454. Die lebendige Mauer

454. Die lebendige Mauer

Über des Landgrafen Ludwig Tat ward viel Redens im Thüringerlande. Die, so gezogen hatten und die Geißel gespürt, schämten sich und seufzeten im stillen; andere, die nicht dabei gewesen, sprachen, sie hätten eher den Tod erlitten als solche Schmach. Am schlimmsten erging es in der öffentlichen Meinung den Beamten, wie allemal, wenn sich Hader und Zwietracht erhebt in einem Lande zwischen Fürst und Volke, sie mußten nun allein die Sündenböcke sein, sie mußten alles verschuldet haben. Einige trieben ihren Groll bis zu Mordversuchen, aber Gottes Hand schirmte den Regenten, und die Meuchelmörder nahmen ein schmähliches Ende. Der Landgraf ging mit seinen Dienern immer und überall in einem Eisenpanzer, darum und von seiner Strenge ward er der eiserne Landgraf geheißen. Dieser Landgraf hatte den höchsten irdischen Herrn im Reiche zum Schwager, Kaiser Friedrichen, den Rotbart. Der kam von seiner ohnweiten Kaiserburg Kyffhausen herüber auf die Numburg zum Besuche, die war aber noch ohne Mauern, und dem Kaiser gefiel die niuwe Burg, und sprach: Schade, daß sie nicht Mauern hat, sie sollte stark und feste sein. – Ho, sagte Ludwig, um die Mauern sorg‘ ich nit, die kann ich haben, alsbald ich will. – In wie kurzer Zeit? fragte der Kaiser. – Näher denn in drei Tagen. – Das ist bei Gott nicht möglich, entgegnete der Rotbart, und wenn alle Maurer des Reichs beisammen wären. – Darauf ging der Kaiser zu Tische, und der Landgraf entsandte sogleich Eilboten durch sein ganzes Land an alle seine Grafen und Edeln, daß sie alsbald gen Freiburg aufbrechen sollten im besten Geschmuck der Waffen mit nur wenig Wappnern – war auch eine gute Gelegenheit, der Vasallen Gehorsam zu prüfen – merkten das auch und kamen allzumal pünktlich. Und als der Morgen des dritten Tages anbrach, da richtete der Landgraf alles zu nach seinem Willen und ging zu seinem Schwager ins Gemach und sprach: Mein Kaiser, die Mauer ist fertig. Da bekreuzte sich der Kaiser und dachte, hier müsse Satans Hülfe im Spiel sein, und trat heraus und staunte, denn da ersah er eine lebendige Mauer stehen rings um die Burg, Mann an Mann, im Glast der Harnische und Gewaffen. Wo ein Turm stehen mußte, stand ein Graf, und vor ihm sein Bannerträger, und dazwischen die Herren und Edeln. Da flatterten im frischen Morgenwind bunt und schön die Bannerfahnen der Grafen von Schwarzburg und von Käfernburg, von Gleichen, von Hohnstein, von Stolberg, von Mansfeld, von Rheinstein, von Orlamünde, von Arnsburg, Beichlingen, Gleisberg, Lobdaburg und anderer und so vieler edler Herren von Apolda, Blankenheim, Heldrungen, Treffurt, Kranichfeld, Leutenberg, Salza, ohne den zahlreichen niedern Adel, der nicht über weite Herrschaften gebot, aber doch stattliche Burgsitze und viele Güter hatte. Da rief Kaiser Friedrich aus: Fürwahr, solch eine edle, köstliche, teure und feste Mauer sah ich noch nie! Habe Dank, Schwager, daß du solche mir gezeigt.

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455. Des eisernen Landgrafen Begängnis

