741. Der vergrabene Kobold

741. Der vergrabene Kobold

Zu Frauenbreitungen am steinernen Haus sollte eine Ausbesserung vorgenommen werden, und da geschah es, daß ein Steinhauergeselle in der Mittagsstunde müßig aus einer Luke des Hauses in einen Garten hinabsah. Da sah er eine Frau gegangen kommen, die ging unter einen alten Birnbaum, grub dort ein Loch und setzte eine Schachtel hinein, die sie unterm Mantel verborgen gehalten hatte, und deckte das Loch mit Rasen sorglich wieder zu. Nach dem Feierabend trieb den Gesellen zu sehen, was wohl die Frau dort möge vergraben haben, einen Schatz oder die Frucht eines Verbrechens. Er ging zum Baume, grub nach und erhob die Schachtel; als er sie öffnete, lag ein scheußlicher Kobold darin, eine halbe Elle lang, kohlschwarz wie der Teufel, Bockshörner am Kopf, Pferdehufe an den Füßen, jeder Zoll ein Teufel, und mit Telleraugen, welche glühten wie Feuer. Der Gesell ließ vor Schreck und Entsetzen die Schachtel fallen, und wie sie hinplauzte, hüpfte der Kobold heraus, schlug eine helle, widerliche Lache auf, sprang um seinen Befreier mit höhnischen Grimassen herum und verschwand dann mit gellendem Gelächter, indem er dem großen Breitunger See zueilte, in den er sich stürzte. Den Gesellen packte ein Fieber, und er starb an dem Schreck. Nie hat man den Kobold wiedergesehen, auch nie die Frau erforscht, die solchen greulichen Schatz vergraben.

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725. Vom Grimmental

725. Vom Grimmental

Wo sich vom Dorf Einhausen das von der Hasel durchflossen Tal über Ellingshausen nach Schwarza hin zieht, nannte man es ehedem das grüne Tal wegen seiner Grüne. Dort hat am Ausgang des grünen Tales in das Tal der Werra ein alter Bet- und Opferstock mit dem Bilde der Jungfrau Maria gestanden, unter einer mächtig großen Linde, vom Gestrüpp umwachsen und fast ganz vergessen. Nun trug sich’s zu, daß ein Rittersmann, Heinz Teufel, der in Obermaßfeld wohnte, auf einem Jagdritt von schwerer Leibesschwachheit überfallen wurde, sich zu dem Bilde schleppte und dort um Hülfe flehte. Und da sein Gebrest alsbald ein Ende nahm, schrieb er es dem Bilde zu, verkündete dessen Wunderkraft, machte eine fromme Stiftung und baute eine Kapelle über das Holzbild. Darauf erhob sich eine große Wallfahrt, und der Ruf des wundertätigen Marienbildes breitete sich nach allen Seiten aus, so daß die Menschen aus allen Landen scharenweise gezogen kamen. Lahme, Blinde, Taube, Preßhafte aller Art, davon es vielen im Traum vorgekommen war, sie würden im Grimmental, wie man die Wunderstätte im grünen Tal hernach nannte. Hülfe und Genesung finden. Und vielen half der feste Glaube. Darum baute hernach der Fürstgraf Wilhelm von Henneberg an den Ort eine prächtige Wallfahrtkirche. Viele Wunder tat die Mutter Gottes im Grimmental, davon nur eins. In Meiningen saßen drei Gefangene in harter Verstrickung im großen Burgturm, die riefen die Maria vom Grimmental an, und siehe, sie erschien ihnen und erledigte sie ihres Gefängnisses, daß sie ohne menschliche Hülfe frei und ledig gingen, diese nahmen alsbald ihren Weg nach Grimmenthal, priesen und dankten. Es sind in Grimmenthal in einem Jahr vierundvierzigtausend Waller gewesen, und es klingt wunderbar, wenn man liest, daß 1503 zur Pfingstzeit auch gegen dreihundert mohrische Ritter, welche durch Schlesien hergezogen kamen, dort ihre Andacht verrichteten. Doktor Luther eiferte sehr gegen diese Wallfahrt, sprach und schrieb von ihr: Daher ist kommen der große Betrug des Teufels mit dem Wallfahrten in das Grimmental, da die Leute verblendet, als wären sie toll und töricht, Knechte und Mägde, Hirten, Weiber, ihren Beruf ließen anstehen und liefen dahin. Ist recht Grimmental, vallis furoris. – Und bald nach der Reformation nahm die Wallfahrt ein Ende. Jetzt steht an der alten Wallfahrtstätte ein schönes Hospital, und die Grimmentalslinde, darunter das Muttergottesbild stand, grünt und blüht noch in jedem Sommer. Sie mißt sechsunddreißig Fuß im Umfang.

