Drittes Kapitel

Drittes Kapitel

Als Fortunat wieder die Anhöhe erreichte, traute er seinen Augen kaum. Der schönste Morgenglanz blitzte jetzt über die gezirkelten Rasenfiguren und Tulpenbeete, an den Statüen hingen Mieder, Poschen und Schleier umher, ein frischer Wind ging durch den Garten, und ließ, die Zweige teilend, bald ein paar bloße Mädchenarme, bald ein ganzes zierliches Bildchen flüchtig erblicken. Und so glich der Garten mit den bunten Tüchern, die wie Frühlingsfahnen von den Büschen flatterten, mit den funkelnden Strahlen der Wasserkünste und dem heiteren Sonnenhimmel darüber auf einmal jenen alten Landschaften, wo alle Hecken von schwärmenden Nymphen wunderbar belebt sind. Erstaunt drang er weiter vor, da sah er eine junge Dame in wunderlichem Schmuck mit Reifrock, Mieder und gesticktem Fächer vor einem Springbrunnen stehen, sie bespiegelte sich, fröhlich plaudernd, im Wasser, schüttelte lachend die schweren blitzenden Ohrgehänge und sah wieder hinein. Auf einmal wandte sie sich, er glaubte in dem frischen Gesichtchen Florentine, die Amtmannstochter, zu erkennen, die er vorhin am Fenster gesehen. Aber nun erschallte ein lauter Schrei, und aus allen Hecken, in Taft und Seide rauschend, fuhren erschrocken fliehende Mädchengestalten durchs Grüne, als hätte der Wind Aprikosenblüten umhergestreut.

Fortunat folgte ihnen zu der Amtmannswohnung, wo sie verschlüpft waren. Aber hier hielt ihn neue Verwirrung fest, er fand auch dort alles in lebhafter Bewegung. Aus dem Mörserstampfen im Hause und dem ernstwichtigen Durcheinanderrennen der Mägde, zwischen dem man von Zeit zu Zeit die Kommandostimme der Amtmannin vernahm, schloß er sogleich auf ein großes Kuchenbacken im Innern. Draußen aber auf dem Rasen sah man große Teppiche ausbreiten, Sofas und Polsterstühle ausklopfen, überall wurden die verdunkelnden Doppelfenster ausgehoben, die Morgensonne schien lustig durch das ganze Haus, und einzelne Schwalben kreuzten jauchzend über dem Platze.

Ein langer, hagerer Mann mit dünnem Hals und hervorstehenden Augen schien besonders selig im dem Rumor, man sah ihn überall im dicksten Haufen schreiend, helfend und anordnend. Von diesem erfuhr Fortunat endlich, nicht ohne Müh, und wiederholte Fragen, daß die Pachterstöchter aus der Nachbarschaft angekommen und mit Florentine im Garten den alten gräflichen Hofstaat ausprobiert hätten, und daß alle diese Anstalten auf den feierlichen Empfang des heute erwarteten Studenten Otto zielten, der nach den eingelaufenen Nachrichten früher hier eintreffen könnte, als man anfangs glaubte. Der Mann aber war der Förster des Orts, der früher selbst das Gymnasium frequentiert und seitdem eine wütende Vorliebe für Studenten hatte. – Fortunaten war diese unverhoffte Wirtschaft ein willkommenes Fest. Er mischte sich ohne Verzug in das bunte Getümmel, um den Lärm womöglich noch größer zu machen. Dem Förster stellte er vor, wie unerläßlich es sei, den Gefeierten durch ein Triumphtor einzuführen, worauf beide sogleich voll Eifer forteilten, um die nötigen Materialien zu dem neuen Werke herbeizuschaffen. Unterwegs begegneten sie Waltern, der soeben mit einem Buche in den Garten ging. »Ich muß mich ein wenig sammeln«, sagte er flüchtig zu Fortunat, »ich freute mich so auf den stillen Tag im Freien, und nun bricht aller Plunder herein, es is mir einmal nicht gegeben, mit den Leuten über nichts zu schwatzen, es ist unleidlich!«

Inzwischen verzögerte sich Ottos Ankunft von Stunde zu Stunde. Walter hatte nicht lange gelesen, sondern revidierte in seiner praktischen Lust mit dem Amtmann die Höfe, Scheunen und Ställe. Im Garten wurden die Vögel schon still, Florentine und ihre jungen Freundinnen, wieder bequem in ihren gewöhnlichen Kleidern, flüchteten vor der steigenden Sonne aus einem Schatten zum andern, die immer kürzer wurden, jede hatte ein Stück frischen Kuchen in der Hand, sie wußten nicht, was sie in der Hitze anfangen sollten mit der langen Zeit. Auch ein junger Wirtschaftsschreiber mit Sporen und neuem Frack hatte sich eingefunden. Er trug den Mädchen die Tücher nach, focht mit seiner Reitgerte galant in die Luft und wußte durch Schnalzen auf Lindenblättern und andere artige Kunststücke sich bei den Frauenzimmern angenehm zu machen.

Plötzlich versetzte der Knall eines Böllers alles in die größte Verwirrung, aus allen Hecken und Türen stürzten die Erwartenden nach der Richtung hin, wo die Explosion erfolgt war. Dort gewahrten sie schon von fern den Förster am Abhange des Gartenberges, wie er soeben durch ein altes Perspektiv, das erwütend immer länger und länger hervorschob, in die Gegend hinausblickte. Als die andern endlich atemlos und fragend anlangten, warf er auf einmal das Fernrohr fort, ergriff eine neben ihm stehende Lunte und löste, zum Schrecken der laut schreienden Damen, einen zweiten Böller. Und in der Tat, in demselben Augenblick wurde durch den sich teilenden Pulverdampf zwischen den Kornfeldern am blaugewundenen Strom im Tal ein Reiter in bunter studentischer Tracht sichtbar, der nun auch seinerseits die harrenden auf dem Berge erblickte, und, freudig seinen Hut schwenkend, die Sporen einsetzte. »Otto! Otto!« rief alles fröhlich durcheinander und winkte ihm mit den Schnupftüchern entgegen. Der Reiter hatte untedes den Fuß des Berges erreicht, schwang sich vom Pferde, und auf dem nächsten Wege zwischen den grünen Rebengeländern aufsteigend erschien ein schöner Jüngling von etwas kleiner, zierlich schlanker Gestalt mit einem feinen Gesicht und fast träumerischen Augen.

Aber am Eingang zur ersten Allee wurde er plötzlich durch eine seltsame Erscheinung aufgehalten. Ein schöner Tannenbaum stand dort am Abhang von alters her, wie ein dunkler Ritter auf der Wacht, und ragte mit dem Wipfel bis über die Anhöhe hinauf. Auf einmal rauschte er mit den grünen Kronen und zeigte sein Riesenhaupt mit rotbraunem Gesicht und langem Schilfbart, das Haar phantastisch von wilden Blumen und Eichenlaub umkränzt. »Salve!« redete das Haupt, die Augen sichtbar bewegend, den erstaunten Studenten an:

Salve! Herr Doktor oder Magister!
Bin ein alter Bursch und haß die Philister,
Bin der Waldmann aus dem Gebirge hier,
Darf nicht näher treten zu dir,
Kann nicht zu dir kommen in Haus und Zimmer,
Trät dort alle den Plunder in Trümmer,
Drum schau ich über den Wipfel hier hinaus;
Und bist du der alte noch immer,
So lad ich dich wieder in mein grünes Haus!
Da gehn, wie damals, noch mit Gefunkel
Die Quellen verworren durchs kühle Dunkel,
Waldhornsklänge und Vögelschall,
Von fern dazwischen der Wasserfall,
Und über uns rauschend die Buchen und Fichten,
Erzählen dir wieder die alten Geschichten. –
Doch hast du über Pandekten und Latein
Seitdem vergessen die Sprache mein,
So magst du über deinem Buche hocken und lesen!
Das meine ich doch gescheiter gewesen!
Dann halt ich auf ewig meinen großen Mund,
Wir sehen uns nimmermehr wieder – und –

Und – hier blieb der Gebirgsgeist plötzlich stecken, man hörte eine andere Stimme immer lauter, aber vergeblich soufflieren. Darüber geriet das Haupt nach und nach ins Wackeln, auf einmal kollerte es zwischen den Zweigen auf die Anhöhe herunter, und prasselnd hinterdrein der Förster und Fortunat zu großem Gelächter und Ergötzen der Umstehenden.

Otto stürzte dem schimpfenden, sich abstäubenden Waldmann herzlich in die Arme, dann sah er mit den schönen Augen Fortunaten nachdenklich an. »Gott weiß es«, sagte er, »ich verstehe die Waldessprache noch immer, und was ich auch seitdem hinzugelernt habe, sie ist und bleibt doch meine rechte Muttersprache!« – Nun bemerkte er erst die andern in der Allee und fiel jubelnd dem Amtmann und seiner Frau und endlich auch den Mädchen in die Runde um den Hals, die errötend und verlegen sich des Ungestümen nicht erwehren konnten. Aber kein Mensch konnte zu Worte kommen, denn der unermüdliche Förster, der in seinem Eifer gar keine Notiz von der Rührung nahm, hatte insgeheim Pauken und Trompeten herbestellt, die jetzt furchtbar in die Ohren der Damen schmetterten, Böller auf Böller wurde dazwischen gelöst, er selbst aber rührte sehr künstlich die Pauken, auf die er zuletzt hinaufsprang und, Schlegel und Hut hoch über sich in die Luft werfend, unaufhörlich hurra schrie. Die Amtmannin wurde ganz zornig in dem Lärm, auch Otto schien verlegen und gestört. Da war der tolle Förster endlich mit seinem Empfange fertig geworden, und, noch ganz erhitzt von dem pappenen Riesenkopfe, in dem er vorhin gesteckt, führte er nun mit einer wunderlichen, ungelenken Grandezza die fremden Mädchen nach der Amtmannswohnung hin.

Hier unter den Bäumen standen auf einer altmodischen Kaffeeserviette, in welche verschiedene Städte und Hirschjagden rot gewirkt waren, unzählige kleine chinesische Tassen aufgepflanzt, ein ungeheuerer Kaffeekrug dampfte einladend dazwischen, die junge Dienstmagd im Sonntagsputz brachte eine Schüssel mit den in Kuchen gebackenen Namenszügen Ottos herbei und küßte dem neu angekommenen jungen Herrn hocherrötend die Hand. Der Förster, der alte Junggesell, war inzwischen in den vollen Redestrom seiner Feiertagslaune geraten und brachte alle seine alten Jagdspäße und lateinischen Brocken wieder aufs Tapet, worüber die Pachterstöchter, die ihn insgeheim für einen gewandten Weltmann und Gelehrten hielten, jedesmal in ein unmäßiges Lachen ausbrachen. Bald aber nahm Otto die Aufmerksamkeit ausschließlich in Anspruch, noch in der vollen Heimatsfreude des ersten Wiedersehens erzählte er von seinem Studentenleben in Halle, er sprach so frisch, und als nun gar der Amtmann die funkelnden Weinflaschen auf den Tisch setzte, glitten alle Gedanken fröhlich mit dem bunten Studentenschifflein am Giebichenstein und den blühenden Kirschgärten die Saale hinab in das gelobte Land der Jugend.

So war unvermerkt der Abend herangekommen, der Förster und die Mädchen hatten sich heimlich ins Haus geschlichen, Otto erzählte noch immer, als plötzlich die Tür sich weit auftat und bei dem Geschwirr einer Geige ein ganzer Hofstaat von Damen und Herren in Reifröcken, Haarbeuteln und altfranzösischen Fräcken sich rauschend herausbewegte. Man erkannte sogleich den Förster unter ihnen, er führte feierlich die jungen Leute vom Tisch den verlegen knicksenden Damen auf, die Geige schwirrte von neuem, und so entspann sich unversehens ein Tanz auf dem Rasen. Waltern wollt‘ es gar nicht gelingen, er wurde immer verlegener, je mehr die andern über ihn lachten, auch die beiden Pachterstöchter konten sich in ihren Staat nicht finden, in dem sie sich, wie in einem Gehäuse, nur schwerfällig bewegten und alle Augenblicke verwickelten. Jeder sprang, so gut er konnte, und als nun vom Schwung der Reifröcke die Lichter verlöschend flackerten, ergriff der Wirbel endlich auch die Alten am Weintisch, der Förster führte die sich vergebens sträubende Amtmannin zu einer Sarabande, jeder der übrigen wählte gleichfalls seine Dame, und es entstand eine wundersame, künstliche Verschlingung, wobei der Förster durch kühne Schwenkungen alles in Erstaunen setzte.

Auf einmal fuhr Florentine aus dem leuchtenden Kreise wie eine Sternschnuppe in den finstern Garten hinaus. Ihre Brust flog über dem knappen, seidenen Mieder, sie atmete erschöpft in der kühlen Nachtluft, dabei blickte sie immerfort nach den Bäumen zurück, als erwartete sie noch jemand. Fortunat bemerkte sie, ihn hatte unter den abenteuerlichen Gestalten nach und nach die Hofluft der alten Zeit unwiderstehlich ergriffen, er folgte rasch dem Mädchen nach, faßte sie zierlich an den äußersten Fingerspitzen und promenierte so feierlich mit ihr auf den geschnörkelten Gängen. Sie ließ ihm lachend die Finger, sah aber immer ungeduldiger zurück. So waren sie in galantem Diskurs an eine einsame Grotte gekommen, noch ein Überbleibsel jenes grillenhaften Schmuckes altmodischer Gärten. Bunte Muscheln blitzten im Mondschein von Decke und Wänden, ausgestopfte Reiher und Wasservögel standen mit weit aufgesperrten Schnäbeln auf Kristallriffen umher. – »Süßer Gott der Liebe«, sagte Fortunat, »das ist recht eine Grotte zum Schnäbeln, o wären wir doch jetzt zwei Turteltäubchen!« – Sie sah ihn einen Augenblick verschmitzt an, dann drehte sie leise einen verborgenen Kran, auf einmal spritzten alle Schnäbel funkelnde Wasserstrahlen grade auf Fortunat, und eh‘ er sich noch besinnen konnte, war seine wilde Taube in dem Sprühregen verflogen.

Er schüttelte sich lachend ab, und als er zu der Gesellschaft zurückkam, stand Florentine schon wieder am Tisch vor der Mutter, die ihr besorglich die Locken aus der heißen Stirn strich. Sie hatte die langen Augenwimpern tief gesenkt, denn es tat ihr nun heimlich leid um Fortunats neuen Frack, die flackernden Lichter spielten auf ihrem Gesicht und dem glitzernden Mieder, so sah sie in den rauschenden Wogen von Taft und bunten Schleifen wie ein Elfchen aus, das aus einer Tulpe guckt. – Walter sah sie lange unverwandt an, dann faßte er Fortunaten unter dem Arm und führte ihn rasch in den Garten. »Ist sie nicht wunderschön? O wie bin ich doch glücklich!« rief er aus und erzählte nun dem Freunde, daß er seit längerer Zeit mit Florentine verlobt sei, daß sie auf den Rat der Eltern nur noch eine bevorstehende Gehaltserhöhung Walters abwarteten und dann in dem Städtchen Haus und Garten mit der Aussicht auf Hohenstein kaufen und dort im Grünen sich für die ganze Lebenszeit miteinander einrichten wollten.

Kaum eine Stunde darauf aber war alles verklungen, aus den Tälern schallte das Zirpen der Heimchen herauf, man hörte nur noch die Kalesche der Pachterstöchter auf dem steinigen Wege durch die Nacht fortrumpeln, in der Ferne zerplatzten einige Leuchtkugeln, die der unermüdliche Förster noch aus seinem Gärtchen warf. – O glückselige, bangsame Einsamkeit, dachte Fortunat, wer es wie Walter über sich gewönne, sich ganz darin zu versenken!

Einundzwanzigstes Kapitel

Einundzwanzigstes Kapitel

Wir finden den Baron Manfred fern von seinem stillen, grünen Revier wieder, aus dem ihn eine Familienangelegenheit von besonderer Dringlichkeit verlockt hatte. Das Geschäft, das er heiter zu ordnen gedacht, war indes durch Mißverständnisse unerwartet verwickelt geworden, und unruhig, ja ernstlich besorgt verließ er soeben das Schloß einer ihm verwandten Dame, bei der er mehrere Tage verweilt.

Schon auf dem Schlosse hatte ihn ein verworrenes Gerücht interessiert, das sich weiterhin in den Dörfern immer wunderbarer ausschmückte. Es war die fast märchenhafte Sage von der Einsamkeit eines aufgehobenen Klosters im benachbarten Gebirg und von einem Mönch, der seit kurzer Zeit dort umgehe, während andere ihn wieder für einen wahnsinnigen Einsiedler hielten. Aber auch diese wußten nicht, wann und woher er gekommen; man nannte ihn nur den Waldbruder Vitalis. – Da Manfreds Weg ihn durch das Gebirge führte, beschloß er endlich, den geheimnisvollen Eremiten in seiner eigenen Klause aufzusuchen.

Es war ein schöner Sommerabend, als er zwischen Wiesen und nickenden Kornfeldern den bezeichneten Bergen zuritt. Ein Gewitter war über das Gebirge fortgezogen, und blitzende Tropfen hingen noch in Zweigen und Gras, aus dem ein erquickender Wohlgeruch emporstieg. Ein Holzhauer hatte ihm den Pfad nach der Einsiedelei gewiesen, die Gegend wurde immer höher, kühler und stiller, nur die Abendglocken schallten noch durch das feierliche Rauschen des Waldes aus den Tälern herauf. – In dieser kräftigen Einsamkeit konnte er sich eines zürnenden Mißtrauens gegen den Einsiedler nicht erwehren, den er soeben kennenlernen sollte. Es kam ihm kleinlich, ja verrucht vor, inmitten allgemeiner Lust und Not sich so in hochmütige Selbstliebe abzusondern und über die andern zu stellen. Der Mensch, sagte er zu sich selbst, der Mensch allein verwirrt alles mit seiner Leidenschaft und Affektation!

Durch solche Betrachtungen war er nach und nach ganz in Eifer geraten und nahm sich eben ernstlich vor, den Einsiedler durch vernünftige Überredung womöglich der Welt wieder zuzuwenden, als sein Pferd sich plötzlich scheute und heftig zur Seite sprang. Denn eine wundersame Gestalt war auf einmal zwischen den Bäumen hervorgetreten, unter denen nun auch die in den Fels gehauene, von wilden Weinranken kühl verhangene Einsiedelei nebst einem sorgfältig umzäunten Gärtchen sich zeigte. Der Eremit trug einen breiträndigen Pilgerhut, ein ungeheurer, alter Schlafpelz, der ihm überall zu weit war, rauschte im Grase hinter ihm her, während er aus einer langen Pfeife Tabak rauchte. Manfred traute seinen Augen nicht. »Wie!« rief er, »Herr Dryander – Sie also sind der Vitalis!?« – »Vitalis? Warum denn nicht?«erwiderte Dryander gelassen, »aber bleiben Sie mir mit dem dummen, wilden Pferde ein wenig vom Leibe.«

Manfred band sein Pferd an einen Baum und folgte dem Doktor, der sich fast bei jedem Schritt auf den Pelz trat, zu der Klause. Dort fehlte nichts zum Hausrat eines vollkommenen Waldbruders, ein weißer Totenschädel glänzte aus der Grotte, an deren hinterer Felswand ein großes, schmuckloses Kruzifix aufgerichtet war, ein Brevier lag auf der Bank vor der Klause, noch aufgeschlagen. Manfred sah lange finster umher, endlich brach er los. »Das ist kein bloßer Scherz«, sagte er, »es wäre zu frevelhaft. Aber auch der bitterste Ernst ist hier ein Frevel. Armer, grillenhafter, wetterwendischer Mensch, gehe erst zu den Einfälitgen in die Lehre, erkenne erst unten im Gedränge das unsichtbare Kreuz, das der Herr mitten im Leben aufgerichtet, eh‘ du es selbst zu fassen und in Seinem Namen die Welt zu belehren und zu richten wagst!« – »Amen, mein Sohn!« unterbrach ihn hier Dryander mit milder Stimme, »aber nimmermehr wird es dir gelingen, durch lose Worte mir das Rauhe meines Eremitenpelzes herauszukehren, denn mich erbarmt in tiefster Seele deine Verblendung. Also von der Welt Rumor, mein Sohn, hoffst du noch immer zu lernen, sondern niederzustürzen auf die Knie, denn mitten in der Stille der Waldeseinsamkeit, plötzlich und von Waffen blitzend, kommt der Engel des Herrn!« – Hier zog und qualmte der Zelot so heftig aus seiner Tabakspfeife, die ihm über dem Reden ausgehen wollte, daß Manfred mitten in seinem Ärger in ein lautes Gelächter ausbrach. Das steckte Dryandern an, er stimmt unaufhaltsam mit ein. Beide aber wandten sich erschrocken, als plötzlich hinter ihnen das herzhafte Lachen noch eines Dritten dareinschallte.

Ein großer, starkknochiger Mann mit gebräuntem Gesicht und wild herabhängendem Haar, eine grobe Kutte mit einem Strick um den Leib gebunden, trat aus dem Gebüsch hervor und konnte sich, noch immer lachend, gar nicht satt sehen an dem abenteuerlichen Aufzuge des Dichters. Es ergab sich nun, daß der Neuangekommene der eigentliche Besitzer der Klause sei und daß Dryander erst vor wenigen Stunden, auf seiner Fußreise vom Gewitter überrascht und ganz durchnäßt, sich hierher geflüchtet und, während der Eremit in den Wald nach Holz gegangen, es sich in dessen trockenem Pelze bequem gemacht hatte.

Der Einsiedler machte sich nun sogleich mit Manfreds Pferde zu schaffen, er zäumte es ab, warf ihm Heu vor, streichelte und betrachtete es mit großem Wohlgefallen. »Eine saubere Kreatur!« sagte er, »da versteh‘ ich mich noch drauf aus meinen jungen Jahren, als ich bei dem löblichen Kürassierregiment stand.« – Darauf traf er mit gleichem Eifer Anstalten, seine Gäste zu bewirten, die unterdes einige nähere Blicke in die kleine Wirtschaft tun konnten. Im Garten hatten Kartoffeln und Kohl fast alle Blumen verdrängt; am Eingange desselben aber fiel ihnen ein frisch gegrabenes Grab auf. »Das ist nur so gegen die überflüssigen Weltgedanken«, sagter der Einsiedler – »succumbit humi bos et Caesar.« Quer über dem Grabe waren zwei große Speckschwarten auf Stangen befestigt. Der Einsiedler meinte, in der Hütte kämen ihm sonst die Ratten darüber.

