Siebentes Kapitel

Siebentes Kapitel

Noch war keine Spur des Morgens am Himmel, da lagen mehrere der jüngeren Schauspieler, denen es zu schwül im Hause geworden war, in ihre Mäntel gehüllt, schlafend auf den Stühlen und Bänken unter den Linden umher. Fabitz, der Komikus, welcher sich über den langen Tisch hingestreckt hatte, erwachte zuerst. Er blickte erschrocken in den Himmel, und da er an dem Stand der Gestirne bemerkte, daß es lange nach Mitternacht war, sprang er sogleich auf den Tisch hinauf und fing wie ein Hahn zu krähen an.

Da fuhr eine dunkle Gestalt nach der andern fröhlich in die dämmernde Nacht empor, schauernd und sich schüttelnd in der kühlen Luft. Lothario aber kam, schon ganz reisefertig, tiefer aus dem Garten und pochte lustig an die Haustür. »Glück auf!« rief er, »fröhliche Botschaft! Heraus da! Ich habe Fortunam beim Schopf!« – Nun fuhren schlaftrunkene Mädchengesichter neugierig aus den Fenstern, immer mehr Stimmen wurden nach und nach drinnen wach, Türen flogen heftig auf und zu, und bald glich das ganze Haus einem Bienenstocke, der schwärmen will.

Fortunat, von dem wachsenden Lärm aufgeschreckt, eilte gleichfalls hinab und fand schon die ganze Gesellschaft in der liebenswürdigsten Laune um Lothario versammelt. Dieser hatte nämlich in der Nacht durch einen Freund die Nachricht erhalten, daß der Fürst auf seinem eine Tagereise von hier gelegenen Jagdschlosse angekommen, wo er jeden Sommer einige Wochen hindurch sich den Freuden der Jagd und allerlei wunderlichen, romantischen Einfällen zu überlassen pflege. Dem Briefe lag zugleich eine Einladung des Fürsten an Herrn Sorti bei, mit seiner Truppe so schnell als möglich sich auf dem Schlosse einzufinden. – Dieser unerwartete Glücksfall verbreitete einen allgemeinen Jubel. Ein jeder schnürte eiligst sein Bündel, alle versprachen sich goldene Berge von dem reizenden Aufenthalt, die Männer Ruhm und gutes Leben, die Mädchen vornehme Liebschaften und Geschenke. Fortunat selbst, den sein Weg ohnedies an dem fürstlichen Schlosse vorbeiführte, beschloß, die Fröhlichen bis in die Nähe desselben zu begleiten.

Die aufgehende Sonne traf die muntere Karawane schon draußen auf den Bergen. Kamilla – so wurde die Dame mit dem Schirm genannt – schien Fortunaten ausweichen zu wollen und war daher mit Herrn Sorti auf dem Packwagen vorausgefahren. Die andern hatten in dem Städtchen einen Burschen gedungen, der sie auf den Fußsteigen durch den schönen Wald führen mußte, alle waren freudig aufgeregt und sprachen viel von den Festen auf dem fürstlichen Schlosse und den schönen Tagen, denen sie entgegenwanderten. Ruprecht schritt Tabak rauchend wieder voraus und intonierte an den schönsten Waldstellen zuweilen: »In diesen heiligen Hallen« oder eine andere würdige Baßarie, während Fabitz unermüdlich die mannigfaltigsten Vögelstimmen nachahmte. Lothario schweifte unterdes, seine Flinte auf dem Rücken, allein auf den Bergen umher, von Zeit zu Zeit hörte man ihn fern im Walde schießen, was jedesmal von der Gesellschaft mit einem lauten Hurra erwidert wurde. – Fortunaten aber war wunderlich zumute in der ungebundenen Freiheit. Er atmete fröhlich die kühle Waldluft, sich oft zurückwendend und des munteren Zuges erfreuend, wie die heiteren Gestalten mit ihren bunten Tüchern und phantastischen Reisetrachten bald über ihm auf überhängenden Felsen erschienen, bald tief im dunklen Grün wieder verschwanden.

Als die Sonne schon hoch stand, ruhte die Truppe auf einer schönen Waldwiese aus. Da kam plötzlich auch Lothario aus dem Walde zu ihnen. »Wer ist der fremde Herr hier in den Bergen?« fragte er rasch den Führer, »da ist so ein Kerl im Frack, der schlüpft schon die ganze Zeit über von Strauch zu Strauch, sieht sich manchmal nach euch um und flieht dann von neuem vor eurem Singsang und Geschnatter, wie ein Hase auf der Klapperjagd.« – »Das ist gewiß der Doktor«, erwiderte der Führer lachend, »der kam einmal mitten in einem Platzregen ins Dorf, wie vom Himmel gehagelt. Die Gegend gefiel ihm, es war grade ein Haus droben leer, da wohnt er seitdem darin, eine alte Frau aus dem Dorfe besorgt ihm das Essen. Am Abend aber, wenn die jungen Burschen und Mädchen vor den Haustüren sitzen, kommt er auch herab, und sie müssen ihm Lieder singen und Märchen erzählen, da hat er schon manche Maulschelle bekommen, wenn er die Mädchen heimlich in die Arme kniff. Aber es ist ihm nicht zu trauen«, fuhr der Führer fort, »er hat droben kuriose Bücher, da ist kein christlicher Buchstabe drin, lauter Zirkumflexe, wie wenn eine Spinne übers Blatt gelaufen wäre, und sooft er aus den Büchern murmelt, zieht sich an den Bergkoppen ein Wetter zusammen, dann hört man ihn drinnen im Hause laut sprechen und schimpfen, und ist doch kein Mensch bei ihm.«

In demselben Augenblick erblickten sie auch den Zauberer selbst in der Ferne, wie er soeben hastig den Berg hinanklomm, daß die Steine hinter ihm herabkollerten. – »Den muß ich doch sprechen!« rief Lothario, dem Fliehenden sogleich rasch nachsetzend. Fortunat und noch einige andere von der Gesellschaft schlossen sich neugierig an.

So verfolgten sie rasch die Spur des Fremden, der unterdes schon den Gipfel des nächsten Hügels erreicht hatte; nur seine Rockschöße sahen sie noch manchmal zwischen den Gebüschen fliegen, bis sie ihn zuletzt ganz aus den Augen verloren. Nach mühsamen Umherirren gelangten sie endlich an ein halbverfallenes, rings von hohem Unkraut umgebenes Haus, dessen Türen und Fenster fest verschlossen waren. – »Da ist er gewiß hineingeschlüpft«, sagte Lothario und klopfte an die alte Tür. Es erfolgte keine Antwort, aber im Innern des Hauses hörten sie ein gewaltiges Gepolter, als würden Tisch und Bänke hastig an die Türe geschoben. Lothario pochte von neuem, stärker und immer stärker. Da flog plötzlich oben eine Dachluke auf, und mit zornblitzenden Augen erschien in der Öffnung ein kleiner, lebhafter Mann, in dem Fortunat zu seinem Erstaunen sogleich den nächtlichen, seltsamen Geiger aus dem Weinkeller in Walters Städtchen wiedererkannte. – »Doktor! – Dryander!« riefen die Schauspieler überrascht aus.

»Was wollt ihr?« fuhr sie der Musikus von oben sehr heftig an. »Denkt ihr, ich werde aus den frischen Berglüften zu eurem dicken Lampendunst hinabkommen und das Volk lassen um das Publikum und das Rauschen der Wälder um eure Triller und Sentenzen? Geht hinunter und weint um Hekuba, wenn ihr nicht über eure eigene Misere weinen könnt!« – Hier sah er erst seine Zuhörer einen nach dem andern genauer an. »Entsetzlich«, sagte er nach einer kurzen Pause zu Ruprecht, »du schaust wie ein brennender Busch aus. – Und du, idealer, blaß verwaschener Musenbräutigam, redest du jede Magd noch Jungfrau an und forderst den Stiefelknecht in Jamben? – Aber dich, Barbar, der in Blut watet und von den Tränen des Publikums lebt, dich erkannt‘ ich gleich an der roten, tyrannischen Stirne wieder!« – Jetzt wurde er plötzlich auch Lotharion gewahr, er stutzte, und wie ein Morgenleuchten überflog es sein ganzes Gesicht, dann warf er schnell das Dachfenster zu. – Lothario aber hatte unterdes schon die morsche Tür eingerannt und über die umgeworfenen Stühle, womit sie verrammelt war, das Zimmer erreicht.

Als die übrigen eintraten, fanden sie beide in einem leisen, heftigen Gespräch, das Laub vor dem Hause verbreitete eine wunderbare, grüne Dämmerung über die kleine Stube, durchs offene Fenster hörte man den mehrstimmigen Gesang der zurückgebliebenen Schauspieler von unten heraufschallen:

Wir wandern wohl heut noch weit.
Wie das Waldhorn schallt!
O grüner Wald,
O lustige, lustige Sommerzeit!

Dryander war auf einmal wie verwandelt. »Das ist noch das alte Lied«, sagte er und schob ein paar Bücher in seine Rocktasche, »das hab‘ ich euch damals komponiert, um eure Affekte von den Wirtshäusern auf die schöne, erhabene Natur zu lenken. Seid ihr noch immer so durstig? Und lebt Kordelchen noch, den Kennern zur Freude und den Frauen zum Trotz?«

»O lustige, lustige Sommerzeit!«

Klang es wieder herauf. Da hatte der Doktor hastig wieder ein paar Bücher eingesteckt, nahm die Geige unter den Arm und setzte seinen Hut auf. Lothario stopfte ihm schnell noch ein Bündel Wäsche nach, die andern drängten ihn schon zur Tür hinaus, und so stiegen sie eilig mit dem Doktor die Höhe hinab.

Unten auf der Waldwiese fanden sie alles soeben schon im Begriff, wieder aufzubrechen. Ein allgemeiner Jubel begrüßte die Ankommenden, und alle umringten den wiedergefundenen Doktor, der früher einmal als Musikdirektor die Gesellschaft eine Zeitlang begleitet hatte. Dieser embrasssierte die alten Kameraden nach der Reihe durch, küßte dann der Dame Kamilla, die eben nicht sehr erfreut schien, ihn wiederzusehen, zierlich die Hand und half ihr, da Herr Sorti ängstlich zur Fortsetzung der Reise trieb, mit ausnehmendem Anstande auf den Rüstwagen.

Unter diesem Bewillkommnungsgetümmel bewegte sich endlich der Zug langsam weiter. Dryander aber mit seinen dick angeschwollenen Rocktaschen setzte sich an die Spitze desselben, ergriff seine Geige und spielte und sang, daß es weit durch den Wald erschallte:

Mich brennt’s an meinen Reiseschuhn,
Fort mit der Zeit zu schreiten
Was wollen wir agieren nun
Vor so viel klugen Leuten?
Es hebt das Dach sich von dem Haus,
Und die Kulissen rühren
Und streckten sich zum Himmel ‚raus,
Strom, Wälder musizieren!
Und aus den Wolken langt es sacht,
Stellt alles durcheinander,
Wie sich’s kein Autor hat gedacht:
Volk, Fürsten und Dryander.
Da gehn die einen müde fort,
Die andern nahn behende,
Das alte Stück, man spielt’s so fort
Und kriegt es nie zu Ende.
Und keiner kennt den letzten Akt
Von allen, die da spielen,
Nur der da droben schlägt den Takt,
Weiß, wo das hin will zielen.

Die Sonne stand schon tief und warf ihre letzten Strahlen zwischen den Baumstämmen schimmernd über die Wanderer, als diese durch die zierlichen Jägerhäuser und die im Walde sich kreuzenden Alleen daran erinnert wurden, daß sie dem Ziel ihrer Reise nicht mehr fern sein konnten. Von weitem vernahm man nun auch Waldhornsignale, einzelne Schüsse und Rufen dazwischen, wie das letzte Verhallen einer großen, weitverbreiteten Jagd. Die Gesellschaft wurde nun nach und nach stiller, jeder rückte sorgsam seine Kleidung zurecht und blickte erwartungsvoll vor sich in die Ferne hinaus. Fortunat aber fühlte sich unbehaglich überrascht, da nun das bisherige fröhliche Reiseleben plötzlich zum förmlichen Metier werden sollte.

Jetzt senkte sich der Weg allmählich ins Tal hinab, da sahen sie eine luftige Säulenhalle, rote Ziegeldächer und stille Wasserspiegel wechselnd aus der Tiefe aufblicken, immer geheimnisvoller, je weiter sie kamen, schimmerte es bald da, bald dort zwischen dem Grün herauf, durch die Wipfel aber leuchtete ein Gewitter, das sie im Walde nicht bemerkt hatten. Auf einmal schrien die Frauenzimmer kreischend auf, denn grade über ihnen, wie aus den Lüften, ließen sich plötzlich fremde Stimmen vernehmen und auf der in viele Klüfte zerspaltenen, fast unzugänglichen Felsenwand erblickte man zwei Schützen, die sich offenbar dort zwischen den Steinen verstiegen hatten. Der eine, ein kleiner, dicker runder Mann, der immer da, wo man ihn am wenigsten vermutete, wie ein Kürbis vom Felsen hing, trat beständig zu kurz, während sein überlanger, hagerer Begleiter jederzeit über sein Ziel hinausschritt. Dieser gab sich zum Ärger des andern, das Ansehn, ihm beizustehn, obgleich er selbst jeden Augenblick das Gleichgewicht verlor und so den Dicken erst recht mit ins Unglück brachte. Endlich konnten beide weder vor noch zurück mehr und begannen, aus Leibeskräften um Hülfe zu schreien. Da erschallte vom höchsten Gipfel ein mutwilliges Lachen. Die Abendsonne warf unter der schwarzen Gewitterwolke einen dunkelroten Glanz über die ganze Gegend, und in der scharfen Beleuchtung erschien droben plötzlich eine schöne, hohe Mädchengestalt zu Pferde, ein grünsamtenes Jagdkleid umschloß die schlanken Glieder, lange, weiße Federn wogten vom Barett über ihre Schultern hinab. Während ihr Pferd ungeduldig den Boden scharrte, betrachtete sie mit großen dunklen Augen die Erstaunten, die unwillkürlich die Unbekannte ehrfurchtsvoll begrüßten. Sie nickte mit dem schwarzgelockten Köpfchen kaum einen flüchtigen Dank, wandte sich dann rasch und war bald in den Abendgluten wieder verschwunden.

»Herrlich!« riefen mehrere von der Gesellschaft aus. – »Bei Gott«, sagte Lothario, die Reiterin mit durchdringenden Blicken verfolgend, »die haben gewiß heut wieder einmal ihren romantischen Tag!« – Unterdes waren die andern schon mit langen Stangen, Stricken und Leitern herbeigeeilt, und es gelang ihnen endlich, unter größerem Lärm, als eben nötig war, die beiden Verirrten Schützen glücklich auf die Ebene zu bringen. Diese waren indes übel zugerichtet, der eine hatte den Hut, der andere den Rockschoß droben gelassen, am abenteuerlichsten sah der Lange aus mit knappen, grauen Kamaschen und modernem Jagdkleid, halb Überrock halb Frack, fast lauter Tasche. Kaum aber sahen sie sich unten in Sicherheit, als sie, Gefahr und Dank vergessend, sogleich mit spitzigen Worten aufeinander losgingen. Jeder schob dem andern die Schuld zu, es schien, als habe die schöne Jägerin, der sie in verliebter Galanterie nachgesetzt, sie absichtlich in dieses Klippenlabyrinth verlockt. – So schritten beide, ohne sich um die Schauspieler weiter zu bekümmern, eilend dem Schlosse zu, und man hörte sie noch weit durch die Dämmerung zanken.

Jetzt aber fegte der Sturm alles zusammen, von allen Seiten sah man einzelne Jäger an den einsamen Waldesabhängen hernierdersteigen. Da begann es auch im Schlosse sich wundersam zu rühren, Türen wurden geöffnet und geschlossen, Bediente in bunten, reichen Livereien liefen die Marmortreppen auf und ab, die hellerleuchteten Fenster, hinter denen sich in prächtigen Gemächern einzelne Frauengestalten bewegten, warfen einen magischen Schein weit über den dunklen Garten. Dann wurde auf einmal alles still in der ganzen Runde, die Nacht und das Gewitter zog immer tiefer herein, Fortunat, der keine Lust hatte, wieder naß zu werden, war bereits allein nach der Dorfschenke geritten, die Schauspieler schimpften, sie hatten zu ihrem Empfange sich Triumphbogen geträumt, einholende Kammerjunker und den Fürsten von hohem Balkon ihnen entgegenwinkend. – Endlich sahen sie vom Schlosse her sich Fackeln durch den Waldgrund bewegen und erkannten bei den wirren Scheinen mit klopfenden Herzen die bunten Livereien der fürstlichen Bedienten. » Heda, ihr Herren Komödianten!« rief der eine, »wo Teufel steckt ihr denn?« – »Nun Gott behüt‘ uns!« – sagte ein anderer im Kreise umher leuchtend – »das hängt ja wie Meltau an allen Sträuchern, als hätt‘ es Plunder geregnet!« – Kamilla, höchst entrüstet, rauschte mit ihrem vornehmsten Anstande daher und ließ einiges von impertinenten Domestiken fallen. Da war aber nicht lange Zeit zum Ärgern und Händemachen. Denn der Gewitterwind wühlte schon in den Flammen der Fackeln und in den Tüchern der Damen, die Bedienten trieben zur Eile, Mäntel und Regenschirme flogen verworren durcheinander, und so wälzte sich alles in unordentlicher Flucht dem Schlosse zu.

Nur Lothario war zurückgeblieben, denn die schöne Jägerin mußte noch in den Bergen sein. Und er irrte sich nicht. Zwischen den Blitzen von Fels zu Fels, daß ihm schwindelte, lenkte sie mit kühner Gewandtheit ihr Pferd langsam den schmalen Steig hinab. Von dem letzten Abhange endlich wagte es einen verzweifelten Sprung und stürzte unten samt der Reiterin auf dem Rasen zusammen. In demselben Augenblick riß sie es gewaltsam wieder empor, beide hatten keinen Schaden genommen, nur der Zaum war entzwei. Da sprang Lothario rasch hinzu, ein langer Blitz beleuchtete plötzlich die ganze schöne Gestalt. »Wie das blendet!« rief er, während er, auf den Nacken des Pferdes gelehnt, ihr lächelnd unter dem Barett in die Augen blickte. – Sie sah ihn groß an – »da, die Kinnkette noch«, erwiderte sie kurz und stolz, dann, als er dan Zaum in Ordnung gebracht, drückte sie rasch die Sporen ein, und zwischen den roten Scheinen der Windlichter sah er ihren weißen Federschmuck, wie einen Schwan, durch die finstere Nacht dahinziehen.

Achtes Kapitel

Achtes Kapitel

Als Fortunat erwachte, blickte er erstaunt in einem hohen, vom Morgenrot schimmernden Gemache umher. Nach und nach erst besann er sich auf alles, wie er gestern noch vor Ausbruch des Gewitters aus der Dorfschenke in das fürstliche Schloß geladen worden, wie wunderbar da beim Widerschein der Blitze das Schloß in der Nacht aussah, das Getümmel dann im Hofe und wie darauf ein Bedienter ihn mitten aus dem Gewirre in dieses Gemach gewiesen. Hier hatte er durch das Fenster bemerkt, daß die übrigen Schauspieler nochmals weiterziehen mußten und beim trüben Schein einiger Windlichter einen dunklen Baumgang hinabführt wurden, bis zuletzt die Lichter, das Rumpeln des Reisewagens und die wohlbekannten Stimmen sich in dem Plätschern des Regens verloren, der nun plötzlich in Strömen herabstürzte.

Jetzt aber regte sich noch kein Laut, nur draußen blickten einzelne Flüsse und Landschaften mit funkelnden Kirchtürmen schon geheimnisvoll zwischen den hohen Bäumen herauf. Da kleidete Fortunat sich schnell an und eilte durch das stille Haus die breiten, dämmernden Marmortreppen hinab. Unter einer luftigen Säulenhalle, die von beiden Seiten mit hohen, ausländischen Blumen besetzt war, trat er in den prächtigen Garten. Hier war nach dem erfrischenden Regen der Morgen wie ein bunter Teppich ausgebreitet, auf dem das Schloß gleich einer schlummernden Sphinx noch rätselhaft ruhte. – Er wollte eben tiefer in das Grün hineingehen, als er überrascht in einiger Entfernung folgendes Lied singen hörte:

Aus Wolken, eh im nächt’gen Land
Erwacht die Kreaturen,
Langt Gottes Hand,
Zieht durch die stillen Fluren
Gewaltig die Konturen,
Strom, Wald und Felsenwand.
Wach auf, wach auf! die Lerche ruft,
Aurora taucht die Strahlen
Verträumt in Duft,
Beginnt auf Berg und Talen
Ringsum ein himmlisch Malen
In Meer und Land und Luft.
Und durch die Stille, lichtgeschmückt,
Aus wunderbaren Locken
Ein Engel blickt.
Da rauscht der Wald erschrocken,
Da gehn die Morgenglocken,
Die Gipfel stehn verzückt.
O lichte Augen, ernst und mild,
Ich kann nicht von euch lassen!
Bald wieder wild
Stürmt’s her von Sorg und Hassen
Durch die verworrnen Gassen
Führ mich, mein göttlich Bild!

Fortunat folgte dem Gesange, der von einem entfernten Flügel des Schlosses herzukommen schien. Die hohe Tür war nur angelehnt, er trat hinein und befand sich in einer schönen, großen Kapelle, die durch eine Kuppel erleuchtet wurde. Auf einem Gerüste stand dort ein Maler, welcher in dieser stillen, kühlen Einsamkeit, zwischen den von oben einfallenden Morgenlichtern und den halbvollendeten, betenden Gestalten mit ihren reichen, leuchtenden Gewändern, wie in dem Kelch einer wunderbaren Blume schwebte. Er hörte auf zu singen, als er unten den Fremden gewahrte, und wandte schnell ein munteres Gesicht zwischen umwallenden, braunen Locken aus seinem Himmel hinab. – »Glück auf!« rief ihm Fortunat, überrascht von der ganzen, unerwarteten Erscheinung, fröhlich zu, »das ist eine herrliche Werkstatt!« – Der Maler nickte lächelnd und fuhr in seiner Arbeit fort, kehrte sich dann aber, plötzlich abbrechend, wieder zu Fortunat: »Sind Sie nicht gestern abend mit den Schauspielern gekommen?« – »Ja, und zugleich von ihnen abgekommen, ich weiß nicht wie«, erwiderte Fortunat. – »Oh, die sind gar nicht weit«, sagte der Maler. »Und eigentlich ist auch heut Aurora zu schön, um ihr hier ins Gesicht zu klecksen, ich will Sie lieber gleich zu Ihren Kameraden führen.« – Bei diesen Worten hatte er rasch Pinsel und Palette weggelegt und kam die Leiter herab. Es war ein kecker, vollwangiger Jüngling mit bloßem Hals und knappem, sehr zierlichen deutschen Rock. Er verschloß die Tür, da sie hinaustraten, und führte Fortunat eilig durch den Baumgang, in welchem gestern nacht die Schauspielergesellschaft verschwunden war. »Das muß ein glückliches Leben sein«, sagte er, »wie oft hab‘ ich mir schon gewünscht, so mit fröhlichen Gesellen ins Blaue hineinzuziehen! Wir Maler sind überall an Ort und irdisches Material gebunden. Da sind die andern Künstler besser dran, zumal der Dichter. Die ganze schöne Welt ist sein Revier, und wo er singt, ist der Himmel. – Aber da sind wir schon!« unterbrach er sich hier. »Sehn Sie dort. Es ist eigentlich ein altes Gartenpalais, das lange wüst und verlassen stand. Ich wohne auch drin, seit ich hier male, nun hat der Fürst auch die Gesellschaft mit hineinquartiert. Hören Sie doch, was für ein Rumor darin! Das ist ja wahrhaftig wie eine Menagerie, wo unzählige Loris und Papageien durcheinanderkreischen und manchmal eine alte Hyäne dazwischengähnt.«

Fortunat erblickte nun am Ende des Baumganges einen weiten, grünen Platz, wo mehrere Figuren von Buchsbaum, halbzertrümmerte Statüen und vertrocknete Wasserkünste einen ehemaligen französischen Garten andeuteten, der jetzt nur noch durch einzelne Kaiserkronen und dunkelglühende Päonien seltsam an die alte Herrlichkeit erinnerte. Im Hintergrunde stand ein alter, schwerfälliger, von der Zeit gebräunter Palast, dessen vornehme Gesimse mit Verachtung auf die aus den Fenstern flatternde Wäsche und auf Kordelchens Regenschirm herabzublicken schienen, den sie vor ihrem Schlafzimmer als Markise ausgespannt hatte.

