188. Totenkopf wandert

188. Totenkopf wandert

Nicht weit von der Jütlandgrenze lagen zwei Burgen, Fobeslet und Drenderup, die Güter sind noch vorhanden. Auf Drenderup saß ein wüster Gesell, Ritter Adelbrand, auf Fobeslet aber ein holdes Fräulein, Antolille geheißen. Der Ritter liebte das Fräulein, und das Fräulein haßte den Ritter. Sie sagte ihm, er sehe aus wie ihres Vaters Hund, und ein andersmal, er sei nicht besser als ein alter Pantoffel. Das verwandelte des Ritters Liebe in grimmen Haß, und er schwur dem Fräulein furchtbare Rache. Sieben Jahre bewachte er ihre Burg, sieben Jahre durfte sie sich nicht herauswagen, und da sie dies auch nicht tat, so bekam er sie nicht in seine Gewalt. Da gab er, scheinbar des Harrens müde, seine Bewachung auf und reiste weg, und bald kam das Gerücht, er sei gestorben. Sieben Jahre war das Fräulein Antolille in keine Kirche gekommen, sie sehnte sich in eine solche, und da sie nun sich sicher glaubte, so verließ sie ihre Burg mit ihrem Gefolge. Plötzlich brach aus einem Hinterhalt Ritter Adelbrand, versprengte die Diener und ergriff die Unglückliche, die seine Liebe mit so bitterm Hohn gelohnt. Er band sie an den Schweif seines Pferdes und jagte so mit ihr davon auf seine Burg zu. Ihre Mutter sah’s von den Burgzinnen und starb mit Antolille zu gleicher Zeit. Als Adelbrand seine wilde Rache gekühlt, tötete er alsbald sich selbst. In Drenderup begrub man die drei Leichen. Aber Adelbrands Schädel fand keine Ruhe in der Gruft; wie er so rastlos sieben Jahre arger Gedanken voll gewesen, so spukte und rollte er bald da, bald dort umher, schreckte die Menschen und weilte in keinem Grabe.

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18. Der ewige Jude auf dem Matterhorn

18. Der ewige Jude auf dem Matterhorn

Hoch im Alpengebirge, ohnweit Welschlands Grenzen und dem hohen Monte Rosa, des Name schon italienisch genannt wird, hebt sich ein mächtiger Bergstock, das Matterhorn geheißen, darunter liegt der Matterberg mit einem Gletscher, dessen ablaufendes Gewässer die Visper bildet, welche noch ihre Wellen nach deutschem Boden herabrollt. Da droben, wo jetzt nur das Schweigen der Öde lagert oder das Eis der Gletscher donnernd kracht, habe voreinst, so geht die Sage, eine blühende Stadt gelegen. Dahin sei auf seiner ewig rastlosen Wanderung auch der ewige oder, wie man in der Schweiz sagt, der laufende Jude gekommen, da haben die Leute ihm angesehen, daß er der laufende Jude war, und kein Mensch habe ihn in sein Haus aufnehmen wollen. So habe der laufende Jude gesagt, indem er bekümmert über der Menschen Härte hinweggegangen: Jetzt finde ich hier eine Stadt, und wenn ich werde wiederkommen, wird hier doch wachsen Gras, und werden stehen Bäume, und werden liegen große Felsen, und wird nichts mehr zu sehen sein von Häusern und Gassen, Mauern und Türmen. Und wenn ich nochmal werde kommen wieder, wird hier doch nichts mehr zu sehen sein von Gras und Kräutern, Bäumen und Steinen, sondern als nur Schnee und Eis, und wird liegen, als so lang ich noch muß wandern. – Und alles ist so in Erfüllung gegangen, wie der laufende Jude gesagt hat, der wandern muß bis an der Welt Ende, weil er unsern Heiland auf seinem Todesgange nicht Ruhe vor seiner Haustüre vergönnt hat, und wird allemal, wenn er hundert Jahre alt geworden, wieder so jung, wie unser Heiland war, da er nach Golgatha wanderte.