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72. Blutlinde

72. Blutlinde

In der Nähe Wiesbadens steht bei der Burgtrümmer Frauenstein eine riesige Linde, von der die Sage geht, daß einst an ihrer Stelle sich gar Trauriges ereignet habe. Ein Fräulein aus dem Geschlechte der Frauensteiner liebte einen ihr nicht ebenbürtigen Jüngling und sah ihn oft, indem sie abends noch außerhalb der Burgfeste lustwandelte, an einem traulich schattigen Plätzchen nahe der Burgmauer, wohin ein sonst stets verschlossenes Pförtchen führte, zu welchem sie allein den Schlüssel bei sich trug. Endlich nahm ihr harter und stolzer Vater diese Zusammenkünfte wahr, zürnte heftig, überraschte die Liebenden und erschlug den Geliebten mit eigener Hand. Da brach die Tochter jammernd einen jungen Lindenschoß, steckte ihn durch das rinnende Blut ihres Geliebten in den Boden, sprach zu ihrem Vater nie wieder ein Wort und ging in das nächste Kloster. Täglich weinte sie um ihren erschlagenen Geliebten, der Lindenschoß aber schlug Wurzeln und trieb und ward ein Baum, und solange die trauernde Liebende lebte und weinte, so lange floß Blut aus des Lindenbaumes Gezweig, so jemand ein Blatt oder einen Ast abriß. Das tat aber bald niemand mehr, denn die Menschen scheuten sich, und so erwuchs die Blutlinde zu mächtiger Höhe und Dicke, und können den Baum jetzt kaum vier Mann umklaftern.

Nahebei liegt ein uralt Gehöft, der Graroder Hof, von dem eine verwandte Sage geht. Ein junger Grafensohn des Lahngaues liebte ein seinem Geschlecht nicht ebenbürtiges Mädchen, deshalb stieß ihn sein Vater im Zorne von sich, daß er nie wieder vor sein Angesicht kommen solle. Das tat denn auch der junge Ritter, er ging und folgte dem Zuge seines Herzens und seiner Neigung. Aber um den alten Grafen her begann ein Sterben – sein Weib starb, seine Töchter starben, dann die vielen blühenden Söhne allzumal, einer nach dem andern; zuletzt hatte er nur noch einen – und auch dieser eine starb. Völlig vereinsamt, völlig kinderlos war der Greis, da gedachte er mit Schmerz seines verstoßenen Sohnes, wenn doch der noch lebte und bei ihm wäre, er wolle ihn gern nicht mehr um seiner Liebe willen verstoßen. Und ob er wohl noch lebte? – Da machte der alte Graf sich auf, den Sohn zu suchen, und suchte ihn ab und zu am Rheinstrom und in den Flußtälern, die in diesen münden, und in den Seitentälern und auf den Bergen. Da kam er einst ermüdet an ein kleines Winzergehöft, und da traf er ein Winzerpaar, Mann und Frau und wohl auch Kinder, und sah, wie diese Leute ringsum den Felsboden gerodet hatten und hatten Reben gepflanzt und gewannen ihr Brot, das sie mit ihm teilten, denn er war hungrig, und das junge Weib bot ihm Trauben aus irdener Schüssel, und der Mann trat dazu, auf der Schulter den blinkenden Karst, blinkend von stetem, fleißigem Gebrauche. Da erkannte der alte Graf mit einem Male seinen Sohn in dem Häcker und fiel ihm um den Hals und weinte und segnete. Darauf hat der Ritter über sein Weinberggehöft sich eine Burg gebaut und sie mit den Seinen bezogen, denn er wollte nicht mehr hinweg von dem Stück Erde, das er mit seinem Weibe gerodet und bebaut hatte. Das nannte man hernach den Grafenroder oder kurzweg Graroder Hof, weil ein Graf es gerodet hatte. Der alte Graf lebte noch lange Jahre glücklich bei seinen Kindern und Enkeln, und der junge Graf nahm zum Helmkleinod einen bärtigen Mann im schwarzen kurzen Rock, auf der Schulter eine silberne Rodhaue tragend, zum Andenken, daß er selbst mit seiner Geliebten den Boden gerodet habe. In der alten Kirche zu Schierstein am Rhein sind noch Grabmäler des Geschlechts zu sehen.