Fortunat trat mit dem Maler hinein und begrüßte seine lustigen Reisegefährten, die vor Freuden auch nicht mehr schlafen konnten und sich hier nach jahrelangem, dunklem Umhertreiben in den Dachstübchen kleiner Städte sehr behaglich und laut in dem ungewohnten Glanze sonnten. Ein großer Saal mit Stuckverzierungen, verblichenen Tapeten und einem altväterischen Billard in der Mitte diente ihnen zum Versammlungsplatz, und wenngleich die Boursen des Billards zum Teil vom Zahn der Zeit schon abgenagt waren, so hatten die erfindsamen Geister doch sogleich ihre eigenen, ohnedies ziemlich überflüssigen Geldbeutel daran geheftet, und schnitten ihre Karoline mit mehr Behagen als Geschicklichkeit. Nur Kordelchen erwies sich als Meisterin, wobei sie, in gewandten Stellungen über der grünen Tafel schwebend, ihr zierliches Figürchen zu zeigen willkommene Gelegenheit hatte.

Der enthusiastische Maler begann sogleich eine Partie mit ihr, und Fortunat wollte eben Lotharion aufsuchen, den er in der Gesellschaft vermißte, als der sonst friedfertige Komiker Fabitz plötzlich mit einem seltsamen jungen Manne, mit welchem er draußen in Zank geraten, in den Saal hereinstürzte. Der junge Mensch trug die altdeutsche Tracht, deren verschossenes Schwarz aber schon bedeutend ins Gräuliche spielte; lange, grobe Haare hingen ihm von beiden Seiten bis über die Schultern herab und gaben dem langen, eckigten Gesicht ein gewisses antiquitätisches Ansehen. Es ergab sich, daß er gleichfalls ein Maler, namens Albert, war, der auf seiner Rückreise von Rom hier seit einiger Zeit Beschäftigung und günstige Aufnahme gefunden. Dieser hatte nun kaum in Erfahrung gebracht, daß bei der eben angekommenen Gesellschaft ein Herr Fabitz den Kasperl zu spielen pflege, als er sogleich mit wahrem Missionarieneifer auf den Unglücklichen losging und ihm über das Unwürdige, Verkehrte und daher Unhaltbare seines Kunstgewerbes die gemessensten Vorstellungen machte. Er sprach viel vom ernsten Norden, wo die edlen Eichen höherer Bildung solch niederes Unkraut gar nicht aufkommen ließen, ja eine norddeutsche Zunge, wie die seinige, entsetzte sich schon vor dem barbarischen Laute: Kasperl! Fabitz dagegen meinte, er kenne zwar von den nordischen Zungen bloß die geräucherten, die langen, norddeutschen Kaspars aber seien wahrscheinlich nur zu langweilig, um auf das Theater gebracht zu werden. – Zuletzt aber, da ihm die ganze Erscheinung des Norddeutschen etwas Neues war, überwältigte ihn sein Naturell. Unwillkürlich nahm er nach und nach, Zorn und Streitpunkt vergessend, die wunderliche Haltung, Gesicht und Stimme seines Gegners, der in seinem fanatischen Eifer nichts davon merkte, selber an und focht so verzweifelt in aufgeschnappten, hochtrabenden Sentenzen, daß sein Gegner ganz konfus wurde. – Kordelchen hatte schon lange vom Billard zugehorcht. »Allerliebster Narr«, rief sie nun hinzuspringend aus und gab ihm einen herzhaften Kuß. »Pfui! Wenn er nur nicht so häßlich wäre!« sagte sie dann, sich den Mund schnell abwischend.

Währenddes hatte sich, ohne von dem Streit Notiz zu nehmen, ein kurzer, runder Mann zu Fortunaten gesellt, der sich ihm als den fürstlichen Schulrat vorstellte, und in welchem er sogleich den dicken Schützen wiedererkannte, dem sie gestern vom Felsen geholfen. Fortunat wußte gar nicht, wie ihm geschah, da der Kleine auf einmal sehr gelehrt von Poesie, Kunst und Religion zu sprechen anfing und sich endlich angelegentlich erbot, ihn in den wenigen Augenblicken der Muße, die ihm blieben, mit den mancherlei Merkwürdigkeiten des Orts bekannt zu machen. Kaum hatte der kämpfende Maler Albert den Schulrat erblickt, als er vornehm den Streit abbrach und sich zu ihnen wandte. – »Vortrefflich«, sagte der Schulrat, sich an Fortunats Arm hängend, »so geleite ich Sie gleich zu einem Götterfrühstück, womit ich mich jeden Morgen für meine Berufsgeschäfte zu stärken pflege.« – So schritten sie eilig durch einen langen Korridor zu einer schweren, eichenen Tür, die Albert mit einer gewissen Feierlichkeit öffnete. Es war sein Atelier, ein hohes, ritterliches Gemach, an dessen schmuckloser Hauptwand ein großes, mit der Jahreszahl 1813 bezeichnetes Schwert hing, um das sich ein verwelkter Eichenkranz wand. »Das ist mein treuer Reisegefährte«, sagte Albert zu Fortunat, »und wenn mich schlaffe Ruh oder weichliche Lust überschleichen wollen, blick ich die Eisenbraut an und gedenke der ernsten, großen Zeit.« – »Ach, das ist schon eine alte Geschichte!« entgegnete Fortunat lachend. – »Sind Sie damals mit zu Felde gewesen?« fragte der Maler etwas spitzig. – »Freilich«, erwiderte jener, »das versteht sich ja aber ganz von selbst.«

Inzwischen befand sich der Schulrat schon mitten unter Alberts Arbeiten, die in dem Gemach umherstanden und von dem erstaunenswerten Fleiße des Malers zeugten. Da waren die ungeheuersten Anstalten zur Kunst: Gliederpuppen, sorgfältig gefaltete Mäntel, Modelle und Büsten, dazwischen mehrere vollendete Bilder, Historienstücke aus der antiken Heroenzeit von sehr zusammengesetzter, studierter und nicht leicht faßlicher Komposition. »Göttlich!« rief der Schulrat einmal über das andere aus, während er mit Kennermiene beschäftigt war, jedes Bild genau in das rechte Licht zu stellen. »Sehen Sie den ätherischen Hauch des Inkarnats, die Perspektive, diesen klassischen Ausdruck!« – »In der Tat, ein philosophischer Pinsel«, erwiderte Fortunat. Denn diese anmaßlichen, affektierten Heldengestalten voll Männerstolz und Männerwürde wollten ihm nicht im mindesten behagen, und die Jungfrauen mit ihrer langgesstreckten, anmutlosen Tugendlichkeit kamen ihm gar wie gemalte Begriffe der Jungferschaft vor.

»Nun, ich muß mich nur wieder mit Gewalt losreißen«, sagte endlich der Schulrat, seinen Hut ergreifend, »ernstere Gesschäfte rufen mich. – Ein Genie!« flüsterte er, im Fortgehen auf Albert deutend, Fortunaten zu. – »Ein tiefer, umfassender Geist!« sagte Albert, als der Schulrat verschwand.

Fortunaten aber hatte unterdes eines von den kleinern Bildern angezogen. Man sah Rom in der Ferne mit seinen phantastischen Trümmern und Palästen in der vollen Glut des südlichen Abendhimmels. Im Vorgrunde, von Rom fort, schritt einsam durch das schon dunkelnde, öde Feld ein einzelner Mann mit antikem Faltenwurf des Mantels und feierlich ernster Miene, an der Fortunat sogleich den Maler selbst erkannt hätte, wenn er auch nicht zum Überfluß noch mit dem obengedachten Schwerte vom Jahre 1813 umgürtet gewesen wäre. – »Aber warum in aller Welt kehren Sie dieser leuchtenden Wunderpracht hier so eilfertig den Rücken?« fragte er erstaunt. – »Dieses Bild«, erwiderte Albert, mit seinem allerlängsten Gesicht, »bezeichnet eigentlich die dunkle Führung überhaupt, die in meinem Leben waltet. Rom ist herrlich, und ich nahte voll Ehrfurcht den alten Heldenmalen. Aber das leichtsinnige Geschlecht und das Klingeln der Bonzen über den Gräbern versunkener Größe störte und empörte mich. Ich konnte mich den Anmutungen des Aberglaubens, auch nur zum Scheine, nicht gefällig erweisen und hatte beständig Verdruß. Dazu kam, daß das Geschick meines deutschen Vaterlandes, wo eine neue, große Zeit sich ausgebärt, heimlich an meinem Herzen fraß, ich hatte nirgends Ruhe. Meine Kameraden gefielen sich dort bald höchlichst – ich aber ermannte mich zur rechten Zeit und flüchtete vor den gleißenden Schlingen doppelter Knechtschaft nach dem ernsten, heimatlichen Norden.«

»Norden?!« – rief Fortunat erschrocken über dieses plötzlich wiederkehrende Lieblingsthema des Malers aus und griff hastig nach seinem Hute. Albert, welcher dies für eine Aufwallung übereinstimmender Empfindung halten mochte, drückte ihm stumm die Hand, aber mit so seltsamer Kreuzung der Finger, daß es Fortunat sogleich für das heimliche Zeichen irgendeines ihm fremden Bundes erkannte. Fortunat besann sich nicht lange, sondern erwiderte den Druck, zu Alberts Verwunderung, mit noch abenteuerlicheren Handgriffen und stürzte dann ins Freie hinaus.

»Verdammte Wirtschaft!« rief er draußen, durch den Baumgang eilend, »überall vertreten einem solche lange Gesichter das Morgenlicht! Lassen sich da von irgendeinem kritischen Kleinmeister eine angeräucherte Brille aufheften, womit sie dann in alle Welt gehen, die Völker zu richten. So zieht das Geschmeiß, wie die Wanderraupen, durch den Glanz der Länder in stillem Wahnwitz fort, wenn es sonst Wahnsinn ist, die Dinge anders anzusehen, als sie wirklich sind!« – Zuletzt mußte er selbst laut auflachen über den wunderlichen Zorn, in den ihn das Larven-Kunstkabinett des Malers versetzt hatte. Die Morgensonne spielte golden durch die Wipfel der Bäume, und unzählige Vögel sangen. Er blickte fröhlich umher und fand, daß die Welt trotz aller Narren so schön und lustig blieb, wie sie war.

Neuntes Kapitel

Neuntes Kapitel

Es war schön anzusehen, wie auf der luftigen Rampe des Schlosses, die gleich einer Blumenzinne weit über die Wälder hinausragte, schlanke Frauengestalten und bunte Uniformen zwischen den dunklen Orangenbäumen hervorschimmerten. Oben saßen die Fürstin, Herren und Damen in der heiteren Morgenkühle auf buntgestickten Feldstühlen umher, die Abenteuer der gestrigen Jagd besprechend. Mehrere Bände von Shakespeare mit funkelndem Goldschnitt lagen auf einem zierlichen Tischchen, Notenhefte und eine Gitarre daneben; der Morgenwind blätterte lustig darin und ging durch die Saiten, daß es von Zeit zu Zeit zwischen dem Plaudern und Lachen einen fröhlichen Klang gab. – Weiter zurück aber standen die zur Musterung heraufbeschiedenen Schauspieler in ihren besten Feierkleidern, ganz verwirrt unter den Fürsten und Grafen, die sie doch so oft auf ihren Brettern gespielt hatten. Vergebens suchten sie unter den fremden Gesichtern den geraden Kriegshelden, den schlauen Beichtvater, den falschen Minister, Herr Sorti vergaß darüber ganz seine wohlersonnene, altmodische Anrede, sie fanden alles anders, als sie sich’s unten eingebildet hatten. Mit ehrerbietiger Neugier blickten sie zuweilen seitwärts durch die offene Tür in die prächtigen Gemächer hinein, aus denen der glatte Fußboden, hohe Spiegel und Statüen zwischen bronzenen Kandelabern geheimnisvoll glänzten. Manches junge Herz aber wünschte sich hundert Meilen von hier, denn unter der Terrasse pfiffen die Vögel lustig in der alten Freiheit, und zwischen den Wipfeln blickte die Landschaft so heiter herauf, als riefe es: kommt nur wieder hinunter, da draußen ist’s doch viel schöner!

Der Fürst, ein junger, schöner Mann in bequemer Jagdkleidung, war unterdes zu ihnen getreten und entschuldigte seine gestrige Vergeßlichkeit so leicht und vornehm, daß sie ihm für ihren schlichten Empfang noch danken mußten. Er belobte Herrn Sorti über die Eile, mit der er seiner Einladung gefolgt, und wußte in aller Geschwindigkeit durch Andeutungen seltner Belesenheit und Sachkenntnis allen zu imponieren. Dazwischen blickte er manchmal verstohlen nach Kordelchen, die das auch sogleich bemerkte und, schlau ihre Augen niederschlagend, die Verwirrte spielte. Kammerherren, junge Offiziere und Jagdjunker mischten sich nun mit in die Unterhaltung, die Schauspieler wollten in auserlesenen Redensarten ihren Weltton zeigen, die Mädchen waren naiv, die Junker charmant, zwischen ihnen und den Feldstühlen der Damen flogen häufig französische Witzworte, wie zierliche Pfeile, über den glatten Boden hin und her, deren Zielscheibe eben nicht zweifelhaft war. Unter ihnen fiel der lange Schütz von gestern am meisten auf, ein reisender Lord, der überall wie ein Kamelhals mit seiner Lorgnette über die andern hervorragte. Er versicherte jeden seiner Protektion und sprach immerfort von Kunst und dramatischer Kunst und mimischer Kunst in so wunderlichem Deutsch, daß einer den andern nicht verstand.

Die Konfusion aber wurde noch immer größer. Denn seitwärts hinter einer phantastischen Palme, auf deren breiten Blättern ein Papagei linkisch auf und nieder kletterte, stand die kühne Reiterin von gestern und neckte, wie es schien recht absichtlich, den Vogel, dessen durchdringendes Gekreisch jeden Augenblick den galanten Diskurs verstörte. Sie beachtete die Komödianten nicht, aber zuweilen funkelten ihre Blicke zwischen den Zweigen nach Fortunaten und Lothario herüber, welcher den ersteren mit heraufgeschleppt und soeben der Fürstin als einen geistreichen, nur erst kürzlich zu ihnen gestoßenen Volontär vorgestellt hatte. Die Fürstin, eine junge, schmächtige Dame mit schwarzem Haar, bleichem Gesicht und feurigen Augen, in graziöser Lebhaftigkeit bald zu diesem, bald zu jenem Herrn ihres Gefolges plaudernd zurückgewandt, nun witzig, dann sinnig, dann wieder gelehrt, wechselte in wenigen Minuten verschwenderisch alle Farben der neuesten Bildung. Dazwischen blickte sie oft Fortunaten fast lauernd an, als wollte sie prüfen, welchen Ton sie ihm gegenüber eigentlich anschlagen sollte. Sie schien es wunderbarweise recht ausschließlich auf den Beifall des unbekannten jungen Mannes abgesehen zu haben, der sich, wie in einem plötzlichen Feuerwerk, vor den Raketen und steigenden Leuchtkugeln dieser Unterhaltung gar nicht zu fassen und zu retten wußte. – Dem Fürsten aber waren die Blicke der Gräfin Juanna – so nannte man die schöne Jägerin – nicht entgangen, er wurde auf einmal verstimmt, und entließ schnell die Schauspielergesellschaft. »Das ist ein lustiges Metier«, sagte er dabei noch mit besonderem Nachdruck zu Fortunaten, »sich so täglich in einen andern zu verwandeln, gestern ein Graf, heute ein Schauspieler und immer ein Poet.« – »Ganz interessant«, meinte die Fürstin, »die Exposition ist romantisch, die Motive lassen sich ahnen, ich bin nur auf den letzten Akt begierig.« – Fortunat war ganz verwirrt, noch mitten in dem Getümmel des Abschiednehmens konnte er bemerken, wie die Fürstin der unterdes hinzugetretenen Gräfin Juanna sehr lebhaft etwas zuflüsterte, das ihm zu gelten schien. »Also dieser?« – sagte die Gräfin, den schönen Mund spöttisch aufwerfend. – Und wie sie so fortgingen und die Terrasse hinter ihnen versank und nur noch Juanna an dem marmornen Geländer hoch über dem schönen, weiten Kreise der Wälder stand, da war es, als sei sie die Fürstin hier, der alle andern dienten.

Die Schauspieler schritten nun eifrig schwatzend durch den Garten, die meisten waren ganz begeistert und wie berauscht, andere, die sich zurückgesetzt glaubten, sprachen von drückender Hofluft und dem schlüpfrigen Boden der vornehmen Welt. Fortunaten aber fiel nun erst alles auf: seine gestrige Aufnahme im Schloß, vorhin die Dienstfertigkeit des Schulrats, die Reden der Fürstin und Juannas letzter Ausruf. – Sollten sie den reisenden Baron in mir wittern? dachte er, kennen mich doch die Schauspieler selbst nicht, wie sollten die droben es wissen!

Am Abend desselben Tages ruhte er mit Lotharion auf dem grünen Abhange einer Höhe und schaute fröhlich über die Wälder in die weite, fruchtbare Gegend hinaus, in die er nun bald selbst mit dem blauen Strome hineinziehen sollte. Lothario, immer rastlos umherschweifend, hatte in der kurzen Zeit alle verworrenen Verhältnisse ihres neuen Aufenthalts schnell überblickt und entwarf nun in seiner Art eine Musterkarte davon. »Der Fürst«, sagte er, »ist ein erstaunlicher Virtuos, er spielt die schwierigste Romantik vom Blatt weg, ohne eben selbst zu komponieren. Die Fürstin ist ganz und gar sinniger Roman, durch viele Hände gegangen, schon sehr zerlesen; ich glaube, der lange Lord studiert sie jetzt. Diese wilde, schöne Gräfin dann, die ihnen wie ein Hirsch durch alle ihre künstlichen Gehege bricht und die Meute Liebhaber hinter sich für Hunde hält – wahrlich, so scheues Wild weckt recht das Jagdgelüste!« – »Nimm dich in acht«, entgegnete Fortunat; »was mich betrifft, so kümmert’s mich wenig, wie sie sind, das Ganze zusammen macht sich doch schön, und mehr verlang‘ ich nicht von ihnen.« – Lothario sah ihn ein Weilchen fast ärgerlich an. »Ich begreif’s nicht«, sagte er dann, »wie ihr Dichter es vor Langerweile aushaltet, so ein dreißig bis fünfzig Jahr auf der ästhetischen Bärenhaut rücklings über zu liegen und Kriegstrubel, Philosophie, wilde Jäger und singende Engel wie ein Wolkenspiel über euch dahinziehen zu lassen, um daraus ganz gemächlich ein paar dicke Romane zusammenzuschreiben, die am Ende niemand liest. Zum Teufel, ich bein keine Äolsharfe, die nur Klang gibt, wenn ein Poet ihr Wind vormacht! Is das Leben schön, so will ich auch schön leben und selber so verliebt sein wie Romeo und so tapfer wie Götz und so tiefsinnig wie Don Quixote. Um die Schönheit will ich freien, wo ich sie treffe, und mich mit den Philistern drum schlagen, daß die Haare davonfliegen. Warum sollte man so ein lumpiges Menschenleben nicht ganz in Poesie übersetzen können?« – »Du bist ein wunderlicher Mensch«, unterbrach ihn Fortunat, »ich glaube, du könntest ein großer Dichter sein, wenn du nicht so stolz wärest.« – »Ich?« – erwiderte Lothario fast betroffen und sah einen Augenblick nachdenklich vor sich hin.

Hier wurden sie auf einer weiter ins Land hinaus gelegenen Anhöhe mehrere der Schauspieler gewahr, die soeben zwischen den Gebüschen emporsteigen und sich gleichfalls an der schönen Aussicht zu ergötzen schienen. Sie konnten deutlich unterscheiden, wie Herr Ruprecht sein altes Perspektiv gemächlich aus dem Futteral nahm, es wie ein Fühlhorn bald weit ausstreckte, bald wieder einzog und damit in die Ferne zielte. Bald aber schienen sie unten etwas Besonderes auf dem Korn zu haben, das Fernrohr ging eilig aus Hand in Hand, und Fortunat bemerkte nun auch seinerseits einen Fußgänger im Tal, welcher bequem zwischen Wiesen und Büschen daherkam, zuweilen stehenblieb und sich nach den schönen, abendroten Gründen heiter zurückwandte, dann zufrieden wieder weiterschlenderte. Auf einmal erhoben die Schauspieler ein wütendes Freudengeschrei und winkten mit Perspektiv und Hüten und Schnupftüchern. Jetzt schien auch der Wanderer sie zu erkennen, er warf jubelnd seinen Hut hoch in die Luft und schritt dann eilig den Berg hinan. – »Wahrhaftig, den sollt‘ ich kennen!« rief Fortunat ganz erstaunt aus. – »Gott schütz‘, gewiß noch ein Dichter!« entgegnete Lothario, indem er aufsprang und ohne weiteres in den Wald hineinging.

Fortunat eilte sogleich zu den Schauspielern hinüber. Aber eine tiefe Kluft lag dazwischen; er verlor sie im Walde bald aus dem Gesicht und wußte nicht, wo er war, als auf einmal der Wanderer, der gleichfalls den nächsten Weg gesucht und den rechten verfehlt hatte, sich mühsam neben ihm durch das Gestrüpp hervorarbeitete. »Fortunat!« rief er höchst überrascht und sichtbar verlegen aus, da er den alten Bekannten erblickte. »Mein Gott! Otto!« erwiderte jener, »wie kommen Sie hierher?« – »Ich« – sagte der Student ganz verwirrt – »ist denn das nicht der fürstliche Park, wo die Schauspielergesellschaft des Herrn Sorti«

Fortunat aber hatte keine Zeit mehr zu antworten, denn um eine Waldecke sahen sie plötzlich einen ganzen Haufen Lumpengesindel von weitem auf sich zuwanken, das sie im ersten Augenblick für Zigeuner erkannten. Sie schienen untereinander in Händel geraten zu sein und kamen in vollem Zanke daher, einige von ihnen waren bemüht, von hinten einen widerspenstigen Esel vorzuschieben, auf dem eine seltsame, phantastisch geschmückte Weibergestalt saß, die voll Zorn nach den ungestümen Treibern zurückschimpfte. Wie eine Zigeunerkönigin hatte sie ihr langes, zottiges Haar mit einer Schnur von Gold und Edelsteinen oben in ein Krönchen zusammengefaßt, in den Ohren trug sie schwere Gehenke von geschmelzter Arbeit, ihre Schabracke war von Scharlach, das grüne Kleid mit silbernen Posamenten verbrämt, und ihr schneeweißes Hemd an den Nähten mit schwarzer Seide nach böhmischer Art ausgenäht, woraus sie hervorschien, wie eine Heidelbeere aus der Milch. – Jetzt erst erkannte Fortunat in dem Gesindel nach und nach die Gesichter der Schauspieler, ohne zu begreifen, wie sie zu dem Narrenstreiche kamen. Seitwärts bemerkte er nun auch Kamilla, welche die Rolle der Preziosa übernommen zu haben schien, wozu sie ihre große, noble Figur besonders geeignet glaubte. Sie schwärmte abgesondert von den andern, eine Gitarre im Arm, und sang: »Einsam bin ich nicht alleine.« Aber sie blieb doch allein, denn alles lief einer jungen, schönen Zigeunerin nach, die plötzlich wie ein wildes Reh aus dem Walde brach. Die pechschwarzen Haare hingen glänzend über Stirn und Wangen, ihr Gesicht war wie eine schöne Nacht. Sie blieb dicht vor Otto stehen und funkelte ihn neugierig mit den Augen von oben bis unten an. »Wußt‘ ich’s doch«, sagte sie dann, »daß es so kommen wird.« – Es war Kordelchen. »Silentium!« hörte man nun auf einmal die abenteuerliche Gestalt durch das Getümmel rufen, die unterdes auf ihrem Esel herangekommen war. »Ei, mein schöner, weißer, junger Gesell«, redete sie Otton an, »was machst du hier? Wo kommst du so allein daher?« – Der Esel, der unterwegs ein Maul voll Gras genommen, sah die Gesellschaft, seine lange Ohren schüttelnd, ruhig an und hieb mit dem einen Hinterfuß nach den Komödianten, die ihn heimlich zwickten. Otto aber, von der allgemeinen Lust mit angesteckt, antwortete: »Meine großmächtige Frau Libuschka, ich komme von Haus und bin willens, in der Welt ein mehreres zu studieren oder einen Dienst zu bekommen, denn ich bin ein armer Schüler.« – »Daß dich Gott behüte, mein Kind!« versetzte die alte Zigeunerin » – »aber zum Teufel! Laßt die Faxen, ich falle wahrhaftig herunter!« rief sie dazwischen den Schauspielern plötzlich mit grober Stimme zu, an der Fortunat sogleich Herrn Ruprecht erkannte. Dieser aber ließ sich dadurch nicht irremachen. »Wann du Lust hast, bei uns zu bleiben«, fuhr er fort, »so ist der Sache bald abgeholfen.« – »Ich will noch ein paar Tage mit mir selbst zu Rat gehen«, erwiderte Otto, »des Studierens und Tag und Nacht über den Büchern zu hocken, bin ich schon vorlängst müd worden.« – »Du hast einen weisen Menschensinn, mein Sohn«, versetzte hier Ruprecht, »und kannst hierbei leicht abnehmen und probieren, was unsere Manier vor anderer Menschen Leben für einen Vorzug habe, wenn du nämlich siehst, wie wir hier in unserer Freiheit auf den alten Kaiser leben, wie die Marder und Füchse. Was ist Reichtum, was ist Geld, Habe? Wenn ich’s nicht habe, acht ich’s für gar nichts, und wenn ich’s habe, schmeiß ich’s gleich wieder weg. Man muß immer als Philosoph denken, glaube einem alten Genie, mein Sohn, und werden die Lichter ausgeputzt und es kommt die Nacht und die Schlafenszeit, so sind doch alle wieder gleich, Zigeuner und andere Leut‘!«

»Oho!« riefen hier die anderen darein, denen der Sermon schon zu lang wurde, »eine moralische Libuschka! Eine philosophische Zigeunerin!« Ruprecht schimpfte sie ganz erbost Ignoranten, die wie Ochsen mit eingelegten Hörnern ins Blaue hineinrennten. Aber sie hörten nicht auf ihn. Ein paar rüstige Gesellen erwischten Otton bei den Beinen, und schwangen ihn vor die Frau Libuschka auf den Esel, den Kordelchen unterdes mit bunten Bändern ausgeschmückt hatte; andere faßten die Zügel, und so wälzte sich der ganze tolle Zug nach dem Gartenpalaste hin.