Tiefer drunten im Vispertale, wo man von oben herein in das Nicolaital eingeht, liegt ein Dorf unterm Weißhorn, das heißt Täsch, und über Täsch rechter Hand lag auf sonniger Matte noch ein Dorf gleichen Namens, da stand einmal eine reiche Bäuerin, die hatte überm Feuer einen Kessel mit Anke (Rahm), den sott sie, und sollte gute Butter geben. Da kam ein armer alter Mann herein und bat, sie möge ihm doch ein Weniges von ihrer Anke zur Speise geben, ihn hungere gar sehr. Geh weg, du Lump! sagte die Frau, hier ist nichts übrig für solche Stromer. – O Bäuerin! sprach der Mann, hättest du mir etwas gegeben, so hätt‘ ich deinen Kessel segnen wollen, daß er nimmermehr leer geworden, so aber sei verflucht mit dem ganzen Dorfe! – Und da krachten alsbald droben der Cimagipfel und das Mittaghorn zusammen und schütteten Fels auf Fels herunter, und der ganze Ort wurde unter Trümmern begraben, und blieb nichts mehr sichtbar als die Fläche des Kirchenaltars, und über diesen fließt jetzt ein Bächlein aus dem Praborgne-Gletscher, der das Dorf überdeckt, herunter nach Täsch durch die Felsenschluchten in die Visp.

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189. Die schwarze Schule

189. Die schwarze Schule

Viele Sagen gehen in Nordfriesland und in Norddithmarschen von der schwarzen Schule, in welcher kein anderer der Schulmeister ist als der Teufel selbst. In diesem seinem Seminarium unterrichtet der Schwarze junge Theologen und Schulmeister in gar mancherlei geheimen Künsten, doch nicht umsonst, sie müssen ihm ihre Seele verschreiben und eine gewisse Bedingung festhalten, fehlt einer deren und versieht’s einmal, so ist seine Seele verloren. Die meisten versehen’s. Da muß einer nur ein Strumpfband tragen, ein anderer darf sich nur einmal die Woche rasieren, ein dritter darf nie anders die Strümpfe anziehen als verkehrt. Die Künste, welche diese schwarzen Scholaren lernten, bestanden in Bannen, Festmachen, sich an andere Orte schnell hinzücken, erfahren, was daheim geschieht, und wenn sie noch so weit vom Hause sind, andere, besonders Diebe, stehenbleiben machen, sie festschreiben, festlesen und dgl. Bisweilen glückt es einem oder dem andern, den Teufel, der seinen Bündnern fort und fort nachstellt und dahin wirkt, daß sie das Gelobte nicht halten, zu überlisten, denn manchem Pastoren und Schulmeister auf dem Lande ist fürwahr der Teufel selbst noch nicht klug und schlau genug. So wird viel gesprochen von einem Pastor in Medelby im Amte Tondern, des Namens Fabricius, der konnte mehr als Brot essen, weil er in die schwarze Schule gegangen, und der durfte niemals zwei Strumpfbänder anlegen, sondern immer nur eins. Damit er nun sich vergäße, lagen gar manchesmal früh beim Aufstehen zwei Strumpfbänder auf seinem Stuhle, damit fing ihn aber der Teufel keineswegs. Hierauf plagte der Teufel das Mädchen, das für den Pfarrer Strümpfe strickte, als Floh, da ließ sie oft die Maschen fallen und juckte sich, und da wurden die Strümpfe zu weit, weil sie sich auch zum öftern verzählte, nun fiel der Strumpf ohne Band herunter auf die Ferse, das verschlug aber dem Pfarrer alles nichts, er band ihn doch nicht fest, sondern ließ ihn hängen, und der Teufel konnte ihm nichts anhaben. Ein anderer Pastor, hieß Ziegler, durfte auch nur ein Strumpfband tragen, doch nur auf Zeit eines Kontraktes mit dem Teufel, nach dessen Ablauf wollte jener kommen und ihn holen. Da nun die Zeit um war, kam der Teufel frühmorgens, und der Pfarrer zog sich langsam an; zuerst zog er die Strümpfe verkehrt an, das war dem Teufel schon ganz zuwider, dann zog er sich weiter sehr langsam an, und der Teufel verlor die Geduld und sagte: Mache endlich, daß du fertig wirst, das dauert ja eine Ewigkeit! Ich habe mehr zu tun. Jetzt warte ich keinen Augenblick länger, als bis du dein Strumpfband angelegt. Der Pastor Ziegler hatte schon das Strumpfband in der Hand, aber als der Teufel das sagte, legte er es ganz langsam wieder hin, sprach zum Teufel: Guten Morgen! – und legte sich auf die andere Seite. Wütend fuhr der Teufel von dannen und kam nimmermehr wieder, und nimmermehr wieder trug der Pastor ein Strumpfband. Als er noch einmal herumgeschlafen hatte, nahm er eine Schere und schnitt seine Strümpfe unter der Wade ab, so erfand er die Strumpfsocken, wie sie die meisten Männer jetzt tragen, und brauchte keine Strumpfbänder mehr.