455. Des eisernen Landgrafen Begängnis

Landgraf Ludwig der Eiserne fühlte sein Ende nahen und lag krank auf der Neuenburg, um die er einst den lebendigen Mauerring gestellt, da gebot er und ordnete an, daß alle die Ritter und Vasallen, die ihm widerspenstig gewesen, soviel ihrer noch am Leben, herbei sollten, und sollten ihn, wann er gestorben, auf ihren Achseln ehrbarlich tragen von Freiburg bis Reinhardsbrunn, so lieb ihnen ihr Leben wäre. Und das mußten sie ihm an die Hand geloben, und tätens auch, ob gern oder ungern, denn sie fürchteten ihn mehr als den Teufel und gedachten auch, er möchte sie etwa aber versuchen und prüfen, sich lebendig in den Sarg legen und tragen lassen, und so sie’s nicht täten, würde er herausfahren und über sie kommen mit seinem Zorn und seiner Strafe. Und da der Landgraf nun gestorben war, hielten sie getreulich das Gelübde und trugen ihn in Furcht und Zittern den langen, weiten Weg, über zehn Meilen, wechselten oft ab, und wo sie ruhten, setzten sie den Sarg in die Kirche und ließen vor des Landgrafen Seele beten, denn sie waren der Meinung, dieselbe bedürfe der Fürbitten sehr. Herrlich war des Landgrafen Begängnis zu Reinhardsbrunn im Kloster, viele deutsche Fürsten waren gekommen, diesem beizuwohnen. Der Erzbischof Wigmann aus Magdeburg hielt ihm das Seelenamt. Ludwig ward begraben in der Klosterkirche neben dem Altar des heiligen Kreuzes, und über sein Grab ward sein Bild gestellt, im vollen Harnisch, wie man gewohnt war, ihn im Leben zu sehen.

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456. Wie Reinhardsbrunn geschirmt ward

456. Wie Reinhardsbrunn geschirmt ward

Der eiserne Landgraf hinterließ einen ältesten Sohn, wieder Ludwig geheißen, außer diesem noch drei Söhne, Hermann, Friedrich, Heinrich, und eine Tochter Jutta. Ludwigs, des jungen Landgrafen, Gemüt war wieder mild und gütig, wie das seines Vaters zuvor auch gewesen war, ehe es der Menschen Schlechtigkeit und Gewalttaten kennenlernte, desgleichen fromm und freigebig gegen die Klöster. Er wohnte zumeist auf Wartburg und zog hernach mit Kaiser Friedrich in das Land Apulia. In dieser Zeit begann ein Herr von Salza aus dem Altenberge, der im Klostergebiet von Reinhardsbrunn lag, eine Burgfriede und Kemnate aufzubauen. Da nun der Landgraf wieder heimkam, klagte ihm solches der Abt von Reinhardsbrunn an einem Sonnabend. Da sandte der Landgraf Boten an die nächsten Vasallen und Dienstmannen, und am Sonntage früh war er schon mit Rittern und Reisigen in dem Kloster, hörten dort eine Messe. Dann gebot der Landgraf dem Abt, nicht eher das Hochamt zu beginnen, bis er mit den Seinigen zurück sei. Dann durchritt er mit seinem Haufen, der mit Sturmgerät wohl versehen war, die schweigenden Forste still hinauf zum Altenberge, darauf die neue Burg stand und der Herr von Salza ruhig saß. Bevor er nur an Arges dachte, war seine Burg berannt und eingenommen; er selbst wurde mit den Seinen als Gefangener nach Reinhardsbrunn geführt, wo nun das Hochamt begann, und mußte vor dem Kruzifix hergehen und Urfehde schwören auf ewige Zeiten. Am nächsten Tag ward die Burg bis auf den Grund zerstört und abgebrochen, und Holz und Steine wurden dem Kloster zuteil. Dort hatten die Mönche noch eine Klage. Sie hatten ein Fuder Wein in Würzburg gekauft, allwo der beste wuchs, aber im Herausführen nach dem Thüringer Walde hatte ein fränkischer Ritter, der nicht weit von der Straße saß, Wein und Wagen und die sechs Pferde an sich genommen, dieweil ihn auch durstete. Als das dem Landgrafen geklagt ward, ließ er dem Ritter um die Rückgabe schreiben, das däuchte dem spöttlich, was kümmerte ihn der Thüringer Landgraf und seine durstigen Mönche! Aber eines schönen Morgens wehten die thüringischen Fähnlein um die fränkische Ritterburg und war diese umstellt, daß weder Mann noch Maus herein oder hinaus konnte, und der Landgraf war selber da und schwur, der Ritter solle ob zu großen Durststillens im Wein der Reinhardsbrunner nun verhungern. Da mußte der Ritter gute Worte geben und sich und seine arme Seele lösen, und der Landgraf ließ ihm kund tun, was er zu tun habe. Im Büßerhemde, wie Kaiser Heinrich IV. zu Canossa, einen Strick um den Hals, ein blankes Schwert gegen seine Kehle haltend mußte der Ritter vor den Landgrafen treten und um Gnade und Leben flehen. Den Wagen mußte er herausgeben und die Pferde und den Wein, mußt‘ es auch alles selbst nach Reinhardsbrunn fahren und geleiten lassen, dann durfte er sein Leben und seine Burg behalten und zusehen, wie er auf andere Weise wieder zu Wein gelangte.