Er setzte nun Weinflaschen und Gläser auf den steinernen Tisch vor der Klause, die Gäste mußten sich auf der Bank herumsetzen, er wollte einmal etwas Neues aus der Welt hören. Dryander, den der viele Kohl im Garten ärgerte, nannte ihn einen Canonicus in herbis und sprach wütend das tollste Küchenlatein, der Einsiedler antwortete ebenso und schien erst recht vergnügt in dieser barbarischen Sprachverwirrung. Dazwischen rauchte er, heftig dampfend, stinkenden Tabak aus einer kurzen ungarischen Pfeife, im Wein aber tat er wenig Bescheid, er mache ihn, sagte er, aufgeblasen und zänkisch. Er erzählte ihnen, daß er Frater Sammler in dem Kloster oben gewesen, nach dessen Aufhebung aber sich hier angesiedelt habe und bei den Bauern in der Runde, die ihn aus alter Bekanntschaft mit allem, was er brauche, reichlich versähen, sehr gut seine Rechnung finde. Überhaupt sei es ihm im Leben immer gut gegangen. Schon als Kind habe er mit seinem alten Vater, einem blinden Geiger, so viel erbettelt, daß er die Schulen besuchen konnte. Später sei er zum Kürassierregiment eingezogen aber gleich in der ersten Bataille so übel zugerichtet worden, daß sie ihn doch wieder hätten laufen müssen. Als er darauf in sein Dorf zurückgekommen, habe seine Braut unterdes einen andern geheiratet, den sie nun halb tot keife. »Laus Deo!« schloß er, mit seinem Glase lustig anstoßend.

Manfred betrachtete, nicht ohne tiefe Wehmut, den fidelen Einsiedler, den das Leben mit allen seinen Stößen nicht hatte unterkriegen können und der nun die Frömmigkeit frisch weg wie ein löbliches Handwerk trieb. – »Es ist ganz unmöglich«, rief er endlich nach einigem Nachsinnen aus, »auch Sie sind nicht der Vitalis!«

»Oho!« erwiderte der Waldbruder, »ich und Herr Vitalis! wo denkt Ihr hin, nicht seine Schuhriemen aufzulösen, bin ich würdig und ich tät’s ihm gern heut und allezeit, wenn er es litte! Nein, nein, der wohnt dort im ehemaligen Konvente.« – »Als Nachteule«, sagte Dryander, »um die Mäuse wegzuschnappen, die nach deinen Speckschwarten gehen.« – »Still«, fiel ihm der Einsiedler mit überfliegender Röte schnell ins Wort, »schnattert nicht so ungewaschen ins Zeug hinein, wenn Ihr nichts von der Geistlichkeit versteht. ›Contenti estote‹, sagte einmal ein Kapuziner in einer Komödie, die ich noch als Soldat gesehen habe, das heißt: begnügt euch mit eurem Kommißbrote, wenn ihr das Himmelsmanna nicht vertragen könnt!« – »Na, seid nur nicht gleich so grob«, lachte Dryander, den der Vorwurf heimlich wurmte.

»Abgemacht!« rief der gutmütige Klausner. »Aber vom Herrn Vitalis muß ich euch noch erzählen.« – Er rückte voll Eifer näher und dampfte so hastig aus der ungarischen Pfeife, daß Dryander sich an das andere Ende des Tisches setzte. – »Seht«, sagte er, »es war gerade eine so schöne, sternklare Sommernacht wie Anno 1814, da wir über den Rhein rückten. Ich hatte meinen Rosenkranz eben abgebetet und stand auf und zog, wie ich alle Mitternacht zu tun pflege, die Glocke über meiner Hütte, denn den Kranken unten in den Dörfern, wenn alles schläft, ist es tröstlich, das Glöcklein von den Bergen zu hören. Auch das Wild ist’s schon gewöhnt, ich hab‘ jedesmal meine Freude daran, wie die Rehe dann im Mondschein dort auf die Wiese herausgekommen und das Weiden vergessen und die Köpfe hoch nach dem Klange wenden, als wollten die armen Dinger auch Gott loben. Nun, jedes tut, was es kann. Aber diesmal schnaubten sie auf einmal, und eh‘ ich mich’s versah, waren sie plötzlich nach allen Seiten zerstoben. Ich tret‘ heraus, da steht ein schöner, wilder Jägersmann dicht vor mir. »Laudetur Jesus Christus«, sage ich. Er aber, ohne Amen zu sagen: »Was machst du da?« – »Wie Ihr seht, Herr, ich bin ein Einsiedler und bete, wenn die andern schlafen.« – »Und schläfst, wenn die andern beten, das ist alles eins!« – »Gewiß, so lösen wir einander ab auf der himmlischen Schildwacht.« – Der Jäger darauf stöbert mir in der Hütte herum, sieht mein Moosbett, das Kreuz, den Totenkopf. »Vollständige Dekoration«, sagt er, »bist du so faul, daß dich der Kahlkopf da mit seinen gefletschten Zähnen erst jeden Abend ins Gewissen beißen muß, um zu beten?« – »Herr«, erwidere ich, »Ihr werdet mir nichts weismachen, ich bin Soldat und Mönch in dem Kloster da droben gewesen und weiß wohl, daß es leichter ist, eine Festung als das Himmelreich zu erobern. Nun möcht‘ ich doch den Prahlhans sehen, der eine Festung ohne Bajonett, Leiter und Handwerkszeug nehmen wollte! Und Ihr wollt den Himmel, der höher liegt, stürmen, nackt und erbärmlich, wie Ihr seid, ohne Wehr und Rüstung und tägliche Übung in den Waffen? Ich sage Euch: Demut ist der Anfang und Ende, hochmütiger Mensch!« – Der Fremde sah mich groß an mit funkelnden Augen, dann stützte er auf dem Tische den Kopf in die Hand, ich meint‘, er betrachtete den Totenkopf, der vor ihm lag, aber er mochte wohl andere Gedanken haben. Sitz du, solange du willst, dachte ich, ich fürcht‘ dich nicht, ich trau‘ dir nicht. Damit streckt‘ ich mich auf meine Streu und behielt ihn in den Augen, bis sie mir am Ende zufielen.

Als ich aufwachte, waren meine Augen noch immer auf den Tisch gerichtet, aber der Jäger saß nicht mehr auf demselbigen Punkt. Als ich aber vor die Klause trat, sah ich ihn in der Morgendämmerung schon von dem alten Kloster herabkommen. Es war ein prächtiger Morgen, die Hähne krähten unten in den Dörfern, hin und her klang schon eine Morgenglocke durch die stille Luft. Auch der Fremde, nachdem er mich freundlich gegrüßt hatte, blieb stehen und sah lange ins Tal hinaus. »Sieh«, sagte er, »das ist ein Friede Gottes überall, als zögen die Engelscharen singend über die Erde! die armen Menschenkinder! Sie hören’s nur wie im Traum. Müde da unten, verirrt in der Fremde und Nacht, wie sie weinend rufen und des Vaters Haus suchen, und wo ein Licht schimmert, klopfen sie furchtsam an die Tür, und es wird ihnen aufgetan, aber sie sollen den Fremden dienen um das tägliche Brot; darüber werden sie groß und alt und kennen die Heimat und den Vater nicht mehr. O wer ihnen allen den Frieden bringen könnte! Aber wer das ehrlich will, muß erst Frieden stiften in sich selbst, und wenn er darüber zusammenbräche, was tut’s! – Sieh, Gesell, und das ist geistliches Recht und Tagewerk.«

Ich alter Kerl stand ganz verblüfft vor ihm, denn ich verstand schon gleich damals so viel davon, daß ich bisher eigentlich noch gar nichts verstanden hatte von meinem Metier. Vor meiner eigenen Tür wollt‘ ich kehren und die ewige Seligkeit für mich allein zusammenknicken, wie ein filziger Schuft, als wär’s dem lieben Gott um mich allein zu tun in der Welt. – Und seht, von der Stund‘ ab blieb der Jäger hier auf den Bergen und wohnte im Kloster droben und machte sich gemein mit mir, wie ein getreuer Kamerad, und ist doch ein grundgelehrter Herr. »Denn du gefällst mir«, sagte er, »du machst keine Flausen mit deiner Frömmigkeit.« Und wenn ich faste, so hungert er, und wenn ich aufwache, so hat er die ganze Nacht gewacht und gebetet und trinkt keinen Wein und mag keinen Speck, und will ich alter Narr manchmal verzagen, so singt er ein schönes Lied, und – kurz, das ist der Herr Vitalis, von dem ihr unten gehört habt.«

Der Einsiedler wandte sich hier und machte sich etwas mit dem Tische zu tun, denn er schämte sich, weil ihm die Tränen in den Augen standen. Manfred aber stand auf, ein überraschender Gedanke schien durch seine Seele zu fliegen. »Führt mich zu Vitalis hinauf«, sagte er, »ich muß ihn durchaus sprechen!« Der Einsiedler schüttelte bedenklich den Kopf. »Ich will’s wohl tun«, aber seht Euch vor, wenn Euch bloß die Neugier treibt. – Da war erst neulich einer, ein junges Blut, der wollte durchaus mit Einsiedler werden. – Aber ich dacht‘ mir’s gleich – denn zum gottseligen Leben gehört eine gute, feste Natur – wenn er nachts mit mir im Walde stand, da schauerte ihn, wie ein Mädchen, unsere alten Gebete waren ihm noch nicht schön genug, er setzte sie in künstliche Verse, dann weinte er auch zuviel und hatte allerhand Sehnsuchten. Zuletzt hatter er gar ein junges, hübsches Hirtenmädchen aufgespürt, die wollt‘ er mit Gewalt bekehren, aber sie war schon frömmer als er, und eh‘ er sich’s versah, verliebt‘ er sich in sie, da wurde er ganz traurig – und kurz, wie ich’s vorausgesagt hatte, mit dem Herrn Vitalis ist nicht zu spaßen, der jagt‘ ihn wieder fort «

»Hieß der junge Mann nicht Otto?« fragte Dryander – »Wahrhaftig, so nannte er sich«, erwiderte der Einsiedler verwundert.

Die Nacht war indes völlig hereingebrochen, als sich alle drei auf den Weg nach dem Kloster machten. Der Eremit schritt mit einer Fackel auf einem schmalen, halbverwachsenen Fußsteige voran, die andern folgten schweigend und erwartungsvoll. Unterwegs fragte Manfred den Doktor, wo er denn seine kleine Frau gelassen? – »Sie ist unter die Husaren gegangen«, sagte Dryander trocken und mochte durchaus nicht nähere Auskunft geben.

So waren sie, nach einem mühseligen Gange, zu der Ruine gekommen, der Widerschein der Fackel, als sie durch das Tor gingen, beleuchtete den stillen Klosterhof mit seinen alten Bäumen und dem verfallenen Brunnen in der Mitte. Ihr Führer sah sich nach allen Seiten um. »Sollte er noch im Gebirge sein?« sagte er und öffnete knarrend eine eichene Tür. Sie kamen in eine kleine Halle, aber auch dort war niemand zu finden. Nur ein Strohsack auf dem Boden, ein Kreuz auf dem Tisch und einige Bücher bezeichneten Vitalis‘ Wohnung durch das verfallene Fenster aber sah wunderbar die Nacht herein. Als sie an die Öffnung traten, flatterte verstörtes Nachtgevögel scheu aus den Mauerritzen empor, einzelne Mauerstücke hatten unter ihren Füßen sich abgelöst, sie lauschten, wie es schallend tiefer und immer tiefer hinabrollte. Da trat auf einmal der Mond drüben zwischen den Wolken hervor, sie sahen nichts als stille Schlünde unter sich und das dunkle Chaos uralter Wipfel. – »Entsetzlich!« rief Manfred, in Gedanken hinabschauend.

Hier aber wurden sie plötzlich durch Dryanders Geschrei unterbrochen. Er war neugierig vorgetreten, da hatte ihn der Schwindel gefaßt, er griff krampfhaft in des Einsiedlers Kutte. »Sagt‘ ich’s doch«, rief dieser, »ist dir wohl, so bleibe unten, arbeite und lobe Gott und laß allen Vorwitz!« Damit packte er den Doktor beim Kragen und schleuderte ihn von dem Abgrund zurück und zur Zelle hinaus.

Indem sie aber nun ins Freie wieder heraustraten, sahen sie auf einmal zu ihrem Erstaunen zwei fremde Gestalten erschrocken über den Klosterhof hinwegstreichen. »Er ist’s, um Gottes willen nur schnell!« flüsterte der eine, in demselben Augenblick waren beide zwischen dem alten Gemäuer in der Nacht wieder verschwunden. Bei dem Klang der Stimme fuhr Manfred sichtbar zusammen, er hatte die Flüchtlinge in der scharfen Beleuchtung der Fackel unausgesetzt mit den Augen verfolgt; jetzt stürzte er ihnen selbst nach. Aber der Einsiedler schritt mit seinem langen Beinen aus, daß die Kutte rauscht, und faßte ihn mächtig am Arm. »Seid Ihr toll«, rief er, »ich weiß nicht, wer es war, aber das weiß ich, daß Ihr bei Nacht im unbekannten Gebirge das Gesindel nicht fangt, sondern den Hals brecht, wenn Ihr kein Gemsbock seid!« – Manfred mußte ihm nach kurzem Besinnen recht geben, dann aber trieb er plötzlich mit auffallender Hast zur ungesäumten Rückkehr und blieb still und nachdenklich, während sie vorsichtig zwischen den Felsen hinabstiegen.

»Ich muß noch diese Stunde fort, suche aber bald noch einmal den Vitalis auf«, sagte er, als sie endlich bei der Einsiedelei wieder ankamen, schüttelte seinem Wirt herzlich die Hand und schwang sich sogleich auf sein Pferd. – Der Einsiedler hatte kaum die Zeit, ihm den nächsten Weg zu bezeichnen, und sah ihm dann ganz verwundert lange nach. – »Daß ich ein Narr wäre, in dieser Spuknacht weiterzuziehen«, meinte Dryander und bat sich noch eine lange Pfeife Tabak aus, er freute sich darauf, die ganze Nacht einmal das Einsiedlerleben recht gemächlich mit durchzumachen, auch wollte er noch einige von den Nachtliedern des Eremiten abschreiben.

Manfred aber ritt eifrig den Tälern zu, da hörte er nach einiger Zeit, wie im Traum, oben noch des Einsiedlers Glöcklein schallen, die Rehe weideten wieder zur Seite, seine ganze Seele fühlte sich von der Todesstille wie in ein Grab verschüttet. Die Mitternacht aber hatte unterdes den Himmel weit aufgetan und ihre wunderbaren Schleier über die Erde geworfen. So immer tiefer und freudiger stieg er eratmend in die träumende Sommernacht hinunter, schon hörte er unten von fern die Ströme wieder rauschen, und die Nachtigallen schlugen, von einem einsamen Schlosse klang noch eine Gitarre herüber, und Düfte wehten erquickend aus den blühenden Gärten herauf. Von dem letzten Abhang des Berges rief er, wie erlöst, hinab, »Gegrüßt, du schönes Leben, ja ich spür’s, ich habe dich wieder!«

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Auf der Donau glitt bei dem heitersten Wetter ein Schiff zwischen den schönen, waldigen Bergen und Burgen hinab. Von Zeit zu Zeit erschallte ein so herzhaftes Lachen von dem Schiffe, daß die Vorübergehenden am Ufer stehenblieben und vor Lust mitlachen mußten, ohne zu wissen warum. Es waren reisende Kaufleute, Studenten und Jäger, die auf dem Verdeck im Kreise umherlagen, in ihrer Mitte ein kleiner, stämmiger Mann mit Reisetasche und breitkrempigem Pilgerhut, der ihnen aus seinem eigenen Leben die unerhörtesten Abenteuer erzählte und jedesmal ganz entrüstet war, wenn sie lachten und ihm nicht glauben wollten. Abgesondert aber von dem lustigen Häuflein stand mitten im Schiff ein wunderschöner Jüngling in zierlicher Jägertracht an den Mast gelehnt, er hatte eine Zither im Arm, die er in der Kajüte gefunden, ihm zu Füßen saß ein anderer hübscher Junge. Beide konnte man für Schüler halten, die zur Vakanz reisten, und es war anmutig zu sehen, wie die fröhlichen Bilder, bald im kühlen Schatten der Felsen, bald von der Abendsonne hell beschienen, zwischen den wechselnden Landschaften dahinflogen. Der eine am Mast blickte frisch unter seinem Reisehut in das Grün hinaus und sang:

»Sie stand wohl am Fensterbogen
Und flocht sich traurig ihr Haar,
Der Jäger war fortgezogen,
Der Jäger ihr Liebster war.
Und als der Frühling gekommen,
Die Welt war von Blüten verschneit,
Da hat sie ein Herz sich genommen
Und ging in die grüne Heid.
Sie legt das Ohr an den Rasen,
Hört ferner Hufe Klang –
Das sind die Rehe, die grasen
Am schattigen Bergeshang.
Und abends die Wälder rauschen,
Von fern nur fällt noch ein Schuß,
Da steht sie stille, zu lauschen:
»Das war meines Liebsten Gruß!«
Da sprangen vom Fels die Quellen,
Da flogen die Vöglein ins Tal,
»Und wo ihr ihn trefft, ihr Gesellen,
Grüßt mir ihn tausendmal!«

Die Gesellschaft war längst auf den schönen Gesang aufmerksam geworden; der abenteuerliche Pilger trat vor den Sänger und sang ihm sogleich nach derselben Melodie zu:

»Das klingt wie ein Waldhorn in Träumen,
Was irrst du durch das Gestein,
Mein Rehlein, unter den Bäumen?
Ich will dein Jäger sein!«

Der Sänger sah ihn einen Augenblick von der Seite an und antwortete, ohne sich lange zu besinnen:

»Sie aber lachte im Wandern:
›Du hast einen kecken Mund,
Ich aber mein einen andern,
Du bist mir zu kurz und rund!‹«

Hier erschallte ein allgemeines Gelächter, der Sänger erschrak darüber, warf schnell die Zither fort und setzte sich zu seinem Gesellen. Der Runde aber war nicht so leicht aus dem Felde zu schlagen, er machte sich, sehr vergnügt, sogleich mit Witzen an die beiden und wollte sie ins Bockshorn jagen. »Mein zärtlicher Herr Jäger«, sagte er, »mir scheint, Ihr seid viel mehr geschossen, als Ihr jemals geschossen habt.« – »Und Ihr, scheint mir, habt Euch verschossen«, versetzte das muntere Jägerbürschchen, »denn der Witz brennt Euch von der Pfanne.« – »Wird Euch wenigstens kein Härchen über der Oberlippe versengen! Wett‘ ich doch, Ihr hättet gar zu gern einen Schnauzbart an Eurem Mund.« – »Wenn die Schnauze darunter hübscher wär‘ als Euere!« – »Ich bitt‘ Euch, schnauzt mich nur nicht so an. Aber, Bart beiseite, ich fürcht‘, er wird gleich grau sprossen, denn nach Eurem verliebten Liede macht Euch ein Mädchen viel Not.« – »Nein, zwei, so närrisch sie sind, ich hab sie schon ganz müde gejagt.« – »Daß die Jungfern nur dabei nicht fallen! Wo jagt Ihr sie hin?« – »Unter die Haube.« – »Was! führt Ihr Hauben mit Euch?« – »Gewiß, da guckt her!« – Hier lüftete der Jäger ein Felleisen, das hinter ihm lag. Der Pilgrim, der etwas kurzsichtig war, fuhr neugierig mit der Nase hinzu, und eh‘ er sich’s versah, hatte ihm das Bürschchen von hinten eine schneeweiße Schlafmütze über den Kopf gestülpt.

Nun aber war der aufrecht stehende Zipfel der Nachtmütze nicht anders als wie ein Blitzableiter, in den plötzlich von allen Seiten alle Witze, matte und feurige, durcheinander einschlugen. Darüber wurde der Pilger ganz hirnschellig, man wußte bei seinem wunderlichen Wesen nicht recht, ob es ihm Ernst oder Spaß war mit der Wut. Der junge Jäger, da er unverhofft solche Wirtschaft angerichtet, saß unterdes mäuschenstill und blickte nur ein paarmal scheu herüber. Als er aber den Pilger so auf das allerlustigste schimpfen hörte und unter seiner Schlafhaube wohl die Hasenohren sah, konnt‘ er’s doch nicht lassen; er sprang von neuem auf, schnalzte mit seiner Reitgerte und parlierte immerfort keck mit drein. Die lustigen Vögel im Schiff hetzten: sie sollten sich miteinander schießen, der Abend brach auch herein und vermehrte die Verwirrung, der Pilger schwor, er wolle noch heut mit der Degenspitze aus dem schönen Jungen eine junge Schöne herauskitzeln! Das Jägerbürschen aber flüsterte heimlich seinem Gesellen zu: »Was fangen wir nun an? Ich bitt‘ dich, Hänschen, rat mir!« – Da stieß das Schiff am Land.

Während die anderen nun ihre Bündel, Tabakspfeifen und Feldflaschen noch zusammenfassten, eilte Dryander – denn niemand anders war der abenteuerliche Pilgrim schon voraus und flog in größter Hast nach dem Wirtshaus an dem breiten Gastwirt vorüber, der das Schiff gemächlich an der Tür erwartete und ihm verwundert nachsah. In der Gaststube fand er einen jungen Mann, der auf der Brüstung des offenen Fensters saß und in das fröhliche abendliche Getümmel hinausschaute; dieser wandte sich schnell – er erkannte seinen Fortunat. Ohne in der Konfusion sich zu verwundern oder ihn erst zu begrüßen, rief ihm Dryander sogleich entgegen: »Verfluchte Teufelsgeschichte! hast du deine Kuchenreiter mit? So ein Mädchen von Junge! Aber ich will ihm den Bart unter der Nase wegputzen, wenn er nur einen hätt‘! Da ist nichts zu lachen dabei! Er hat gut treffen, ich bin wie ein Bienenkorb gegen seine Taille, und –« »Halt ein!« unterbrach ihn Fortunat, immer heftiger lachend, »du zerplatzst ja wie eine Bombe, was gibt’s denn da auf einmal?« – Aber Dryander war zu erbost, er schimpfte unaufhaltsam über die Albernheit der Ritterlichkeit, der Duelle, der Ehre, die, wie eine Regimentsfahne, erst von Kugeln zerfetzt und lumpig sein sollte, um ein Ansehen zu haben. Indem er sich aber so in Vergleichungen erschöpfte, kam das Getümmel draußen wachsend immer näher und näher. »Dummes Zeug!« schloß er endlich und entwischte mit solcher Geschwindigkeit aus der Tür, daß er seinen Hut im Zimmer vergaß.

Fortunat ließ ihn laufen. »Was wird es sein!« dachte er, »die alte Posse: Sorgen ohne Not und Not ohne Sorgen. Die Rakete wird draußen verprasseln, ohne eben den Erdkreis in Brand zu stecken.« – Unterdes hatte die Stube sich nach und nach lärmend gefüllt, Felleisen, Mäntel und Tabaksbeutel lagen auf Stühlen und Tischen umher, die muntere Schiffsgesellschaft machte sich behaglich breit, der eine schrie nach Wein, der andere nach Kaffee, alle waren noch ganz voll von den lustigen Händeln, und da sie vom Wirt erfuhren, daß die beiden Jäger ein eigenes Zimmer bezogen, beredeten sie sich, wie sie morgen zum Duell die Pistolen blind laden, dem Pilger Knallkugeln unter die Füße legen wollten usw. Als aber nun allmählich aus mehreren Schlünden dicker Tabaksqualm emporzuwirbeln begann, zog Fortunat, nachdem er in dem Lärm vergeblich nach einem Leuchter gerufen, auch über Dryander keine nähere Auskunft erhalten hatte, sich ohne Licht in sein Zimmer zurück, da er morgen mit Sonnenaufgang wieder aufzubrechen gedachte.