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190. Spottnamen und Schildbürger im Norden

190. Spottnamen und Schildbürger im Norden

Im innern Deutschland denken wir wunders was für weise Lalenburger wir im Schwaben- und Frankenlande, in Schilda und Schöppenstätt, in Wasungen und Ummerstadt usw. haben. Da schaut einmal hinauf nach Dithmarschen und Schleswig-Holstein, da ist des Volkes Necklust lebendig über alle Maßen. Da sind die Jagler bei Schleswig, die heißen die tollen Jagler, wie auf dem Rhöngebirge die Einwohner des Dorfes Ditges die tollen Dittiser; die wollten einen Balken partout die Quere durch ihr Tor schaffen, bis sie einen Spatzen mit einem Strohhalm fliegen sahen, der den Halm zur Längst in sein Nest zog. Die Hostrupper haben eine Scheuer, in der sie alle Dummheiten einheimsen und aufspeichern, daher das Sprüchwort gilt: Geh nach Hostrupp und laß dir die Narrheit verschneiden. Zu Gabel ging es mit einer Katze fast gerade wie zu Wasungen. Sie kauften solch ein rares Tier zum Mäuseausrotten für dreihundert Taler. Als der Handelsmann fort war, fiel den Gablern erst ein, daß sie zu fragen vergessen, was denn dieses Tier fresse. (Zu Wasungen kam die Rückantwort: Die Katze frißt alles, da entstand große Furcht, und man schaffte schleunigst die Katze wieder ab.) Dem reitenden nacheilenden Boten aber rief der Händler zu: Milch und Mäuse! Nun pfiff gerade der Wind etwas stark, und der Bote verstand: Milch und Menschen! und brachte im Galopp diese Antwort zurück. Welch ein Schreck! Wie da zu raten und zu helfen? Im äußersten Haus war schon die Katze, sie sollte von da reihum gehen, wie der Dorfspieß. Man wagte sich nicht an das menschenfressende Untier, man steckte das Haus in Brand, da sollte es drinnen verbrennen. Als das Haus im schönsten Brennen war, wurde es der Katze zu warm darin, sie sprang daher geschwinde heraus und lief in das nächste. Das wurde auch angesteckt; die Katze sprang von da, weil es wieder zu warm wurde, in das dritte Haus, und immer so fort, bis kein Haus mehr da war, da lief sie über Feld und kam nicht wieder. Die Gabler aber waren froh, daß sie die Katze und zugleich auch ihre Hausmäuse los waren, wie jene Guten, die ihr Haus niederbrannten, um die Wolterkens samt allen Wanzkern los zu werden. Die Romöer sind auch eine kluge Sorte. Sie wollten gern ihre Kirche zwei Ellen weiterschieben und meinten, da nur wenige Leute diese erbaut, so würden viele Leute die Kirche doch leicht fortschieben können. Damals trug man allgemein zu Romöe rote Jacken; alle hatten welche, nur Paul Moders, ein armer Robbenfänger, hatte keine. Da sagte er, alle Romöer sollten sich an der Nordseite zum Schieben anstellen, an der Südseite aber eine Jacke zwei Ellen weit von der Kirche legen, damit man richtig sehen könne, ob die Kirche weit genug geschoben sei. Der Vorschlag gefiel, die Jacke ward hingelegt, und alles schob. Jetzt kam Paul Moders und schrie: Genug! genug! haltet ein! Ihr habt die Kirche schon über die rote Jacke hinübergeschoben, ihr Simsone ihr! – Da waren die Romöer froh, daß es ihnen so wacker gelungen war. Am nächsten Sonntag wunderte sich jedermänniglich, daß auch Paul Moders mit einer roten Jacke in die Kirche kam, konnten gar nicht begreifen, wie der arme Transchlucker zu einer roten Jacke gekommen war.