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729. Die Hennenburgen

729. Die Hennenburgen

Es ist eine alte Sage, daß vorzeiten ein Herr aus edlem Geschlecht in Deutschland umgezogen, der eine Stätte suchte, da er sich anbauen und guten Frieden haben könne. So kam derselbe auch nach Franken und fand allda einen Berg, der ihm baß gefiel. Wie er nun durch die Waldung zum Gipfel ritt oder schritt, fand er eine Wildhenne mit ihren Jungen, und da baute er allda eine schöne Burg und nannte sie Hennenberg und wurde der Stammvater des reichen und edeln Geschlechts der alten fränkischen Gaugrafen, die sich von Hennenberg nannten und vom Grabfeld bis zum Thüringerwalde Besitzungen gewannen und Burgen erbauten. Zur Sage gesellte spätere Zeit vielgestaltig die Fabel, daher ist von der Erbauung der Burg Henneberg Folgendes in einer alten Handschrift zu lesen: »Da die Wenden in Rom lagen und Roma und Italien fast zerstört und verderbt hatten, das war nach Christi Geburt vierhundertundachtundfünfzig Jahre, da zog ein reicher Römer aus Rom um Unfriedens willen, das war einer von der Säule geheißen, De columna, von dem großen Geschlecht, kam also in den Wald, da jetzo Henneberg liegt, mit seinen Dienern. Da behaget ihn, den Berg zu bauen. Da fand er ein Wildhuhn mit seinen Küchen an derselben Statt, darum nennte er das Schloß Henneberg.«

Fast das gleiche ward auch gefunden in einer Chronik, wo es von einem Römer aus dem erwähnten Geschlecht heißt: »Er zog in diese Lande und kam an das End und Berg, da jetzt Henneberg liegt, und schlug sich allda nieder, da gefiel ihm die Gegend und der Ort so wohl, daß er anfing, ein Schloß darauf zu bauen, und als er das anfing aufzuschlagen und das Schloß zu bauen, da fand er an derselbigen Statt eine wilde Henne mit ihren jungen Hühnlein, davon gab er demselbigen Schloß den Namen Henneberg und führte davon die Henne in seinem Wappen, er und alle seine Nachkommen, und nennet sich der von Henneberg. Also sind sie herkommen.«

Auf dem alten Schloß Henneberg ist eine Blende in der Mauer zu sehen, davon alte Leute erzählten, daß ein Maurer bei Aufbauung des Schlosses seinen Sohn verkauft habe, damit, wenn das Kind in jene Vertiefung lebendig eingemauert werde, die Burg fortan unüberwindlich bleibe. Und der grausame Vater habe das Kind selbst eingemauert. Dieses aß eine Dreierssemmel und rief weinend, als der letzte Stein aufgelegt wurde: O Vater! o Vater! wie wird es so finster! – Und wie das Kind also rief, da schnitt die Stimme dem Manne durchs Herz wie ein Messer, und er stürzte von der Leiter herab und brach den Hals.