Seine Stube ging nach dem Garten hinaus, die Glastür stand noch weit offen, wie er sie vor einigen Stunden verlassen. Alle Bewohner des Hauses hatten mit den Gästen vollauf zu tun, es war so still draußen, daß man den Ruderschalg einzelner Fischer aus der Ferne hören konnte. Ermüdet setzte er sich auf die Schwelle hin. Da hörte er Stimmen im Garten, in einer fremden Sprache, wie es ihm schien. Bald bemerkte er beim hellen Mondschein zwei unbekannte Gestalten, die sich hier wohl für unbelauscht halten mochten. Der eine, wie ein Jäger gekleidet, saß mit untergeschlagenen Beinen auf dem Rasen, er hatte den Hut abgenommen und in der Kühle sein Wämschen gelüftet, sein wunderschönes Haar floß in reichen Locken herab; der Mond glänzte blendend auf seiner entblößten Schulter. Der andere kniete hinter ihm und schien die Locken zu ordnen, während sie leise und lebhaft miteinander schwatzten. Ein Brunnen, den Fortunat vor dem Gebüsch nicht sehen konnte, plauderte um die Wette mit ihnen, und je nachdem die Luft sich bewegte, klang bald das Plätschern, bald die liebliche Stimme wie ein Glöcklein aus der stillen Mondnacht herüber. Die Nacht aber hatte unterdes die Gegend draußen wunderbar verwandelt, zwischen den alten Bäumen hindurch sah man weit in die Täler hinaus, da lag verworren im Mondschein, wie glänzende Kuppeln, Trümmer und prächtige Gärten, in dem nahen Städtchen unten sang ein Student noch vor seiner Liebsten Tür, dazwischen immerfort wieder das Rauschen des Brunnens – Fortunat saß wie im Traum, er dachte an Italien, an Rom, und unwillkürlich in Gedanken rief er – »Fiametta!«

Bei dem Klange reckten die beiden, wie Rehe, wenn das Laub raschelt, plötzlich die Köpfchen in die Höh, sprangen scheu auf und flogen dem Hause zu. Fortunat trat ihnen erstaunt entgegen, da stutzte das Jägerbürschchen plötzlich und sah ihn einen Augenblick durchdringend an, dann aber warf es sich auf einmal atemlos an seinen Hals, ihn fest umklammernd und schluchzend, er fühlte des Jünglings Tränen unaufhaltsam über seine Wangen rinnen; seine Locken rollten rings um ihn her, es war, als würde er in seinen Armen ganz und gar vergehen. Nun aber wußt‘ er’s wohl, wen er im Arme hielt. »Meine liebe, liebe Fiametta!« rief er aus tiefstem Herzensgrunde. Da ließ das schöne verkleidete Mädchen los, stellte sich, ihre Locken aus dem Gesicht schüttelnd, dicht vor ihn und blickte ihn aus den Tränen so fröhlich an, daß es ihm recht durch die Seele ging. Darauf schnell wieder besonnen, zog sie ihn schweigend mit sich in sein Zimmer hinein. Er sah im Vorüberschweifen dem andern Gesellen ins Gesicht und erkannte seines Liebchens Kammerjungfer, die über und über rot wurde. In der Stube aber steckte Fiametta ihr Haar wieder auf, während sie die Kammerjungfer mit einem heimlichen Auftrage fortschickte. Dann trieb sie Fortunaten, in sichtbarer Furcht, geheimnisvoll und ohne ihm Rede und Antwort zu stehen, zur unverzüglichen Abreise, half ihm unter tausend Späßen mitten in ihrer Angst und Hast seine Sachen rasch in ein Bündel schnüren und drängte ihn fort, fort, aus dem Hause, aus dem Garten und immer weiter. Draußen auf einem abgelegenen Platz fanden sie Fortunats Diener mit seinen beiden gesattelten Pferden, die Kammerjungfer hatte ihn hergeführt. Sie sollte mit dem Diener auf dem Schiffe weiterreisen, Fiametta selbst aber schwang sich schnell auf das eine Pferd. Fortunat wußte nicht, wie ihm geschah, und ehe er sich fassen konnte, waren Kammerjungfer und Wirtshaus schon hinter ihnen verschwunden.

Als sie im Freien waren, fragte Fiametta mit tief gesenkten Augen kaum hörbar: »Was macht denn Annidi?« Fortunat mußte sich fast auf den Namen besinnen. »Annidi?« – sagte er, »sie hat in Rom den Studenten Otto geheiratet. Aber wie kommst du auf die?« – Fiametta sah ihn groß an: »Ist sie denn nicht deine Liebste gewesen?« »Mein Gott«, erwiderte Fortunat nach einigem Nachdenken, »so warst du es wohl, die an jenem Abend im schwarzen Mäntelchen an mir vorüberstreifte, als mich Otto zu seinem Mädchen führte, das ich damals noch gar nicht kannte.« – »Ja freilich«, erwiderte Fiametta lebhaft, »und ich spielte dann einmal des Abends die Annidi in unserem Garten, die Kammerjungfer mußte deine Kleider anziehen und so über den Gartenzaun zu mir kommen, da kamst du auf einmal selber, wir hatten dich nicht so früh zurückerwartet.« – »O vernagelter Kopf, der ich war!« rief Fortunat, sich vor die Stirn schlagend aus, »hätt‘ ich das damals gewußt!« – Sie lachte seelenvergnügt, und ihre Augen glänzten von Tränen.

Währenddes ritten sie eilig an dem Städtchen vorüber, zwischen den schlafenden Gärten und Landhäusern immer tiefer in die weite, sternhelle Nacht hinein. Die Nachtigallen schlugen von den waldigen Bergen, über das stille Feld hörte man die Hunde von ferne bellen, Fiametta sah sich öfters ängstlich um. »Sieh«, sagte Fortunat, »mir ist wie einem Vogel in der Luft, ich folge dir über die ganze Erde! Jetzt aber sage mir auch, warum blickst du so scheu zurück? wie kamst du vorhin auf das Schiff? was in aller Welt hast du vor?« – »Ach, das ist eine lange, traurige Geschichte«, entgegnete Fiametta, »die muß ich von Anfang anfangen.« – Sie ritt dicht neben ihm, und, selbst wie in Träumen in der träumerischen Nacht, halb an ihn gelehnt, begann sie folgendermaßen zu erzählen:

»Als du in Rom auf einmal verschwunden warst und nun der Winter kam, und es regnete Tag und Nacht, und der Vater saß abends in dem großen Saale am Kaminfeuer und sprach kein Wort, und alles war so still im ganzen Hause, daß man die Turmuhr gehen hörte, da wurde ich plötzlich krank. Da träumte mir, ich wäre auf einer Anhöhe über Rom im Abendglanze eingeschlafen. Als ich aber erwachte, war es schon finstere Nacht, mich fror und ich kannte die Gegend nicht wieder. Da kam durch das Dunkel ein Jäger vom Berge herab. »Ach, führ mich zur Stadt hinunter«, rief ich, »horch, da klingt in der Ferne noch die Glocke vom Kapitol« »Das ist die Turmuhr, die schlägt auf meinem Schloß im Walde«, sagte der Jäger, dann wandt‘ er sich plötzlich – du selbst warst der Jäger, aber du kanntest mich nicht mehr. – Nun stiegst du weiter den Berg hinab, ich rief voll Angst und konnte dir so schnell nicht folgen. Da ging gegenüber der Mond auf, und auf einmal, so weit ich sehen konnte, lag die ganze fremde Gegend tief verschneit und flimmerte im hellen Mondschein, als sollt‘ ich sterben vor Wehmut.

Als ich mich von der Krankheit wieder erholte, stand eines Morgens der Vater vor meinem Bett, das Fenster stand offen, die Bäume draußen waren schon wieder grün und die Vögel sangen. »Steh nur auf«, sagte mein Vater, »wir reisen nach Deutschland!« – Er hatte sein Vermögen verloren, das Haus, unser Garten sollten verkauft werden, er mochte das nicht mit ansehen. So fuhren wir in einer schönen Frühlingsnacht von Rom fort, die Brunnen rauschten auf den stillen Gassen, in unserem Garten schlugen die Nachtigallen, als wüßten sie’s auch, und als die Paläste und Kuppeln allmählich hinter und im Mondglanz versanken, sah ich meinen Vater zum erstenmal weinen.«

»Wo ist der Vater jetzt?« unterbrach sie Fortunat hier. Fiametta aber ritt ein Weilchen schweigend vor sich hin, er merkte, daß sie selber weinte. Dann sah sie sich plötzlich wieder nach allen Seiten um und fuhr gefaßter fort:

»Mein armer Vater fand’s in Deutschland nicht so, wie er sich’s gedacht. Die mächtigen Verwandten, auf die er gerechnet hatte, weil sie in der Jugend brüderlich zusammen gelebt, waren seitdem alt und anders geworden, die meisten lange tot, ihre Kinder, die ihn nicht mehr kannten, sahen ihn verwundert und neugierig an, er konnte sich in der verwandelten Welt nicht zurechtfinden und starb vor Gram. – Das war eine furchtbare Nacht, ich erinnere mich nur der schwarzverhangenen Pferde und Gestalten und des Fackelscheins zwischen den dunklen Bäumen – und als die Glockenklänge allmählich verhallten, saß ich allein mit einer alten, schwarzgekleideten Dame im Wagen, wir fuhren rasch durch unbekannte Gegenden, sie sprach immerfort französisch zu mir, aber ich hörte nur das dumpfe Rasseln des Wagens in der Nacht, mir war’s, als führen wir selber ins Grab. Die Dame aber war eine reiche, kinderlose Tante, die mich nun zu sich genommen hatte. Sie wohnte auf einem großen Schloß, das einsam am Abhange des Gebirges mitten in einem prächtigen Parke lag, der wimmelte von seltsamen Tauben und Pfauen, in dem klaren Bassin vor dem Schloß spielten bunte ausländische Fische wie Vögel in der Luft, weiterhin in einem zierlich vergitterten Wäldchen weidete ein schöner Goldfasan. Die Tante hatte ihre Freude daran, mich recht auszuputzen, obgleich wir nur selten Besuch hatten, da ging ich denn in prächtigen Kleidern, und wenn ich manchmal so allein im Garten stand, kam ich mir selber in der Einsamkeit wie ein verzauberter Goldfasan vor. An den Sommernachmittagen aber pflegte die Tante mit mir am Garten auf einem schattigen Hügel zu sitzen, von dem man weit hinaussehen konnte, wie der Strom und die Straßen glänzend durchs Land gingen, Reiter und Wagen zogen da wie in einem Schattenspiel rasch vorbei, manchmal kam der Klang eines Posthorns aus der Ferne herüber. »Dort geht es nach Italien hinaus«, sagte die Tante – mir war zum Sterben bange.

Eines Abends saßen wir auch dort, ich zerpflückte in Gedanken eine Sternblume: ob du kommst oder nicht kommst? »Er kommt!« rief ich auf einmal erschrocken aus, warf die Blume fort und flog vom Hügel, am Schloß vorüber, immerfort ins Tal hinab. Denn zwei Reiter kamen unten vom Wald, der eine im grünen Reiserock, gerade wie du! Als ich atemlos unten anlangte, stutzt sein Pferd – es war ein ganz fremdes Gesicht. Er mocht‘ es wohl erraten, wer ich bin, er schwang sich schnell vom Pferde, und indem er die Zügel seinem Bedienten zuwarf, reichte er mir höflich den Arm und führte mich wie eine Gefangene zurück. Ich glaubte, die Tante würde schmälen, aber sie besorgte nur, daß mir die Erhitzung nicht schade, strich mir die Locken aus der Stirn und nannte mich ein artiges Kind, daß ich ihren Vetter, den sie viele Jahre nicht gesehen, so freundlich empfangen. Sie nannte ihn Baron Manfred

»Manfred?« sagte Fortunat erstaunt, »den Namen habe ich oft von Lothario gehört. Doch den kennst du ja nicht.« – Fiametta schüttelte das Köpfchen und fuhr weiter fort:

»Bisher hatte ich fast wie im Traume gelebt, mit dem Fremden aber kam auf einmal Hast und Unruhe in unsere ländliche Stille. Nichts war ihm recht in unserer Wirtschaft, alles wollte er gescheuter einrichten und sah mich dabei oft so sonderbar an, daß ich erschrak, denn er schaute so klug drein, als könnte er meine Gedanken lesen. Vor Verdruß darüber hatte ich mich eines Tages in der schwülen Mittagszeit mitten ins Gras gelegt, alle Vögel schwiegen, nur die Bienen summten, einzelne Wolken flogen über die stille Gegend fort, ich dachte an die alten Zeiten, an dich, an unseren Garten in Rom. Da kam auf einmal die Tante mit ihrem Vetter im Buchengang herunter. Ich hob mich im Grase halb empor, sie bemerkten mich nicht. »Ich habe auch schon daran gedacht«, sagte die Tante, »so kann es mit Fiametta nicht länger bleiben, sie vergeht mir hier in der Einsamkeit wie eine Blume.« – »Abgesehen selbst von allem, was ich Ihnen eben erzählt habe«, erwiderte der Vetter, »so wüßte ich in der Tat keine bessere Partie für das Fräulein als den Baron, jung, reich, unabhängig.« – »Und Sie übernehmen es also«, fragte die Tante wieder, »ihn zu uns zu bringen?«

Ich konnte seine Antwort nicht mehr verstehen. Aber wie wenn der Blitz neben mir eingeschlagen hätte, sprang ich schnell auf und flog zu meiner italienischen Kammerjungfer und erzählte ihr alles. Da war nicht lange Zeit zum Besinnen, ihr war hier so bang auf dem Schlosse wie mir, sie wollte unter dem Vorwande einer Maskerade Jägerkleider für uns beide herbeischaffen, und wir beschlossen, zu einer jungen, fröhlichen Tante in Wien zu entfliehen, die ich noch aus Rom kannte und die mich vor der dummen Partie beschützen sollte.

Seitdem sahen mich die Tante und der Vetter noch häufiger geheimnisvoll und schmunzelnd an. Besonders aber ganz abscheulich war mir nun der kluge Vetter, wenn er mit seinen spitzigen Blicken, wie eine Spinne mit ihren langen Beinen, nach mir zielte. »Ja, spinne und laure du nur!« dachte ich. Und als er nun wirklich abreiste, um den Bräutigam zu holen, da fuhren wir, während alles schon schlief, in unsere Jägerkleider und stiegen in der schönsten Sommernacht mit klopfenden Herzen sacht die Treppe hinab durchs leere Schloß, den stillen Garten entlang, bis wir endlich im freien Felde tief aufatmeten. Da sah’s draußen so frisch und waldkühl aus! – Noch dieselbe Nacht aber hatten wir uns im Gebirge verirrt. Fragen mochten wir nicht, so kamen wir zuletzt gar an ein verfallenes Schloß. Mich schauerte und fror, die Jungfer weinte, da tat sich plötzlich eine Tür auf, drei Männer mit Windlichtern traten heraus – der eine war der Vetter, verwildert und bleich im Widerschein der Fackeln – ich glaube, er geht um bei Nacht, was hatt‘ er sonst zu tun da droben? Aber erkannt hat er mich und setzt mir sicherlich nach. Wie wir da heruntergekommen, weiß ich nicht mehr, aber als der Tag endlich anbrach, sahen wir die Donau im Tale funkeln, ein Schiff wollt eben abgehn, wir stiegen mit ein, und so fuhr ich in Lust und Angst und bekam Händel und sollte mich duellieren und – »Und ich«, fiel Fortunat ein, »habe den verflogenen Goldfasan wieder eingefangen und lass‘ ihn nun nimmermehr los!«

Fortunat war voller Freude und doch verwirrt, er wußte gar nicht, was er mit dem lieblichen Kinde nun anfangen sollte, das sich so ganz in seine Arme geworfen, auch war die Angst vor dem Erwischen nicht gering.

Unterdessen flogen schon einzelne Streiflichter durch die stille Luft. »Wie bist du schön geworden!« sagte Fortunat, sie fast erstaunt betrachtend. Da wurde sie über und über rot, jetzt dachte sie erst daran, daß sie so ganz allein mit ihm war. Aus den fernen Dörfern aber hörte man schon einzelne Stimmen, über die wogenden Kornfleder schossen ihnen die ersten Sonnenstrahlen blitzend entgegen – so ritten sie fröhlich in den prächtigen Morgen hinein.

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Als Otto – von dem strengen Vitalis verstoßen – so einsam von dem Gebirge der Einsiedler hinabstieg, weinte er sich recht von Herzensgrunde aus. Dann wurde ihm erst leichter. Er fühlte wieder einen rechten Trieb und Mut, nach dem Höchsten in der Welt zu streben, er wollte endlich ehrlich Frieden stiften in seiner Seele und so neugeboren zu dem Einsiedler zurückkehren, ja es kam ihm in diesen glücklichen Stunden gering vor, selbst sein Dichten zu lassen, wenn es ihn wieder in Eitelkeit verstricken wollte. Die stille Nacht sah ihn dabei von den Bergen, wie eine milde Mutter, fast wehmütig an. – Indessen verloschen nach und nach die Sterne am Himmel, und wie nun die Morgenkühle über die Felder kam und unten der Strom und von drüben die Spiegelfenster eines Schlosses lustig aufblitzen: da erschien dem Verweinten die Erde wieder so jung und frisch wie nach einem Gewitterregen, in den tröpfelnden Bäumen über ihm dehnten die Vögel erwachend die Flügel und sahen ihn neugierig an, als wollten sie fragen: Gesell, wo bist du so lange gewesen? – Er wanderte fröhlich den ganzen Tag, und als er endlich auf dem letzten Berge aus dem Walde trat, erblickte er auf einmal in der Ferne mitten zwischen Gärten die alte, braune Stadt, wie eine von Efeu übergrünte Ruine. Ermüdet streckte er sich unter den Bäumen hin, er sah Handwerksbursche, Reiter und schlanke Bauermädchen heiter durchs Grün auf dem Gebirgspfade hinabziehn, die Vögel sangen im Walde, einzelne Wolkenschatten flogen wechselnd über die glänzende Landschaft – so schlummerte er ein und träumte von der schönen, waldkühlen Jugendzeit.

Er mußte lange geschlafen haben, denn als er erschrocken wieder um sich blickte, ging die Sonne schon unter und vergoldete die Giebel und Türme der Stadt. Voll Erstaunen sah er sich ganz von Blumen bedeckt, als hätt‘ es Rosen geregnet. Da hörte er eine schöne Stimme lustig durch die Abendluft klingen. Ein eleganter Reisewagen stand tiefer am Saume des Waldes, zwei junge Damen, die, wie es schien, den steilen Berg zu Fuß herabgekommen, stiegen soeben wieder ein. Die eine wandte sich noch einmal und blickte nach ihm herüber, er mußte verwirrt und geblendet niedersehen, so schön war sie. »Nach der Bergvorstadt!« rief sie dem Postillion zu – da flog der Wagen in den duftigen Abend hinein, er hörte das Posthorn noch lange aus der Ferne schallen.

In der Stadt fand er seine Wohnung bereit: ein kleines, freundliches Stübchen im dritten Stock, alte Kupferstiche an den Wänden, der Boden neu mit Sand bestreut, ein Glas mit frischen Blumen unter dem Spiegel. Eine alte Frau empfing ihn sehr gesprächig und händigte ihm ein Briefchen ein. Sein Jugendfreund, der hier alles für ihn besorgt hatte, meldete ihm, daß ihn leider unvorhergesehene Geschäfte über Land geführt, in wenigen Wochen hoffte er wieder zurück zu sein – so befand sich denn Otto unerwartet ganz allein in der fremden Stadt. Er konnte sich nach der langen Gebirgseinsamkeit gar nicht wieder zurechtfinden, alles kam ihm neu und wunderbar vor, der heitere Reisetag hallte noch in seiner Seele nach, und als er das Fenster öffnete, dämmerte die unbekannte Gegend so seltsam über die Dächer herauf, es war ihm, als hörte er noch immer das Posthorn fern aus der Frühlingsnacht herübertönen. Er konnte nicht widerstehen, er mußte noch einen Streifzug durch die Stadt machen.

Unten erkundigte er sich nach der Bergvorstadt, er hatte sich geschämt die Alte danach zu fragen. Man wies ihn nach einer entfernten Anhöhe, die mit einzelnen Villen und weitläuftigen Gärten geheimnisvoll in die Straße hereinsah. Das nächtliche Wandern in einer unbekannten, großen Stadt hat etwas Märchenhaftes, die Häuser und Türme stehn wie im Traum im Mondschein, auf den Straßen schwärmt es noch laut und behaglich in der Maskenfreiheit der lauen Nacht, dann plötzlich alle wieder still im engen, dunklen Gäßchen, nur die Dachluken klappen im Wind, eine Nachtigall schlägt wehmütig am Fenster. – Otto schlenderte in Gedanken immer fort, alte Reiselieder fallen ihm ein, er sang leise vor sich hin, er wußte selbst nicht, was er draußen wollte. Endlich hatte er die Höhe erreicht, je weiter er kam, je stiller und ländlicher wurde die Straße, seitwärts schienen sich prächtige Gärten hinabzusenken. Oft blieb er stehn und sah zurück über die Stadt hin, zwischen den vielen verworrenen Lichtern ging das dumpfe Rasseln der Wagen wie ein ferner Sturm, zuweilen brach ein Schwarm verstörte Dohlen aus einem alten Kirchendach und durchkreiste schreiend die Nacht, eine Spieluhr vom Turm sang ihr frommes Lied in der Einsamkeit der Lüfte. Von der andern Seite aber war die Gasse schon offen, ein frischer Hauch wehte herüber, er hörte eine Mühle gehn, die er nicht sah, dann Hundegebell von fern und da und dort noch Stimmen im dunklen Feld.

Auf einmal erklang eine Gitarre und einzelne Töne eines wunderschönen Gesanges, träumerisch vom Winde verweht, wie wenn die Nachtluft durch die Saiten einer Harfe geht. Er eilte zu dem Garten, woher die Töne kamen, das Pförtchen war nur angelehnt, er trat hinein. Da stutzte er, denn es war, als flöge der Schatten einer fliehenden Gestalt heimlich zwischen den Gebüschen hin, sonst war alles still. Neugierig ging er weiter in die dunklen Schatten der alten Bäume hinein, der Mondschein glänzte seitwärts über die Rasenplätze. Da bemerkte er einen Weiher, von Trauerweiden umhangen, eine weiße Statue schimmerte durch die Zweige herüber: eine Nymphe, die halb abgewandt am Weiher auf ihrem Arme ruhte, den andern verschlafen über das Haupt gelehnt. – Er wollte eben näher hinzutreten, als plötzlich tiefer aus dem Garten ein heller Lichtschimmer durch die Bäume funkelte und ebenso schnell wieder verschwand. Erschrocken, zögernd, wandte er sich zurück, er suchte das Pförtchen wieder, aber die Streiflichter des Mondes und die schwankenden Schatten der Bäume dazwischen verwirrten ihn ganz, und eh‘ er sich besinnen konnte, stand er vor den Marmorstufen eines hohen, altertümlichen Palastes. In demselben Augenblick schüttelt sich der Fliederstrauch über ihm, daß er ganz von Tau und Blüten verschneit wird, er hört ein heimliches Kichern hinter sich, eine schlanke, weiße Mädchengestalt guckt verstohlen durch die Zweige und faßt ihn schnell an der Hand. »Siehst du, das ist der Willkomm, weil du mich überrascht hast«, flüstert sie mit der lieblichsten Stimme, »das ist ja prächtig, daß du schon heute kommst.« So führte sie, vorangehend, den Erstaunten über die Stufen durch eine dunkle Halle, plötzlich treten sie ein ein erleuchtetes Gemach, sie wendet sich rasch herum – er erkennt mit freudigem Schrecken die reisende Dame von heut abend im Walde.