Die Büsumer an der See, die sind auch von den Pfiffigen. Einstmalen gingen ihrer Neun zu baden und schwammen wie die Enten. Jetzt hob sich der Vordermann und sagte: Mine Jongens, ik mutt doch würftig mal teilen, ob ay noch all dohopen sünt. Nun zählte er: Einer, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, ich bin ich, es muß beim Donner einer versoffen sin! Stille, laßt mich einmal zählen! rief ein anderer und zählte gerade wieder so. Ach Gott! ach Gott! Einer von uns muß versoffen sin! – Jetzt schwammen alle traurig zum Ufer; ein Fremder kam, dem klagten sie ihr Herzeleid, und der riet ihnen, sie sollten sich niederlegen und ihre Nasen in den Sand stecken, hernach die Löcher zählen. Selbiges taten sie, hurrah! da gab es neun Löcher, und keiner war versoffen. Den Mond wollten die Büsumer aus dem Brunnen schneiden, einen Hummer haben sie für einen Schneider angesehen, auf ein Feld säeten sie Kuhplapper, meinten, von selbigen Eiern sollten Kühe wachsen. Ein Mann stahl ihnen einen weißen Mühlstein, lange zogen sie ihm nach, folgten seiner Spur bis nach Hamburg, taten sich dort viel zugute auf Gemeindeunkosten, gingen auch in St. Michaels Kirche und erhoben auf einmal einen Heidenspektakel, indem sie überlaut schrien: Unser Mühlstein! unser Mühlstein! Der Herr Pastor hat ihn, hat sin Köpken durchgesteckt! – Sie hielten den großen und breiten runden Halskragen von Batist, den die Mode den Geistlichen um den Hals gelegt, für ihren großen weißen Mühlstein.

Die Bishorster leitete ein Schalk an einem Seil in einen tiefen Brunnen, als sie nach gewohnter Weise die Christnachtmette besuchen wollten und sich an dem Seile, das sie ausgespannt hatten, um in der Nacht des Weges nicht zu fehlen, forthalfen. So erzählen die Haseldörfer, Bishorst aber hat die Elbe nach und nach ganz hinweggeflutet.

Die Kisdorfer haben eine Sense, die ein Grasdieb liegen ließ, für ein gefährliches Tier angesehen und eilend eingezäunt. Auch sie trugen, wie ihre witzigen Brüder in Deutschland, den Tag in Säcken in ein neugebautes Haus.

Die Fockbecker haben einen Teich mit eingesalzenen Heringen besetzt, meinten, übers Jahr reichliche Brut davon zu haben. War aber gefehlt; als der Teich abgelassen ward, war kein Hering drin, nur ein großer Aal. – Das ist der Heringsfresser, der muß sterben! rief der klügste Fockbecker. Wir wollen ihn essen, wie er unsere Heringe gegessen hat! schlug einer vor. Das ist nicht Strafe genug! rief ein zweiter, der sich einmal gebrannt hatte. Verbrennt ihn! Nein! schrie ein dritter, der einmal fast ertrunken wäre, brennen ist sehr schlimm, aber versaufen ist schlimmer. Wir wollen ihn in die Au schmeißen und ihn versaufen! – Alle stimmten dem letzten bei, zumal er am meisten schrie, und wie der Aal nun im Wasser fröhlich schnalzte und sich krümmte und schlängelte, da rief der letzte Weise: Seht ihr, wie er sich quält! Ja – das ist der schlimmste Tod, das Versaufen. – Wenn das Verdursten nicht noch schlimmer ist! rief einer, der gern das letzte Wort haben wollte.

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191. Die Rungholder auf Nordstrand

191. Die Rungholder auf Nordstrand

Husum gegenüber in der Nordsee liegt die Insel Nordstrand, darauf lag einst ein reicher Ort, Rungholt, dessen Bewohner bauten große feste Dämme, und darauf stehend sprachen sie zum Meere voll Übermutes: Trotz um, blanke Hans! – In ihrem Übermut haben sie einmal eine Sau im Wirtshaus betrunken gemacht, ihr eine Schlafmütze aufgesetzt und sie ins Bett gelegt, dann sind sie zum Pfarrer gelaufen und haben ihm gesagt, er müsse kommen und einem Todkranken das heilige Abendmahl reichen. Da er nun das Sakrament nicht also schändlich entweihen wollen, haben sie ihn bedräut und mißhandelt, und schmählichen Unfug fortgetrieben. Da erging in der Nacht an den Pfarrer ein Zeichen und eine Stimme: Gürte dein Gewand und ziehe deine Schuhe an und wandere. – Da wanderte der Pfarrer fort mit den Seinen, so eilend er konnte. Darauf erhob sich ein Wind, und es schwoll das Wasser, und wuchs und wuchs an den Dämmen hinan, die dort Deiche heißen, und ging über die Dämme, und stand über ihnen vier Ellen hoch, und den Flecken Rungholt auf Nordstrand und sieben andere Kirchspiele verschlang das Meer. Einst soll es wieder auferstehen. Bei heller See erblicken Schiffer zum öftern den Ort und das Land auf des Wassers Grunde, seine Häuser, seine Türme und Windmühlen, auch wollen manche die Glocken der versunkenen Kirchtürme haben erklingen hören.