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457. Von dem Hörseelenberge

457. Von dem Hörseelenberge

Mitten im Thüringerlande, zwischen Gotha und Eisenach, liegt ein hoher, schroffer, kahler Berg, von weitem recht anzusehen wie ein Sarg; dicht an seinem Fuße hin zieht die Eisenbahn, die schneidet durch ein Dorf des Namens Sättelstedt. Dieser Berg ward der Hörseelenberg geheißen schon in grauen Zeiten, darum, weil man in und aus ihm manch seltsamlich und grauenhaft Getön vernommen, absonderlich bei einer Felskluft hoch oben unterm steinigen Gipfelhorn nach Eisenach hinwärts, und das war das Geschrei der Seelen, das man allda hörte, neben dem Geräusch unterirdischer fallender Wasser und dem Geheul der Windsbraut, darum nannte man den Berg auch auf Latein Mons horrisonus. Von ihm hat auch das Talflüßchen, die Hörsel, seinen Namen, und er wird bis heute Hörselberg, das ist das alte Hörseelenberg, genannt. Viele wunderbarliche Sagen gehen bis auf den heutigen Tag von diesem Berge, der auch eine Wetterscheide ist; oft umwebern ihn meteorische Flammen, und die Blitze spielen um seinen kahlen Scheitel. Einst erhoben sich am hellen Tage bei Eisenach drei große Feuer, brannten eine Zeitlang in den Lüften, taten sich dann zusammen und wieder voneinander und fuhren endlich alle drei in den Hörseelenberg hinein.

Ein König in England hatte ein holdseliges Frauenbild aus geringem Stande zu sich erhoben, Reinssweig oder Rinswiga genannt, war aber bald hernach verstorben, und Reinssweig betrauerte ihren Herrn und Gemahl tief und sehr und ließ viel für ihn beten, damit seine Seele vom Fegefeuer erlöst werde. Da hatte sie zu einer Nacht ein Gesicht, und sie hörte ihres Gemahles Stimme und sah seine Gestalt und erfuhr von ihm, er leide Pein im fernen Thüringerlande in eines Berges Schoß mit andern armen Seelen, und ihre Fürbitten und Gebete überm Meere drüben frommten ihm nicht. Da erhob sich die Königin mit all ihren Schätzen, ihren Jungfrauen und ihrer Dienerschaft und fuhr über Meer nach Deutschland herüber, und der Schatten zeigte ihr die Straßen an, und sie kam an des Berges Fuß, wo er sanft nach Gotha zu sich abdacht, dort baute sie ein Kirchlein und ein klösterliches Haus, und da sie selbst zum öftern die Stimmen der gequälten Seelen zu vernehmen glaubte, so nannte sie den Ort Satans Stätte, daraus ist hernachmals Sättelstätt geworden, als sich Leute anbauten und den Ort bewohnten. Diese fromme Königin erbaute in jener Gegend der Kapellen noch mehrere und diente nebst ihren Frauen Gott im eifrigen Gebet, bis sie ihres Gemahles Seele aus dem Fegefeuersitz im Hörseelenberge erlöste. Als sie dann gestorben war, sind ihre Jungfrauen nach Eisenach gezogen, allwo Ludwig des Milden Tochter, Jungfrau Adelheid, das Nikolaikloster begründet hatte, und haben in diesem Kloster als Benediktinerinnen ihr Leben beschlossen.