Sie sah ihn erstaunt an, indem sie seine Hand losließ. Dann bemerkte sie eine ihrer Rosen, die er noch im Knopfloch trug, eine flüchtige Röte flog über ihr schönes Gesicht. »Aber«, sagte sie kopfschüttelnd, »wie haben Sie mich denn so bald aufgefunden?« Er erzählte nun sein Erwachen auf dem Berge, seine Unruhe darauf und den Streifzug durch die schöne Nacht. Aber sie war ganz zerstreut, sie schien auf etwas zu sinnen. Dann sprang sie schnell zur Tür hinaus, er hörte sie draußen lebhaft mit jemand sprechen.

In dieser seltsamen Lage schaute er betroffen im Zimmer umher. Eine Alabasterlampe beleuchtete wunderbar das kostbarste Gerät, auf dem eine Gitarre und aufgeschlagene Notenhefte unordentlich herumlagen. Hohe, ausländische Gewächse rankten sich schlangenartig an den Wänden empor und hingen mit ihren glühenden Blüten in die träumerische Dämmerung herein, als spiegelten sie sich in dem reichen Teppich am Boden.

»Armer Junge! du wirst recht müde sein«, sagte jetzt die Unbekannte, indem sie fröhlich wieder hereintrat und ihn auf den Diwan niederzog. Sie setzte sich dicht neben ihn, ein Bein über das andere geschlagen, er mußte ihr erzählen, woher er gekommen, wer er sei, und was er hier treibe. – »Also so sieht ein Dichter aus!« – rief sie erstaunt, als sie seinen Namen hörte, dabei wandte sie ihn an beiden Achseln zu sich herum und sah ihm mit den großen, schönen Augen gerade ins Gesicht, er mußte die seinen errötend niederschlagen. »Come è bello!« sagte sie kaum hörbar für sich. Darauf nahm sie eine Pfirsich aus der Kristallschale vor ihnen, biß mit ihren weißen Zähnen herzhaft hinein und reichte sie ihm hin. Aber Otto war ganz verwirrt, aus ihren Augen leuchtete zuweilen eine irre, wilde Flamme, die ihn schreckte, in dieser seltsamen Verstimmung konnte er durchaus den rechten Ton nicht finden und saß blöde und unbeholfen neben der vornehmen, schönen Frau. Da lachte sie plötzlich mutwillig auf, er wußte nicht worüber, dann sprang sie auf und brachte aus einem verborgenen Wandschrank ein zierlich gebundenes Buch her vor. »Kennst du das?« fragte sie, ihm den funkelnden Goldschnitt vorhaltend; es waren seine Gedichte. – »Ich kenn‘ sie noch nicht«, sagte sie, »lies mir was vor daraus.«

Sie setzten sich wieder, er blättete unentschlossen und begann endlich eines seiner liebsten Gedichte von der schönen Meerfei Melusina. – »Und daß du’s nur weißt«, unterbrach ihn die Dame, »ich bin selbst die Melusina; du darfst nur in den Nächten vom Montag und Donnerstag in den Garten kommen. Frag nicht nach mir und plaudre nicht davon; wenn du mich ein einziges Mal bei Tage erblickst, sehen wir uns niemals mehr wieder.« Otto sah sie verwundert an, dann las er wieder weiter. Es war ein langer Romanzenzyklus, er hatte ihn in der glücklichsten Jugendzeit gedichtet und seitdem nicht wiedergesehn; jetzt nach so langer Zeit, in der märchenhaften Umgebung, ergriff es ihn selber wunderbar, er las aus ganzer Seele fort und immer fort. Zuletzt beim Umschlagen des Blattes blickte er einmal flüchtig zur Seite – die schöne Frau lag fest eingeschlafen neben ihm. – Er schwieg, ihn schauerte heimlich, denn die schlanke Gestalt in dem weißen Nachtgewand ruhte halb abgewendet, den einen Arm nachlässig über ihr Haupt geschlagen, gerade wie die Statue vorhin am Weiher. In dieser plötzlichen Stille öffnete sich auf einmal leise die Tür, ein schwarzgelocktes Mädchenköpfchen guckte herein, überblickte spöttisch den Schauplatz dieser tiefen Ruhe und winkte ihm dann, ihr zu folgen. »Still, still« – sagte sie, als er heraustrat, ihn an der Hand schnell fortführend – »jetzt müssen Sie sacht fort, der Mond ist eben untergegangen vor Langerweile.« Draußen sang sie halb für sich:

Ein Fink saß schlank auf grünem Reis
Pink, Pink!
Der Jäger da mit rechtem Fleiß
Zu zielen an und messen fing,
Und zielt‘ und dacht: jetzt bist du mein
Fort war das lust’ge Vögelein:
Pink, pink! mußt flinker sein!

»Was singst du da so lustig?« fragte Otto. – »Ich pink‘ nur ein wenig Feuer an im Dunkeln«, entgegnete das Mädchen, »wollen Sie sich vielleicht ein Pfeifchen dran anstecken und noch etwas lesen von den zwölf schlafenden Jungfrauen?« – Sie plauderte mutwillig noch vielerlei in den Wind hinein – so gingen sie rasch durch den stillen Garten. Otto blickte im Vorbeigehen noch einmal nach dem Weiher hinüber, dort ruhte die Statue wieder auf ihrem Marmorpfühl, ein eingeschlummerter Schwan fuhr bei ihren Tritten mit dem Kopf aus den Flügeldecken hervor, sah sie schlaftrunken an und träumte dann weiter. – »Gute Nacht, Herr Morpheus!« sagte das Mädchen an der Gartentür mit einem schnippischen Knicks und schob ihn lachend hinaus.

Er hörte das Pförtchen hinter sich zuklappen, es war ihm wunderbar, so plötzlich allein unter dem stillen, weiten Sternenhimmel. In der ganzen Gegend regte sich kein Laut mehr, nur die Uhren schlugen fern in der Stadt, es war lange Mitternacht vorüber.

Seit dieser Zeit war es um ihn geschehn, die schönen Mondnächte beleuchteten noch oft seinen einsamen Gang zu dem stillen Zaubergarten. Das geheimnisvolle Grauen in der Lust verlockte ihn nur noch mehr, er mochte nicht nach dem Namen der schönen Frau fragen, ja er hütete sich, ihr Revier bei Tage zu betreten – war sie ja doch sein mit Leib und Seele! Aber in seiner stillen Stube dann, nach solchen durchschwelgten Nächten, überkam es ihn oft wie Alphornsklänge den Schweizer in der Fremde. Da befiel ihn eine tiefe Angst, er dichtete hastig oft ganze Nächte hindurch, er wollte mit Poesie sich selber überflügeln – als wäre das Talent ein Ding für sich ohne den ganzen Menschen! – So zwischen halber Lust und Reue, versank er nach und nach immer tiefer in Melancholie, Verzagen an sich selbst, in Liederlichkeit und Armut, bis zuletzt ein zehrendes Fieber die müde Seele in seinen Traummantel einhüllte: da hörte er in seinen Phantasien das Posthorn wieder durch die Frühlingsnacht, dazwischen Waldesrauschen und das Glöcklein des Einsiedlers aus der Ferne.

Er hatte mehrere Wochen krank gelegen. Als er endlich wieder zu sich kam, konnte er sich gar nicht besinnen, wo er war. Die Sonne schien über die Dächer freundlich durch das kleine Zimmer, eine Katze nickte auf dem Fensterbrett, nebenan hörte er einen Kanarienvogel singen, dann wieder eine Wanduhr dazwischen picken, sein alte Wirtin saß auf einem Lehnstuhl neben ihm am Bett und war über ihrem Strickzeug eingeschlummert. Er sah lange verwirrt in dieser Stille umher, eh‘ er sie weckte. Nun fuhr sie freudig empor und erzählte ihm, wie sie schon für seine Seele gebetet, wie er irre geredet im Fieber, daß sein Freund noch immer nicht zurück sei, aber ein unbekanntes junges Mädchen sei vor langer Zeit einmal ins Haus gekommen und habe nach ihm gefragt. – Da dämmerte ihm allmählich alles wieder auf. »Kam das Mädchen nicht aus der Bergvorstadt?« fragte er und beschrieb ausführlich Schloß und Garten. Aber die Alte schüttelte den Kopf, der Palast, sagte sie, sei schon seit vielen Jahren unbewohnt – sie glaubte, er phantasierte wieder. Otto fuhr mit der Hand über seine Stirn, er war wie im Traume.

Eines Abends aber, als die Alte ausgegangen war, hatte er sich rasch angekleidet und ging heimlich die Treppe hinab, über die wohlbekannten Gassen und Plätze in die Vorstadt hinaus. Die Abendsonne funkelte lustig durch die Straße, Kinder spielten vor den Toren, die Mädchen plauderten an den Brunnen, und Lerchen hingen jubelnd hoch im rötlichen Duft, er taumelte, wie berauscht, in der ungewohnten Luft. So kam er an den Garten der Geliebten, das Pförtchen war zu, aber er hatte den Schlüssel noch seit dem letzten Gange in der Rocktasche. Er schloß hastig auf und trat mit klopfendem Herzen hinein. Unterdes war die Sonne untergegangen, es war schon tiefes Abendrot. In der wunderbaren Beleuchtung kam ihm alles wie verwandelt vor; die Gänge, die er bisher nur bei Nacht flüchtig gesehen, schienen wüst und verwildert, und mit Schrecken fielen ihm die Worte der Alten wieder ein, als er endlich den Palast erblickte, denn kein Laut regte sich im ganzen Hause. Das Gras wuchs aus den Ritzen der Marmorstufen, die Türen und Fenster waren alle fest verschlossen, nur der Wind klappte eben mit einer halbzerbrochenen Lade, seitwärts schlug eine Nachtigall im Gebüsch, er hatte sie oft gehört, wenn er in den schwülen Sommernächten hier zum Liebchen schlich. – »Mein Gott, wo bin ich denn so lange gewesen!« sagte er in Gedanken versunken. – Da hörte er plötzlich in einiger Entfernung ein wohlbekanntes Lied aus alter Zeit:

Jetzt wandr ich erst gern!
Am Fenster nun lauschen
Die Mädchen, es rauschen
Die Brunnen von fern «

Voll Freude antwortete er sogleich mit den folgenden Worten desselben Liedes:

Aus schimmernden Büschen
Dein Plaudern, so lieb,
Erkenn ich dazwischen
Ich höre mein Lieb!

»Barmherziger Gott – Kordelchen!« rief er auf einmal erschrocken aus. Die Schauspielerin stand vor ihm, sorgfältig geschmückt, frischgepflückte, bunte Blumen im Haar. – »Ist er noch immer nicht zu Hause?« fragte sie, nach dem Palaste schauend. – »Wer denn?« entgegnete Otto ganz verwirrt. – Bei dem Klange seiner Stimme horchte sie hoch auf und sah ihn lange unverwandt an. »Ich kenn‘ dich recht gut«, sagte sie dann mit einem schlauen Lächeln, »weißt du noch, wie du uns in jener regnichten Nacht zum erstenmal trafst, als wie nach einem kleinen Städtchen zogen? Damals hatt‘ ich ein Loch im Strumpf, Kamilla stichelte darauf, denn Kamillen sind bitter – ach nein, du bist’s nicht!« schloß sie traurig. Dann hing sie sich in seinen Arm und flüsterte ihm geheimnisvoll zu: »Ich weiß wohl, wie er eigentlich heißt, aber ich verrat’s nicht, sag du’s auch nicht weiter, denn die Nacht hat Ohren – Ohren

Und Augen verstohlen,
Wenn alles im Schlaf,
Da kommt er mich holen
’s ist ein vornehmer Graf.

»Kordelchen! Kordelchen!« rief jetzt eine Stimme außerhalb des Gartens. Das Mädchen riß sich schnell los und verschwand wie ein aufgescheuchtes Reh zwischen den Bäumen. – Otto sah ihr lange nach, dann, plötzlich vom Entsetzen ergriffen, floh er unaufhaltsam über die öden Gänge, aus dem Garten, durch die einsame Vorstadt fort. Es war indes schon völlig dunkel geworden, die Sterne spielten munter am Himmel, von dem fernen Turm in der Stadt sang die Spieluhr wieder ihr frommes Lied; er mußte sein Gesicht mit beiden Händen verdecken, es war, als zögen Engel über ihn singend durch die stille Nacht.

Zu Hause aber schnürte er hastig sein Reisebündel; noch denselben Abend, ungeachtet der Vorstellungen der besorgten Alten, verließ er die Stadt.

Der Eilwagen rollte auf der glänzenden Straße in die schöne Sommernacht hinaus, der Postillion knallte lustig, daß es weit über die stillen Felder schallte. Vorn im Kabriolett plauderte ein Knabe, der zum erstenmal von Hause fuhr, munter mit dem Kondukteuer, dann sah er wieder lange stumme in die Gegend, wie da die dunklen Schatten der Pappeln und seitwärts Büsche, Wälder und Dörfer im Mondschein vorüberflogen, und wenn das Posthorn erklang, stiegen allmählich prächtige Schlösser und wunderbare Gärten und Gebirge mit Wasserfällen in der dämmernden Ferne vor ihm auf. Dann dachte er nach Hause, wie die Seinigen jetzt alle ruhig schalfen, der Mond scheint durchs Fenster über die Bilder an der Wand, nur eine Fliege summt tönend durch die stille Stube – da kam er sich auf einmal so verlassen vor hier draußen, und doch so tapfer und frei in der Fremde. – So reisefrisch war auch Otton früher gar manche schöne Frühlingsnacht zumute gewesen, heute saß er still vor sich hinbrütend im dunklen Wagen, es war ihm bei dem einförmigen, schlaftrunkenen Rasseln, als ging es immerfort bergunter, unaufhaltsam einem unbekannten Abgrunde zu. Zuweilen blitzte der Mond oder das vorüberfliegende Licht eines Bauerhauses durch den Wagen und streifte flüchtig bald eine bleiche Nase, bald einen martialischen Schnurrbart, bald die Glasaugen einer Brille. Sie schwatzten viel von einer wunderschönen Opersängerin und einem reichen Grafen S., einem lockeren Zeisig. – »Nein, ein Dompfaff«, rief der eine, »denn sie hat ihn pfeifen gelehrt.« – »Vogel ist Vogel«, meinte ein anderer kurz: »sie hat ihn tüchtig gerupft, nun ist sie selber davongeflogen.« – »Eine barocke Idee«, sagte der mit der Brille, »sich da in dem verfallenen Palast in der Vorstadt einzunisten!« – Otto, aus seinem Gedanken auffahrend, horchte plötzlich auf. – »Nisten!« fiel der Schnurrbart ein, »Turteltauben nisten grade am liebsten in alten Ruinen, da ist’s hübsch düster und nachtigallenhaft. Ja, mein Lieber, das hatte alles seine guten Wege, nämlich so unter den Bäumen sacht fort, die plaudern nichts aus. Konnte man wohl diskreter handeln als der Graf? er ließ ihrer Treue ein Hinterpförtchen offen. Nun, nun, er ist ein Mann von kostbaren Erfahrungen, sie war wenigstens nicht seine prima Donna, und, ich denke, er hatte eben auch keine Solopartie bei ihr.« – Ein schallendes Gelächter erfolgte hier. Otton schnitt es durch die Seele, sie sprachen offenbar von seiner wundersamen Melusina! Es war ihm, as hätten die Gesellen mit ihren schmutzigen Reisestiefeln auf einmal einen köstlichen Teppich umgeschlagen, und er sähe nun die groben, rohen Fäden der glühenden Traumblumen – ihm graute recht vor dieser faden Kehrseite des Lebens.

Hier hielt der Wagen plötzlich vor einem Hause mitten im Felde, ein Mann in Nachtmütze und Pelz trat verschlafen mit einer Laterne heraus, um einige Pakete zu übergeben und andere in Empfang zu nehmen. Währenddes öffnete sich hinter ihm leise der Schieber des kleinen Fensters, der Widerschein der Laterne beleuchtete flüchtig ein wunderschönes Mädchengesicht, das schnell wieder zurückfuhr. Otto erschrak, die Züge waren ihm bekannt, er konnte sich aber durchaus nicht besinnen. Da gähnte der Mann im Pelz. »Friß mich nicht, Mauschel!« rief ihm der lustige Kondukteur vom Kutschbock, zu. – »Ich esse kein Schweinefleisch«, entgegnete der Jude trocken. Die Passagiere lachten, der Postillion knallte, und rasselnd flog der Wagen wieder in die stille Nacht hinaus.

Auf der nächsten Mittagsstation verließ Otto seine Reisegesellschaft, die jetzt schlummernd in allen Winkeln der Passagierstube umherlag, während die Rüstigeren, überwacht und verdrießlich, nach Kaffee, Rum und Butterbroten durcheinanderschrien. Von hier aus gingen Seitenwege nach Hohenstein, dort im schattigen Grün wollte er ausruhen; er hofft‘ es noch vor Nacht zu erreichen, so matt und krank er sich auch fühlte. Er fragte nach dem nächsten Wege, man wies ihn auf einen Fußsteig, der gerade durch die Wälder führen sollte. Einsam schritt er nun zwischen die Berge hinein. Wie so anders, dachte er, als ich vor vielen Jahren hier auswanderte! Nun ist es Schlafenszeit, und alles ist vorüber. – Die schleichende Gewalt der Krankheit, von der durchwachten Nacht und Anstrengung neu geschürt, brach und reckte und dehnte ihn heimlich in allen Gliedern, er mußte öfters rasten, und verließ endlich vor Ermüdung den Fußsteig, um, womöglich, ein Dorf zu erlangen. Aber kein Haus wollte sich zeigen, es war so still den Wald entlang, daß man die Spechte picken hörte. So hatte er Zeit und Weg verloren; der Abend funkelte schon durch die Wipfel, die Gegend wurde ihm immer fremder, je weiter er fortging.

Da erblickte er seitwärts ein kleines Mädchen, das im Walde Blumen pflückte. Als er hinzutrat, wandte sie sich schnell herum, es war ihm plötzlich vor den klaren, unschuldigen Augen, wie in den Himmelsgrund zu sehen. Die Abendsonne schimmerte durch die blonden Locken, er streichelte und küßt‘ es herzlich auf die blanke Stirn.

Das schien dem armen Kinde selten zu begegnen, es suchte emsig in seiner Schürze und reichte ihm eine wilde weiße Rose, und als er fragte, ob es ihm den Weg aus dem Walde weisen könne, gab es ihm vertraulich die Hand, während es mit der andern sorgfältig das Schürzchen zusammenhielt, um seine Blumen nicht zu verlieren. Wie sie so miteinander fortgingen, wurde das schöne Kind immer vergnügter und gesprächiger. Es erzählte, es wäre gar nicht mehr so lange hin, da käme wieder Weihnachten, wo die vielen Lichter in den vornehmen Häusern brennten, dann säß es in der Kammer auf seinem Bettchen am Fenster, da flimmerten draußen die Sterne so schön über dem Schnee, und das Christkindlein flöge durch die Nacht über den stillen Garten hin und brächt‘ ihm von seinen Eltern viele kostbare Sachen: neue rote Schuh und ein Mützchen. – »Wo wohnen denn deine Eltern?« fragte Otto. – Die Kleine sah ihn erstaunt an, dann wies sie nach dem Himmel. – »Aber wo führst du mich denn jetzt hin?« fragte er fast betroffen wieder. – »Nach Hause -« entgegnete das Kind. – Ihn schauerte unwillkürlich bei dem Doppelsinn der Antwort.

Auf einmal traten sie an einem Abhange aus dem Walde heraus, Otto stand wie geblendet. Denn tief unter ihm lag plötzlich seine Heimatsgegend im stillen Abendglanze ausgebreitet: das schattige Städtchen, jenseits seiner Eltern Garten und Haus, der vergoldete Strom dann im Wiesengrund und die fernen Berge dahinter – alles wie er’s in der Fremde wohl manchmal im Traume gesehen. Ganz erschöpft sank er unter dem Baume hin. »O stille, alte Zeit«, rief er aus, »wie liegst du so weit, weit von hier!« – Die Kleine hatte sich zu seinen Füßen ins Gras gesetzt. »Nein, nein«, sagte sie, »so ist es nicht, ich will dich’s lehren.« Und bei dem Vogelschall selbst wie ein Waldvöglein, sang sie mit dem kindischen Stimmchen:

Waldeinsamkeit,
Du grünes Revier,
Wie liegt so weit
Die Welt von hier!
Schlaf nur, wie bald
Kommt der Abend schön,
Durch den stillen Wald
Die Quellen gehn,
Die Mutter Gottes wacht,
Mit ihrem Sternenkleid
Bedeckt sie dich sacht
In der Waldeseinsamkeit,
Gute Nacht, gute Nacht!

Otton dunkelte es vor den Augen, da ging auf einmal ein Leuchten über die Gegend wie ein Blitz in der Nacht: stille Abgründe fernab, Gärten und Paläste wunderbar im Mondglanz, er erkannte unten die goldenen Kuppeln und hörte durch die stille Luft herüber die Glocken wieder gehen und die Brunnen rauschen in Rom, und das Kind sang wieder dazwischen:

O du stille Zeit!
Kommst, eh wir’s gedacht,
Über die Berge weit
Nun rauscht es so sacht
In der Waldeinsamkeit,
Gute Nacht

»Still, still«, lachte die Kleine, »er schläft « aber der müde Wandersmann wachte nimmer auf.

Erstes Buch

Erstes Buch

In den letzten Strahlen der Abendsonne wurde auf der grünen Höhe ein junger Ritter sichtbar, der zwischen dem Jauchzen der Hirten und heimkehrenden Spaziergänger fröhlich nach dem freundlichen Städtchen hinabritt, das wie in einem Blütenmeere im Grunde lag.

Er sann lange nach, was ihn hier mit so altbekannten Augen ansah, und sang immerfort ein längst verklungenes Lied leise in sich hinein, ohne zu wissen, woher der Nachhall kam. Da fiel es ihm plötzlich aufs Herz: wie in Heidelberg lagen die Häuser da unten zwischen den Gärten und Felsen und Abendlichtern, wie in Heidelberg rauschte der Strom aus dem Grunde und der Wald von allen Höhen! So war er als Student manchen lauen Abend sommermüde von den Bergen heimgekehrt und hatte über die Feuersäule, die das Abendrot über den Neckar warf, in die duftige Talferne gleichwie in sein künftiges, noch ungewisses Leben hinausgeschaut.

