Achter Gesang

Achter Gesang

Alkinoos empfiehlt dem versammelten Volke die Heimsendung des Fremdlings und ladet die Fürsten samt den Reisegefährten zum Gastmahl. Kampfspiele. Odysseus wirft die Scheibe. Tanz zu Demodokos‘ Gesang von Ares und Aphrodite. Andere Tänze. Odysseus wird beschenkt. Beim Abendschmaus singt Demodokos von dem hölzernen Roß; den weinenden Fremdling ersucht der König um seine Geschichte.

Als die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte,
Stand die heilige Macht Alkinoos‘ auf von dem Lager.
Auch Odysseus erhub sich, der göttliche Städtebezwinger.
Und die heilige Macht Alkinoos‘ führte den Helden
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Zu der Phäaken Markte, der bei den Schiffen erbaut war.
Allda setzten sie sich auf schöngeglättete Steine
Nebeneinander. Die Stadt durchwandelte Pallas Athene,
Gleich an Gestalt dem Herold des weisen Phäakenbeherrschers;
Auf die Heimkehr denkend des großgesinnten Odysseus,
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Ging sie umher, und sprach zu jedem begegnenden Manne:
Auf, und kommt, der Phäaken erhabene Fürsten und Pfleger,
Zu dem Versammlungsplatz, des Fremdlings Bitte zu hören,
Welcher neulich im Hause des weisen Alkinoos ankam,
Hergestürmt von dem Meer, an Gestalt den Unsterblichen ähnlich.
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Also sprach sie, das Herz in aller Busen erregend.
Und es wimmelten schnell die Gäng‘ und Sitze des Marktes
Von dem versammelten Volk. Da schauten viele bewundernd
Auf Laertes erfindenden Sohn; denn Pallas Athene
Hatte mit göttlicher Hoheit ihm Haupt und Schultern umgossen,
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Hatt‘ ihn höher an Wuchs und jugendlicher gebildet:
Daß bei allen Phäaken Odysseus Liebe gewönne,
Ehrenvoll und hehr, und aus den Spielen der Kämpfer
Siegreich ginge, womit die Phäaken ihn würden versuchen.
Als die Versammelten jetzt in geschlossener Reihe sich drängten,
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Hub Alkinoos an, und redete zu der Versammlung:
Merket auf, der Phäaken erhabene Fürsten und Pfleger,
Daß ich rede, wie mir das Herz im Busen gebietet.
Dieser Fremdling (ich kenn‘ ihn nicht,) ist, irrend vom Morgen
Oder vom Abendlande, zu meinem Hause gekommen,
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Und verlangt nun weiter, und fleht um Bestimmung der Abfahrt.
Laßt uns denn jetzo die Reise beschleunigen, wie wir gewohnt sind.
Denn kein Fremdling, der Schutz in meinen Wohnungen suchet,
Harret lange mit Seufzen, daß man zur Heimat ihn sende.
Auf! wir wollen ein schwärzliches Schiff von den neueren am Strande
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Wälzen ins heilige Meer, und zweiundfünfzig der besten
Jüngling‘ im Volk erlesen, die sich schon vormals gezeiget!
Habt ihr die Ruder gehörig an euren Bänken befestigt,
Dann steigt wieder ans Land, und stärkt euch in unserm Palaste
Schnell mit Speise zur Fahrt; ich will euch allen bereiten.
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Dieses ist mein Befehl an die Jünglinge. Aber ihr andern
Sceptertragenden Fürsten, versammelt euch zu dem Palaste,
Daß wir den Fremdling zuvor in meinem Saale bewirten.
Niemand weigere sich! Ruft auch den göttlichen Sänger,
Unsern Demodokos her; denn ihm gab Gott überschwenglich
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Süßen Gesang, wovon auch sein Herz zu singen ihn antreibt.
Also sprach er, und ging. Die Sceptertragenden alle
Folgten ihm; und der Herold enteilte zum göttlichen Sänger.
Aber die zweiundfünfzig erlesenen Jünglinge gingen,
Nach des Königs Befehl, ans Ufer der wüsten Gewässer.
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Als sie jetzo das Schiff am Strande des Meeres erreichten,
Zogen sie eilig das schwärzliche Schiff ins tiefe Gewässer,
Trugen den Mast hinein und die Segel des schwärzlichen Schiffes,
Hängten darauf die Ruder in ihre ledernen Wirbel,
Alles, wie sich’s gehört, und spannten die schimmernden Segel.
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Und sie stellten das Schiff im hohen Wasser des Hafens,
Gingen dann in die Burg des weisen Phäakenbeherrschers.
Allda wimmelten schon die Säle, die Hallen und Höfe
Von den versammelten Gästen; es kamen Jüngling‘ und Greise.
Aber Alkinoos gab der Schar zwölf Schafe zum Opfer,
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Acht weißzahnichte Schwein‘, und zween schwerwandelnde Stiere.
Diese zogen sie ab, und bereiteten hurtig das Gastmahl.
Jetzo kam auch der Herold, und führte den lieblichen Sänger,
Diesen Vertrauten der Muse, dem Gutes und Böses verliehn ward;
Denn sie nahm ihm die Augen, und gab ihm süße Gesänge.
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Und Pontonoos setzt‘ ihm den silberbeschlagenen Sessel,
Mitten unter den Gästen, an eine ragende Säule;
Hängte darauf an den Nagel die lieblichklingende Harfe
Über des Sängers Haupt, und führt‘ ihm die Hand, sie zu finden.
Vor ihn stellte der Herold den schönen Tisch und den Eßkorb,
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Und den Becher voll Weins, zu trinken, wann ihm beliebte.
Und sie erhoben die Hände zum leckerbereiteten Mahle.
Aber als die Begierde des Tranks und der Speise gestillt war,
Trieb die Muse den Sänger, das Lob der Helden zu singen.
Aus dem Liede, des Ruhm damals den Himmel erreichte,
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Wählt‘ er Odysseus‘ Zank und des Peleiden Achilleus:
Wie sie einst miteinander am festlichen Mahle der Götter
Heftig stritten, und sich der Führer des Heers Agamemnon
Herzlich freute beim Zwiste der tapfersten Helden Achaias.
Denn dies Zeichen war ihm von Phöbos Apollon geweissagt,
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In der heiligen Pytho, da er die steinerne Schwelle
Forschend betrat; denn damals entsprang die Quelle der Trübsal
Für die Achaier und Troer, durch Zeus des Unendlichen Ratschluß.
Dieses sang der berühmte Demodokos. Aber Odysseus
Faßte mit nervichten Händen den großen purpurnen Mantel,
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Zog ihn über das Haupt, und verhüllte sein herrliches Antlitz;
Daß die Phäaken nicht die tränenden Wimper erblickten.
Als den Trauergesang der göttliche Sänger geendigt,
Trocknet‘ er schnell die Tränen, und nahm vom Haupte den Mantel,
Faßte den doppelten Becher, und goß den Göttern des Weines.
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Aber da jener von neuem begann, und die edlen Phäaken
Ihn zum Gesang ermahnten, vergnügt durch die reizenden Lieder;
Hüllt‘ Odysseus wieder sein Haupt in den Mantel, und traurte.
Allen übrigen Gästen verbarg er die stürzende Träne;
Nur Alkinoos sah aufmerksam die Trauer des Fremdlings,
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Welcher neben ihm saß, und hörte die tiefen Seufzer.
Und der König begann zu den ruderliebenden Männern:
Merket auf, der Phäaken erhabene Fürsten und Pfleger.
Schon hat unsere Herzen das gleichverteilete Gastmahl
Und die Harfe gelabt, des festlichen Mahles Gespielin;
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Laßt uns denn jetzt aufstehen, und alle Kämpfe beginnen:
Daß der Fremdling davon bei seinen Freunden erzähle,
Wann er zu Hause kommt, wie wir vor allen geübt sind,
In dem Kampfe der Faust, im Ringen, im Sprung und im Wettlauf.
Also sprach er, und ging; es folgten ihm alle Phäaken.
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Aber der Herold hängt‘ an den Nagel die klingende Harfe,
Faßte Demodokos‘ Hand, und führt‘ ihn aus dem Palaste,
Ging dann vor ihm einher des Weges, welchen die andern
Edlen des Volkes gingen, zu schauen die Spiele der Kämpfer.
Und sie eilten, verfolgt vom großen Getümmel des Volkes,
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Auf den Markt. Da erhuben sich viele der Edlen zum Wettkampf,
Stand Akroneos auf, Okyalos dann, und Elatreus,
Nauteus dann, und Prymneus, Anchialos dann, und Eretmeus,
Anabesineos dann, und Ponteus, Proreus, und Thoon,
Auch Amphialos, Sohn von Tektons Sohn Polyneos,
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Und Euryalos, gleich dem menschenvertilgenden Kriegsgott:
Auch Naubolides kam, an Wuchs und Bildung der schönste
Aller schönen Phäaken; Laodamas einzig war schöner.
Drauf erhuben sich drei von Alkinoos‘ trefflichen Söhnen:
Erst Laodamas, Halios dann, und der Held Klytoneos.
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Diese versuchten zuerst miteinander die Schnelle der Füße.
Ihnen ward von dem Stande das Ziel gemessen, und eilend
Flogen sie alle mit einmal dahin durch die staubende Laufbahn.
Aber alle besiegte der edle Held Klytoneos.
So viel Raum vor den Stieren die pflügenden Mäuler gewinnen,
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So weit eilte der Held vor den übrigen Läufern zum Ziele.
Andre versuchten darauf im mühsamen Ringen die Kräfte,
Und Euryalos ging von allen Siegern ein Sieger.
Aber Amphialos war im Sprunge von allen der beste;
Und die Scheibe zu werfen der beste von allen Elatreus;
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Und im Kampfe der Faust besiegte Laodamas alle.
Als die Kämpfer ihr Herz mit den edlen Spielen erfreuet,
Sprach Alkinoos‘ Sohn Laodamas zu der Versammlung:
Freunde, kommt und fragt den Fremdling, ob er auch ehmals
Kämpfe gelernt und versteht. Unedel ist seine Gestalt nicht,
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Seine Lenden und Schenkel, und beide nervichten Arme,
Und die hohe Brust, und der starke Nacken; auch Jugend
Mangelt ihm nicht! Doch hat ihn vielleicht sein Leiden entkräftet;
Denn nichts Schrecklichers ist mir bekannt, als die Schrecken des Meeres,
Einen Mann zu verwüsten, und wär‘ er auch noch so gewaltig.
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Ihm antwortete drauf Euryalos wieder, und sagte:
Wahrlich mit großem Rechte, Laodamas, hast du geredet.
Gehe nun selbst, und fodre ihn auf, und reiz‘ ihn mit Worten!
Als der treffliche Sohn Alkinoos‘ solches vernommen,
Ging er schnell in die Mitte des Volks, und sprach zu Odysseus:
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Fremder Vater, auch du mußt dich in den Kämpfen versuchen,
Hast du deren gelernt; und sicher verstehst du den Wettkampf.
Denn kein größerer Ruhm verschönt ja das Leben der Menschen,
Als, den ihnen die Stärke der Händ‘ und Schenkel erstrebet.
Auf denn, versuch‘ es einmal, und wirf vom Herzen den Kummer.
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Deine Reise, die wird nicht lange mehr dauern; das Schiff ist
Schon ins Wasser gesenkt, und bereit sind deine Gefährten.
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Warum fodert ihr mich, Laodamas, höhnend zum Wettkampf?
Meine Trübsal liegt mir näher am Herzen, als Kämpfe.
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Denn ich habe schon vieles erduldet, schon vieles erlitten;
Und nun sitz‘ ich hier in eurer Heldenversammlung,
Heimverlangend, und flehe dem König und allen Phäaken.
Und Euryalos gab ihm diese schmähende Antwort:
Nein wahrhaftig! o Fremdling, du scheinst mir kein Mann, der auf Kämpfe
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Sich versteht, so viele bei edlen Männern bekannt sind;
Sondern so einer, der stets vielrudrichte Schiffe befähret,
Etwa ein Führer des Schiffs, das wegen der Handlung umherkreuzt,
Wo du die Ladung besorgst, und jegliche Ware verzeichnest,
Und den erscharrten Gewinst! Ein Kämpfer scheinst du mitnichten!
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Zürnend schaute auf ihn und sprach der weise Odysseus:
Fremdling, du redest nicht fein; du scheinst mir ein trotziger Jüngling.
Wisse, Gott verleiht nicht alle vereinigte Anmut
Allen sterblichen Menschen: Gestalt und Weisheit und Rede.
Denn wie mancher erscheint in unansehnlicher Bildung;
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Aber es krönet Gott die Worte mit Schönheit; und alle
Schaun mit Entzücken auf ihn; er redet sicher und treffend,
Mit anmutiger Scheu; ihn ehrt die ganze Versammlung;
Und durchgeht er die Stadt, wie ein Himmlischer wird er betrachtet.
Mancher andere scheint den Unsterblichen ähnlich an Bildung;
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Aber seinen Worten gebricht die krönende Anmut,
Also prangst auch du mit reizender Bildung; nicht schöner
Bildete selber ein Gott: doch dein Verstand ist nur eitel.
Siehe du hast mir das Herz in meinem Busen empöret,
Weil du nicht billig sprachst! Ich bin kein Neuling im Wettkampf,
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Wie du eben geschwatzt; ich rühmte mich einen der ersten,
Als ich der Jugend noch und meinen Armen vertraute.
Jetzt umringt mich Kummer und Not; denn vieles erduldet
Hab‘ ich in Schlachten des Kriegs, und den schrecklichen Wogen des Meeres.
Aber auch jetzt, so entkräftet ich bin, versuch‘ ich den Wettstreit!
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Denn an der Seele nagt mir die Red‘, und du hast mich gefodert!
Sprach’s; und mitsamt dem Mantel erhub er sich, faßte die Scheibe,
Welche größer und dicker und noch viel schwerer an Wucht war,
Als womit die Phäaken sich untereinander ergötzten.
Diese schwung er im Wirbel, und warf mit der nervichten Rechte;
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Und hinsauste der Stein. Da bückten sich eilig zur Erden
Alle Phäaken, die Führer der langberuderten Schiffe,
Unter dem stürmenden Stein. Weit über die Zeichen der andern
Flog er, geschnellt von der Faust. Und Athene setzte das Merkmal,
Eines Mannes Gestalt nachahmend, und sprach zu Odysseus:
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Selbst ein blinder Mann mit tappenden Händen, o Fremdling,
Fände dein Zeichen heraus; denn nicht vermischt mit der Menge,
Weit vor den übrigen ist es! In diesem Kampfe sei sicher!
Kein Phäake wird dich erreichen, oder besiegen.
Also rief ihm die Göttin. Der herrliche Dulder Odysseus
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Freute sich, einen gewogenen Mann im Volke zu sehen;
Und mit leichterem Herzen begann er zu den Phäaken:
Schleudert jetzo mir nach, ihr Jünglinge! Bald soll die andre,
Hoff‘ ich, eben so weit, vielleicht noch weiter, entfliegen!
Jeden anderen Kampf, wem Herz und Mut ihn gebietet,
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Komm und versuch‘ ihn mit mir; denn ihr habt mich höchlich beleidigt!
Auf die Faust, im Ringen, im Lauf, ich weigre mich keines!
Jeder phäakische Mann, nur nicht Laodamas, komme!
Denn er ist mein Wirt! Wer kämpfte mit seinem Beschützer?
Wahrlich vernunftlos ist und keines Wertes der Fremdling,
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Welcher in fernem Lande den Freund, der ihn speiset und herbergt,
Zum Wettkampfe beruft; er opfert sein eigenes Wohl hin.
Sonst werd‘ ich keinen von euch ausschlagen oder verachten,
Sondern jeden erkennen, und seine Stärke versuchen.
So gar schlecht bin ich, traun! in keinem Kampfe der Männer!
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Wohl versteh‘ ich die Kunst, den geglätteten Bogen zu spannen;
Ja ich träfe zuerst im Haufen feindlicher Männer
Meinen Mann mit dein Pfeil, und stünden auch viele Genossen
Neben mir, und zielten mit straffem Geschoß auf die Feinde.
Philoktetes allein übertraf mich an Kunde des Bogens,
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Als vor Ilions Stadt wir Achaier im Schnellen uns übten.
Doch vor den übrigen Schützen behaupt‘ ich selber den Vorrang,
So viel Sterbliche jetzo die Frucht des Halmes genießen.
Denn mit der Vorzeit Helden verlang‘ ich keine Vergleichung,
Weder mit Eurytos, dem Öchalier, noch mit Herakles,
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Die den Unsterblichen sich an Bogenkunde verglichen.
Drum starb Eurytos auch so plötzlich, ehe das Alter
Ihn im Hause beschlich; denn zürnend erschoß ihn Apollon,
Weil er ihn selbst, der Vermeßne, zum Bogenstreite gefodert.
Und mit dem Wurfspieß treff‘ ich so weit, als kein andrer mit Pfeilen.
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Bloß an Schnelle der Füße besorg‘ ich, daß der Phäaken
Einer vielleicht mich besiege. So über die Maßen entkräftet
Hat mich das stürmende Meer! Denn ich saß nicht eben mit Zehrung
Reichlich versorgt im Schiff; drum schwand die Stärke den Gliedern.
Also sprach er, und alle verstummten umher, und schwiegen.
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Endlich hub Alkinoos an, und sprach zu Odysseus:
Fremdling, wir sagen dir Dank, daß du uns solches verkündest,
Und die glänzende Tugend uns aufhellst, die dich begleitet;
Zürnend, weil dieser Mann dich vor den Kämpfern geschmäht hat.
Künftig soll deine Tugend gewiß kein Sterblicher tadeln,
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Welcher Verstand besitzt, anständige Worte zu reden!
Aber höre nun auch mein Wort, damit du es andern
Helden erzählen kannst, wann du in deinem Palaste
Sitzest bei deinem Weib und deinen Kindern am Mahle,
Und dich unserer Tugend und unserer Taten erinnerst,
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Welche beständig Zeus von der Väter Zeiten uns anschuf.
Denn wir suchen kein Lob im Faustkampf oder im Ringen;
Aber die hurtigsten Läufer sind wir, und die trefflichsten Schiffer,
Lieben nur immer den Schmaus, den Reigentanz, und die Laute,
Oft veränderten Schmuck, und warme Bäder, und Ruhe.
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Auf denn, und spielt vor uns, ihr besten phäakischen Tänzer:
Daß der Fremdling davon bei seinen Freunden erzähle,
Wann er zu Hause kommt, wie wir vor allen geübt sind,
In der Lenkung des Schiffes, im Lauf, im Tanz und Gesange.
Einer gehe geschwind, und hole die klingende Harfe
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Für Demodokos her, die in unserem Hause wo lieget.
Also sagte der Held Alkinoos. Aber der Herold
Eilte zur Königsburg, die klingende Harfe zu holen.
Jetzo erhuben sich auch die neun Kampfrichter vom Sitze,
Welche das Volk bestellt die edlen Spiele zu ordnen,
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Maßen und ebneten schnell die schöne Fläche des Reigens.
Aber der Herold kam und brachte die klingende Harfe
Für Demodokos her. Er trat in die Mitte, und um ihn
Standen die blühenden Jüngling‘, erfahren im bildenden Tanze;
Und mit gemessenen Tritten entschwebten sie. Aber Odysseus
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Sah voll stiller Bewundrung die fliegende Eile der Füße.
Lieblich rauschte die Harfe; dann hub der schöne Gesang an.
Ares Liebe besang und Aphroditens der Meister,
Wie sich beide zuerst in Hephästos‘ prächtiger Wohnung
Heimlich vermischt. Viel schenkte der Gott, und entehrte des hohen
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Feuerbeherrschers Lager. Doch plötzlich bracht‘ ihm die Botschaft
Helios, der sie gesehn in ihrer geheimen Umarmung.
Aber sobald Hephästos die kränkende Rede vernommen,
Eilet‘ er schnell in die Esse, mit rachevollen Entwürfen:
Stellt auf den Block den gewaltigen Amboß, und schmiedete starke
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Unauflösliche Ketten, um fest und auf ewig zu binden.