Gleich den Rungholtern haben auch einstmals die bösen Bauern zu Lichtenau im großen Werder in Preußen (bei Danzig) getan, es ist ihnen solches aber übel genug bekommen.

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192. Die getreue Alte

192. Die getreue Alte

Zu Husum sollte einst ein Winterfest gefeiert werden auf dem Eise, denn das Eis war fest. Zelte wurden aufgeschlagen auf der herrlichen blanken Fläche zwischen dem Ufer und der Insel Nordstrand, Schlittschuh lief, was laufen konnte, Stuhlschlitten flogen dahin, Musik und Tanz, Lied und Becherklang verherrlichte den schönen Tag und die nahe lichthelle Mondnacht, die den Jubel noch vermehren sollte, denn schon ging der Mond auf.

Alles und alles war hinaus aufs Eis und machte sich lustig, nur ein steinaltes Mütterlein war zurückgeblieben, hatte die Weltlust hinter sich, und wenn sie ja wollte, konnte sie hinaus und hinab aufs Eis sehen, denn ihr Häuslein stand auf dem Damme. Und sie tat’s, sie sah gegen Abend hinaus und sah im Westen ein Wölkchen über die Kimmung heraufziehen, da befiel sie große Angst, denn sie war eines Schiffers Witwe und kannte die See und die Zeichen von Wetter und Wind. Sie rief, sie winkte – niemand vernahm sie, niemand blickte nach ihr – aber das Wölkchen wuchs zusehends und war ein Bote der Flut und schnell umspringenden Windes von Nord nach West. Und wenn die auf dem Eise nur noch eine halbe – eine Viertelstunde zögerten, so war es um sie getan, so stand Husum menschenleer. Wie die Wolke wuchs, zusehends, riesengroß, schwarz – wie sie schon den lauen Windhauch spürte, wuchs auch der Alten unsägliche Angst – und sie war allein, krank, halb gelähmt, machtlos. Dennoch ermannt sie sich, kriecht auf Händen und Füßen zum Ofen, nimmt einen Brand, zündet das Stroh ihres eignen Bettes an und kriecht zur Türe des Häuschens hinaus. Bald schlägt die Flamme aus dem Fenster, hinauf zum Dach, des Sturmes Odem facht hellodernde Glut an, und: Feuer! Feuer! schreit es auf dem Eise, und die Zelte werden verlassen, die Schlittschuhläufer fliegen dem Strande zu, die Schlitten lenken sich heimwärts. Und da faucht schon der Wind über die Eisfläche, da pocht’s schon drunten und poltert, und wie Kanonendonner kracht das Eis in der Ferne. Die schwarze Wolke überzog den Mond und den ganzen Himmel, wie ein Leuchtturm flammt das Haus der Witwe und zeigt den Heimwärtseilenden die sichere Bahn. Wie die letzten am Strande sind, rollt die Flut ihre Wogen über das Eis und reißt Zelte und Tonnen, Wagen und Zechgeräte in ihre rauschenden Wirbel.

Die arme Alte hatte ihr Häuschen geopfert, die Bewohner ihrer Stadt zu retten. Es wird ihr ja wohl nicht unvergolten geblieben sein.

