287. Die dreieckte Wevelsburg

287. Die dreieckte Wevelsburg

Hoch überm Almetale unterhalb Paderborn erhebt sich auf einem steilen Felsenberge die Trümmer der alten Wevelsburg über dem gleichnamigen Dorfe. Ein Ritter Wevelo von Büren soll ihr den Namen verliehen haben, da er ein Jagdhaus auf der Stätte einer viel ältern Burg sich erbaute, die schon der heilige Mainolf, ein Sachse von Geburt, dessen Taufpate Karl der Große in eigner Person gewesen, besaß und bewohnte. Aus dem Jagdhaus Wevelos ward aber später wieder ein fester Burgsitz, und als solcher umfing die Burg als ein Gefängnis den heiligen Norbert, allwo dieser fromme Mann in einem tiefen Burgverlies schmachtete, das noch bis heute gezeigt und das Norbertsloch genannt wird. Damals besaß Friedrich Graf von Arensberg die Feste, er war es, der Norbert so hart gefangen hielt. Allen Vorstellungen, Norbert freizugeben, widerstand der Arensberger auf das hartnäckigste und verschwur sich hoch und teuer bei einem Mahle, das auf der Burg gehalten wurde. Da geschähe aber etwas sehr Unerwartetes und gar Schreckliches vor den Augen aller Gäste, denn plötzlich schrie Friedrich von Arensberg: Helft, helft! Ich erplatze! – und da erplatzte er auch alsbald, und seine Gedärme fielen ihm aus dem Leibe heraus auf die Erde. Darauf wurde Norbert sogleich freigegeben.

Die Wevelsburg ist in eines Dreieckes Form erbaut; sie wurde noch mancher Fehde und manches Kampfes Ursache. Von den Arensbergern kam sie an die Grafen von Waldeck, dann an andere Besitzer und zuletzt an das Hochstift Paderborn. Fürstbischof Dieterich erbaute ein neues, schönes Schloß auf der Wevelsburg altem Grund; das kostete ohne die Frondienste und Fuhren sechsunddreißigtausend Taler, aber die Schweden unter Krusemark verwüsteten es vierzig Jahre nachher auf die greulichste Weise. In dem alten vergessenen Ritterroman Kuno von Kyburg ist der Wevelsburg auch eine Rolle zu spielen vergönnt worden, und nicht unanziehend ist, was sich zu damaliger Zeit, als Kuno von Kyburg durch die Leserkreise spuken ging, auf ihr begab. Ein reicher Lord in England besaß eine im Dreieck erbaute Burg, und diese Seltsamkeit dünkte den Seltsamkeiten liebenden Sohne Albions ein unschätzbares Besitztum. Er meinte, sagte und glaubte, eine dreieckige Burg sei in der ganzen Welt nicht mehr zu finden als nur einzig und allein in England, und auch da nur einzig und allein in **shire, und die sei die seine, des Lords. Da führte das Mißgeschick dem Lord einen Emigranten aus Frankreich zu, der hatte sich in der Welt umgesehen, war auch in Deutschland, in Westfalen und auf der Wevelsburg gewesen, und da nun der Lord so hoch Rühmens machte von seiner dreieckten Burg, so sagte der Emigrant, solcher Burgen gebe es mehr, in Deutschland wisse er auch eine. Das wollte der Lord nimmermehr glauben, nein, dreieckte Burgen könne es nicht weiter geben, der Franzose solle mit auf die Reise, diese Burg müsse der Lord sehen, sagte er, und alle Kosten wolle er tragen und verlange nichts weiter, als daß der Franzose beschämt eingestehen solle, nur der Lord besitze eine dreieckte Burg.

Da haben sich die beiden Herren miteinander auf die Reise gemacht und sind Tag und Nacht gereist, über den Kanal und nach Amsterdam, durch Holland und durch das schöne Land Ober-Yssel, nach Westfalen herein, nach Münster und Telgte, über Warendorf nach Rheda und Wiedenbrück, durch Rietberg über das Lauer Bruch, bis sie dahin gekommen sind, wo die Lippe und die Alme sich einen, und endlich sind sie auch auf die Wevelsburg gekommen. Und da hat sich der Lord die Burg recht genau angesehen, und dann hat er gesagt, es sei leider wahr, er sei nicht allein ein dreieckter Burgbesitzer, und ist nach Hause gereist voller Zorn und hat seine Burg abbrechen lassen und sich eine neue vieleckte gebaut, weil er nicht mehr haben sollte eine dreieckte Burg allein.