Von den drei Schlössern Henneberg, Hutsberg in Ruinen, und ebenso lange wehr) geht die Sage, daß das eben die drei grünen Berge seien, auf welchen im Wappen der Grafen von Henneberg die schwarze Henne steht, und daher sei das Sprüchwort entstanden: Henne huts Land. – Die Henne hütet das Land. Jetzt liegen seit 1525 Henneberg und Hutsberg in Ruinen, und ebenso lange lag Landsberg öde, aber in der neuesten Zeit hat sich auf letzterem ein stattlicher Burgbau des Landesherrn in ritterlichem Stil erhoben, der eine wahre Zier der ganzen Gegend ist.

Auch über Rüdlingen, zwischen Münnerstadt und Kissingen gelegen, ist eine alte Burgstätte auf einem ziemlichen Hügel sichtbar, welche heute Huhnberg genannt wird, vor alters aber Henneberg genannt wurde, wie eine alte Urkunde deutlich aussagt. Den Namen soll Burg und Berg von einem zahmen oder Haushuhn erhalten haben, das zur Zeit, als man die erstere gründen wollte und für dieselbe noch keinen Namen wußte, droben ein Ei gelegt. Zur Unterscheidung des Namens von dem weit früher schon erbauten Stammschlosse Henneberg aber habe man es später nicht Henne-, sondern Huhnberg genannt und diese Burg durch das Bild eines Haushuhns von dem Wappen der ersteren, einer Wildhenne, unterschieden. Die Sage verkündet, daß, von Erbauung dieser Burg an, alle hundert Jahre mittags und mitternachts ein Huhn auf dem Schloßberge dreimal fröhlich schreiet, so das Jahrhundert verkünde und so den alten Chronikenspruch bewähret:

Hier hat gelegt das Huhn ein Ei,
Daß Burg und Berg benennet sei.

Noch soll unter den verschütteten Kellern und Gewölben der Huhnburg viel Geld und Wein verborgen sein. Die Leute erzählen, jeder, der den Schloßplatz besuche, finde bei seinem ersten Kommen, wenn er nicht an die Schätze denke und nicht auf deren Hebung ausgehe, eine kleine Öffnung, welche in die Tiefen hinabführe; benutze er dieses Glück, so könne er reich werden, doch nie werde zum zweitenmal diese Gelegenheit geboten. Wer die Öffnung finde und einen Stein in sie hineinwerfe, höre diesen nicht auf den Grund fallen, so tief hinab gehen Keller und Gewölbe, so tief ruhen die Schätze. Versuche, durch Nachgrabung sie zu heben, schlugen gänzlich fehl und mußten bald unterbleiben, denn die Grabenden sahen sich seltsam erschreckt und in ihrem Vorhaben gehindert. Auch wurden Versuche solcher Art obrigkeitlich untersagt. Daher harren die Schätze noch auf den, der, wenn er die Öffnung findet, ohne habsüchtige Absicht sich in sie hinabläßt.

Auf dem Schloßplatze bei dem vormaligen Brunnen der Huhnburg wurde lange nach der Zerstörung des Schlosses, so geht die Sage, eine große Glocke von Schweinen ausgegraben, und diese hing man dann in dem Turm der Kirche zu Nüdlingen auf. Dieser Glocke wohnte eine sehr wunderbare Eigenschaft bei: denn so weit in der Umgegend ihr Heller Schall hörbar war, gab es weder Fröste im Winter noch Gewitter im Sommer. Später aber wurde die Glocke gegen zwei andere kleinere ausgetauscht und nach Würzburg gebracht, worauf sogleich die Umgegend dieser wohltätigen Wirkung mit verlustig ging. Nur an einem Teil des Schloßberges scheint noch der Segen zu haften, denn an dessen Ostseite bleibt niemals der Schnee liegen, sondern zerschmilzt, sowie er dorthin fällt.