Und nachdem er das trügliche Werk im Zorne vollendet,
Ging er in das Gemach, wo sein Hochzeitbette geschmückt war,
Und verbreitete rings um die Pfosten kreisende Bande;
Viele spannt er auch oben herab vom Gebälke der Kammer,
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Zart wie Spinnengewebe, die keiner zu sehen vermöchte,
Selbst von den seligen Göttern: so wunderfein war die Arbeit!
Und nachdem er den ganzen Betrug um das Lager verbreitet,
Ging er gleichsam zur Stadt der schöngebaueten Lemnos,
Die er am meisten liebt von allen Ländern der Erde.
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Ares schlummerte nicht, der Gott mit goldenen Zügeln,
Als er verreisen sahe den kunstberühmten Hephästos.
Eilend ging er zum Hause des klugen Feuerbeherrschers,
Hingerissen von Liebe zu seiner schönen Gemahlin.
Aphrodite war eben vom mächtigen Vater Kronion
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Heimgekehrt und saß. Er aber ging in die Wohnung,
Faßte der Göttin Hand, und sprach mit freundlicher Stimme:
Komm, Geliebte, zu Bette, der süßen Ruhe zu pflegen!
Denn Hephästos ist nicht daheim; er wandert vermutlich
Zu den Sintiern jetzt, den rauhen Barbaren in Lemnos.
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Also sprach er, und ihr war sehr willkommen die Ruhe.
Und sie bestiegen das Lager, und schlummerten. Plötzlich umschlangen
Sie die künstlichen Bande des klugen Erfinders Hephästos;
Und sie vermochten kein Glied zu bewegen oder zu heben.
Aber sie merkten es erst, da ihnen die Flucht schon gehemmt war.
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Jetzo nahte sich ihnen der hinkende Feuerbeherrscher.
Dieser kehrte zurück, bevor er Lemnos erreichte,
Denn der lauschende Gott der Sonne sagt‘ ihm die Tat an.
Eilend ging er zu Hause, mit tiefbekümmerter Seele,
Stand in dem Vorsaal still; und der rasende Eifer ergriff ihn.
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Fürchterlich ruft er aus, und alle Götter vernahmen’s:
Vater Zeus, und ihr andern, unsterbliche selige Götter!
Kommt und schaut den abscheulichen unausstehlichen Frevel:
Wie mich lahmen Mann die Tochter Zeus‘ Aphrodite
Jetzo auf immer beschimpft, und Ares den Bösewicht herzet;
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Darum, weil jener schön ist und grade von Beinen, ich aber
Solche Krüppelgestalt! Doch keiner ist schuld an der Lähmung,
Als die Eltern allein! O hätten sie nimmer gezeuget!
Aber seht doch, wie beid‘ in meinem eigenen Bette
Ruhn, und der Wollust pflegen! Das Herz zerspringt mir beim Anblick!
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Künftig möchten sie zwar, auch nicht ein Weilchen, so liegen!
Wie verbuhlt sie auch sind, sie werden nicht wieder verlangen,
So zu ruhn! Allein ich halte sie fest in der Schlinge,
Bis der Vater zuvor mir alle Geschenke zurückgibt,
Die ich als Bräutigam gab für sein schamloses Gezüchte!
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Seine Tochter ist schön, allein unbändiges Herzens!
Also sprach er. Da eilten zum ehernen Hause die Götter:
Poseidaon kam, der Erdumgürter; und Hermes
Kam, der Bringer des Heils; es kam der Schütze Apollon.
Aber die Göttinnen blieben vor Scham in ihren Gemächern.
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Jetzo standen die Götter, die Geber des Guten, im Vorsaal;
Und ein langes Gelächter erscholl bei den seligen Göttern,
Als sie die Künste sahn des klugen Erfinders Hephästos.
Und man wendete sich zu seinem Nachbar, und sagte:
Böses gedeihet doch nicht; der Langsame haschet den Schnellen!
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Also ertappt Hephästos, der Langsame, jetzo den Ares,
Welcher am hurtigsten ist von den Göttern des hohen Olympos,
Er der Lahme, durch Kunst. Nun büßt ihm der Ehebrecher!
Also besprachen sich die Himmlischen untereinander.
Aber zu Hermes sprach Zeus‘ Sohn, der Herrscher Apollon:
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Hermes, Zeus‘ Gesandter und Sohn, du Geber des Guten,
Hättest du auch wohl Lust, von so starken Banden gefesselt,
In dem Bette zu ruhn bei der goldenen Aphrodite?
Ihm erwiderte darauf der geschäftige Argosbesieger:
O geschähe doch das, ferntreffender Herrscher Apollon!
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Fesselten mich auch dreimal so viel unendliche Bande,
Und ihr Götter sähet es an, und die Göttinnen alle:
Siehe so schlief‘ ich doch bei der goldenen Aphrodite!
Also sprach er; da lachten laut die unsterblichen Götter.
Nur Poseidon lachte nicht mit; er wandte sich bittend
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Zum kunstreichen Hephästos, den Kriegsgott wieder zu lösen.
Und er redet‘ ihn an, und sprach die geflügelten Worte:
Lös‘ ihn! Ich stehe dafür: er soll, wie du es verlangest,
Vor den unsterblichen Göttern dir alles bezahlen, was recht ist.
Drauf antwortete jenem der hinkende Feuerbeherrscher:
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Fodere solches nicht, du Erdumgürter Poseidon!
Elende Sicherheit gibt von Elenden selber die Bürgschaft.
Sage, wie könnt‘ ich dich vor den ewigen Göttern verbinden,
Flöhe nun Ares fort, der Schuld und den Banden entrinnend?
Ihm erwiderte drauf der Erderschüttrer Poseidon:
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Nun Hephästos, wofern denn auch Ares fliehend hinwegeilt,
Um der Schuld zu entgehn; ich selbst will dir dieses bezahlen!
Drauf antwortete jenem der hinkende Feuerbeherrscher:
Unrecht wär‘ es und grob, dir deine Bitte zu weigern.
Also sprach er, und löste das Band, der starke Hephästos.
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Und kaum fühlten sich beide der mächtigen Fessel entledigt,
Sprangen sie hurtig empor. Der Kriegsgott eilte gen Threke.
Aber nach Kypros ging Aphrodite, die Freundin des Lächelns,
In den paphischen Hain, zum weihrauchduftenden Altar.
Allda badeten sie die Charitinnen, und salbten
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Sie mit ambrosischem Öle, das ewige Götter verherrlicht;
Schmückten sie dann mit schönen und wundervollen Gewanden.
Also sang der berühmte Demodokos. Aber Odysseus
Freute sich des Gesangs von Herzen; es freuten sich mit ihm
Alle Phäaken, die Führer der langberuderten Schiffe.
370
Und Alkinoos hieß den mutigen Halios einzeln
Mit Laodamas tanzen, weil keiner mit ihnen sich wagte.
Diese nahmen sogleich den schönen Ball in die Hände,
Welchen Polybos künstlich aus purpurner Wolle gewirket.
Einer schleuderte diesen empor zu den schattigen Wolken,
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Rückwärts gebeugt; dann sprang der andere hoch von der Erde
Auf, und fing ihn behend‘, eh‘ sein Fuß den Boden berührte.
Und nachdem sie den Ball gradauf zu schleudern versuchet,
Tanzten sie schwebend dahin auf der allernährenden Erde,
Mit oft wechselnder Stellung; die andern Jünglinge klappten
380
Rings im Kreise dazu; es stieg ein lautes Getös‘ auf.
Und zu Alkinoos sprach der göttergleiche Odysseus:
Weitgepriesener Held, Alkinoos, mächtigster König!
Siehe du rühmtest dich der trefflichsten Tänzer auf Erden,
Und du behauptest den Ruhm! Mit Staunen erfüllt mich der Anblick.
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Aber die heilige Macht Alkinoos‘ erfreute sich innig.
Und er redete schnell zu den ruderliebenden Männern:
Merket auf, der Phäaken erhabene Fürsten und Pfleger!
Dieser Fremdling scheint mir ein Mann von großem Verstande.
Laßt uns ihm ein Geschenk, wie das Gastrecht fodert, verehren.
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Denn in unserm Volke sind zwölf ehrwürdige Fürsten,
Welche Gerechtigkeit üben; und mir gehorchen die zwölfe.
Jeder von diesen hole nun einen Mantel und Leibrock,
Sauber und fein, samt einem Talente des köstlichen Goldes.
Dieses wollen wir alle zugleich dem Fremdlinge bringen,
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Daß er fröhlichen Mutes zum Abendschmause sich setze.
Aber Euryalos soll mit Worten und mit Geschenken
Ihn versöhnen; denn nicht anständig hat er geredet.
Also sprach der König, und alle riefen ihm Beifall.
Schnell, die Geschenke zu holen, entsandte jeder den Herold.
400
Aber Euryalos gab dem Könige dieses zur Antwort:
Weitgepriesener Held, Alkinoos, mächtigster König!
Gerne will ich den Gast versöhnen, wie du befiehlest,
Und dies Schwert ihm verehren. Die Kling‘ ist von Erze geschmiedet,
Und von Silber das Heft, die elfenbeinerne Scheide
405
Neu vom Künstler geglättet. Es wird nicht wenig ihm wert sein.
Also sprach er, und reicht‘ ihm das Schwert mit silbernen Buckeln;
Und er redet‘ ihn an, und sprach die geflügelten Worte:
Freue dich, Vater und Gast! Und fiel ein kränkendes Wort hier
Unter uns vor, so mögen es schnell die Stürme verwehen!
410
Dir verleihn die Götter, die Heimat und deine Gemahlin
Wieder zu sehn, nachdem du so lang‘ in Trübsal umherirrst!
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Auch du freue dich, Lieber; dich segnen die Götter mit Heile!
Und du müssest hinfort des Schwertes nimmer bedürfen,
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Welches du mir anjetzt mit versöhnenden Worten gereicht hast!
Sprach’s, und hängt‘ um die Schulter das Schwert mit silbernen Buckeln.
Und die Sonne sank; da kamen die schönen Geschenke.
Edle Herolde trugen sie schnell zu Alkinoos‘ Wohnung.
Hier empfingen und legten Alkinoos‘ treffliche Söhne
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Bei der Mutter sie hin, die köstlichen Ehrengeschenke.
Aber die heilige Macht Alkinoos‘ führte die andern;
Und sie kamen und setzten auf hohen Thronen sich nieder.
Und die heilige Macht Alkinoos‘ sprach zu Arete:
Komm, Geliebte, und bring die beste der zierlichen Laden;
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Lege darein den schöngewaschenen Mantel und Leibrock.
Dann setzt Wasser zum Sieden im ehernen Kessel aufs Feuer,
Daß er, wenn er zuvor sich gebadet, und nebeneinander
Alle Geschenke gesehn der tadellosen Phäaken,
Froher genieße des Mahls, und froher horche dem Liede.
430
Dieses schöne Gefäß von Golde will ich ihm schenken.
Daß er in seinem Palaste für Zeus und die übrigen Götter
Opfer gieße, und sich beständig meiner erinnre.
Also sprach er; und schnell gebot Arete den Mägden,
Eilend ein groß dreifüßig Geschirr aufs Feuer zu setzen.
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Und sie setzten das Badegeschirr auf das lodernde Feuer,
Gossen Wasser hinein, und legten Holz an die Flamme;
Rings umschlug sie den Bauch des Geschirrs, und es kochte das Wasser.
Aber die Königin brachte dem Fremdling die zierliche Lade
Aus der Kammer hervor, und legte die schönen Geschenke,
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Gold und Kleider, hinein, was ihm die Phäaken gegeben,
Legte darauf den Mantel hinein, und den prächtigen Leibrock.
Und sie redet‘ ihn an, und sprach die geflügelten Worte:
Siehe nun selbst den Deckel, und schürze behende die Knoten;
Daß dich keiner beraub‘ auf der Heimfahrt, während du etwa
445
In dem schwärzlichen Schiffe des süßen Schlummers genießest.
Als er dieses vernommen, der herrliche Dulder Odysseus,
Fügt‘ er den Deckel auf, und schürzte behende den Knoten,
Dessen geheime Kunst ihn die mächtige Kirke gelehret.
Und die Schaffnerin kam, und bat ihn, eilig zum Baden
450
In die Wanne zu steigen. Ein herzerfreuender Anblick
War ihm das warme Bad; denn keiner Pflege genoß er,
Seit er die Wohnung verließ der schöngelockten Kalypso;
Dort ward seiner beständig wie eines Gottes gepfleget.
Als ihn die Mägde jetzo gebadet, mit Öle gesalbet,
455
Und ihm die Kleider umhüllt, den Mantel und prächtigen Leibrock,
Stieg er hervor aus dem Bad‘, und ging zu den trinkenden Männern.
Aber Nausikaa stand, geschmückt mit göttlicher Schönheit,
An der hohen Pforte des schöngewölbeten Saales,
Und betrachtete wundernd den göttergleichen Odysseus;
460
Und sie redet‘ ihn an, und sprach die geflügelten Worte:
Lebe wohl, o Fremdling, und bleib‘ in der Heimat auch meiner
Eingedenk, da du mir zuerst dein Leben verdanktest.
Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
O Nausikaa, Tochter des edlen Phäakenbeherrschers,
465
Lasse mich jetzo nur Zeus, der donnernde Gatte der Here,
Glücklich zur Heimat kehren, und schaun den Tag der Zurückkunft!
Täglich werd‘ ich auch dort, wie einer Göttin, voll Ehrfurcht
Dir danksagen; du hast mein Leben gerettet, o Jungfrau!
Also sprach er, und setzte sich hin zur Seite des Königs.
470
Jene teileten schon das Fleisch, und mischten des Weines.
Aber der Herold kam, und führte den lieblichen Sänger,
Welchen die Völker verehrten, Demodokos, näher, und setzte
Ihn in die Mitte des Saals, an die hohe Säule gelehnet.
Und dem Herolde rief der erfindungsreiche Odysseus,
475
Und zerteilte den Rücken, sein großes ehrendes Anteil
Vom weißzahnichten Schweine, mit frischem Fette bewachsen:
Herold, reiche dies Fleisch Demodokos hin, daß er esse.
Gerne möcht‘ ich ihm Liebes erweisen, wie sehr ich auch traure.
Alle sterblichen Menschen der Erde nehmen die Sänger
480
Billig mit Achtung auf und Ehrfurcht; selber die Muse
Lehrt sie den hohen Gesang, und waltet über die Sänger.
Also sprach Odysseus. Der Herold reicht‘ es dem edlen
Helden Demodokos hin; er nahm’s, und freute sich herzlich.
Und sie erhoben die Hände zum leckerbereiteten Mahle.
485
Jetzo war die Begierde des Tranks und der Speise gestillet,
Und zu Demodokos sprach der erfindungsreiche Odysseus:
Wahrlich vor allen Menschen, Demodokos, achtet mein Herz dich!
Dich hat die Muse gelehrt, Zeus‘ Tochter, oder Apollon!
So zum Erstaunen genau besingst du das Schicksal der Griechen,
490
Alles was sie getan und erduldet im mühsamen Kriegszug,
Gleich als hättest du selbst es gesehen oder gehöret.
Fahre nun fort, und singe des hölzernen Rosses Erfindung,
Welches Epeios baute mit Hilfe der Pallas Athene,
Und zum Betrug in die Burg einführte der edle Odysseus,
495
Mit bewaffneten Männern gefüllt, die Troja bezwangen.
Wenn du mir dieses auch mit solcher Ordnung erzählest;
Siehe dann will ich sofort es allen Menschen verkünden,
Daß ein waltender Gott den hohen Gesang dir verliehn hat.
Sprach’s; und eilend begann der gottbegeisterte Sänger,
500
Wie das Heer der Achaier in schöngebordeten Schiffen
Von dem Gestade fuhr, nach angezündetem Lager.
Aber die andern, geführt vom hochberühmten Odysseus,
Saßen, von Troern umringt, im Bauche des hölzernen Rosses,
Welches die Troer selbst in die Burg von Ilion zogen.
505
Allda stand nun das Roß, und ringsum saßen die Feinde,
Hin und her ratschlagend. Sie waren dreifacher Meinung:
Diese, das hohle Gebäude mit grausamem Erze zu spalten;
Jene, es hoch auf den Felsen zu ziehn, und herunter zu schmettern;
Andre, es einzuweihen zum Sühnungsopfer der Götter.
510
Und der letzteren Rat war bestimmt erfüllet zu werden.
Denn das Schicksal beschloß Verderben, wann Troja das große
Hölzerne Roß aufnähme, worin die tapfersten Griechen
Alle saßen, und Tod und Verderben gen Ilion brachten.
Und er sang, wie die Stadt von Achaias Söhnen verheert ward,
515
Welche dem hohlen Bauche des trüglichen Rosses entstürzten;
Sang, wie sie hier und dort die stolze Feste bestürmten;
Und wie Odysseus schnell zu des edlen Deiphobos‘ Wohnung
Eilte, dem Kriegsgott gleich, samt Atreus‘ Sohn Menelaos,
Und wie er dort voll Mutes dem schrecklichsten Kampfe sich darbot,
520
Aber zuletzt obsiegte, durch Hilfe der hohen Athene.
Dieses sang der berühmte Demodokos. Aber Odysseus
Schmolz in Wehmut, Tränen benetzten ihm Wimper und Wangen.
Also weinet ein Weib, und stürzt auf den lieben Gemahl hin,
Der vor seiner Stadt und vor seinem Volke dahinsank,
525
Streitend, den grausamen Tag von der Stadt und den Kindern zu fernen;
Jene sieht ihn jetzt mit dem Tode ringend und zuckend,
Schlingt sich um ihn, und heult laut auf, die Feinde von hinten
Schlagen wild mit der Lanze den Rücken ihr und die Schultern,
Binden und schleppen als Sklavin sie fort zu Jammer und Arbeit;
530
Und im erbärmlichsten Elend verblühn ihr die reizenden Wangen:
So zum Erbarmen entstürzt‘ Odysseus‘ Augen die Träne.
Allen übrigen Gästen verbarg er die stürzende Träne;
Nur Alkinoos sah aufmerksam die Trauer des Fremdlings,
Welcher neben ihm saß, und hörte die tiefen Seufzer.
535
Und der König begann zu den ruderliebenden Männern:
Merket auf, der Phäaken erhabene Fürsten und Pfleger,
Und Demodokos halte nun ein mit der klingenden Harfe;
Denn nicht alle horchen mit Wohlgefallen dem Liede.
Seit wir sitzen am Mahl, und der göttliche Sänger uns vorsingt,
540
Hat er nimmer geruht von seinem traurenden Grame,
Unser Gast; ihm drückt wohl ein schwerer Kummer die Seele.
Jener halte denn ein! Wir wollen alle vergnügt sein,
Gast und Wirte zugleich; denn solches fodert der Wohlstand.
Für den edlen Fremdling ist diese Feier, des Schiffes
545
Rüstung, und die Geschenke, die wir aus Freundschaft ihm geben.
Lieb wie ein Bruder ist ein hilfeflehender Fremdling
Jedem Manne, des Herz auch nur ein wenig empfindet!
Drum verhehle mir nicht durch schlauersonnene Worte,
Was ich jetzo dich frage. Auch dieses fodert der Wohlstand.
550
Sage, mit welchem Namen benennen dich Vater und Mutter,
Und die Bürger der Stadt, und welche rings dich umwohnen?
Denn ganz namenlos bleibt doch unter den Sterblichen niemand,
Vornehm oder gering, wer einmal von Menschen gezeugt ward;
Sondern man nennet jeden, sobald ihn die Mutter geboren.
555
Sage mir auch dein Land, dein Volk und deine Geburtstadt;
Daß, dorthin die Gedanken gelenkt, die Schiffe dich bringen.
Denn der Phäaken Schiffe bedürfen keiner Piloten,
Nicht des Steuers einmal, wie die Schiffe der übrigen Völker;
Sondern sie wissen von selbst der Männer Gedanken und Willen,
560
Wissen nah und ferne die Städt‘ und fruchtbaren Länder
Jegliches Volks, und durchlaufen geschwinde die Fluten des Meeres,
Eingehüllt in Nebel und Nacht. Auch darf man nicht fürchten,
Daß das stürmende Meer sie beschädige oder verschlinge.
Nur erzählete mir mein Vater Nausithoos ehmals,
565
Daß uns Poseidon der Erderschütterer zürne,
Weil wir ohne Gefahr jedweden zu Schiffe geleiten;
Dieser würde dereinst ein rüstiges Schiff der Phäaken,
Das vom Geleiten kehrte, im dunkelwogenden Meere
Plötzlich verderben, und rings um die Stadt ein hohes Gebirg ziehn.
570
So weissagte der Greis; der Gott vollende nun solches,
Oder vollend‘ es nicht; wie es seinem Herzen gelüstet;
Aber verkündige mir, und sage die lautere Wahrheit:
Welche Länder bist du auf deinen Irren durchwandert,
Und wie fandest du dort die Völker und prächtigen Städte?
575
Welche schwärmten noch wild als sittenlose Barbaren?
Welche dienten den Göttern, und liebten das heilige Gastrecht?
Sage mir auch, was weinst du, und warum traurst du so herzlich,
Wenn du von der Achaier und Ilions Schicksale hörest?
Dieses beschloß der Unsterblichen Rat, und bestimmte der Menschen
580
Untergang; daß er würd‘ ein Gesang der Enkelgeschlechter.
Sank vielleicht auch dir in Ilions blutigen Schlachten
Irgend ein edler Verwandter, ein Eidam oder ein Schwäher,
Welche die Nächsten uns sind, nach unserem Blut und Geschlechte?
Oder etwa ein tapferer Freund von gefälligem Herzen?
585
Denn fürwahr nicht geringer, als selbst ein leiblicher Bruder,
Ist ein treuer Freund, verständig und edler Gesinnung.