Hier aber wurden sie selbst überrascht, die Zurückgebliebenen hatten sich schnell verkleidet und unter den Bäumen bunte Zelte aufgeschlagen, so lagen sie an lustigen Feuern umher, und zu Fortunats Verwunderung kam es nun nach und nach heraus, daß sie Otton als ein neues Mitglied ihrer Truppe heute hier erwartet hatten. Unter ihnen erwies sich Guido besonders geschäftig, der junge, hübsche Maler aus der Kapelle, der in seiner sorgfältigen Zigeunertracht sich selbst sehr hübsch zu finden schien und, von Zeit zu Zeit Kordelchen feurige Blicke zuwerfend, wohlgefällig sein Schnurrbärtchen strich. Er hatte brennende Pechkessel besorgt und war eifrig bemüht, die phantastischen Gestalten malerisch um die Flammen zu gruppieren und überall die rechten Lichteffekte anzubringen. Er mußte indes gar bald alles gehenlassen, es war schlechterdings keine Ordnung und kein künstlerisches Motiv hineinzubringen. Über dem dunkelen Berge aber trat plötzlich der Mond aus einer Wolke und beschien die stillen Wälder und Gründe; da war auf einmal alles in der rechten, wunderbaren Beleuchtung: das öde Haus, der altmodische, halbverfallene Garten, die wildverwachsenen Statüen und die abenteuerlichen Gestalten, die auf den Bassins der vertrockneten Wasserkünste umhersaßen, wie eine Soldatennacht im Dreißigjährigen Kriege. – »Preziöschen!« rief Fortunat Kordelchen zu, »bellt von fern ein Hund liegt ein Dorf im Grund, schläft Bauer und Vieh, gibt was zu schnappen hier!« – Kordelchen antwortete munter: »Heult der Wolf in der Heid‘, ist mein Schatz nicht mehr weit; stellt aus die Wacht, gibt heut eine gute Zigeunernacht.« – »Willewau, wau, wau, witohu!« riefen die andern jauchzend dazwischen. Kordelchen aber schwang plötzlich ein Tamburin, daß es schwirrte, tanzte mit ihren roten polnischen Stiefeln auf zigeunerisch und sang dazu:

Am Kreuzweg, da lausche ich, wenn die Stern
Und die Feuer im Walde verglommen,
Und wo der erste Hund bellt von fern,
Da wird mein Bräut’gam herkommen.
Fortunat antwortete lustig:
Und als der Tag graut‘ durch das Gehölz,
Sah ich eine Katze sich schlingen,
Ich schoß ihr auf den nußbraunen Pelz,
Die macht‘ einmal weite Sprünge!
Kordelchen sang wieder:
’s ist schad nur ums Pelzlein, du kriegst mich nit!
Mein Schatz muß sein wie die andern:
Braun und ein Stutzbart auf ungrischen Schnitt
Und ein fröhliches Herze zum Wandern.

Hier schlug sie das Tamburin dem Ruprecht, der ihrem Tanze verliebt zusah, dröhnend an den Kopf und setzte sich, in der Tat wie ein Kätzchen, dem träumerischen Otto auf den Schoß.

»Weißt du« sagte sie, ihre Haare aus dem erhitzten Gesicht schüttelnd, »weißt du noch, wie wir uns zum erstenmal sahen? Du kamst vom Giebichenstein herab mit einem studentischen Helm, daß der Federbusch dir in die Augen hing; damals gefielst du mir besser als jetzt so mit dem närrischen Frack.« – Otton war’s bei diesen Worten, als tauchte seine ganze, schöne Jugendzeit wieder vor ihm auf, das Mädchen war nur so wild, das störte ihn heimlich. – »Es war in den ersten Frühlingstagen«, sagte er, »überall zogen Studenten durchs Grün, du saßest auf der Bank vor dem Wirtshause unter den Linden und spieltest die Harfe.« – »Ja, ja«, fiel ihm Kordelchen in die Rede, »und du glaubtest, ich spielte für Geld, und setztest dich neben mich und drücktest mir einen Taler in die Hand.« – »Und du«, versetzte Otto, »besahst verwundert das Geld, dann stecktest du’s lachend ein, gabst mir schnell einen Kuß und verschwandst im Hause, und ich sah dich nicht mehr wieder. Ach Kordelchen! nun ist ja alles, alles wieder gut, und« »Nun und was denn?!« rief Kordelchen lustig, sprang schnell auf und verlor sich in dem dicksten Haufen.

Kamilla, die es mit angesehen, ging eben vornehm vorüber und sprach halbleise von wilden Waldbeeren, womit man Gimpfel fange. Otto aber hielt sich nun nicht länger und fiel ganz glückselig dem Fortunat um den Hals. »Ach«, rief er aus, »ich bin so von Grund der Seele vergnügt, wie ein Vogel in der Luft!« – Sie gingen miteinander auf den mondbeschienenen Gängen weit fort, daß sie die Stimmen der Schauspieler kaum mehr vernahmen, und Otto erzählte nun, wie entsetzlich einsam es nun auf Hohenstein geworden, nachdem Walter und Fortunat fortgezogen. Er habe sich gleich nach ihrer Abreise mit redlichem Ernst und Eifer ganz auf die Bücher geworfen, nichts anderes gedichtet und getrachtet und selbst jede Erinnerung an sein früheres Leben gewissenhaft vermieden. »Aber«, fuhr er fort, »die Seele des Dichters ist wie eine Nachtigall, je tiefer man ihren Käfig verhängt, je schöner schlägt sie, und ich hörte sie oft in Träumen wunderbar klagen, aber ich hütete mich wohl, wenn ich erwachte, dem weiter nachzuhängen. Und wie nun so der Amtmann täglich um dieselbe Stunde auf das Feld hinausritt und wieder zurückkehrte und Florentine ihre Tauben fütterte und ihre Blumen band, und ringsum in der ländlichen Stille allmählich alles wuchs und wuchs, als wollte das Grün die Menschen begraben – es war mir nicht anders, als säß ich viele hundert Klaftern tief im Meer und hörte die Abendglocken meiner Heimat von weitem über mir. So verzehrte ich mich sichtbar selbst, der gute Amtmann sah mich oft insgeheim bedenklich an, die Amtmannin steckte mir die besten Leckerbissen zu, sie dachte, wenn ich nur erst fetter wäre, so würde schon alles gut werden. – In einer schönen Nacht aber träumte mir von Halle, ich stand auf dem Giebichenstein, die Kirschgärten unten blühten wieder, und lustige Kähne mit Studenten glitten die Saale hinab, da erklang ein Lied aus dem Tale, das ich damals gehört, auf das ich mich aber seitdem durchaus nicht wieder besinnen konnte. Ich wachte vor Freude darüber auf, das Fenster stand noch offen, und als ich mich hinauslehnte, klang das Lied wirklich draußen durch die stille Nacht herüber. – Seht, ein solcher Lufthauch wendet oft das Narrenschiff des Menschen! Ohne selber recht zu wissen, was ich tat oder wollte, kleidete ich mich rasch an, schnürte mein Bündel, im Hause schliefen noch alle, und ehe eine Viertelstunde verging, wanderte ich schon durch die dunkle Kastanienallee das stille Dorf entlang. Als ich ins Freie kam, tönte das Lied noch immerfort, aber sehr fern.«

Hier hielt er plötzlich erschrocken inne, man hörte tief im Garten singen; die Luft kam von dort herüber; sie konnten deutlich folgende Worte vernehmen:

Hörst du nicht die Bäume rauschen
Draußen durch die stille Rund?
Lockt’s dich nicht, hinabzulauschen
Von dem Söller in den Grund,
Wo die vielen Bäche gehen
Wunderbar im Mondenschein,
Und die stillen Schlösser sehen
In den Fluß vom hohen Stein?

»Das ist das Lied!« – rief Otto und eilte ganz verwirrt den Berg hinab. Unten aber sang es von neuem:

Kennst du noch die irren Lieder
Aus der alten, schönen Zeit?
Sie erwachen alle wieder
Nachts in Waldeseinsamkeit,
Wenn die Bäume träumend lauschen
Und der Flieder duftet schwül
Und im Fluß die Nixen rauschen
Komm herab, hier ist’s so kühl.

Fortunat glaubte jetzt in dem Grunde, woher der Gesang kam, Kordelchen zwischen den mondbeglänzten Gebüschen zu erkennen. – Dann wurde auf einmal alles still, es war eine verlockende Nacht, das Wetter leuchtete von fern, und die wechselnden Schatten der Bäume schwankten verwirrend über den Steinen und Klüften.

Vierzehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Über einer der verborgensten Schlüfte der Schweiz rauschte leise die Nacht, nur ein Bach stieg zwischen den Felsen hernieder und plauderte, da die Menschen schliefen, heimlich mit der Wetterfahne auf der ärmlichen Waldherberge, die in dem stillen Grunde lag. Da fuhr auf dem Heuboden des Hauses ein Gesell verwirrt aus dem Schlafe empor. Es war Fortunat, der auf seiner Reise nach Italien spät des Abends das Wirtshaus erreicht und gern das luftige Nachtlager bestiegen hatte, da die wenigen Fremdenstuben schon von anderen Reisenden besetzt waren. Dort hatte ihn ein Traum erweckt, es war ihm plötzlich, als hätte eine altbekannte Stimme unten seinen Namen genannt. Er lauschte hinab, es rührte sich kein Laut. Draußen aber flimmerten noch die Sterne, da setzte er sich in das offene Dachfenster auf die obersten Sprossen der Leiter und sah den weiten, stillen Kreis von Gletschern im hellsten Mondschein über den Wäldern, nur der dumpfe Donner einer Lawine hallte von Zeit zu Zeit durch die große Einsamkeit herüber.

Jetzt erst fiel ihm der grillenhaft verworrene Bau des Hauses auf, er betrachtete schläfrig die kleinen hölzernen Galerien, Winkel und Erker, als auf einmal in dem alten Seitenanbau sich ein Laden öffnete und eine Dame, dicht in einen langen Schleier gehüllt, am Fenster erschien. Fortunat, scharf hinblickend, schauerte innerlichst zusammen – es war der Hut, das Reitkleid, Gestalt und Art der Gräfin Juanna! – Der Mond funkelte über ihren Gürtel, wie damals auf der Jagd, dann wurde das Fenster schnell wieder geschlossen. Gleich darauf aber sah er den Wirt zwei gesattelte Pferde auf den Hof führen, die Dame trat mit einem fremden Mann aus dem Hause, alles ganz sacht und leise, wie Wolken in der Nacht, sie flüsterten heimlich untereinander und mit dem Wirt, der ihm auf einmal selbst gespenstisch vorkam, und eh‘ er sich noch besinnen konnte, war die ganze Erscheinung, wie ein Zug Verstorbener, im wechselnden Mondlicht zwischen den Felsen und Bäumen verschwunden.

Fortunat war geblendet wie einer, der nachts in den Blitz gesehen; er eilte nun die Leiter hinab, der Hof war leer, als wäre nichts geschehen, aber zu seinem Erstaunen hörte er nun in einiger Entfernung Waffenklang durch die Stille. »Fechten die Toten in der Luft?« dachte er und verfolgte rasch die Richtung. Da erblickte er bald durch das auseinandergebogene Gesträuch zwei Männer, die auf einer mondhellen Wiese in heftigem Zweikampf begriffen waren. Gestalt, Tracht und Haltung, je länger er hinsah, schien ihm nicht fremd. – »Um Gott, ihr Phantasten«, rief er endlich aus, »was habt ihr wieder vor!« denn jetzt erkannte er deutlich den langen Lord und den Maler Albert von dem fürstlichen Jagdschloß.

Als die Kämpfenden ihn bemerkten, traten sie, die Spitzen ihrer Degen senkend, jeder feierlich einen Schritt zurück und verneigten sich kurz und ernst voreinander, dann stürzte der erhitzte Lord, der vor Eifer keine Zeit zum Verwundern und Begrüßen hatte, sogleich auf Fortunaten los. »Entscheiden Sie selbst«, rief er, »und ich behaupt‘ es nochmals und tausendmal: es gibt keinen kategorischen Imperativ, die Tugend ist nur der Flügelschlag der primitiven Freiheit der Seele, die Ahnung des geistigen Urstoffs, und dieser endlose Urstoff läßt sich so wenig durch Großmut, Keuschheit definieren, daß -« »Keineswegs!« entgegnete Albert ganz empört, »es gibt ein absolutes Sittengesetz, die Tugend, sie ist kein leerer Schall!« – »Aber, so sagt doch nur, was denn? Was gibt’s denn?« unterbrach sie endlich Fortunat höchst erstaunt und erfuhr nun nach und nach abgebrochen in einzelnen, verworrenen Sätzen von den Heftigen, daß sie beide, in der festen Überzeugung von einer Entführung Juannas durch Lothario, an jenem unglücklichen Abend, sobald die Gräfin vermißt wurde, die Jagd mit dem Schwure verlassen hatten, sie zurückzubringen oder niemals wiederzukehren. Sehr bald, so behaupteten sie, seien sie auch wirklich den Flüchtlingen auf die Spur gekommen, die sie bis zu diesem einsamen Wirtshaus verfolgt hätten. »Und nun, da wir am Ziele sind«, fuhr der Maler fort, »läßt dieser Herr da plötzlich seine großmütige Larve fallen und will die Gräfin als seine eigene Beute entführen. Aber mit diesem Schwerte, das in dem großen Kriegsjahre dreizehn geweiht ist, bewahre ich die Unschuld jener Dame gegen jeden Verführer, er mag ein deutscher Komödiant oder ein englischer Lord sein!« – Und hiermit gingen sie von neuem aufeinander los und führten ihre Schulterquarten und Schlenkerprimen mit einer bewundernswürdigen Künstlichkeit und Pedanterie aus.

Da fuhr auf einmal der dicke Wirt aus der Haustür wütend zwischen die Fechtenden hinein, er hatte einen umgekehrten Tisch über dem Kopfe, wie ein Stier mit vier Hörnern, die schon gezückten Schwerter klatschten flach auf seinen rindsledernen Schlafpelz. »Tausend Parlament«, schrie er, »Schändlichmens, Lordmajors oder Oberstlieutenant, ich frage den Teufel darnach! Ich nehme nicht tausend Pfund Sperling für den Skandal, verjagt mir da mit eurem Geklimper die besten Gäste, ist das ein Ständchen für eine schöne, ausländische Gräfin!« – »Gräfin! ist sie schon fort? Wohin?« unterbrachen ihn hier die Duellanten, ihre Degen rasch einsteckend. – »Ausländisch?« stotterte Albert vor Eifer, »was für eine Sprache redete sie?« – »Wahrhaftig, mir kam’s ganz spanisch vor«, erwiderte der Wirt und schien nun, indem er die beiden geheimnisvoll nach dem Stalle führte, mit ihnen angelegentlich von der Fremden zu sprechen, Fortunat konnte nur noch bemerken, daß der Schalk ihnen eine ganz andere Richtung wies, als die Dame vorhin eingeschlagen hatte. – Als er zurückkam, wollte ihn Fortunat selbst über die Gräfin näher ausfragen. Aber der dicke, schlaue Mann war nicht zu haschen, er sprach von tollen Nächten, Spukgeistern und fahrenden Hexen und brach mit solchem Lärmen den Tag an, daß der Hofhund anschlug und Knechte und Mägde aus allen Winkeln herausfuhren. Mitten in dieser Konfusion hörte Fortunat plötzlich den Lord und den Maler von der andern Seite durch die Dämmerung miteinander disputieren, und ehe er ihnen noch nachrufen konnte, hatten sie in ihren langen, bis an die Knöchel herabhängenden Wachstaftmänteln, aus denen die englischen Pferde ihre dünnen Hälse seltsam hervorstreckten, sich zwischen den fliegenden Morgennebeln schon verloren.

So stand er noch ein Weilchen ganz verwirrt, dann berichtigte auch er schnell seine Zeche, schwang sich auf sein Pferd und schlug den Waldpfad ein, den die geheimnisvolle Erscheinung vor Tagesanbruch genommen. Er ritt den ganzen Morgen fort: aber er fand sie nicht mehr wieder.

Fünfzehntes Kapitel

Fünfzehntes Kapitel

Die Sonne war eben über Rom untergegangen, als Fortunat von den Bergen mit der Abendkühle in die Stadt einzog. Nur ein Streifen des Meeres in der Ferne und das Kreuz der Peterskuppel brannten noch im Widerschein, dazwischen der Klang unzähliger Abendglocken, und Gärten, Paläste und einsames Gebirg unten wunderbar zerworfen – es war ihm, als zöge er in ein prächtiges Märchen hinein. »Ecco là!« rief auf einmal sein Vetturin und hielt still. Sie standen vor einem großen, altmodischen Palast, welcher zum Teil unbewohnt schien und in der Dämmerung melancholisch auf den einsamen Platz herniederschaute, wo hohes Gras aus dem Pflaster drang und ein Springbrunnen einförmig rauschte. Es war das Haus des Marchese A., in welchem befreundete Reisende für Fortunaten die Wohnung besorgt hatten.

Ein alter Diener, mit klugen, kurzen Blicken das geringe Gepäck des genügsamen Reisenden musternd, führte diesen die breiten Marmortreppen hinan, während er in großem Wortschwall die Abwesenheit des Marchese entschuldigte, welcher erst heut vom Lande zurückkehrte und nicht ermangeln werde, den schuldigen Empfang morgen nachzuholen.

Die ersten Stunden in einer großen, unbekannten Stadt gehören zu den einsamsten im Leben, auch Fortunaten überflog das Gefühl, als sei er jetzt in der Fremde. Er verlor sich ganz in den hohen Gemächern und betrachtete, als der Diener sich entfernt hatte, vor Langerweile die Stuckverzierungen an den Decken, die schweren, altmodischen Stühle, die hohen Spiegel mit goldenen Rahmen sowie die umherhängenden Jagdbilder, Kavaliere in seltsamen Trachten vorstellend, halb Ritter, halb Gecken, einen Hirsch mit galanter Reiterkühnheit verfolgend, und junge, schöne Damen in Reifröcken unter einem prächtigen Zelt im Walde, Jagdhörner in den Händen, denen der glückliche Jäger seine Beute zu Füßen legte. – Draußen schien ein großer Garten zu liegen, weit über den Garten her schlugen viele Uhren in der Ferne, es war ihm, als sei er schon gestorben und hörte die Totenglocke über sich.

In diesen Betrachtungen unterbrach ihn das Rasseln eines Wagens, der vor dem Schlosse zu halten schien. Er sah durchs Fenster und konnte bei dem Schein einer Fackel nur noch bemerken, wie eine schlanke Mädchengestalt aus der altmodischen Karosse behende in das Haus schlüpfte. Im andern Flügel des Palastes hörte man nun Türen auf- und zuwerfen, gehen und lachen, dann war plötzlich alles wieder still. – Bald darauf aber vernahm er im Garten einzelne, langgezogene Klänge einer weiblichen Stimme, wie eine Nachtigall, durch das Rauschen der Wipfel, durch welche die Glühwürmer leuchtend hinzogen. Der Mond trat eben hervor und verwandelte alles in Traum. Da öffnete Fortunat alle Flügeltüren, ergriff seine Gitarre und schritt durch die lange Reihe der Gemächer singend auf und nieder.

Es rauschen die Wipfel und schauern;
Als machten zu dieser Stund
Um die halb versunkenen Mauern
Die alten Götter die Rund.
Hier hinter den Myrtenbäumen
In heimlich dämmender Pracht,
Was sprichst du wirr, wie in Träumen,
Zu mir, phantastische Nacht?
Es funkeln auf mich alle Sterne
Mit glühendem Liebesblick,
Es redet trunken die Ferne
Wie von künftigem, großem Glück!

Der schönste Frühlingsmorgen funkelte vor dem Palast über den Garten, da grünte und sang schon alles in der reizenden Verwilderung, in den ausgetrockneten Becken der Wasserkünste jagten sich jubelnd bunte Vögel, üppig blühende Ranken umschlangen mutwillig die Marmorstatüen, als wollte der Frühling sie mit Küssen ersticken. Arglos zwischen den nackten Götterbildern stand Fiametta, die vierzehnjährige Tochter des Marchese, mit ihrer Kammerjungfer Lenore plaudernd, die ihr die schönen, dunklen Haarflechten aufsteckte. Sie war ihr heute ungeduldig entsprungen, beide waren neugierig, ihren Gast, den gestern angekommenen Engländer, zu sehen, wofür sie jeden Reisenden hielten. »Mir träumte heut von ihm«, sagte Fiametta, »er sah aus wie die jungen deutschen Maler mit den langen, blonden Locken und stand in einer unbekannten, prächtigen Gegend, die schimmerte und blitzte, daß ich vor Blendung gar nicht hinsehen konnte. Ich wußt‘ es wohl, es war der Morgen, der schon durch die roten Gardinen schimmerte, aber ich drückte die Augen fest zu -« hier hielt sie ein und lachte in sich. – Lenore sah sie fragend an. – »Nein, nein«, meinte Fiametta leicht errötend, »was er mir da ins Ohr sagte, sag‘ ich nicht wieder – ob er noch jung sein mag?« – Lenore erzählte, daß sie gestern abends noch im Garten gewesen, da habe sie seinen Schatten im Zimmer auf und nieder schwanken gesehen, lang und dünn wie der Perpendikel einer Turmuhr – »Oder einer Spieluhr, denn ich hört‘ es wohl herüberklingen«, fiel ihr Fiametta ins Wort, während sie ihr Füßchen auf den Nacken eines umgestürzten Apollos stellte und sich die zierlichen Schuhe festband. Jetzt sahen sie auf einmal zwischen den Zweigen hindurch den besprochenen Gast selbst, sich streckend und dehnend, aus der Schloßtür treten und verschlüpften, wie Lazerten, schnell zwischen Blumen und Unkraut hinter ein halbverfallenes Gemäuer, wo er vorüber mußte und durch dessen Ritze sie ihn ungesehen betrachten konnten. Lenore fand ihn sehr schön, Fiametta dagegen kritisierte, heimlich flüsternd, sein schlichtes, braunes Haar, seinen dreisten Gang, und seltsamen Anzug. – Als er an die Mauer kam, sagte sie leis: »Ich schreck ihn.« Lenore fuhr abwehrend nach ihrer Hand, aber die kleine Marchesin hatte schon den über die Mauer herüberlangenden Ast eines blühenden Apfelbaumes gefaßt und schüttelte kurz und rasch, daß Fortunat von den Blütenflocken ganz verschneit war; dann liefen sie beide schnell davon.