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730. Vom wütenden Heer

730. Vom wütenden Heer

Alte Leute wissen noch etwas vom wütenden Heer und vom wilden Jäger zu erzählen, wie sie über Neubrunn und seine Berge und Täler gezogen sind, am meisten aber im Herbst, wenn recht finstere und schaurige Nächte waren; aber die jungen Leute wollen nicht daran glauben, sie belachen das, was die Alten gesehen und gehört haben. Wenn das wütende Heer nun einmal vorüberzieht und die Alten sprechen: Jetzt zieht das wütende Heer!, so sprechen die Jungen: Der Wind heult und pfeift, oder es kann sein, daß Schneegänse oder Kraniche schreien. – Es zieht aber doch. Sonst, sprechen die alten Leute, zog es immer in Neubrunn durch drei Häuser; das kam daher, weil in den Häusern drei Türen gerade hintereinander waren, nämlich vorne die Haustüre, in der Mitte die Küchentüre und hintenhinaus noch eine Türe, die alle in gerader Richtung gingen, und wo sich die drei Türen bei einem Hause in gerader Richtung finden, da zieht, es mag sein, wo es nur will, das wütende Heer durch. Die Alten sagen aber auch, wenn man auf der Straße oder im Hof wäre und das wütende Heer zöge, so müßte man seinen Kops zwischen die Speichen eines Wagenrades hineinstecken, dann könnte es einem nichts tun, und es müßte vorbeiziehen, sonst drehte es einem den Hals herum. So hört man auch in Maßfeld noch von alten Leuten, das wütende Heer sei den Zinkenstill (ein Teil des Waldes Still) herab über die Kreuzstraße bei der Reumeserbrücke, wo es überhaupt nicht geheuer sein soll, dann über die Berge nach Dreißigacker gezogen. Viele wollen es gesehen und gehört haben und bekräftigen es mit allen Eidschwüren.

Auch in Roßdorf im Rosagrunde zwischen Meiningen und Salzungen wird das nämliche erzählt; wer es höre, müsse sich schweigend zu Boden werfen, sonst werde er mit hinweggeführt über Wald und Wipfel. Und vernimmt man in diesen Gegenden stets aus der Landleute Mund nur den Ausdruck wüteninges (wütendes) Heer, nie, wie in andern deutschen Gauen, die Benennung wilder Jäger.

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731. Die Haßfurtjungfrau mit der Glücksblume

731. Die Haßfurtjungfrau mit der Glücksblume

Bei Meiningen ist ein Bergwald gelegen, darinnen liegt eine alte wüste Burgstätte mit einem gar tiefen Felsenbrunnen. Das soll ein Raubschloß gewesen sein; dicht unter ihm zog die alte Frankenstraße hin, und das stand in Verbindung mit der alten Burg Landswehr, die nahe dabeiliegt. Im Schöße beider Burgen sollen noch große Schätze liegen. Dort läßt sich nun alle hundert Jahr die sogenannte Haßfurtjungfer sehen, in weißer Kleidung mit einem Schlüsselbund; ein schwarzer Hund folgt ihr bisweilen. Wenn die Zeit da ist, wo sie erscheinen darf, ist ihr vergönnt, ein ganzes Jahr lang zu wandeln, dann wird sie häufig erblickt auf der alten Burgstätte, wie in der Waldung und unten im Tale und bemüht sich, Menschen zu finden, welche den Schatz heben, denn an die Hebung des Schatzes ist ihre Erlösung geknüpft. Vor mehr als hundert Jahren hatten einige Prinzen ein Jagen angestellt, und der Hofjäger war mit mehrern Burschen voraus, das Nötige anzuordnen. Als das geschehen, harrten die Jäger der Herrschaft an einer geeigneten Stelle, und zwar unter dem Berg, darauf damals noch die Trümmer der Haßburg standen, da wurden die Weidgesellen geworfen, erst mit Erde, dann mit Mörtel und kleinen Steinen. Sie glaubten, es seien Kameraden von ihnen da oben versteckt und neckten sie; aber das Werfen hörte nicht auf, und es kamen immer größere Steine geflogen. Da schalt der Hofjäger und eilte den Berg hinauf, mitten durch den Steinregen. Oben aber war niemand, und es warf nicht mehr und war alles totenstill. Und wie er sich umwandte, siehe, so stand schleierweiß die Haßfurtjungfrau vor ihm, nur einen Augenblick, und von ihrem Schlüsselbund fiel ein Schlüssel; schnell verschwand sie. Der Jäger sah zur Erde, da lag der Schlüssel wirklich, und zwei schöne goldgelbe Blumen standen da. Er hob den Schlüssel auf, achtete aber der Blumen nicht. Unterdes war die Herrschaft unten im Tale angekommen, und er eilte zurück und zeigte seinen Fund. Stand weiter nichts dabei? fragte gleich einer aus dem Zuge. – Ja, zwei gelbe Blumen, antwortete der Finder. – Hättet Ihr diese gepflückt, wäret Ihr glücklich gewesen! – Flugs eilte der Hofjäger wieder den Berg hinauf, die Blumen zu pflücken, sie standen aber nicht mehr da. Oft soll die Haßfurtjungfrau erschienen sein; der Schatz ist noch ungehoben, vergebens sucht man den Zugang zum Burgkeller. Einem fremden Schlossergesellen, der nie in diese Gegend gekommen war, träumte einst, daß unter den Ruinen der Haßburg ein großes Gewölbe sei voll Rüstzeug, Waffen und Gold; er solle hingehen und den Schatz heben. Zum Wahrzeichen werde er ein Messer mit hirschhornenem Griff finden. Er ging in den Wald, fand die Burg und dasMesser, aber es lag auf einem Felsen, und er wußte weiter nichts damit anzufangen.

