Die Wiesenjungfrau

Auf einer grünen Wiese bei Auerbach an der Bergstraße hütete ein Hirtenbub seines Vaters Kühe, stand müßig und dachte an gar nichts. Da fühlte er auf einmal einen sanften Backenstreich von einer weichen Hand, und wie er sich erschrocken umdrehte, stand eine wunderschöne Jungfrau vor ihm da, ganz schleierweiß, und tat den Mund auf, ihn anzureden. Aber der Bub brüllte vor Schreck, als wenn er am Spieße stäke, und rannte davon, nach Auerbach zu.

Nach einiger Zeit hütete der Bub abermals auf jener Wiese und stand träumend in der heißen Mittagsstunde am Waldesrain. Da raschelte es am sonnigen Rain, als schlüpfe eine Eidechse ins Dorngebüsch. Der Knabe blickte hin; da sah er eine kleine Schlange, die trug in ihrem Mund eine blaue Blume und sprach: »Guter, erlöse mich! erlöse mich! Mit dieser Blume öffnest du droben im alten Schloß Auerbach die verfallenen Keller und die Fässer voll Gold, und alles ist dein! Nimm die Blume! Nimm die Blume!« Aber dem Buben wurde es ganz unheimlich und graulich; er hatte all sein Lebetage noch keine Schlange sprechen hören – und lief von dannen, als wenn der wilde Jäger hinter ihm drein wäre.

Als der Spätherbst kam, hütete der Bube zufällig wieder an derselben Stelle, und da empfing er wieder einen sanften Backenstreich und sah im Umdrehen wieder die weiße Jungfrau, welche ihn flehend ansprach: »Erlöse mich! erlöse mich! Ich will dich reich und glücklich machen. Du allein kannst es, nur du allein. Ich bin verwünscht, zu harren und zu wandeln, und kann nicht eher zur Seligkeit eingehen, bis aus einem Kirschkern, den ein Vöglein auf diese Wiese fallen läßt, ein Kirschbaum groß und stark gewachsen ist, der Baum abgehauen und aus ihm eine Wiege gemacht ist. Nur das erste Kind, das in solcher Wiege geschaukelt worden ist, kann mich dadurch erlösen, daß es mit der blauen Blume, die ich hier halte, hinauf zur Burg geht und dort die unterirdischen Schätze hebt. Du bist das Kind, das in solcher Wiege gewiegt worden ist.«

Als der Bube diese Rede hörte, zitterte er, und es lief ihm eiskalt über den Nacken; denn er hatte kein Herz, und wenn der Mensch kein Herz hat, ist er ein Tropf. Und er kreuzigte und segnete sich und schüttelte mit dem Kopfe. »Wehe mir! Wehe!« rief da die Jungfrau. »So muß ich wieder hundert Jahre harren und wandeln. Wehe dir, daß du kein Herz hast; so sollst du auch keins finden!« Und sie tat einen lauten Schmerzensschrei und verschwand.

Der Bube aber ging von diesem Tage an still und bleich umher und hat nicht lange gelebt.

Des Rodensteiners Auszug

Im Odenwalde oder nahe dabei stehen zwei Trümmerburgen, die heißen der Rodenstein und der Schnellerts, zwei Stunden voneinander entfernt.

Die Herren von Rodenstein waren ein mächtiges Rittergeschlecht. Einer derselben war ein gewaltiger Kriegs- und Jagdfreund. Kampf und Jagd war sein Vergnügen, bis er auf einem Turnier zu Heidelberg auch die Minne kennenlernte und ein schönes Weib gewann. Doch lange hielt er es nicht aus im friedsamen Minneleben auf seiner Burg: eine nachbarliche Fehde lockte ihn zu blutiger Teilnahme. Vergebens warnte ihn sein Weib, das durch schwere Träume geängstigt worden; sie bat und flehte, sie doch nicht zu verlassen. Er zog dennoch von dannen und achtete ihres Flehens nicht. Sie aber war so sehr erschüttert, daß sie eines toten Sohnes genas und – starb.