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458. Des eisernen Landgrafen Seele

458. Des eisernen Landgrafen Seele

Ludwig der Milde, des eisernen Sohn, hätte gern gewußt, wie es um seines Vaters Seele beschaffen sei, denn er mußte hören, daß man seinen Vater nicht segne, obschon er dem Volke gegen den Druck seiner Edeln geholfen, denn dem Volke macht es auch der Beste nie zu Dank, nicht einmal der liebe Gott. Solches vernahm ein Ritter am Hofe, der hatte einen Bruder, und selber war ein Pfaffe zu Eisenach und in der schwarzen Kunst wohl erfahren. Da mußte der Pfaffe den Teufel beschwören und befragen, wo des Landgrafen Seele sei. – Da sagte der Teufel, wenn er mit ihm fahren wolle, solle er die Seele sehen, und verhieß, daß das ohne Schaden geschehen solle. – Das war der Pfaff zufrieden, und der Teufel setzte ihn auf seine Schultern und fuhr mit ihm stracklich in den Hörseelenberg hinein in gar kurzer Zeit, denn er hatte nicht weit zu fahren und fuhr viel schneller wie ein Dampfwagen. Da sah der Pfaff mit Grausen mancherlei Qual und Pein, und ein anderer Teufel hob von einer Grube einen ehernen Deckel und blies mit einer ehernen Posaune in die Grube, daß es also schallte, daß der ganze Berg und die Welt davon erzitterte. Darauf gingen Feuerfunken und Schwefelbrodem aus der Grube, dann kam die Gestalt des Landgrafen herauf, ganz hager und traurig, nur ein Schemen, und klagte sich an, er habe den geistlichen Stiftern zu wehe getan, sein Sohn solle doch ihnen das entzogene Gut, das er, der eiserne Landgraf, treuen Dienern zugewendet, den Stiftern zurückgeben, so werde er ihn aus der Pein erlösen. – Da sprach der Pfaffe: Wenn ich solche Mär ansage, werden sie sprechen, ich habe sie selbst erdichtet, und werden mich fragen: Gibt denn der Pfaff ein Opfer wieder? – Da sprach die arme Seele: Ich will dir ein Zeichen sagen, das geheim ist, da werden sie glauben. – Und sagte ihm also ein genaues Wahrzeichen, das niemand wußte, dann ward der Landgraf wieder zur Grube gesenkt, darüber wurde es dem Pfaffen grün und gelb vor den Augen, und gelb blieb er auch, nachdem er zurückgeführt worden war vom Teufel und alles, was er gesehen, und auch das Wahrzeichen treulich berichtete; aber die, welche die Güter inne hatten, glaubten dennoch nicht und behielten selbige inne und sagten, es möge wohl alles nicht wahr und nur ein angestelltes Pfaffenstücklein sein. – Der Pfaff aber wollte nichts mehr von Zauberei wissen, er gab Pfründe und Lehen auf und wurde ein Mönch im Kloster Volkenrode.

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45. Die Juden in Worms

45. Die Juden in Worms

Mitten im Wein- und Wonnegau am gesegneten Rheinstrom, im Mark der Pfalz, erbauten Völker der Frühzeit das uralte Worms; dort haben schon Juden gewohnt nahe sechshundert Jahre vor Christi unsers Herrn Geburt. Die waren in Verbindung geblieben mit dem Lande ihrer Väter, mit Palästina, als aber den Priestern zu Jerusalem einfiel, ihnen zu befehlen, sie sollten hinwegziehen aus dem allzufernen Lande, damit die Männer nach Jehovas Gebot die drei hohen Feste zu Jerusalem mitfeiern könnten, und wenn sie nicht kämen, würde die Strafe ihres Gottes sie treffen – da schrieben die Juden zu Worms an den hohen Rat zu Jerusalem zurück: Ihr wohnet im gelobten Lande; ihr habt einen Tempel, und wir haben einen Tempel; ihr habt eine Gottesstadt, und wir haben eine. – Und der Totenhof dieser Juden hieß der Heilige Sand, der war hoch mit Sand bestreut, welcher aus Jerusalem gen Worms geschafft worden war, so viel vermochte ihr Reichtum. Als die Juden zu Jerusalem den Weltheiland kreuzigen wollten, hatte die Judengemeinde zu Worms nicht dazu gewilligt, vielmehr in einem ernsten Schreiben davon abgemahnt, das hat ihr hernachmals gute Frucht getragen, denn die Kaiser haben sie mit großen Freiheiten begabt, und es ist das Sprüchwort im Reich ergangen: Wormser Juden, fromme Juden. Sie hatten einen Vorsteher aus ihrer Mitte, der hieß der Judenbischof. Er war der erste der drei obersten Rabbiner, die es in Deutschland gab, zu Worms, zu Prag und zu Frankfurt am Main.