Fortunat aber war heute längst über alles Verwundern hinaus. Schon beim Erwachen in den hohen Trumeau blickend, der Himmel und Bäume abspiegelte, hatte er geglaubt, so entkleidet mitten im Garten zu liegen und war erschrocken aufgesprungen; da hörte er draußen Lachen und Mädchenstimmen in den schönen fremden Lauten, wie Glöckchen, verlockend durch die morgenfrische Wildnis gehen. So war er die helle, stille Marmortreppe hinabgeeilt, um Rom, den Garten, den jungen Frühling und den alten Marchese zu begrüßen.

Nach allen Seiten fröhlich umschauend, wurde er in einiger Entfernung vor sich einen stattlichen Herrn mit gepudertem Haar, Schnallenschuhen und einen alten, hofmäßigen Kleide gewahr, welcher ein junges Frauenzimmer am Arm führte, während ein Bedienter in verschossener Liverei mit einem Sonnenschirm und in sichtbarer Langeweile ihnen langsam nachschlenderte. Seine Vermutung bestätigte sich bald, es war der alte Marchese A., welcher seinen Gast kaum bemerkt hatte, als er ihn in französischer Sprache sehr feierlich willkommen hieß und ihm in seiner Begleiterin seine Tochter Fiametta vorstellte, die errötend ihre langen schwarzen Augenwimpfern senkte, da sie auf Fortunats Rock noch einige Apfelblüten erblickte. Dann lud er den Fremden ein, an ihrer Morgenpromenade teilzunehmen. Fortunaten war es, da sie nun in künstlicher Verschlingung zierlicher Redensarten an den Buchsbaumwänden durch die langen Alleen mit perspektivischen Aussichten gemessen dahinschritten, als wüchse ihm langsam ein Haarbeutel im Nacken und ein Stahldegen zwischen den Rockschößen heraus, und er ginge immer tiefer und tiefer in jene gute, alte, wunderliche Zeit hinein, wie er sie aus Büchern und Bildern wohl noch kannte. Dazwischen machten ihn die dunklen, funkelnden Augen Fiamettas recht innerlichst vernügt, und so kam er selbst, eh‘ er’s wußte, immer lustiger in die auserlesenste Galanterie, und es störte die Illusion kaum noch, als sich der Marchese zuletzt ganz unerwartet nach einem seiner entfernten Verwandten in Deutschland, dem Grafen Victor von Hohenstein, erkundigte. Fortunat nannte ihn einen homme de lettres, der sein Siècle machte.

Marchese: Er ist aus einem alten Hause.

Fortunat: Bewohnt es aber wenig, sondern ist seit geraumer Zeit auf den Parnaß verzogen, wo er sich seine eigenen Luftschlösser baut.

Marchese: Ein barocker Einfall für einen Kavalier.

Fiametta: Ich möchte einmal einen Dichter sehen.

Fortunat: Ihren Augen, meine Gnädigste, kann das nicht schwer werden, wo der Frühling zaubert, muß selbst der nordische Boreas durch die Blumen sprechen.

Fiametta: Haben Sie auch Blumen in Deutschland?

Fortunat mit galantem Blick: So schöne nicht.

Während dieses Diskurses hatten sie sich wieder bis an den Palast herangeschlungen, man schied mit vielen Verbeugungen am Portal unter großem Geschrei der Sperlinge in den zerbröckelten Säulenknäufen. Fortunaten war es, als hätt‘ er in aller Frühe eine Menuett getanzt, im Garten aber sangen die Vögel und rauschten die Bäume wieder, als sprächen sie noch immer von den funkelnden Augen der schönen Marchesin.

Sechzehntes Kapitel

Sechzehntes Kapitel

Die ersten Tage verstrichen Fortunaten wie im Rausche, alles schimmerte vor seiner Seele, er mochte in dem Glanze noch nichts deutlich unterscheiden. Der beste Führer durch Rom und der Plan der Stadt lagen auf dem Tische aufgeschlagen, jeden Morgen ging er mit dem festen Vorsatze aus, seinen regelmäßigen, auf dem Plane im voraus rot punktierten Umlauf zu beginnen, aber eine überraschende Aussicht zog ihn an, ein Bänkelsänger, der einen Kreis von Lumpengesindel um sich versammelte, lenkte ihn von seinem Wege ab und hielt ihn lange auf, oft folgte er durch ganze Straßen ein paar seltsamen Männergestalten, deren römische Nasen und ausdrucksvolle Gebärden ihm eben besonders auffielen, und wenn er dann ermüdet von dem müßigen Umherschlendern zurückkehrte, mußte er sich dennoch eingestehen, daß er in der kurzen Zeit mehr gesehen und erfahren hatte, als sein gedruckter Führer sich träumen ließ.

Auf einem solchen Streifzuge hatte er sich eines Abends in ein entlegenes Labyrinth kleiner Gassen verirrt, die Bewohner saßen plaudernd vor den Türen, schöne, halbnackte Kinder spielten und lärmten in dem Abendschimmer. Da hörte er unerwartet weiterhin ein lautes Gezänk in deutscher Sprache herüberschallen und eilte neugierig dem Haus zu, woher der Lärm kam. Auf einmal sprang die Haustür hastig auf, und ein wohlgekleideter, nicht mehr ganz junger Mann kam so unsanft herausgeflogen, daß er den Hut vom Kopf verlor. »Mein Gott! Du, Grundling!« rief Fortunat überrascht aus – es war der deutsche Reisende, der ihm die Wohnung in dem Palast besorgt hatte. – »Da bist du ja wie gerufen«, sagte dieser ganz ruhig seinen Hut abstaubend, »ich will dich sogleich bei Landsleuten einführen.« Hiermit versuchte er den Drücker der Tür, fand sie aber hinter sich verschlossen. »Hat nichts zu sagen«, meinte er nun, winkte Fortunaten und führte den Erstaunten in das leerstehende Nebenhaus, im Dunkeln vorsichtig tappend, zwischen wüstem Gerülle hindurch. Währenddes hörten sie im Innern nebenan eine männliche und eine weibliche Stimme immerfort lebhaft miteinander zanken. »Das sind nun meine goldene Träume!« rief der Mann. – »Träume?« erwiderte das Mädchen schnippisch, »so zwick dich in die Nase, damit du erwachst, ich glaube, du bist heut wirklich betrunken.« – »Was wußtest du je von der Trunkenheit der göttlichen Kunst!« fiel er ihr wieder ins Wort, »ich Tor, der ich meinte, dich mit emporzuheben! Nun zerrst du mich selbst mit hinab und machst mir die Welt so gemein, daß ich ihr alle meine Farbentöpfe an den Kopf werfen möchte!« – »Nun, einen deiner Pinsel wenigstens hast du schon hinausgeschmissen«, entgegnete das Mädchen lachend. – »Da meint sie mich«, sagte Grundling zu Fortunat, »fideles, genialisches Volk!«

Jetzt öffnete er am Ende eines schmalen, finsteren Ganges eine Hintertür, und sie traten in ein großes, wüstes, von einem Kaminfeuer zweifelhaft erleuchtetes Gemach, wo Fortunat zu nicht geringer Verwunderung in den Zankenden Kordelchen und Guido erkannte. Die erstere saß auf einem Koffer, wo sie Wäsche zu flicken schien. Kaum hatte sie Fortunaten erblickt, als sie, aufspringend, alles wegwarf, ihm mit großer Freude an den Hals flog und ihn tüchtig abküßte. Guido, bleich und verstört, stand schweigend und schien einen Augenblick verlegen. Kordelchen aber erzählte in aller Geschwindigkeit, Herr Grundling, der in Rom bekannt sei wie in seiner eigenen Tasche, habe Guidon in den Bildergalerien und bei allen Malern herumgeführt, vor kurzem seien sie in einem großen, philosophischen Disput über die Kunst zurückgekehrt, da habe Grundling Guidos angefangene Bilder und Zeichnungen getadelt, daraus sei der ganze Spektakel entstanden. – »Wie du alles wieder verdrehst!« fiel ihr Guido heftig ins Wort, »es ist nicht um den Plunder auf meiner Staffelei dort! Vor den übermächtigen, alten Bildern in den Werkstätten unserer frommen, ernsten deutschen Künstler, da tat es plötzlich einen langen Blitz über mein ganzes leben von allen Decken, Wänden herab und verbrannte, was hinter mir lag. Da wußt‘ ich’s auf einmal, wer ich bin, ein weinerlicher, erbärmlicher Wicht, der noch nichts gemalt und erdacht hat!« – Hier brach seine Stimme, er setzte schnell seinen Hut auf und stürzte, ohne jemanden zu begrüßen, trotzig zur Tür hinaus.

»Es ist doch ein schöner Junge, besonders wenn er böse wird«, sagte Kordelchen, ihm nachsehend. Grundling zündete unterdessen an dem Kamin, wo Überbleibsel vom Mittagessen aufgewärmt wurden, gelassen seinen Zigarren an, während Fortunat Guidon nacheilen wollte. Aber Kordelchen vertrat ihm den Weg. »Ich bitte Sie, lieber Baron«, sagte sie, »tun Sie ihm nicht den Gefallen, denn er will doch nur bedauert und widerlegt sein. Je mehr man ihn tröstet und streichelt, je ungebärdiger wird er, wie ein ungezogenes Kind, das sich selbst in die Zunge gebissen hat.«

Sie fing nun, unbekümmert um die Gegenwart der beiden Fremden, vor den Trümmern eines zerbrochenen Spiegels sich schnell zu putzen an, wobei sie Fortunat sehr lustig erzählte, wie sie nach Rom gekommen. Das fröhliche Mädchen, schon früh für die Bühne dressiert, hatte durch ihr Zusammentreffen mit Lothario zum ersten Male in ihrem Leben Lust und Leid in ihrer tieferen Gewalt erfahren, ohne sich weiter ihren Zustand klarzumachen. Als nun aber der unbeständige Freund so plötzlich verschwunden war, wurden ihr Theater, Sorti und alle die alten Gesichter langweilig, und der enthusiastische Guido beredete sie um so leichter, ihn nach Italien zu begleiten, als sie dadurch an Lotharios Untreue sich zu rächen und insgeheim diesen hier wiederzufinden meinte, was sie aber allen verschwieg. Unterwegs hatte sie sich unzählige Male mit Guido entzweit und wieder versöhnt, sie galt für seine Frau, hier in Rom endlich zerstreute sie die neue Welt, und so führte sie gedankenlos ihr gewohntes, leichtfertiges Leben mit einer gewissen Unschuld fort, die dabei nichts Arges hatte. – »Aber wie sind Sie damals in der Schweiz den Lord und den Albert wieder losgeworden?« fragte sie plötzlich Fortunaten. – »Wie!« sagte dieser erstaunt, »so wart ihr es in jener Nacht?! – »Freilich«, erwiderte sie lachend, »ich kannte ihre Einbildung, und ritt und trug mich wie die arme Gräfin, um die irrenden Ritter zu foppen.«

Währenddes machte Grundling dem Mädchen bei ihrer Toilette auf seine schwerfällige Art den Hof, was sie sogleich zu benutzen wußte, indem sie beständig etwas zu kommandieren hatte, bald mußte er ihr ein Tuch holen, bald eine Nadel suchen, dann reichte sie ihm ihr Füßchen hin, um ihr den Schuh festzubinden, was der trockene Schalk mit ungeschickter Umständlichkeit ausführte. Darauf wollte sie ihre Gäste auf nordische Weise mit Tee bewirten, aber da waren die Teelöffel verlegt, die Tassen voll Farbenkleckse, zudem war es schon finster, und je mehr man suchte, je größer wurde die Verwirrung, bis Kordelchen endlich, den Einfall wieder aufgebend, die beiden Männer lustig zu einem Seitenpförtchen hinausschob, um ihnen ihren sogenannten Garten zu zeigen.

So gelangten sie durch das dunkelverbaute Hinterhaus auf einen kleinen, grünen Platz, dessen Aussicht Fortunaten wunderbar überraschte. Denn hinter den Weingeländen und duftigen Gärten, die sich terrassenartig senkten, lag plötzlich die Nacht mit ihren Trümmern und zerbrochenen Säulen wie ein Buch der Vergangenheit unter ihnen aufgeschlagen, dessen Anfangsbuchstaben der Mond rätselhaft vergoldete. Da hörten sie von fern aus den Gärten einzelne Akkorde einer Laute, bald darauf sang eine schöne männliche Stimme:

Jetzt wandr ich erst gern!
Am Fenster nun lauschen
Die Mädchen, es rauschen
Die Brunnen von fern.
Aus schimmernden Büschen
Ihr Plaudern, so lieb,
Erkenn ich dazwischen,
Ich höre mein Lieb!
Der Dichter ins Haus.

Kordelchen, die aufmerksam hinabgelauscht hatte, besann sich nicht lange und antwortete sogleich nach derselben Melodie:

Ich höre mein Lieb,
Beim wechselnden Scheine
Verläßt er die Seine
Und kommt wie ein Dieb.
Es hallt von den Steinen,
Die Wipfel wehn sacht
Und sagen’s der Deinen
Ja, hüt dich bei Nacht!

Der Sänger unten schien es vernommen zu haben, er sang, immer näher und näher kommend, lustig entgegen:

Ja hüt dich! bei Nacht
Pflegt Amor zu wandern,
Ruft leise die andern,
Da schreiten erwacht
Die Götter zur Halle
Ins Freie hinaus,
Es bringt sie dir alle

Die Stimme schien Fortunaten bekannt, da rauschte es in dem nächsten Gebüsch, und mit einem leichten Satze schwang sich der Sänger zwischen dem alten Gemäuer zu ihnen herauf, daß seine Laute an den Zweigen einen fröhlichen Klang gab. – » Otto!« rief Fortunat freudig aus, denn es war niemand anders, als der poetische Student aus Hohenstein. Fast aber hätte er ihn nicht wiedererkannt, so verwandelt, von der Sonne gebräunt und rüstig erschien der Jüngling. Er hatte Fortunats Ankunft schon erfahren, und erzählte ihm nun sogleich voller Entzücken von seiner Reise und dem hiesigen Aufenthalt, er war wie berauscht in den fremden Lüften. Kordelchen neckte ihn mit seinem römischen Liebchen, und Grundling schwor, das sei das schönste Frauenzimmer, das er jemals gesehen, alle Maler stiegen nach, wenn sie, ihr Fruchtkörbchen auf dem Kopfe mit dem einen Arm unterstützend, schlank und zierlich über den Markt ging; einem Landsmann habe sie bei dieser Gelegenheit einmal eine Feige umsonst gereicht, nämlich hinters Ohr.

Während sie noch so sprachen, hörten sie hinter sich im Hause heftig gehen und die Türen zuschlagen. Es war Guido, der, in der ungebärdigsten Laune zurückgekehrt, nach Licht rief und im Finstern mit den Stühlen umherwarf. – »Heraus, du verstörter Poltergeist mit deinem dummen Künstlerunglück!« rief Grundling in das Haus hinein. – »Laßt mich jetzt ungeschoren, das rat‘ ich euch«, erwiderte Guido zornig von innen, »wem sein Himmel über dem Haupte zusammenbrach, dem kommt’s auf ein paar Scherben mehr oder weniger nicht an.« – Hier aber verwickelte er sich unter dem alten Gerümpel des Hausflurs mit den Füßen in umherliegende Schläuche, er zuckte ungeduldig, darüber geriet ein übereinandergeschichteter Turm von leeren Weintonnen und Maler, unaufhaltsam übereinanderkollernd, zum Hause herausgestürzt kamen. Grundling, der sich vorwitzig der Türe genähert hatte, konnte nicht so schnell entspringen, eine Tonne hüpfte ihm zwischen die Beine, er wollte sich an Otton festhalten, erwischte aber nur seine Laute, mit der er krachend niederfiel. Otto schalt auf Grundling, Grundling auf Guido, Guido auf mehrere alte Weiber, die über den Lärm keifend aus allen Dachfenstern herausfuhren. Mitten aus dieser Verwirrung brach endlich das tiefe, weitschallende Lachen Grundlings mit solcher vehementen Herzlichkeit, daß es bald Handelnde und Zuschauer unaufhaltsam mit fortriß.

Diese unerwartete Explosion zerstreute die letzten Wölkchen an dem leicht beweglichen Horizont. Auch Guido hatte darüber seine hochmütige Zerknirschung gänzlich wieder vergessen. Man holte Wein herbei, und Kordelchen forderte Grundlingen auf, da sie sich eben alle wie in der Arche Noah so fröhlich zusammengefunden hätten, bei der schönen, warmen Nacht seine Lebensgeschichte zum besten zu geben, was von den andern mit großem Applaus aufgenommen wurde.

Grundling langte nun aus seinem tiefen Schubsack erst mehrere Stücke eines Pfeifenrohrs hervor, die er umständlich zusammensetzte, und einen ungeheuern Pfeifenkopf vollpfropfte, während er auf einem der umgestürzten Weinfässer Platz nahm. Die andern hatten sich, um dem Qualme des schlechten Tabaks zu entgehen, vorsichtig außer dem Winde um ihn her gesetzt, worauf derselbe endlich folgendermaßen begann:

»Du wirst dich noch erinnern, Fortunat, wie ich in Heidelberg mich so in die Wissenschaften verbissen hatte, daß ich gar nicht mehr loskommen konnte.« – »Allerdings«, erwiderte Fortunat, »du und dein grüngräulicher Mantel hatten schon mehrere Studentengenerationen überlebt, als ich dort ankam. Du warst ein hartnäckiger Kantianer und standst, noch immerfort nach der Aufklärung hinweisend, wie ein alter Meilenzeiger, den man mitten im Kornfelde vergessen, nachdem Fichte und Schelling längst andere Straßen gezogen hatten. Du verachtetest damals uns Jüngere unsäglich, die wir den neuen Weg eingeschlagen.« – »Nun bei Gott, das tu‘ ich auch jetzt noch«, rief Grundling, indem er dicke Tabakswolken von sich stieß. – »Auf einmal aber warst du in Heidelberg spurlos verschwunden«, sagte Fortunat. »Ein von den Ferien zurückkehrender Student hatte deinen Mantel mitten auf der Heerstraße gefunden, den wir sodann mit einem philosophischen Leichensermon feierlich zur Erde bestattet haben. Wie ging das zu?« – »Das will ich euch wohl berichten«, entgegnete Grundling.

»Es trieb sich dazumal ein schlanker, junger Mensch in Heidelberg herum, den niemand näher kannte, er war nicht Student, nicht Philister, aber verdammt schlau. Das kam mir gleich verdächtig vor, denn ich habe in solchen Stücken eine feine Nase. Ich fühlte dem Patron bei schicklicher Gelegenheit auf den Zahn, da sprach er von Fürsten, Ministern und Bischöfen! – versteht ihr? Bischöfen – mit denen er oft an naher Berührung stände, von Rührung, Stimmung der Seelen usw., aber alles glatt und durcheinandergeschlungen, wie ein Aal. Da schoß mir endlich ganz das Blatt. Ja, liebe Freunde, es war niemand anders als ein geheimer Jesuit, so ein verdammter proselytenmacherischer Emissär! Nun, ihr kennt mich, von Stund‘ an faßt‘ ich den Kerl scharf ins Auge, sann und beobachtete ihn bei Tag und Nacht. Eines Abends sehr spät wandle ich eben in meinem Mantel vor dem Tore so für mich auf und nieder, als ich auf einmal den Emissär sacht und vorsichtig in ein dunkles Gebüsch schlüpfen sehe. Ich, nicht zu faul, lenke sogleich meine Schritte dahin, arbeite mich durch Strauch und Dorn immer tiefer nach, und was erblick‘ ich?! – Unter einer hohen Linde im dämmernden Mondschein steht der Emissär in erhabener Stellung, neben ihm ein sehr junger Mensch, der soeben, die rechte Hand zum Himmel gereckt, einen feierlichen Schwur ablege. Nun halt‘ ich mich nicht länger, ich stürze hervor und donnere den Seelenverkäufer an, daß er sich unterfange, diesen Sitz der Aufklärung mit der pestilenzialischen Finsternis des Mittelalters zu verdüstern et cetera. Unterdes fing auch über meiner Rede ein Hund in der Nähe zu bellen an, einige Personen bewegten sich von fern zwischen den Bäumen, die Überraschten wurden immer verlegener, ich fuhr in meinen Ermahnungen immer nachdrücklicher fort. Aber was geschieht? Der Kerl von Jesuit packt mich auf einmal von hinten, der andere an die Füßen, daß ich die Balance verliere, so werfen sie mich in eine verfluchte Kalesche am Gebüsch, die ich vorher gar nicht bemerkt hatte, schwingen sich mit herauf, der Kutscher peitscht in die Pferde, und fort geht es über Stock und Stein in die finstere Nacht hinein. – Als ich wieder zu mir selbst kam, fand ich mit Vergnügen, daß meine Pfeife in der Konfusion nicht ausgegangen war, auch hatte ich den Tag über viel gesessen, etwas Motion konnte nicht schaden, die Nacht war schön, kein Mensch oder Dorf in der Runde – so dacht‘ ich denn: laß sie fahren! Und setzte meine Ermahnungen ruhig wieder fort. Aber es dauerte nicht lange, so war der junge Proselyt darüber eingeschlafen. Der Jesuit dagegen, wie es die Art dieses schlauen Ordens ist, wich mir mit sophistischen Redensarten bald rechts, bald links aus, dann zog er eine Flasche guten, schweren Weines aus der Wagentasche und trank mir zu. Ich kam immer mehr ins Feuer, wir disputierten und tranken, ich verbreitete mich ausführlich über Aufklärung, Mönchtum, dicke Finsternis et cetera, aber Gott weiß, wie das zuging, es war mir, wie ich so fortsprach, als schritt‘ ich in der Rage unserem Säkulum um einige Jahrhunderte so unaufhaltsam vor, daß ich meine Gedanken gar nicht mehr halten konnte, vergeblich blickte ich unverwandt auf den dreieckigen Hut des Kutschers vor mir, Bäume und Dörfer und Wälder und Gedanken flogen und verwickelten sich mir im Mondschein durcheinander, nur manchmal hört‘ ich noch den Jesuiten dazwischen schnarchen, bis mir zuletzt selbst alle Sinne vergingen. – Als ich wieder aufwachte, war der Jesuit und Proselyt und Wagen und alles fort, und ich liege rücklings auf einem Rasenkanapee an der Chaussee in der angenehmsten Morgenkühle. Aber wie lieg‘ ich da! In einem kompletten Jesuiterroquelaure mit unzähligen Knöpfen vom Kinn bis an die Fußspitzen und ein kleines, schwarzes Barett auf dem Haupt!«