Siebenter Gesang

Siebenter Gesang

Nach Nausikaa geht Odysseus in die Stadt, von Athene in Nebel gehüllt, und zum Palaste des Königs geführt, wo die Fürsten versammelt sind. Er fleht der Königin Arete um Heimsendung, und wird von Alkinoos als Gast aufgenommen. Nach dem Mahle, da Arete um die Kleider ihn fragt, erzählt er seine Geschichte seit der Abfahrt von Kalypso.

Also betete dort der herrliche Dulder Odysseus.
Aber Nausikaa flog in die Stadt mit der Stärke der Mäuler.
Als sie die prächtige Burg des Vaters jetzo erreichte,
Hielt sie still an der Pforte des Hofs. Da kamen die Brüder
5
Ringsumher, an Gestalt den Unsterblichen ähnlich; sie spannten
Von dem Wagen die Mäuler, und trugen die Wäsch‘ in die Kammer.
Jetzo ging sie hinein, und ihre Kammerbediente
Zündete Feuer an, die alte Eurymedusa.
Einst entführten die Schiffer sie aus Epeiros, und wählten
10
Für Alkinoos sie zum Ehrengeschenke, den König,
Welcher hoch, wie ein Gott, im phäakischen Volke geehrt ward;
Und sie erzog ihm die schöne Nausikaa in dem Palaste.
Als das Feuer nun brannte, besorgte sie hurtig die Mahlzeit.
Aber Odysseus ging in die Stadt; und Pallas Athene
15
Hüllt‘ ihn in finstere Nacht, aus Sorge für ihren Geliebten:
Daß ihn nicht auf dem Wege der hochgesinnten Phäaken
Einer mit Schmähungen kränkte, noch fragte, von wannen er käme.
Als er die schöne Stadt der Phäaken jetzo erreichte,
Da begegnet‘ ihm Zeus‘ blauäugichte Tochter Athene.
20
Wie ein blühendes Mädchen mit einem Wassergefäße,
Stand sie nahe vor ihm. Da sprach der edle Odysseus:
Liebe Tochter, willst du mir nicht Alkinoos Wohnung
Zeigen, welchem dies Volk als seinem König gehorchet?
Denn ich komme zu euch, ein armer irrender Fremdling,
25
Ferne von hier aus dem apischen Land; und kenne der Menschen
Keinen, welche die Stadt und diese Gefilde bewohnen.
Ihm antwortete Zeus‘ blauäugichte Tochter Athene:
Gerne will ich dir, Vater, das Haus, wohin du verlangest,
Zeigen; denn nahe dabei wohnt mein rechtschaffener Vater.
30
Gehe so ruhig fort, und folge mir, wie ich dich führe;
Schaue nach keinem Menschen dich um, und rede mit niemand.
Denn die Leute sind hier den Fremden nicht allzu gewogen,
Und bewirten sie nicht sehr freundlich, woher sie auch kommen.
Sie bekümmern sich nur um schnelle hurtige Schiffe,
35
Über die Meere zu fliegen: denn dies gab ihnen Poseidon.
Ihre Schiffe sind hurtig wie Flügel, und schnell wie Gedanken.
Als sie die Worte geredet, da wandelte Pallas Athene
Eilend voran, und er folgte den Schritten der wandelnden Göttin.
Ihn bemerkte keiner der segelberühmten Phäaken,
40
Als er die Stadt durchging: die schöngelockte Athene
Ließ es nicht zu, die furchtbare Göttin, die heiliges Dunkel
Über sein Haupt hingoß, aus Sorge für ihren Geliebten.
Wundernd sah er die Häfen und gleichgezimmerten Schiffe,
Und die Versammlungsplätze des Volks, und die türmenden Mauern,
45
Lang und hoch, mit Pfählen umringt, ein Wunder zu schauen!
Als sie die prächtige Burg des Königes jetzo erreichten,
Siehe da redete Zeus‘ blauäugichte Tochter Athene:
Fremder Vater, hier ist das Haus, wohin du verlangtest,
Daß ich dich führte. Du wirst die göttergesegneten Fürsten
50
Hier am festlichen Schmause versammelt finden; doch gehe
Dreist hinein, und fürchte dich nicht! Dem Kühnen gelinget
Jedes Beginnen am besten, und käm‘ er auch aus der Fremde.