*

 

288. Der Glockenguß zu Attendorn

288. Der Glockenguß zu Attendorn

Eine Witwe, welche zu Attendorn im Lande Westfalen lebte, hatte einen einzigen Sohn, und der ging in die Fremde nach Holland, wo er treu und fleißig arbeitete, die Mutter unterstützte und auch für sich etwas zurücklegte, was er aber alles nach Hause zur Mutter sandte, es ihm aufzubewahren. Da kam eines Tages mit anderen Sachen eine kleine schwarze, aber sehr schwere Metallplatte, welches Erz die Frau, die einen kleinen Laden hielt, unter die Bank stellte, da sie nicht recht wußte, wo sie es aufbewahren sollte, seiner auch nicht hoch achtete. Nun traf es sich, daß die zu Attendorn wollten eine neue Glocke gießen lassen, und da gingen Männer aus der Gemeinde von Haus zu Haus und erbaten altes Metall, Erz, Messing, Kupfer, Zinn, alles, was gut war zur Glockenspeise von zerbrochenen oder abgängigen Geschirren und Hausgeräten, und da die Witwe gerade nichts Entbehrliches von solcher Art hatte, so fiel ihr die alte schwarze Erzplatte ihres Sohnes ein, und sie gab diese den Männern hin. Der Glockengießer reisete bald darauf nach Arensberg, wo er auch Arbeit hatte, indes bereitete sein Geselle zu Attendorn alles zum Guß vor bis zu des Meisters bestimmter Ankunft, formte die Glocke und brachte einstweilen alles Erz in Fluß. Siehe, da blieb der Meister, durch andere Arbeit verhindert, aus, und der Geselle konnte nicht anders als den Guß vollenden, auch war er seiner Sache gewiß. Und das Werk gelang ganz vortrefflich, und als nun die Glocke geläutet wurde, hatte sie einen überaus herrlichen Klang, so daß alles, und sein Werk am meisten, den Meister lobte, obgleich selber Meister nur noch ein Geselle war. Heitern Sinnes gedachte dieser nun nach Arensberg zu reisen, um seinem Meister dort zu helfen, und als er schied, da gaben ihm viele gute Gesellen das Geleite, und hinter ihm schallte das herrliche Geläute seiner Glocke, ihm zu Dank und Ehren. Als nun der wandernde Geselle mit seiner Geleitschaft gegen das Schloß Schnellenberg kam, begegnete ihm auf einer steinernen Brücke zu Pferde sein Meister, welcher schon erfahren hatte, daß der Geselle ohne ihn den Glockenguß meisterlich vollbracht, voller Zorn und Wut, schnaubte ihn mit den Worten an: Was hast du getan, du Bestia! und schoß ihm auf der Stelle eine Kugel durch den Kopf und sprach zu den erschrockenen Geleitenden: Der Kerl hat die Glocke gegossen als ein Schelm, sie muß umgegossen werden! Ritt auch stracklich, als habe er was Rechtes vollbracht, nach Attendorn, in Absicht, die Glocke wirklich umzugießen. Allein die Zeugen der Mordtat klagten ihn an beim Rat, und der Rat ließ ihn alsbald festsetzen und bedeuten, es sei nicht Brauch im Reich, daß jeder Meister an seinem Gesellen zum Scharfrichter werde, und ließ ihn befragen, was ihn zu solcher Untat getrieben, denn ein Hochweiser Rat zu Attendorn sah klüglich ein, daß wohl mehr dahinter verborgen liegen müsse als bloßer Zorn und Eifersucht über ein noch dazu wohlgelungenes Werk des Gesellen. Erst fragten sie gütlich, dann peinlich und sehr peinlich mit eisernen Fragezeichen, als da waren Daumschrauben, spanische Stiefeln, gespickter Hase und dergleichen, und da bekannte der Meister Glockengießer, er habe sich so sehr verzürnt über den Gesellen, weil unter dem eingelieferten Metall eine schwere schwarzgefärbte Goldplatte gewesen, die er, der Meister, für sich habe wegzwacken und zurückbehalten wollen, die habe der Geselle aus Unkunde auch mit eingeschmolzen, und davon habe die neue Glocke den herrlichen Klang. Darum habe er die Glocke nochmals umschmelzen, das Gold ausscheiden und sie neu gießen wollen. Mit diesem Bescheid auf seine Fragen war der Rat zu Attendorn zufrieden und ließ dem Meister den Kopf abschlagen, dem unschuldigen Gesellen aber auf jener Brücke ein steinernes Kreuz zum Andenken errichten. Niemand aber konnte denken, wer in der Stadt zur Glocke eine so kostbare Beisteuer gegeben habe. Da kehrte der Sohn der Witwe mit ziemlicher Habe aus Holland zurück und fragte bald seine Mutter, wo sie die schwere Goldplatte aufbewahrt habe, so er ihr gesendet. Gold? Das war Gold? schrie die Witwe und wurde vor Schrecken bleich und schier ohnmächtig und bekannte mit Zittern, daß sie das ja unmöglich habe wissen können, daß sie die schwarze Platte hingegeben habe zum Glockenguß. Darauf sprach der Sohn: Beruhiget Euch nur, meine liebe Mutter! Es ist gegeben zu Gottes Ehre. Und nun erzählte die Frau ihrem Sohne die Geschichte von dem Glockenguß, und wie es dabei ergangen, daß durch jenes Gold zwei Menschen, einer unschuldig und einer schuldig, ihr Leben eingebüßt, daß sie aber nimmermehr habe denken können, daß aus ihrer Hand das vielbesprochene Gold gekommen, und der Sohn sagte: Gott hat es also vorausbestimmt, wir wollen über den Verlust nicht klagen und nur über das Unglück trauern, das jenes Gold geboren.