Hier brachen sämtliche Zuhörer in ein lautes Gelächter aus, nachdem Kordelchen schon während der ganzen Erzählung öfters heimlich gekichert hatte. »Dummes Zeug!« rief Grundling ärgerlich und stürzte zwei Gläser Wein hintereinander aus, »was ist da zu lachen? Das war kein Spaß. Vom Felde glotzten mich ein paar Bauern groß an, ich schämte mich in dem Aufzuge, als ob ich nackt wäre, und sprang geschwind ins Gebüsch. Aber die Bauern, wie sie das sehen, fangen an zu schreien, und hurra hinter mir drein! Ich springe und schlüpfe und duck‘ mich in Gräben, an Zäunen, laufe in der Verwirrung gerade ins Dorf hinein, verwickle mich mit dem langen Roquelaure im Gesträuch, da fahren euch Hunde, Kinder und Weiber aus allen Löchern, und alles schreit Mordio. – So brachten sie mich ganz atemlos zum Pastor. Da hatt‘ ich nun gut reden, daß ich kein Jesuit, sondern eigentlich ein Philosoph sei, je mehr ich von Aufklärung sprach und auf die Jesuiten schimpfte, je schlauer und verdächtiger lächelte der Pastor dazu. Endlich gab er zu essen, ich hatte einen erstaunlichen Appetit. Über der Mahlzeit hör‘ ich draußen ein Pferd schnauben und scharren, der Pastor geht hinaus, ich vernehme eine feine Silberstimme, die sich voller Verwunderung und sehr eifrig nach mir erkundigt. Als ich ans Fenster trete, erblick‘ ich unter den alten Linden vor dem Pfarrhause ein hohes, schlankes Frauenzimmer zu Pferde, im Jagdhabit mit nickenden Federn auf dem Haupt. Sie ritt soeben wieder fort, ich konnte ihr Gesicht nicht mehr sehen, aber sie machte von hinten einen recht majestätischen Eindruck auf meine Sinne. – Nun kam und ging der Pastror wieder hin und her und hatte immerfort das fatale Lächeln im Gesicht, ich merkte, daß Boten abgeschickt wurden, ich hörte insgeheim vom Gerichtshalter etcetera flüstern, da wurde mir zuletzt angst, und gegen Abend schlüpfte ich unvermerkt durchs Hinterpörtchen, um die Nacht über nach Heidelberg fortzuwandern. Wie ich aber so vor dem Dorfe am Schloßpark vorüberziehe, hör‘ ich drin dieselbe Silberstimme sehr angenehm zur Laute singen. Das ficht mich an, ich trete in den Park, immer dreister und weiter – es war richtig die Reiterin. Sie hatte mich schon erblickt. – »O meine Ahnung! Wußt‘ ich’s doch, daß du kommen würdest, frommer Vater«, sagte sie, zu mir tretend. Nun hätte das doch mit dem Teufel zugehen müssen, wenn ich ihr Vater hätte sein sollen, denn sie war älter als ich und häßlich, lang und vertrocknet. Sie erzählte mir nun in der Geschwindigkeit, daß sie Schriftstellerin sei unter dem Namen Blancheflour, ich würde ihre Schriften wohl kennen, sie habe diesen wichtigen Moment in ihres Herzens Herzen längst ersehnt. – »Aber was wollen Sie denn eigentlich?« fragte ich ganz verblüfft. – »Nun mein Gott! katolisch werden! Aber du kennst wohl meine geistlichen Hymnen noch nicht, ehrwürdiger Vater?« – Und nun fing sie, eh‘ ich’s mir versah, wütend zu deklamieren an, bei jedem Vers trat sie in der Verzückung einen Schritt näher, ich einen Schritt zurück, bis an eine Laube, wo ich geschwind entwischen will. Da brechen auf einmal zwei junge Leute aus dem Buschwerk und gerade auf mich los; es war der Bruder des Fräuleins und sein akademischer Freund, ein durchreisender englischer Lord. Der Lord, der uns für verliebt hält, nimmt sich sogleich der verfolgten Unschuld der Jungfrau an, es werden Hieber angeschleppt, und ich muß mich auf der Stelle mit ihm duellieren. Ihr wißt, ich führte eine gute Klinge, der Lord ebenfalls, wir konnten einander nichts anhaben. Nun ging’s drauf, – das Fräulein lag in Ohnmacht – Schlenkerpriemen und Schulterquarten, daß ich mein Barett vom Kopf verlor. »Nur noch einen Gang!« rief der Lord entzückt aus – meinetwegen! – und wieder einen und noch einen! – Darüber wird mir endlich der Lord ganz gewogen, wirft den Hieber weg und embrassiert mich. – Nun fand sich’s, daß er auch ein heller, philosophischer Kopf, und ebenso erpicht auf Menschenbildung war als ich. Ich mußte mit ihm aufs Schloß, da hatte er alle Koffer foll neuer Konstitutionen, die er bei den verschiedenen Nationen anbringen wollte. Wir disputieren zusammen die ganze Nacht, wir werden ein Herz und ein Sinn, trinken Brüderschaft, und er proponiert mir, mit ihm zu reisen. Das Fräulein behandelte mich nun schnöde und verächtlich. Aber ich fragte nichts darnach, am folgenden Morgen saß ich mit dem Lord auf dem Wagen, und wir fuhren durch die Schweiz über Rom, Neapel, zwischen Kalabrien und Sizilien durch «

Halt! halt ein!« riefen hier die andern lachend dazwischen, »dein Lebenslauf kommt auf einmal so verteufelt ins Stürzen, daß einem ordentlich der Wind am Hute pfeift.«

»Was da halt!« erwiderte Grundling, trinkend und wieder einschenkend. »Aber in Spanien ging’s uns kurios. Das ist ein verteufelt hitziges Land, kaum hat man dort das Samenkorn der Weisheit in den Boden gelegt, so schießt’s einem auch schon gleich unter den Beinen empor, Disteln und Unkraut, da ist kein Halten mehr, und eh‘ man sich’s versieht, ist einem in dem verrückten Klima die ganze Vegetation über den Kopf gewachsen wie eine ungeheure Pelzmütze. Das haben wir dazumal wohl erfahren. Wir hatten uns durch Prozessionen, an Klöstern und Feudalsitzen vorüber, schon ziemlich tief ins Land hineingeärgert und ritten eines Abends soeben dem Gebirge zu, als sich ein paar wackere Burschen zu uns gesellten. Wem’s Ernst ist, der feiert nicht gern. Wir knüpften sogleich ein Gespräch aus dem Gebiet der praktischen Philosophie mit ihnen an, bald holten wir noch ein paar Wanderer ein und wieder ein paar, bis wir zuletzt am Fuße des Berges auf einen großen, hellen Haufen stießen. Ich besinne mich nicht lange und haranguiere das Volk. Ich sprach vom Aberglauben, von der Freiheit des Willens et cetera, ich kam immer mehr ins Feuer mit donnernder Stimme und zuckenden Gedankenblitzen, das zündet gleich rechts und links, die Kerls jauchzen, schreien Bravi und wieder Bravi, und eh‘ man die Hand umdreht, mitten in der Rede, heben sie mit Piken und Stangen ein altes, abgebrochenes Zelt hoch über ihre Köpfe, schwingen vor Entzücken mich und den Lord auf den Baldachin hinauf und tragen uns so im Triumph auf ein altes, adeliges Schloß zu. Da war’s doch nicht anders, als wollten sie mit unseren Köpfen die Mauern einrennen, denn in der Begeisterung fragten sie den Teufel darnach, daß das Schloßtor viel zu niedrig war für unseren Baldachin. Zum Glück erblickt‘ ich nebst dem Lord noch zu rechter Zeit einen Balkon gerade vor uns über dem Tore, wir erfaßten schnell das Geländer, die Kerls schritten wie toll unter uns weg, und so blieben wir draußen am Balkon hängen mit den Beinen in der Luft. Jetzt aber entstand unter uns ein Spektakel, ein Gedränge und Gewürge – denn die Kerls waren Guerillas – die vom Schloß fielen aus, die Guerillas ein – zwischen unseren Beinen hindurch flogen die Kugeln immerfort hin und her, der Lord verwünschte unsere Philosophie, worüber wir noch heftig aneinandergerieten. Wie wir nun so bedenklich hängen und streiten, stürzt plötzlich oben im prächtigen Mondschein zwischen blühenden Pomeranzenbäumen das Schloßfräulein auf den Balkon heraus, dunkle Locken, Alabasterhals und -busen und eine Laute im Schwanenarm. Die sieht mich penetrant an und bleibt wie verzaubert stehen, sie sieht mich noch einmal an – und: »O mein Traum!« ruft sie und läßt die Laute fallen. Darauf, schnell wieder gefaßt, erwischt sie mich hinten beim Kragen und hilft erst mir, dann dem Lord rasch übers Geländer auf den Balkon, in das Pomeranzengemach hinein. Jetzt aber war guter Rat teuer; ich unbewaffnet, kein Schwert in der Nähe, und von unten heult das Gedrossel, wie ein versessener Sturmwind, durch das alte Haus immer höher und näher herauf. Der Lord wirft sich noch geschwind an den Sekretär des Fräuleins hin, schreibt sein Testament und setzt mich zu seinem Universalerben ein. Unterdes aber – ihr kennt die südliche Glut – verliebt sich die Prinzessin«

»Prinzessin!« rief Fortunat, »du nanntest die eben noch schlechtweg vorhin Fräulein!«

»Verliebt sich die Prinzessin«, fuhr Grundling immer schneller redend und trinkend fort, »immer heftiger in mich, und erzählte mir, wie sie mich schon früher einmal im Traume gesehen, mit Uniform und dreieckigem Hut durchs Morgenrot auf Wolken schwebend, et cetera. Jetzt war auch der Lord mit dem Petschieren des Testaments fertig, die Prinzessin wollte uns aus dem Schlachtgetümmel heimlich salvieren, wir retirierten durch Kammern und lange Gänge unaufhaltsam immer höher hinauf, wobei uns noch der eigensinnige Lord gefährlich wurde, der niemals seine prallen, hirschledernen Hosen ablegen mochte, die nun in dem Mondschein von weitem leuchteten. So kamen wir endlich auf das flache Schloßdach hinaus, da standen wieder blühende Granaten und Limonien, in der Mitte plätscherte eine Wasserkunst sehr angenehm, in der Goldfischchen bei dem klaren Mondschein lustig hin und her fuhren. Aber da war nicht lange Zeit zur Ergötzlichkeit. Unter uns der Kriegslärm, vor uns der nächtliche Abgrund, dazwischen die schöne Herzogin mit der südlichen Glut immer dicht hinter mir drein: ich soll katholisch werden und sie heiraten, oder ich und sie müßten auf der der Stelle sterben! Ich aber kann mich in der Konfusion nicht resolvieren, da zieht sie einen unvernünftig langen Dolch aus dem Gürtel, preßt mich mit dem linken Arm fest an ihre Brust, holt mit dem rechten hinter meinem Rücken aus und will mich und sich zugleich durch und durch stechen. In demselben Augenblicke platzt die Falltür neben uns mit einem ungeheuren Knall, daß die Stücke meilenweit auseinanderfliegen. Sie hatten schon lange darunter gestemmt, und nun, wie wenn ein Champagnerstöpsel unverhofft losgeht, kamen auf einmal Guerillas, Schloßsoldaten und Alguazils, die einen mit den Ellbogen, die andern mit den Stiefeln voraus, mit unglaublicher Vehemenz aus dem Loche senkrecht emporflogen, und sowie einer auf das Dach wieder niederfiel, fuhr er seinem Nachbar gleich wieder in die Haare, so verbissen waren sie untereinander. Die verliebte Königin, da sie nun alles verloren sieht, faßt mich beim Arme und rasch mit mir fort an den Rand der Zinne; aber ihr wißt, ich hielt niemals viel auf Kleider, mein ganzer Ärmel läßt oben in der Naht los, und die Königin stürzt sich mit meinem Ärmel in den Abgrund hinab, in der Luft noch: »Don Grundlinghio!« rufend. – Unterdes bekommt mein Lord plötzlich seinen englischen Spleen. Eh‘ ich’s mich versehe, duckt er sich kopfüber in das Bassin der Wasserkunst. Das war nun aber so klein und seicht, daß ihm die Lederhosen oben trocken heraushingen. Ich schreie, die gestörten Goldfische stoßen wütend auf seinen Backenbart, alles umsonst! Er stampft und stopft sich selber immer tiefer hinein und ersäuft sich so mit aller Gewalt. Es war ein kritischer Moment, Feinde ringsum, ich ziehe schnell mein Schwert und mähe mich von Etage zu Etage hinunter, ein umgefallener Alguazil beißt mich in dem Gemetzel in die Wade, ich spick‘ ihn fest an den Boden.

»Aber was Teufel!« fuhr Grundling hier plötzlich mit sichtbarem Schrecken von seinem Sitze auf, »stehen denn die Toten wieder auf? Da geht wahrhaftig der Lord vorüber!« – Und in der Tat, durch die offenen Türen des Hauses sah man draußen auf der Gasse beim hellsten Mondschein die gelben Lederhosen eines rasch vorübergehenden Mannes schimmern. Überrascht sprangen nun auch die andern auf, denn sie glaubten in der Figur ihren langen Lord vom fürstlichen Hofe wiederzuerkennen. Eine schlanke Mädchengestalt, mit welcher die Eile des Fremden vielleicht in einigem Zusammenhang stehen mochte, schlüpfte unterdes, noch einmal zurückblickend, schnell um die dunkle Straßenecke. Grundling aber hatte den Engländer schon erreicht, und sie sahen nun beide in der Dämmerung wie zwei Schatten im Reiche der Toten dahinschweben.

»Laßt die Phantasten laufen!« sagte Kordelchen in der Haustür. »Wißt ihr denn nun aber auch, wer den Grundling eigentlich aus Heidelberg fortgeschafft hat? Der vermeintliche Proselytenknabe war ich selbst, und der sogenannte Jesuit niemand anders als ein junger Schauspieler, der mich damals heimlich von Heidelberg entführte. Wir mußten wohl den tollen Kauz über Hals und Kopf mit auf den Wagen packen, wenn er mit seinem Lärm nicht alles verraten sollte; mein Freund hatte in seiner kleinen Theatergarderobe zufällig eine Jesuitenkleidung, in die wir dann den Trunkenen hineinknöpften und des Nachts auf der Landstraße wieder aussetzten.« – »Nun wahrlich«, rief Fortunat lachend aus, »das ist ja ein wahrer Sturmbeutel voll Lügen!«

Währenddes ruhte Guido, der nach den heftigen Gemütsbewegungen über Grundlings Erzählung eingeschlummert war, draußen im Gärtchen, noch im Schlafe malerisch über einen zertrümmerten Säulenknauf hingestreckt. Otto aber blickte immerfort unverwandt in die Straße hinaus, auch er hatte vorhin jene flüchtige Mädchengestalt bemerkt und schien zerstreut und unruhig. Endlich hielt er sich nicht länger und schlug Fortunaten hastig noch einen Streifzug durch die Stadt vor, was dieser mit Freuden annahm. Kordelchen blickte beide listig an: »Felicissima notte!« sagte sie dann mit einem ganz besonderen, schelmischen Nachdruck, und als sich Otto unwillig darüber zu ihr wandte, war das wilde Mädchen schon im Hause und hatte die Tür laut lachend hinter sich verschlossen.

Sie eilten nun aus dem Gewirre der kleinen, engen Gäßchen ins Freie hinaus, Zithern schwirrten von fern durch die stille Luft, die Straßen waren noch voll Menschen, die fröhlich plaudernd und singend in der erquickenden Kühle auf und nieder schwärmten. Otto war still und schritt in Gedanken immer schneller und schneller, bis sie zuletzt an einen einsamen Platz kamen, wo er sogleich auf ein kleines, unansehnliches Haus zueilte. Er fand die Tür verschlossen und klopfte leise an; es blieb alles still drin, er klopfte noch einmal lauter. Da ließ sich eine überaus anmutige Stimme im Hause vernehmen: »Mein Herr, ich kann den Schlüssel im Dunkeln nicht finden, auch wacht die Mutter noch, aber habt die Güte, rechts die Straße hinabzugehen, dann links um die Ecke, über die Brücke fort, dann wieder rechts, das vierte Gäßchen links hinein, so kommt Ihr in einen kleinen Hof, und wenn Ihr dort nicht auf den Kettenhund stoßt und die Leiter findet, so könnt Ihr mir von dem Dache unseres Hinterhauses noch eine gute Nacht sagen; aber sputet Euch und fallt nicht, denn ich bin schon sehr schläfrig.« Und kaum hatte sie ausgeredet, so hörten sie sie schon, leise lachend, die Treppe hinanspringen. – »Annidi!« rief nun Otto, nun höchst verwundert hinauf. Auf diesen Ton öffnete sich schnell ein Fenster über ihnen, und eine Mädchengestalt von überraschender Schönheit mit rabenschwarzem Haar und Augen erschien im hellsten Mondglanz. »Bist du es!« rief sie erstaunt aus, »ich meinte, es wäre der lange Engländer, der mir vorhin wie auf hohen Stelzen nachkam.« Jetzt bemerkte sie auch Fortunaten, stutzte und war bemüht, ihr loses Halstuch vor dem Fremden rasch in Ordnung zu bringen. Otto hatte sich unterdes auf einen Stein gestellt und reichte so bis ans Fenster. Das Mädchen legte den schönen Arm vertraulich um seinen Nacken, sich hinausbeugend, daß ihre dunklen Locken aufgingen und den Freund von allen Seiten umgaben; dabei sah sie unverwandt Fortunaten an, dem sie nicht recht zu trauen schien. »Nein! Nein!« rief sie endlich, nicht ohne Koketterie ihre Locken wieder aus der Stirn schüttelnd, »was fragt ihr fremden Herren nach dem Ruf eines armen römischen Mädchens! Die Nachbaren wachen noch, und alle Fenster sehen im Mondschein wie glänzende Augen her, gute Nacht!« Hiermit warf sie noch unversehens jedem einen frischen Blumenstrauß ins Gesicht und schloß schnell das Fenster.

Währenddes waren zwei Frauenzimmer, dicht in seidene Mäntel verhüllt, eilig über den Platz gegangen. Fortunaten kam es vor, als hätten sie ihn im Vorüberstreifen scharf und verwundert angesehen. Er hörte sie darauf leise und eifrig miteinander sprechen, die eine sah noch einmal zurück, dann waren beide schnell verschwunden.

»O wie wunderschön sie ist!« rief Otto, noch immer nach dem Fenster schauend, aus und erzählte nun begeistert, wie er sein Liebchen auf einem ländlichen Feste zum ersten Male gesehen, wie sie mit ihren armen Eltern eingezogen, aber fröhlich lebe, wie sie von ihm Deutsch und er von ihr Poesie lerne, weil ihre Gegenwart, gleich der Morgenröte, alles verzaubere und verwandle. So gingen sie langsam durch die verlockende Nacht, die Nachtigallen schlugen aus allen Gärten und zahllose Brunnen rauschten von fern.

Siebenzehntes Kapitel

Siebenzehntes Kapitel

Die Villa des Marchese A. mit ihren kühlen Schatten, hohen, ausländischen Blumen und weißen Marmorbildern lag wie eine Insel in dem Weltgewühl, auf die sich Fortunat einsam verschlagen fühlte. Oft tönte es wunderlich in seine Morgenträume hinein, wie wenn eine Hochzeit in weiter Ferne schwirrend durch eine anmutige Landschaft ginge; wenn er erwachte, erkannte er Fiamettas liebliche Stimme, die treppauf treppab singend, plaudernd und lachend das ganze Haus schon mit fröhlichem Klang erfüllte. Eines Morgens fand er sogar einen frischen, vollen Blumenstrauß auf seinem Tischchen am Bett, er begriff nicht, wie er über Nacht dahin gekommen, und da er der kleinen Marchesin dafür danken wollte, schob sie’s lachend auf ihre Kammerjungfer Lenore, die ihn gestern dort vergessen, aber sie wurde über und über rot dabei. – Einmal kam er spät des Abends von einer Wanderung zurück, als er im Garten noch singen hörte, er meinte Fiamettas Stimme zu erkennen und wollte ihr noch eine gute Nacht sagen. Da war’s ihm, als säh er ihr Figürchen, verstohlen winkend und flüsternd, bald hier, bald dort durch das Gebüsch schimmern, er folgte immer eifriger durch Hecken und Dorn in eine ganz unbekannte Gegend des Gartens hinein, die schadenfrohen Nesseln stichelten auf seine seidenen Strümpfe, Eidechsen schlüpften überall neugierig durch das Gestrüpp. Plötzlich stand er vor einem Gartenhause, die Tür war fest zu, durch die geschlossenen Jalousien aber glaubte er im Mondschein flüchtig zwei frische Augen funkeln zu sehen. Sonst war alles still im ganzen Garten, und beschämt und verdrießlich wanderte er wieder nach dem alten Schlosse zurück. Aber es half ihm nichts, der Morgen kam doch wieder und das liebliche Stimmchen mit ihm wie ein Zaubervolge im Walde, der ihn neckend immer tiefer in das grüne Labyrinth verlockte, von dem kein Ende abzusehen war.

So waren mehere Wochen vergangen, Fortunat hatte, um sich alle Liebestorheit aus dem Sinn zu schlagen, sich endlich mit einer Art von Wut auf die Sehenswürdigkeiten der Stadt geworfen, mancherlei Studien und Ausflüge in die Umgegend gemacht und darüber seine deutschen Freunde fast ganz vernachlässigt. Er freute sich daher recht, als eines Tages Otto unerwartet gegen Abend zu ihm ins Zimmer trat, und bestürmte ihn sogleich mit Fragen nach Hohenstein, dessen grüne Stille mit allen ihren geliebten Personen ihm bei des Studenten Anblick wieder einmal ganz lebendig wurde. Aber zu seiner Verwunderung beantwortete Otto alles nur obenhin, ausweichend und beinahe verlegen. Dagegen schien ihn irgendeine gegenwärtige große Freude zu drängen, seinem Herzen Luft zu machen. Gegen seine sonstige zurückhaltende Gewohnheit teilte er unaufgefordert mehrere soeben vollendete Gedichte mit, sprach voll fröhlicher Zuversicht von seinen Plänen zu künftigen großen Arbeiten und entwickelte einen solchen bunten Reichtum der Seele, daß Fortunat wie in ein Kaleidoskop hineinzusehen glaubte.

Draußen wehte es unterdes schon wieder kühl über die Stadt, sie machten noch einen Gang ins Freie und Otto, sein Gespäch leidenschaftlich fortsetzend, führte den Freund zwischen kleinen Häusern und Weinbergen unvermerkt in eine schöne, abgelegene Gegend hinaus, die Fortunat noch nicht kannte. Garten stieß an Garten, ein unübersehbares, blühendes Paradies mit zierlichen Villen und Balkonen, auf denen manche schlanke Gestalt zwischen den Wipfeln erschien, alles von der untergehenden Sonne zauberhaft durchblitzt und beleuchtet. – »Wenn ich jemals aus diesem Glanze wieder in die dumpfe Enge meines deutschen Gebirgsstädtchens zurück müßte, wo sie jetzt wohl vor den Türen unter ihren hölzernen Lauben sitzen, die Hände vor Kälte fest eingewickelt, und nichts vernehmen als das Glöcklein der Bergleute und den Schlag des Eisenhammers von fern, und die Berge sehen von allen Seiten finster auf den stillen Markt herein, und der feuchte Wind schlägt den Kohlenrauch nieder und verhüllt alles wie ein Grab – mich schauert ordentlich bei dem Gedanken!« – »Hüt dich wohl«, entgegnete Fortunat, »es ist ein wunderbares Lied in dem Waldesrauschen unserer heimatlichen Berge; wo du auch seiest, es findet dich doch einmal wieder, und wär‘ es durchs offene Fenster im Traum, keinen Dichter noch ließ seine Heimat los.« – Otto schwieg nachsinnend – es war heut fast etwas Freudeverstörtes in seinem ganzen Wesen.

Auf einmal bog er rasch mitten in das Blütenmeer von Gärten hinein. Sie kamen an ein kleines, aber wohlgebautes, reinliches Haus, von Efeu, Weinlaub und blühenden Bäumen reizend überwachsen und verdeckt; die Tauben, die sich auf dem Dache in der Abendsonne spiegelten, die offenstehenden Fenster und Türen, wo bunte Schmetterlinge flimmernd ein und aus flatterten, alles gab ein wunderliches Bild südlicher Häuslichkeit. Otto führte seinen Begleiter ohne weiteres gerade durch das Haus in ein dahinter gelegenes einsames Gärtchen, umgeben von Nachbargärten, die von allen Seiten blühend hereinhingen und jede Aussicht verschlossen.

»Wo sind wir denn hier?« fragte endlich Fortunat erstaunt. Indem aber erschien ein Mädchen in der Haustür, er erkannte sogleich die schöne Annidi wieder. Sie begrüßte ihn etwas verwirrt und beschämt, dann trat sie unter eine Weinlaube und begann aus ihrem Handkörbchen einen Tisch reinlich zu decken, Gläser und Teller aufzustellen. Draußen im Nachbargarten hörten sie einen Knaben fröhlich singen:

Es sang ein Vöglein hier jedes Jahr:
Wie schön das Kränzlein im dunklen Haar!
Heuer ist’s Vöglein nicht wiederkommen;
Wer hat dir das schöne Kränzlein genommen?

Nun hielt sich Otto nicht länger, es kam alles heraus: daß Annidis Eltern seine Besuche ohne bestimmte Erklärung nicht weiter dulden wollten, daß er seit einigen Tagen mit dem Mädchen verheiratet und sich nun samt den Ihrigen hier eingenistet habe. Fortunat erschrak über diese ganz unerwartete Entdeckung und überdachte schnell die wunderlichen Folgen, die diese Übereilung für Otto herbeiführen mußte. Doch wurde er bald durch die liebliche Erscheinung der jungen Frau wieder beschwichtigt, die sich, ihrer neuen Lage noch ungewohnt, fortwährend mehr zierlich dienend als mitgenießend erwies, als sie sich nun fröhlich unter der Laube um den Tisch setzten. Auch ihre Eltern gesellten sich jetzt zu ihnen, zu Fortunats heimlichem Unbehagen, den die gewöhnlichen, welsch gekniffenen Gesichter störten. Sie mischten sich öfters ungeschickt mit in das Gespräch, redeten viel von guter Wirtschaft und dem nötigen Fleiße ihres Schwiegersohnes im Büchermachen, und Fortunat konnte wohl bemerken, daß sie ihn selbst als einen Zeitverderber und zweideutigen Kameraden Ottos scheel ansahen. – Unbekümmert saß und schmauste unterdes das glückliche Ehepaar, Annidi auf einem Fußbänkchen mit beiden Armen auf Ottos Knie gestützt und die gebratenen Kastanien ausschälend, die sie jede zur Hälfte miteinander teilten. Der Mond schimmerte schon durch das Weinlaub, Otto war seligstill, die junge Frau überaus schön, drüben sang der Knabe wieder:

»Wer hat dir das Kränzlein genommen?«

Fortunaten aber überwältigte mitten in dieser Stille eine unwiderstehliche Wehmut, als sei Otto nun hier in der Fremde märchenhaft verzaubert. Es wollte ihm das Herz zersprengen, er schützte ein dringendes Geschäft vor, ergriff schnell seinen Hut und nahm tief gerührt Abschied von dem Freunde, wie von einem Verstorbenen. Als er zurückblickte, standen Otto und Annidi noch in der Haustür. Glühwürmchen schwärmten leuchtend durch das Rebengelände, er sah von der schönen Frau nur noch die glänzenden Augen und Schultern, Otto erschien todbleich im Mondschein.