Aber suche zuerst die Königin drinnen im Saale.
Diese heißt Arete mit Namen, und ward von denselben
55
Eltern gezeugt, von welchen der König Alkinoos herstammt.
Denn Nausithoos war des Erdumstürmers Poseidon
Und Periböens Sohn, der schönsten unter den Weibern,
Und des hochgesinnten Eurymedons jüngsten Tochter.
Dieser beherrschte vordem die ungeheuren Giganten;
60
Aber er stürzte sich selbst und sein frevelndes Volk ins Verderben.
Seine Tochter bezwang der Gott, und aus ihrer Gemeinschaft
Wuchs Nausithoos auf, der edle Phäakenbeherrscher.
Und Nausithoos zeugte Alkinoos und Rexenor,
Dieser starb ohne Söhne vom silbernen Bogen Apollons,
65
Neuvermählt im Palast; die einzige Tochter Arete
Seines Bruders nahm Alkinoos drauf zur Gemahlin:
Welcher sie ehrt, wie nirgends ein Weib auf Erden geehrt wird,
Keines von allen, die jetzo das Haus der Männer verwalten.
Also wird Arete mit herzlicher Liebe geehret
70
Von Alkinoos selbst, und ihren blühenden Kindern,
Und dem Volke, das sie wie eine Göttin betrachtet,
Und mit Segen begrüßt, so oft sie die Gassen durchwandelt.
Denn es fehlet ihr nicht an königlichem Verstande,
Und sie entscheidet selbst der Männer Zwiste mit Weisheit.
75
Fremdling, ist diese dir nur in ihrem Herzen gewogen;
O dann hoffe getrost, die Freunde wiederzusehen,
Und dein prächtiges Haus und deiner Väter Gefilde!
Also redete Zeus‘ blauäugichte Tochter, und eilte
Über das wüste Meer aus Scherias lieblichen Auen,
80
Bis sie gen Marathon kam, und den weiten Gassen Athenäs,
In die prächtige Wohnung Erechtheus. Aber Odysseus
Ging zu Alkinoos‘ hohem Palast. Nun stand er, und dachte
Vieles im Herzen, bevor er der ehernen Schwelle sich nahte.
Gleich dem Strahle der Sonn‘, und gleich dem Schimmer des Mondes
85
Blinkte des edelgesinnten Alkinoos‘ prächtige Wohnung.
Eherne Wände liefen an jeglicher Seite des Hauses
Tief hinein von der Schwelle, gekrönt mit blauem Gesimse.
Eine goldene Pforte verschloß die innere Wohnung;
Silberne Pfosten, gepflanzt auf ihrer ehernen Schwelle,
90
Trugen den silbernen Kranz; der Ring der Pforte war golden.
Jegliche Seit‘ umstanden die goldnen und silbernen Hunde,
Welche Hephästos selbst mit hohem Verstande gebildet,
Um des edelgesinnten Alkinoos‘ Wohnung zu hüten:
Drohend standen sie dort, unsterblich und nimmer veraltend.
95
Innerhalb reihten sich Sessel um alle Wände des Saales
Tief hinein von der Schwell‘; und Teppiche deckten die Sessel,
Fein und zierlich gestickt, der Weiber künstliche Arbeit.
Allda saßen stets der Phäaken hohe Beherrscher
Festlich bei Speis‘ und Trank, und schmausten von Tage zu Tage.
100
Goldene Jünglinge standen auf schöngebauten Altären
Ringsumher, und hielten in Händen brennende Fackeln,
Um den Gästen im Saale beim nächtlichen Schmause zu leuchten.
Fünfzig Weiber dienten im weiten Palaste des Königs.
Diese bei rasselnden Mühlen zermalmeten gelbes Getreide;
105
Jene saßen und webten, und dreheten emsig die Spindel,
Anzuschaun, wie die Blätter der hohen wehenden Pappel:
Und es glänzte wie Öl die schöngewebete Leinwand.
Denn gleichwie die Phäaken vor allen übrigen Männern
Hurtige Schiffe zu lenken verstehn; so siegen die Weiber
110
In der Kunst des Gewebes: sie lehrete selber Athene,
Wundervolle Gewande mit klugem Geiste zu wirken.
Außer dem Hofe liegt ein Garten, nahe der Pforte,
Eine Huf‘ ins Gevierte, mit ringsumzogener Mauer.
Allda streben die Bäume mit laubichtem Wipfel gen Himmel,
115
Voll balsamischer Birnen, Granaten und grüner Oliven,
Oder voll süßer Feigen, und rötlichgesprenkelter Äpfel.
Diese tragen beständig, und mangeln des lieblichen Obstes
Weder im Sommer noch Winter; vom linden Weste gefächelt,
Blühen die Knospen dort, hier zeitigten schwellende Früchte:
120
Birnen reifen auf Birnen, auf Äpfel röten sich Äpfel,
Trauben auf Trauben erdunkeln, und Feigen schrumpfen auf Feigen.
Allda prangt auch ein Feld, von edlen Reben beschattet.
Einige Trauben dorren auf weiter Ebne des Gartens,
An der Sonne verbreitet, und andere schneidet der Winzer,
125
Andere keltert man schon. Hier stehen die Herling‘ in Reihen,
Dort entblühen sie erst, dort bräunen sich leise die Beeren,
An dem Ende des Gartens sind immerduftende Beete,
Voll balsamischer Kräuter und tausendfarbiger Blumen.
Auch zwo Quellen sind dort: die eine durchschlängelt den Garten;
130
Und die andere gießt sich unter die Schwelle des Hofes
An den hohen Palast, allwo die Bürger sie schöpfen.
Siehe so reichlich schmückten Alkinoos‘ Wohnung die Götter.
Lange stand bewundernd der herrliche Dulder Odysseus.
Und nachdem er alles in seinem Herzen bewundert,
135
Eilet‘ er über die Schwell‘, und ging in die strahlende Wohnung.
Und er fand der Phäaken erhabene Fürsten und Pfleger.
Diese gossen des Weines dem rüstigen Argosbesieger;
Denn ihm opferte man zuletzt, der Ruhe gedenkend.
Schnell durchging er den Saal, der herrliche Dulder Odysseus,
140
Rings in Nebel gehüllt, den ihm Athene umgossen,
Bis er Alkinoos fand und seine Gemahlin Arete.
Und Odysseus umschlang mit den Händen der Königin Kniee;
Und mit einmal zerfloß um ihn das heilige Dunkel.
Alle verstummten im Saale, da sie den Fremdling erblickten,
145
Und sahn staunend ihn an. Jetzt flehte der edle Odysseus:
O Arete, du Tochter des göttergleichen Rexenors,
Deinem Gemahle fleh ich und dir, ein bekümmerter Fremdling,
Und den Gästen umher! Euch allen schenken die Götter
Langes Leben und Heil, und jeder lasse den Kindern
150
Reichtum im Hause nach, und die Würde, die ihm das Volk gab!
Aber erbarmet euch mein, und sendet mich eilig zur Heimat;
Denn ich irre schon lang‘, entfernt von den Freunden, in Trübsal!
Also sprach er, und setzt‘ am Herd in die Asche sich nieder
Neben dein Feu’r; und alle verstummten umher, und schwiegen.
155
Endlich brach die Stille der graue Held Echeneos,
Welcher der älteste war der hohen phäakischen Fürsten,
An Beredsamkeit reich, und geübt in der Kunde der Vorzeit.
Dieser erhub anitzo die Stimme der Weisheit, und sagte:
König, es ziemet sich nicht, und ist den Gebräuchen entgegen,
160
Einen Fremdling am Herd‘ in der Asche sitzen zu lassen.
Diese Männer schweigen, und harren deiner Befehle.
Auf, und führe den Fremdling zum silberbeschlagenen Sessel,
Daß er bei uns sich setze; und laß die Herolde wieder
Füllen mit Weine den Kelch; damit wir dem Gotte des Donners
165
Opfer bringen, der über die Hilfeflehenden waltet.
Und die Schaffnerin speise von ihrem Vorrat den Fremdling.
Als die heilige Macht Alkinoos‘ solches vernommen;
Faßt‘ er die Hand des tapfern erfindungsreichen Odysseus,
Richtet‘ ihn auf aus der Asch‘, und führt‘ ihn zum schimmernden Sessel
170
Nahe bei sich, und hieß den edlen Laodamas aufstehn,
Seinen mutigen Sohn, den er am zärtlichsten liebte.
Eine Dienerin trug in der schönen goldenen Kanne
Über dem silbernen Becken das Wasser, beströmte zum Waschen
Ihm die Händ‘, und stellte vor ihn die geglättete Tafel.
175
Auch die ehrbare Schaffnerin kam, und tischte das Brot auf,
Und der Gerichte viel aus ihrem gesammelten Vorrat.
Und nun aß er und trank, der herrliche Dulder Odysseus.
Aber die heilige Macht Alkinoos‘ sprach zu dem Herold:
Mische Wein in dem Kelche, Pontonoos; reiche dann allen
180
Männern im Saal‘ umher: damit wir dem Gotte des Donners
Opfer bringen, der über die Hilfeflehenden waltet.
Sprach’s; und Pontonoos mischte des süßen Weines im Kelche.
Und verteilte von neuem, sich rechtshin wendend, die Becher.
Als sie des Trankes geopfert, und nach Verlangen getrunken,
185
Hub Alkinoos an, und sprach zur edlen Versammlung:
Merket auf, der Phäaken erhabene Fürsten und Pfleger,
Daß ich rede, wie mir das Herz im Busen gebietet.
Jetzo, nachdem ihr gespeist, geht heim, und legt euch zur Ruhe.
Morgen wollen wir hier noch mehr der Ältesten laden,
190
Und den Fremdling im Hause bewirten, mit heiligen Opfern
Uns die Götter versöhnen, und dann die gefoderte Heimfahrt
Überdenken: damit er, vor Not und Kummer gesichert,
Unter unserm Geleit, in seiner Väter Gefilde
Freudig komme, und bald, er wohn‘ auch ferne von hinnen;
195
Und ihm nicht auf dem Weg‘ ein neues Übel begegne,
Eh‘ er sein Vaterland erreicht hat. Dort begegn‘ ihm,
Was ihm das Schicksal bestimmt, und die unerbittlichen Schwestern
Ihm bei seiner Geburt in den werdenden Faden gesponnen.
Aber kam vielleicht der Unsterblichen einer vom Himmel,
200
Wahrlich dann haben mit uns die Götter ein andres im Sinne!
Sonst erscheinen uns stets die Götter in sichtbarer Bildung,
Wann wir mit festlicher Pracht der Hekatomben sie grüßen;
Sitzen mit uns in Reihen, und essen von unserem Mahle.
Oft auch, wann ihnen irgend ein einsamer Wandrer begegnet,
205
Hüllen sie sich in Gestalt: denn wir sind ihnen so nahe,
Wie die wilden Kyklopen und ungezähmten Giganten.
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
O Alkinoos, hege nicht solche Gedanken! Ich sehe
Keinem Unsterblichen gleich, die den weiten Himmel bewohnen,
210
Weder an Kleidung noch Wuchs; ich gleiche sterblichen Menschen.
Kennt ihr einen, der euch der unglückseligste aller
Sterblichen scheint; ich bin ihm gleich zu achten an Elend!
Ja ich wüßte vielleicht noch größere Leiden zu nennen,
Welche der Götter Rat auf meine Seele gehäuft hat!
215
Aber erlaubt mir nun zu essen, wie sehr ich auch traure.
Denn nichts ist unbändiger, als der zürnende Hunger,
Der mit tyrannischer Wut an sich die Menschen erinnert,
Selbst den leidenden Mann mit tiefbekümmerter Seele.
Also bin ich von Herzen bekümmert; aber beständig
220
Fodert er Speis‘ und Trank, der Wüterich! und ich vergesse
Alles, was ich gelitten, bis ich den Hunger gesättigt.
Aber eilet, ihr Fürsten, sobald der Morgen sich rötet,
Mich unglücklichen Mann in meine Heimat zu senden!
Denn soviel ich erlitten, ich stürbe sogar um den Anblick
225
Meiner Güter und Knechte und meines hohen Palastes!
Also sprach er; da lobten ihn alle Fürsten, und rieten,
Heimzusenden den Gast, weil seine Bitte gerecht war.
Als sie des Trankes geopfert, und nach Verlangen getrunken;
Gingen sie alle heim, der süßen Ruhe zu pflegen.
230
Aber im Saale blieb der göttergleiche Odysseus;
Neben ihm saß der König und seine Gemahlin Arete;
Und die Mägde räumten des Mahls Geräte von hinnen.
Jetzo begann Arete, die lilienarmige Fürstin;
Denn sie erkannte den Mantel und Rock, die schönen Gewande,
235
Welche sie selber gewirkt mit ihren dienenden Jungfraun;
Und sie redet‘ ihn an, und sprach die geflügelten Worte:
Hierum muß ich dich, Fremdling, vor allen Dingen befragen:
Wer, und von wannen bist du? Wer gab dir diese Gewande?
Sagtest du nicht, du kämest hieher vom Sturme verschlagen?
240
Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Schwer, o Königin, ist es, dir alle Leiden von Anfang
Herzunennen, die mir die himmlischen Götter gesendet.
Dennoch will ich dir dieses, warum du mich fragest, erzählen.
Fern auf dem Meere liegt Ogygia, eine der Inseln,
245
Wo des Atlas‘ Tochter, die listenreiche Kalypso
Wohnet, die Schöngelockte, die furchtbare Göttin. Es pfleget
Keiner der Götter mit ihr, und keiner der Menschen, Gemeinschaft.
Mich Unglücklichen nur, mich führte zu ihrer Behausung
Irgend ein Dämon, nachdem mir der Gott hochrollender Donner
250
Mitten im Meere mein Schiff mit dem dampfenden Strahle zerschmettert!
Alle tapfern Gefährten versanken mir dort in den Abgrund.
Aber ich, der den Kiel des zertrümmerten Schiffes umschlungen,
Trieb neun Tage herum. In der zehnten der schrecklichen Nächte
Führten die Himmlischen mich gen Ogygia, wo Kalypso
255
Wohnet, die Schöngelockte, die furchtbare Göttin. Sie nahm mich
Freundlich und gastfrei auf, und reichte mir Nahrung, und sagte
Mir Unsterblichkeit zu und nimmerverblühende Jugend.
Dennoch vermochte sie nimmer mein standhaftes Herz zu bewegen.
Sieben Jahre blieb ich bei ihr, und netzte mit Tränen
260
Stets die ambrosischen Kleider, die mir Kalypso geschenket.
Als nun endlich das achte der rollenden Jahre gekommen,
Da gebot sie mir selber die Heimfahrt; weil es Kronion
Ordnete, oder ihr Herz sich geändert hatte. Sie sandte
Mich auf vielgebundenem Floß, und schenkte mir reichlich
265
Speise und süßen Wein, und gab mir ambrosische Kleider;
Ließ dann leise vor mir ein laues Lüftchen einherwehn.
Siebzehn Tage befuhr ich die ungeheuren Gewässer.
Am achtzehnten erblickt‘ ich die hohen schattigen Berge
Eures Landes von fern, und freute mich herzlich des Anblicks.
270
Ich Unglücklicher! Ach noch viele schreckliche Trübsal
Stand mir bevor, vom Zorne des Erderschüttrers Poseidon!
Plötzlich hemmt‘ er die Fahrt mit reißenden Stürmen, und hochauf
Schwoll das unendliche Meer; und die rollende Woge verbot mir,
Daß ich länger im Floße mit bangem Seufzen dahinfuhr:
275
Ihn zerschmetterte schnell die Gewalt der kommenden Windsbraut.
Aber schwimmend durchkämpft‘ ich die ungeheuren Gewässer,
Bis mich der Sturm und die Wog‘ an Euer Gestade hinanwarf.
Allda hätte mich fast ergriffen die strudelnde Brandung,
Und an die drohenden Klippen, den Ort des Entsetzens, geschmettert.
280
Aber ich eilte zurück, und schwamm herum, bis ich endlich
Kam an den Strom. Hier fand ich bequem zum Landen das Ufer,
Niedrig und felsenleer, und vor dem Winde gesichert.
Und ich sank ohnmächtig ans Land. Die ambrosische Nacht kam.
Und ich ging vom Gestade des göttlichen Stromes, und legte
285
Mich in ein dichtes Gebüsch, und häufte verdorrete Blätter
Um mich her; da sandte mir Gott unendlichen Schlummer.
Unter den Blättern dort, mit tiefbekümmerter Seele,
Schlief ich die ganze Nacht, bis zum andern Morgen und Mittag.
Als die Sonne sich neigte, verließ mich der liebliche Schlummer.
290
Und am Ufer des Meers erblickt‘ ich die spielenden Jungfraun
Deiner Tochter, mit ihnen sie selbst, den Unsterblichen ähnlich.
Dieser fleht‘ ich, und fand ein Mädchen voll edler Gesinnung.
Wahrlich sie handelte so, wie kaum ihr jugendlich Alter
Hoffen ließ; denn selten sind jüngere Leute verständig.
295
Speise reichte sie mir und funkelnden Wein zur Erquickung,
Badete mich im Strom, und schenkte mir diese Gewande.
Dieses hab‘ ich Betrübter dir jetzt aufrichtig erzählet.
Ihm antwortete drauf Alkinoos wieder, und sagte:
Fremdling, doch eine Pflicht hat meine Tochter verabsäumt!
300
Daß sie dich nicht zu uns mit ihren dienenden Jungfraun
Führte. Du hattest ja ihr zuerst um Hilfe geflehet.
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Edler, enthalte dich, die treffliche Tochter zu tadeln!
Denn sie gebot mir zu folgen mit ihren dienenden Jungfraun;
305
Aber ich weigerte mich, aus Scheu, und weil ich besorgte,
Daß sich etwa dein Herz ereiferte, wenn du es sähest.
Denn wir sind argwöhnisch, wir Menschenkinder auf Erden!
Ihm antwortete drauf Alkinoos wieder, und sagte:
Fremdling, ich trage kein Herz im Busen, welches ohn‘ Ursach‘
310
Brennte von jähem Zorn. Doch besser ist immer der Wohlstand.
Schaffte doch Vater Zeus, Athene und Phöbos Apollon,
Daß ein Mann, so wie du, so ähnlich mir an Gesinnung,
Meine Tochter begehrte, sich mir erhöre zum Eidam,
Und hier bliebe! Ich wollte dir Haus und Habe verehren,
315
Bliebest du willig hier. Doch wider Willen soll niemand
Von den Phäaken dich halten: das wolle Gott nicht gefallen!
Deine Heimfahrt aber bestimm‘ ich dir, daß du es wissest,
Morgen. Allein du wirst indessen liegen und schlafen,
Da sie die Stille des Meers durchrudern, bis du erreichest
320
Deine Heimat, dein Haus, und was dir irgendwo lieb ist;
Wär‘ es auch von hinnen noch weiter, als selbst Euböa.
Denn das liegt sehr ferne: so sagen unsere Leute,
Die es sahn, da sie einst Radamanthus den Bräunlichgelockten
Fuhren, der Tityos dort, den Sohn der Erde, besuchte;
325
Und sie kamen dahin, und vollbrachten an einem Tage
Ohne Mühe die Fahrt, und brachten ihn wieder zur Heimat.
Lernen sollst du es selber, wie sehr sie vor allen geübt sind,
Meine Jüngling‘ und Schiffe, mit Rudern das Meer zu durchfliegen!
Sprach’s; und freudig vernahm es der herrliche Dulder Odysseus.
330
Drauf begann er zu reden, und brach in ein lautes Gebet aus:
Vater Zeus, o gib, daß Alkinoos alles vollende,
Was er verheißt! Dann strahlt auf lebenschenkender Erd
Unauslöschlich sein Ruhm: ich aber kehre zur Heimat!
Also besprachen diese sich jetzo untereinander.
335
Aber den Mägden befahl die lilienarmige Fürstin,
Unter die Hall‘ ein Bette zu setzen, unten von Purpur
Prächtige Polster zu legen, und Teppiche drüber zu breiten,
Hierauf wollige Mäntel zur Oberdecke zu legen.
Und sie enteilten dem Saal‘, in den Händen die leuchtende Fackel.
340
Als sie jetzo geschäftig das warme Lager bereitet,
Gingen sie hin, und ermahnten den göttergleichen Odysseus:
Fremdling, gehe nun schlafen; dein Lager ist schon bereitet.
Also die Mägd‘; und ihm war sehr willkommen die Ruhe.
Also schlummerte dort der herrliche Dulder Odysseus,
345
Unter der tönenden Hall‘, im schöngebildeten Bette.
Aber Alkinoos schlief im Innern des hohen Palastes,
Und die Königin schmückte das Eh’bett ihres Gemahles.

Sechster Gesang

Sechster Gesang

Nausikaa, des Königs Alkinoos‘ Tochter, von Athene im Traum ermahnt, fährt ihre Gewande zu waschen an den Strom, und spielt darauf mit den Mägden. Odysseus, den das Geräusch weckte, naht flehend, erhält Pflege und Kleidung, und folgt der Beschützerin bis zum Pappelhain der Athene vor der Stadt.