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193. Treuer Herr, treuer Knecht

193. Treuer Herr, treuer Knecht

Als auf der Lohheide die Holsten gegen die Dänen die große Siegesschlacht schlugen, fielen der Dänen so viele, daß die ganze Feldmark voll Leichen lag. Die schwarze Gret hat auch in dieser Schlacht mitgefochten. Graf Geert, der Holstenführer, ward im Schlachtgetümmel vom Pferde geworfen, aber ein Bauer aus Büttel bei Brockdorf in der Wilstermarsch half ihm wieder zu Roß und sprach: Nun gebrauche wieder deiner vorigen Kräfte. Zum Dank dafür befreite der Graf das ganze Dorf von der Landesschatzung. Einen Edelmann, Wedeke von Osten, der in dieser mörderlichen Schlacht fiel, hatte Graf Geert so lieb, daß er um ihn weinte. Derselbe Graf ließ in Rendsburg eine Schar Landsknechte zurück, an welche die Bürgerschaft noch Forderung hatte. Als sie aber den Lärm der Schlacht hörten, machte sich die Schar unter Führung des Ritters Burchard von Itzehude, des Grafen Marschall, auf, und dem Getümmel zu. Es war aber Nacht, und wie sie gegen Sehestedt oder Königsfährde kamen, ritt ihnen ein Dänenhaufe stracks in die Hände, den griffen sie an, erschlugen einen Teil und fingen die anderen, und der Marschall ritt mit ihnen nach Schloß Gottorp und pochte an, den Grafen Geert zu sprechen. Dieser war schwer verwundet, erhob sich aber dennoch vom Lager. Da sprach Burchard zu ihm: Herr, da ich Euch zuziehen und Hülfe leisten wollte, bin ich verwundet und gefangen worden und nur unter Geleit entlassen. Wes soll ich mich trösten? Wollet Ihr mich vom Feinde lösen? – Ohne Zweifel! antwortete der Graf. Ich habe der Dänen genug gefangen und gebe ihrer viele darum, dich frei zu machen. – Getreuer Herr, getreuer Knecht! sprach darauf der Marschall zu sich selber und rief dem Grafen freudiglich zu: Herr, ich bin nicht wund und nicht gefangen, aber ich bringe Euch gefangen den Dänenkönig, seine schwarze Gret und sein ganzes Gefolge! Laßt das Schloß auftun und verwahret alle wohl. – Da hat sich der König mit großem Gelde lösen müssen, und es wurde ein Sprüchwort unter den Leuten im Lande: Treu Herr, treu Knecht.

Dasselbige Sprüchwort hat sich weit verbreitet, und hat in späterer Zeit ein Herzog zu Sachsen-Weimar es sogar auf Münzen prägen lassen, und liegt ein tiefer Sinn darin für Herren und Diener.

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194. Der Dom zu Schleswig

194. Der Dom zu Schleswig

Die Domkirche zu Schleswig war vorzeiten die schönste und prächtigste im ganzen Lande, aber durch Kriegszeiten geriet sie im Verfall, und als sie in Feindes Händen war, ward gar übel in ihr gehaust. Das Kriegsvolk lagerte in ihr, soff, spielte und fluchte. Bei einem Kartenspiele war einem wüsten Gesellen das Glück abhold, da verschwur er sich mit lästerlichen Flüchen und schrie: Ei so will ich dem alten Gott die Augen ausstechen! und warf sein Schwert hoch hinauf gegen das Domgewölbe. Und siehe – es fiel nicht wieder herab, sondern blieb droben am Gewölbe im Gemäuer fest stecken. Als die Feinde ihren Abzug genommen, wurde das Schwert entfernt, aber wenn man drunter stand, sähe man immer noch, wie man zuvor gesehen, des Schwertes Schatten, und der war nicht wieder auszutilgen.

In derselben Kirche stand auch ein hölzern Bildnis des Erlösers, Christus unter dem Kreuze sitzend. Ein Trunkener stolperte mit einem Beil daher und hieb im frechen Übermut dem Bilde die große Zehe des linken Fußes ab. Da schmerzte ihn gar plötzlich sein eigner linker Fuß, und wie er nach Hause kam, hatte er den Stiefel voll Blut, und seine eigene Zehe war abgehauen.