In wirren Gedanken war Fortunat hastig nach Hause geeilt. Der Mond schien prächtig über den alten Garten, er lauschte, ob er Fiametta nicht wieder singen hörte, doch alles blieb still. Als er aber um den Pfeiler des Schlosses trat, fuhr er heftig zusammen, denn in einer der Alleen glaubte er plötzlich sich selber zu erblicken. Unverwandt starrte er hin, die Gestalt zeigte sich noch einmal im hellsten Mondlicht, es war seine Kleidung, sein Gang, seine Haltung, und doch schien es wieder ein ganz fremder junger Mann. Jetzt blieb der Unbekannte lauernd hinter einer Hecke stehen. Da kam auf einmal Fiametta aus dem Gebüsch hervorgesprungen, besah ihn lachend rundum, dann gingen sie Arm in Arm tiefer in den Garten hinein. Mitten im fröhlichen Plaudern aber schienen sie plötzlich Fortunats Schatten auf dem Rasen zu bemerken, er sah sie erschrocken entfliehen, und bald war die ganze Erscheinung im Dunkel wieder verschwunden.

Fortunat aber hatte sich im Schloß gewandt und ging heftig in seinem Zimmer auf und nieder. »Also diesem galt das Abendliedchen letzthin, o ich Tor!« sagte er mit einem bittern Gefühl, das er sich selbst nicht eingestehen mochte. Es war fest beschlossen, er wollte sogleich morgen weiter nach Neapel reisen, ohne Fiametta noch einmal wiederzusehen. Noch in der Nacht schrieb er sein Vorhaben dem Marchese, der eben auf dem Lande war, und packte, in geheimer Wut lustige deutsche Lieder singend, seinen Koffer. Dabei schwirrten ihm die Worte aus einem alten Liede:

Das Kränzlein ist herausgerissen,
Ganz ohne Scheu sie mich anlacht:
Geh du vorbei: sie wird dich grüßen,
Winkt dir zu einer schönen Nacht.

immerfort durch den Sinn, daß er darüber aus Herzensgrunde hätte weinen mögen.

Am folgenden Morgen hatte er noch einige weitläufige Gänge, um das nötige Reisegeld zu erheben; so war die Mittagsstunde herangekommen, die Zeit der zauberischen Schwüle, die im Süden alles Lebendige überwältigt. Dennoch wollte er nicht abreisen, ohne vorher noch einen Streifzug durch den Garten zu machen. Da rührte sich jetzt kein Blättchen in der weiten, träumerischen Stille, die Vögel schwiegen, nur einzelne Schlangen sonnten sich ringelnd auf den einsamen Gängen, alle Menschen lagen wie tot. Es war das erstemal, daß er hier zu dieser Stunde wach war, und dieses Schlafen der Natur mit offenen Augen erschreckte ihn gespentisch. Er flüchtete nach einem kühlen Gartenhause, blieb aber überrascht im Eingange stehen, da er Fiametta, gleichfalls schlummernd, drin erblickte. Sie ruhte auf dem rechten Arme, das Gesicht von den losgelösten Locken halbverdeckt, heiter atmend, wie ein schönes Kind. Einige abgebrochene Worte hielten ihn fest. Sie sprach im Schlaf, immer deutlicher und zusammenhängender, aber zu seinem Erstaunen ganz in der ausländischen Weise, wie er selbst das Italienische zu sprechen pflegte. In wunderlichem Dialog hörte er nun, wie er aus ihrem eigenen Munde ihr gestand, daß er sich nur so kalt stelle, daß er sie aber eigentlich herzlich liebe. – Er erschrak, daß sie so aus seiner Seele redete. – Nun lachte sie in sich und entgegnete fröhlich: das wisse sie ja lange schon! – Dann sprach sie leise, immer leiser, als spräch‘ sie ihm ins Ohr, er konnte nichts verstehen, bis sie zuletzt, tief aufseufzend, sich zu regen begann.

Fortunat eilte ganz verwirrt nach dem Schlosse zurück, schon rührte sich’s wieder in allen Straßen, der Postillon draußen mahnte zur Abreise, er warf sich schweigend in den Wagen, und das lieblichste Rätsel, das er nicht zu lösen wußte, erfüllte seine ganze Seele.

Achzehntes Kapitel

Achzehntes Kapitel

Mehrere Monate sind seitdem verflossen, die Sonne glüht auf den Quadern der öden Paläste, und die Reichen sind längst auf ihre Villen geflüchtet, denn auf den Trümmern der alten Stadt sitzt die Aera cattiva schon wie ein verhülltes Gespenst, Fieber und Wahnsinn brütend. Wie ist Ottos Einsiedelei seitdem so seltsam verwildert! Die Ranken an der Haustür wuchern bis über das Dach hinaus, in dem Gärtchen hat üppiges Unkraut, in roten und gelben Blüten brennend, Beete und Gänge verschlungen. – Da kehrte Otto eines Tages ermüdet von einem weiten Spaziergang zurück, er fand im Hause alles ausgeflogen, nur die Bienen summten einförmig in dem stillen Garten, er fühlte sich unbeschreiblich verlassen, Hausflur, Stuben und Bäume kamen ihm in der ungewohnten Einsamkeit auf einmal so fremd vor, daß er erschrak. Er ging einigemal im Garten auf und nieder, dann setzte er sich zwischen den tief herabhängenden Zweigen an den Tisch und schrieb folgende Zeilen:

Die Nachtigall schweigt, sie hat ihr Nest gefunden,
Träg ziehn die Quellen, die so kühle sprangen,
In trüber Schwüle liegt die Welt gefangen,
So hat den Lenz der Sommer überwunden.
Noch nie hat es die Brust so tief empfunden,
Mir war’s, als ob viel Stimmen heimlich sangen:
Auch dein Lenz, froher Sänger, ist vergangen,
Auf welkem Laub nun liegst du selbst gebunden.
O komm, Geliebte, komm zu mir zurücke!
Daß ich in deinen Augen wieder lesen
Mein Hoffen kann, mein Singen und mein Lieben!
Doch weh! wie fremd sind plötzlich deine Blicke,
Als wärst du’s, die ich meinte, nie gewesen –
Wie einsam bin ich in der Welt geblieben.
Mein Weib schwärmt beständig,
Und Deutschland liegt so weit,
Das Dichten geht elendig
In meiner Einsamkeit.
Ich dehne alle Glieder
Aus dieser schwülen Gruft,
O Herr, gib Frühling wieder,
Luft, frische, freie Luft!

Als er von dem Blatt aufsah, hörte er draußen Vorübergehende reden in der fremden Sprache, aber ein Vogel über ihm sang wie ehemals in Hohenstein – er drückte die Stirn über beide Arme auf den Tisch und weinte aus Herzensgrunde.

Da hörte man plötzlich im Hause eine liebliche Stimme einzelne Klänge aus Opernarien theatralisch anschlagen. Eine junge Dame in reicher, eleganter Kleidung trat in den Garten und hob den seidenen Hut vom Köpfchen, die reichen Locken ringelten über den schönen, vollen Nacken hinab – es war Annidi, wie war sie seitdem so prächtig geworden! Sie warf ihre Handschuh der dienstfertig herbeieilenden Mutter nachlässig zu, während ihr Vater, der sie als Bedienter begleitet zu haben schien, im Hause Schal und Sonnenschirm niederlegte. »Der Graf Archimbaldi läßt dich grüßen«, sagte sie zu Otto, »aber die ganze Noblesse wundert sich, lieber Mann, daß du so menschenscheu bist und immerfort studierst, der lustige Duca sagte: Weisheit mache weiße Köpfe. Auch die junge Malerfrau war heute dort, mein Gott, wie war die angezogen! Der junge Mensch flüsterte mir heimlich ins Ohr, sie sei wahrscheinlich, erst halb schraffiert und grundiert, ihrem Pinsel von Mann entlaufen.«

Hier brach sie plötzlich erschrocken ab, da Otto endlich aufsah und ihr das bleiche, wüste Gesicht zuwandte. Sie hielt ihn für krank, sie ließ es sich nicht ausreden. Die Mutter mußte sogleich nach der Küche laufen, es wurde Tee gekocht, herzstärkende Tropfen geholt und Kräuter gestampft mit großem Geräusch. – »Mir geschieht schon recht«, rief Otto mit schneidender Bitterkeit aus, »ihr habt ganz recht, mit den Fingern nach mir zu weisen. Doch ich will einen Strich durch die Rechnung meines Lebens machen, o ja, ich will ja auch lustig sein, daß mir das Herz zerspringt!« – Aber wie es in solchen fällen wohl geht, Annidi hatte ihn ganz mißverstanden. – »Wahrhaftig«, – sagte sie, vertraulich näher tretend – »Du magerst mir ganz ab bei dem Leben, und ich wollt‘ es dir schon lange einmal sagen: so fleißig wie du bist, es kann dir ja doch am Ende einerlei sein, was du schreibst. Da ist der junge Schreiber uns gegenüber, du schreibst eine bessere Hand als er, das sagen alle, und was verdient der, wie lebt der gegen uns!«

Da kam die Mutter mit dem Tee, Otto wies sie so heftig von sich, daß Kanne und Tassen übereinanderstürzten. »Das kommt von dem ewigen Sitzen und Brüten«, sagte der erstaunte Vater in der Haustür. – »Ja, und jede Henne brütet doch mehr aus fürs Haus als er«, brummte die Mutter. Otto aber, um nur aus alle dem Plunder herauszukommen, war schon aus dem Garten und Hause fort und schweifte, so müde er war, in der Abendkühle durch die Gassen und dunkelnden Felder, bis die Nacht völlig hereinbrach.

Als er zurückkehrte, war schon alles still im Hause, es ärgerte ihn heimlich, daß Annidi nicht besorgter war um ihn. Er fand sie droben eingeschlafen, der Mondschein machte ihre Züge so mild, ach, und sie war so schön! Da blickte er durchs offene Fenster über die Dächer in die mondbeglänzten Abgründe der Stadt hinab, einzelne Wolken flogen darüber nach seiner fernen Heimat zu. – »Wunderbar«, sagte er zu sich selbst, »schon in meiner Kindheit, wie oft bei stiller Nacht im Traume hört‘ ich der fernen Roma Glocken schallen, und nun, da ich hier bin, hör‘ ich sie wie damals wieder aus weiter, weiter Ferne, als gäb‘ es noch eine andere Roma weit hinter diesen dunkelen Hügeln.«

In dieser Zeit traf es sich, daß in der Nähe von Rom auf dem Lande eine Kirchweihe gefeiert wurde. Annidi dünkte sich zu vornehm, um an dem Feste teilzunehmen. Otto aber, den es heimlich verdroß, warf einmal alle Papiere und Bücher beiseite und eilte hinaus ins Freie. Es war in den ersten linden Herbsttagen, ein warmer Regen hatte die Gegend erfrischt, Otto atmete tief auf, es war ihm, als wanderte er wieder nach Hohenstein. Je tiefer er ins Tal hinabstieg, je belebter wurden allmählich Busch und Felder, bunte Züge von Reitern und Spaziergängern schlangen sich wie Blumenkränze durchs Grün, von den Waldeswiesen schimmerten farbige Zelte, zwischen denen zerstreute Gruppen fröhlich lagerten, während luftige Gestalten im Ballspiel über den Rasen hin und her schwebten. Mitten in dieser Wirrung aber bemerkte Otto einen schlanken Zitherbuben, der auf seinem geschmückten Pferde langsam über die beglänzte Au dahinritt. Ein voller Kranz von frischem Weinlaub umschloß seinen Hut, von dem bunte Bänder in der Abendluft flatterten, von Zeit zu Zeit gab er einen vollen Klang auf der Zither. – Otto folgte der zierlichen Erscheinung, erstaunte aber nicht wenig, als der Knabe auf einmal deutsch zu singen begann:

    Die Lerch, der Frühlingsbote,
Sich in die Lüfte schwingt,
Eine frische Reisenote
Durch Wald und Herz erklingt!

»Mein Gott«, rief Otto sich besinnend aus, »das ist ja das Reiselied, das ich so oft in Deutschland gesungen habe.« – Er trat näher, der Zitherbube sang wieder:

Die Wolken ziehn hernieder,
Die Lerche senkt sich gleich
Gedanken gehn und Lieder
Ins liebe deutsche Reich.

Aber eh‘ ich ihnen selbst nachreite, muß ich vorher trinken, denn ich bin erdurstet«, unterbrach sich hier plötzlich der Knabe, während er vor einer Laube anhielt und lachend von seinem Pferdchen dem Otto fast in die Arme sprang. Dieser erkannte er nun Kordelchen, die ihn schon längst in der Menge hinter sich bemerkt hatte.

Sie zog ihn in die Laube, Guido und ihre anderen Begleiter, sagte sie, kauerten soeben wie Nachteulen in Ruinen und Felsenritzen, um zu zeichnen, überdies habe sie sich auch mit ihnen verzankt. – »Aber wie siehst du aus!« rief sie dann, Otton genauer betrachtend, »nüchtern und blaugrün, wie eine leere Weinflasche! Das kommt vom Ehestande. Armer Junge! bliebst du mir treu, so wärest du nicht in das Unglück geraten.« – Sie bestellte nun Wein, und sie setzten sich zusammen in die Laube. Otto hatte seit Monaten keinen Bekannten gesehen, nun war ihm nach der langen Einsamkeit wie einem Genesenen, der zum erstenmal wieder in die frische Luft kommt. »Sieh, Kordelchen«, sagte er fröhlich, »gerade in solchen linden Tagen war es auch, als wir uns zum erstenmal in Deutschland sahen.« – »Ganz recht«, erwiderte sie mit leuchtenden Augen, »wir rasteten eben unter einer alten Burg im Grün, da kam er aus dem Walde und sagte, er wollte mit uns ziehen.« – Sie meinte Lotharion, Otto dachte, sie spräche von ihm. »Wahrhaftig«, fuhr er fort, »mir ist heute als käme der Frühling wieder.« »Ach nein, nein«, sagte sie traurig, »der kommt nicht mehr wieder.« – Sie nippte schnell am Weinglas, um die Augen zu verbergen, die von Tränen glänzten, dann wandte sie das schöne, von Locken und Weinlaub verhängte Gesichtchen wieder heiter nach Otto herum. Da bemerkte sie, daß er, auf beiden Armen über den Tisch gelehnt, sie mit einem langen, wirren Blick ansah, den sie gar wohl verstand; sie schien davon überrascht, beugte sich plötzlich vor ihn und sah ihm halb fragend in die Augen. Da hielt er sich nicht länger, er drückte sie mit glühenden Küssen an sich. Sie erwiderte flüchtig den Kuß und sprang dann rasch auf. »Ei Ehemann!« rief sie mit dem Finger drohend, schwang sich behend auf ihr Pferdchen, und war im Augenblick zwischen den Zelten und Büschen verschwunden.

Otto hatte nun den Wein zu bezahlen, die Neige kam ihm jetzt schal vor, da sie die brennendroten Lippen nicht mehr darin kühlte. Draußen aber war unterdes der Abend verklungen und verblüht, nur von den Bergen sah man noch einzelne Leuchtkugeln aufsteigen. Wie im Taumel wanderte er zwischen den Gitarrenklängen, dem Singen und Plaudern der Heimschwärmenden durch die laue Nacht, als mitten in dem Jubel eine dunkle Gestalt an ihm vorüberstreifte, dann aber, plötzlich zurückgewandt, ihm fest ins Auge blickte. Mit Erstaunen sah er den Maler Albert vor sich stehen: ganz bleich, verwildert und abgerissen. – »Mein Gott! Wie kommen Sie nach Rom, und in diesem Zustande?« rief der Überraschte aus. – »Verloren, alles verloren!« erwiderte Albert finster und mit solchem Ausdruck des tiefsten Grams, daß Otton schauderte. »Aber hier belauscht uns der Mond noch, auch er ist falsch in diesem Lande«, fuhr er fort, indem er Ottos Hand faßte und ihn tiefer in den Wald hineinzog. Rasch und unzusammenhängend erfuhr nun Otto, daß sein wunderlicher Landsmann, von heimlich aufschlagenden Freiheitsflammen von neuem auf diesen vulkanischen Boden verlockt, schon seit längerer Zeit hier heimlich mit wenigen Gleichgesinnten seine Kunst, Gut und Leben an eine Tollheit gesetzt, daß aber jetzt alle Pläne gescheitert und er selbst als Carbonaro verfolgt werde. – Der gutmütige Otto bot sogleich alle seine Kräfte, Geld und Verbindungen zur Hülfe an, er wollte den Unglücklichen zunächst in seinem Hause verbergen, bis sich Gelegenheit fände, ihn heimlich aus dem Lande zu schaffen. Aber Albert schüttelte den Kopf, daß ihm die langen, struppigen Haare Augen und Wangen bedeckten. »Nicht um mich handelt sich’s hier«, sagter er, »sondern um die Schmach der Zeit. Horch, wie sie draußen jauchzen und mit den Sklavenketten lustig klingeln – das ist’s, was mir das Herz frißt!« Hier hörte man verworrene Männerstimmen weiter unten im Walde, die sich zu nähern schienen. Albert blickte wild um sich und zog einen Degen unter seinem Mantel hervor. Otto erkannte sogleich das Schwert vom großen Kriegsjahre dreizehn wieder. »Die Sbirren sind mir auf der Spur«, flüsterte er, »eilen Sie fort, es ist gefährlich, die Bahn eines Geschicks zu kreuzen.« Aber Otto war fest entschlossen, lieber das Äußerste zu wagen, als den Verwirrten in dieser Not zu verlassen. Rasch und geräuschlos schritten sie unterdes immer höher ins Gebirge hinauf, Albert hieb sich mit seinem Schwerte Bahn durch das Gestrüpp, aus welchem verstörte Schlangen nach den Steinritzen schlüpften. So waren sie auf einen Felsen gekommen, der schwindelerregend über eine unermeßliche, dämmernde Tiefe hinüberhing. Albert stand am äußersten Rande und wies mit seinem Schwerte schweigend in die Ferne. – »Großer Gott, wie herrlich!« rief Otto überrascht aus – Rom lag da unten still und feierlich im Mondglanz. – Da hörte er auf einmal ein Geräusch, er sah Albert plötzlich wanken, sinken. Der Unglückliche hatte sich mit heidnischer Tugend in sein eignes Schwert gestürzt. – »Grüße das Vaterland – ich sterbe – frei«, sagte er ohne Zeichen des Schmerzes, wehrte die Hand des hinzugesprungenen Otto kräftig ab und glitt, eh‘ ihn dieser wieder fassen konnte, rettungslos in den Abgrund hinab.

Entsetzt beugte sich Otto über die Felsenwand, es war alles still unten, nur der Strom rauschte zornig herauf – da faßte ihn ein unwiderstehliches Grauen, halb bewußtlos schwang er sich von Klippe zu Klippe den Berg hinunter. Im Fliehen bemerkte er seitwärts in dem Abgrunde mehrere dunkle, bewaffnete Gestalten mit Fackeln, die den Toten in ihrer Mitte gräßlich beleuchteten. Nun schlugen hin und wieder Hunde an, einzelne Stimmen wurden in dem Tale wach, der Widerschein der Windlichter spiegelte sich wild im Flusse. Otto wagte nicht mehr zurückzublicken, schauernd flog er über die stillen Felder, durch die leeren Gassen fort zu seiner einsamen Wohnung.

Hier fiel es ihm erst ein, daß er bei den Seinigen hinterlassen, diese Nacht auf dem Lande zubringen zu wollen. Er fand nun die Türen verschlossen, alles im Hause schien längst zu schlafen. Unmutig stieg er daher über den Zaun in den Garten, wo er sich sogleich auf die Bank in der Laube hinwarf. Das leise Rauschen in den Zweigen sang gar bald den Ermüdeten ein. Da träumte ihm, er läge in dem schönen Garten zu Hohenstein und sähe die steinernen Götterbilder vor sich im hellen Mondschein auf den Gängen stehen. Es war, als flüsterten sie in der Stille heimlich untereinander, und als er recht hinsah, regte sich das Venusbild und stieg langsam von dem marmornen Fußgestell herab. Mit Grauen erkannte er seine Annidi, sie kam gerade auf ihn zu, eine Marmorkälte durchdrang plötzlich alle seine Glieder, daß er erschrocken aufwachte. Als er aber noch ganz verwirrt umherblickte, stand wirklich die weiße Gestalt in der Haustür, leise flüsternd nach jemand zurückgewandt, den er nicht sehen konnte. Auf einmal schlug sie einen weiten Mantel auseinander, und Annidi trat aus den Falten hervor. Ein junger, hoher Mann umschlang und küßte sie, dann warf sie ihm lachend den Mantel zu und schlüpfte ins Haus, der Fremde schwang sich rasch über den Garten Zaun – und alles war wieder totenstill.

Otto starrte lange regungslos auf den dunklen Fleck, wo der furchtbare Spuk zerronnen. Darauf stürzte er aus dem Garten in die Nacht hinaus, ohne zu wissen wohin – er hatte ja nun keine Heimat mehr auf Erden! – Die Straßen waren öde, die Wasserkünste im Mondschein, die ihm sonst so bräutlich rauschten, kamen ihm jetzt gespenstisch vor, wie verschleierte Nixen, im Winde sich beugend und neigend, als flüsterten sie heimlich von ihm und seiner Schande. Unwillkürlich hatte er den Weg zu Guidos Wohnung eingeschlagen, er wollte ihn wecken, er mußte in dieser Stunde jemand haben, dem er alles sagte. Zu seinem Erstaunen fand er die Tür nur leicht angelehnt, ein Licht brannte drin. Als er in die Stube trat, sah er Kordelchen auf der Erde knien zwischen Wäsche und Kleidern, die sie eifrig in einen Mantelsack packte. Sie blickte erstaunt, fast erschrocken nach ihm herum. »Was willst du denn jetzt hier?« sagte sie, »Guido ist noch auf dem Lande, und kommt erst in einigen Tagen zurück.« – Otton aber wollte das Herz zerspringen, er warf sich auf das Sofa und brach, sein Gesicht mit beiden Händen bedeckend, in ein unaufhaltsames Weinen aus. Da stutzte Kordelchen, sie ließ alles liegen, setzte sich zu ihm und tröstete und streichelte ihn neugierig und mit herzlicher Teilnahme, bis sie nach und nach sein ganzes Unglück erfahren. Sie hörte alles still und nachdenklich an. Als er aber schwieg, sprang sie plötzlich fröhlich auf. »Wir reisen zusammen!« rief sie aus, »das ist eine langweilige Wirtschaft hier, und ich und Guido, wir paßten eigentlich niemals zusammen. Wenn er sich betrinkt, so ist das genial, wenn er sich verliebt, so ist’s Andacht, und wenn ich ihn darüber auslache, so wird er wütend und will mich durchaus mit sich emporflügeln, wie er’s nennt. Ich hab’s schon seit einigen Wochen beschlossen, ich reise heimlich fort und zurück nach Deutschland, ich habe soeben Geld genug, die Pferde sind bestellt – kurz: wir reisen noch heute!« – Dabei wartete sie gar keine Antwort ab, sondern rumorte und packte inzwischen immer lustig fort, Otto wußte nicht, wie ihm geschah, durch das offene Fenster wehte frische Reiseluft herein, der Morgen dämmerte schon leise über der stillen Stadt.

Wer dem Teufel läßt ein Haar, den faßt er ganz und gar. So brannte der Kuß von gestern noch immer heimlich fort auf Ottos Lippen, über den Trümmern seines Glücks war über Nacht eine üppig blühende Wildnis schimmernder Erinnerungen und Hoffnungen giftig aufgeschossen. – Und als die ersten Streiflichter des Morgens über die Berge flogen und die früherwachten Lerchen noch halbverträumt in den Lüften hingen, da zogen Otto und Kordelchen schon durch die stillen Felder nach Deutschland zu und sahen Rom, wie in einem Feuermeer, langsam hinter sich versinken.