Also schlummerte dort der herrliche Dulder Odysseus,
Überwältigt von Schlaf und Arbeit. Aber Athene
Ging hinein in das Land zur Stadt der phäakischen Männer.
Diese wohnten vordem in Hypereiens Gefilde,
5
Nahe bei den Kyklopen, den übermütigen Männern,
Welche sie immer beraubten, und mächtiger waren und stärker.
Aber sie führte von dannen Nausithoos, ähnlich den Göttern,
Brachte gen Scheria sie, fern von den erfindsamen Menschen,
Und umringte mit Mauren die Stadt, und richtete Häuser,
10
Baute Tempel der Götter, und teilte dem Volke die Äcker.
Dieser war jetzo schon tot und in der Schatten Behausung;
Und Alkinoos herrschte, begabt von den Göttern mit Weisheit.
Dessen Hause nahte sich jetzo Pallas Athene,
Auf die Heimkehr denkend des edelgesinnten Odysseus.
15
Und sie eilte sofort in die prächtige Kammer der Jungfrau,
Wo Nausikaa schlief, des hohen Alkinoos Tochter,
Einer Unsterblichen gleich an Wuchs und reizender Bildung.
Und zwei Mädchen schliefen, geschmückt mit der Grazien Anmut,
Neben den Pfosten, und dicht war die glänzende Pforte verschlossen.
20
Aber sie schwebte, wie wehende Luft, zum Lager der Jungfrau,
Neigte sich über ihr Haupt, und sprach mit freundlicher Stimme,
Gleich an Gestalt der Tochter des segelkundigen Dymas,
Ihrer liebsten Gespielin, mit ihr von einerlei Alter;
Dieser gleich an Gestalt erschien die Göttin, und sagte:
25
Liebes Kind, was bist du mir doch ein lässiges Mädchen!
Deine kostbaren Kleider, wie alles im Wuste herumliegt!
Und die Hochzeit steht dir bevor! Da muß doch was Schönes
Sein für dich selber, und die, so dich zum Bräutigam führen!
Denn durch schöne Kleider erlangt man ein gutes Gerüchte
30
Bei den Leuten; auch freun sich dessen Vater und Mutter.
Laß uns denn eilen und waschen, sobald der Morgen sich rötet!
Ich will deine Gehilfin sein, damit du geschwinder
Fertig werdest; denn Mädchen, du bleibst nicht lange mehr Jungfrau.
Siehe, es werben ja schon die edelsten Jüngling‘ im Volke
35
Aller Phäaken um dich; denn du stammst selber von Edlen.
Auf! erinnere noch vor der Morgenröte den Vater,
Daß er mit Mäulern dir den Wagen bespanne, worauf man
Lade die schönen Gewande, die Gürtel und prächtigen Decken.
Auch für dich ist es so bequemer, als wenn du zu Fuße
40
Gehen wolltest; denn weit von der Stadt sind die Spülen entlegen.
Also redete Zeus‘ blauäugichte Tochter, und kehrte
Wieder zum hohen Olympos, der Götter ewigem Wohnsitz,
Nie von Orkanen erschüttert, vom Regen immer beflutet,
Nimmer bestöbert vom Schnee; die wolkenloseste Heitre
45
Wallet ruhig umher, und deckt ihn mit schimmerndem Glanze:
Dort erfreut sich ewig die Schar der seligen Götter.
Dorthin kehrte die Göttin, nachdem sie das Mädchen ermahnet.
Und der goldene Morgen erschien, und weckte die Jungfrau
Mit den schönen Gewanden. Sie wunderte sich des Traumes.
50
Schnell durcheilte sie jetzo die Wohnungen, daß sie den Eltern,
Vater und Mutter, ihn sagte; und fand sie beide zu Hause.
Diese saß an dem Herd‘, umringt von dienenden Weibern,
Drehend die zierliche Spindel mit purpurner Wolle; und jener
Kam an der Pfort‘ ihr entgegen: er ging zu der glänzenden Fürsten
55
Ratsversammlung, wohin die edlen Phäaken ihn riefen.
Und Nausikaa trat zum lieben Vater, und sagte:
Lieber Papa, laß mir doch einen Wagen bespannen,
Hoch, mit hurtigen Rädern; damit ich die kostbare Kleidung,
Die mir im Schmutze liegt, an den Strom hinfahre zum Waschen.
60
Denn dir selber geziemt es, mit reinen Gewanden bekleidet
In der Ratsversammlung der hohen Phäaken zu sitzen.
Und es wohnen im Haus auch fünf erwachsene Söhne,
Zween von ihnen vermählt, und drei noch blühende Knaben;
Diese wollen beständig mit reiner Wäsche sich schmücken,
65
Wenn sie zum Reigen gehn; und es kommt doch alles auf mich an.
Also sprach sie, und schämte sich, von der lieblichen Hochzeit
Vor dem Vater zu reden; doch merkt‘ er alles, und sagte:
Weder die Mäuler, mein Kind, sei’n dir geweigert, noch sonst was.
Geh, es sollen die Knechte dir einen Wagen bespannen,
70
Hoch, mit hurtigen Rädern, und einem geflochtenen Korbe.
Also sprach er, und rief; und schnell gehorchten die Knechte,
Rüsteten außer der Halle den Wagen mit rollenden Rädern,
Führten die Mäuler hinzu, und spanneten sie an die Deichsel.
Und Nausikaa trug die köstlichen feinen Gewande
75
Aus der Kammer, und legte sie auf den zierlichen Wagen.
Aber die Mutter legt‘ ihr allerlei süßes Gebacknes
Und Gemüs‘ in ein Körbchen, und gab ihr des edelsten Weines
Im geißledernen Schlauch; (und die Jungfrau stieg auf den Wagen;)
Gab ihr auch geschmeidiges Öl in goldener Flasche,
80
Daß sie sich nach dem Bade mit ihren Gehilfinnen salbte.
Und Nausikaa nahm die Geißel und purpurnen Zügel;
Treibend schwang sie die Geißel: und hurtig mit lautem Gepolter
Trabten die Mäuler dahin, und zogen die Wäsch‘ und die Jungfrau,
Nicht sie allein, sie wurde von ihren Mägden begleitet.
85
Als sie nun das Gestade des herrlichen Stromes erreichten,
Wo sich in rinnende Spülen die nimmerversiegende Fülle
Schöner Gewässer ergoß, die schmutzigsten Flecken zu säubern;
Spannten die Jungfraun schnell von des Wagens Deichsel die Mäuler,
Ließen sie an dem Gestade des silberwirbelnden Stromes
90
Weiden im süßen Klee, und nahmen vom Wagen die Kleidung,
Trugen sie Stück für Stück in der Gruben dunkles Gewässer,
Stampften sie drein mit den Füßen, und eiferten untereinander.
Als sie ihr Zeug nun gewaschen und alle Flecken gereinigt,
Breiteten sie’s in Reihen am warmen Ufer des Meeres,
95
Wo die Woge den Strand mit glatten Kieseln bespület.
Und nachdem sie gebadet und sich mit Öle gesalbet,
Setzten sie sich zum Mahl am grünen Gestade des Stromes,
Harrend, bis ihre Gewand‘ am Strahle der Sonne getrocknet.
Als sich Nausikaa jetzt und die Dirnen mit Speise gesättigt,
100
Spieleten sie mit dem Ball, und nahmen die Schleier vom Haupte.
Unter den Fröhlichen hub die schöne Fürstin ein Lied an.
Wie die Göttin der Jagd durch Erymanthos‘ Gebüsche
Oder Taygetos‘ Höhn mit Köcher und Bogen einhergeht,
Und sich ergötzt, die Eber und schnellen Hirsche zu fällen;
105
Um sie spielen die Nymphen, Bewohnerinnen der Felder,
Töchter des furchtbaren Zeus; und herzlich freuet sich Leto;
Denn vor allen erhebt sie ihr Haupt und herzliches Antlitz,
Und ist leicht zu erkennen im ganzen schönen Gefolge:
Also ragte vor allen die hohe blühende Jungfrau.
110
Aber da sie nunmehr sich rüstete, wieder zur Heimfahrt
Anzuspannen die Mäuler, und ihre Gewande zu falten;
Da ratschlagete Zeus‘ blauäugichte Tochter Athene,
Wie Odysseus erwachte, und sähe die liebliche Jungfrau,
Daß sie den Weg ihn führte zur Stadt der phäakischen Männer.
115
Und Nausikaa warf den Ball auf eine der Dirnen;
Dieser verfehlte die Dirn‘, und fiel in die wirbelnde Tiefe;
Und laut kreischten sie auf. Da erwachte der edle Odysseus,
Sitzend dacht‘ er umher im zweifelnden Herzen, und sagte:
Weh mir! zu welchem Volke bin ich nun wieder gekommen?
120
Sind’s unmenschliche Räuber und sittenlose Barbaren;
Oder Diener der Götter, und Freunde des heiligen Gastrechts?
Eben umtönte mich ein Weibergekreisch, wie der Nymphen,
Welche die steilen Häupter der Felsengebirge bewohnen,
Und die Quellen der Flüsse und grasbewachsenen Täler!
125
Bin ich hier etwa nahe bei redenden Menschenkindern?
Auf! ich selber will hin, und zusehn, was es bedeute!
Also sprach er, und kroch aus dem Dickicht, der edle Odysseus,
Brach mit der starken Faust sich aus dem dichten Gebüsche
Einen laubichten Zweig, des Mannes Blöße zu decken;
130
Ging dann einher, wie ein Leu des Gebirgs, voll Kühnheit und Stärke,
Welcher durch Regen und Sturm hinwandelt; die Augen im Haupte
Brennen ihm; furchtbar geht er zu Rindern oder zu Schafen,
Oder zu flüchtigen Hirschen des Waldes; ihn spornet der Hunger
Selbst in verschlossene Höf‘, ein kleines Vieh zu erhaschen:
135
Also ging der Held, in den Kreis schönlockiger Jungfraun
Sich zu mischen, so nackend er war; ihn spornte die Not an.
Furchtbar erschien er den Mädchen, vom Schlamm des Meeres besudelt;
Hiehin und dorthin entflohn sie, und bargen sich hinter die Hügel.
Nur Nausikaa blieb. Ihr hatte Pallas Athene
140
Mut in die Seele gehaucht, und die Furcht den Gliedern entnommen.
Und sie stand, und erwartete ihn. Da zweifelt‘ Odysseus:
Ob er flehend umfaßte die Kniee der reizenden Jungfrau,
Oder, so wie er war, von ferne mit schmeichelnden Worten
Bäte, daß sie die Stadt ihm zeigt‘, und Kleider ihm schenkte.
145
Dieser Gedanke schien dem Zweifelnden endlich der beste.
So wie er war, von ferne mit schmeichelnden Worten zu flehen;
Daß ihm das Mädchen nicht zürnte, wenn er die Kniee berührte.
Schmeichelnd begann er sogleich die schlau ersonnenen Worte:
Hohe, dir fleh ich; du seist eine Göttin, oder ein Mädchen!
150
Bist du eine der Göttinnen, welche den Himmel beherrschen;
Siehe so scheinst du mir der Tochter des großen Kronions
Artemis gleich an Gestalt, an Größe und reizender Bildung!
Bist du eine der Sterblichen, welche die Erde bewohnen;
Dreimal selig dein Vater und deine treffliche Mutter,
155
Dreimal selig die Brüder! Ihr Herz muß ja immer von hoher
Überschwenglicher Wonne bei deiner Schöne sich heben,
Wenn sie sehn, wie ein solches Gewächs zum Reigen einhergeht!
Aber keiner ermißt die Wonne des seligen Jünglings,
Der, nach großen Geschenken, als Braut zu Hause dich führet!
160
Denn ich sahe noch nie solch einen sterblichen Menschen,
Weder Mann noch Weib! Mit Staunen erfüllt mich der Anblick!
Ehmals sah ich in Delos, am Altar Phöbos Apollons,
Einen Sprößling der Palme von so erhabenem Wuchse.
Denn auch dorthin kam ich, von vielem Volke begleitet,
165
Jenes Weges, der mir so vielen Jammer gebracht hat!
Und ich stand auch also vor ihm, und betrachtet‘ ihn lange
Staunend; denn solch ein Stamm war nie dem Boden entwachsen.
Also bewundre ich dich, und staun‘, und zittre vor Ehrfurcht,
Deine Kniee zu rühren! Doch groß ist mein Elend, o Jungfrau!
170
Gestern am zwanzigsten Tag entfloh ich dem dunkeln Gewässer;
Denn so lange trieb mich die Flut und die wirbelnden Stürme
Von der ogygischen Insel. Nun warf ein Dämon mich hieher,
Daß ich auch hier noch dulde! Denn noch erwart‘ ich des Leidens
Ende nicht; mir ward viel mehr von den Göttern beschieden!
175
Aber erbarme dich, Hohe! Denn nach unendlicher Trübsal
Fand ich am ersten dich, und kenne der übrigen Menschen
Keinen, welche die Stadt und diese Gefilde bewohnen.
Zeige mich hin zur Stadt, und gib mir ein Stück zur Bedeckung,
Etwa ein Wickeltuch, worin du die Wäsche gebracht hast!
180
Mögen die Götter dir schenken, so viel dein Herz nur begehret,
Einen Mann und ein Haus, und euch mit seliger Eintracht
Segnen! Denn nichts ist besser und wünschenswerter auf Erden,
Als wenn Mann und Weib, in herzlicher Liebe vereinigt,
Ruhig ihr Haus verwalten: den Feinden ein kränkender Anblick,
185
Aber Wonne den Freunden; und mehr noch genießen sie selber!
Ihm antwortete drauf die lilienarmige Jungfrau:
Keinem geringen Manne noch törichten gleichst du, o Fremdling.
Aber der Gott des Olympos erteilet selber den Menschen,
Vornehm oder geringe, nach seinem Gefallen ihr Schicksal.
190
Dieser beschied dir dein Los, und dir geziemt es zu dulden.
Jetzt, da du unserer Stadt und unsern Gefilden dich nahest,
Soll es weder an Kleidung, noch etwas anderm, dir mangeln,
Was unglücklichen Fremden, die Hilfe suchen, gebühret.
Zeigen will ich die Stadt, und des Volkes Namen dir sagen:
195
Wir Phäaken bewohnen die Stadt und diese Gefilde.
Aber ich selber bin des hohen Alkinoos‘ Tochter,
Dem des phäakischen Volkes Gewalt und Stärke vertraut ist.
Also sprach sie, und rief den schöngelockten Gespielen:
Dirnen, steht mir doch still! wo fliehet ihr hin vor dem Manne?
200
Meinet ihr etwa, er komme zu uns in feindlicher Absicht?
Wahrlich, der lebt noch nicht, und niemals wird er geboren,
Welcher käm‘ in das Land der phäakischen Männer, mit Feindschaft
Unsre Ruhe zu stören; denn sehr geliebt von den Göttern,
Wohnen wir abgesondert im wogenrauschenden Meere,
205
An dem Ende der Welt, und haben mit keinem Gemeinschaft.
Nein, er kommt zu uns, ein armer irrender Fremdling,
Dessen man pflegen muß. Denn Zeus gehören ja alle
Fremdling‘ und Darbende an; und kleine Gaben erfreun auch.
Kommt denn, ihr Dirnen, und gebt dem Manne zu essen und trinken;
210
Und dann badet ihn unten im Fluß, wo Schutz vor dem Wind ist.
Also sprach sie. Da standen sie still, und riefen einander,
Führten Odysseus hinab zum schattigen Ufer des Stromes,
Wie es Nausikaa hieß, des hohen Alkinoos‘ Tochter;
Legten ihm einen Mantel und Leibrock hin zur Bedeckung,
215
Gaben ihm auch geschmeidiges Öl in goldener Flasche,
Und geboten ihm jetzt, in den Wellen des Flusses zu baden.
Und zu den Jungfraun sprach der göttergleiche Odysseus:
Tretet ein wenig beiseit‘, ihr Mädchen, daß ich mir selber
Von den Schultern das Salz abspül‘, und mich ringsum mit Öle
220
Salbe; denn wahrlich schon lang entbehr‘ ich dieser Erfrischung!
Aber ich bade mich nimmer vor euch, ich würde mich schämen,
Nackend zu stehn, in Gegenwart schönlockiger Jungfraun.
Also sprach er, sie gingen beiseit‘, und sagten’s der Fürstin.
Und nun wusch in dem Strom der edle Dulder das Meersalz,
225
Welches den Rücken ihm und die breiten Schultern bedeckte,
Rieb sich dann von dem Haupte den Schaum der wüsten Gewässer.
Und nachdem er gebadet, und sich mit Öle gesalbet;
Zog er die Kleider an, die Geschenke der blühenden Jungfrau.
Siehe da schuf ihn Athene, die Tochter des großen Kronions,
230
Höher und jugendlicher an Wuchs, und goß von der Scheitel
Ringelnde Locken herab, wie der Purpurlilien Blüte.
Also umgießt ein Mann mit feinem Golde das Silber,
Welchen Hephästos selbst und Pallas Athene die Weisheit
Vieler Künste gelehrt, und bildet reizende Werke:
235
Also umgoß die Göttin ihm Haupt und Schultern mit Anmut.
Und er ging ans Ufer des Meers, und setzte sich nieder,
Strahlend von Schönheit und Reiz. Mit Staunen sah ihn die Jungfrau
Leise begann sie, und sprach zu den schöngelockten Gespielen:
Höret mich an, weißarmige Mädchen, was ich euch sage!
240
Nicht von allen Göttern verfolgt, die den Himmel bewohnen,
Kam der Mann in das Land der göttergleichen Phäaken!
Anfangs schien er gering und unbedeutend von Ansehn;
Jetzo gleicht er den Göttern, des weiten Himmels Bewohnern.
Würde mir doch ein Gemahl von solcher Bildung bescheret,
245
Unter den Fürsten des Volks; und gefiel es ihm selber zu bleiben!
Aber, ihr Mädchen, gebt dem Manne zu essen und trinken.
Also sprach sie; ihr hörten die Mägde mit Fleiß, und gehorchten:
Nahmen des Tranks und der Speis‘, und brachten’s dem Fremdling am Ufer.
Und nun aß er und trank, der herrliche Dulder Odysseus,
250
Voller Begier, denn er hatte schon lange nicht Speise gekostet.
Und ein Neues ersann die lilienarmige Jungfrau:
Lud auf den zierlichen Wagen die wohlgefalteten Kleider,
Spannte davor die Mäuler mit starken Hufen, bestieg ihn,
Und ermunterte dann Odysseus, rief ihm und sagte:
255
Fremdling, mache dich auf, in die Stadt zu gehen! Ich will dich
Führen zu meines Vaters, des weisen Helden, Palaste,
Wo du auch sehen wirst die edelsten aller Phäaken.
Tu nur, was ich dir sage; du scheinst mir nicht unverständig.
Siehe, so lange der Weg durch Felder und Saaten dahingeht,
260
Folge mit meinen Mägden dem mäulerbespanneten Wagen
Hurtig zu Fuße nach, wie ich im Wagen euch fahre.
Aber sobald wir die Stadt erreichen, welche die hohe
Mauer umringt: (An jeglicher Seit‘ ist ein trefflicher Hafen,
Und die Einfahrt schmal; denn gleichgezimmerte Schiffe
265
Engen den Weg, und ruhn, ein jedes auf seinem Gestelle.
Allda ist auch ein Markt um den schönen Tempel Poseidons,
Ringsumher mit großen gehauenen Steinen gepflastert;
Wo man alle Geräte der schwarzen Schiffe bereitet,
Segeltücher und Seile, und schöngeglättete Ruder.
270
Denn die Phäaken kümmern sich nicht um Köcher und Bogen;
Aber Masten und Ruder und gleichgezimmerte Schiffe,
Diese sind ihre Freude, womit sie die Meere durchfliegen.)
Siehe, da mied‘ ich gerne die bösen Geschwätze, daß niemand
Uns nachhöhnte; man ist sehr übermütig im Volke!
275
Denn es sagte vielleicht ein Niedriger, der uns begegnet:
Seht doch, was folgt Nausikaen dort für ein schöner und großer
Fremdling? Wo fand sie den? Der soll gewiß ihr Gemahl sein!
Holte sie diesen vielleicht aus seinem Schiffe, das fernher
Sturm und Woge verschlug? Denn nahe wohnet uns niemand.
280
Oder kam gar ein Gott auf ihr inbrünstiges Flehen
Hoch vom Himmel herab, bei ihr zeitlebens zu bleiben?
Besser war’s, daß sie selber hinausging, sich aus der Fremde
Einen Gemahl zu suchen; denn unsre phäakischen Freier
Sind ihr wahrlich zu schlecht, die vielen Söhne der Edeln!
285
Also sagten die Leut‘, und es wär‘ auch wider den Wohlstand.
Denn ich tadelte selber an andern solches Verfahren,
Wenn man, der Eltern Liebe mit Ungehorsam belohnend,
Sich zu Männern gesellte vor öffentlicher Vermählung.
Aber vernimm, o Fremdling, was ich dir rate; wofern du
290
Wünschest, daß bald mein Vater in deine Heimat dich sende.
Nah am Weg‘ ist ein Pappelgehölz, Athenen geheiligt.
Ihm entsprudelt ein Quell, und tränkt die grünende Wiese,
Wo mein Vater ein Haus mit fruchtbaren Gärten gebaut hat,
Nur so weit von der Stadt, wie die Stimme des Rufenden schallet.
295
Allda setze dich nieder im Schatten des Haines, und warte,
Bis wir kommen zur Stadt, und des Vaters Wohnung erreichen.
Aber sobald du meinst, daß wir die Wohnung erreichet;
Mache dich auf, und gehe zur Stadt der Phäaken, und frage
Dort nach meines Vaters, des hohen Alkinoos‘, Wohnung.
300
Leicht ist diese zu kennen, der kleinste Knab‘ auf der Gasse
Führet dich hin. Denn nicht auf gleiche Weise gebauet
Sind der Phäaken Paläste; des Helden Alkinoos‘ Wohnung
Strahlt vor allen. Und bist du im ringsumbaueten Vorhof,
Dann durcheile den Saal, und geh zur inneren Wohnung
305
Meiner Mutter. Sie sitzt am glänzenden Feuer des Herdes,
Drehend die zierliche Spindel mit purpurfarbener Wolle,
An die Säule gelehnt; und hinter ihr sitzen die Jungfraun.
Neben ihr steht ein Thron für meinen Vater, den König,
Wo er, wie ein Unsterblicher, ruht, und mit Weine sich labet.
310
Diesen gehe vorbei, und umfasse mit flehenden Händen
Unserer Mutter Kniee; damit du den Tag der Zurückkunft
Freudig sehest und bald, du wohnest auch ferne von hinnen.
Denn ist diese dir nur in ihrem Herzen gewogen,
O dann hoffe getrost, die Freunde wiederzusehen,
315
Und dein prächtiges Haus, und deiner Väter Gefilde!
Also sprach die Fürstin, und zwang mit glänzender Geißel
Ihre Mäuler zum Lauf; sie enteilten dem Ufer des Stromes,
Trabten hurtig von dannen, und bogen behende die Schenkel.
Aber sie hielt sie im Zügel, damit ihr die Gehenden folgten,
320
Ihre Mägd‘ und Odysseus, und schwang die Geißel mit Klugheit.
Und die Sonne sank; und sie kamen zum schönen Gehölze,
Pallas‘ heiligem Hain. Hier setzt‘ Odysseus sich nieder.
Und er betete schnell zur Tochter des großen Kronions:
Höre mich, siegende Tochter des wetterleuchtenden Gottes!
325
Höre mich endlich einmal, da du vormals nimmer mich hörtest,
Als der gestadumstürmende Gott mich zürnend umherwarf!
Laß mich vor diesem Volk Barmherzigkeit finden und Gnade!
Also sprach er flehend; ihn hörete Pallas Athene.
Aber noch erschien sie ihm nicht; sie scheute den Bruder
330
Ihres Vaters: er zürnte dem göttergleichen Odysseus
Unablässig, bevor er die Heimat wieder erreichte.