Der Ritter war, um dem Feinde näher zu sein, auf seine Burg Schnellerts gezogen. Dort erschien ihm im Nachtgrauen der Geist seines Weibes und sprach eine Verwünschung über ihn aus. »Rodenstein!« sprach sie, »du hast nicht meiner, nicht deiner geschont. Der Krieg ging dir über die Liebe. So sei fortan ein Bote des Krieges bis an den Jüngsten Tag!«

Bald darauf begann der Kampf. Der Rodensteiner fiel und ward auf Burg Schnellerts begraben. Ruhelos muß seit der Zeit sein Geist ausziehen und dem Lande ein Unheilsbote werden. Wenn ein Krieg auszubrechen droht, erhebt er sich schon ein halbes Jahr zuvor, begleitet von Troß und Hausgesinde, mit lautem Jagdlärm und Pferdegewieher und Hörner- und Trompetenblasen. Das haben viele Hunderte gehört. Man kennt sogar im Dorfe Oberkainsbach einen Bauernhof, durch den er hindurchbraust mit seinem Zuge, dann durch Brensbach und Fränkisch-Krumbach und endlich hinauf zum Rodenstein. Dort weilt das Geisterheer bis zum nahenden Frieden; dann zieht es, doch minder lärmend, nach dem Schnellerts zurück.

Das Rad im Mainzer Wappen

Erzbischof Willegis von Mainz war ein gelehrter und frommer Mann und von Herzen demütig. Er war aber von niederer und geringer Herkunft; sein Vater war ein armer Rademacher. Das machte ihm Neid bei den adeligen Domherren; die malten ihm heimlich Räder an die Türen und Wände seines Bischofhofes und spotteten: »Das ist unsers Bischofs Ahnenwappen.« Willegis aber, der fromme Mann, nahm sich des mit nichten als eines Spottes an. Er ließ über seiner Bettstatt ein hölzernes Pflugrad aufhängen und in seine Gemächer weiße Räder in rote Wappenfelder malen und dazu einen Reim setzen, der lautete:

»Willegis, Willegis,
denk, woher du kommen sis!«

Und nachher haben dem frommen Willegis zum Gedächtnis alle nach ihm kommenden Erzbischöfe dieses Rad als Wappenzeichen beibehalten, und Stadt und Bistum Mainz haben es angenommen und beibehalten bis auf den heutigen Tag.

Heinrich Frauenlobs Begräbnis

Es war in deutschen Landen ein Minnesänger, der sang viel süße Weisen zum Lobe der Frauen; deshalb gewann er auch den Namen Frauenlob, denn sein rechter Name war Meister Heinrich von Meißen. Viele Reisen machte der Sänger von einem deutschen Hofe zum andern. Er sang irdische und sang Gottesminne. Zu Rostock regierte Markgraf Waldemar von Brandenburg, der hatte einen Rosengarten und ließ ein Wettsingen veranstalten; da war Meister Heinrich der erste Sieger. Einstmals lauerten Feinde ihm auf und umringten ihn mit Dräuen, sie wollten ihn töten. Da bat er, sie sollten ihm noch einen Sang vergönnen. Und als sie das taten, sang er so rührend zum Preise der himmlischen Frauen, daß jede gehobene Waffe sich senkte und die Feinde ihn ungehemmt und ungeschädigt von dannen ziehen ließen.

Auf seinen Sangesfahrten kam Meister Heinrich auch nach Mainz und verstarb allda und wurde begraben im Umgang des Domes, neben der Schule, mit großen Ehren. Von seiner Herberge bis zur Grabstätte trugen ihn Frauen und erhoben um ihn großes Weinen und Wehklagen, um des großen Lobes willen, welches der Sänger dem ganzen weiblichen Geschlecht zeit seines Lebens erteilt hatte. Und mit den Tränen zugleich gossen sie eine Fülle edlen Weins auf Meister Heinrichs Grab, daß der Wein durch den ganzen Umgang der Kirche floß. Und wäre manchem Dichter lieber, sie gäben ihm solchen Wein beim Leben. Mehr als ein Denkmal ist Heinrich Frauenlob errichtet worden, und seine Sänge sind noch unvergessen.

Der Franken Furt

Zur Zeit Karls des Großen kriegten die Sachsen gegen die Franken und ihren mächtigen König. Einst waren die Sachsen siegreich und trieben die Feinde bis hinab zum Mainstrom. Wie nun die flüchtigen Franken an die Stelle kamen, wo jetzt Frankfurt liegt, und des Stromes Breite und Tiefe sie erschreckte, da sie weder Brücke noch Schiffe hatten, siehe, da zeigte ihnen eine Hirschkuh den Weg, indem sie ohne Gefahr durch den Strom schritt und also eine Furt anzeigte, wo die Franken ohne Gefahr über den Strom setzen konnten. Als nun später die nachfolgenden Feinde kamen und jene Furt nicht kannten und fanden, mußten sie die Franken unverfolgt lassen. Und Karl der Große soll gesprochen haben: »Besser, daß die Völker sagen, ich sei mit meinen Franken diesmal vor den Sachsen geflohen, als daß sie sagen, ich sei hier gefallen; denn weil ich lebe, kann und will ich meine Ehre retten!« Dort nun siedelten sich Franken an; denn es war ein lieblich und fruchtreich gelegener Gau. Und sie nannten den Ort die Furt der Franken, Frankfurt.