»Mein Gott«, rief er endlich, »da in dem Städtchen unten muß ja Walter wohnen, mein treuer Heidelberger Kamerad, mit dem ich manchen stillen, fröhlichen Abend auf den Bergen verlebt! Was muß der wackere Gesell nicht alles schon wissen, wenn er fortfuhr, so fleißig zu sein wie damals!« – Er gab ungeduldig seinem Pferde die Sporen und hatte bald das dunkle Tor der Stadt erreicht. Walters Wohnung war in dem kleinen Orte leicht erfragt: ein buntes, freundliches Häuschen am Markte, mit hohen Linden vor den Fenstern, in denen unzählige Sperlinge beim letzten Abendschimmer einen gewaltigen Lärm machten. Der Reisende sprang eilig die enge, etwas dunkle Treppe hinan und riß die ihm bezeichnete Tür auf, die Abendsonne, durch das Laub vor den Fenstern zitternd, vergoldete soeben die ganze, stille Stube, Walter saß im Schlafrock am Schreibtische neben großen Aktenstößen, Tabaksbüchse, Kaffeekanne und eine halbgeleerte Tasse vor sich. Er sah den Hereintretenden erstaunt und ungewiß an, seine Gipspfeife langasm weglegend. »Baron Fortunat!« rief er dann, »mein lieber Fortunat!« und beide Freunde lagen einander in den Armen.

»Also so sieht man aus im Amt und Brot?« fragte Fortunat nach der ersten Begrüßung, während er Waltern von allen Seiten umging und betrachtete; denn es kam ihm vor, als wäre seit den zwei Jahren, daß sie einander nicht gesehen, die Zeit mit ihrem Pelzärmel seltsam über das frische Bild des Freundes dahingefahren, er schien langsamer, bleicher und gebückter. Dieser dagegen konnte sich gar nicht satt sehen an den klaren Augen und der heiteren, schlanken Gestalt Fortunats, die in der schönen Reisetracht an Studenten, Jäger, Soldaten und alles Fröhliche der unvergänglichen Jugend erinnerte. – Fragen und Gegenfragen kreuzten sich nun rasch, ohne eine Antwort abzuwarten. Walter pries vor allem sein Glück, das ihn hier so schnell eine leidliche Stelle hatte finden lassen, es fehlte nicht an größeren Aussichten, und so sehe er einer heiteren, sorgenlosen Zukunft entgegen. – Dazwischen hatte er in seiner freudigen Unruhe bald noch einen Brief zusammenzufalten, bald ein Paket Akten zu binden, bald draußen etwas zu bestellen, beide konnten den alten, vertraulichen Ton gar nicht wiederfinden.

Unterdes war eine alte Frau hereingetreten und fing an, eine altmodische Kaffeeserviette zierlich auszubreiten und Teller, Gläser und Weinflaschen aufzustellen, wobei sie von der Seite eherbietige Blicke auf den vornehmen fremden Herrn warf, der eine solche Revolution in der einförmigen Junggesellenwirtschaft verursachte. Fortunat aber überschaute am Fenster den heitern Markt, und eine leise Wehmut flog durch seine Seele über die langsam zersetzende und zerstörende Gewalt der Verhältnisse, wie sie ihm auf Walters treues Gemüt wirksam zu sein schien. – »Laß uns nach guter, alter Art im Freien trinken!« rief er, sich schnell umwendend, aus, da er die Zurüstungen hinter sich erblickte. Walter hatte Bedenken: das sei hier nicht gewöhnlich, man werde in kleinen Städten zu sehr bemerkt. Fortunat aber hatte unterdes schon unter jeden Arm eine Flasche genommen, und wanderte damit die Treppe hinunter. Walter folgte verlegen lachend, die Alte brachte voll Verwunderung Tisch und Gläser nach, und bald war die ganze fröhliche, funkelnde Wirtschaft unter den Bäumen vor der Tür aufgeschlagen.

Die Sonne war indes untergegangen, und die Dächer und die Gipfel der Berge über der Stadt glühten noch, von denen ein erquickender Strom von Kühle durch alle Straßen und Herzen ging. Kinder jagten sich und schwärmten in den Gassen, die Vornehmen, ihre Hüte nachlässig in der Hand und sich den Schweiß abtrocknend, kehrten, von allen Seiten ehrerbietig begrüßt, von ihren Spaziergängen zurück. Andere traten in bequemen Nachtkleidern mit den Pfeifen vor die Türen und plauderten mit dem Nachbar, während junge Mädchen, kichernd und in lebhaftem Gespräch, Arm in Arm über den Platz schlenderten und neugierig an dem Fremden vorüberstrichen.

Waltern ging bei den Erinnerungen an die fröhliche Studentenzeit und bei dem langentbehrten weiteren und reichen Gespräch recht das Herz auf, er hatte gar bald alle Scheu und blöde Rücksicht abgeschüttelt. – »Wie glücklich bist du zu preisen«, rief er seinem Freunde zu, »daß dir vergönnt ist, so mit den Vögeln durch den Frühling zu ziehn und die Reise nach Italien nun wirklich anzutreten, die wir in den heitersten Stunden in Heidelberg so oft miteinander besprachen. Das waren schöne Jugendträume!«

»Das verhüte Gott!« versetzte Fortunat lebhaft, »warum denn Träume? Die Ahnung war es, der erste Schauer des schönen, überreichen Lebens, das gewißlich mit aller seiner geahnten und ungeahnten herrlichen Gewalt über uns kommen wird, wenn wir nur fröhlich standhalten. Wo wären wir denn aufgewacht von den sogenannten Träumen? Was hätte sich denn seitdem verändert? Aurora scheint noch so jung über die Berge wie damals, die Erde blüht alljährlich wieder bis ins fernste, tiefste Tal – warum sollte denn unsere unsterbliche Seele, die alle den Plunder überdauert, allein alt werden? Was hindert denn zum Exempel dich, alle den Ballast von Vor-, Neben- und Rücksichten frisch wegzuwerfen, und frei mit mir in das offene Meer zu stechen? – Reise mit, alter Kumpan!«

Walter faßte lächelnd die ihm dargebotene Rechte. »Was mich eigentlich zwischen diesen Bergen festhält«, sagte er, »das sollst du künftig erfahren. – Doch – du magst immerhin lachen – das kann ich außerdem ehrlich sagen: es wäre mir schwer, ja gewissermassen unmöglich, den einmal mit Ernst und Lust begonnenen Geschäften zu entsagen, die wie ein stiller, klarer Strom in tausend unscheinbaren Nebenarmen das Land befruchten und mich so von meiner stillen Stube aus in immer wechselndem, lebendigen Verkehr mit den entferntesten Gegenden verbinden.«

Fortunat sah ihn nachdenklich an. »Du meinst es immer brav«, sagte er nach einer Psuse, »darum glaube ich dir, wo ich dich auch nicht recht verstehe. Aber in welchem greulichen Rumor lebt ihr Beamte dabei! Keiner hat Zeit zu lesen, zu denken, zu beten. Das nennt man Pflichttreue; als hätte der Mensch nicht auch die höhere Pflicht, sich auf Erden auszumausern und die schäbigen Flügel zu putzen zum letzten, großen Fluge nach dem Himmelreich, das eben auch nicht wie ein Wirtshaus an der breiten Landstraße liegt, sondern treu und ernstlich und mit ganzer, ungeteilter Seele erstürmt sein will. Ja, ich habe oft nachgedacht über den Grund dieser zärtlichen Liebe so vieler zum Staatsdienst. Hunger ist es nicht immer, noch selterner Durst nach Nützlichkeit. Ich fürchte, es ist bei den meisten der Reiz der Bequemlichkeit, ohne Ideen und sonderliche Anstrengung gewaltig und mit großem Spetakel zu arbeiten, die Satisfaktion, fast alle Stunden etwas Rundes fertig zu machen, während die Kunst und die Wissenschaften auf Erden niemals fertig werden, ja in alle Ewigkeit kein Ende absehen.« »Da rührst du«, entgegnete Walter, »an den wunden Fleck, wenigstens bei mir. Daß ich, aus Mangel an Zeit, zu beiden Seiten die schönen Fernen und Tiefen, die uns sonst so wunderbar anzogen, liegenlassen muß, das ist es, was mich oft heimlich kränkt, und was ich hier nicht einmal einem Freunde klagen kann. Dazu kommt die Abgelegenheit des kleinen Orts, wo alle Gelegenheit und aller Reiz fehlt, der neuesten Literatur zu folgen.«

»Ist auch nicht nötig«, versetzte Fortunat. »Was willst du jedem Phantasten in seine neumodischen Parkanlagen nachschreiten! Das rechte Alte ist ewig neu, und das rechte Neue schafft sich doch Bahn über alle Berge, und – wie ich oben bemerkt – auch in diesen Gebirgskessel. Denn wenn ich nicht irre, sah ich vorhin bei dir neben dem Corpus juris die neuesten poetischen Werke des Grafen Victor sehen.« »Nun«, sagte Walter, »meinen großen Landsmann muß ich doch in Ehren halten, seine Heimat liegt ja kaum eine Tagereise von hier.« – Fortunat sprang überrascht auf. »Da reit ich hin«, rief er, »den muß ich sehen.« – »Geduld«, erwiderte Walter lächelnd, »er ist schon seit mehreren Jahren auf Reisen.« »Und ich reite doch hin!« entgegnete Fortunat fröhlich, »wer einen Dichter recht verstehen will, muß seine Heimat kennen. Auf ihre stillen Plätze ist der Grundton gebannt, der dann durch alle seine Bücher wie ein unausprechliches Heimweh fortklingt.« Walter schien einem Anschlage nachzudenken. »Wohlan«, sagte er endlich, »wenn du durchaus hin willst, so begleite ich dich, ich bin dort wohlbekannt, und wir bleiben dann um so länger beisammen. Ich muß dir nur gestehen, ich hatte mich eigentlich schon selbst darauf eingerichtet, in diesen Tagen hinzugehen. Hier kann ich dir nicht viel Ergötzliches bieten, und wenn’s dir recht ist, so reisen wir morgen.« – Fortunat schlug freundlich ein.

Walter aber fing nun an, einige Lieblingsstellen aus Victors Werken zu rezitieren, was Fortunaten immer störte, weil ein gutes Gedicht keine Stellen, sondern eben nur das ganze gute Gedicht gibt, gleichwie eine abgeschlagene Nase oder ein Paar abgerissene Ohren der Mediceischen Venus für Kenner recht gut, aber sonst ganz nichtswürdig sind.

»Du kennst doch Victors Werke? Du liebst ihn doch auch?« unterbrach sich endlich Walter selbst, da Fortunat schweigend ein Glas nach dem andern hinunterstürtze. – »Ich liebe ihn«, sagte dieser, »wie ich ein nächtliches Gewitter liebe, das alles Grauen und alle Wunder in der Brust regt, ich kenne ihn, weil er von den geheimnisvollsten, innersten Gedanken meiner Seele, ja ich möchte sagen, von dem Waldesrauschen meiner Kindheit wunderbaren Klang gibt. – Friede dem großen dunklen Gemüt«, fuhr er sein Glas erhebend fort, »und freudiges Begegnen mit ihm!«

Die Freunde hatten über dem lebhaften Gespräch gar nicht bemerkt, daß unterdes der Platz allmählich öde geworden war. In der wachsenden Stille hörte man nur noch eine Geige aus einiger Entfernung und dann das einförmige Stampfen von Tanzenden dazwischen herüberschallen. Beides klappte so wenig zusammen, und die Geige wurde so unaufhörlich und entsetzlich schnell gestrichen, daß Fortunat laut auflachte und ungeachtet Walters Einwendungen sogleich dem Tanzplatze zueilte. Der verworrene Klang kam aus einem niedrigen Häuschen, über dessen Türe ein Strohbüschel als Wahrzeichen eines Weinschanks im Nachtwinde hin und her baumelte. Walter war in anständiger Ferne stehengeblieben, während Fortunat durch das Fenster in die seltsame Tanzgrube hineinblickte. Ein langes, dünnes Licht, das wie ein Peitschenstiel aus einem eisernen Leuchter hervorragte, warf ungewisse Scheine über das dunkle Gewölbe eines Kellers, an dessen Seitenwänden eingeschlafene Trinker über den langen, plumpen Tischen umherlangen. In der Mitte tanzten eifrig mehrere Paare lustigen Gesindels, bald mit den zierlich gebogenen Armen wie zum Fliegen ausholend, bald in den auserlesensten Figuren und Windungen sich nährend und wieder trennend, bevor sie einander endlich zum Walzer umfaßten. Der dicke Weinschenk ging mit aufgestreiften Hemdärmeln dazwischen herum, ahmte mit dem Munde den Wachtelschlag nach, schnitt den vorübertanzenden Frauenzimmern lächerliche Gesichter oder wagte zuweilen selbst einen künstlichen Sprung. Am auffallendsten aber war der Musikant: ein anständig gekleidetes, lebhaftes Männchen mit einem scharfen, geistreichen Gesicht, emsig in den wunderlichsten Laufern die Geige spielend, während seine Augen mit unverkennberem Wohlbehagen die Tanzenden verfolgten. Vergebens riefen diese ihm zu, sich zu moderieren, der Unaufhaltsame drehte mit wahrem Virtuosenwahnsinn die Töne, wie einen Kreisel, immer schneller und dichter, die Tanzenden gerieten endlich ganz außer Takt und Atem, es entstand ein allgemeines Wirren und Stoßen, bis zuletzt alle zornig auf den Musikus eindrangen. Dieser erhob sich nun und retirierte besonnen in künstlichen Fechtparaden nach der Tür, immer fort mit dem Fiedelbogen in den dicksten Haufen stoßend. So kam er glücklich auf die Straße heraus, die Schlafmütze des Wirts, die er im Getümmel aufgespießt, hoch auf seinem Bogen. Der lustige Wirt folgte schimpfend und vermehrte den Lärm von Zeit zu Zeit durch das Prasseln von Feuerwerk, das er täuschend mit dem Munde nachmachte.

Jetzt bemerkte der Musikus plötzlich die beiden Freunde auf der Gasse und sah sie mit seinen klugen Augen durchdringend an, während der Wirt, mit der einen Hand seine wilden Gäste in den Keller zurückdrängend, mit der andern ruhig die ihm zugeworfene Schlafmütze wieder auf den Kopf stülpte. Walter war einen Augenblick in Verlegenheit, ob und wie er den ihm unbekannten Fremden anreden sollte, und äußerte endlich seine Verwunderung über diese heillose Fertigkeit auf der Geige. – »Kleinigkeit! Kleinigkeit!« erwiderte der Musikus, »nichts als Taranteln, womit ich die Leute in die Waden beiße und den St. Veits-Tanz erfinde.« Mit diesen Worten empfahl er sich, nahm die Geige unter den Arm und schlenderte, noch einigemal furchtsam nach dem Keller zurückblickend, rasch durch die Nacht über den Marktplatz fort.

Fortunat, der bisher kein Auge von ihm verwendet hatte, trat nun schnell auf den Wirt zu, um etwas Näheres über das wunderbare Männchen zu erfahren. »Ein Fremder«, sagte der Wirt, »ein Partikulier, wie er sich nennt, mit dem ich schon manchen Verdruß gehabt habe. Er kommt zuweilen in die Stadt, aber immer nur grade zu mir, und wenn ich reelle Gäste habe, die nach getaner Arbeit ihr Gläschen trinken und vernünftig diskurrieren wollen, setzt er sich zu ihnen, und eh‘ ich’s mich versehe, hat er Händel unter ihnen angestiftet, und hat dann keine Courage, sie auszufechten. Wenn er recht vergnügt ist, zieht er gar seine verfluchte Geige hervor und spielt tolles Zeug auf. Hol der Teufel alle Phantasten!«

Hiermit kehrte der Wirt wieder in seine Höhle zurück, und die beiden Freunde bemerkten bei dem hellen Mondschein, wie der unbekannte Musikus soeben zum Stadttor hinauswanderte. »Ein herrlicher Narr!« rief Fortunat aus, dem Wanderer noch immer nachsehend. »Laß die Fledermäuse«, erwiderte Walter, »sie geraten uns sonst noch in die Haare. Komm nun nach Haus, es ist schon spät, und ich habe noch alle Hände voll zu tun für morgen.«

Auf Walters Stube ging nun ein fröhliches Rumoren an. Die alte Aufwärterin wurde herbeigerufen, Befehle wurden erteilt, Briefe versiegelt, und Akten und Wäsche gepackt, wobei Fortunat, in der Vorfreude der bevorstehenden, unerwareteten Fahrt, zur Verwunderung der Alten wütend half. Der weitgestirnte Himmel sah indes durch die offenen Fenster herein, der Brunnen rauschte vom einsamen Markte, während die Nachtigallen in den Gärten schlugen, und Fortunaten war es dazwischen, als ginge draußen das Geigenspiel des wunderlichen Musikanten noch einmal fern über die stillen Höhen.

Zweites Kapitel

Zweites Kapitel

Bei dem schönsten Frühlingswetter zogen die beiden Freunde, auf ihren Pferden fröhlich von den alten Zeiten miteinander schwatzend, in das morgenrote Land hinein. Sie hatten den weiteren, aber anmutigern Weg durch das Gebirge eingeschlagen, auf welchem sie Hohenstein, den Sitz des Grafen Victor, nach Walters Versicherung noch vor Nacht bequem erreichen konnten. Das Städtchen mit seiner grünen Stille lag schon weit hinter ihnen, ein frishcer Wind ging durch alle Bäume, und Walter fühlte sich recht wie ein Vogel, der aus dem Käfig entflohen. Er war fast ausgelassen heiter, schwenkte den Hut in der Luft und stimmte alte Studentenlieder an, so daß es den beiden Reitern vorkam, als wären sie nie getrennt gewesen und zögen nur eben wieder aus dem Tor von Heidelberg den grünen Bergen zu. In dieser Stimmung ließ er sich gern von dem unruhigen Fortunat verlocken, der bald dem fremden Schall eines unbekannten Gebirgsvogels folgte, bald mit den Hirten plauderte, dann wieder einen schönen Berggipfel oder eine reizend gelegene Ruine zu erklettern hatte. So waren sie lange aufs Geratewohl umhergeschweift, als Walter endlich zu seinem Schrecken bemerkte, daß schon die Abendsonne schräg durch den Wald funkelte. Jetzt fand er auch, daß sie alle Richtung verloren hatten, er wußte nicht, wo er war. Vergebens schlug er den ersten besten Pfad ein, die Wege teilten sich bald von neuem wieder, kein Dorf war ringsumher zu sehen, je tiefer sie in den Wald kamen, je ungeduldiger wurde er, er wollte durchaus noch heut nach Hohenstein. Unterdes war die Nacht völlig hereingebrochen, sie mußten absteigen und ihre Pferde hinter sich her führen, da der Holzweg sich nach und nach in einen verwachsenen Fußsteig verlor.

Walter war verdrießlich und sprach wenig. Fortunat aber wurde immer vergnügter, je weiter sie fortschritten, und blickte recht mit frischem Herzen in die wunderbaren Mondlichter und die rätselhaften Abgründe, an denen sie vorüberzogen. Oft hielten sie horchend still, denn es war ihnen, als hörten sie aus weiter Ferne Hunde bellen und den dumpfen Takt eines Pochhammers dazwischen; aber das einförmige Rauschen der Wälder verschlang immer alles wieder.

Walter schwor endlich, nicht einen Schritt mehr weiterzugehen, er band sein Pferd an und setzte sich maulend daneben. Fortunat hatte sich gleichfalls auf den Rasen hingestreckt, während sein Gefährte nun allerlei Reden über unzeitige Romantik und verlorene Zeit verlauten ließ. Fortunat antwortete nicht darauf, und da es gar nicht enden wollte, zog er seinen Mantel über den Kopf und schlummerte bald vor Ermüdung ein.

Als er wieder aufwachte, war Walter unterdes vor Ärger fest eingeschlafen. Er sah freudig rings um sich her, die tiefe Einsamkeit, die unbekannte Gegend, der Schlafende und die Pferde im Mondschein, alles war ihm so neu und wunderbar; er ging unter den Bäumen auf und nieder und sang halb für sich:

Wie schön, hier zu verträumen
Die Nacht im stillen Wald,
Wenn in den dunklen Bäumen
Das alte Märchen hallt.
Die Berg im Mondesschimmer
Wie in Gedanken stehn,
Und durch verworrne Trümmer
Die Quellen klagend gehn.
Denn müd ging auf den Matten
Die Schönheit nun zur Ruh,
Es deckt mit kühlen Schatten
Die Nacht das Liebchen zu.
Das ist das irre Klagen
In stiller Waldespracht,
Die Nachtigallen schlagen
Von ihr die ganze Nacht.
Die Stern gehn auf und nieder –
Wann kommst du, Morgenwind,
Und hebst die Schatten wieder
Von dem verträumten Kind?
Schon rührt sich’s in den Bäumen,
Die Lerche weckt sie bald –
So will treu verträumen
Die Nacht im stillen Wald.

Und wie er aufblickte, hörte er wirklich schon den Klang einer früherwachten Lerche durch den Himmel schweifen. »Frisch auf!« rief er fröhlich Waltern zu, »frisch auf, ich wittre Morgenluft!« Walter erhob sich taumelnd und konnte sich lange nicht in dem wunderlichen Schlafsaal zurechtfinden. Der kurze Schlummer hatte ihn neu gestärkt und verwandelt, er schämte sich seines gestrigen Mißmuts, und bald saßen die beiden Freunde wieder rüstig zu Pferde, um, wo möglich, noch vor Tagesanbruch aus dem Labyrinth der Wälder herauszukommen.

Nach einem kurzen Ritt hatten sie die Freude, unerwartet wieder einen ordentlichen Weg zu erreichen. »Land! Land!« rief endlich Walter vergnügt aus, »dorthin zu liegt Hohenstein!« – Sie verdoppelten nun ihre Eile, und gelangten bald völlig aus dem Walde in das weite, geheimnisvolle Land hinaus. Immer tiefer und freudiger stiegen sie von den Bergen in das Blütenmeer, schon hörten sie von fern eine Trumuhr schlagen, zahllose Nachtigallen schlugen überall in den Gärten. Am Ausgang des Gebirges schien ein großes Dorf zu liegen, zerstreute Hügel, dunkele Baumgruppen und ein hohes, prächtiges Schloß hoben sich nach und nach aus der verworrenen Dämmerung, alles noch unkenntlich und rätselhaft, wie in Träumen. So waren sie in eine hohe Kastanienallee gekommen, als Walter plötzlich an einem zierlichen Gittertor stillhielt. »Sie schlafen noch alle«, sagte er, »wir wollen indes hier in den gräflichen Garten gehen und die Erwachenden überraschen.«

Sie banden nun ihre Pferde an den Zaun und schwangen sich von den steinernen Sphinxen, die den Eingang bewachten, über das Gitter in den Garten hinein. Da war noch alles still und duftig, einzelne Marmorbilder tauchten eben erst aus den lauen Wellen der Nacht empor. Das alte, finstere Schloß im Hintergrunde mit seinen dichtgeschlossenen Jalousien stand wie eine Gewitterwolke über einem freundlichen Nebengebäude, von dem man vor lauter Weinlaub fast nur das rote Ziegeldach sah. Unter den hohen Bäumen vor dem letztern fanden sie einen Tisch und mehrere Stühle, als wären sie eben erst von einer Gesellschaft verlassen worden. – »Da hat sie schon wieder ihre Gitarre draußen vergessen«, sagte Walter kopfschüttelnd. – »Wer denn?« fragte Fortunat, – »die schöne Amtmannstochter, von der du mir erzählt hast?« – »Ja, Florentine«, erwiderte Walter; »das ist des Amtmanns Wohnung und dort oben nach dem Garten hinaus ihre Schlafstube.« – »Du weißt hier gut Bescheid«, entgegnete Fortunat. – Walter wurde rot und schwieg verlegen. Fortunat aber ergriff ohne weiteres die auf dem Tische liegende Gitarre, stellte sich vor das bezeichnete Fenster und sang:

Zwei Musikanten ziehn daher
Vom Walde aus weiter Ferne,
Der eine ist verliebt gar sehr,
Der andre wär es gerne.