Fünfter Gesang

Fünfter Gesang

Zeus befiehlt durch Hermes der Kalypso, den Odysseus zu entlassen. Ungern gehorchend, versorgt sie den Odysseus mit Gerät, ein Floß zu bauen, und mit Reisekost. Am achtzehnten Tage der Fahrt sendet Poseidon ihm Sturm, der den Floß zertrümmert. Leukothea sichert ihn durch ihren Schleier. Am dritten Tage erreicht er der Phäaken Insel Scheria, rettet sich aus der Felsenbrandung in die Mündung des Stroms, und ersteigt einen
waldigen Hügel, wo er in abgefallenen Blättern schläft.

Und die rosige Frühe entstieg des edlen Tithonos
Lager, und brachte das Licht den Göttern und sterblichen Menschen.
Aber die Götter saßen zum Rate versammelt; mit ihnen
Saß der Donnerer Zeus, der alle Dinge beherrschet.
5
Und Athene gedachte der vielen Leiden Odysseus‘,
Welchen Kalypso hielt, und sprach zu der Götter Versammlung:
Vater Zeus, und ihr andern, unsterbliche selige Götter,
Künftig befleißige sich keiner der scepterführenden Herrscher,
Huldreich, mild und gnädig zu sein, und die Rechte zu schützen;
10
Sondern er wüte nur stets und frevle mit grausamer Seele!
Niemand erinnert sich ja des göttergleichen Odysseus
Von den Völkern, die er mit Vaterliebe beherrschte!
Sondern er liegt in der Insel, mit großem Kummer belastet,
In dem Hause der Nymphe Kalypso, die mit Gewalt ihn
15
Hält; und wünschet umsonst, die Heimat wiederzusehen:
Denn es gebricht ihm dort an Ruderschiffen und Männern,
Über den breiten Rücken des Meeres ihn zu geleiten.
Jetzo beschlossen sie gar des einzigen Sohnes Ermordung.
Wann er zur Heimat kehrt; er forscht nach Kunde vorn Vater
20
In der göttlichen Pylos und Lakedämon der großen.
Ihr antwortete drauf der Wolkenversammler Kronion:
Welche Rede, mein Kind, ist deinen Lippen entflohen?
Hast du nicht selber den Rat in deinem Herzen ersonnen,
Daß heimkehrend jenen Odysseus Rache vergelte?
25
Aber Telemachos führe mit Sorgfalt, denn du vermagst es:
Daß er ohne Gefahr sein heimisches Ufer erreiche,
Und die Freier im Schiffe vergebens wieder zurückziehn.
Sprach’s, und redete drauf zu seinem Sohne Hermeias:
Hermes, meiner Gebote Verkündiger, melde der Nymphe
30
Mit schönwallenden Locken der Götter heiligen Ratschluß
Über den leidengeübten Odysseus! Er kehre von dannen
Ohne der Götter Geleit, und ohne der sterblichen Menschen!
Einsam, im vielgebundenen Floß, von Schrecken umstürmet,
Komm‘ er am zwanzigsten Tage zu Scherias fruchtbaren Auen,
35
In das glückliche Land der götternahen Phäaken!
Diese werden ihn hoch, wie einen Unsterblichen, ehren,
Und ihn senden im Schiffe zur lieben heimischen Insel,
Reichlich mit Erz und Golde beschenkt und prächtigen Kleidern,
Mehr als jemals der Held von Ilion hätte geführet,
40
Wär‘ er auch ohne Schaden mit seiner Beute gekommen!
Also gebeut ihm das Schicksal, die Freunde wiederzuschauen,
Und den hohen Palast und seiner Väter Gefilde!
Also sprach Kronion. Der rüstige Argosbesieger
Eilte sofort, und band sich unter die Füße die schönen
45
Goldnen ambrosischen Sohlen, womit er über die Wasser
Und das unendliche Land im Hauche des Windes einherschwebt.
Hierauf nahm er den Stab, womit er die Augen der Menschen
Zuschließt, welcher er will, und wieder vom Schlummer erwecket.
Diesen hielt er und flog, der tapfere Argosbesieger,
50
Stand auf Pieria still, und senkte sich schnell aus dem Äther
Nieder aufs Meer, und schwebte dann über die Flut, wie die Möwe,
Die um furchtbare Busen des ungebändigten Meeres
Fische fängt, und sich oft die flüchtigen Fittiche netzet:
Also beschwerte Hermeias die weithinwallende Fläche.
55
Als er die ferne Insel Ogygia jetzo erreichte,
Stieg er aus dem Gewässer des dunkeln Meeres ans Ufer,
Wandelte fort, bis er kam zur weiten Grotte der Nymphe
Mit schönwallenden Locken, und fand die Nymphe zu Hause.
Vor ihr brannt‘ auf dem Herd‘ ein großes Feuer, und fernhin
60
Wallte der liebliche Duft vom brennenden Holze der Ceder
Und des Citronenbaums. Sie sang mit melodischer Stimme,
Emsig, ein schönes Gewebe mit goldener Spule zu wirken.
Rings um die Grotte wuchs ein Hain voll grünender Bäume,
Pappelweiden und Erlen und düftereicher Cypressen.
65
Unter dem Laube wohnten die breitgefiederten Vögel,
Eulen und Habichte und breitzüngichte Wasserkrähen,
Welche die Küste des Meers mit gierigem Blicke bestreifen.
Um die gewölbete Grotte des Felsens breitet‘ ein Weinstock
Seine scharrenden Ranken, behängt mit purpurnen Trauben.
70
Und vier Quellen ergossen ihr silberblinkendes Wasser,
Eine nahe der andern, und schlängelten hierhin und dorthin.
Wiesen grünten umher, mit Klee bewachsen und Eppich.
Selbst ein unsterblicher Gott verweilete, wann er vorbeiging,
Voll Verwunderung dort, und freute sich herzlich des Anblicks.
75
Voll Verwunderung stand der rüstige Argosbesieger;
Und nachdem er alles in seinem Herzen bewundert,
Ging er eilend hinein in die schöngewölbete Grotte.
Ihn erkannte sogleich die hehre Göttin Kalypso:
Denn die unsterblichen Götter verkennen nimmer das Antlitz
80
Eines anderen Gottes, und wohnt‘ er auch ferne von dannen.
Aber nicht Odysseus den Herrlichen fand er zu Hause;
Weinend saß er am Ufer des Meers. Dort saß er gewöhnlich,
Und zerquälte sein Herz mit Weinen und Seufzen und Jammern,
Und durchschaute mit Tränen die große Wüste des Meeres.
85
Aber dem Kommenden setzte die hehre Göttin Kalypso
Einen prächtigen Thron von strahlender Arbeit, und fragte:
Warum kamst du zu mir, du Gott mit goldenem Stabe,
Hermes, Geehrter, Geliebter? Denn sonst besuchst du mich niemals.
Sage, was du verlangst; ich will es gerne gewähren,
90
Steht es in meiner Macht, und sind es mögliche Dinge.
Aber komm doch näher, daß ich dich gastlich bewirte.
Also sprach Kalypso, und setzte dem Gott die Tafel
Voll Ambrosia vor, und mischte rötlichen Nektar.
Und nun aß er und trank, der rüstige Argosbesieger.
95
Und nachdem er gegessen, und seine Seele gelabet;
Da begann er und sprach zur hehren Göttin Kalypso:
Fragst du, warum ich komme, du Göttin den Gott? Ich will dir
Dieses alles genau verkündigen, wie du befiehlest.
Zeus gebot mir hieher, ohn‘ meinen Willen, zu wandern!
100
Denn wer ginge wohl gern durch dieses salzigen Meeres
Unermeßliche Flut? Ringsum ist keine der Städte,
Wo man die Götter mit Opfern und Hekatomben begrüßet!
Aber kein Himmlischer mag dem wetterleuchtenden Gotte
Zeus entgegen sich stellen, noch seinen Willen vereiteln.
105
Dieser sagt, es weile der Unglückseligste aller
Männer bei dir, die Priamos‘ Stadt neun Jahre bekämpften,
Und am zehnten darauf mit Ilions Beute zur Heimat
Kehreten, aber Athene durch Missetaten erzürnten,
Daß sie die Göttin mit Sturm und hohen Fluten verfolgte.
110
Alle tapfern Gefährten versanken ihm dort in den Abgrund;
Aber er selbst kam hier, von Sturm und Woge geschleudert.
Jetzo gebeut dir der Gott, daß du ihn eilig entlassest.
Denn ihm ward nicht bestimmt, hier fern von den Seinen zu sterben;
Sondern sein Schicksal ist, die Freunde wiederzuschauen,
115
Und sein prächtiges Haus, und seiner Väter Gefilde.
Als er es sprach, da erschrak die hehre Göttin Kalypso.
Und sie redet‘ ihn an, und sprach die geflügelten Worte:
Grausam seid ihr vor allen und neidisches Herzens, o Götter!
Jeglicher Göttin verargt ihr die öffentliche Vermählung
120
Mit dem sterblichen Manne, den sie zum Gatten erkoren.
Als den schönen Orion die rosenarmige Eos
Raubte, da zürnetet ihr so lang‘, ihr seligen Götter,
Bis in Ortygia ihn die goldenthronende Jungfrau
Artemis plötzlich erregte mit ihrem sanften Geschosse.
125
Als in Jasions Arm die schöngelockte Demeter,
Ihrem Herzen gehorchend, auf dreimalgeackertem Saatfeld
Seliger Liebe genoß; wie bald erfuhr die Umarmung
Zeus, und erschlug ihn im Zorne mit seinem flammenden Donner!
Also verargt ihr auch mir des sterblichen Mannes Gemeinschaft,
130
Den ich vom Tode gewann, als er auf zertrümmertem Kiele
Einsam trieb; denn ihm hatte der Gott hochrollender Donner
Mitten im Meere sein Schiff mit dem dampfenden Strahle zerschmettert.
Alle tapfern Gefährten versanken ihm dort in den Abgrund;
Aber er selbst kam hier von Sturm und Woge geschleudert.
135
Freundlich nahm ich ihn auf, und reicht‘ ihm Nahrung, und sagte
Ihm Unsterblichkeit zu und nimmerverblühende Jugend.
Aber kein Himmlischer mag dem wetterleuchtenden Gotte
Zeus entgegen sich stellen, noch seinen Willen vereiteln.
Mög‘ er denn gehn, wo ihn des Herrschers Wille hinwegtreibt,
140
Über das wilde Meer! Doch senden werd‘ ich ihn nimmer;
Denn mir gebricht es hier an Ruderschiffen und Männern,
Über den weiten Rücken des Meeres ihn zu geleiten.
Aber ich will ihm mit Rat beistehn, und nichts ihm verhehlen;
Daß er ohne Gefahr die Heimat wieder erreiche.
145
Ihr antwortete drauf der rüstige Argosbesieger:
Send‘ ihn also von hinnen, und scheue den großen Kronion,
Daß dich der Zürnende nicht mit schrecklicher Rache verfolge!
Also sprach er und ging, der tapfere Argosbesieger.
Aber Kalypso eilte zum großgesinnten Odysseus,
150
Als die heilige Nymphe Kronions Willen vernommen,
Dieser saß am Gestade des Meers, und weinte beständig,
Ach! in Tränen verrann sein süßes Leben, voll Sehnsucht
Heimzukehren: denn lange nicht mehr gefiel ihm die Nymphe;
Sondern er ruhte des Nachts in ihrer gewölbeten Grotte
155
Ohne Liebe bei ihr, ihn zwang die liebende Göttin;
Aber des Tages saß er auf Felsen und sandigen Hügeln,
Und zerquälte sein Herz mit Weinen und Seufzen und Jammern
Und durchschaute mit Tränen die große Wüste des Meeres.
Jetzo nahte sich ihm und sprach die herrliche Göttin:
160
Armer, sei mir nicht immer so traurig, und härme dein Leben
Hier nicht ab; ich bin ja bereit, dich von mir zu lassen.
Haue zum breiten Floß dir hohe Bäume, verbinde
Dann die Balken mit Erz, und oben befestige Bretter;
Daß er über die Wogen des dunkeln Meeres dich trage.
165
Siehe dann will ich dir Brot und Wasser reichen, und roten
Herzerfreuenden Wein, damit dich der Hunger nicht töte;
Dich mit Kleidern umhüllen, und günstige Winde dir senden;
Daß du ohne Gefahr die Heimat wieder erreichest,
Wenn es die Götter gestatten, des weiten Himmels Bewohner,
170
Welche höher als ich an Weisheit sind und an Stärke.
Als sie es sprach, da erschrak der herrliche Dulder Odysseus.
Und er redet‘ sie an, und sprach die geflügelten Worte:
Wahrlich du denkst ein andres, als mich zu senden, o Göttin,
Die du mich heißeste im Floße des unermeßlichen Meeres
175
Furchtbare Flut zu durchfahren, die selbst kein künstlichgebautes
Rüstiges Schiff durchfährt, vom Winde Gottes erfreuet!
Nimmer besteig‘ ich den Floß ohn‘ deinen Willen, o Göttin,
Du willfahrest mir denn, mit hohem Schwur zu geloben,
Daß du bei dir nichts andres zu meinem Verderben beschließest!
180
Sprach’s, und lächelnd vernahm es die hehre Göttin Kalypso,
Streichelte ihn mit der Hand, und sprach die freundlichen Worte:
Wahrlich du bist doch ein Schalk, und unermüdet an Vorsicht:
So bedachtsam und schlau ist alles, was du geredet!
Nun mir zeuge die Erde, der weite Himmel dort oben,
185
Und die stygischen Wasser der Tiefe; welches der größte
Furchtbarste Eidschwur ist für alle unsterblichen Götter:
Daß ich bei mir nichts anders zu deinem Verderben beschließe!
Sondern ich denke so und rede, wie ich mir selber
Suchen würde zu raten, wär‘ ich in gleicher Bedrängnis!
190
Denn ich denke gewiß nicht ganz unbillig, und trage
Nicht im Busen ein Herz von Eisen, sondern voll Mitleid!
Also sprach sie, und ging, die hehre Göttin Kalypso,
Eilend voran, und er folgte den Schritten der wandelnden Göttin.
Und sie kamen zur Grotte, die Göttin und ihr Geliebter.
195
Allda setzte der Held auf den Thron sich nieder, auf welchem
Hermes hatte gesessen. Ihm reichte die heilige Nymphe
Allerlei Speis‘ und Trank, was sterbliche Männer genießen;
Setzte sich dann entgegen dem göttergleichen Odysseus,
Und Ambrosia reichten ihr Dienerinnen und Nektar.
200
Und sie erhoben die Hände zum leckerbereiteten Mahle.
Als sie jetzo ihr Herz mit Trank und Speise gesättigt;
Da begann das Gespräch die hehre Göttin Kalypso:
Edler Laertiad‘, erfindungsreicher Odysseus,
Also willst du mich nun so bald verlassen, und wieder
205
In dein geliebtes Vaterland gehn? Nun Glück auf die Reise!
Aber wüßte dein Herz, wie viele Leiden das Schicksal
Dir zu dulden bestimmt, bevor du zur Heimat gelangest;
Gerne würdest du bleiben, mit mir die Grotte bewohnen,
Und ein Unsterblicher sein: wie sehr du auch wünschest, die Gattin
210
Wiederzusehn, nach welcher du stets so herzlich dich sehnest!
Glauben darf ich doch wohl, daß ich nicht schlechter als sie bin,
Weder an Wuchs noch Bildung! Wie könnten sterbliche Weiber
Mit unsterblichen sich an Gestalt und Schönheit vergleichen?
Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
215
Zürne mir darum nicht, ehrwürdige Göttin! Ich weiß es
Selber zu gut, wie sehr der klugen Penelopeia
Reiz vor deiner Gestalt und erhabenen Größe verschwindet;
Denn sie ist nur sterblich, und dich schmückt ewige Jugend.
Aber ich wünsche dennoch und sehne mich täglich von Herzen,
220
Wieder nach Hause zu gehn, und zu schaun den Tag der Zurückkunft.
Und verfolgt mich ein Gott im dunkeln Meere, so will ich’s
Dulden; mein Herz im Busen ist längst zum Leiden gehärtet!
Denn ich habe schon vieles erlebt, schon vieles erduldet,
Schrecken des Meers und des Kriegs: so mag auch dieses geschehen!
225
Also sprach er, da sank die Sonne, und Dunkel erhob sich.
Beide gingen zur Kammer der schöngewölbeten Grotte,
Und genossen der Lieb‘, und ruheten nebeneinander.
Als die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte,
Da bekleidete sich Odysseus mit Mantel und Leibrock.
230
Aber die Nymphe zog ihr silberfarbnes Gewand an,
Fein und zierlich gewebt; und schlang um die Hüfte den Gürtel,
Schön mit Golde gestickt; und schmückte das Haupt mit dem Schleier.
Eilend besorgte sie jetzo die Reise des edlen Odysseus:
Gab ihm die mächtige Axt, von gehärtetem Erze geschmiedet,
235
Unten und oben geschärft, und sicheres Schwunges, und drinnen
War ein zierlicher Stiel von Olivenholze befestigt;
Gab ihm auch ein geschliffenes Beil, und führet‘ ihn jetzo
An der Insel Gestade voll hoher schattender Bäume,
Pappelweiden und Erlen und wolkenberührender Tannen.
240
Viele waren von Alter verdorrt, und leichter zur Schiffahrt.
Als sie den Ort ihm gezeigt, voll hoher schattender Bäume;
Kehrte sie heim zur Grotte, die hehre Göttin Kalypso.
Und er fällte die Bäum‘, und vollendete hurtig die Arbeit.
Zwanzig stürzt‘ er in allem, umhaute mit eherner Axt sie,
245
Schlichtete sie mit dem Beil, und nach dem Maße der Richtschnur.
Jetzo brachte sie Bohrer, die hehre Göttin Kalypso.
Und er bohrte die Balken, und fügte sie wohl aneinander,
Und verband nun den Floß mit ehernen Nägeln und Klammern.
Von der Größe, wie etwa ein kluger Meister im Schiffbau
250
Zimmern würde den Boden des breiten geräumigen Lastschiffs,
Baute den breiten Floß der erfindungsreiche Odysseus.
Nun umstellt‘ er ihn dicht mit Pfählen, heftete Bohlen
Ringsherum, und schloß das Verdeck mit langen Brettern.
Drinnen erhob er den Mast, von der Segelstange durchkreuzet.
255
Endlich zimmert‘ er sich ein Steuer, die Fahrt zu lenken.
Beide Seiten des Floßes beschirmt‘ er mit weidenen Flechten
Gegen die rollende Flut; und füllte den Boden mit Ballast.
Jetzo brachte sie Tücher, die hehre Göttin Kalypso,
Segel davon zu schneiden; auch diese bereitet‘ er künstlich;
260
Band die Taue des Mastes und segelwendenden Seile;
Wälzte darauf mit Hebeln den Floß in die heilige Meersflut.
Jetzt war der vierte Tag, an dem ward alles vollendet.
Und am fünften entließ ihn die hehre Göttin Kalypso,
Frischgebadet, und angetan mit duftenden Kleidern.
265
Und sie legt‘ in den Floß zween Schläuche, voll schwärzliches Weines
Einen, und einen großen voll Wasser; und gab ihm zur Zehrung
Einen geflochtenen Korb voll herzerfreuender Speisen;
Ließ dann leise vor ihm ein laues Lüftchen einherwehn.
Freudig spannte der Held im Winde die schwellenden Segel.
270
Und nun setzt‘ er sich hin ans Ruder, und steuerte künstlich
Über die Flut. Ihm schloß kein Schlummer die wachsamen Augen,
Auf die Pleiaden gerichtet, und auf Bootes, der langsam
Untergeht, und den Bären, den andre den Wagen benennen,
Welcher im Kreise sich dreht, den Blick nach Orion gewendet,
275
Und allein von allen sich nimmer im Ocean badet.
Denn beim Scheiden befahl ihm die hehre Göttin Kalypso,
Daß er auf seiner Fahrt ihn immer zur Linken behielte.
Siebzehn Tage befuhr er die ungeheuren Gewässer.
Am achtzehnten erschienen die fernen schattigen Berge
280
Von dem phäakischen Lande, denn dieses lag ihm am nächsten;
Dunkel erschienen sie ihm, wie ein Schild, im Nebel des Meeres.
Jetzo kam aus dem Lande der Äthiopen Poseidon,
Und erblickte fern von der Solymer Bergen Odysseus,
Welcher die Wogen befuhr. Da ergrimmt‘ er noch stärker im Geiste,
285
Schüttelte zürnend sein Haupt, und sprach in der Tiefe des Herzens:
Himmel, es haben gewiß die Götter sich über Odysseus
Anders entschlossen, da ich die Äthiopen besuchte!
Siehe da naht er sich schon dem phäakischen Lande, dem großen
Heiligen Ziele der Leiden, die ihm das Schicksal bestimmt hat!
290
Aber ich meine, er soll mir noch Jammer die Fülle bestehen!
Also sprach er, versammelte Wolken, und regte das Meer auf,
Mit dem erhobenen Dreizack; rief itzt allen Orkanen
Aller Enden zu toben, verhüllt‘ in dicke Gewölke
Meer und Erde zugleich; und dem düstern Himmel entsank Nacht.
295
Unter sich stürmten der Ost und der Süd und der sausende Westwind,
Auch der hellfrierende Nord, und wälzte gewaltige Wogen.
Und dem edlen Odysseus erzitterten Herz und Kniee;
Tiefaufseufzend sprach er zu seiner erhabenen Seele:
Weh mir, ich elender Mann! Was werd‘ ich noch endlich erleben!
300
Ach ich fürchte, die Göttin hat lauter Wahrheit geweissagt,
Die mir im wilden Meere, bevor ich zur Heimat gelangte,
Leiden die Fülle verhieß! Da wird nun alles erfüllet!
Ha! wie fürchterlich Zeus den ganzen Himmel in Wolken
Hüllt, und das Meer aufregt! wie sausen die wütenden Stürme
305
Aller Enden daher! Nun ist mein Verderben entschieden!
Dreimal selige Griechen und viermal, die ihr in Trojas
Weitem Gefilde sankt, der Atreiden Ehre verfechtend!
Wär‘ ich doch auch gestorben, und hätte die traurige Laufbahn
An dem Tage vollendet, als mich, im Getümmel der Troer,
310
Eherne Lanzen umflogen, um unsern erschlagnen Achilleus!
Dann wär‘ ich rühmlich bestattet, dann sängen mein Lob die Achaier!
Aber nun ist mein Los, des schmählichen Todes zu sterben!
Also sprach er; da schlug die entsetzliche Woge von oben
Hochherdrohend herab, daß im Wirbel der Floß sich herumriß:
315
Weithin warf ihn der Schwung des erschütterten Floßes, und raubte
Ihm aus den Händen das Steu’r; und mit einmal stürzte der Mastbaum
Krachend hinab vor der Wut der fürchterlich sausenden Windsbraut.
Weithin flog in die Wogen die Stang‘ und das flatternde Segel.
Lange blieb er untergetaucht, und strebte vergebens,
320
Unter der ungestüm rollenden Flut sich empor zu schwingen;
Denn ihn beschwerten die Kleider, die ihm Kalypso geschenket.
Endlich strebt‘ er empor, und spie aus dem Munde das bittre
Wasser des Meers, das strömend von seiner Scheitel herabtroff.
Dennoch vergaß er des Floßes auch selbst in der schrecklichen Angst nicht,
325
Sondern schwung sich ihm nach durch reißende Fluten, ergriff ihn,
Setzte sich wieder hinein, und entfloh dem Todesverhängnis.
Hiehin und dorthin trieben den Floß die Ströme des Meeres.
Also treibt im Herbste der Nord die verdorreten Disteln
Durch die Gefilde dahin; sie entfliehn ineinander gekettet:
330
Also trieben durchs Meer ihn die Winde bald hiehin bald dorthin.
Jetzo stürmte der Süd ihn dem Nordsturm hin zum Verfolgen;
Jetzo sandte der Ost ihn dem brausenden Weste zum Spiele.
Aber Leukothea sah ihn, die schöne Tochter des Kadmos,
Ino, einst ein Mädchen mit heller melodischer Stimme,
335
Nun in den Fluten des Meers der göttlichen Ehre genießend.
Und sie erbarmete sich des umhergeschleuderten Mannes,
Kam wie ein Wasserhuhn empor aus der Tiefe geflogen,
Setzte sich ihm auf den Floß, und sprach mit menschlicher Stimme:
Armer, beleidigtest du den Erderschüttrer Poseidon,
340
Daß er so schrecklich zürnend dir Jammer auf Jammer bereitet?
Doch verderben soll er dich nicht, wie sehr er auch eifre!
Tu nur, was ich dir sage; du scheinst mir nicht unverständig.
Ziehe die Kleider aus, und lasse den Floß in dem Sturme
Treiben; spring in die Flut, und schwimme mit strebenden Händen
345
An der Phäaken Land, allwo dir Rettung bestimmt ist.
Da, umhülle die Brust mit diesem heiligen Schleier,
Und verachte getrost die drohenden Schrecken des Todes.
Aber sobald du das Ufer mit deinen Händen berührest,
Löse den Schleier ab, und wirf ihn ferne vom Ufer
350
In das finstere Meer, mit abgewendetem Antlitz.
Also sprach die Göttin, und gab ihm den heiligen Schleier;
Fuhr dann wieder hinab in die hochaufwallende Woge,
Ähnlich dem Wasserhuhn, und die schwarze Woge verschlang sie.
Und nun sann er umher, der herrliche Dulder Odysseus;
355
Tiefaufseufzend sprach er zu seiner erhabenen Seele:
Weh mir! ich fürchte, mich will der Unsterblichen einer von neuem
Hintergehn, der mir vom Floße zu steigen gebietet!
Aber noch will ich ihm nicht gehorchen; denn eben erblickt‘ ich
Ferne von hinnen das Land, wo jene mir Rettung gelobte.
360
Also will ich es machen, denn dieses scheint mir das Beste!
Weil die Balken noch fest in ihren Banden sich halten,
Bleib‘ ich hier, und erwarte mit duldender Seele mein Schicksal.
Aber wann mir den Floß die Gewalt des Meeres zertrümmert,
Dann will ich schwimmen; ich weiß mir ja doch nicht besser zu raten!
365
Als er solche Gedanken im zweifelnden Herzen bewegte,
Siehe da sandte Poseidon, der Erdumstürmer, ein hohes
Steiles schreckliches Wassergebirg‘; und es stürzt‘ auf ihn nieder.
Und wie der stürmende Wind in die trockene Spreu auf der Tenne
Ungestüm fährt, und im Wirbel sie hiehin und dorthin zerstreuet;
370
Also zerstreute die Flut ihm die Balken. Aber Odysseus
Schwung sich auf einen, und saß, wie auf dem Rosse der Reiter;
Warf die Kleider hinweg, die ihm Kalypso geschenket,
Und umhüllte die Brust mit Inos heiligem Schleier.
Vorwärts sprang er hinab in das Meer, die Hände verbreitet,
375
Und schwamm eilend dahin. Da sah ihn der starke Poseidon,
Schüttelte zürnend sein Haupt, und sprach in der Tiefe des Herzens:
So, durchirre mir jetzo, mit Jammer behäuft, die Gewässer,
Bis du die Menschen erreichst, die Zeus vor allen beseligt!
Aber ich hoffe, du sollst mir dein Leiden nimmer vergessen!
380
Also sprach er, und trieb die Rosse mit fliegender Mähne,
Bis er gern Ägä kam, zu seiner glänzenden Wohnung.
Aber ein Neues ersann Athene, die Tochter Kronions.
Eilend fesselte sie den Lauf der übrigen Winde,
Daß sie alle verstummten, und hin zur Ruhe sich legten;
385
Und ließ stürmen den Nord, und brach vor ihm die Gewässer:
Bis er zu den Phäaken, den ruderliebenden Männern,
Käme, der edle Odysseus, entflohn dem Todesverhängnis.
Schon zween Tage trieb er und zwo entsetzliche Nächte
In dem Getümmel der Wogen, und ahnete stets sein Verderben.
390
Als nun die Morgenröte des dritten Tages emporstieg,
Siehe da ruhte der Wind; von heiterer Bläue des Himmels
Glänzte die stille See. Und nahe sah er das Ufer,
Als er mit forschendem Blick von der steigenden Welle dahinsah.
So erfreulich den Kindern des lieben Vaters Genesung
395
Kommt, der lange schon an brennenden Schmerzen der Krankheit
Niederlag und verging, vom feindlichen Dämon gemartert;
Aber ihn heilen nun zu ihrer Freude die Götter:
So erfreulich war ihm der Anblick des Landes und Waldes.
Und er strebte mit Händen und Füßen, das Land zu erreichen.
400
Aber so weit entfernt, wie die Stimme des Rufenden schallet,
Hört‘ er ein dumpfes Getöse des Meers, das die Felsen bestürmte,
Graunvoll donnerte dort an dem schroffen Gestade die hohe
Fürchterlich strudelnde Brandung, und weithin spritzte der Meerschaum.
Keine Buchten empfingen, noch schirmende Reeden, die Schiffe;
405
Sondern trotzende Felsen und Klippen umstarrten das Ufer.
Und dem edlen Odysseus erzitterten Herz und Kniee;
Tiefaufseufzend sprach er zu seiner erhabenen Seele:
Weh mir! nachdem mich Zeus dies Land ohn‘ alles Vermuten
Sehen ließ, und ich jetzo die stürmenden Wasser durchkämpfet;
410
Öffnet sich nirgends ein Weg aus dem dunkelwogenden Meere!
Zackichte Klippen türmen sich hier, umtobt von der Brandung
Brausenden Strudeln, und dort das glatte Felsengestade!
Und das Meer darunter ist tief; man kann es unmöglich
Mit den Füßen ergründen, um watend ans Land sich zu retten!
415
Wagt‘ ich durchhin zu gehn, unwiderstehliches Schwunges
Schmetterte mich die rollende Flut an die zackichte Klippe!
Schwimm‘ ich aber noch weiter herum, abhängiges Ufer
Irgendwo auszuspähn und sichere Busen des Meeres;
Ach dann fürcht‘ ich, ergreift der Orkan mich von neuem, und schleudert
420
Mich Schwerseufzenden weit in das fischdurchwimmelte Weltmeer!
Oder ein Himmlischer reizt auch ein Ungeheuer des Abgrunds
Wider mich auf, aus den Scharen der furchtbaren Amphitrite!
Denn ich weiß es, mir zürnt der gewaltige Küstenerschüttrer!
Als er solche Gedanken im zweifelnden Herzen bewegte,
425
Warf ihn mit einmal die rollende Wog‘ an das schroffe Gestade.
Jetzo wär‘ ihm geschunden die Haut, die Gebeine zermalmet,
Hätte nicht Pallas Athene zu seiner Seele geredet.
Eilend umfaßte der Held mit beiden Händen die Klippe,
Schmiegte sich keuchend an, bis die rollende Woge vorbei war.
430
Also entging er ihr jetzt. Allein da die Woge zurückkam,
Raffte sie ihn mit Gewalt, und schleudert‘ ihn fern in das Weltmeer.
Also wird der Polyp dem festen Lager entrissen;
Kiesel hängen und Sand an seinen ästigen Gliedern:
Also blieb an dem Fels von den angeklammerten Händen
435
Abgeschunden die Haut; und die rollende Woge verschlang ihn.
Jetzo wäre der Dulder auch wider sein Schicksal gestorben,
Hätt‘ ihn nicht Pallas Athene mit schnellem Verstande gerüstet.
Aber er schwung sich empor aus dem Schwalle der schäumenden Brandung,
Schwamm herum, und sah nach dem Land‘, abhängiges Ufer
440
Irgendwo auszuspähn und sichere Busen des Meeres.
Jetzo hatt‘ er nun endlich die Mündung des herrlichen Stromes
Schwimmend erreicht. Hier fand er bequem zum Landen das Ufer,
Niedrig und felsenleer, und vor denn Winde gesichert.
Und er erkannte den strömenden Gott, und betet‘ im Herzen:
445
Höre mich, Herrscher, wer du auch seist, du Sehnlicherflehter!
Rette mich aus dem Meer vor denn schrecklichen Grimme Poseidons!
Heilig sind ja, ach selbst unsterblichen Göttern, die Menschen,
Welche von Leiden gedrängt um Hilfe flehen! Ich winde
Mich vor deinem Strome, vor deinen Knieen, in Jammer!
450
Herrscher, erbarme dich mein, der deiner Gnade vertrauet!
Also sprach er. Da hemmte der Gott die wallenden Fluten,
Und verbreitete Stille vor ihm, und rettet‘ ihn freundlich
An das seichte Gestade. Da ließ er die Kniee sinken
Und die nervichten Arme; ihn hatten die Wogen entkräftet:
455
Alles war ihm geschwollen, ihm floß das salzige Wasser
Häufig aus Nas‘ und Mund; der Stimme beraubt und des Atems,
Sank er in Ohnmacht hin, erstarrt von der schrecklichen Arbeit.
Als er zu atmen begann, und sein Geist dem Herzen zurückkam,
Löst‘ er ab von der Brust den heiligen Schleier der Göttin,
460
Warf ihn eilend zurück in die salzige Welle des Flusses;
Und ihn führte die Welle den Strom hinunter, und Ino
Nahm ihn mit ihren Händen. Nun stieg der Held aus dem Flusse,
Legte sich nieder auf Binsen, und küßte die fruchtbare Erde;
Tiefaufseufzend sprach er zu seiner erhabenen Seele:
465
Weh mir Armen, was leid‘ ich, was werd‘ ich noch endlich erleben!
Wenn ich die greuliche Nacht an diesem Strome verweilte,
Würde zugleich der starrende Frost und der tauende Nebel
Mich Entkräfteten, noch Ohnmächtigen, gänzlich vertilgen;
Denn kalt wehet der Wind aus dem Strome vor Sonnenaufgang!
470
Aber klimm‘ ich hinan zum waldbeschatteten Hügel,
Unter dem dichten Gesträuche zu schlafen, wenn Frost und Ermattung
Anders gestatten, daß mich der süße Schlummer befalle:
Ach dann werd‘ ich vielleicht den reißenden Tieren zur Beute!
Dieser Gedanke schien dem Zweifelnden endlich der beste,
475
Hinzugehn in den Wald, der den weitumschauenden Hügel
Nah am Wasser bewuchs. Hier grüneten, ihn zu umhüllen,
Zwei verschlungne Gebüsche, ein wilder und fruchtbarer Ölbaum.
Nimmer durchstürmte den Ort die Wut naßhauchender Winde,
Ihn erleuchtete nimmer mit warmen Strahlen die Sonne,
480
Selbst der gießende Regen durchdrang ihn nimmer: so dicht war
Sein Gezweige verwebt. Hier kroch der edle Odysseus
Unter, und bettete sich mit seinen Händen ein Lager,
Hoch und breit; denn es deckten so viele Blätter den Boden,
Daß zween Männer darunter und drei sich hätten geborgen
485
Gegen den Wintersturm, auch wann er am schrecklichsten tobte.
Freudig sahe das Lager der herrliche Dulder Odysseus,
Legte sich mitten hinein, und häufte die rasselnden Blätter.
Also verbirgt den Brand in grauer Asche der Landmann;
Auf entlegenem Felde, von keinem Nachbar umwohnet,
490
Hegt er den Samen des Feuers, um nicht in der Ferne zu zünden:
Also verbarg sich der Held in den Blättern. Aber Athene
Deckt‘ ihm die Augen mit Schlummer, damit sie der schrecklichen Arbeit
Qualen ihm schneller entnähme, die lieben Wimper verschließend.