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459. Von Frau Venus und dem wilden Heer

459. Von Frau Venus und dem wilden Heer

Zu denselben Zeiten war es offenbar und landkundig, daß im Hörseelenberg auch ein heidnisch Frauenbild verwünscht worden, die erschien den Leuten voller Huld und lockte sie in den Berg mit buhlerischem Liebeszauber, darum ward sie Hulda geheißen, und war solch Götterweib kein anderes als Frau Venus, die Göttin aller Liebe, in den Berg gebannt zu scheinbarer Freude und doch zu ewiger Pein, denn sie, die Schönste, warmer weicher Lust gewohnt, mußte als Schreckgespenst und Schauerholle in den kältesten Winternächten mit all ihrer Buhl- und Genossenschaft in greulicher Larvengestalt über Berge und Wälder hinjagen, mit Halloh und Hussa und dem ganzen Lärm und Geschrei und Gejohle des wütenden Heeres. Da sahe man Geköpfte, die ihre Köpfe unterm Arm trugen, daherfahren, andere wälzten sich, auf Räder geflochten, um, wie Ixion in der heidnischen Mythe, manche hatten das Angesicht im Nacken, andere hatten es auf der Brust, manche hatten Schlangenschwänze und Eidechskrallen; manche tanzten und hüpften auf einem Bein daher, andere schlugen Räder wie die Betteljungen, und allerlei Wild und Hatzhunde jagten mit. Vor dem Heere her schritt ein Greis am weißen Stabe, der hieß die Leute aus dem Wege gehen, daß sie nicht Schaden litten, den nannte man den treuen Eckart, und brachte das Sprüchwort von ihm auf: Du bist der treue Eckart, du warnest jedermann. Manche nennen auch die Frau Hulda oder Frau Venus Herodias, des Herodes Tochter, die Johannis des Täufers Haupt forderte und zu ewiger Wanderung verflucht ward gleich dem laufenden Juden. Wann es schneit, sagen die Kinder in Thüringen: Frau Holle schüttelt ihr Federbett aus; verlarvte Gespenster heißen nach ihr Hullenpöpel. Gleich der wilden Jägerin Bertha oder Berchta belohnt sie fleißige Mägde und bestraft die Faulen, zerzaust und verwirrt auch letzteren den Rocken. Vom treuen Eckart ging der Glaube, daß, wenn das wilde oder wütende Heer nicht ziehe, so sitze er außen an der Höhle und warne jedermann, hineinzugehen, als ein Engel in Menschengestalt von Gott an diesen Ort geordnet.

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44. Die Totenglocken zu Speier