Nach langen Jahren entzündete ein Wetterstrahl den Glockenturm zu Attendorn, und in der Glut schmolz auch die Glocke. Da ward das Erz gesammelt und geprüft und also goldhaltig befunden, daß von seinem Wert der ganze Turm neu gebaut und mit Blei gedeckt werden konnte. – Ähnliche Sagen von getöteten Glockengießergesellen durch des zornigen Meisters Hand gehen noch viele in Deutschland, so in Groß-Möhringen in der Mark, in Waltershausen in Thüringen und an manchem andern Ort.

*

 

28. Herzog Bernhard hält sein Wort

28. Herzog Bernhard hält sein Wort

Im Dreißigjährigen Kriege kämpfte der Sachsenherzog Bernhard von Weimar in den Gefilden des Oberrheins. Da belagerte er das Städtchen Neuenburg, zwischen Basel und Breisach gelegen, das noch gut kaiserlich war und sich tapfer hielt. Der langen Belagerung und des hartnäckigen Widerstandes der Neuenburger äußerst müde, erzürnte sich der Sachsenherzog und verschwur sich hoch und teuer bei Himmel und Hölle: Komme ich in das Nest hinein, so soll weder Hund noch Katze mit dem Leben davonkommen. – Bald darauf mußten sich die tapfern Neuenburger, da sie die Belagerung nicht länger aushalten konnten, dennoch ergeben, und die Soldateska wollte schon ihr Mütlein im Blute der Bürgerschaft kühlen und alles ermorden. Da gereute dem Herzog sein vermessener Eid und des vielen edeln auch zum Teil unschuldigen Blutes, das hier vergossen werden sollte, und er sprach: Nur was ich schwur, wird gehalten, und nicht mehr und minder. Schont nicht Hunde, nicht Katzen, aber bei Leib und Leben gebiet‘ ich, daß der Menschen geschont werde. – Und also geschah es. Herzog Bernhard, der große Kriegesheld, hatte auch Breisach belagert und erobert, Freiburg eingenommen und bei Rheinfelden das Heer der Kaiserlichen geschlagen. Große Hoffnungen baute auf ihn das deutsche Volk, auch das im Elsaß, und jubelte ihm zu und begrüßte ihn überall als einen Retter, wie als einen Schirmvogt gegen das treulose Nachbarland. Aber er sprach ahnungsvoll: Ich werde des großen Schwedenkönigs Gustav Adolf Schicksal teilen – sobald das Volk ihn mehr ehrte als Gott, mußte er sterben. – Und ein Jahr nach Neuenburgs Einnahme starb er alldort, wo er menschlich gewaltet, der allgemeinen Sage nach an Gift, und die Zeichen dieser Tat deuteten alle nach Frankreich hinüber.

*

 

289. Vom Eisenberge

289. Vom Eisenberge

Im Waldeckischen erhebt sich ein hoher Berg, den ein Schloß krönte, Berg und Schloß war der Name Eisenberg gemeinsam. Des Eisenerzes birgt der Berg in Fülle in seinem Innern, und auf dem Schlosse herrschten in grauen Zeiten die mannlichen Grafen von Waldeck; viele des edeln Geschlechtes wurden auf dem Schlosse geboren. Aber nicht Eisen allein, auch Gold lieferte der Eisenberg, und lange ward in ihm ein ergiebiges Goldbergwerk betrieben. Aber das Schloß ward Trümmer und schwand hinweg, und das Bergwerk ging ein.