Vierter Gesang

Vierter Gesang

Menelaos, der seine Kinder ausstattet, bewirtet die Fremdlinge, und äußert mit Helena teilnehmende Liebe für Odysseus. Telemachos wird erkannt. Aufheiterndes Mittel der Helena, und Erzählungen von Odysseus. Am Morgen fragt Telemachos nach dem Vater. Menelaos erzählt, was ihm der ägyptische Proteus von der Rückkehr der
Achaier, und dem Aufenthalt des Odysseus bei der Kalypso, geweissagt. Die Freier beschließen den heimkehrenden Telemachos zwischen Ithaka und Samos zu ermorden. Medon entdeckt’s der Penelopeia. Sie fleht zur Athene, und wird durch ein Traumbild getröstet.

Und sie erreichten im Tale die große Stadt Lakedämon,
Lenkten darauf zur Burg Menelaos‘ des Ehregekrönten.
Und Menelaos feirte mit vielen Freunden die Hochzeit
Seines Sohnes im Hause, und seiner lieblichen Tochter.
5
Diese sandt‘ er dem Sohne des Scharentrenners Achilleus.
Denn er gelobte sie ihm vordem im troischen Lande;
Und die himmlischen Götter vollendeten ihre Vermählung.
Jetzo sandt‘ er sie hin, mit Rossen und Wagen begleitet,
Zu der berühmten Stadt des Myrmidonenbeherrschers.
10
Aber dem Sohne gab er aus Sparta die Tochter Alektors,
Megapenthes dem Starken, den ihm in späterem Alter
Eine Sklavin gebar. Denn Helenen schenkten die Götter
Keine Frucht, nachdem sie die liebliche Tochter geboren,
Hermione, ein Bild der goldenen Aphrodite.
15
Also feierten dort im hochgewölbeten Saale
Alle Nachbarn und Freunde des herrlichen Menelaos
Fröhlich am Mahle das Fest. Es sang ein göttlicher Sänger
In die Harfe sein Lied. Und zween nachahmende Tänzer
Stimmten an den Gesang, und dreheten sich in der Mitte.
20
Aber die Rosse hielten am Tore des hohen Palastes,
Und Telemachos harrte mit Nestors glänzendem Sohne.
Siehe da kam Eteoneus hervor, und sahe die Fremden,
Dieser geschäftige Diener des herrlichen Menelaos.
Schnell durchlief er die Wohnung, und brachte dem Könige Botschaft,
25
Stellte sich nahe vor ihn, und sprach die geflügelten Worte:
Fremde Männer sind draußen, o göttlicher Held Menelaos,
Zween an der Zahl, von Gestalt wie Söhne des großen Kronions!
Sage mir, sollen wir gleich abspannen die hurtigen Rosse;
Oder sie weiter senden, damit sie ein andrer bewirte?
30
Voll Unwillens begann Menelaos der Bräunlichgelockte:
Ehmals warst du kein Tor, Boethos‘ Sohn Eteoneus;
Aber du plauderst jetzt, wie ein Knabe, so törichte Worte!
Wahrlich wir haben ja beid‘ in Häusern anderer Menschen
So viel Gutes genossen, bis wir heimkehrten! Uns wolle
35
Zeus auch künftig vor Not bewahren! Drum spanne die Rosse
Hurtig ab, und führe die Männer zu unserem Gastmahl!
Also sprach er; und schnell durcheilete jener die Wohnung,
Rief die geschäftigen Diener zusammen, daß sie ihm folgten.
Und nun spanneten sie vom Joche die schäumenden Rosse,
40
Führten sie dann in den Stall, und banden sie fest an die Krippen,
Schütteten Hafer hinein, mit gelblicher Gerste gemenget,
Stellten darauf den Wagen an eine der schimmernden Wände,
Führten endlich die Männer hinein in die göttliche Wohnung.
Staunend sahn sie die Burg des göttergesegneten Königs.
45
Gleich dem Strahle der Sonn‘, und gleich dem Schimmer des Mondes
Blinkte die hohe Burg Menelaos‘ des Ehregekrönten.
Und nachdem sie ihr Herz mit bewunderndem Blicke gesättigt,
Stiegen sie beide zum Bad‘ in schöngeglättete Wannen.
Als sie die Mägde gebadet, und drauf mit Öle gesalbet,
50
Und mit wollichtem Mantel und Leibrock hatten bekleidet;
Setzten sie sich auf Throne bei Atreus‘ Sohn Menelaos.
Eine Dienerin trug in der schönen goldenen Kanne
Über dem silbernen Becken das Wasser, beströmte zum Waschen
Ihnen die Händ‘, und stellte vor sie die geglättete Tafel.
55
Und die ehrbare Schaffnerin kam, und tischte das Brot auf,
Und der Gerichte viel aus ihrem gesammelten Vorrat.
Hierauf kam der Zerleger, und bracht‘ in erhobenen Schüsseln
Allerlei Fleisch, und setzte vor sie die goldenen Becher.
Beiden reichte die Hände der Held Menelaos, und sagte:
60
Langt nun zu, und eßt mit Wohlgefallen, ihr Freunde!
Habt ihr euch dann mit Speise gestärkt, dann wollen wir fragen,
Wer ihr seid. Denn wahrlich aus keinem versunknen Geschlechte
Stammt ihr, sondern ihr stammt von edlen sceptergeschmückten
Königen her; denn gewiß Unedle zeugen nicht solche!
65
Also sprach er, und reichte den fetten gebratenen Rückgrat
Von dem Rinde den Gästen, der ihm zur Ehre bestimmt war.
Und sie erhoben die Hände zum leckerbereiteten Mahle.
Und nachdem die Begierde des Tranks und der Speise gestillt war,
Neigte Telemachos sein Haupt zum Sohne des Nestor,
70
Und sprach leise zu ihm, damit es die andern nicht hörten:
Schaue doch, Nestoride, du meines Herzens Geliebter,
Schaue den Glanz des Erzes umher in der hallenden Wohnung,
Und des Goldes und Ambras und Elfenbeines und Silbers!
Also glänzt wohl von innen der Hof des olympischen Gottes!
75
Welch ein unendlicher Schatz! Mit Staunen erfüllt mich der Anblick!
Seine Rede vernahm Menelaos der Bräunlichgelockte,
Wandte sich gegen die Fremden, und sprach die geflügelten Worte:
Liebe Söhne, mit Zeus wetteifre der Sterblichen keiner;
Ewig besteht des Unendlichen Burg und alles, was sein ist!
80
Doch von den Menschen mag einer mit mir sich messen an Reichtum,
Oder auch nicht! Denn traun! nach vielen Leiden und Irren
Bracht‘ ich ihn in den Schiffen am achten Jahre zur Heimat;
Ward nach Kypros vorher, nach Phönike gestürmt und Ägyptos,
Sahe die Äthiopen, Sidonier dann und Erember,
85
Libya selbst, wo schon den Lämmern Hörner entkeimen.
Denn es gebären dreimal im Laufe des Jahres die Schafe.
Nimmer gebricht es dort dem Eigner, und nimmer dem Hirten,
Weder an Käse noch Fleisch noch süßer Milch von der Herde,
Welche das ganze Jahr mit vollen Eutern einhergeht.
90
Also durchirrt‘ ich die Länder, und sammelte großes Vermögen.
Aber indessen erschlug mir meinen Bruder ein andrer
Heimlich, mit Meuchelmord, durch die List des heillosen Weibes:
Daß ich gewiß nicht froh dies große Vermögen beherrsche!
Doch dies habt ihr ja wohl von euren Vätern gehöret,
95
Wer sie auch sein. Denn viel, sehr vieles hab‘ ich erlitten,
Und mein prächtiges Haus voll köstlicher Güter zerrüttet!
Könnt‘ ich nur jetzo darin mit dem dritten Teile der Güter
Wohnen, und lebten die Männer, die im Gefilde vor Troja
Hingesunken sind, fern von der rossenährenden Argos!
100
Aber dennoch, wie sehr ich sie alle klag‘ und beweine;
(Oftmal hab‘ ich hier so in meinem Hause gesessen,
Und mir jetzo mit Tränen das Herz erleichtert, und jetzo
Wieder geruht; denn bald ermüdet der starrende Kummer!)
Dennoch, wie sehr ich traure, bewein‘ ich alle nicht so sehr,
105
Als den einen, der mir den Schlaf und die Speise verleidet,
Denk‘ ich seiner! Denn das hat kein Achaier erduldet,
Was Odysseus erduldet‘ und trug! Ihm selber war Unglück
Von dem Schicksal bestimmt, und mir unendlicher Jammer,
Seinethalben des Langabwesenden, weil wir nicht wissen,
110
Ob er leb‘ oder tot sei. Vielleicht beweinen ihn jetzo
Schon Laertes der Greis, und die keusche Penelopeia,
Und Telemachos, den er als Kind im Hause zurückließ!
Also sprach er, und rührte Telemachos herzlich zu weinen.
Seinen Wimpern entstürzte die Träne, als er vorn Vater
115
Hörte; da hüllt‘ er sich schnell vor die Augen den purpurnen Mantel,
Fassend mit beiden Händen; und Menelaos erkannt‘ ihn.
Dieser dachte darauf umher in zweifelnder Seele:
Ob er ihn ruhig ließe an seinen Vater gedenken;
Oder ob er zuerst ihn fragt‘, und alles erforschte.
120
Als er solche Gedanken in zweifelnder Seele bewegte;
Wallte Helena her aus der hohen duftenden Kammer,
Artemis gleich an Gestalt, der Göttin mit goldener Spindel.
Dieser setzte sofort Adraste den zierlichen Sessel;
Und Alkippe brachte den weichen wollichten Teppich.
125
Phylo brachte den silbernen Korb, den ehmals Alkandre
Ihr verehrte, die Gattin des Polybos, welcher in Thebä
Wohnte, Ägyptos Stadt voll schätzereicher Paläste.
Dieser gab Menelaos zwo Badewannen von Silber,
Zween dreifüßige Kessel, und zehn Talente des Goldes.
130
Aber Helenen gab Alkandre schöne Geschenke,
Eine goldene Spindel im länglichgeründeten Korbe,
Der, aus Silber gebildet, mit goldenem Rande geschmückt war.
Diesen setzte vor sie die fleißige Dienerin Phylo,
Angefüllt mit geknäueltem Garn, und über dem Garne
135
Lag die goldene Spindel mit violettener Wolle.
Helena saß auf dem Sessel; ein Schemel stützte die Füße.
Und sie fragte sogleich den Gemahl nach allem, und sagte:
Wissen wir schon, Menelaos du Göttlicher, welches Geschlechtes
Diese Männer sich rühmen, die unsere Wohnung besuchen?
140
Irr‘ ich, oder ahnet mir wahr? Ich kann es nicht bergen!
Niemals erschien mir ein Mensch mit solcher ähnlichen Bildung,
Weder Mann, noch Weib; (mit Staunen erfüllt mich der Anblick!)
Als der Jüngling dort des edelgesinnten Odysseus‘
Sohne Telemachos gleicht, den er als Säugling daheimließ,
145
Jener Held, da ihr Griechen, mich Ehrvergeßne zu rächen,
Hin gen Ilion schifftet, mit Tod und Verderben gerüstet!
Ihr antwortete drauf Menelaos der Bräunlichgelockte:
Ebenso denke auch ich, o Frau, wie du jetzo vermutest.
Denn so waren die Händ‘, und so die Füße des Helden,
150
So die Blicke der Augen, das Haupt und die lockichten Haare.
Auch gedacht‘ ich jetzo des edelgesinnten Odysseus,
Und erzählte, wie jener für mich so mancherlei Elend
Duldete; siehe da drang aus seinen Augen die Träne,
Und er verhüllete schnell mit dem Purpurmantel sein Antlitz.
155
Und der Nestoride Peisistratos sagte dagegen:
Atreus‘ Sohn, Menelaos, du göttlicher Führer des Volkes,
Dieser ist wirklich der Sohn Odysseus‘, wie du vermutest.
Aber er ist bescheiden, und hält es für unanständig,
Gleich, nachdem er gekommen, so dreist entgegen zu schwatzt
160
Deiner Rede, die uns, wie eines Gottes, erfreuet.
Und mich sandte mein Vater, der Rossebändiger Nestor,
Diesen hieher zu geleiten, der dich zu sehen begehrte,
Daß du ihm Rat erteiltest zu Worten oder zu Taten.
Denn viel leidet ein Sohn des langabwesenden Vaters,
165
Wenn er, im Hause verlassen, von keinem Freunde beschützt wird:
Wie Telemachos jetzt! Sein Vater ist ferne, und niemand
Regt sich im ganzen Volke, von ihm die Plage zu wenden!
Ihm antwortete drauf Menelaos der Bräunlichgelockte:
Götter, so ist ja mein Gast der Sohn des geliebtesten Freundes,
170
Welcher um meinetwillen so viele Gefahren erduldet!
Und ich hoffte, dem Kommenden einst vor allen Argeiern
Wohlzutun, hätt‘ uns der Olympier Zeus Kronion
Glückliche Wiederkehr in den schnellen Schiffen gewähret!
Eine Stadt und ein Haus in Argos wollt‘ ich ihm schenken,
175
Und ihn aus Ithaka führen mit seinem ganzen Vermögen.
Seinem Sohn und dem Volk, und räumen eine der Städte,
Welche Sparta umgrenzen, und meinem Befehle gehorchen.
Oft besuchten wir dann als Nachbarn einer den andern,
Und nichts trennt‘ uns beid‘ in unserer seligen Eintracht,
180
Bis uns die schwarze Wolke des Todes endlich umhüllte!
Aber ein solches Glück mißgönnte mir einer der Götter,
Welcher jenem allein, dem Armen, raubte die Heimkehr!
Also sprach er, und rührte sie alle zu herzlichen Tränen.
Argos‘ Helena weinte, die Tochter des großen Kronions,
185
Und Telemachos weinte, und Atreus‘ Sohn Menelaos.
Auch Peisistratos konnte sich nicht der Tränen enthalten;
Denn ihm trat vor die Seele des edlen Antilochos‘ Bildnis,
Welchen der glänzende Sohn der Morgenröte getötet.
Dessen gedacht‘ er jetzo, und sprach die geflügelten Worte:
190
Atreus‘ Sohn Menelaos, vor allen Menschen verständig,
Rühmte dich Nestor der Greis, so oft wir deiner gedachten
In des Vaters Palast, und uns miteinander besprachen.
Darum, ist es dir möglich, gehorche mir jetzo. Ich finde
Kein Vergnügen an Tränen beim Abendessen; auch morgen
195
Dämmert ein Tag für uns. Ich tadele freilich mitnichten,
Daß man den Toten beweine, der sein Verhängnis erfüllt hat.
Ist doch dieses allein der armen Sterblichen Ehre,
Daß man schere sein Haar, und die Wange mit Tränen benetze.
Auch mein Bruder verlor sein Leben, nicht der geringste
200
Im argeiischen Heer! Du wirst ihn kennen; ich selber
Hab‘ ihn nimmer gesehen: doch rühmen Antilochos alle,
Daß er an Schnelle des Laufs und in Kriegsmut andre besieget.
Ihm antwortete drauf Menelaos der Bräunlichgelockte:
Lieber, du redest so, wie ein Mann von reifem Verstande
205
Reden und handeln muß, und wär‘ er auch höheres Alters.
Denn du redest als Sohn von einem verständigen Vater.
Leicht erkennt man den Samen des Mannes, welchen Kronion
schmückte mit himmlischem Segen bei seiner Geburt und Vermählung.
Also krönet er nun auch Nestors Tage mit Wohlfahrt;
210
Denn er freut sich im Hause des stillen behaglichen Alters,
Und verständiger Söhne, geübt die Lanze zu schwingen.
Laßt uns also des Grams und unserer Tränen vergessen,
Und von neuem das Mahl beginnen! Wohlauf, man begieße
Unsere Hände mit Wasser! Auch morgen wird Zeit zu Gesprächen
215
Mit Telemachos sein, uns beiden das Herz zu erleichtern!
Sprach’s, und eilend begoß Asphalion ihnen die Hände,
Dieser geschäftige Diener des herrlichen Menelaos.
Und sie erhoben die Hände zum leckerbereiteten Mahle.
Aber ein Neues ersann die liebliche Tochter Kronions:
220
Siehe sie warf in den Wein, wovon sie tranken, ein Mittel
Gegen Kummer und Groll und aller Leiden Gedächtnis.
Kostet einer des Weins, mit dieser Würze gemischet;
Dann benetzet den Tag ihm keine Träne die Wangen,
Wär‘ ihm auch sein Vater und seine Mutter gestorben,
225
Würde vor ihm sein Bruder, und sein geliebtester Sohn auch
Mit dem Schwerte getötet, daß seine Augen es sähen.
Siehe so heilsam war die künstlichbereitete Würze,
Welche Helenen einst die Gemahlin Thons Polydamna
In Ägyptos geschenkt. Dort bringt die fruchtbare Erde
230
Mancherlei Säfte hervor, zu guter und schädlicher Mischung;
Dort ist jeder ein Arzt, und übertrifft an Erfahrung
Alle Menschen; denn wahrlich sie sind vom Geschlechte Päeons.
Als sie die Würze vermischt, und einzuschenken befohlen,
Da begann sie von neuem, und sprach mit freundlicher Stimme:
235
Atreus‘ göttlicher Sohn Menelaos, und ihr geliebten
Söhne tapferer Männer; es sendet im ewigen Wechsel
Zeus bald Gutes bald Böses herab, denn er herrschet mit Allmacht.
Auf, genießet denn jetzo in unserem Hause des Mahles,
Euch mit Gesprächen erfreuend! Ich will euch was Frohes erzählen.
240
Alles kann ich euch zwar nicht nennen oder beschreiben,
Alle mutigen Taten des leidengeübten Odysseus;
Sondern nur eine Gefahr, die der tapfere Krieger bestanden
In dein troischen Lande, wo Not euch Achaier umdrängte.
Seht, er hatte sich selbst unwürdige Striemen gegeißelt,
245
Und nachdem er die Schultern mit schlechten Lumpen umhüllet,
Ging er in Sklavengestalt zur Stadt der feindlichen Männer.
Ganz ein anderer Mann, ein Bettler schien er von Ansehn,
So wie er wahrlich nicht im achaiischen Lager einherging.
Also kam er zur Stadt der Troer; und sie verkannten
250
Alle den Helden; nur ich entdeckt‘ ihn unter der Hülle,
Und befragt‘ ihn: doch er fand immer listige Ausflucht.
Aber als ich ihn jetzo gebadet, mit Öle gesalbet,
Und mit Kleidern geschmückt, und drauf bei den Göttern geschworen,
Daß ich Odysseus den Troern nicht eher wollte verraten,
255
Bis er die schnellen Schiff‘ und Zelte wieder erreichet;
Da verkündet‘ er mir den ganzen Entwurf der Achaier.
Als er nun viele der Troer mit langem Erze getötet,
Kehrt‘ er zu den Argeiern, mit großer Kunde bereichert.
Laut wehklageten jetzo die andern Weiber in Troja;
260
Aber mein Herz frohlockte; denn herzlich wünscht‘ ich die Heimkehr,
Und beweinte den Jammer, den Aphrodite gestiftet,
Als sie mich dorthin, fern vorn Vaterlande geführet,
Und von der Tochter getrennt, dem Eh’bett und dem Gemahle,
Dem kein Adel gebricht des Geistes oder der Bildung!
265
Ihr antwortete drauf Menelaos der Bräunlichgelockte:
Dieses alles ist wahr, o Helena, was du erzähltest.
Denn ich habe schon mancher Gesinnung und Tugend gelernet,
Hochberühmter Helden, und bin viel Länder durchwandert;
Aber ein solcher Mann kam mir noch nimmer vor Augen,
270
Gleich an erhabener Seele dem leidengeübten Odysseus!
Also bestand er auch jene Gefahr, mit Kühnheit und Gleichmut,
In dem gezimmerten Rosse, worin wir Fürsten der Griechen
Alle saßen, und Tod und Verderben gen Ilion brachten.
Dorthin kamest auch du, gewiß von einem der Götter
275
Hingeführt, der etwa die Troer zu ehren gedachte;
Und der göttergleiche Deiphobos war dein Begleiter.
Dreimal umwandeltest du das feindliche Männergehäuse,
Rings betastend, und riefst der tapfersten Helden Achaias
Namen, indem du die Stimme von aller Gemahlinnen annahmst.
280
Aber ich und Tydeus‘ Sohn und der edle Odysseus
Saßen dort in der Mitte, und höreten, wie du uns riefest.
Plötzlich fuhren wir auf, wir beiden andern, entschlossen,
Auszusteigen, oder von innen uns hören zu lassen.
Aber Odysseus hielt uns zurück von dem raschen Entschlusse.
285
Jetzo saßen wir still, und alle Söhne der Griechen.
Nur Antiklos wollte dir Antwort geben; doch eilend
Sprang Odysseus hinzu, und drückte mit nervichten Händen
Fest den Mund ihm zusammen, und rettete alle Achaier;
Eher ließ er ihn nicht, bis Athene von dannen dich führte.
290
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Atreus‘ Sohn Menelaos, du göttlicher Führer des Volkes,
Desto betrübter! Denn alles entriß ihn dem traurigen Tode
Nicht, und hätt‘ er im Busen ein Herz von Eisen getragen!
Aber lasset uns nun zu Bette gehen, damit uns
295
Jetzo auch die Ruhe des süßen Schlafes erquicke.
Als er dieses gesagt, rief Helena eilend den Mägden,
Unter die Halle ein Bett zu setzen, unten von Purpur
Prächtige Polster zu legen, und Teppiche drüber zu breiten,
Hierauf wenige Mäntel zur Oberdecke zu legen.
300
Und sie enteilten dem Saal, in den Händen die leuchtende Fackel,
Und bereiteten schnell das Lager. Aber ein Herold
Führte Telemachos hin, samt Nestors glänzendem Sohne.
Also ruhten sie dort in der Halle vor dem Palaste.
Und der Atreide schlief im Innern des hohen Palastes;
305
Helena ruhte bei ihm, die schönste unter den Weibern.
Als die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte,
Sprang er vom Lager empor, der Rufer im Streit Menelaos,
Legte die Kleider an, und hing das Schwert um die Schulter,
Band die schönen Sohlen sich unter die zierlichen Füße,
310
Trat aus der Kammer hervor, geschmückt mit göttlicher Hoheit,
Ging und setzte sich neben Telemachos nieder, und sagte:
Welches Geschäft, o edler Telemachos, führte dich hieher,
Über das weite Meer, zur göttlichen Stadt Lakedämon?
Deines, oder des Volks? Verkünde mir lautere Wahrheit!
315
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Atreus‘ Sohn Menelaos, du göttlicher Führer des Volkes,
Darum kam ich zu dir, um Kunde vom Vater zu hören.
Ausgezehrt wird mein Haus, und Hof und Äcker verwüstet;
Denn feindselige Männer erfüllen die Wohnung und schlachten
320
Meine Ziegen und Schaf‘ und mein schwerwandelndes Hornvieh,
Freier meiner Mutter, voll übermütiges Trotzes.
Darum fleh ich dir jetzo, die Knie‘ umfassend, du wollest
Seinen traurigen Tod mir verkündigen; ob du ihn selber
Ansahst, oder vielleicht von einem irrenden Wandrer
325
Ihn erfuhrst: denn ach! zum Leiden gebar ihn die Mutter!
Aber schmeichle mir nicht, aus Schonung oder aus Mitleid;
Sondern erzähle mir treulich, was deine Augen gesehen.
Flehend beschwör‘ ich dich, hat je mein Vater Odysseus
Einen Wunsch dir gewährt mit Worten oder mit Taten,
330
In dem troischen Lande, wo Not euch Achaier umdrängte:
Daß du, dessen gedenkend, mir jetzo Wahrheit verkündest!
Voll Unwillens begann Menelaos der Bräunlichgelockte:
O ihr Götter, ins Lager des übergewaltigen Mannes
Wollten jene sich legen, die feigen verworfenen Menschen!
335
Aber wie wenn in den Dickicht des starken Löwen die Hirschkuh
Ihre saugenden Jungen, die neugeborenen, hinlegt,
Dann auf den Bergen umher und kräuterbewachsenen Tälern
Weide sucht; und jener darauf in sein Lager zurückkehrt,
Und den Zwillingen beiden ein schreckliches Ende bereitet:
340
So wird jenen Odysseus ein schreckliches Ende bereiten!
Wenn er, o Vater Zeus, Athene und Phöbos Apollon!
Doch in jener Gestalt, wie er einst in der fruchtbaren Lesbos
Sich mit Philomeleides zum Wetteringen emporhub,
Und auf den Boden ihn warf, daß alle Achaier sich freuten;
345
Wenn doch in jener Gestalt Odysseus den Freiern erschiene!
Bald wär‘ ihr Leben gekürzt, und ihnen die Heirat verbittert!
Aber warum du mich fragst und bittest, das will ich geradaus
Ohn‘ Umschweife dir sagen, und nicht durch Lügen dich täuschen;
Sondern was mir der wahrhafte Greis des Meeres geweissagt,
350
Davon will ich kein Wort dir bergen oder verhehlen.
Noch in Ägyptos hielten, wie sehr ich nach Hause verlangte,
Mich die Unsterblichen auf, denn ich versäumte die Opfer;
Und wir sollen nimmer der Götter Gebote vergessen.
Eine der Inseln liegt im wogenstürmenden Meere
355
Vor des Ägyptos Strome; die Menschen nennen sie Pharos:
Von dem Strome so weit, als wohlgerüstete Schiffe
Tages fahren, wenn rauschend der Wind die Segel erfüllet.
Dort ist ein sicherer Hafen, allwo die Schiffer gewöhnlich
Frisches Wasser sich schöpfen, und weiter die Wogen durchsegeln.
360
Allda hielten die Götter mich zwanzig Tage; denn niemals
Wehten günstige Wind‘ in die See hinüber, die Schiffe
Über den breiten Rücken des Meeres hinzugeleiten,
Und bald wäre die Speis‘ und der Mut der Männer geschwunden,
Hätte mich nicht erbarmend der Himmlischen eine gerettet.
365
Aber Eidothea, des grauen Wogenbeherrschers
Proteus‘ Tochter bemerkt‘ es, und fühlte herzliches Mitleid.
Diese begegnete mir, da ich fern von den Freunden umherging;
Denn sie streiften beständig, vom nagenden Hunger gefoltert,
Durch die Insel, um Fische mit krummer Angel zu fangen.
370
Und sie nahte sich mir, und sprach mit freundlicher Stimme:
Fremdling, bist du so gar einfältig, oder so träge?
Oder zauderst du gern, und findest Vergnügen am Elend:
Daß du so lang auf der Insel verweilst? Ist nirgends ein Ausweg
Aus dem Jammer zu sehn, da das Herz den Genossen entschwindet?
375
Also sprach sie; und ich antwortete wieder und sagte:
Ich verkündige dir, o Göttin, wie du auch heißest,
Daß ich mitnichten gerne verweile; sondern gesündigt
Hab‘ ich vielleicht an den Göttern, des weiten Himmels Bewohnern.
Aber sage mir doch, die Götter wissen ja alles!
380
Wer der Unsterblichen hält mich hier auf, und hindert die Reise?
Und wie gelang‘ ich heim auf dem fischdurchwimmelten Meere?
Also sprach ich; mir gab die hohe Göttin zur Antwort:
Gerne will ich, o Fremdling, dir lautere Wahrheit verkünden.
Hier am Gestade schaltet ein grauer Bewohner des Meeres,