44. Die Totenglocken zu Speier

Kaiser Heinrich IV. nahm gar ein trauriges Ende; auch seine Gebeine ruhen im Dome zu Speier, aber sie kamen nicht alsbald nach seinem Tode dahin. Verstoßen von Thron und Reich, gedachte er, wie sein heiliger Vorgänger Heinrich II. die Absicht gehabt, dort im Münster zu Straßburg seine Tage zu beschließen, am Dome zu Speier einer Chorherrenpfründe teilhaft zu werden, allein da er, der den Dom gebaut und reich geschmückt, nicht, wie jener, jetzt eine Pfründe gründen und stiften konnte, so ward ihm auch solche nicht zuteil, und der Bischof Gebhard, den er, der Kaiser, als solcher selbst auf seinen Stuhl gesetzt und ihn bestätigt, weigerte ihm die Aufnahme. Da erseufzte der Kaiser und sprach: Gottes Hand! Gottes Hand liegt schwer auf mir!, und zog trauernd von dannen. Und es geht in Speier die Sage, daß, als der alte Kaiser endlich arm und elend zu Lüttich an der Maas verstorben, habe die Kaiserglocke im Dome von selbst zu läuten begonnen, und alle andern Glocken haben volltönig eingestimmt in das Geläute, und das Volk sei zusammengelaufen und habe gerufen: Der Kaiser ist tot, der Kaiser ist tot, aber wo? wo ist er gestorben? Das wußte keiner. Der Bischof zu Lüttich fühlte minder hart wie der undankbare Bischof zu Speier, er ließ den Verstorbenen mit gebührenden Ehren bestatten. Aber als das der unnatürliche Sohn Heinrichs, Kaiser Heinrich V., vernahm, ward der Bischof von Lüttich verurteilt, den Sarg des Bestatteten mit seinen eigenen Händen wieder auszugraben, da der Verstorbene im Banne dahingegangen und einen Gebannten die geweihte Erde nicht decken dürfe. Da ward der tote Kaiser in seinem Sarge auf eine Insel in der Maas gestellt, und niemand wartete sein, und niemand kümmerte sich um ihn. Aber siehe, da kam ein Mönch, den niemand kannte, der fuhr hinüber auf die Insel, und betete über dem Sarge, und las Messen über den Toten, und sang ihm das Requiem, und das trieb er fort und fort, bis Heinrich V. es vernahm und den Sarg mit den Resten seines Vaters gen Speier führen ließ. Und als nun der Sarg im Königschor des Domes beigesetzt werden sollte, litt es der Bischof nicht, ehe denn der Papst zu Rom des deutschen Kaisers Überreste aus dem Banne lösete. Das währte fünf Jahre; so lange blieb Kaiser Heinrichs IV. Sarg in Sankt Afras Kapelle unbeerdigt stehen. Aber den Kaiser Heinrich V. wußte Gottes Hand auch zu finden, denn er blieb erbenlos, fiel in des Papstes Bann wie sein Vater, und als er verstarb, da läutete vom Münsterturme zu Speier ein Glöcklein von selbst gar hell und schrillend – und keine andere Glocke fiel ein, und niemand wußte, warum es läute, und das Volk lief zusammen und fragte sich untereinander: Wo wird denn einer ausgeführt, daß das Armesünderglöcklein läutet?

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449. Der Gürtel der Jungfrau

449. Der Gürtel der Jungfrau

Über Kreuzburg im Werratale, Mihla gegenüber, wo der Herren von Harstall uraltes Geschlecht noch blüht, lag ein herrliches Kloster, das hieß Münsterkirchen. Es war reich begabt und reich geschmückt, hatte hohe Kuppeln und Türme und ein prachtvolles Geläute, das weithin talab und -auf vernommen ward. Aber die Kriege, welche Thüringen verheerten, haben das Kloster Münsterkirchen zu einer Wüstung gemacht, und die Rede geht, daß von den Steinen seiner Gebäude fast der ganze Flecken Mihla gebaut worden sein soll. Zuletzt war nur noch ein niederer grüner Hügel übrig, und man nannte die Stätte, welche der Strom im großen Bogen umfloß und öfters überflutete, nur den Sand. Aber an hohen Kirchentagen, und wann fromme Waller das Tal abwärts zum Gehülfenberge zogen, da hörte man tief im Schoße der Erde die große Glocke von Münsterkirchen läuten. Diese Glocke hatte denselben Namen wie ihre berühmte größte Schwester in Erfurt: Maria gloriosa. Da geschah es, daß ein junges armes Mädchen auf dem Anger am Sand die Herde hütete und einschlief unter dem Erlengebüsch am Werraufer, und da träumte ihr, sie sähe zwei wildaussehende Männer auf dem nahen Hügel miteinander kämpfen, und dazu hörte sie vernehmlich die versunkene Glocke läuten. Da sie nun erwachte, so sähe sie zwei junge Stiere heftig miteinander streiten, die stampften und wühlten mit ihren Hufen die Erde auf, daß die Butzen nur so darum flogen, und die Hirtin eilte hin, die kämpfenden Tiere auseinanderzujagen, und siehe, da ragte dort, wo die Stiere den Boden aufgewühlt hatten, der Henkel der Glocke aus dem Boden. Freudig erschrocken löste rasch die Jungfrau ihren Gürtel ab, band ein Ende an die Glocke und das andere an einen nahen Strauch, jagte die Stiere vom Hügel und eilte nach Mihla hinüber, ihren Fund zu künden. Da zog die ganze Gemeinde heraus, und erhob feierlich die schöne große Glocke von Münsterkirchen, und führte sie in ihren Ort. Es ist die größte von Mihlas Glocken. Der Jungfrau Gürtel übte allein die magische haltende Kraft, sonst wäre die Glocke wieder in die Tiefe hinabgesunken.