»Ich bitte dich«, unterbrach ihn Walter, »was singst du da für dummes Zeug!« – »Wart nur, ’s kommt gleich klüger«, erwiderte Fortunat und sang weiter:

Die stehn allhier im kalten Wind
Und singen schön und geigen:
Ob nicht ein süßverträumtes Kind
Am Fenster sich wollt zeigen?

Sein Wunsch ging wirklich in Erfüllung. Ein schönes Mädchen, noch ganz verschlafen, wie es schien, fuhr oben ans Fenster, schüttelte die Locken aus dem Gesichtchen und sah neugierig mit großen, frischen Augen durch die Scheiben. Als sie aber unten einen unbekannten, wohlgekleideten Mann erblickte, war sie ebenso schnell wieder verschwunden. – Walter wurde nun in der Tat unwillig, Fortunat aber griff immer lustiger in die Saiten und sang wieder:

Mein Herz ist recht von Diamant,
Eine Blum von Edelsteinen,
Die funkelt fröhlich übers Land
In tausend bunten Scheinen!
Und durch das Fenster steigen ein
Waldsrauschen und Gesänge,
Da bricht der Sänger mit herein
Im seligen Gedränge.

Unterdes war es im Hause nach und nach lebendig geworden, Türen gingen auf und zu, im Innern hörte man dazwischen das kräftige Lachen eines Mannes, das immer näher zu kommen schien. Endlich wurde die Haustür von innen geöffnet, und, mit einer langen Pfeife im Munde, stand ein schon völlig angekleideter, großer, starker Mann vor ihnen, dessen gebräuntes, lebenslustiges Gesicht von der Morgensonne hell beschienen wurde. Es war der Amtmann selbst. Er war voller Freude, Waltern so unerwartet wiederzusehen, und konnte gar nicht aufhören über das lustige Ständchen zu lachen, durch das sich Fortunat sogleich in seine entschiedene Gunst gesetzt zu haben schien. Mit schallender Stimme rief er nun alles im Hause wach, es mußten eilig Kaffee und Pfeifen ins Freie herausgebracht werden, sie lagerten sich um den Tisch auf dem grünen Platz vor der Tür, den die beiden Gäste noch vor kurzem so einsam gesehen hatten, und Walter mußte ausführlich ihre nächtlichen Irrfahrten vortragen.

Unterdes war auch die Frau Amtmannin dazugekommen. Sie hatte sich vor dem unbekannten Gaste sorgfältig und beinahe festlich angetan und empfing Fortunaten mit umständlicher, wortreicher Feierlichkeit. Fortunat, dem bei solcher Gelegenheit unwillkürlich alle Bewillkommnungskomplimente einfielen, die er in seinem ganzen Laben gehört oder auch nicht gehört hatte, konnte nicht widerstehen, mit einem unerschöpflichen Schwalle der auserlesensten Redensarten zu entgegnen, und erweckte dadurch bei der Dame eine nicht geringe Meinung von sich und seiner feinen Lebensart.

»Das ist heute ein rechter Freudentag!« sagte der Amtmann, »da soll es auch einmal hoch hergehen.« Er erzählte nun, wie sie heut gegen Abend auch noch ihren jungen Neffen Otto hier erwarteten, der von der fernen Universität zurückkehrte, um sich zu seiner Anstellung vorzubereiten. Die Amtmannin ließ mit zufriedener Miene noch einfließen, daß Otto, der Sohn ihrer verstorbenen Schweser, aus Herrn Walters Städtchen sei, daß er schon auf der Schule immer für den Stillsten und Geschicktesten galt und nun ein wahrer Gelehrter geworden sei.

Fortunat bemerkte während dieses Gesprächs, daß sich Walter unterdes verloren hatte. Der Garten, der nun in voller Morgenpracht herüberfunkelte, lockte auch ihn schon lange, und er sagte endlich dem Amtmann, wie er Waltern vorzüglich in der Absicht hierherbegleitet habe, um die Heimat des berühmten Grafen Victor einmal in der Nähe zu sehen. Der Amtmann lächelte. »Ich weiß nicht«, sagte er, »ob Sie auch solcher Meinung sind, aber wenn die andern von dem berühmten, gelehrten Grafen sprechen, denken sie sich ihn immer mit der Zipfelperücke, wie den Hilmar Curas vor seiner Grammatik. Das kann mich immer ärgern. Was da Gelehrter! Zu Pferde muß man den Grafen Victor sehen, im Walde auf der Jagd, auf den Felsen, wo allen andern schwindelt – mit einem Wort: das ist ein rechter Mann! Das Berühmtsein und Versemachen ist nur so Lumpenzeug daneben, wie eine Schabracke auf einem schönen Roß, und er gibt selber nichts darauf. Doch wir sprechen ein andermal mehr davon.« – Er stand nun auf und beschrieb Fortunaten die Gänge, die er im Garten einschlagen sollte, um zu den schönsten Punkten zu gelangen, da ihn selbst die Wirtschaftsanordunungen für den anbrechenden Tag in das Haus hineinriefen.

Fortunat wandte sich nun allein in den Garten, wo er zu seinem Erstaunen ringsumher nur architektonische Formen altmodischer Gänge, hohe, feierliche Buchenalleen, Springbrunnen und künstliche Blumenbeete erblickte, von denen dunkelglühende Päonien und prächtige Kaiserkronen glänzten. Es war, als hätte ein wunderbarer Zauberer über Nacht seine bunten Signaturen über das Grün gezogen und säße nun selber eingeschlummert in dem Labyrinth beim Rauschen der Wasserkünste und träumte von der alten Zeit, die er in seine stillen Kreise gebannt.

Schon waren Schloß und Amtmannswohnung hinter Fortunaten versunken, als er plötzlich einen wohlgekleideten jungen Mann bemerkte, der an den Marmorstufen eines einsamen Gartenhauses eingeschlafen war. Er wollte umkehren, aber der Schläfer, von dem Geräusch erweckt, fuhr soeben rasch auf, blickte verworren ringsumher und fragte Fortunaten, wer er sei. Dieser erzählte nun sein nächtliches Abenteuer und seinen langgehegten Wunsch, diese Gegend einmal zum Angedenken des Dichter-Grafen Victor zu durchstreifen. – »Vortrefflich«, erwiderte der andere, »so will ich Sie sogleich herumführen!« – »Kennen Sie den Grafen Victor?« fragte Fortunat. – »Nicht sonderlich«, erwiderte jener, »doch wieß ich eben genug von ihm, um Ihnen hier überall genügende Auskunft zu geben.«

Fortunat nahm das unerwartete Anerbieten dankbar an und betrachtete, als sie nun miteinander weitergingen, mit freudiger Überraschung das schöne, aber etwas bleiche und wüste Gesicht des Unbekannten, über das die Morgenlichter durch das Laub wunderlich wechselnde Scheine warfen. Er äußerte endlich seine Verwunderung über die, wie es schien, absichtlich und sehr sorgfältig festgehaltene Altmodigkeit dieses Gartens. – »Der Graf«, entgegnete sein Begleiter, »will es so haben. Buchsbaumene Kindlichkeit! Wie es in seiner Kindheit gewesen, so soll es hier ferner verbleiben, selbst dieselben Blumen müssen jährlich an denselben Plätzen wieder gepflanzt werden, wie damals.« – »Er hat recht«, sagte Fortunat, »was soll ein Garten, wenn er nicht ein Gedicht von ganz bestimmtem Klange ist! In diesem einförmigen Plätschern der Wasserkünste, in dieser geisterhaften Symmetrie der Laubwände und stummen Marmorbilder ist eine Wehmut, die einen wahnsinnig machen könnte.«

Jetzt standen sie an dem Abhang des Berges, dessen obere Fläche das Schloß und der eigentliche Ziergarten einnahmen. Von der mit Efeu umrankten Felswand sah man hier plötzlich in tiefe Schluchten und Wiesenplätze hinab, wo im kühlen Schatten uralter Bäume Rehe und Damhirsche weideten, die scheu die Köpfe nach ihnen emporhoben und dann pfeilschnell im tieferen Dunkel verschwanden. – »Sehen Sie da«, rief Fortunats Begleiter aus, »das Großartige und Kühne dieser Komposition. Ich betrete diesen Ort nie ohne Ehrfurcht vor dem seltenen Genius dieses Dichter-Grafen – oder sagen wir es nur lieber gerad’heraus: Dichterkönigs! Besonders muß ich Sie hier auf jene leichtgeschwungenen Brücken aufmerksam machen. Sie führen, wie Sie sehen, über die Wipfel der Bäume hinweg nach einzelnstehenden, hohen, abgerissenen Felsen hinüber, die, mit ihren bunten Gärtchen auf den Gipfeln, wie funkelnde Blumenzinnen über die Waldeseinsamkeit emporragen. Diesen Einfall hat der liebenswüdige Graf vor dem lieben Gott voraus, er legte diese hängenden Gärten an; das waren die Blocksberge seiner Phantasie. Hier pflegte er als Knabe, wenn ein Gewitter heraufzog und im Schlosse alles ängstlich durcheinanderlief, vor der unermeßlichen Aussicht zu sitzen, mit den Beinen über dem Abgrunde baumelnd, bis ihm die ersten dicken Regentropfen an die seidenen Strümpfe klatschten.« – »Es freut mich« – erwiderte Fortunat, der, ganz in den Anblick des wunderbaren Grundes vesunken, die letzten Worte fast überhörte hatte – »es freut mich recht, daß Sie Victors poetische Erscheinung so hochhalten.«

Der Begleiter sah ihn aus den schönen Augen scharf und zweifelhaft an. – »Ich bedaure ihn aufrichtig«, sagte er dann, »denn ich halte die Anstellung als Genie für eine der epinösesten in der Welt. Ein anderer stopft sich seine Pfeife, zieht seinen Schlafrock an, setzt sich auf dem Schreibesel zurecht, und macht seine Arbeiten ab und geht dann zufrieden in die Ressource, wo er wieder ganz Mensch sein kann. Aber so ein Genie, zumal ein Dichter, kann das Genie gar nicht loswerden; wie ein Spaziergänger, der im Herbst über Feld gegangen, schleppt er die Sonnenfäden seiner Träume an Hut und Ärmeln bis auf die Ressource nach. Ist dort gar das Fenster offen, so sind die Nachtigallen und Lerchen draußen recht versessen auf ihn und rufen ihn ordentlich bei Namen, ja zuweilen spielt ihm seine kaum halbfertig gedichtete Geliebte den fatalen Streich und blickt ihn plötzlich aus den Augen irgendeiner albernen Dame an.« – Hier stand er plötzlich selber überrascht still. Sie waren in das Felsental hinabgestiegen und an einen einsamen Weiher gelangt, in dessen Mitte sich eine, wie es schien, unzugängliche Insel im frischen Schmuck des Morgentaues spiegelte. Spuren ehemaliger Gänge und Blumenplätze waren von hohem Grase und Unkraut überwachsen, fremde Blütengewächse schlangen sich an den Baumstämmen empor, nur einzelne hohe Blumen funkelten noch hier und da aus der bunten Verwilderung, in der unzählige Vögel sangen. »Das war sonst Victors Lieblingsplatz«, sagte der Fremde nach einem Weilchen, »hier hat er den Namen seines ersten Liebchens in die Bäume geschnitten. Das Mädchen ist tot, der Nachen zu der Insel lange zertrümmert und versenkt, und Wipfel und Zweige, Unkraut und Blüten schlingen sich drüben verwildert durcheinander und können doch nicht in den Himmel wachsen.« – Ein seltsames Leuchten flog bei diesen Worten über sein geistreiches Gesicht. Dann auf einmal zu Fortunaten gewandt, sagte er: »Aber Sie sind am Ende selbst der Graf Victor – leugnen Sie nur nicht!« – Fortunat brach in lautes Lachen aus, und bat den Unbekannten, der ihm wohl behagte, zu wechselseitiger näherer Bekanntschaft sogleich mit zum Amtmann hinaufzukommen. Der Fremde besann sich einen Augenblick und fragte dann, ob noch mehrere Gäste dort wären? Da er hörte, daß auch Walter droben sei, entschuldigte er sich, er habe zu lange am Brunnen geschlafen und müsse nun schnell wieder weiter. – »Sind Sie denn nicht hier aus dem Hause?« fragte Fortunat erstaunt. – Aber jener eilte schon fort, winkte noch einmal mit dem Hute und war bald zwischen den Bäumen verschwunden.

Elftes Kapitel

Elftes Kapitel

Ein prächtiges Schloß über schimmernden Fernen, ein bunter, fürstlicher Hofhalt, Komödianten und ein Liebchen im Grün – was Wunder, daß Ottos fröhliches Studentenherz wie eine Lerche singend über dem phantastischen Herbstschmuck der Wälder hing! – Auch Fortunat verschob seine Abreise von einem Tag zum andern, die geheimnisvolle Aufmerksamkeit, womit man ihn hier unbegreiflicherweise auszeichnete, wurde immer auffallender. Er glich einem Fremden, der auf der Durchreise, bevor der Postillion wieder blies, sich auf einige Minuten im Theater an einen Pfeiler gelehnt und nun auf einmal gewahr wird, daß droben auf den Brettern von ihm selber die Rede sei und alle Blicke sich unheimlich auf ihn heften. Das Rätsel, meinte er, müsse jeden Augenblick sich lösen, er wollte wenigstens den ersen Akt noch abwarten.

Am wunderlichsten aber war es Dryandern ergangen. Sein Dichterruf öffnete ihm alle Flügeltüren des Schlosses, da hatte ihn aber der Hofwind so wacker gefaßt, daß er bald den Hut samt dem Kopfe darüber verloren hätte. Die unverschämte Art, mit der er sich selbst vergötterte, sein Witz und poetisches Wetterleuchten dazwischen, blendete, verwirrte und belebte alles, und eh‘ man sich dessen versah, hatte der Fürst ihn bei Hofe angestellt; die Schauspieler meinten: als lustigen Rat. Er selbst aber nahm die Sache sehr ernst, hielt einen Bedienten, mit dem er sich täglich zankte, kleidete sich sorgfältig nach der neuesten Mode, sprach nur französisch zu den Komödianten, die es nicht verstanden, und wies Lotharios Gelächter mit gründlicher Verachtung zurück.

Währenddes hatte auch der junge, schöne Maler Guido sich immer mehr in Kordelchens feingeschlitzte Augen vertieft und entdeckte in dem mutwilligen Mädchen täglich neue, unerhörte, nur von der Gemeinheit ihrer Umgebung verschüttete Talente, von denen sie selber nicht wisse. Strotzend von guten Vorsätzen, voll Selbstvertrauens und jugendlichen Glaubens an Tugend und Liebe, ging er mutig darauf los, sie aus ihrer Verwilderung mit sich emporzuflügeln. – Eines Nachmittages saßen beide zusammen in dem altmodischen Ziergarten, der die Wohnung der Schauspieler umgab. Sie strickte einen Strumpf, er las ihr Goethes Tasso vor. Zwischen den grünen Taxuswänden schillerten von fern die reichen Täler herauf, bunte Schmetterlinge flatterten auf den halbverwilderten Blumenbeeten; die feierliche Pracht der Gänge, die Hermen römischer Dichter, die in der Einsamkeit umherstanden, weiterhin über den Buchenwipfeln das heitere fürstliche Schloß – alles versetzte ihn recht mitten in das schöne Gedicht, er las sich immer mehr ins Feuer. – »Wie schön sie ist!« rief da auf einmal Kordelchen fast traurig aus. Guido glaubte: die Prinzessin im Stück. Kordelchen aber meinte die Gräfin Juanna, die soeben, eine Laute im Arm, durch den oberen Schloßgarten ging. Er sah ihr selber nach, bis sie zwischen den Orangenbäumen wieder verschwunden war, dann fuhr er, etwas gestört, weiter fort. Aber seine Schülerin war heute ganz zerstreut. »Haben Sie gestern, abends, Lotharion droben gesehen?« unterbrach sie ihn von neuem, »ich glaube, er wollte ein Ständchen bringen.« – Guido wollte aus der Haut fahren, er nickte ihr nur flüchtig zu, er war eben an einer Lieblingsstelle und deklamierte so eifrig fort, daß ihm die Stirn davon rot wurde. Als er aber einmal über das Buch hinwegsah, hatte Kordelchen gar ihr Strickzeug weggelegt und den ganzen Schoß voll Sternblumen. – »Sie liebt ihn – sie liebt ihn nicht -« sagte sie leise in Gedanken vor sich hin, eine Blume nach der andern zerpflückend. Guido stand auf, klappte das Buch heftig zu und schob es in die Tasche, seine begeisterten Augen leuchteten im Zorne so schön unter den herabwallenden braunen Locken. »Du närrischer Junge!« rief Kordelchen, ihn mit einem herzhaften Kuß festhaltend. Da wanderte eben Otto vorüber und warf ihr einen verächtlichen Blick zu. Sie warf ihm dagegen lachend alle ihre Blumen nach und sprang dann selber schnell in den Garten fort.

Ungünstigeres aber hätte Otton in diesem Augenblick nicht begegnen können als der unerwartete Anblick dieser Vertraulichkeit. Denn er ging soeben, das Manuskript eines Trauerspiels unter dem Arme, mit klopfendem Herzen nach dem alten Palast der Schauspieler, um es ihnen behufs einer zu verhoffenden Darstellung vorzulesen. – Er fand Herrn Sorti und die übrigen Stimmführer der Gesellschaft bereits vor dem Hause in einer Wolke von Tabaksrausch zwischen hohen Biergläsern um einen runden Tisch versammelt. Zerstreut und in Gedanken noch halb bei Kordelchen, begann er mit unsicherer, fast schüchterner Stimme die Vorlesung. Doch bald faßte ihn der rasche Strom der eigenen Dichtung, heiter glitt er an den duftigen Gestaden, Rebengeländern und Burgen hinab, und das stille Glück der Stunden, ja die Gegenden und Plätze, wo er damals gedichtet, wehten ihn wieder erfrischend an. So las er immer schöner und mächtiger und bemerkte nicht, wie die Gesichter seiner Zuhörer nach und nach immer länger wurden, dort einer heimlich durch die Nase gähnte, da ein anderer mit vornehmem Lächeln unverwandt sein Bierglas ansah. Und als er endlich schloß, erfolgte eine allgemeine Stille, daß man das Laub im Baume sich bewegen hörte – ein Zustand, wobei einem jungen Autor die Gedanken plötzlich zu Eiszapfen gefrieren können.

»Schön – recht poetisch«, nahm endlich Sorti das Wort, »aber aufführen« »Keine Drucker«, platzte Ruprecht heraus. – »Zu viel Verwandlungen«, meinte ein anderer. – »Kein einziger brillianter Abgang.« – »Aber was hat denn alle das Teufelszeug mit meinem Gedicht zu schaffen?« fragte der erstaunte Otto in seiner poetischen Unschuld. – »Wird sich schon geben, mein Liebster«, entgegnete Sorti gelassen, »wird sich nach und nach schon geben mit der zunehmenden Bühnenkenntnis.« – Nun steckten alle die Nasen in das Heft, und ein jeder fing an, nach seiner Art zu mäkeln. Der Dialog war zu phantastisch, er sollte noch einmal überarbeitet, herabgestimmt und natürlicher gemacht werden. Der Held dagegen erschien allen zu einfach, die Dame gar zu verliebt. – »Das Lieblichste«, rief er aus, »das Heimlichste, Wahrste und Beste, was ich wußte, hab‘ ich gegeben, und nicht einen Buchstaben ändere ich an dem ganzen Stück!« – Hiermit schleuderte er das Manuskript zornig auf den Tisch und ging rasch in den Garten fort, und es war ihm in einiger Entfernung, als hörte er die Schauspieler hinter sich lachen.