Währenddes war Fortunat in Neapel und Sizilien umhergestreift. In seiner poetischen Behaglichkeit hatte er sich alles aus dem Sinn geschlagen und macht überhaupt aus seiner Liebe gar nichts als ein langes Gedicht in vielen Gesängen und verschiedenen Silbenmaßen, worin ein schönes, schlankes italienisches Mädchen die Hauptfigur spielte. Da begab sich’s aber, daß er im Schreiben sich nach und nach in diese Figur selbst verliebte, und je verliebter er wurde, je ähnlicher wurde sie unvermerkt der kleinen Marchesin, als ob Fiametta oft plötzlich zwischen den Blütengewinden der Verse hervorguckte und, ihn auslachend, ausrief: »Siehst du, ich hab‘ dich doch!« – Ja, als er in Sizilien eines Abends auf einem hohen, senkrechten Felsen über dem Meere eingeschlummert war, träumte ihm, die blaue Flut teile sich leise, und mit langem, grünem Haar und glänzenden Schultern tauche Fiametta unten empor, in irren Tönen wehmütig klagend. – Als er erwachte, war der Mond schon über dem Meere aufgegangen, in der Ferne aber sah er ein Segel schwellend durch die weite Stille nach dem jenseitigen Ufer Italiens hinübergleiten. – Da faßte ihn eine unwiderstehliche Sehnsucht, und schon die folgende Nacht segelt‘ er selber hinüber. Und so geschah es, daß aus demselben Morgenrot, in welchem Rom hinter Otto versank, die Gärten, Trümmer und Kuppeln vor dem glückseligen Fortunat duftig wieder emporsteigen.

Sein erster Gang war zu dem Palast des Marchese, mit klopfendem Herzen betrat er den stillen Hof. Er horchte, ob sich nicht irgendwo Fiamettas heitere Stimme vernehmen ließe, doch alles blieb lautlos, wie ausgestorben. So ging er durch die offene, luftige Säulenhalle in den Garten. Da sangen die Vögel und rauschten die Brunnen noch immer wie damals. Aber an der Hauptallee sah er Wäsche zum Trocknen aufgehängt, einzelne Ziegen weideten ungestört zwischen den verwilderten Blumenbeeten. Endlich glaubte er in einiger Entfernung deutsch reden zu hören. Er ging dem Klange nach und begegnete einem alten, unbekannten, etwas schäbigen Diener. Hastig fragte er nach dem Marchese A. und seiner Tochter. Der Alte sah ihn von oben bis unten an und sagte dann verdrießlich: dieser Palast sei von einem deutschen Kavalier bewohnt. Fortunat war wie im Traum. – Er verlangte nun, den Herrn zu sprechen. Der Bediente wies schweigend nach einer Laube und ging fort, ohne sich weiter um den Gast zu bekümmern.

Hellen Halses aber mußte nun Fortunat auflachen, als er in die bezeichnete Laube trat und in dem deutschen Kavalier unseren Freund Grundling erkannte: in dem geblümten Schlafrock des Marchese auf einem halbzerrissenen damastenen Sofa ausgestreckt, eine lange Tabakspfeife und ein Buch in der Hand, Talglicht, Fidibus und Kaffeekanne vor sich. Der Vielgereiste, an das wechselnde Kommen und Gehen in Rom längst gewöhnt, schien nicht im mindesten erstaunt, Fortunaten wiederzusehen. »Mir ist’s eben recht«, sagte er, »daß der alte Marchese bankerutt gemacht -« »Was! Der Marchese A.?« rief Fortunat höchst überrascht aus.

»Ja, eben recht, sag ich, daß er seinen Palast und Rom verlassen mußte, so konnt‘ ich mich hier in der liederlichen Wirtschaft seiner Gläubiger ziemlich wohlfeil einmieten. – Wenn nur«, fuhr er, seine Pfeife plötzlich grimmig wegsetzend, fort, »in der unvernünftigen Hitze der Tabak nicht so in die Zunge bisse!«

Hier verlor Fortunat alle Geduld. »Nun rede zum Teufel einmal ordentlich!« rief er, Grundling rasch an der Brust fassend, »wo ist Fiametta? Was macht sie?« – »In Deutschland wahrscheinlich und weint«, erwiderte Grundling gelassen. – »Warum weint sie?« – »Weil sie ein junges, albernes Ding ist, dem ein konfuser Wein, der noch moussiert, lieblicher in die Nase sticht als ein würdiges, abgelegenes Gewächs; das will heißen: die einen brutalen Phantasten, der sein Liebchen verläßt und seine Freunde drosselt, charmanter findet als -« »Und wem gehört jetzt dieser Palast?« unterbrach ihn Fortunat ungeduldig wieder. – »Einem filzigen Kaufmann, der ihn, seiner Entlegenheit wegen, abtragen lassen und die Steine verkaufen will.« – »So führ mich gleich zu ihm!« – Das war Grundlingen, der sich gern umhertrieb, eben recht. Wenige Minuten nach diesem Verhör waren sie schon auf der Straße, und Fortunat erfuhr nun noch unterwegs, daß Fiametta unmittelbar nach seiner Abreise aus Rom bedeutend erkrankt und bald darauf mit ihrem Vater plötzlich abgereist sei. Weder er noch der Kaufmann wisse, wohin sie sich gewendet. Auch Ottos und Kordelchens Flucht hatte der Müßiggänger schon erfahren. »Der Otto«, sagte er, »war beständig in poetischem Tran, das mußte ein Ende mit Katzenjammer nehmen.«

Während dieses Berichts waren sie bei dem Kaufmann angelangt. Dieser war, gleich Grundlingen, nicht wenig erstaunt, als nun Fortunat den alten, verfallenen Palast und Garten des Marchese zu kaufen verlangte. Die Hast und Jugend des Fremden weckte in dem Italiener merkantilische Gelüste und abenteuerliche Forderungen, da kam er aber bei Grundling übel an, welcher sogleich ein so heftiges Gezänk darüber anfing und mit solchem Geschrei fortsetzte, daß sie in einigen Stunden, ganz erschöpft, endlich, doch noch um einen leidlichen Kaufpreis einig wurden. Fortunat hatte erst kürzlich bedeutende Wechsel aus Deutschland bezogen, sie reichten eben hin, die Summe und eine genügsame Weiterreise notdürftig zu decken. Mit bewundernswürdiger Beharrlichkeit und Resignation trieb er nun das Geschäft, wie einen Kreisel, unausgesetzt zum Ausgange und endigte damit, den hocherfreuten Grundling zum Schloßwart seines neuen Besitztums einzusetzen.

Kaum aber hatten sie den Garten wieder erreicht, da erscholl im Hofe schon der fröhliche Klang eines Posthorns. Fortunat hatte seinen Wagen hierherbestellt, aus den früheren Gesprächen mit dem alten Marchese glaubte er zu ahnen, wohin er sich gewendet. Und als er nun endlich tief aufatmend draußen in den prächtigen Abend hineinfuhr, blühten alle Gärten, und ein Regenbogen stand über der Gegend, als müßte nun alles, alles wieder gut werden.

Neunzehntes Kapitel

Neunzehntes Kapitel

Auf dem fürstlichen Jagdschlosse, wo im vorigen Jahre alles so bunt und fröhlich war, sieht es jetzt ganz anders aus. Die Vögel picken frühmorgens auf der marmornen Treppe zwischen den Säulen, ein lässiger Gärtnerbursch dehnt sich in der Morgenkühle und schickt sich an, die verschlungenen Gänge notdürftig in Ordnung zu bringen, die überall blühend verwildern. In der alten Pracht funkeln die Sommernächte wieder über den stillen Grund, aber keine Gitarren erklingen mehr, nur die getreuen Nachtigallen schlagen wie damals in den Gebüschen, als klagten sie noch um Juannas verlorene Schönheit.

Der Fürst gedachte nicht mehr des Schlosses, er war selber lange verwildert. Zwischen Genuß und Reue, Lust und Grauen war er allmählich immer tiefer hinabgestiegen in die schimmernden Abgründe, wo mit verlockendem Gesang die Nixen im Mondschein auf den Klippen ihr feuchtes Haar kämmen, das ferne Wetterleuchten der Religion verwirrte ihn nur noch mehr; so hatte er sich im schönen Leben verirrt und konnte sich nicht wieder nach Hause finden. Da schlug die himmlische Liebe ihren Sternenmantel um den Todmüden. Er verfiel in eine schwere Krankheit, und als er wieder genas, war auf einmal alles vorbei. Die Leute nannten ihn wahnsinnig, er aber war vergnügt und blätterte Tag für Tag mit stiller, herzlicher Lust in den alten Bilderbüchern, die er als Kind gelesen; alles andere hat er vergessen. Sie hatten ihn endlich in einem entlegenen Flügel des Schlosses absondern müssen von der Welt, die er nur noch wie im Traume von ferne sah, nur die unschuldigen Vögel sangen alle Morgen vor seinen Fenstern von der alten Zeit, daß er oft erschrocken von seinen Bildern aufhorchte. – Aus seiner Hand aber hatte die Fürstin rasch die Zügel des Regiments ergriffen und lenkte keck, die Rosse peitschend, in die neue Freiheit hinaus.

In dieser Zeit kam Lothario eines Abends einsam von dem Gebirge herab. Wir wissen nicht, wohin er wanderte, sein Weg führte ihn durch die Stadt. Der Mond trat manchmal heimlich lauernd zwischen den Wolken hervor, da lag die alte Residenz unten wie eine Ruine phantastisch in der schwülen Nacht umher, es war schon alles still, nur ein Mädchen sang noch zur Gitarre aus einem Garten drüben und die Nachtigallen schlugen von den Bergen.

Er kehrte in einem wenig besuchten Gasthause ein, das draußen auf einer Anhöhe lag und eine weite Aussicht über die Stadt hatte. Dort mußte er lange pochen, eh‘ jemand erschien. Ein alter Diener sagte endlich, es sei alles in die Stadt gezogen, wo heute zum Geburtstag der Fürstin ein großes Fest gegeben werde. – Lothario nahm nun im oberen Stockwerk einen Saal in Besitz und öffnete rasch alle Fenster. Die prächtige Nacht duftete fast berauschend herauf. Er ließ Licht und Wein bringen, er fühlte seit langer Zeit wieder einmal eine rechte Lust zu dichten. – Als er sich aber so einsam hinsetzte und hastig trank und schrieb, da war’s ihm, als riefe es durch die Stille seinen Namen, erst leise, dann lauter, und der Teufel sähe ihm beim Schreiben über die Schulter und flüsterte zu ihm: »Nur zu, nur zu! die unschuldige Welt mit vornehmen Worten belogen und verführt, ich will dich dafür auf die Zinnen des Ruhms stellen, und die Welt soll dir huldigen!« –

Er sprang auf und erschrak, als er sich flüchtig in einem Wandspiegel erblickte, so bleich und wüst sah er aus. Da streifte der Wind klingend die Saiten einer Gitarre, die am offenen Fenster lag. Der Mond aus blassen Wolken beschien soeben wieder die stillen Bäume und unten die alte Stadt. Er trat mit der Gitarre ans Fenster und sang:

Lieder schweigen jetzt und Klagen,
Nun will ich erst fröhlich sein,
All mein Leid will ich zerschlagen
Und Erinnern – gebt mir Wein!
Wie er mir verlockend spiegelt
Sterne und der Erde Lust,
Stillgeschäftig dann entriegelt
All die Teufel in der Brust,
Erst der Knecht und dann der Meister
Bricht er durch die nacht herein,
Wildester der Lügengeister,
Ring mit mir, ich lache dein!
Und den Becher voll Entsetzen
Werf ich in des Stromes Grund,
Daß sich nimmer dran soll letzen
Wer noch fröhlich und gesund!
Lauten hör ich ferne klingen,
Lust’ge Bursche ziehn vom Schmaus,
Ständchen sie den Liebsten bringen,
Und das lockt mich mit hinaus.
Mädchen hinterm blühnden Baume
Winkt und macht das Fenster auf,
Und ich steige wie im Traume
Durch das kleine Haus hinauf.
Schüttle nur die dunklen Locken
Aus dem schönen Angesicht!
Sieh, ich stehe ganz erschrocken:
Das sind ihre Augen Licht.
Locken hatte sie wie deine,
Bleiche Wangen, Lippen rot –
Ach, du bist ja doch nicht meine,
Und mein Lieb ist lange tot!
Hättest du nur nicht gesprochen
Und so frech geblickt nach mir,
Das hat ganz den Traum zerbrochen
Und nun grauet mir vor dir.
Da, nimm Geld, kauf Putz und Flimmern,
Fort und lache nicht so wild!
O ich möchte dich zertrümmern,
Schönes, lügenhaftes Bild!
Spät von dem verlornen Kinde
Kam ich durch die Nacht daher,
Fahnen drehten sich im Winde,
Alle Gassen waren leer.
Oben lag noch meine Laute
Und mein Fenster stand noch auf,
Aus dem stillen Grunde graute
Wunderbar die Stadt herauf.
Draußen aber blitzt’s von weiten,
Alter Zeiten ich gedacht,
Schauernd reiß ich in den Saiten
Und ich sing die halbe Nacht.
Die verschlafnen Nachbarn sprechen,
Daß ich nächtlich trunken sei
O du mein Gott! und mir brechen
Herz und Saitenspiel entzwei!

Es blitzte wirklich von weitem, aber es waren nur einzelne Raketen, die von Zeit zu Zeit fern über dem dunklen, fürstlichen Parke lustig aufstiegen. Da fiel ihm das Fest wieder ein, von dem der alte Diener vorhin sprach, er beschloß, selbst noch hinzugehen.

Lässig schlenderte er durch die lange Vorstadt; bis dorthin war das Fest nicht gedrungen, die kleinen Häuser standen still und dunkel, nur wenige Laternen flackerten im Winde, der Nachtwächter schickte sich eben an, die zehnte Stunde auszurufen; von fern aber über die hellbeleuchteten Dächer und Schornsteine qualmte ihm schon der trübrote Schein der Illumination entgegen wie die aufgehende Sonne an einem nebligen Herbstmorgen. So war er ans Theater gekommen. Durch ein hohes, verhangenes Fenster glaubte er drin die Schauspieler mit aller Gewalt der Leidenschaft pathetisch deklamieren zu hören, ihn schauerte, so kühl und nüchtern war es dagegen hier draußen. Eine lange Reihe von Wagen, auf ihre Herrschaften wartend, stand an der finsteren Mauer, die Kutscher schlummerten auf ihren hohen Kutschböcken, der eine zog gähnend seine Taschenuhr heraus und hielt sie an den ungewissen Schein der Laterne. »Was Teufel spielen sie denn heut so lange?« fragte er einen Kerl, der eben an einem Eckpfeiler seine Fackel putzte, daß die Funken auf einen Augenblick das ganze langweilige Chaos wunderlich beleuchteten. Dieser nannte ein bekanntes Stück vom Grafen Victor von Hohenstein. – Da fuhr Lothario unwillkürlich zusammen. Er ging rasch hinein, ein gutes Trinkgeld schaffte ihm von dem verwunderten Logendiener noch einen Platz in der Fremdenloge.

Das Haus war prächtig erleuchtet und zum Erdrücken voll, aus der fürstlichen Loge zwischen den reichen Vorhängen blitzt‘ und schimmerte es von Sternen, Lichtern und schönen Frauenaugen blendend herüber. Das Stück war fast zu Ende. Es war, seltsam genug, eben Juannas frühere Geschichte in Spanien, alle wilden Waldbäche der Leidenschaft stürzten in dieser letzten Szene wie in einen mächtigen Strom zusammen. Die Schauspielerin, welche Juanna vorstellte, hatte, vielleicht bewußtlos, nach und nach das ganze Wesen der Gräfin angenommen: ihre frische Waldkühle, ihre Stimme, das strenge, schöne Gesicht, so funkelte sie mit den dunkelen Augen grade auf Lothario herüber. – Lothario sprang erschüttert auf, eine Totenstille herrschte im ganzen Hause. Da auf einmal beginnt ein Flüstern unten, es wächst und steigt allmählich durch alle Reihen der Zuschauer, viele Köpfe und immer mehrere wenden sich erstaunt nach Lothario herum. – »Was gibt’s da?« frägt die Fürstin, sich weit aus ihrer Loge hervorlehnend. – Ein Kammerherr drängt sich eilig vor, auf Lothario deutend: »Dort, der Dichter selbst, sie haben ihn erkannt, Graf Victor von Hohenstein.« – » Der?!« – entgegnet die Fürstin und sinkt verwirrt auf ihren Sessel zurück.

Unterdes war der Vorhang gefallen, ein wütender Applaus brach plötzlich los, sich immer wieder erneuernd. Den Grafen Victor aber – denn er war es wirklich – erfaßte ein seltsames Grauen vor dem hohlen Sturm des Beifalls, er sah noch einmal dazwischen einen sengenden Blick der Fürstin nach ihm herüberschießen, dann stürzte er entsetzt über die noch leeren Treppen ins Freie hinaus.

Mit welchen Gedanken sah er nun den weiten, gestirnten Himmel wieder! Die plötzliche Erinnerung an die Zeit, wo er das Stück geschrieben, versenkte seine ganze Seele wie ein ein Meer von Wehmut. Auf dem Gebirge in Spanien, als er an jenem stillen Abend, im Wald auf den Franzosen St. Val zielend, zum erstenmale Juanna erblickte, da war’s ihm, wie in die Sonne zu sehen – sie war schon lange untergegangen, aber Wald und Berge schimmerten und sprühten noch in wunderbaren Funken – damals dichtete er das Schauspiel von der wilden Gräfin. Da dachte er nicht, daß es so kommen würde! Und als es dann Friede und alles wieder still und nüchtern wurde, kehrte auch er nach Deutschland zurück, und der Frühling und das Grün der wechselnden Landschaften breiteten sich wie ein Schleier milde über das schöne Bild im Herzen. Aber nach der ernsten, bewegten Zeit, in der er ehrlich gerungen, kam ihm zu Hause nun alles so klein und unbedeutend vor, ihm war wie einem Schiffer nach langer, stürmischer Fahrt, der den Boden unter sich noch immer wanken fühlt und aus dem Wirtshaus am Ufer sehnsüchtig wieder in den kühlen Wogenschlag hinaussieht. In solcher Laune war er nach kurzem Umhertreiben, um sich von der guten Gesellschaft zu erholen, zum Teil auch aus grillenhafter, flüchtiger Neigung zu Kordelchen, unerkannt unter dem Namen Lothario mit der Schauspielerbande ausgezogen, wo wir ihn in jener regnerischen Nacht zum ersten Male trafen. – Hier hörte er plötzlich, daß die verlorengeglaubte Gräfin Juanna noch lebe und zu der ihr verwandten fürstlichen Familie geflüchtet, mit der sie auf dem nahem Jagdschlosse sich aufhalte. Da gab’s auf einmal frischen Klang! Sein Plan war gleich gemacht. Durch seine geheime Vermittelung erfolgte die Einladung der Schauspielergesellschaft nach dem Jagdschloß, er begleitete sie in seiner Verkleidung, denn es schien ihm lächerlich, ja sinnlos, um diese märchenhafte Diana auf dem gewöhnlichen Paradepferde gräflicher Galanterie zu freien. – Bei seiner eignen, sorglosen Unvorsichtigkeit konnte indes die Sache nicht ganz verborgen bleiben, der Fürst und seine Gemahlin wenigstens hatten unbestimmte Kunde von seinem Vorhaben, noch ehe die Truppe bei ihnen ankam. Insbesondere hatte die Fürstin, mit dem den Frauen in solchen Dingen eigentümlichen Scharfsinn, die eigentliche Absicht gar wohl erraten. Zwar erwarteten sie täglich den Baron Manfred auf dem Schloß, den sie insgeheim zu Juannas Bräutigam ausersehen. Dennoch konnten sie’s nicht lassen, die interessante Genialität einer so romantischen Maskerade um so leichtsinniger zu begünstigen, da im schlimmsten Falle Victor noch immer als eine bessere Partie für die unbemittelte Gräfin erschien als der etwas unscheinbare Manfred. So schwiegen sie recht mit innerlicher Lust und spielten die Getäuschten, täuschten aber unbewußt nur sich selbst, indem sie den zufällig dazwischengekommenen Fortunat, da er gleich von Anfang so rätselhaft auftrat, für den heimlich erwarteten Grafen hielten. – Victorn aber verlockte indes Juannas Schönheit nach und nach immer tiefer in das wildeste Labyrinth ausschweifender Wünsche, er gab ihren herausfordernden Blicken eine Deutung, die sie selber niemals kannte. Da hörte er auf der Jagd zum erstenmal von der nahen Ankunft des unbekannten Bräutigams – es war ihm unerträglich: er entschloß sich rasch, Juanna zu entführen, nur so, meinte er, könne diese wilde Nymphennatur bezwungen werden, gleichwie eine still aufsteigende Flamme sich plötzlich entfaltet, wenn der Sturm sie zerwühlt. – »Ja, kühne, schlanke Flamme!« sagte er nun tausendmal zu sich selbst, »wie griffst du plötzlich zornig in die Waldesnacht und klettertest furchtbar schön die Felswand auf und nieder, daß alle Wipfel donnernd in die Gluten sanken! Die lust’gen Wälder meiner Jugend sind verbrannt.«

In solchen Gedanken war Victor jetzt durch mehrere Straßen fortgeschritten. Die Wagen rasselten aus dem Theater, der hoffärtige Patriotismus kokettierte aus tausend geputzten Fenstern, Kinder zogen in dem magischen Licht lärmend durch die Gassen und brachten jedem brennenden Teertopf ein Vivat. Wohin er sich wandte, immer neue Feueralleen zogen sich durch die Nacht, bis er endlich unerwartet an den fürstlichen Garten kam. Ein Feuerwerk, wie es schien, war eben abgebrannt, nur einzelne Schwärmer stiegen noch empor und erleuchteten im Zerplatzen seltsam die Gegend und die verworrene Menge, die sich nun jauchzend nach allen Seiten verlief. Bei dem flüchtigen Widerschein glaubte Victor auf einen Augenblick sein Wirtshaus jenseits auf der stillen Anhöhe gesehen zu haben. Der Wege unkundig an dem fremden Ort, schlägt er die nächste Richtung ein und tritt durch ein Pförtchen, das er nur angelehnt findet, zwischen die Bäume hinein, verschlungene Gänge führen ihn immer weiter, auf einmal sieht er sich mitten im fürstlichen Park. Der Himmel ist schwül bezogen, zahllose Glühwürmchen schweifen in den dunklen Gängen, die weißen Statuen stehen einsam im Mondschein umher; da ist’s, als hört‘ er leise seinen Namen nennen, ein Flüstern geht seitwärts durchs Gebüsch, dann alles wieder still. – Jetzt schimmern auch die hohen Schloßfenster schon herüber, drin sieht er im hellen Glanz sich Masken wundersam bewegen, die eine Saaltür öffnet sich, ein Schwall von Licht und Klängen schlägt heraus – da fährt er innerlichst zusammen, denn bei dem brennenden Streiflicht sieht er plötzlich Juannas Gestalt zwischen den Bäumen entschlüpfen. Außer sich folgt er nach, er erblickt sie von neuem: Reitkleid, Gürtel und Hut, wie sie in Spanien getragen, endlich erreicht er sie, sie wendet sich rasch, mit Grauen sieht er in die dunklen Augenhöhlen einer Larve.

Er steht wie eingewurzelt vor ihr, während sie ihn schweigend zu betrachten scheint. – »Du fernes Wetterleuchten«, sagt er endlich ganz verwirrt, »ich folge dir, und wär‘ es in den Wahnsinn!« – Da erhebt sich auf einmal tiefer im Garten ein wunderbarer Gesang, fast ohne Melodie, in wenigen herzzerreißenden Tönen. Sie schauert, als bräch‘ der Tag an, ihre schwarzen Locken ringeln sich von beiden Seiten herab, er sieht die dunklen Augen aus der Larve funkeln. – »Morgen!« flüstert sie dann kaum hörbar und verschwindet schnell zwischen den wechselnden Schatten.

Victor aber flieht entsetzt durch den Garten, der Mondschein wiegt sich träumend auf dem Gebüsch, seitwärts schwanken Wasserkünste im Wind, wie Feen in langen, wallenden Schleiern. Plötzlich hört er den Gesang wieder erschallen. Auf dem steinernen Rande des Springbrunnens sieht er einen eingeschlummerten Mann sitzen, ohne Hut, mit dem Haupt vorüber nickend, der singt im Schlaf. Bei einem flüchtigen Mondblick glaubt er den bleichen, kranken Fürsten zu erkennen.