Eines Tages hütete ein Schäfer auf des Berges einsamer Höhe. In der Mittagsstunde legte er sich zur Ruhe unter den Schatten eines Holunderbaumes, und als er wieder aufwachte, hatte die Dämmerung schon begonnen. Die Herde lag friedlich um ihn her, aber der Leithammel fehlte. Da hörte der Schäfer diesen kläglich blöken und folgte der Stimme des treuen Tieres. Siehe, da blitzte klarer Schein aus einem verfallenen Kellergewölbe der alten Burg, und drunten im Gewölbe steht der Hammel, und neben ihm steht ein großer Kessel voll alte Taler. Der Hirte, nicht faul, steigt hinunter, greift zu und stopft sich Tasche und Hut voll Taler, dann gibt er dem Hammel einen sanften Stoß, wieder hinaufzuspazieren, und spricht: Du bist ja ein tausendsappermentscher Teufelskerl! Wie der Schäfer geredet hat, erhebt sich droben am Eingange in den Keller ein eisgrauer alter Mann, angetan mit einem langen weißen Rocke, mit Streifen besetzt, rot wie Blut, der hebt ein silbernes Horn zum Munde und bläst mit einem allgewaltigen Schall, daß die Bäume wie vom Sturmwind geschüttelt rauschen, das Gewölbe erdröhnt und der Erdboden schüttert. Von dem entsetzlichen Schall vergeht Hören und Sehen dem Hirten, er wirft alles genommene Geld von sich, unendliches Zagen und Grausen erfaßt ihn, er stürzt besinnungslos zu des alten Greises Füßen nieder. Lange lag er so, als er wieder zu sich kommt, ist es heller Tag, seine Sachen liegen oben neben ihm – die Herde liegt auch da, kein Stück fehlt, nur das Geld, nur das Gewölbe, nur der Kessel, selbst der verfallene Eingang sind verschwunden.

*

 

290. Wetterburg

290. Wetterburg

Im Waldeckischen Lande erhebt sich auch die alte Wetterburg, von der ein bedeutender Rest noch im wohnlichen Stande steht. Auf der Wetterburg saß Philipp II. Graf zu Waldeck, der war im Bündnis mit Erzbischof Albrecht von Mainz, gegen welchen Ritter Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand in Fehde war. Und da gedachte Götz den Waldecker in seine Gewalt zu bekommen, zog durch die Lande und näherte sich mit seiner Schar der Wetterburg, wo er sich nahe dem Wege von der Burg nach Dalheim in den Hinterhalt legte. Als Götz von Berlichingen nun da lag und lauerte, ward er eines Schäfers ansichtig, der seine Herde hütete, und siehe – mit einem Male rannten fünf Wölfe aus dem Walde und fielen in die Herde ein. Des freute sich des biedern Götzens deutschritterliches Herz, und hörte und sah es gern – wie er selbst erzählt hat – und wünschte den Wölfen Glück und auch sich und sagte zu den Wölfen: Glück zu, lieben Gesellen! Glück zu überall! Und als dies gute Omen sich gezeigt hatte, da kam Graf Philipp von Waldeck von der Wetterburg herunter, und Götz griff ihn an auf paderbornschem Boden und nahm ihn gefangen, dann führte er ihn auf kölnischen Boden, dann durch des Grafen eignes Land, dann durch die Landgrafschaft Hessen, von da aus durch das Hochstift Hersfeld, von da nach Fulda und in die Grafschaft Henneberg und weiter durch sächsisches Land und durch die Hochstifte Würzburg und Bamberg in die Markgrafschaft Nürnberg und in die Bayrische Pfalz bis an den Ort, da er ihn hinhaben wollte, auf eine seiner Burgen im gottgeliebten Schwabenlande. Hierauf berechnete Götz von Berlichingen die vielen Kosten, welche dieser Zug ihm verursacht, und die Zehrung seines Gefangenen, und wenn ihm diese ersetzt würden, wolle er ihn wieder loslassen. Nur hundert Gulden Zehrungskosten und außerdem noch achttausend Gulden – so solle Graf Philipp II. von Waldeck wieder frei werden. Des Grafen treuer Bundesgenoß Kurfürst Albrecht zu Mainz gab keinen Deut her zur Auslösung des Gefangenen, auch fiel ihm nicht ein, gegen Götz einen Feldzug zu unternehmen. Da schnitt der Gefangene einen Büschel seiner grauen Haare ab und schrieb an seinen Sohn, auch Philipp geheißen, und bat ihn beweglich, das Lösegeld für ihn aufzubringen. Solches tat auch der Sohn und zog seinem alten Vater bis Koburg entgegen, wohin Götz seinen Gefangenen vergeleiten ließ, und umarmte den Vater, der noch nach einer Hast von zwanzig Wochen den nämlichen Koller trug, in dem er war gefangen worden, unter Tränen, aber der Vater tröstete ihn mit weisen Worten über des Lebens Wechsel, des Glückes Unbestand, und wie auf Regen Sonnenschein, auf Trauer Freude folge.