In diesem heftig bewegten Zustande begegnete er Lotharion, der ihm sehr bald die ganze Geschichte abgefragt hatte und darauf in ein tolles Gelächter ausbrach. »Darf man erfahren, worüber Sie lachen?« fragte Otto empfindlich. »Weil Sie«, erwiderte Lothario, »durch diese glückliche Begebenheit hoffentlich auf den nächsten Weg geraten sind, sich der theatralischen Flausen gänzlich zu entschlagen.« Otto sah ihn verwundert an. Aber Lothario ließ sich nicht irremachen. »Überlegt doch nur selbst«, fuhr er fort, »was wollen sie denn eigentlich! Ein großer, starker Kerl, der plötzlich herausstürzt und rezitativisch schreit: »Ich fürcht‘ mich vor dem Tode nicht! – ein Posaunenstoß oder ein paar Striche über die große Baßgeige dazu – das ist ein Held. Ein zimperlich Ding, etwas verliebt und etwas tugendhaft und sehr geschnürt, das in Jamben spricht und mit den Logen kokettiert – das ist eine Jungfrau. Ein Korb voll Kaldaunen, der nach Tische zur Verdauung Poesie treibt und in Romeo und Julie eines gemalten Pomeranzenbaums bedarf, um sich nach Italien zu versetzen: das ist das Publikum.« – »Und dennoch«, erwiderte Otto nach einer kurzen Pause, »wenn alle so dächten, so müßte die dramatische Poesie in der Luft spielen und die Bühne zugrunde gehen.« – »Ja, das hoff ich auch!« sagte Lothario, »die Dichter müssen nur nicht nachgeben, sondern die Theater poetisch aushungern, sie an ihrer eigenen Misere und Langweiligkeit allmählich verschmachten lassen und unterdes draußen frisch und keck die Welt auf ihre eigene Hand dramatisieren. Das Publikum ist so dumm gerade nicht, wie es aussieht. Ist es erst im Buch an die ursprüngliche Schönheit wieder gewöhnt, so wird es auch die Bühnen schon zwingen, sich zu akkommodieren. Aus der alten, guten Poesie kann sich ein neues Theater bilden, nimmermehr aber eine neue Poesie aus den kranken Gelüsten des Publikums und der Pedanterei der Theatermaschinisten. Und überhaupt, junger Mensch«, fuhr er fort, »wollt Ihr ein Dichter werden – und ich meine, Ihr habt die unglückliche Disposition dazu – so müßt Ihr Euch ein für allemal daran gewöhnen, für die Handvoll Gescheuter im Lande zu dichten und nach den andern nicht zu fragen. Vor allem aber müßt Ihr Euch hier von uns Komödianten und Frauenzimmern losmachen, denn wer sich so in der Rumpelkammer des Lebens herumtreibt, dem fliegen die Fledermäuse an den Kopf, und es wäre schade um Euer weiches Flachshaar.«

Otto zürnte wie ein Mädchen. Lothario aber, in seinem kühnen Wesen, griff wie ein eisiger Morgenwind durch alle Saiten seiner wunden Seele. Auch hatte es Otto ja mit eigenen Augen gesehen: Kordelchen war treulos, das Brettergerüst seines geträumten Bühnenruhms zertrümmert, er kam sich nach den heutigen Erfahrungen nun selbst hier kahl und erbärmlich vor. Und so geschah es, daß er, ehe sie noch das Ende des Gartens erreichten, dem harten Freunde mit dem Ungestüm eines frischen Entschlusses die Hand darauf gab, sogleich weiterzureisen, um ungestört und mit strengem Ernste ganz der Dichtkunst zu leben. – Nun fehlte es aber wieder am nötigen Reisegeld zur Ausführung eines so löblichen Vorsatzes. – Lothario machte bei dieser Bemerkung eine lebhafte Bewegung und schien einen raschen Vorschlag auf dem Herzen zu haben, schwieg aber plötzlich. – Da standen sie soeben vor Dryanders Tür. »Halt!« sagte er, »hier wohnt Fortunas Hofnarr, da wollen wir anklopfen, kommen Sie nur geschwind.«

Mit diesen Worten drängte er den Zögernden in das Haus hinein. Ein Bedienter empfing sie in der Vorstube und wollte anmelden. Der Schauspieler schob ihn aber lächelnd zur Seite und trat ohne weiteres in das Zimmer. Hier war durch tief herabhängende, grünseidene Gardinen ein künstliches Halblicht verbreitet, ein zierlicher, bronzener Opferaltar auf dem Mahagonitisch erfüllte das Gemach mit Wohlgerüchen, Dryander selbst, in einem feinperkalenen Negligé, ruhte mit einem Papier in der Hand nachlässig auf einer Ottomane. Er blinzelte die eintretenden vornehm an, als könnte er sie nicht gleich erkennen, faltete und versiegelte erst den Brief und klingelte nach dem Bedienten: »An Se. Durchlaucht, aber sogleich.« – Dann sprang er auf und nötigte die Gäste verbindlich auf das Sofa. – Lothario, als sie sich feierlich niedergelassen, drückte mit devoter Stimme ihre langverhaltene Freude über seinen sehr ergötzlichen Glückwechsel aus. »Mich hat es nicht im geringsten überrascht, verehrter Hofrat«, sagte er, »du strebtest von jeher obenhinaus: keine Dachstube war dir zu hoch, du hattest schon damals immer die besten Aussichten.« – Dryander, hofmännisch überhörend, wandte sich, ohne darauf zu antworten, zu Otto, ihn seiner besonderen Teilnahme an seinem schönen Talent versichernd, doch müsse er ihm als Freund raten, seinen Umgang sorgfältiger zu wählen. – »Eben darum«, unterbrach ihn Lothario, »hat dieser junge Mann einen festen Entschluß gefaßt. Du hast gestern dein Gehalt bezogen und brauchst es nicht; wir wollten daher gehorsamst bitten, ob du vielleicht die Güte haben möchtest, ihm unter die Arme zu greifen – ein kleines Darlehn – auf kurze Frist – er will nach Italien.« – »Nach Italien?« rief Dryander aus, »in das göttliche Land « »Ja, wo, nach Goethe, die Zitronen blühn«, fiel Lothario ein. – »Meine Verbindungen hier bei Hofe, ich kann Ihnen vielleicht nützlich sein«, fuhr Dryander fort, »auch kenne ich mehrere Personen von Rang in Rom, Neapel, mein Freund der Duca -« »Degli Lazzaroni«, meinte Lothario, »eine alte Familie, ich glaube, ihr seid verwandt.« – Otto stand hochrot und entrüstet auf. – »Ich bedaure nur«, sagte Dryander, gleichfalls aufbrechend, »daß in diesem Augenblick dringende Amtsgeschäfte – es wird mir aber sehr erfreulich sein, Sie vor meiner Abreise -« »Allerliebster Hofrat!« rief hier plötzlich Lothario, seine Hand fassend: »jetzt tanz noch ein Menuett mit mir.« – Dryander maß ihn mit verächtlichen Blicken. – »Oder soll ich dich morgen vor dem ganzen Hofe auffordern? Du kennst ja meine Kuchenreuter«, sagte Lothario. – Der Hofrat wollte hastig klingeln. – »Tanz« – wiederholte Lothario warnend. Da stellte sich Dryander mit teuflischem Lächeln in Positur, Lothario sang vergnügt die Menuett à la Vigano, so führten sie auf dem bunten Teppich graziös mehrere Touren aus, und es war wunderlich anzusehen, wie Dryander seinen Gegner mit den Augen erstechen wollte, sooft sie feierlich aneinander vorüberschwebten. Dann geleitete ihn Lothario an den Fingerspitzen bis zum Sofa, machte eine tiefe Verbeugung und entfernte sich mit dem verlegenen Otto, der gar nicht wußte, wie ihm geschehen.

»Das war eine gesunde Motion « sagte Lothario lachend – als sie draußen waren – »aber Mensch, sehen Sie nicht so trübe aus! Schreiben Sie noch heut nach Hohenstein um Geld, treu, klar und aufrichtig; Sie kriegen des Plunders genug; wer ehrlich will, was er soll, der kann auch, was er will!« – Mit diesen Worten wandte er sich wieder in den Garten. Otto stand noch lange zweiflend still, dann aber eilte er auf sein einsames Stübchen, um sogleich den guten Rat zu befolgen. – Als er oben am offenen Fenster saß, tanzte schon das Abendgold durch das Weinlaub so lustig über das reine Blatt vor ihm. Er stand oft im Schreiben auf und lehnte sich zum Fenster hinaus. Die Abendsonne beschien draußen die herbstliche Gegend, die Wandervögel zogen über das Haus fort, seine ganze Seele war voll fröhlicher Verheißung und zog mit ihnen in die schöne, wunderbare Ferne hinaus.

Währenddes kehrte unten der Fürst mit mehreren Begleitern von einem Ausfluge heim. Sie ritten zwischen den einsamen Felsenwänden den kühlen Strom entlang, die Wälder glühten im buntfarbigen Herbstschmuck. Da erblickten sie hoch über sich auf einem überhangenden Felsen die Gräfin Juanna, unter wilden Waldblumen nach dem Strome hinabgebeugt, daß die dunklen Locken Stirn und Wangen bedeckten. – »Lurelei!« – sagte der Fürst wie in Gedanken zu seinen Begleitern, die geblendet hinaufschauten.

Aber er selber war schon in ihrem Bann, und als sie am Schlosse angekommen, hatte er sich unbemerkt entfernt und stieg allein hastig und verwirrt durch die schöne Einsamkeit hinauf. Er kannte von seinen Jagden den wenig betretenen Fußsteig zur Höh‘, Juanna fuhr erschrocken auf, als er soeben plötzlich durch das Gebüsch brach und neben ihr auf die Knie sank, ihre Hand mit glühenden Küssen bedeckend. Sie schwieg und sah ihn lange durchdringend an. »Still, still« – sagte sie dann, »hier kann man uns vom Schloß aus sehen.« – Hiermit ergriff sie seine Hand und führte ihn rasch durch die Hecken, über schmale Felsrücken an jähen Abgründen vorbei. Durch seine Seele gingen wechselnd Furcht und Hoffnung, wie die Schatten im Walde. »Wo wandern wir hin?« fragte er endlich betroffen, denn die grünen Plätze kamen ihm so bekannt vor, das Abendrot spielte, wie die alte schöne Zeit, darüber. So traten sie auf einmal zwischen den Bäumen heraus und erblickten unter einzelnen Tannen ein kleines Haus mit einem stillen, zierlichen Gärtchen davor. – Der Fürst drängte erschrocken weiter. »Hier wollen wir ausruhen«, sagte Juanna, ihn festhaltend. Er schaute nun unverwandt hinüber, wie in einem Traum. Eine alte, blinde Frau saß in der Abendsonne vor der Tür, ein schönes, bleiches Mädchen ging singend vor ihr im Garten auf und nieder. Da erblickte sie auf einmal den Fürsten und floh wie ein erschrecktes Kind zu der Mutter und setzte sich zu ihren Füßen ins Gras. – »Was hast du denn?« fragte die Blinde. Das Mädchen sagte: es gehe ein Engel im Abendscheine durch den Wald, ein anderer stehe neben ihm, der werfe einen langen Schatten weit über den Wald und die Täler, »ach es dunkelt schon, und er kommt noch immer nicht wieder!« – Sie drückte ihr Gesicht in den Schoß der Mutter und weinte bitterlich.

Der Fürst wandte sich ab. Es war das Jägermädchen, das er so oft in früheren Jahren heimlich besucht. Ihr Herz war gebrochen, da sie in ihrem Liebsten den Fürsten erkannt, nun war sie lange wahnsinnig, er hatte sie fast vergessen. – Die Abendglut blickte noch einmal durch den Wald herauf, daß die Gegend plötzlich ganz fremd und wie verwandelt erschien. Juannas Augen funkelten beinahe tödlich, er hielt sie nicht länger aus und floh tief erschüttert von dem entsetzlichen Ort.

Sie aber war unterdes in das Gärtchen getreten und sprach trostreich zu der Blinden und ihrem armen Kind und warf ihr, ehe sie weiterging, einige Goldstücke in den Schoß. Da betete die Alte still vor sich, denn nun glaubte sie’s selbst auch, daß in der Abendstille ein Engel an ihrem Hause vorübergegangen. – Währenddes stieg der Maler Albert, bis an die Zähne bewaffnet, still und ernst den Waldberg hinan. Er hatte vorhin die Gräfin auf dem Felsen, dann den Fürsten heimlich hinaufschleichen gesehen und in seiner Tugendhaftigkeit sogleich beschlossen, mit Gut und Blut die Unschuld zu beschützen. Die Nacht war schon hereingebrochen, die ganze Gegend stand wie in Gedanken im Mondglanz umher, und als Juanna wieder im Schloß an ihrem Fenster stand, hörte sie unter sich den Strom aufrauschen, wie von Ruderschlägen. Es war Lothario, der unten auf einem Nachen vorüberfuhr und sang, sie konnte durch den Nachtwind nur folgende Worte verstehen:

Wetterleuchten fern im Dunkeln,
Wunderbar die Berge stehn,
Nur die Bäche manchmal funkeln,
Die im Grund verworren gehn,
Und ich schaue froh erschrocken
Wie in eines Traumes Pracht
Schüttle nur die dunklen Locken,
Deine Augen sind die Nacht.

Der Nachtwächter unter den Fenstern aber schüttelte den Kopf und sah zu seiner Verwunderung auf dem Felsen drüben eine lange Gestalt, auf ihr Schwert gestützt, die halbe Nacht hindurch gleich einer verlornen Schildwacht stehen.

Zwölftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Es kann ein Mensch lange Zeit in den besten Grundsätzen wie ein Schneemann eingefroren sitzen, aber die lustigen Frühlingsbäche unterwaschen schon heimlich plaudernd und neckend den Sitz unter ihm – ein Laut, der leise Flug eines Vogels: und er stürzt kopfüber und verschüttet alle guten Vorsätze wieder. – So erging es Dryandern.

Es war ein schöner, stiller Abend, da ging die Fürstin allein in einem entlegenen Teile des Gartens spazieren, sie schien unruhig, oft blieb sie stehen und hörte zu, wie die Schauspieler unten sangen. Aber die kluge Kordelchen hatte sie schon aus der Ferne bemerkt, Lothario fehlte heut wider seine Gewohnheit bei dem Gesange – sie hatte ihre eigenen Gedanken. So begegnete sie Dryandern am Eingange des Parks, da flog ihr plötzlich ein Anschlag durch den Kopf. »Endlich finde ich Sie!« flüsterte sie ihm geheimnisvoll zu, »die Fürstin dort, sie erwartet Sie. Aber still« sagte sie, den Finger auf den Mund legend, und verschlüpfte schnell wieder zwischen den Bäumen. – Eitelkeit macht dumm. Der überraschte Dryander überblätterte geschwind das Glücksbuch seiner hiesigen Anstellung, jedes Blatt rauschte ihm plötzlich wie die Schleppe der Fürstin, nun verstand er erst alles, ja, er überredete sich in allem Ernste, selber längst in die Fürstin sterblich verliebt zu sein. So, im Garten fortrennend, umspann er sich immer hitziger mit dem tollsten Roman, und als nun die schlanke Gestalt in einem dunklen Bogengange auf einmal vor ihm stand, überschüttete er sie atemlos, ohne Eingang und Vorbereitung, verworren mit der glühendsten Liebeserklärung. Die Fürstin, da er so auf sie losstürmte, stand erst verwundert, dann lächelte sie fein und still, es fiel ihr nicht ein, daß er sich einbilden könnte, sie meine ihn. – »Tasso!« scherzhaft warnend, »wir sind hier nicht in Belriguardo.« – Indem sie aber den Handschuh ausziehen wollte, um ihm ihre weiße Hand zum Kuß zu reichen, fiel ein Mondstrahl durch das Laub auf Stirn und Mund. Da kam sie Dryandern schon eigentlich etwas alt vor, sie gefiel ihm auf einmal gar nicht, und seine Gedanken schlugen ihm unwillkürlich um, wie Milch beim Wetterleuchten. »O Gott, Fürstin!« rief er aus, »die Nacht ist eine wilde, phantastische Blume, berauschenden Duft verstreuend, schöne gefallene Engel wiegen sich auf den Blättern und singen im Traume von den Sternen, wo sie sonst gewohnt, und zwischen den träumenden Kaiserkronen und Blütenglocken flüsternd, ringelt die alte Schlange sich leise empor, und von ihrem Krönlein lösen sich grüngoldene Funken und schwärmen durch das Blütengeflecht, und in ihrem streifenden Widerscheine sehen die Gesichter leichenblaß, wie Sie jetzt, Fürstin, im Mondlicht.« – So redete er sich nach und nach in die Tugend und tragisches Wesen hinein, sprach entsetzlich von der Sünde, immer begeisterter, wilder und herzzerschneidend. Die Fürstin überlief es heimlich eiskalt dabei. Aber sie bezwang sich und unterbrach ihn lachend: »Der Duft der Nachtblume ist Ihnen zu Kopfe gestiegen, gehen Sie nach Hause und nehmen Sie ein Fußbad.« – Dann wandte sie sich stolz nach dem Schlosse.

Dryander stand wie vom Donner gerührt. Jetzt wollte er ihr nach, sie festhalten, rannte aber in der Verwirrung mit der Stirn an einen Baum, daß er den Hut verlor. Er schimpfte sich selbst einen gefallenen Engel, der gotteslästerlich die Unschuld an die Wand male, die ihn verführt. So eilte er wie besessen quer durch den Wald, in der Ferne verklang eben noch die letzte Abendglocke, die Mädchen im Dorfe unten sangen vor den Haustüren. Und als er am Ende des Parks plötzlich heraustrat, erblickte er vor der letzten Hütte des Dorfs beim hellsten Mondschein eine schöne Jungfrau, die er noch niemals gesehen, in reichem Gewand unter einer Linde sitzend. Sie hatte ein blondgelocktes Kind auf dem Schoß, ein anderes stand auf ihr Knie gestützt und sah an ihr empor, alle von einem weiten Schleier umgeben, durch den die Sterne flimmerten, als wären sie dreingewirkt. Da war’s ihm, als hätte der Himmel sich barmherzig auf diesen Hügel herabgeneigt, todmüde, außer sich, warf er sich zu ihren Füßen auf den Rasen hin, vor den unschuldigen Augen. »O heilige Jungfrau, bitte für mich!« redete er sie aus tiefstem Grund der Seele an, »beschütze mich vor der wilden Jagd – ich selber Hund und Wild – erlöse mich von der inneren Lüge!« – Sie sah ihn ernsthaft an, sie konnte vor den Kindern nicht aufstehen. – Er aber achtete nicht darauf; wie ein Kranker, der einen seligen Traum hat, sprach er immerfort zu ihr und bot ihr endlich gerührt seine Hand an. Er wolle sie mit den Kindern auf einen Esel setzen, so wollten sie ziehen durchs einsame Gebirg die Klippen hinab in der schattigen Kühle, alles hinter sich lassen und vergessen, fort nach der blauen Ferne, bis in das stille Himmelreich. – »Was sind das für Bälger?« unterbrach er sich hier plötzlich selbst, das Kind hastig abwehrend, das mit den schmutzigen Händen zu ihm wollte. – »Ich brachte ihnen Speise und Medizin«, erwiderte das Fräulein, »ihre Muter liegt drin krank – « »Krank?!« rief Dryander schnell aufspringend und bedenklich nach der Hütte blickend, denn er hatte eine abergläubische Furcht vor Ansteckung. Ein Bedienter mit einem Handkörbchen war unterdes aus dem Hause dazugetreten, das Fräulein erhob sich, wie erlöst, von dem Rasen, und entfernte sich rasch, noch öfters furchtsam zurückblickend. – In dem Gebüsch daneben aber hörte er ein feines Lachen, er glaubte ein Frauenkleid durch die Zweige schimmern zu sehen.

Es war Kordelchen, die ihm heimlich gefolgt. Aber es bekam ihr schlimm. Denn sie hatte sich kaum in ihrem Versteck zurechtgesetzt, da stürzte Dryander, wie ein Rasender, schreiend und tobend daher und fuhr mit dem Kopf gerade in ihre Röcke. Sie sprang erschrocken auf – eine Fledermaus, da er seinen Hut im Walde gelassen, war ihm unversehens in die Haare geflogen und blickte, dort festgenestelt, mit stieren Augen vom Kopfe des Dichters. Dieser schrie, Kordelchen schimpfte, keines mochte anfassen darüber fuhren Köpfe, Mägde und Kinder aus allen Fenstern und Türen, die Hunde im Dorfe schlugen an, Dryander nahm ganz verblüfft Reißaus, der Nachtwächter, der eben blasen wollte, mit langen Schritten ihm nach – so kam er atemlos nach Hause, wo er, endlich von dem gespenstischen Untier befreit, sogleich zu Bett ging und sich fest einbildete, todkrank zu sein.

Feine Lebensart ist wie ein guter Firnis, den die gemeine Luft nicht angreift; so war auch die Fürstin seit jenem Abend ganz unverändert; sie erwähnte des Vorfalls mit keinem Wort, sie mochte wohl ihre Gründe dazu haben. Dryander, da es ihn nicht mehr interessierte, hatte längst alles wieder vergessen, bis auf die schöne mildtätige Jungfrau vor der Hütte. Diese aber war niemand anders als Fräulein Trudchen von dem wüsten Schlosse des Barons. Die leichte, heitere Art der vornehmen Gäste bei dem fürstlichen Besuche hatte sie ganz verblendet; wie nach Sonnenuntergang flimmerte es noch lange in ihrer Einsamkeit nach, und sie hörte nicht auf zu bitten und zu schmollen, bis der Vater sie endlich auf mehrere Wochen zu dem fürstlichen Forstmeister, ihrem Verwandten hinüberschickte, um sich zu bilden. – Dryander besuchte nun regelmäßig jeden Abend den Forstmeister, disputierte mit den dort häufig versammelten Gutsbesitzern, trank viel und verfolgte das Fräulein mit wahrhaft poetischer Wut. Er schleppte ihr unermüdlich Bücher zu: Goethe, Shakespeare, Calderon, Cervantes, sie mußte geschwind lesen, ihre Unwissenheit reizte ihn nur immer mehr. Es war ihr alles so neu, im Hause hatten alle großen Respekt vor seiner Gelehrsamkeit, er umstrickte sie ganz mit seinem leidenschaftlichen Wesen. – Die Schauspieler hatten insgeheim ihre große Freude daran, und eines Abends kamen die Schalksnarren Ruprecht, Kordelchen, Fabitz, eins nach dem andern, feierlich zu ihm, der eine brachte ein Gedicht, der andere einen dicken Blumenstrauß, und gratulierten zu seiner morgigen Vermählung mit dem Fräulein. Er stutzte und lief sogleich noch zum Forstmeister hinüber. – Es war schon spät, er fand einen seltsamen Rumor im Hause, Spiegel und Kronleuchter wurden geputzt, Gäste vom Lande waren angekommen, andere wurden noch erwartet. Im Garten aber sah er unter den Pflaumenbäumen ein trübes Feuer glühen, vor dem sich dunkle Gestalten seltsam hin und herbewegten. Er eilte hin und fand sein Trudchen, eine Schürze vorgebunden und die Ärmel aufgestreift, in voller Arbeit vor dem Backofen, in welchen soeben Kuchen geschoben wurden. Neugierig und diensteifrig wollte er ihr helfen, um etwas Näheres zu erfahren. Aber sie hatte nicht viel Zeit, er war ihr überall im Wege, sie streifte ein paarmal dicht an ihn an, daß er auf der einen Seite ganz weiß von Mehl wurde. »Nun, nun«, sagte sie, da er sich eifrig abstäubte, »es ist ja nicht Ihr Hochzeitsfrack.« – »Wahrhaftig«, rief er, »wo soll ich bis morgen einen bessern hernehmen?« – »Kommen Sie nur in dem«, erwiderte sie, »und bringen Sie ein hübsches Gedicht mit.« – Er wollte sie, da die Mädchen eben in den Ofen sahen, schnell haschen und küssen. Aber sie hatte gerade den Kochlöffel in einen Topf voll Pflaumenmus getunkt und fuhr ihm fix damit über den Mund. »Morgen!« sagte sie lachend und lief nach dem Hause. Er sah ihr nach – es war ihm, als führe sie unter den Bäumen wie eine kleine Hexe auf dem Kochlöffel davon.