Manche sagen, gleich damals hätten die Sachsen den Ort Sachsenhausen, Frankfurt gegenüber, dicht am Mainstrom begründet; andere aber behaupten, dessen Gründung sei erst dann geschehen, als Karl der Große überwundene Sachsen aus ihrem Heimatlande hinweg und zur Ansiedelung im Frankenlande genötigt habe, wovon bis auf den heutigen Tag noch viele Ortsnamen zeugen. Später erbaute Kaiser Karl selbst eine kleine Pfalz zu Frankfurt und hielt sich Jagens halber gern dort auf, feierte Ostern da und hielt Reichskonvente30 . Auch Karls des Großen Sohn, König Ludwig, wohnte da, recht in seines weiten Reiches Mitte, und sein Sohn Karl, hernachmals der Kahle genannt, ward allda geboren. Noch immer wird die seichte Stelle im Main gezeigt, wo der Franken Furt war und Frankfurts erster Anbau und Name sich begründete. Und Kaiser Karls Pfalz stand da, wo jetzt die St. Leonhardskirche steht, und die neue Pfalz, welche Ludwig der Fromme erbaute und der Saal hieß, lag neben dem Fahrtor; davon hat noch bis heute die Saalgasse ihren Namen. Im Saalhof starben Ludwig der Deutsche, des frommen Ludwig jüngster Sohn, wie auch Hemma, dessen Gemahlin. Dieser König war es, der Frankfurt zu des ostfränkischen Reiches weltlicher Hauptstadt erhob, während Mainz die geistliche war.

  1. Zusammenkünfte

Vom Eschenheimer Turm

Zu Frankfurt steht noch ein gar alter Turm von der ehemaligen Stadtmauer, der heißt der Eschenheimer Turm.

Einst hatten die Frankfurter einen Wilddieb gefangen, des Name war Hänsel Winkelsee. Der saß schon neun Tage im finstern Loch, ehe Spruch und Urteil über ihn erging. Und er hörte allnächtlich die Wetterfahne kreischen und rasaunen über seinem luftigen Losament31 hoch oben im Eschenheimer Turme und sprach: »Wär‘ ich frei und dürft‘ ich schießen nach meinem Wohlgefallen, so schöss‘ ich dir, du lausige Fahn‘, so viel Löcher durchs Blech, als Nächt‘ ich hier gesessen hab‘!«

Diese Rede hörte der Kerkermeister und trug sie vor den Stadtschultheißen der freien Stadt, und dieser sagte: »Dem Kerl gehört keine Gnad‘ als der lichte Galgen; wenn er aber so ein gar guter Schütz sein will, so wollen wir ihn sein Glück probieren lassen.« Und da ward dem Winkelsee seine Büchse gegeben und gesagt, nun solle er tun, wes er sich vermessen; wenn er das könne, solle er frei von dannen gehen; wenn aber auch nur eine Kugel fehlgehe, so müsse er baumeln, und da krähe kein Hahn nach ihm.

Da hat der Wildschütz seine Büchse genommen und hat sie besprochen mit guten Weidmannssprüchlein, und hat Kugeln genommen, die auch nicht ohne waren, und hat angelegt und nach der Fahne gezielt und hat losgedrückt. Da saß ein Löchlein im Blech, und alles hat gelacht und »Bravo!« gerufen. Und nun noch achtmal so und jede Kugel an die richtige Stelle, und mit dem neunten Schuß war der Neuner fertig, der heute noch in der Fahne auf dem Eschenheimer Turm zu sehen ist, und war ein großes Hallo um den Schützen her.

Der Stadtrat aber dachte bei sich: »O weh, unsere armen Hirsche und sonstiges Wild, wenn dieser Scharfschütze und Gaudieb wieder hinaus in die Wälder kommt!« und beriet sich. Und der Stadtschultheiß sagte: »Höre, Hänsel, daß du gut schießen kannst, haben wir schon lange an unserer Stadt Wildstand verspürt und jetzt auch deine Kunst mit Augen gesehen. Bleibe bei uns; du sollst Schützenhauptmann bei unserer Bürgerwehr werden!« Aber der Hänsel sprach: »Mit Gunst, werte Herren, ins Blech hab‘ ich geschossen, und ich schieß‘ euch auch auf euern Schützenhauptmann! Eure Dachfahnen trillen mir zu sehr, und euer Hahn kräht mir zu wenig. Mich seht ihr nimmer, und mich fangt ihr nimmer! Dank für die Herberge!« Und er nahm seine Büchse und ging trutziglich von dannen. –