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195. Die nächtliche Trauung

195. Die nächtliche Trauung

Nahe bei Apenrade geschähe es, daß der Pfarrer eines ohnweit der Ostsee gelegenen Dorfe in der Nacht von ein paar Matrosen aus dem Bette geholt wurde, welche ihm einen schweren Beutel mit Goldstücken vorhielten und ihm sagten, diese solle er erhalten, wenn er ihnen alsbald in seinem Ornate zur Verrichtung einer heiligen Handlung folge, wo nicht, so müsse er unfehlbar und auf der Stelle sterben. Der Prediger folgte seinen rauhen Führern zu der Kirche, die in einer ziemlichen Entfernung vom Dorfe einsam stand. Er sahe sie von innen erleuchtet, und eine Schar bewaffneter Seeleute in fremder Tracht erfüllte ihre Räume. Er wurde zum Altare hingeleitet, dort stand ein junger Herr in reicher Tracht und eine Dame im Brautschmuck, hinter ihnen aber war die Gruft geöffnet. Da wurde dem Priester befohlen, das Paar zu trauen, und er tat es nicht ohne Beben, und als das Paar verbunden war, ward ihm weiter anbefohlen, eine Grabrede zu halten an dem offenen Grabe, als ob er jemand begrübe, und er tat auch dies nicht ohne Beben. Da er nun vollbracht, was von ihm verlangt worden war, so wurde ihm noch ein furchtbar schwerer Eid abgenommen, nun und nimmermehr zu sagen, was er hier gesehen und was durch ihn geschehen. Hierauf ist er, vom Grausen ergriffen, die Kirche hinter sich, eilend nach Hause gegangen, aber noch war er nicht weit von der Kirche, so hörte er in ihr einen starken Schuß fallen und einen lauten Aufschrei aus Frauenmund – enteilte ganz bestürzt und fast sinneverwirrt nach Hause. Er fand keine Sekunde Schlaf, und mit dem frühesten eilte er wieder nach jener Kirche hin. Auf hoher See sah er einen stattlichen Dreimaster mit russischer Flagge schwimmen. Als der Pfarrer in die leere Kirche trat, fand er alles in bester Ordnung – aber – in dem offnen Grabe, daran er in der Nacht die Leichenrede gesprochen, lag die Leiche der Braut, die er hatte trauen müssen, mitten durch das Herz geschossen. – Diese Sage wird auch auf Anholt erzählt und in ähnlicher Weise auch zu Lunden in Norderdithmarschen. Ganz so lebt sie aber auch zu Trotting auf Seeland, und der berühmte Philosoph Schelling hat sie in wohlklingende Terzinen umgedichtet.

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196. Der schnelle Reiter Tod

196. Der schnelle Reiter Tod

Im Schleswiger und Dithmarscher Lande geht eine Sage um von einem bäuerlichen jungen Liebespaare, das hatte sich gar zu lieb, aber Gott fügte es, daß der Bräutigam krank ward und starb. Da wollte sich seine Liebste gar nicht zufrieden geben und weinte und jammerte den ganzen Tag, und wenn es Abend wurde, so ging sie hin auf sein Grab und weinte und jammerte die liebe lange Nacht. Da nun die dritte Nacht kam, seit er begraben war, und sie wieder dasaß und weinte, da kam ein Reiter auf einem Schimmel und fragte sie: Willt du mit mir reiten? Da schlug sie die Augen auf und sähe, daß es ihr Geliebter war, und sprach: Ja, ich will mit dir reiten, wohin du willt – und stieg mutig zu ihm auf sein Pferd, und fort ging es mit dem Wind um die Wette in die weite Welt. Da sie nun eine gute Strecke geritten waren, so sprach der Geliebte:

Der Mond der scheint so hell.
Der Tod der reitet so schnell.
Mein Liebchen, graut dir nicht?

Nein! sagte sie, was soll mir wohl grauen? Ich bin ja bei dir. Und weiter und weiter ging der Ritt und immer hastiger wie vorher, aber die Dirne saß fest auf dem Pferde und hielt den Geliebten umfaßt. Da fragte dieser zum andernmal:

Der Mond der scheint so hell,
Der Tod der reitet so schnell,
Mein Liebchen, graut dir nicht?

Nein! erwiderte sie nochmals, was soll mir grauen? Ich bin ja bei dir! – Aber es wurde ihr doch ein wenig wunderlich zumute; und da fragte er zum drittenmal:

Der Mond der scheint so hell.
Der Tod der reitet so schnell.
Mein Liebchen, graut dir nicht?

Da begann ihr zu grauen, fester hielt sie ihn umklammert und sprach kein Wort. Da sauste das Pferd dreimal mit ihnen in einem Kreis herum, und weg waren sie.

Weitumgehend ist diese Sage, auch in England wie in Schweden ist sie verbreitet. Die Schauerverse des toten Reiters vernahm der deutsche Dichter Bürger und spann aus ihnen seine düstre Ballade Lenore.

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