratet und ein kleines Gütchen bewirtschaftete, dieses über der Jägerei vernachlässigt, mit dem Weidwerk aber gar wenig aufgesteckt habe. Da ging er einstmals ganz mißmutig durch den Wald nach Hause, denn er hatte den ganzen Tag noch keine Krähe und keine Klaue geschossen, siehe, da ging ein fremder Jagdgesell vor ihm her, der trug ein schönes Gewehr und eine bauschende Jagdtasche, und der Bauer mochte ihn gern einholen. Jener aber führte einen tüchtigen Schritt. Endlich tat der Bauer einen hellen grellen Jagdpfiff, jener jedoch kehrte sich gar nicht daran und stand nicht, bis er an einen Kreuzweg kam, da stand er endlich und erwartete den Bauer, und war ein ganz feiner, gutgekleideter Gesell. – Ihr habt wohl besser Glück gehabt als ich, sprach der Bauer zu ihm. Ich seh’s Euerm Jagdranzen an, der ist gut gefüllt. – Ja, sprach der Fremde, kannst’s auch so haben, kannst Kugeln schießen, die immer treffen, mit deinen Kugeln triffst du freilich nichts. Guten Weg! – Und wollte damit weitergehen, aber der Bauer-Jäger hielt ihn zurück und bat, ihm sein Geheimnis des Stetstreffens und Niefehlens zu lehren, und versprach ihm hohen Lohn. Jener aber sprach: Ich will es dir wohl lehren, du mußt mir aber schwören, keiner lebenden Seele mein Geheimnis zu verraten, denn tätest du das, so würde es dir übel ergehen. – Jener schwur und hob die Hand gen Himmel, da flogen zwei Raben auf und krächzten und schwirrten um die beiden Männer, und der fremde Jäger sagte jenem sein Geheimnis. Sotanes Geheimnis war aber gar entsetzlich, und der Bauer trug schwer daran, und lastete ihm auf dem Gemüte, und probierte es nicht, ging lieber gar nicht mehr hinaus in den Wald, sondern blieb zu Hause, aber auch da still und träumerisch. Die Frau sah ihres Mannes Veränderung, und hatte ihr sein Jagdgehen nicht gefallen, so gefiel ihr sein in sich gekehrtes Wesen noch viel weniger, und sie drang in ihn, ihr zu sagen, was ihm denn fehle. Er aber schwieg, sie aber ließ nicht nach mit Forschen und Fragen, Bitten und Betteln, bis er endlich ihr vertraute und sprach: Ich soll, wenn ich will, daß jede meiner Kugeln treffe, mein Gewehr mit einer geweihten Hostie laden statt mit einer Kugel, dann im Walde auf einen freien Platz gehen zur Mittagsstunde, da ein weißes Tuch ausbreiten, darauf treten und gerade in die Sonne schießen. Von da an soll jeder meiner Schüsse treffen und des Wildes nimmer fehlen.

Wohl war das der Frau graulich zu hören, doch allmählich stillte sich ihr Grauen, und da sie mehr und mehr in Not, ihr Hauswesen aber in Verfall kam, so meinte sie, probieren könne er das Kunststück ja doch einmal, so sehr viel könne es doch nicht auf sich haben, es sei ein Jägerstücklein wie viele andere, und wenn es probat sei, wie sie gar nicht glaube, so hülfe es ihnen aus aller Not, und was ihres Zuredens Worte mehr waren. Und da dachte er es endlich zu wagen. Er hatte aber ganz und gar vergessen, daß er seinen Schwur schon gebrochen und das Geheimnis verplaudert hatte und daher schon jenem Argen verfallen war. Nun ging der Jäger zum Abendmahl, empfing die heilige Hostie, behielt sie im Munde und lud sie dann heimlich in seine Büchse. Dann tat er alles übrige nach der Vorschrift, ging noch denselben Sonntag zur Mittagszeit in den nahen Wald. Die Sonne schien hell. Der Jäger zielte, er schoß nach der Sonne. Da verfinsterte sich die Sonne, schwarzes Gewölk fuhr auf. Blitze flammten, Donner krachten, die zwei Raben waren da und krächzten und schlugen mit den Flügeln. Der Entsetzte sprang von seinem Tuche, bückte sich, wollt‘ es aufraffen, da waren die Fußtapfen, wo er gestanden hatte, voll Blut. Er stürzte aus dem Walde, die Angst brachte ihn fast um – dort stand sein Haus, das brannte lichterloh – das Wetter hatte hineingeschlagen, schreiend und heulend stürzten Weib und Kinder ihm entgegen. Und da war auch der fremde Jäger wieder da, der höhnte ihn, daß er ein schlechter Freischütz sei, der das Geheimnis nicht bewahrt habe. Und nun müsse er bis zum Jüngsten Tage jagen, Weib und Kinder müßten als Hunde ihn begleiten – am Tage müsse er bei den zwei Raben im Walde wohnen und nachts durch die Lüfte hetzen.

Dieses geschah und geschieht noch immer, und die Leute nennen das den wilden Jäger. Wer ihn hört und das Wauwau der Hunde nachmacht, dem wirft er Knochen herab oder Stücke von verfaultem Wild und Pferden. Einem Mann aus Bornhövede ist das geschehen, auch einem aus Meinsdorf, die wurden gezwungen, selbst von dem Braten zu essen. Der wilde Jäger hat insgemein viele Hunde, meistens kleine Dächsel und andere, manchesmal brennt den Hunden auf dem Schwanz ein Licht. Manchesmal zieht er mitten durch die Häuser, und da tut er niemand etwas, wenn nur die Leute sich ruhig verhalten und sich an nichts kehren.

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