Mit dem Hahn aber hatte der Hänsel nur einen Spott ausgeredet. Er meinte das Frankfurter Wahrzeichen, den übergüldeten Hahn mitten auf der Sachsenhäuser Brücke, die der Teufel hatte fertigbauen helfen. Denn als sie der Baumeister nicht fertigbrachte, rief er den Teufel zu Hilfe und versprach ihm die erste Seele, die darüberlaufen werde, und jagte dann in der Frühe zuallererst einen Hahn über die Brücke. Da ergrimmte der Teufel, zerriß den Hahn und warf ihn durch die Brücke mitten hindurch. Davon wurden zwei Löcher, die können bis heute nicht zugebaut und zugemauert werden; denn bei Nacht fällt alles am Tage Gemauerte wieder ein. Auf der Brücke aber wurde der Hahn zum ewigen Wahrzeichen aufgestellt. Den meinte Hänsel Winkelsee, daß er zu wenig krähe, nämlich – gar nicht.

  1. Herberge

Not Gottes

Zu Rüdesheim am Rhein bewohnte das mannliche Geschlecht der Brömser von Rüdesheim ihre uralte graue Feste, deren Aufbau in die Römerzeit fällt, und weiter stromabwärts, an der Waldbergerhöhe, ist das Kloster gelegen, welches den wunderbarlichen Namen »Not Gottes« trägt.

Ein Brömser von Rüdesheim zog nach Palästina, tat allda viele mannliche Taten, bezwang viele Sarazenen und kämpfte mit einem Drachen, den er auch erlegte. Aber bald darauf fiel er in die Hände der Ungläubigen, die ihm schwere Ketten zu tragen auferlegten. Da gelobte er in seinem Kerker, seine Tochter, die er als ein junges Kind verlassen, dem Himmel zu weihen, wenn sie am Leben bleibe und er in die Heimat zurückkehre. Und siehe, des Ritters Ketten fielen von ihm ab, der Himmel nahm das dargebotene Opfer an, der Ritter entkam und eilte der Heimat zu.

Freudvoll empfing ihn seine schön erblühte Tochter, und er offenbarte ihr sein Gelübde. Da wurde die Tochter bleich wie der Tod; – sie war in Minne einem jungen Ritter zugetan, dessen Hand von ihrem Vater zugesprochen zu erhalten sie zuversichtlich gehofft hatte. Aber es halfen nicht Flehen, nicht Tränen: der Vater glaubte dem Himmel vor allem sein ritterliches Wort zu halten schuldig zu sein. Da enteilte die Tochter laut wehklagend der Brömserburg, erklomm den nächsten Felsen und stürzte sich in den Strom hinab.

Groß war des Vaters Schmerz, und da er nun sein Gelübde nicht halten konnte, so gelobte er statt dessen, er wollte ein Kloster erbauen. Es ging aber ein Mond nach dem andern hin, und der alte Brömser vergaß seines neuen Gelübdes. Es mochte wohl daher kommen, daß er durch alten Rüdesheimer seinen Schmerz hinwegbannte und darob sein Gedächtnis etwas schwach ward. Da hatte er einmal ein nächtliches Gesicht: der Drache, den er in Palästina erlegt hatte, war wieder bei ihm und fauchte ihn mit weitaufgesperrtem Rachen an und drohte ihn zu verschlingen mit Haut und Haar; – da sah er die Gestalt seiner Tochter, die winkte den Drachen hinweg und blickte gar wehmutsvoll auf den Vater und verschwand.

Am Morgen aber kam des Brömsers Ackerknecht und sagte an, wie er in aller Frühe mit dem Pflug und den Stieren zu Acker gezogen sei, da habe er eine klagende Stimme vernommen, die immerfort gerufen habe: »Not Gottes! Not Gottes!« Und die Stiere hätten nicht ziehen wollen, sondern immer am Boden gescharrt. Sogleich begab sich der Ritter Brömser selbst hinaus auf das Ackerfeld, und da vernahm er dieselbe wehklagende Stimme: »Not Gottes! Not Gottes!« die ganz in der Nähe von der Stelle drang, wo die Ochsen standen und scharrten, und zwar kam die Stimme aus einem hohlen Baume. Der Ritter rief und suchte, aber er entdeckte nichts. Da ließ er den Baum spalten, und da fand sich innen am Boden des hohlen Stammes eine Monstranz32 mit dem heiligen Leib und ein hölzernes Bild des Schmerzensmannes33 . Als diese Kleinode dem Baume entnommen waren, schwieg die Stimme, und die Stiere waren ruhig.