Ganz ähnlich wird dieselbe Sage vom Landsberg erzählt. Dort stand dem beglückten Hofjäger schon der Berg offen, er wollte eben hinein, da hörte er unten im Tale die Jagdhörner, die Herrschaft war da, und er glaubte vom Landesherrn seinen Namen laut rufen zu hören, steckte den Schlüssel ein, die Blume auf den Hut und eilte zurück. Als die Jagd vorbei und der Kammerherr des Dienstes ledig war, ritt er eilig wieder auf den Landsberg und suchte die Türe, die hinter ihm zugefallen war. Aber er fand sie nicht wieder und fand, daß er auch die Blume verloren habe. Keine zweite Glücksblume wuchs für ihn, und er zog traurig heim. Der alte Schlüssel, sagen einige, soll noch vorhanden sein und in einem Archiv liegen.

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732. Vom Frickenhäuser See

732. Vom Frickenhäuser See

Unter der alten Stammburg Henneberg führt die Land- und Heerstraße von Meiningen aus in das gesegnete Frankenland. Da kommt man bald in den Grund der Streu, die von Ostheim herrinnt und der fränkischen Saale ihr stillfließendes Gewässer zuführt. Dort liegt, nicht gar weit von Mellrichstadt, dasDorf Frickenhausen und sein weitberufener See, ein stilles und tiefes Wasser, fast rundum von hohen Bäumen umschattet und von unergründlicher Tiefe, von steilen Bergen umgeben, der Frickenhäuser See. Sein Wasser ist hell, hat einen natürlichen Geschmack und wird ungeachtet des geringen Abflusses doch nicht faul. Wunderbar sind die Sagen und Mären, welche die Bewohner jener Gegenden über diesen See zu erzählen wissen oder doch wußten. So behaupteten einige, der See trage auf seiner Oberfläche durchaus keinen Körper, sondern verschlinge ihn urplötzlich, wie dort in Westfalen das Heilige Meer. Neue Versuche haben freilich gerade das Gegenteil dargetan. Andere wollen riesenartige Fische in ihm gesehen und von den Ahnen gehört haben, der See werde dereinst mit Gewalt ausbrechen und ganz Franken überschwemmen; denn er sei eine Ader des Meeres. Deshalb beten auch viele Bewohner der Gegend zu Gott, daß er sie diesen Ausbruch des Sees nicht möge erleben lassen, und in der Domkirche zu Würzburg würde, so sagen sie, alljährlich eine Messe gelesen, daß Gott die Überschwemmung Frankens durch den Frickenhäuser See verhüte. Darum getraue man sich auch nicht, mit einem Kahn das rätselhafte und verrufene Wasser zu befahren. Fische sollen darin sich aufhalten, aber nur selten zu Gesicht zu bekommen sein. Im Jahre 1793 erblickte ein Jäger aus der Nachbarschaft einen Fisch, der an Größe einem ausgewachsenen Schweine nicht viel nachgab. Die Kunde von diesem Fisch verbreitete sich weit umher und rief Leute in Menge herbei, um diesen großen Wunderfisch zu sehen und anzustaunen. Allein niemand sah ihn mehr. Ein anderer Jäger schlief einst an dem Ufer ein und hatte die mit einer Kugel geladene Büchse neben sich liegen. Ein heftiges Geräusch im See erweckte ihn, und hinblickend gewahrte er zwei riesige Fischungeheuer, die sich oben an der Seefläche zeigten. Sogleich ergriff er sein Gewehr, zielte und schoß nach einem der Riesenfische, worauf beide sogleich untertauchten. Aber einige Schuppen schwammen von dem getroffenen auf dem Wasser, die der Jäger auffischte und den Leuten zeigte; sie waren so groß wie ein zinnerner Teller. – Oft trübt sich das Wasser dieses Sees, wenn auch in der ganzen Gegend kein Regen ist, und bei der anhaltendsten Dürre nimmt er nicht ab, obwohl man glaubt, daß die bei Sturmwetter sich trübende starke Quelle, die im Streugrunde bei Mittelstreu mit starkem Brausen hervorbricht und gleich bei ihrem Ursprünge einige Mühlen treibt, dem unterirdischen Ausfluß des Sees ihr Wasser danke.