Von der Wetterburg überblickt der Wanderer einen schönen Teil von Westfalens roter Erde, worauf die heilige Feme ihre blutigen Urteile sprach und vollzog. Besonders zeigt sich die alte Femdingstuhlstadt Volkmarsen, davor »vff dem ride die wirdige königliche Dingstatt des kaiserlichen freienstuls« stand und »die echten rechten freischöffen und procuratoren der heiligen heimlichen achte« zu Gericht saßen. Gar gruselig ist davon zu lesen im Ritterromane Kurt von der Wetterburg oder die unsichtbaren Oberen, es ist aber alles nicht wahr, dieweil es nie Ritter gab, die von der Wetterburg sich nannten oder schrieben. Im alten Keller der Burg aber läßt die Sage keinen poetischen Femrichter, sondern einen sehr prosaischen Geist in Gestalt einer Branntweinstonne spuken, und ist solches gar ein arger, gefährlicher Geist.

*

 

278. Jägerstücklein

278. Jägerstücklein

Im Münsterlande besaß ein Edelmann weitausgedehnte Forste, und da begab sich’s auf seinem Gute, daß der Förster meuchlings erschossen wurde, und als ein anderer die Stelle bekam, ging es diesem ebenso und andern, welche folgten, desgleichen, da mochte endlich niemand mehr in diesem Walde Förster sein, denn die Sache hatte sich in der ganzen Gegend ausgesprochen, und man erzählte sie ganz genau, wie es zugehe mit diesen rätselhaften Ermordungen, nämlich sobald der neue Förster in den Wald trete, knalle in weiter Ferne ein Schuß, ihn aber treffe stets die Kugel mitten in die Stirne, so daß leicht zu ermessen war, daß hier etwas Übernatürliches und grauenhaft Geheimnisvolles im Spiele sein mußte. Daher blieb der Wald einige Jahre fast ganz ohne Aufsicht, bis sich endlich ein vagierender Jäger meldete, der ganz so aussah, als fürchte er weder den Teufel noch seine Großmutter. Der Edelmann sagte ihm aber ganz ehrlich, welche mißliche Bewandtnis es mit der Försterstelle habe, und daß er ihm kaum zur Annahme derselben raten könne und dürfe, wie gern er auch seine Waldung wieder in forstlicher Aufsicht habe: denn auch dazumal wußte man, was man da und dort in neuerer Zeit mit Willen vergaß, daß alle Waldbewirtschaftung nichts nutzt und Schaden verursacht, die nicht durch Forstverständige betrieben wird, womit an vielen Orten und Enden sich manche Gemeinde selbst recht derb ins Auge geschlagen hat. Der Weidmann aber sagte, er wolle es darauf wagen, er fürchte sich nicht vor den unsichtbaren Scharfschützen, er könne auch Jägerstücklein und habe für den, der ihm ans Leben wolle, auch eine gewisse Kugel gegossen und im Rohre stecken, und übernahm also die Stelle und den Wald. Am andern Tage versammelte der Edelmann mehrere Jagdgesellen, den neuen Förster auf seinem ersten Gange in den Wald zu begleiten, aber kaum war dieser betreten, so knallte in der Ferne ein Schuß, aber im selben Augenblicke warf der Jäger seinen Hut in die Höhe, und wie der Hut niederfiel und aufgehoben ward, sahe man, daß er von einer Kugel gerade da durchbohrt war, wo er auf der Stirne des Jägers aufsaß. – Jetzt komme ich, spricht der Hanswurst, sagte der Jäger, nahm seine Büchse von der Achsel und rief: Dem Gruß einen Gegengruß! und schoß. – Alle wunderten sich, die dabei waren, auf das höchste und folgten dem Jäger tief durch den Wald, bis sich an dessen Ende ein Mühlhaus zeigte, aus welchem Klagegeschrei erscholl. Als die Waldgesellen hinzutraten, fanden sie darin den Müller tot – eine Büchsenkugel war ihm mitten durch die Stirne gegangen; er war der jagdzauberkundige Schütze gewesen, der jeden Förster aus der Ferne mit Freikugeln traf, um allein im Walde des Wildstandes Herr zu sein. Dem Edelmann grausete vor solchen Künsten, wie sein neuer Förster nicht minder übte. Dieser konnte die Feldhühner nach seiner Tasche fliegen lassen, soviel er deren bedurfte. Das Wild bannte er, daß es stehenbleiben mußte, wo er wollte, und völlig schußgerecht. In die unglaublichste Entfernung traf der Jäger stets und sicher. Darum nahm der Edelmann einen schicklichen Vorwand und entließ ihn bald wieder aus seinen Diensten.