Das erinnerte nun den Brömser stark an die Erfüllung seines Gelübdes. Er gründete ein Kloster, ließ an des hohlen Baumes Stelle den Altar aufrichten und stellte das Christusbild darauf. Und das Kloster ward »Zur Not Gottes« genannt, und es geschahen zu dem Kloster und zu dem Bilde viele Wallfahrten rheinab und -auf, daß öfters an einem Tage 16 000 Waller da waren. Und das Bild tat vordem große Wunder.

  1. heiliges Gefäß
  2. Jesus am Kreuz

Siegenheim

Nahe der Stadt Mannheim, an der Straße von da nach Heidelberg, liegt das Dorf Seckenheim, früher Siegenheim genannt von einem großen Siege, den Kurfürst Friedrich I. von der Pfalz, genannt der Sieghafte, im Jahre des Herrn 1462 in Siegenheims Gefild erfochten. Damals ward ein steinern Kreuz auf der Walstatt erhöht, mit einer Gedenkschrift, welche Kurfürst Friedrichs Sieg verkündete. Der junge mutige Sieger machte alle seine Gegner, den Markgrafen Karl von Baden, den Herzog Ulrich von Württemberg, den Bischof Georg von Metz und nicht weniger als 240 Grafen und Herren nebst noch einer großen Schar reisigen Volkes zu Gefangenen, ohne das Volk, welches erschlagen ward und die blutige Walstatt deckte. Da konnte man wohl vom Siege reden. Alle Gefangenen ließ der Kurfürst gen Heidelberg führen und mit den Fahnen, die er den Feinden abgewonnen, die Heilige-Geist-Kirche daselbst ausschmücken.

Die gefangenen Fürsten wurden indes standesgemäß behandelt und ehrlich gehalten, und des Abends rüstete man ihnen eine stattliche Mahlzeit. Da gab es Wild und Fisch und Beiessen und Wein im Überfluß, und nichts mangelte bis auf eins. Und der Kurfürst trat zu den Gefangenen und munterte sie auf, doch zuzulangen und wacker zu essen, es werde ihnen doch schmecken nach so heißem Tage! Aber sie aßen nicht, und einer sprach: »Gnädigster Herr Kurfürst, es mangelt uns an Brot!« – »Ha so!« entgegnete der Kurfürst, »das tut mir leid. Da ergeht es euch gerade wie meinen Untertanen, denen ihr und euer Volk alle Brotfrucht geraubt und verbrannt und nicht einmal der Früchte auf dem Felde verschont habt. Wo soll dann Brot herkommen?«

Mit großen Summen mußten die Gefangenen sich lösen, und sie dachten all ihr Lebtag an den Tag bei Siegenheim und an das Gastmahl zu Heidelberg.

Federzeichnungen von Otto Ubbelohde (1867 – 1922)


Rheinsagen

Hermann Schaffstein Verlag in Köln
1945
(Erstauflage 1912)

Dreiundzwanzigstes der Blauen Bändchen

Federzeichnungen von Otto Ubbelohde (1867 – 1922)

Rheinsagen

Vom deutschen Rheinstrom

Heilige Wasser rinnen von Himmelsbergen – singt die Edda, das uralte Götterlied. So auch der Rhein, des deutschen Vaterlandes heiliger Strom, rinnt vom Gottesberge (St. Gotthard), aus dem Schoße der Alpen, nieder als Strom des Segens. Durch Hohenrhätiens Alpentalschluchten stürzt er sich mit jugendlichem Ungestüm, frei und ungebunden, umwohnt von einem freien Bergvolke, das in Vorzeittagen hartlastende, schwerdrückende Fesseln brach.

Einst zwang ein Kastellan auf der Bärenburg die Bauern, mit den Schweinen aus einem Troge zu essen; ein anderer in Fardün trieb ihnen weidende Herden in die Saat; andere übten noch andere Frevel. Da traten Hohenrhätiens Männer zusammen, Alte mit grauen Bärten, und hielten Rat im Nachtgrauen unter den grauen Alpen. Auf einer felsenumwallten Wiese ohnfern Tavanasa will man noch Nägel in den Felsenritzen erblicken, an welche die Grauen, die Dorfältesten, ihre Brotsäcke hingen. Und dann tagten sie in Bruns vor der St. Annenkapelle unter freiem Himmel, nach der Väter Sitte, und beschwuren den Bund, der dem alten Lande den neuen Namen gab, den Namen Graubünden, und daß der Bund bestehen solle, solange Grund und Grat steht. Davon gehen im Bündnerlande noch alte Lieder.