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733. Nix Schlitzöhrchen

733. Nix Schlitzöhrchen

So klein und schmal das Wiesenflüßchen, die Streu, auch ist, so wohnt doch in ihm ein neckischer Nix und treibt sein Wesen im Streugrunde unter und über Mellrichstadt von Stockheim bis Heustreu, wo das Flüßchen in die Saale fällt. Dieser Nix heißt Schlitzöhrchen, weil er geschlitzte Ohren hat; er hat seine Lust daran, Leute, die über die Streu gehen, in das Wasser zu ziehen und sie tüchtig unterzutauchen. Es kommt ihm auch nicht darauf an, sie ganz zu ersäufen. Das ist nach der alten Leute Aussage schon gar manchem widerfahren. Woher nur die Kobolde und Nixen ihre neckischen Namen haben, deren Zahl legionenmal verschieden ist? Dort im alten Preußenlande, zu Prassen bei Lauenburg, hießen ein paar Fingerlinge Rotöhrchen und Gelböhrchen. Es ist, als ob der Name Öhrchen auf etwas Geheimnisvolles hindeute, auf das Horchende. Am Kraute Mausöhrchen (alter Name Auricula muris, neuer: Hiracium murorum, nebst vielen andern Arten, darunter auch eine Hieracium auricula und eine geschlitzte Abart, Hieracium sylvaticum, das Schlitzöhrchen der Pflanzenwelt) finden sich, sonderlich an denen, so nach Johannis blühen, unten am dicksten Teile der Wurzel zwischen den Fäserchen der alten Blätter rote Tropfen gleichsam eingewickelt. Etliche nennen das Johannisblut und halten dafür, wenn jemand am Johannistage oder um diese Zeit mittags zwölf Uhr ein solches Kraut aushebt und den roten Tropfen auf seine Hand fallen läßt, so könne er daraus ein Prognostikon seines Lebens nehmen, je nach der Dauer der Farbe; läßt sie sich gleich auswaschen, so stirbt er noch im selben Jahre. Aber auch die Tierwelt hat ihr Schlitzöhrchen, das ist die Ohrlitze, der Ohrwurm, Forsicula auricularia L., und den Namen Schlitzöhrchen führt er im Werragrunde bis zum Streugrunde hinüber. Der inniggeistige Zusammenhang der Sagenwelt mit dem Naturleben ist ein zwar nicht mehr unentdecktes, aber doch noch fast ganz unerschlossenes Land, ein Kalifornien voll des Zaubergoldes der Poesie.