*

 

27. Die Schlangenjungfrau im Heidenloch bei Augst

27. Die Schlangenjungfrau im Heidenloch bei Augst

Zwischen Basel und Rheinfelden liegt ein uralter Ort, heißt Augst, vom römischen Wort Augusta. Römerkaiser hatten dort ihren Hofhalt und bauten eine schöne Wasserleitung. An dieser ist ein Schlaufloch und unterirdischer Gang, der sich weit in die Erde hineinzieht, niemand hatte noch dessen Ende gesehen; heißt im Volke das Heidenloch. Da war im Jahre 1520 ein Schneider zu Basel gesessen, hieß Leonhard, der war auch eines Schneiders Sohn und fast ein Simpel. Er stammelte statt zu reden und war zu gar wenigen Dingen geschickt zu brauchen. Den trieb eines Tages die Neugier, doch zu versuchen, wie weit der hohle Gang eigentlich in die Erde hineingehe: da nahm er eine Wachskerze, zündete sie an und ging in das Schlaufgewölbe hinein. Nun aber war die Kerze eine geweihte, und da konnten ihm die Erdgeister nicht etwas anhaben, wie der Königstochter im Teufelskeller beim Kreuzliberg. Leonhard kam an eine eiserne Pforte, die tat sich vor ihm auf, und da kam er durch mehr als ein hohes und weites Gewölbe, endlich gar in einen Lustgarten, darinnen standen viele schöne Blumen und Bäume, und in der Mitte des Gartens stand ein wohlerbauter Palast. Alles umher aber war still und menschenleer. Die Türe zu dem stattlichen Lusthaus stand offen, da ging Leonhard hinein und trat in einen Saal, darin erblickte er eine reizend schöne Jungfrau, die trug auf ihrem Haupt ein guldig Krönlein und hatte fliegende Haare, aber o Scheuel und Greuel, von des Leibes Mitte abwärts an war sie eine häßliche Schlange mit langem Ringelschweif. Hinter der Jungfrau stand ein eiserner Kasten, darauf lagen zwei schwarze Hunde, die sahen aus wie Teufel und knurrten wie grimmige Löwen. Die Jungfrau grüßte den Leonhard sittiglich, nahm von ihrem Hals einen Schlüsselbund und sprach: Siehe, ich bin von königlichem Stamme und Geschlecht geboren, aber durch böse Macht also verwünscht und zur Hälfte in ein greulich Ungetüm verwandelt. Doch kann ich wohl erlöset werden, wenn ein reiner Junggeselle mich trotz meiner Ungestalt dreimal auf den Mund küsset, dann erlange ich meine vorige Menschengestalt völlig wieder, und mein ganzer großer Schatz ist sein. – Und da machte sie sich zu dem Kasten, stillete die murrenden Hunde, schloß einen mittlern Deckel mit einem ihrer Schlüssel auf und zeigte Leonhard, welch ein großes Gut an Gold und Kleinodien darinnen enthalten sei, nahm auch etliche goldne und silberne Münzen heraus und gab sie dem Leonhard und blickte ihn seufzend und gar inniglich aus zärtlichen Augen an. Leonhard hatte in seinem Leben noch keine Maid geküßt, es ward ihm jetzt warm ums Herz, und er wagte es, der Schlangenjungfrau einen Kuß auf ihren schönen Mund zu geben. Da erglühten ihre Wangen und erfunkelten ihre Augen, ihr Antlitz strahlte vor Freude, und sie lachte vor Lust und Hoffnung der Erlösung und preßte ihren Befreier mit heftiger Glut an die Brust. Und da geschah der zweite Kuß, und mit dem so ringelte sich der Schlangenschweif eng um ihn, als wolle er ihn auf ewig fesseln, und die Jungfrau faßte ihn noch fester mit beiden Händen an und lachte und biß ihn vor Lust in die Lippe. Da schauderte ihn vor solchen Zeichen überheftiger Liebeswut, und riß mit Gewalt sich los, nahm seine noch brennende Kerze und entwich. Die Jungfrau stieß hinter ihm ein wehklagendes Geschrei aus, das ihm durch Mark und Bein drang, und er kam aus dem Gang und Loch heraus, er wußte gar nicht wie. Seitdem empfand der Jüngling eine brennende Sehnsucht nach Küssen, nie aber fand er andrer Mädchen und Frauen Küsse so feurig und so süß als jene der Schlangenjungfrau, immerdar trieb es ihn zurück zu ihr, um das Werk der Erlösung an ihr zu vollbringen, aber da er nun andre geküßt, vermocht‘ er nimmer, den Eingang zur Schlangenhöhle wiederzufinden, und es soll dieses auch nach ihm keinem wieder geglückt sein.