So kommt er ganz verstört in die Stadt zurück. Dort hat sich unterdes alles verwandelt. Nur einzelne Menschen irren noch beim ungewissen Schein der Laternen, die verlöschend flackern, zerrissene Wolken fliegen über die Dächer, die Nacht war finster und stürmisch geworden. Da schweiften zwei weibliche Gestalten eilig durch das Dunkel. »Wo schleppst du mich hin?« fragte die eine. – »Sahst du ihn nicht vorhin?« entgegnete die andere, »ich muß ihn haschen!«

»Kordelchen! Du?« rief Victor plötzlich vor ihnen stehend aus – »du siehst ja so blaß im Laternenschein, wie eine Leiche mit spielenden, funkelnden Augen.« – »Ach, dummes Zeug, red nicht so graulich«, sagte die Komödianten. – Er wollte fort, aber sie hatte sich schon fest in seinen Mantel verwickelt.

Sie standen an der offenen Tür eines kleinen Hauses. Ihre leichtfertige Begleiterin, die zu ihrem Verdruß noch gar nicht beachtet worden, wünschte schnippisch viel Vergnügen und verließ sie empfindlich. Kordelchen aber hatte ihren späten Gast bereits hineingedrängt. Ein schwüler Duft von halbvertrockneten Blumensträußen, die an den Fenstern standen, quoll ihnen aus der kleinen Stube entgegen. Das tief heruntergebrannte Licht, dem eine leere Flasche zum Leuchter diente, verbreitete eine ungewisse Dämmerung über ärmliches Hausgerät, zerbrochene Spiegel, Notenbücher und Kleidungsstücke, die überall unordentlich umherlagen. Mitten in dieser Verwirrung war ein wohlgekleideter Mann am Tische fest eingeschlafen, die Feder lag umgefallen noch zwischen seinen Fingern auf dem halbbeschriebenen Blatte vor ihm.

»Still, still, der wird ein Paar Augen machen!« sagte Kordelchen, indem sie Victorn leise an der Hand in einen entfernten Winkel führte und ihn dabei, eh‘ er sich’s versah, herzhaft in den Finger biß. Dann setzte sie sich auf einen Reiskoffer, öffnete ihre Schürze, die voll Knackmandeln war, und fing vergnügt an zu naschen und zu plaudern, man sah ihr recht die Freude aus den muntern Augen glänzen. So in aller Geschwindigkeit erzählte sie ihm, daß sie mit Otton aus dem langweiligen Italien entflohen, seit einigen Tagen hier sei und wieder aufs Theater wolle. Auf einmal sah sie Victorn lange ins Gesicht. »Armer Lothario«, sagte sie, »du siehst schlecht aus. Dacht‘ ich’s doch gleich, als du damals die Augen so hoch warfst, siehst du, wer hieß dich Gemsen jagen! – Aber so iß doch mit – und hast du die Fürstin heut gesehen? – sie ist als Gräfin Juanna maskiert.« – Dazwischen warf sie wieder Mandelschalen nach dem Schreiber hinüber, der noch immer schlief.

Da fuhr dieser erschrocken auf – es war Otto – sie wollte sich totlachen, wie er so wild aus dem Schlaf umherstierte. Aber Victor, bisher wie in Gedanken verloren, hatte sich bei dem unerwarteten Anblick des wüsten Gesichts plötzlich aufgerichtet. »Um Gottes willen, Otto!« rief er mit tief erschütterter Stimme, »flieh, flieh in die Nacht hinaus, in den Krieg, bau das Feld, spalte Holz, bettle von Haus zu Haus – nur fort von hier!« – »Geh, geh!« sagte Kordelchen, von ihrem Koffer springend, »du bist ja so pathetisch wie der steinerne Komtur aus dem Don Juan.« – Otto, den Kopf auf beide Arme gestützt, ahnet heimlich, was jener meint, Lotharios Urteil gilt ihm alles, seine ganze Seele hängt lauschend wie an einem jähen Absturz. – Aber Victors Sinn war heut wie ein schneidendes Schwert. – »Und red mir nicht von Poesie, von Dichterberuf«, fuhr er fort, »du hast nicht mehr davon als ein verliebtes Mädchen. Es gibt nur wenige Dichter in der Welt, und von den wenigen kaum einer steigt unversehrt in diese märchenhafte, prächt’ge Zaubernacht, wo die wilden, feurigen Blumen stehen und die Liederquellen verworren nach den Abgründen gehen, und der zauberische Spielmann zwischen dem Waldesrauschen mit herzzerreißenden Klängen nach dem Venusberg verlockt, in welchem alle Lust und Pracht der Erde entzündet und wo die Seele, wie im Traum, frei wird mit ihren dunkelen Gelüsten«

Hier hielt sich Otto nicht länger. Es überlief ihn eiskalt, als zuckte ein Blitz durch die Nacht und erleuchtete auf einmal gräßlich sein ganzes verlorenes Leben. Noch ganz verwirrt, im Innersten getroffen, ergriff er wie ein Rasender einen nahe gelegenen Theaterdegen und drang sinnlos auf Victorn ein. Dieser schleuderte den Wütenden weit von sich, daß ihm der Degen entfiel. »Ruhig!« rief er, »und bedenke meine Worte, ehe alles zu spät! Mich aber laß, ich habe mit mir selbst zu fechten, Gott gnad‘ uns beiden!« – So eilte er aus dem Hause fort.

Draußen auf der leeren Gasse hörte man noch Kordelchen klagen, die ihm betroffen nachgestürzt. »Lothario!« rief sie außer sich, »lieber, schöner, verrückter Lothario! ich bitt‘ dich um Gottes willen, kehre um, nur noch ein einziges Mal komm zurück! Es ist ja alles nicht wahr, was die Leute sagen, ich war dir immer im Herzen treu, was kann ich dafür, daß ich arm und schön bin? Ach, verlaß mich nicht, ich habe sonst niemanden auf der Welt! Wickle mich ins Schnupftuch, steck mich in deine Rocktasche, wenn du mir nicht traust, ich will still sitzen und dich ansehen, wenn du mich nur wieder liebhast, du wilder, abscheulicher Kerl!« – So bat sie rührend, lachte und schimpfte, bis sie zuletzt unaufhaltsam in heftiges Weinen ausbrach.

Aber Victor hörte sie nicht mehr. Er trat aus dem dunklen Stadttor, einzelne Morgenstreifen zuckten schon über die stille Gegend. – Durch seine Seele gingen übermächtige Gedanken. Aus der tiefen Nacht seines Grams stieg allmählich Stern auf Stern, ihm war, als müßt‘ nun alles anders werden.

Zwanzigstes Kapitel

Zwanzigstes Kapitel

Zu Weinsheim klangen die Abendglocken über die anmutige Gegend, das reiche Dorf mit seinen frischen, kühlen Gärten und dem weißen, herrschaftlichen Schlosse darüber lag schon vom Gebirge verschattet, während die Abendsonne weiterhin die fruchtbare Ebene und den gewundenen Strom noch heiter beleuchtete. Auf allen Feldern war ein fröhliches Erntegewimmel, bis weit hinaus hörte man singen, rufen und jauchzen und das Rasseln der Wagen dazwischen. Mitten durch die bunte Wirrung ritt ein schöner, schlanker Mann mit gebräuntem Gesicht langsam dem Schlosse zu, nach allen Seiten für den folgenden Tag Befehle erteilend und manchem scheuen, glänzenden Blick der Bauermädchen begegnend. Es war der junge Baron Manfred, dem diese Landschaft in doppeltem Sinne angehörte, denn er hatte sie wüst ererbt und durch Umsicht und verständige Anregung in einen blühenden Garten verwandelt.

In solcher Erntezeit haben die Landschlösser etwas unbeschreiblich Einsames. Auch Manfred fand Hof und Haus noch leer, alle Diener schwärmten noch draußen im Tale, nur die gegenüberstehenden Waldberge schauten ernst durch die offenen Fenster herein. – Ermüdet setzte er sich auf das Fenstergeländer, um sich in der Abendkühle zu erfrischen, als er auf der Straße, die vom Gebirge kam, einen wunderlichen Zug sich zwischen den Walnußbäumen langsam heranbewegen sah. Ein elegantes Kabriolett, das aber der Steinweg übel zugerichtet zu haben schien, wurde auf drei Rädern von einem Pferde mühsam fortgeschleppt. Ein Mann in seltsamer Reisetracht führte das Pferd am Zügel, eine junge Dame, mit einem Kornblumenkranz im Haar, schlenderte daneben, das Ganze gemahnte an ziehende Komödianten. Einige verspätete Jäger des Barons hatten sich dazugestellt, die Krüppelfuhre, wie es schien, mit derben Witzen gesegnend. Der Reisende aber blieb keine Antwort schuldig. Manfred konnte, da sie eben unter seinen Fenstern vorüberzogen, deutlich vernehmen, wie er den Jägern sehr eifrig demonstrierte, bei ihrer Kunst sei, außer den Frischlingen, nichts Frisches mehr, das Elend hätten sie aus den Wäldern verjagt und hegten’s zu Hause, von der Blume des Ganzen dürfe man vor gebildeten Löffeln gar nicht mehr sprechen, überdies sei Diana längst eine alte Jungfer geworden, es lohne nicht mehr, Hörner zu tragen. – So kamen sie alle mit großem Rumor und Gelächter oben an.

Hier warf der Fremde dem Jäger die Zügel zu und befahl ihm ohne weiteres, alles aufs beste unterzubringen, das Wägelchen wiederherzustellen und das Pferd reichlich zu füttern, das heute mehr die Sonne als der Hafer gestochen habe. »Das sieht hier gar nicht schlecht aus«, sagte er dann, sich zufrieden nach allen Seiten umsehend, »wem gehört das Schloß?« – Die Antwort des Jägers aber schien ihn aufs höchste zu überraschen. »Was! dem Baron Manfred?« rief er aus und flog sogleich nach dem Schlosse, wo er den eben heraustretenden Baron beinah übergerannt hätte. – »Waren Sie«, sagte er hastig und ohne alle Einleitung, »waren Sie nicht vor einiger Zeit auf Reisen? So sind Sie ohne Zweifel der gewesene Bräutigam der ehemaligen Gräfin Juanna, der damals auf dem fürstlichen Schlosse erwartet wurde!« – Manfred bejahte kurz und trocken. – »Aber heiraten!« rief der Reisende aus, »wer wird eine wildschöne Diana gleich heiraten wollen?!« – »Wer sind Sie?« unterbrach ihn hier Manfred, den Aufdringlichen mit etwas ernsten Blicken messend. – »Ja so!« – erwiderte dieser – »haben Sie vielleicht schon einmal von einem gewissen Dryander gehört?« – »Dem bekannten Dichter?« – »Der bin ich, ich reise eben auf Volkslieder, und jenes Frauenzimmer dort ist meine Frau.«

Nun stellte er die junge Dame mit dem Kornblumenkranze vor, die soeben an einem Ecksteine noch ihre Schuhe festband und ihnen, als sie sich nennen hörte, ein munteres, etwas trotziges Gesichtchen zuwandte, in dem wir sogleich Fräulein Gertrud als alte Bekannte vom fürstlichen Schlosse wiederbegrüßen. Die Kleine begann unmittelbar nach der ersten Verständigung, mit der Lebhaftigkeit eines jungen Sinnes, dem alles noch neu ist, von ihrer romantischen Fahrt durchs Gebirge, von dem Unfall mit dem Wagen und andern Abenteuern zu erzählen, wobei sie deutlich merken ließ, daß dem Baron eigentlich ein unverdientes Glück widerfahre, den berühmten Dichter Dryander bei sich beherbergen zu können. Der letztere aber, dem die Beschreibung zu schön und zu lang zu werden schien, war schnell wieder in den Hof zurückgeeilt, um Pfeife und Tabaksbeutel aus dem Wagen zu holen. – Und so sah sich denn Manfred allein mit der hübschen jungen Frau in einer seltsamen Lage; denn wenn er sie, nach ihrer ganzen Erscheinung, als ein lebenslustiges, verliebtes Landfräulein zu nehmen geneigt war, so wandelte sie nun auf einmal die Farbe und brach, zu seiner Verwunderung, ästhetische Diskurse vom Zaun. Und je länger er schwieg, je fröhlicher geriet sie, in der sichtbaren Lust, dem Landjunker zu imponieren, wie ein munterer Wasserfall unaufhaltsam in eine plauderselige Gelehrsamkeit, unbekümmert Zeiten, Autoren und Bücher durcheinander vermengend.

Ein Lachen hinter ihnen unterbrach hier plötzlich die sonderbare Unterhaltung. Es war Dryander, der sich unterdes wieder eingefunden und eine Zeitlang ungesehen alles mit angehört hatte. »Trudchen, Trudchen!« rief er immerfort lachend, »was geschieht dir? ich erkenne dich ja gar nicht wieder – dieses charmante Wesen und angenehme Klugsprechen, Attitüden und romantischer Shawltanz.: – Das resolute Weibchen aber schien nicht einen Augenblick betreten. Mit veränderter Stimme, die plötzlich wie der Absatz eines Pantöffelchens klang, erwiderte sie: »Solche Faxen leid‘ ich nun ein für allemal nicht von dir! Willst du ein Philister sein, so ist’s gut, ich werde auch sein, wie ich Lust habe!« – Dryander hatte sie unterdes umfaßt und walzte mit ihr auf dem Rasen herum. Sie aber schrie auf einmal laut auf und riß sich mit mehr Heftigkeit als Grazie von ihm los. »Du bist immer so ungeschickt«, sagte sie, »du trittst mir auf den Fuß.« – »Das ist nicht wahr«, rief Dryander. – »Wahr oder nicht wahr!« – entgegnete sie, »ich bin todmüde von deinem Herumziehen in dem dummen Gebirge, und ich will schlafen gehn, und das jetzt gleich!« – Nun geriet Dryander seinerseits in eine wunderliche Wut. »Um Gottes willen, nur keine Launen!« rief er aus, »Weiberlaune ist mir zuwider, wie das Pech am Pfropfen einer Champagnerflasche, ein ekelhafter Meltau auf Blumen, da ist offenbarer Wahnsinn noch herrlich dagegen mit seinem Abgrunde bodenloser Gedanken.« – »Und ich gehe doch schlafen!« unterbrach ihn Gertrud trotzig, machte Manfreden eine kurze Verbeugung und ging nach dem Schlosse, wo die alte Haushälterin des Barons, die den Spektatkel in der Haustür verwundert mit angehört hatte, die Erhitzte aufnahm und in ihre Zimmer führte.

»Ist sie nicht zum Küssen schön, wenn sie böse wird?« sagte Dryander zu Manfred gewandt. Manfred, ganz entrüstet über diese verkehrte, nichtsnutzige Wirtschaft, stellte ihn ernstlich zur Rede, daß er durch solche Tollheiten die Frau geistig vernichte. – »Ganz und gar nicht«, erwiderte Dryander, »faule Naturen werden erst in der Leidenschaft bedeutend und reizend, sie ist eigentlich sehr dumm.«

Unterdes war ein Tisch mit Erfrischungen im Garten aufgeschlagen worden. Dryander nahm ohne weiteres Platz, band sich eine Serviette unterm Kinne wie zum Rasieren vor und begann, so eifrig zu essen, wie Manfred noch niemals gesehen. Dazwischen erzählte er, von allen Schüsseln zugleich zulangend, wie in seinem Bräutigamsstande auf dem fürstlichen Jagdschlosse seine Aversion gegen eine feierliche Hochzeit ein unübersteigliches Hindernis geworden, wie er sodann einmal plötzlich vor dem hochaufgestapelten Hochzeitsbette erschrocken und davongegangen, Gertrud aber bald darauf aus Melancholie gleichfalls von dem Schlosse verschwunden sei.

»Aber auf dieser außerordentlichen Flucht«, fuhr er fort, »setzte mir die Liebe nicht wenig zu, ich kam ganz herunter, ich war fast nichts als Seele. In diesem Zustande hatte ich mich einmal des Abends im Gebirge verirrt, ich wußte durchaus nicht, wo ich mich befand, und war endlich, wie es mir vorkam, über die Trümmer eines umgefallenen Zauns in einen ehemaligen französischen Garten geraten. Durch die schnell vorüberfliegenden Wolken fielen nur einzelne Mondblicke zwischen finstern Laubwänden und künstlich verschnittenen Taxusbäumen über zerbrochene Statüen, die im hohen Grase lagen, aus dem Walde schlugen unzählige Nachtigallen. Nur eine Statüe in einiger Entfernung von mir schien noch wohlerhalten, es war eine sitzende Najade an einem steinernen Bassin, dessen klare Flut ihre Füße umspülte. – Ich bin eigentlich ein Schwärmer, mit über der Brust gekreuzten Armen lehnte ich mich nachlässig an einen neben mir stehenden antiken Opferaltar und sah eben unverwandt in den Mond, als der morsche Altar, den ich für Stein gehalten, hinter mir zusammenbrach. Daß ich mit umfiel, war das Geringste dabei. Aber denkt Euch mein Entsetzen! Über dem Gepolter wendet die Najade auf einmal den Kopf, richtet sich hoch auf und entflieht in den dunklen Garten. Trotz meiner Gänsehaut schreite ich doch auf das Bassin los und finde zwei der zierlichsten Pantöffelchen auf dem steinernen Rande. Ich lege sie sogleich an mein Herz zwischen Frack und Weste und komme, beim weiteren Vordringen, an einen von hohen Bäumen tiefverschatteten Platz. Auf dem Platze war ein Schloß, und an dem Schlosse ein Altan und auf dem Altan sehe ich, wie hinter einem Schleier von Mondschein, Blüten und Laubgewinden, das weiße Gewand der Najade wieder hervorschimmern. Das kam mir auf einmal ganz spanisch vor mit dem Balkone, ich redete sie erst zierlich in Assonanzen an, sie verbarg sich halb furchtsam, halb neugierig, bald sah ich eine Locke, bald ein bloßes Füßchen, bald einen Arm, bald wieder gar nichts. Ich wurde immer verliebter, die Reime flossen mir wie Lavendelwasser, ich sprach von des Mondes Zaubermacht, der das Lieben hat erdacht, von einer süßvalenz’schen Nacht, vom Kosen und vom Flüstern sacht, bis daß die erste Lerche erwacht! Sie schwieg immerfort, und wie auf der Himmelsleiter meines eigenen Wohllauts stieg ich endlich ohne weiteres auf den nächsten Baum, schwang mich mit der einen Hand auf den Balkon und hielt mit der anderen der Erstaunten ihre Pantöffelchen entgegen. In demselben Augenblicke aber entriß sie mir’s plötzlich und schlug mir damit tüchtig um beide Ohren. »Also das ist deine Treue!« rief sie, »ich erkannte dich gleich anfangs, o ich unglückseliges Mädchen!« – es war Gertrud selbst. Ich stand ganz verblüfft. Vergeblich sagte ich, daß ich sie eigentlich auch gleich anfangs erkannt hätte, und beschwor sie, nur jetzt das Maul zu halten. Aber sie glaubte und hörte nichts, sie schimpfte und weinte dazwischen immerfort. Über dem Lärm und Gezänke steckte die alte Amme, die ich noch vom fürstlichen Schlosse her kannte, ihr Gesicht aus der Schloßtüre und verschwand sogleich wieder, ein großer Hund schlug im Garten ein paarmal an, und eh‘ ich mich noch besinnen kann, tut sich die Balkontüre weit auf, und ein verworrener Haufe von Vettern, Lichtern und Dienern stürzt plötzlich hervor, voran ein großer, starker Mann in einem damastenen Schlafrock, mit kleinem dreieckigen Hut und langem Haarzopf, in der einen Hand eine Pistole, in der andern einen bloßen Degen. Die alte Amme, der vor den Folgen ihres Verrats bange wurde, wollte den Wütenden von hinten am Zopf aufhalten, darüber ringelte sich das Band los, und die langen Haare umflatterten ihn wunderlich wie ein phantastisches Hirngespinst. »Kopuliert sie in drei Teufels Namen!« donnerte er, mit dem Pistol nach mir zielend, denn es war niemand anders als Gertruds Vater. Ein alter Geistlicher, der nicht wußte, wie ihm geschah, trat aus dem Gefolge, und ich und Gertrud wurden auf der Stelle kopuliert.«

Hier stand Manfred, der schon mehrere Male den beredten Dichter unterbrechen wollte, entrüstet auf. »Schändlich!« sagte er, »mich friert innerlichst bei der Geschichte.« – Dryander sah ihn mit den geistvollen Augen ein Weilchen groß an, dann sprang er plötzlich auf und fiel dem Baron um den Hals. »Sie haben ganz recht«, rief er aus, »das ist die verruchte Doppelgängerei in mir, ich kann nichts Großes ersinnen, ohne ihm sogleich von hinten einen Haarbeutel anzuhängen, ein tragischer, wahnsinniger König und ein Hanswurst, der ihm fix ein Bein unterstellt, die hetzen und balgen sich Tag und Nacht in mir, daß ich zuletzt nicht weiß, welcher von beiden Narren ich selber bin.«

Manfred schwieg unwillig, Dryander aber war an den Abhang des Gartens getreten und schaute in das dunkle Tal hinaus; man unterschied nur noch einzelne Massen von Wald, Feldern und Dörfern, durch die weite Stille kam der dumpfe Schlag eines Eisenhammers herüber. – »Das ist schön!« sagte er, »es ist mir, als hört‘ ich den Pendul der Zeit einförmig picken. – Ich bleibe hier«, wandte er sich schnell zu Manfred: »ich habe das wüste Treiben satt; Profession vom Dichten machen, das ist überhaupt lächerlich, als wenn einer beständig verliebt sein wollte und noch obendrein auf öffentlicher Straße – ich will hier bei Euch die Landwirtschaft lernen!« – »Sie?« – erwiderte Manfred erstaunt, »das gäbe eine schöne Wirtschaft!« – Aber Dryander hörte nicht darauf. »Ich will mich«, fuhr er fort, »ich will mich hier wie auf den Grund des Meeres versenken, daß ich von der Welt nichts mehr höre – aber Ihr müßt mir die Hand darauf geben, daß Ihr so lange kein Wort von Literatur mit mir reden wollt.«

Er sprach so eifrig, daß er endlich auch den ungläubigen Manfred um so mehr mit sich fortriß, als dieser selbst überzeugt war, daß nur die Einsamkeit und eine eisern geregelte Tätigkeit den wirren Geist heilen könnte. Und mehr bedurfte es nicht, um ihn mit Leib und Seele für den Gedanken zu gewinnen.

Sie besprachen nun noch bei einer Bowle Punsch ausführlich den neuen Plan. Dryander faßte alles begeistert auf, richtete sich in Gedanken schon völlig hier ein, war beruhigt, fast weich, und in diesem ungewohnten Zustande unwiderstehlich liebenswürdig; und als sie endlich schieden, begab sich Manfred mit dem Gefühle eines begonnenen Werkes zur Ruhe und überdachte noch lange, wie er es am besten vollführen und gestalten wollte.

Wie sehr war er daher erstaunt, als er am folgenden Morgen vernahm, daß Dryander, der von dem übermäßig genossenen Punsch vor Hitze nicht schlafen konnte, noch lange vor Tagesanbruch die Frau und den ganzen Hof aufrumort habe und soeben schon wieder abgereist sei. – In des Dichters Stube fand er mehrere vergessene Kleinigkeiten, Tücher und Strümpfe auf allen Stühlen zerstreut, das offene Fenster klappte im Winde, auf dem Tische lag ein, wie es schien, vor kurzem von Dryander beschriebenes Blatt. Er nahm es auf und las:

Vor dem Schloß in den Bäumen es rauschend weht,
Unter den Fenstern ein Spielmann geht,
Mit irren Tönen verlockend den Sinn
Der Spielmann aber ich selber bin.
Vorüber jag ich an manchem Schloß,
Die Locken zerwühlet, verwildert das Roß,
Du frommes Kindlein im stillen Haus,
Schau nicht nach mir zum Fenster hinaus.
Von Lüsten und Reue zerrissen die Brust,
Wie rasend in verzweifelter Lust,
Brech ich im Fluge mir Blumen zum Strauß,
Wird doch kein fröhlicher Kranz nicht daraus!
Wird aus dem Schrei doch nimmer Gesang,
Herz, o mein Herz, bist ein irrer Klang,
Den der Sturm in alle Lüfte verweht
Lebt wohl, und fragt nicht, wohin es geht!

»Sollte man nicht wirklich denken, er sei durch und durch verzweifelt«, sagte Manfred, indem er das Blatt mitleidig lächelnd weglegte, »und ich wette, da hat er in der Zerstreuung alles wieder rein vergessen, was wir gestern verabredet.« – Und als er hinausblickte, sah er draußen im Morgenblitzen das Wägelchen des Dichters, über dem ein durchlöcherter Sonnenschirm aufgespannt war, wie ein Schattenspiel zwischen den grünen Bäumen dahinschwanken.