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734. Die Alpnonne

734. Die Alpnonne

Nicht weit vom Streugrunde lag ein Nonnenkloster, Wechterswinkel geheißen; im selben Kloster diente ein junger, bildhübscher Knecht, den drückte oft das Alp, und wußte sich gar keinen Rat, dem Übel abzuhelfen. So klagte er einem weisen Manne seine Not, und der sagte ihm, es sei nichts leichter, als das Alp zu bannen, der Knecht solle nur, wenn es wieder drücke, herzhaft dahin greifen, wo er es fühle, und das festhalten, was er fasse, und einsperren. Diesem Rat folgte der Knecht, und als das Alp ihm wieder heftig drückend auf der Brust lag, so griff er zu und faßte – eine Flaumfeder. Obschon er nun nicht glauben konnte, daß diese leichte Feder ihn gedrückt, so war es ihm plötzlich federleicht zumute, aller Druck war hinweg, er sprang aus dem Bette und schloß die Feder in ein kleines Kästchen. Am andern Morgen ging ein Geschrei durch das ganze Kloster, es sei eine Nonne in ihrem Bett erstickt und also tot gefunden worden. Zufällig begegnete der Knecht dem weisen Mann und erzählte ihm das mit der Flaumfeder und auch als etwas Neues, daß eine Nonne erstickt sei. Da sprach jener Mann: Um Gottes willen schließe deinen Kasten auf und lasse die Feder fliegen! Der Knecht tat’s, und da flog die Feder gerade in die Zelle der gestorbenen Nonne, wo das Fenster offenstand, und zur Stunde wurde jene wieder lebendig. Der Knecht hatte nie wieder Alpdrücken. Die Nonne war das Alp gewesen, gleich jenem Frauenbild in der Ruhl, nur daß der Ruhlaer mehr mit seinem Alp erlebte.

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721. Der goldne Degen im Mordhügel

721. Der goldne Degen im Mordhügel

Bei dem Dorfe Milz ohnweit Römhild liegt ein ganz runder, spitziger Hügel, darinnen soll noch ein güldener Degen bis auf den heutigen Tag stecken. Und zur Nachtzeit, wenn noch ein Wanderer am Hügel vorübergeht, erscheint ihm ein Reiter, dessen Pferd und er selbst ohne Kopf ist; der Wanderer eilt dann mit Grausen vorüber und erinnert sich an die schaurige Geschichte. Es war nämlich im Dreißigjährigen Krieg ein Hauptmann, der einen Bund mit dem Teufel gemacht hatte, und für das Verschreiben seiner armen Seele bekam er von ihm einen goldenen Degen, der in den Gluten der Hölle gehärtet war. Nie konnte er überwältigt werden, auch das größte Heer vermochte es nicht, solange er nur den Degen in der Hand hatte. Einst ritt dieser Feldhauptmann auf den obigen Hügel, um die Gegend zu überschauen, da nahte sich ihm ein Heer feindlicher Reiter und umzingelte den Hügel. Sie machten sich hinauf und hieben sich lange Zeit baß mit ihm herum; da traf sich’s, daß endlich einer durch einen glücklichen Streich des Pferdes Kopf abhieb, der Hauptmann fiel, weil das Pferd stürzte, herunter, und im Fallen entfiel ihm der Degen. Da sprang der, so des Rosses Kopf abgehauen hatte, schnell hinzu, und durch einen zweiten Hieb sank auch der Kopf des Hauptmanns herab. Darauf beraubten sie ihn des Geldes und aller Kleinodien, die er, nebst vielen kostbaren Edelsteinen, bei sich trug, und begruben ihn endlich auf diesem Hügel. Den Degen aber steckten sie mit der Spitze auf den toten Reiter, als er auf seinem Roß in der Grube lag; denn keiner wollte ihn, da er vom Teufel stammte, behalten, und dann warfen sie alles tief mit Erde zu. Daher wird heute der Hügel noch der Mordhügel genannt und von ihm die Sage erzählt mit dem Reiter ohne Kopf.

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