Am folgenden Morgen war er schon frühzeitig auf dem Platz, in Schuh und Strümpfen, einen Klapphut unter dem Arm. In des Forstmeisters Hause schien noch alles zu schlafen; er trat unbemerkt in den stillen Gartensaal. Dort war eine lange Tafel schon festlich gedeckt, buntes Naschwerk schimmerte zwischen den künstlich gefalteten Servietten, in der Mitte ein prächtiger, altmodischer Aufsatz mit Pomeranzenbäumchen von Wachs und porzellanenen Götterfiguren, die sich in dem Spiegelboden wie in einem Weiher verdoppelten. Er schritt neugierig auf und nieder und kostete alle Teller durch. Dann ging er in den Garten, um in der Geschwindigkeit noch die Rede zu memorieren, die er an der Hochzeitstafel halten wollte. Da sangen aber die Vögel so spöttisch und die schlanken Pappeln im Morgenwind verneigten sich vor ihm, als wollte ihm alles gratulieren. Von einem umwachsenen Hügel konnte er gerade ins Haus seiner Liebsten sehen. Dort war es unterdes auch schon lebendig geworden, er sah, wie sich Vettern und Basen im festlichen Staate versammelten, immer neue Gestalten erschienen an den Fenstern, ein galantes Wirren, Scharren und Knicksen flimmernd durcheinander, draußen wurden Pasteten und ein hoher Baumkuchen ins Haus getragen, vom Jubel der Dorfjugend begleitet, die eben zur Schule ging. Er hatte sich das alles noch niemals so recht voraus überlegt, jetzt aber befiel ihn, allmählich wachsend, eine unwiderstehliche Angst vor dem Heiraten, und als er eben in eine Allee hineinbiegen wollte, erblickte er am anderen Ende gar zwei alte Damen, die in taftenen Kleidern feierlich auf ihn dahergerauscht kamen. Da wandte er sich schnell und entfloh in langen Sätzen unaufhaltsam durch den Garten, am Dorfe vorüber in die Berge hinein, es war ihm, als verfolge ihn Gott Hymen und klopfte seine Fackel an seinem Kopfe aus, daß ihm die Funken knisternd um die Augen sprühten.

In dem Hause ging es unterdes schon hoch her, es war des Forstmeisters Geburtstag, kein Mensch dachte an Hochzeit. Trudchen trat oft ans Fenster und ging immer wieder ganz böse fort, daß Dryander noch nicht kam. Auch der Baron, der sich wie gewöhnlich zu dem Feste mit eingefunden, war begierig, ihn zu sehen, denn der Forstmeister hatte ihm schon von seiner Liebschaft, seiner einträglichen Stelle und seinen bedeutenden Verbindungen am Hofe erzählt, und der Baron in seinen verzweifelten Vermögensumständen dachte sogleich daran, seine Tochter unter die Haube und sich unter Dach zu bringen, ehe sein eignes ihm über dem Kopf zusammenstürzte. Aber vergeblich war mehreremal nach Dryanders Wohnung geschickt worden, man hatte sich endlich zu Tisch gesetzt, die Unterhaltung wurde immer lauter, in dem Lärm flogen schon Bonbons und bedeutende Blicke zwischen den jungen Leuten hin und her, vom Knall der Champagenerflaschen salutiert, als sich auf einmal durch die Diener vom Schlosse her das Gerücht verbreitete, der Hofrat sei entsprungen und fern im Walde in vollem Staat gesehen worden. Niemand wußte sich’s zu erklären, denn die Schauspieler, die einen solchen Ausgang nicht erwartet hatten, hüteten sich wohl zu verraten, was sie Dryandern eingeredet. – Trudchen aber stand plötzlich auf und ging hochrot hinaus. Da wurde die Sache erst recht auffallend, alle Blicke waren auf die Fortgehende gerichtet, die Mädchen zischelten einander heimlich in die Ohren, der Baron eilte ihr nach, denn es sollte noch getanzt werden. Aber das Fräulein war wie ausgewechselt, schmollend und trotzig, und wollte durchaus nicht mehr zur Gesellschaft zurück. Sie wisse es am besten, sagte sie, die Alltäglichkeit dieser prosaischen Menschen habe den Hofrat vertrieben, sie frage gar nicht mehr nach den unwissenden Leuten, sie kenne nun eine ganz andere Welt! – Der Baron aber schalt sie eine verdrehte Närrin. Dann ließ er voller Zorn mitten in der allgemeinen Verwirrung anspannen, schob sie in den Wagen und verschwor sich: der Kerl, der Hofrat solle sie nehmen, oder er jage ihm eine Kugel durch den Kopf!

Keinem war der Vorfall fataler als Lotharion, denn der Doktor war ihm lange wie ein Blitzableiter, in den sein Witz und Ärger lustig einzuschlagen pflegte. Er ging soeben, die seltsame Flucht besprechend, mit Fortunaten durch den Garten, als ihnen plötzlich Otto mit leuchtenden Augen entgegenkam. »Gute Nachtrichten aus Hohenstein!« rief er schon von weitem, einen Brief emporhalten. Er hatte, über alle Erwartung, nicht nur die Zustimmung des Amtmanns in seine Pläne, sondern auch eine bedeutende Summe erhalten, die mehr als zureichend schien, die Reise durch Italien behaglich zu vollenden. Auch ein Brief von Walter an Fortunat war beigeschlossen, den dieser mit großer Freude sogleich erbrach.

»Unser Otto«, schrieb der wackere Freund, »hat uns von Eurem seltsamen Zusammentreffen und dem poetischen Leben an dem Hoflager des Fürsten ausführlichen Bericht erstattet. Er schreibt überaus lebendig, und es ist uns allen, als wären wir in den Palästen und grünen Gängen mitten unter Euch und sähen und hörten jeden nach seiner Weise sich bewegen und sprechen, diesen Lothario, Kordelchen und Dich selbst nicht ausgenommen. Da sitzen wir dann in Hohenstein, wenn im Feld und Haus alles besorgt ist, jeden Abend wieder unter den Linden vor der Haustür zusammen, und ich muß den Brief immer wieder von Anfang bis zu Ende laut und deutlich vorlesen, bis der Mond über uns aufgeht. So bist Du auch in der Ferne bei uns, wie denn überhaupt eine stille, mondhelle Nacht schon an sich etwas Traumhaftes hat und entfernte, geliebte Gegenden und Personen der Seele wunderbar näherbringt.

Wie glücklich seid Ihr Dichter! Euerem zaubersichen Sinne erschließt sich überall, wo Ihr wandelt, wie dem Geliebten, willig und vertraulich die verborgene Schönheit der Welt, mit jedem Schritt erweitern sich die Kreise, das Entfernte, Dunkele rückt verständlich in freundliche Nähe und neue Fernen heben sich wieder wunderbar immer weiter und schöner. Was ist Dir nicht alles wieder begegnet, seit wir uns trennten! – Mit mir geht es gerade umgekehrt. Je weiter ich komme, je enger wird der Kreis, und die Fernen, die mich in der Jugend entzückten, verbleichen und versinken mir allmählich. – Doch ich denke, das muß wohl so sein. Ruhiger, als Du Dir vielleicht einbilden magst, habe ich endlich meine Stellung in der Welt erkannt und von den vornehmen Täuschungen Abschied genommen. Ich lerne mich bescheiden und beschränken, und mir ist wohl. Euere Aufgabe ist unübersehbar, verwickelt und selten recht in Eurer eigenen Gewalt. Mein Beruf dagegen ist einfach und mir jederzeit klar, und, glaube nur, es ist auch was wert, mit sich selber im reinen zu sein.

Kann ich nun nicht selbst, wie ich früher wohl träumte, mit hinaus in das schöne Land der Poesie, so will ich wenigstens den Dichtern redlich helfen, wie und wo ich’s vermag. So ist es mir denn auch endlich gelungen, den Otto mit seinen Pflegeeltern zu versöhnen, denn ich meine, es stand da ein bedeutendes Talent auf dem Spiele. Glaube aber nur nicht etwa, daß das so schwer hielt. Ein rechter, fester Wille tut überall Wunder. Ottos plötzlicher Entschluß die Heimat zu verlassen, hat die bisherige Ansicht der Sache, ich möchte sagen, auf den Kopf gestellt und der Einbildungskraft der Hohensteiner eine ganz neue Richtung gegeben. Dem Amtmann gefällt Ottos Mut, um so mehr, je weniger er ihn dem sanften Stillen zugetraut hatte. Die gute Mutter aber freut sich nun heimlich darauf, Ottos Namen gedruckt oder gar sein Bild vor einem Buche zu sehen.

Du wirst Dich wahrscheinlich über das viele Geld wundern, das wir schicken. Aber es kommt nicht von uns. Otto hat hohe Gönner – mehr darf ich für jetzt davon nicht verraten.

Das ist jetzt eine glückliche Zeit. Kaum war diese Angelegenheit wegen Otto nach Wunsch beseitigt, so erhielt ich aus der Stadt die Nachricht, daß mir das einträgliche Amt eines Gerichtsverwalters hier in Hohenstein, das ich so lange zwischen Hoffnung und Zweifeln ersehnt, zuteil geworden. Nun steht unserer Verheiratung nichts mehr im Wege. – Soeben guckt mir Florentine über die Schulter ins Blatt und hält mir schnell mit der Hand den Mund zu, damit ich nicht alles ausplaudern soll. Da ich aber unterdes fortfuhr zu schreiben, so läuft sie nun gar fort und läßt Dich nicht einmal grüßen. – Ich schreibe im Garten auf demselben Platze mit der großen Aussicht, wo Du alle Morgen zu lesen oder zu dichten pflegtest. Aber die Felder unten sind schon leer, auf den Beeten neben mir prangen nur noch die Astern, und die Blätter auf den Bäumen färben sich und fallen. Das ängstigte mich sonst immer, diesmal ist mir gar wunderlich zumute dabei, denn im Hause durch die offenen Fenster sehe ich die Mutter emsig Federn schütten zu den Brautbetten, der Tischler hat seine muntere Werkstatt vor der Haustür aufgeschlagen und schnitzt die Doppelfenster für unsere künftige Wohnung, und ich richte mich mit innigem Behagen in Gedanken für den Winter ein – da mögen draußen Sturm und Schnee an die Fenster schlagen! Doch dieses Gefühl verstehst Du wohl nicht? – Nun, Gott sei mit Dir, lieber Bruder, und führe Dich auf Deinen weiten Wegen zu solchem Glück und solcher Herzensfreude, als ich auf dem nächsten hier gefunden habe.«

Fortunat legte den Brief mit ganz eigenen Empfindungen zusammen, es war ihm, als stände er tief im stillen Abendrot. Vor ihm aber stand Otto mit Lotharion an dem Abhang und schaute trunken in die Ferne, in die er nun bald hinausziehen sollte.

Dreizehntes Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Und wo noch kein Wandrer gegangen,
Hoch über Jäger und Roß,
Die Felsen im Abendrot hangen
Als wie ein Wolkenschloß.
Dort zwischen den Zinnen und Spitzen,
Von wilden Nelken umblüht,
Die schönen Waldfrau sitzen
Und singen im Wind ihr Lied.
Der Jäger schaut nach dem Schlosse:
Die droben, das ist mein Lieb!
Er sprang vom scheuenden Rosse,
Weiß keiner, wo er blieb.

So sang Lothario auf einer Waldhöh‘ auf seine Büchse gestützt. Fortunat trat zu ihm herauf, da sahen sie jenseits den Wald schon von Jägern und Reitern blitzen, der Fürst hatte zum Valet noch eine große Jagd veranstaltet, bevor alles vor dem Winter wieder in die Stadt flüchte.

»Hast du die Braut nicht gesehen?« fragte Lothario unruhig umherspähend. – »Du meinst die Gräfin Juanna, so hörtest du auch davon?« erwiderte Fortunat, »sie halten’s so geheim vor mir, und alle Jäger wissen’s. Erst diesen Morgen hört‘ ich, daß der Bräutigam, ein Baron Manfred, noch heut zur Jagd erwartet wird.« – »Das ist ein prächtiges Wetter zum Heiraten«, sagte Lothario, »der Altweibersommer fliegt, als hätten sich alle alte Jungfern das Haupthaar ausgerauft und in die Lüfte umhergestreut, da bleibt mancher Ritter noch mit den Sporen drin hängen. Gebt acht, es gibt eine köstliche Verwickelung!« – Hiermit schüttelte er Fortunaten heftig die Hand und ging schnell ins Tal hinunter.

Fortunat sah ihm verwundert nach, dann folgte er der Jagd, die jetzt immer lustiger durch die Berge ging. So verlor er sich bald in das Labyrinth der Wälder und kam zuletzt in eine grüne Schluft, über deren Felsenwände von allen Seiten Efeu verwildert hinabstieg. Auf einmal brach ein Hirsch durch das Dickicht, eine Meute Hunde an seinen Fersen und hinter ihnen Juanna. Das edle Tier bei seinem Anblick stutzte schnaubend und stürzte sich seitwärts in den Abgrund, Hunde und Reiterin konnten ihm dorthin nicht folgen. Da hielt Juanna plötzlich über Fortunaten in der wilden Einsamkeit, die Hunde streckten sich lechzend zu ihren Füßen. »Seht, der ist frei« – sagte sie, die schwarzen Locken aus dem erhitzten Gesicht schüttelnd – »und eher fangt Ihr mit verliebten Blicken einen Hirsch im Walde als mich! Was wollt Ihr von mir? Laßt das Werben um mich, mir ist wohl in meiner Freiheit. Was auch die Fürstin für Anschläge hat, ich werde nie die Eurige und keines Mannes Weib – hütet Euch, es wäre unser beider Tod!« – Hierauf wandte sie ihr Roß, die alten Bäume schüttelten sich und streuten ihre gelben Blätter wie einen Goldregen über die schöne Gestalt. Fortunat stand ganz verwirrt, ihm war, als sprächen ringsum die Quellen irre den Wald entlang, Unerhörteres konnte ihm nicht begegnen, als daß er nun am Ende selbst der Bräutigam sein sollte! – Unterdes hatte sich Juanna wieder höher in das Gebirge gewendet, ein plötzlicher Anschlag schien ihre ganze Seele zu bewegen. Sie kannte den Waldweg nach einem Nonnenkloster, das jenseits des Gebirges lag und dessen Äbtissin ihr verwandt war. Dort wollte sie noch heute hin und abwarten, bis der Winter Gebirge, Freier und Verliebte verschüttet. Aber mitten in diesen Gedanken erblickte sie auf einmal eine Gemse über sich, die sich hoch über den Wipfeln von Klippe zu Klippe schwang. Das war ihr ganz neu, sie konnte der gefährlichen Lust nicht widerstehen. Ein alter Jäger, der sich bis in diese Öde verstiegen hatte, arbeitete sich eben durch das Gesträuch, sie übergab ihm ihr Pferd, er sollte es hüten, bis sie wiederkäme, und eh‘ er sie noch warnen konnte, war sie schon zwischen den Felsen verschwunden.

Nun kletterte sie wie ein schlanker Panther über die Klippen, das scheue Wild verlockte sie immer höher hinauf, die Lust wuchs mit der Gefahr, sie hatte sich lange nicht so wohl gefühlt und erstaunte, da sie plötzlich eine Felsenwand über sich wie in Feuer erblickte, es war der Widerschein der Abendsonne, die soeben jenseits hinter den schwarzen Wäldern versank. Mit der einen Hand sich an einen Strauch haltend, sah sie über den Felsrand hinab: die Täler unten dunkelten schon, aus weiter Ferne hörte sie noch eine Abendglocke heraufschallen, sie meinte, es komme von dem Kloster herüber. Eilig schlug sie nun die Richtung ein, aber sie konnte sich in dem wilden Gewirre nicht zurechtfinden, wohin sie sich wandte, taten sich neue Abgründe auf; so stand sie in der entsetzlichen Einsamkeit wie einer, der nachts zwischen den Zacken und Steinbildern eines unbekannten Münsters vergessen worden. In dieser Not verfiel sie darauf, ihr Gewehr zum Signal abzuschießen. Zu ihrer Freude gab sogleich ein Schuß ganz nahe Antwort. Bald darauf hörte sie Fußtritte auf dem lockeren Gerölle, eine hohe, schlanke Gestalt trat plötzlich zwischen den Steinen hervor – es war Lothario. »Das ist ein gefährliches Revier«, sagte er, »und die Nacht bricht schon herein, doch ich bin hier der Pfade kundig und meiner Richtung gewiß.« – Die Gräfin aber hatte bei seinem Anblick ein seltsamer Eigensinn ergriffen, gerade ihm dachte sie hier am wenigsten zu begegnen, und eh‘ er’s verhindern konnte, schwand sie, ihn abwehrend, sich auf einen einzelnen, senkrecht über die Tiefe hinausragenden Fels, daß ihm in innerster Seele grauste – nur ein Fehltritt und sie glitt in den Abgrund hinunter. – Da hatte Lothario mit sicherem Blick seinen Vorteil abgesehen. In raschem Entschluß umfaßte er sie plötzlich und schwang die Sträubende auf seinem Arm. Erschrocken, überrascht, wußte sie nicht, wie ihr geschehe, und sah ihm verwundert und zornig in die Augen. Er aber trug sie grauenhaft an jähen Schlünden vorüber durch die Dämmerung von Klippe zu Klippe hinab, daß sie, vor Entsetzen mit dem einem Arm seinen Nacken umklammernd, ihn rings mit ihren aufgeringelten Locken umgab. So schwiegen sie beide lange Zeit.

Jetzt ging der Mond prächtig über den Wäldern auf. Lothario schaute in die wunderbare Einsamkeit und sagte halb für sich: »So hab‘ ich’s manchmal im Traume gesehen.« – Juanna aber blickte spähend umher, die Gegend war ihr ganz fremd, einzelne Wolkenschatten flogen darüber, tiefer schimmerten die Gründe fast heimatlich herauf, wie die Täler in Spanien, sie gedachte der schönen Sommernächte unter den Guerillas. – Auf einmal stutzte sie, zwei gesattelte Pferde standen dicht vor ihnen im Walde, und ehe sie sich besinnen und fragen konnte, hob sie Lothario schon auf das eine Roß, schwang sich selbst auf das andere, und über den mondhellen Waldgrund nun ging es rasch fort durch die stille, sternklare Nacht.

Hier blitzte plötzlich eine furchtbare Ahnung durch Juannas Seele, sie konnte kein Wort hervorbringen, dem Unglaublichen finster nachsinnend, während Büsche, Täler und ferne Dörfer geheimnisvoll an ihnen vorüberflogen. Lothario war wie verwandelt. »Juanna!« rief er aus Herzensgrunde zu, »blick um dich, die Erde ist so still und schön wie eine Brautnacht! Frei sollst du wohnen auf hohem Schloß, wo die Rehe an den Abhängen einsam grasen, dort will ich unter deinem offenen Fenster ruhen in den Sommernächten und dich in Traum singen, bis die Sterne verlöschen und die erste Lerche mich ablöst hoch in der stillen Luft. Und fallen die Blätter und die Vögel ziehen fort und dich befällt Heimweh, wenn du vom Schloß über die einsamen Wälder siehst: ich führe dich weit über die Berge fort, du arme Fremde! Auf dem Meere wollen wir fahren an glänzenden Küsten vorüber, bis die Laute deiner Muttersprache gleich bunten Wundervögeln herschweifen und deine ernste, schöne Heimat emportaucht, duftige Gärten, Gebirge und maurische Schlösser in den trunkenen Fluten spiegelnd – o Juanna, mir ist’s wie von einem hohen Berg ins Morgenrot zu sehen!«

So sprach er voll Freude, während sie ritten, Juanna war immerfort still, in der Tiefe neben ihnen rauschte ein Strom, sie horchte manchmal hinunter. Auf einmal blinkte das Wasser zwischen den dunklen Bäumen hinauf, da warf sie ihr Roß gewaltsam zur Seite, setzte die Sporen ein und schwang es mit sich in den Fluß hinab. Erschrocken stürzte Lothario nach, er sah sie mit dem weitaufgelösten Haar gleich einer Nixe in klarem Mondlicht über die Flut dahinschweben, sinken und wieder emportauchen. Endlich hatte er sie gefaßt, sie ruhte an seiner Schulter, ihre feuchten Locken verdunkelten ihm Stirn und Augen. So sank er mit seiner Beute erschöpft am jenseitigen Ufer auf den Rasen hin und lauschte in der entsetzlichen Stille kniend über ihr – aber sie atmete nicht mehr, stumm und bleich in strenger Todesschönheit.

Das hatte alles anders gestellt, als die lustigen Jäger sich’s dachten. Fortunat war damals noch vor Abend von der Jagd abgekommen und mehrere Tage allein im Walde umhergeschweift, um recht nach Herzenslust das schöne Gebirge zu durchforschen. Als er zurückkehrte, fand er zu seinem Erstaunen alles leer, das Abendrot schien über Schloß und Garten, aus dem einen Flügel klang eine Spieluhr noch in einzelnen, langgezogenen Tönen herüber. Bei seinen Tritten, die in dem trockenen Laube raschelten, fuhr der alte Schloßwart erschrocken empor, der auf den Marmorstufen vor dem Schlosse eingeschlummert war. Von diesem hörte er nun, die Gräfin Juanna habe sich auf der Jagd in den Klippen verstiegen, so sei sie im Fluß verunglückt, zwei Hirten hätten sie im Mondschein auf dem Strome schwimmen gesehen und mit dem Wassermann ringen. Da wäre der Fürst sogleich am andern Morgen mit seinem ganzen Gefolge nach der Residenz aufgebrochen, auch die Schauspielertruppe sei wieder weitergezogen; von Lothario wußte er nichts. – Fortunaten aber befiel ein tiefes Grauen in der plötzlichen Einsamkeit, er beschloß, noch heut bis in das nächste Städtchen zu reisen und sich dann ohne weiteren Aufenthalt nach Italien zu wenden. – Als er fortritt, dunkelte es schon, fern an den Bergen sah er einen stillen Fackelzug, es war Juannas Leiche, die sie nach der Residenz brachten. So geht oft ein Schauer mahnend durch die Lust der Menschen, damit sie sich erinnern, daß ihnen die schöne Erde nur geliehen sei.

Der Glückliche

Der Glückliche

Ich hab ein Liebchen lieb recht von Herzen,
Hellfrische Augen hats wie zwei Kerzen,
Und wo sie spielend streifen das Feld,
Ach, wie so lustig glänzet die Welt!

Wie in der Waldnacht zwischen den Schlüften
Plötzlich die Täler sonnig sich klüften,
Funkeln die Ströme, rauscht himmelwärts
Blühende Wildnis – so ist mein Herz!

Wie vom Gebirge ins Meer zu schauen,
Wie wenn der Seefalk, hangend im Blauen,
Zuruft der dämmernden Erd, wo sie blieb? –
So unermeßlich ist rechte Lieb!

(Joseph von Eichendorff)

Das Kind ruht aus vom Spielen

Das Kind ruht aus vom Spielen,
Am Fenster rauscht die Nacht,
Die Engel Gottes im Kühlen
Getreulich halten Wacht.

Am Bettlein still sie stehen,
Der Morgen graut noch kaum,
Sie küssen’s, eh sie gehen,
Das Kindlein lacht im Traum.

Rückkehr

Joseph von Eichendorff

Mit meinem Saitenspiele,
Das schön geklungen hat,
Komm ich durch Länder viele
Zurück in diese Stadt.

Ich ziehe durch die Gassen,
So finster ist die Nacht,
Und alles so verlassen,
Hatts anders mir gedacht.

Am Brunnen steh ich lange,
Der rauscht fort, wie vorher,
Kommt mancher wohl gegangen,
Es kennt mich keiner mehr.

Da hört ich geigen, pfeifen,
Die Fenster glänzten weit,
Dazwischen drehn und schleifen
Viel fremde, fröhliche Leut.

Und Herz und Sinne mir brannten,
Mich triebs in die weite Welt,
Es spielten die Musikanten,
Da fiel ich hin im Feld.