Zu Berka, zwischen Kreuzburg und Eisenach, hängt im Kirchturm auch eine schöne große Glocke, die haben auf einem überm Ort liegenden Berge spielende Kinder gefunden, man zeigt noch die Stelle, und niemand dort zweifelt an der Wahrheit dieser Sage. Sie hat auch eine Inschrift, aber, sagte der Pfarrer, es waren schon viele Gelehrte da und haben die Schrift nicht lesen können. Das kommt daher, daß viele Gelehrte Wunders viel lernen und können, nur nicht Deutsch, denn die Schrift ist mit deutschen Buchstaben gegossen und ganz gut zu lesen.

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450. Der Elbel

450. Der Elbel

In der Gegend um Mihla und an diesem Orte selbst heißt der wilde Jäger der Elbel, hochbedeutsam für den deutschen Mythus. Er wohnt in den Felsklüften über der Wüstung Wernershausen, wo einst ein Burgsitz derer von Wangenheim war, die bis heute tüchtige Jäger sind. Höher hinauf nach dem Hainich, der, ein langgestreckter Bergwald, zwischen dem Unstruttal und dem Werra- und Hörseltal sich hinzieht, ist der Elbelstein und die Elbelskanzel. Elbel und seine Jagd durchsausen und durchbrausen den Hainichwald und seine Angrenzungen, das ist sein Revier. Ein Herr von Harstall zu Mihla, der zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges lebte, hatte einen Leibjäger, das war ein wilder Weidgesell, hieß aber weder Max noch Kaspar, sondern Hölzerkopf, dem stieß einmal auf einem Birschgange der Elbel mit seiner Jagd auf, voran floh und flog ihr im vollen Laufe eine schöne Jungfrau mit flatterndem Haar, die dem Hölzerkopf so wohl gefiel, daß er sich gleich selbst zum Elbel wünschte. Unmutig, daß solches Wild nicht für ihn, schoß er, als die wilde Jagd vorbeigesaust war, seine Büchse aufs Geratewohl ab, und siehe, der Schuß geriet sehr wohl, denn ein Rehbock, den er zuvor gar nicht gesehen hatte, brach angeschossen durchs Dickicht, stürzte zu seinen Füßen hin und verendete. Von da an traf jeder Schuß, den Hölzerkopf tat, ein jagdbares Hochwild, und er merkte nun, daß der Elbel es angenommen, daß er sich ihm verlobt. Eines Tages, als Hölzerkopf mit seinem Herrn zur Jagd zog, setzte er sich nieder und begann zu frühstücken, während der Herr von Harstall weiter wollte und unwillig fragte, was das heißen solle. – Können’s ja bequem haben, gnädiger Herr! sprach Hölzerkopf, wir wollen die Hunde loslassen, uns aber nicht ermüden. – Tat’s, ließ die Hunde los, trank einmal, spannte den Hahn, schoß ins Blaue, da sprang gleich ein stattlicher Edelhirsch, fast aufs Blatt getroffen, heran, und Hölzerkopf reichte dem Herrn von Harstall das Weidmesser und sprach: Gnädiger Herr, beliebt dem Sechzehnender den Genickfang zu geben? – Ha! du bist ein Hexenmeister, ein Freischütz! rief der Herr von Harstall und warf den dargebotenen Hirschfänger von sich, denn er war gar ein frommer Herr. Du hast deinen Abschied, du magst fortan dem Elbel dienen, nicht mir! – Das will ich auch, mit dero gnädiger Erlaubnis, sprach trotzig der Hölzerkopf, setzte seinen Hut auf, warf die Büchse über, trank noch einmal, schmiß sein Glas in Scherben und ging ohne Gruß und Dank von dannen. Fortan ist dieser Jäger nie anders als im Gefolge des Elbel erschienen, und oft hat man ihn bei diesem im Zwielicht auf dem Anstand auf dem Elbelstein stehen sehen. – Heutiges Tages ist auch im Hainichwalde, den die neue Straße von Eisenach und Mihla nach Mühlhausen mitten durchschneidet, nicht mehr viel zu jagen, und die Freischützen sind rar geworden. Hölzerköpfe gibt es noch in Menge – ja – aber sie sind leider Gottes keine Hexenmeister.

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