*

 

279. Jungfer Eli

279. Jungfer Eli

In der Davert, einem Walde im Münsterlande, sind viele Gespenster und Poltergeister gebannt, da dürfen sie nicht heraus, um so greulicher durchspuken sie den Wald. Einer dieser Geister gehörte einer Haushälterin an, welche im Münsterschen Stifte Freckenhorst einer frommen Äbtissin diente, aber nichts weniger als selbst fromm war, vielmehr recht böse, geizig und gottlos. Diese Haushälterin hieß Jungfer Eli. Arme jagte sie mit der Geißel aus der Pforte des Stifts; die Klingel an der Türe band sie fest, daß kein Bettler anläuten konnte; Knechte und Mägde plagte und schalt sie, ließ es wohl auch bei letztern nicht an Püffen und Schellen fehlen. Jungfer Eli trug ein grünes Hütchen mit weißen Federn daraus, so sah man sie häufig im Garten gehen oder sitzen. Eines Tages kam eine Klostermagd eilend zum Pfarrer, er möge gleich ins Stift kommen, Jungfer Eli wolle sterben. Der Pfarrer eilte, sein Weg führte ihn durch den Garten, und da saß Jungfer Eli in ihrem grünen Hütchen mit weißen Federn auf einem Apfelbaum. Wie aber der Pfarrer dennoch in das Haus trat, führte ihn die hochwürdigste Frau Äbtissin an das Bette der Kranken, und da lag Jungfer Eli doch wieder darin und schalt und belferte: Das dumme Mensch hat gesagt, ich wolle sterben, ist nicht wahr, ich will nicht sterben, ich sterbe nicht, ich halt’s nicht aus! Geht zum Kuckuck! Endlich aber mußte Jungfer Eli doch sterben, sie mochte wollen oder nicht; wie sie starb, zersprang eine Glocke der Abtei, und bald darauf ging Jungfer Elis Spuken an durch Küche und Stall, über Treppen und Gänge. Mit Saus und Braus fuhr sie wie ein Wirbelwind im ganzen Abteigebäude herum, ja selbst im Stiftswalde sahen sie die Holzknechte von einem Ast zum andern fliegen. Bisweilen trug sie, wie sie sonst getan, eine schöne Torte aus der Küche nach dem Zimmer der Äbtissin, zeigte sie den Mägden und bot sie ihnen an und sagte: Tort, Tort! Wenn nun jene die Torte nicht annahmen, weil sie sich entsetzten, schlug Jungfer Eli ein Gelächter auf, daß die Kannen klirrten, und warf ihnen die Torte vor die Füße, und da war es insgemein ein runder Kuhplappert. Selbst die Äbtissin blieb nicht ungeplagt; auf einer Fahrt nach Warendorf wollte Jungfer Elis Geist zu ihr in den Wagen, und jene entging ihr nur mit List, indem sie einen Handschuh fallen und, während Jungfer Eli sich danach bückte, den Kutscher eilend davonjagen ließ. Endlich berief die Äbtissin die Geistlichkeit der ganzen Gegend, den Spukgeist zu bannen. Die geistlichen Herren fanden sich ein mit allem Rüstzeug zum Bannen und Teufelaustreiben und begannen im Herrenchor der Stiftskirche ihre Zitationen. Da rief eine Stimme: He gickt, he gickt! Und es fand sich, daß sich ein Knabe in die Kirche geschlichen hatte und lauschte. Der Knabe wurde hinausgejagt und schlug draußen ein Höllengelächter auf, er selbst war Jungfer Eli und durch die Herren selbst vom Banne befreit. Doch hals ihr das nicht, denn es wurde gleich ein stärkerer Bann angewendet und Jungfer Eli in die Davert gebannt. Alle Jahre einmal fährt der Sage nach Jungfer Eli mit Gebraus und Getümmel wie die wilde Jägerin über die Freckenhorster Abtei, wirft einige Schornsteine ab und zertrümmert Fensterscheiben, und mit jedem hohen Feste kommt sie der Abtei wiederum einen Hahnenschritt näher. – Von dem Hahnschritt näher erzählt auch die Sage von einem umgehenden Bauer bei Bassum.

*

 

280. Die drei Auflagen

280. Die drei Auflagen

Über die Stadt Osnabrück war ein Graf von Tecklenburg als Kirchenvogt gesetzt mit allerlei Rechten. Eines davon war, daß die Metzger sich von ihm mußten ihre Taxe setzen lassen. Diese Taxe brachte stets ein kleiner Burgzwerg auf einem Esel herunter in die Stadt, und ehe er mit der Taxe da war, durften die Metzger kein Lot Fleisch verkaufen, was ihnen stets sehr störend war, denn wenn die Käufer vom Markte hinweg waren, konnten die Metzger ihr Fleisch selbst essen. Vergebens bedrohten sie den Burgzwerg, wenn er sich nicht besser eile, und endlich, als seines Zögerns kein Ende wurde, so griffen sie ihn und zerhackten ihn und legten die Stücke in des Esels Tragkörbe und ließen diesen allein hinauf zur Tecklenburg treiben. Schrecklich war der Zorn des Grafen, er befehdete die Stadt, tat ihr allen Tort an und quälte sie so lange, bis sie um Gnade bat. Der Graf von Tecklenburg aber hatte nicht Willens, Gnade zu üben, sondern sprach höhnend, er wolle Gnade üben gegen das verräterische Osnabrück, wenn die Stadt binnen Jahresfrist zwei Scheffel Wiefelinghöfer einliefere, welches kleine Silberheller waren, die ein früherer Bischof aus dem Geschlechte der Grafen von Weckelinghofen hatte prägen lassen, und die man nur noch selten sah, sodann zwei blaue Windhunde und zwei Rosenstöcke ohne Dornen. Da war guter Rat sehr teuer, diese drei Auflagen zu erlegen. Weit und breit wurden Boten umhergesandt, schlechte Heller gab es genug, aber keine Wiefelinghöfer; blauen Dunst genug, aber keine blauen Windhunde; Rosenhecken genug, aber nirgend dornenlose, denn das gemeine Sprüchwort sagt ja ausdrücklich: Keine Rose ohne Dornen. Für die Münzen wurde endlich doch Rat geschafft, denn der Rat zu Osnabrück ließ verkündigen, daß er Agio auf die Wiefelinghöfer Heller zahle, da strömten aus allen Nachbarlanden die Bettelleute wie Sand am Meere ins Bistum Osnabrück und lieferten Wiefelinghöfer ein, bis der Rat genug hatte und den Kurs wieder sinken ließ, wie ein Rothschild. Unterdessen waren ein Paar weiße Windhunde in ein Zimmer mit blauen Glasfenstern gebracht worden, blau angestrichen, die wurden von blaugefärbten und -gekleideten Wärtern gefüttert mit Blaumeisen, Blaukehlchen und gekochtem Blaukohl aus blauen Geschirren. Da bekamen die Windspiele Junge, die waren schon etwas blau angelaufen, dann wurden von diesen Jungen aber Junge erzielt, die waren blitzblau. Mittlerweile hatte der Rat ausgesonnen, Rosenschößlinge durch enge Glasröhren wachsen zu lassen, da blieben die Dornen inwendig, denn sie hatten keinen Raum, hervorzutreiben. Und so erfüllten die Osnabrücker die drei schweren Auflagen mit Last und Mühe und hatten fortan wieder gute Ruhe; die Metzgerzunft aber wurde bedeutet, ihre Hackekunst nicht wieder an Zwergen zu üben. Das Geschlecht der blauen Windspiele verlor sich bald wieder, aber die dornenlose Rose ward fortgepflanzt und hat sich von Osnabrück aus in alle deutschen Gärten verbreitet.

*

 

281. Hüggeleschmied

281. Hüggeleschmied

Nahe beim Dorfe Hagen in der Nähe von Osnabrück ist ein Erzberg gelegen, der heißt der Hüggele, darin hat es vordessen Goldes und Silbers in Fülle gegeben, und hatte auch eine Höhle, in der wohnte ein seltsamer Schmied, in manchen Dingen dem Grinkenschmied verwandt. Er war ein guter Mann beim Leben gewesen und hatte in Osnabrück gewohnt, aber als an einem Sonntag seine Frau aus der Kirche ging und vom Blitz erschlagen wurde, da war er in Verzweiflung gefallen, hatte gegen Gott gemurrt und sich selbst verwünscht. Und da war ein ehrwürdiger alter Mann zu ihm gekommen mit langem weißen Bart, der hatte ihn heißen mit sich gehen und hatte ihn in die Höhle des Hüggele geführt, da solle er über die Berggeister die Aufsicht führen und selbst schaffen und durch rastlose Arbeit büßen. Da hat der Hüggeler stetig geschafft und gehämmert, viel Geräte gefertigt, auch die Pferde beschlagen; die Leute kamen dann, banden das Pferd an einen Pfahl und verließen es auf eine Zeit. Wann sie wiederkamen, war es beschlagen; da legten sie den Lohn aus einen Stein und führten das Pferd hinweg. Sehen ließ sich der Hüggeleschmied niemals. Ein Bursche, von Habsucht verblendet, drang einstmals in Hüggeleschmieds Höhle ein und heischte Gold von ihm. Hüggeleschmied schenkte ihm eine goldene Pflugschar. Kaum war er heraus, so wollte er proben, ob sie auch wirklich Gold sei, und fuhr mit der Hand daran. Im Nu hatte er sich die ganze Hand verbrannt, und was in der Höhle Gold geschienen, war beim Tageslicht nur Glut. Dann war es eine Pflugschar von Eisen. Hätte der Narr fleißig mit ihr geackert, wäre er reich geworden, so aber verfluchte er die Pflugschar und den Hüggeleschmied ob der verbrannten Hand, da fuhr die Pflugschar in die Erde hinein und war da gewesen, im Hineinfahren aber erglänzte sie doch wieder wie gediegenes Gold.

*