385
Proteus, der wahrhafte Gott aus Ägyptos, welcher des Meeres
Dunkle Tiefen kennt, ein treuer Diener Poseidons.
Dieser ist, wie man sagt, mein Vater, der mich gezeuget.
Wüßtest du diesen nur durch heimliche List zu erhaschen;
Er weissagte dir wohl den Weg und die Mittel der Reise,
390
Und wie du heimgelangst auf dem fischdurchwimmelten Meere.
Auch verkündigt‘ er dir, Zeus‘ Liebling, wenn du es wolltest,
Was dir Böses und Gutes in deinem Hause geschehn sei,
Weil du ferne warst auf der weiten gefährlichen Reise.
Also sprach sie; und ich antwortete wieder, und sagte:
395
Nun verkünde mir selber, wie fang‘ ich den göttlichen Meergreis,
Daß er mir nicht entfliehe, mich sehend oder auch ahnend?
Wahrlich, schwer wird ein Gott vom sterblichen Manne bezwungen!
Also sprach ich; mir gab die hohe Göttin zur Antwort:
Gerne will ich, o Fremdling, dir lautere Wahrheit verkünden.
400
Wann die Mittagssonne den hohen Himmel besteiget,
Siehe dann kommt aus der Flut der graue untrügliche Meergott,
Unter dem Wehn des Westes, umhüllt vom schwarzen Gekräusel,
Legt sich hin zum Schlummer in überhangende Grotten,
Und floßfüßige Robben der lieblichen Halosydne
405
Ruhn in Scharen um ihn, dem grauen Gewässer entstiegen,
Und verbreiten umher des Meeres herbe Gerüche.
Dorthin will ich dich führen, sobald der Morgen sich rötet,
Und in die Reihe dich legen. Du aber wähle mit Vorsicht
Drei von den kühnsten Genossen der schöngebordeten Schiffe.
410
Alle furchtbaren Künste des Greises will ich dir nennen
Erstlich geht er umher, und zählt die liegenden Robben;
Und nachdem er sie alle bei Fünfen gezählt und betrachtet,
Legt er sich mitten hinein, wie ein Schäfer zwischen die Herde.
Aber sobald ihr seht, daß er zum Schlummer sich hinlegt;
415
Dann erhebet euch mutig, und übet Gewalt und Stärke,
Haltet den Sträubenden fest, wie sehr er auch ringt zu entfliehen!
Denn der Zauberer wird sich in alle Dinge verwandeln,
Was auf der Erde lebt, in Wasser und loderndes Feuer.
Aber greift unerschrocken ihn an, und haltet noch fester!
420
Wenn er nun endlich selbst euch anzureden beginnet,
In der Gestalt, worin ihr ihn saht zum Schlummer sich legen;
Dann laß ab von deiner Gewalt, und löse den Meergreis,
Edler Held, und frag‘ ihn, wer unter den Göttern dir zürne,
Und wie du heimgelangst auf dem fischdurchwimmelten Meere.
425
Also sprach sie, und sprang in die hochaufwallende Woge.
Aber ich ging zu den Schiffen, wo sie im Sande des Ufers
Standen; und viele Gedanken bewegten des Gehenden Seele.
Als ich jetzo mein Schiff und des Meeres Ufer erreichte,
Da bereiteten wir das Mahl. Die ambrosische Nacht kam;
430
Und wir lagerten uns am rauschenden Ufer des Meeres.
Als die heilige Frühe mit Rosenfingern erwachte,
Ging ich längst dem Gestade des weithinflutenden Meeres
Fort, und betete viel zu den Himmlischen. Von den Genossen
Folgten mir drei, bewährt vor allen an Kühnheit und Stärke.
435
Aber indessen fuhr Eidothea tief in des Meeres
Weiten Busen, und trug vier Robbenfelle von dannen,
Welche sie frisch abzog; und entwarf die Täuschung des Vaters.
Jedem höhlete sie ein Lager im Sande des Meeres,
Saß und erwartete uns. Sobald wir die Göttin erreichten,
440
Legte sie uns nach der Reih‘, und hüllte jedem ein Fell um.
Wahrlich die Lauer bekam uns fürchterlich! Bis zum Ersticken
Quält‘ uns der tranichte Dunst der meergemästeten Robben!
Denn wer ruhte wohl gerne bei Ungeheuern des Meeres?
Aber die Göttin ersann zu unserer Rettung ein Labsal:
445
Denn sie strich uns allen Ambrosia unter die Nasen,
Dessen lieblicher Duft des Tranes Gerüche vertilgte.
Also lauerten wir den ganzen Morgen geduldig.
Scharweis kamen die Robben nun aus dem Wasser, und legten
Nach der Reihe sich hin am rauschenden Ufer des Meeres.
450
Aber am Mittag kam der göttliche Greis aus dem Wasser,
Ging bei den feisten Robben umher, und zählte sie alle.
Also zählt‘ er auch uns für Ungeheuer, und dachte
Gar an keinen Betrug; dann legt‘ er sich selber zu ihnen.
Plötzlich fuhren wir auf mit Geschrei, und schlangen die Hände
455
Schnell um den Greis; doch dieser vergaß der betrüglichen Kunst nicht.
Erstlich ward er ein Leu mit fürchterlich wallender Mähne,
Drauf ein Pardel, ein bläulicher Drach‘, und ein zürnender Eber,
Floß dann als Wasser dahin, und rauscht‘ als Baum in den Wolken.
Aber wir hielten ihn fest mit unerschrockener Seele.
460
Als nun der zaubernde Greis ermüdete sich zu verwandeln,
Da begann er selber mich anzureden, und fragte:
Welcher unter den Göttern, Atreide, gab dir den Anschlag,
Daß du mit Hinterlist mich Fliehenden fängst? Was bedarfst du?
Also sprach er; und ich antwortete wieder, und sagte:
465
Alter, du weißt es, (warum verstellst du dich, dieses zu fragen?)
Daß ich so lang‘ auf dieser Insel verweil‘, und nirgends ein Ausweg
Aus dem Jammer sich zeigt, da das Herz den Genossen entschwindet!
Drum verkündige mir, die Götter wissen ja alles!
Wer der Unsterblichen hält mich hier auf, und hindert die Reise?
470
Und wie gelang ich heim auf dem fischdurchwimmelten Meere?
Also sprach ich; der Greis antwortete wieder, und sagte:
Aber du solltest auch Zeus und den andern unsterblichen Göttern
Opfern, als du die Schiffe bestiegst, damit du geschwinder
Deine Heimat erreichtest, die dunkle Woge durchsteuernd!
475
Denn dir verbeut das Schicksal, die Deinigen wieder zu sehen
Und dein prächtiges Haus und deiner Väter Gefilde,
Bis du wieder zurück zu des himmelernährten Ägyptos
Wassern segelst, und dort mit heiligen Hekatomben
Sühnst der Unsterblichen Zorn, die den weiten Himmel bewohnen:
480
Dann verleihn dir die Götter die Heimfahrt, welche du wünschest.
Also sagte der Greis. Mir brach das Herz vor Betrübnis,
Weil er mir wieder befahl, auf dem dunkelwogenden Meere
Nach dem Ägyptos zu schiffen, die weite gefährliche Reise.
Aber ich faßte mich doch, und gab ihm dieses zur Antwort:
485
Göttlicher Greis, ich will ausrichten, was du befiehlest,
Aber verkündige mir, und sage die lautere Wahrheit:
Sind die Danaer all‘ unbeschädigt wiedergekehret,
Welche Nestor und ich beim Scheiden in Troja verließen?
Oder ward einer im Schiffe vom bittern Verderben ereilet,
490
Oder den Freunden im Arme, nachdem er den Krieg vollendet?
Also sprach ich; und drauf antwortete jener, und sagte:
Warum fragst du mich das, Sohn Atreus‘? Du mußt nicht alles
Wissen, noch meine Gedanken erforschen! Du möchtest nicht lange
Dich der Tränen enthalten, wenn du das alles erführest!
495
Siehe, gefallen sind viele davon, und viele noch übrig;
Aber nur zween Heerführer der erzgepanzerten Griechen
Raffte die Heimfahrt hin; in der Feldschlacht warest du selber.
Einer der Lebenden wird im weiten Meere gehalten.
Ajas versank in die See mit den langberuderten Schiffen.
500
Anfangs rettete zwar den Scheiternden Poseidaon
Aus den Fluten des Meers an die großen gyräischen Felsen.
Dort wär‘ Athenens Feind dem verderbenden Schicksal entronnen,
Hätte der Lästerer nicht voll Übermutes geprahlet,
Daß er den Göttern zum Trotz den stürmenden Wogen entflöhe.
505
Aber Poseidon vernahm die stolzen Worte des Prahlers,
Und ergriff mit der nervichten Faust den gewaltigen Dreizack,
Schlug den gyräischen Fels; und er spaltete schnell voneinander.
Eine der Trümmern blieb, die andre stürzt‘ in die Fluten,
Wo der Achaier saß, und die Gotteslästerung ausstieß;
510
Und er versank ins unendliche hochaufwogende Weltmeer.
So fand Ajas den Tod, ersäuft von der salzigen Welle.
Zwar dein Bruder entfloh der schrecklichen Rache der Göttin
Samt den gebogenen Schiffen; ihn schützte die mächtige Here.
Aber als er sich jetzo dem Vorgebirge Maleia
515
Näherte, rafft‘ ihn der wirbelnde Sturm und schleuderte plötzlich
Ihn, den Jammernden, weit in das fischdurchwimmelte Weltmeer,
An die äußerste Küste, allwo vor Zeiten Thyestes
Hatte gewohnt, und jetzo Thyestes‘ Sohn Ägisthos.
Aber ihm schien auch hier die Heimfahrt glücklich zu enden;
520
Denn die Götter wandten den Sturm, und trieben ihn heimwärts.
Freudig sprang er vom Schiff ans vaterländische Ufer,
Küßt‘ und umarmte sein Land, und heiße Tränen entstürzten
Seiner Wange, vor Freude, die Heimat wieder zu sehen.
Ihn erblickte der Wächter auf einer erhabenen Warte,
525
Von Ägisthos bestellt, der zwei Talente des Goldes
Ihm zum Lohne versprach. Ein Jahr lang hielt er schon Wache,
Daß er nicht heimlich käm‘, und stürmende Tapferkeit übte.
Eilend lief er zur Burg, und brachte dem Könige Botschaft;
Und Ägisthos gedachte sogleich des schlauen Betruges.
530
Zwanzig tapfere Männer erlas er im Volk, und verbarg sie;
Auf der anderen Seite gebot er, ein Mahl zu bereiten.
Jetzo ging er, und lud Agamemnon, den Hirten der Völker,
Prangend mit Rossen und Wagen, sein Herz voll arger Entwürfe;
Führte den nichts argwöhnenden Mann ins Haus, und erschlug ihn
535
Unter den Freuden des Mahls: so erschlägt man den Stier an der Krippe!
Keiner entrann dem Tode vom ganzen Gefolg‘ Agamemnons,
Und von Ägisthos keiner; sie stürzten im blutigen Saale.
Also sagte der Greis. Mir brach das Herz vor Betrübnis:
Weinend saß ich im Sande des Meers, und wünschte nicht länger
540
Unter den Lebenden hier das Licht der Sonne zu schauen.
Aber als ich mein Herz durch Weinen und Wälzen erleichtert,
Da erhub er die Stimme, der graue untrügliche Meergott:
Weine nicht immerdar, Sohn Atreus‘, hemme die Tränen;
Denn wir können damit nichts bessern! Aber versuche
545
Jetzt, aufs eiligste wieder dein Vaterland zu erreichen.
Jenen findest du noch lebendig, oder Orestes
Tötet ihn schon vor dir: dann kommst du vielleicht zum Begräbnis.
Also sprach er, und stärkte mein edles Herz in dem Busen,
So bekümmert ich war, durch seine frohe Verheißung.
550
Und ich redet‘ ihn an, und sprach die geflügelten Worte:
Dieser Schicksal weiß ich nunmehr. Doch nenne den Dritten,
Welchen man noch lebendig im weiten Meere zurückhält,
Oder auch tot. Verschweige mir nicht die traurige Botschaft!
Also sprach ich; und drauf antwortete jener, und sagte:
555
Das ist der Sohn Laertes, der Ithakas Fluren bewohnet.
Ihn sah ich auf der Insel die bittersten Tränen vergießen,
In dem Hause der Nymphe Kalypso, die mit Gewalt ihn
Hält; und er sehnt sich umsonst nach seiner heimischen Insel;
Denn es gebricht ihm dort an Ruderschiffen und Männern,
560
Über den weiten Rücken des Meeres ihn zu geleiten.
Aber dir bestimmt, o Geliebter von Zeus, Menelaos,
Nicht das Schicksal den Tod in der rossenährenden Argos;
Sondern die Götter führen dich einst an die Enden der Erde,
In die elysische Flur, wo der bräunliche Held Radamanthus
565
Wohnt, und ruhiges Leben die Menschen immer beseligt:
(Dort ist kein Schnee, kein Winterorkan, kein gießender Regen;
Ewig wehn die Gesäusel des leiseatmenden Westes,
Welche der Ocean sendet, die Menschen sanft zu kühlen:)
Weil du Helena hast, und Zeus als Eidam dich ehret.
570
Also sprach er, und sprang in des Meeres hochwallende Woge.
Aber ich ging zu den Schiffen mit meinen tapfern Genossen,
Schweigend, und viele Gedanken bewegten des Gehenden Seele.
Als wir jetzo das Schiff und des Meeres Ufer erreichten,
Da bereiteten wir das Mahl. Die ambrosische Nacht kam;
575
Und wir lagerten uns ans rauschenden Ufer des Meeres.
Als die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte,
Zogen wir erst die Schiffe hinab in die heilige Meersflut,
Stellten die Masten empor, und spannten die schwellenden Segel,
Traten dann selber ins Schiff, und setzten uns hin auf die Bänke,
580
Saßen in Reihn, und schlugen die graue Woge mit Rudern.
Und ich fuhr zum Strome des himmelgenährten Ägyptos,
Landete dort, und brachte den Göttern heilige Opfer.
Und nachdem ich den Zorn der unsterblichen Götter gesühnet,
Häuft‘ ich ein Grabmal auf, Agamemnon zum ewigen Nachruhm.
585
Als ich dieses vollbracht, entschifften wir. Günstige Winde
Sandten mir jetzo die Götter, und führten mich schnell zu der Heimat.
Aber ich bitte dich, Lieber, verweil in meinem Palaste,
Bis der elfte der Tage vorbei ist, oder der zwölfte.
Alsdann send‘ ich dich heim, und schenke dir köstliche Gaben:
590
Drei der mutigsten Rosse, und einen prächtigen Wagen;
Auch ein schönes Gefäß, damit du den ewigen Göttern
Opfer gießest, und dich beständig meiner erinnerst.
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Atreus‘ Sohn, berede mich nicht, hier länger zu bleiben.
595
Denn ich säße mit Freuden bei dir ein ganzes Jahr lang,
Ohne mich jemals heim nach meinen Eltern zu sehnen:
Siehe mit solchem Entzücken erfüllt mich deine Erzählung
Und dein Gespräch! Allein unwillig harren die Freunde
In der göttlichen Pylos; und du verweilst mich noch länger.
600
Hast du mir ein Geschenk bestimmt, so sei es ein Kleinod.
Rosse nützen mir nicht in Ithaka; darum behalte
Selber diese zur Pracht: du beherrschest flache Gefilde,
Überwachsen mit Klee und würzeduftendem Galgan,
Und mit Weizen und Spelt und weißer fruchtbarer Gerste.
605
Aber in Ithaka fehlt es an weiten Ebnen und Wiesen;
Ziegen nährt sie: doch lieb‘ ich sie nicht, als irgend ein Roßland.
Keine der Inseln im Meer‘ ist mutigen Rossen zur Laufbahn
Oder zur Weide bequem, und Ithaka minder als alle.
Lächelnd hörte den Jüngling der Rufer im Streit Menelaos,
610
Faßte Telemachos Hand, und sprach mit freundlicher Stimme:
Edles Geblütes bist du, mein Sohn; das zeuget die Rede!
Gerne will ich dir denn die Geschenke verändern; ich kann’s ja!
Von den Schätzen, soviel ich in meinem Hause bewahre,
Geb‘ ich dir zum Geschenk das schönste und köstlichste Kleinod:
615
Gebe dir einen Kelch von künstlicherhobener Arbeit,
Aus geläutertem Silber, gefaßt mit goldenem Rande;
Und ein Werk von Hephästos! Ihn gab der Sidonier König
Phädimos mir, der Held, der einst in seinem Palaste
Mich Heimkehrenden pflegte. Den will ich jetzo dir schenken.
620
Also besprachen diese sich jetzo untereinander.
Aber die Köche gingen ins Haus des göttlichen Königs,
Führeten Ziegen und Schaf‘, und trugen stärkende Weine.
Ihre Weiber, geschmückt mit Schleiern, brachten Gebacknes.
Also bereiteten sie im hohen Saale die Mahlzeit.
625
Aber vor dem Palast Odysseus‘ schwärmten die Freier,
Und belustigten sich, die Scheib‘ und die Lanze zu werfen,
Auf dem geebneten Platz, wo sie sonst Mutwillen verübten.
Nur Antinoos saß und Eurymachos, göttlich von Ansehn,
Beide Häupter der Freier, und ihre tapfersten Helden.
630
Aber Phronios‘ Sohn Noemon nahte sich ihnen,
Redet‘ Antinoos an, den Sohn Eupeithes, und fragte:
Ist es uns etwa bekannt, Antinoos, oder verborgen,
Ob Telemachos bald aus der sandigen Pylos zurückkehrt?
Mir gehöret das Schiff, und jetzo brauch‘ ich es selber,
635
Nach den Auen von Älis hinüber zu fahren. Es weiden
Dort zwölf Stuten für mich, mit jungen lastbaren Mäulern:
Davon möcht‘ ich mir eins abholen, und zähmen zur Arbeit.
Sprach’s; da erstaunten die Freier, daß er die Reise vollendet
Zur neleischen Pylos: sie glaubten, er wär‘ auf dem Lande,
640
Wo ihn die weidende Herd‘ erfreute, oder der Sauhirt.
Und Eupeithes‘ Sohn Antinoos gab ihm zur Antwort:
Sage mir ohne Falsch: Wann reist‘ er? Welche Genossen
Folgten aus Ithaka ihm; Freiwillige oder Gedungne,
Und leibeigene Knechte? Wie konnt‘ er doch dieses vollenden!
645
Dann erzähle mir auch aufrichtig, damit ich es wisse:
Brauchte der Jüngling Gewalt, dir das schwarze Schiff zu entreißen;
Oder gabst du es ihm gutwillig, als er dich ansprach?
Aber Phronios‘ Sohn Noemon sagte dagegen:
Selber gab ich es ihm! Wie würd‘ ein anderer handeln,
650
Wenn ihn ein solcher Mann, mit so bekümmertem Herzen,
Bäte? Es wäre ja schwer, ihm seine Bitte zu weigern!
Aber die Jünglinge waren die Tapfersten unseres Volkes,
Die ihm folgten; es ging mit diesen, als Führer des Schiffes,
Mentor, oder ein Gott, der jenem gleich an Gestalt war.
655
Aber das wundert mich: ich sah den trefflichen Mentor
Gestern Morgen noch hier, und damals fuhr er gen Pylos!
Also sprach Noemon, und ging zum Hause des Vaters.
Aber den beiden wühlte der Schmerz in der stolzen Seele.
Und die Freier verließen ihr Spiel, und setzten sich nieder.
660
Aber Eupeithes‘ Sohn Antinoos sprach zur Versammlung,
Glühend vor Zorn; ihm schwoll von schwarzer strömender Galle
Hoch die Brust, und den Augen entfunkelte strahlendes Feuer:
Wahrlich ein großes Werk hat Telemachos kühnlich vollendet!
Diese Reise! Wir dachten, er würde sie nimmer vollenden;
665
Und trotz allen entwischt er, der junge Knabe, wie spielend,
Rüstet ein Schiff, und wählt sich die tapfersten Männer im Volke!
Der verspricht uns hinfort erst Unheil! Aber ihm tilge
Zeus die mutige Kraft, bevor er uns Schaden bereitet!
Auf! und gebt mir ein rüstiges Schiff und zwanzig Gefährten,
670
Daß ich dem Reisenden selbst auflaure, wann er zurückkehrt,
In dem Sunde, der Ithaka trennt und die bergichte Samos;
Daß die Fahrt nach dem Vater ein jämmerlich Ende gewinne!
Also sprach er; sie lobten ihn all‘, und reizten ihn stärker,
Standen dann auf, und gingen ins Haus des edlen Odysseus.
675
Penelopeia blieb nicht lang‘ unkundig des Rates,
Welchen die Freier jetzt in tückischer Seele beschlossen.
Denn ihr verkündete Medon, der Herold, welcher den Ratschluß
Außer dem Hause belauscht, als jene sich drinnen besprachen.
Schnell durcheilt‘ er die Burg, und brachte der Königin Botschaft.
680
Als er die Schwelle betrat, da fragt‘ ihn Penelopeia:
Herold, sage, warum dich die stolzen Freier gesendet!
Etwa daß du den Mägden des hohen Odysseus befehlest,
Von der Arbeit zu ruhn, und ihnen das Mahl zu bereiten?
Möchten die trotzigen Freier sich niemals wieder versammeln,
685
Sondern ihr letztes Mahl, ihr letztes! heute genießen!
Die ihr hier täglich in Scharen das große Vermögen hinabschlingt,
Alle Güter des klugen Telemachos! Habt ihr denn niemals,
Als ihr noch Kinder war’t, von euren Vätern gehöret,
Wie sich gegen sein Volk Odysseus immer betragen,
690
Wie er keinem sein Recht durch Taten oder durch Worte
Jemals gekränkt? da sonst der mächtigen Könige Brauch ist,
Daß sie einige Menschen verfolgen, und andre hervorziehn?
Aber nie hat Odysseus nach blindem Dünkel gerichtet;
Und ihr zeiget euch ganz in eurer bösen Gesinnung,
695
Da ihr mit Undank nun so viel Wohltaten vergeltet!
Ihr antwortete drauf der gute verständige Medon:
Königin, wäre doch dieses von allen das äußerste Übel!
Aber ein größeres noch und weit furchtbareres Unglück
Hegen die Freier im Sinne, das Zeus Kronion verhüte!
700
Deinen Telemachos trachten sie jetzt mit dem Schwerte zu töten,
Wenn er zur Heimat kehrt. Er forscht nach Kunde vom Vater
In der heiligen Pylos, und Lakedämon der großen.
Sprach’s; und Penelopeien erzitterten Herz und Kniee.
Lange vermochte sie nicht, ein Wort zu reden; die Augen
705
Wurden mit Tränen erfüllt, und atmend stockte die Stimme.
Endlich erholte sie sich, und gab ihm dieses zur Antwort:
Sage mir, Herold, warum mein Sohn denn reiset! Was zwingt ihn
Sich auf die hurtigen Schiffe zu setzen, auf welchen die Männer,
Wie mit Rossen des Meers, das große Wasser durcheilen?
710
Will er, daß auch sein Name vertilgt sei unter den Menschen?
Ihr antwortete drauf der gute verständige Medon:
Fürstin, ich weiß es nicht, ob ihn ein Himmlischer antrieb,
Oder sein eigenes Herz, nach Pylos zu schiffen, um Kundschaft
Von dem Vater zu suchen, der Heimkehr oder des Todes.
715
Als er dieses gesagt, durcheilt‘ er die Wohnung Odysseus.
Seelenangst umströmte die Königin: ach! sie vermochte
Nicht auf den Stühlen zu ruhn, so viel in der Kammer auch waren,
Sondern sank auf die Schwelle des schimmerreichen Gemaches
Lautwehklagend dahin; und um sie jammerten alle
720
Mägde, jung und alt, so viel im Hause nur waren.
Und mit heftigem Schluchzen begann itzt Penelopeia:
O Geliebte, mich wählten vor allen Weibern der Erde,
Welche mit mir erwachsen, die Götter zum Ziele des Jammers!
Erst verlor ich den tapfern Gemahl, den Löwenbeherzten,
725
Der mit jeglicher Tugend vor allen Achaiern geschmückt war,
Tapfer und weitberühmt von Hellas bis mitten in Argos!
Und nun raubten mir meinen geliebten Sohn die Orkane
Unberühmt aus dem Haus, und ich hörte nichts von der Abfahrt!
Unglückselige Mädchen, wie konntet ihr alle so hart sein,
730
Daß ihr nicht aus dem Bette mich wecktet, da ihr es wußtet,
Als er von hinnen fuhr im schwarzen gebogenen Schiffe!
Hätt‘ ich es nur gemerkt, daß er die Reise beschlossen;
Wahrlich er wäre geblieben, wie sehr auch sein Herz ihn dahintrieb.
Oder er hätte mich tot in diesem Hause verlassen!
735
Aber man rufe geschwinde mir meinen Diener, den alten
Dolios, welchen mein Vater mir mitgab, als ich hieherzog,
Und der jetzo die Bäume des Gartens hütet; damit er,
Hin zu Laertes eilend, ihm dieses alles verkünde!
Jener möchte vielleicht sich eines Rates besinnen,
740
Und wehklagend zum Volke hinausgehn, welches nun trachtet,
Sein und des göttlichen Helden Odysseus Geschlecht zu vertilgen!
Ihr antwortete drauf die Pflegerin Eurykleia:
Liebe Tochter, töte mich gleich mit dem grausamen Erze,
Oder laß mich im Haus; ich kann es nicht länger verschweigen!
745
Alles hab‘ ich gewußt! Ich gab ihm, was er verlangte,
Speise und süßen Wein. Doch mußt‘ ich ihm heilig geloben,
Dir nichts eher zu sagen, bevor zwölf Tage vergangen,
Oder du ihn vermißtest, und hörtest von seiner Entfernung:
Daß du nicht durch Tränen dein schönes Antlitz entstelltest.
750
Aber bade dich jetzo, und leg‘ ein reines Gewand an,
Geh hinauf in den Söller mit deinen Mägden, und flehe
Pallas Athenen, der Tochter des wetterleuchtenden Gottes.
Diese wird ihn gewiß, auch selbst aus dem Tode, erretten!
Aber den Greis, den betrübten, betrübe nicht mehr! Unmöglich
755
Ist den seligen Göttern der Same des Arkeisiaden
Ganz verhaßt; ihm bleibt noch jemand, welcher beherrsche
Diesen hohen Palast und rings die fetten Gefilde!
Also sprach sie, und stillte der Königin weinenden Jammer.
Und sie badete sich, und legt‘ ein reines Gewand an,
760
Ging hinauf in den Söller, von ihren Mägden begleitet,
Trug die heilige Gerst‘ im Korb‘, und flehte Athenen:
Unbezwungene Tochter des wetterleuchtenden Gottes,
Höre mein Flehn: wo dir im Palaste der weise Odysseus
Je von Rindern und Schafen die fetten Lenden verbrannt hat,
765
Daß du, dessen gedenkend, den lieben Sohn mir errettest,
Und zerstreuest die Freier voll übermütiger Bosheit!
Also flehte sie jammernd; ihr Flehn erhörte die Göttin.
Aber nun lärmten die Freier umher in dem schattichten Saale.
Unter dem Schwarme begann ein übermütiger Jüngling:
770
Sicher bereitet sich jetzo die schöne Fürstin zur Hochzeit,
Und denkt nicht an den Tod, der ihrem Sohne bevorsteht!
Also sprachen die Freier, und wußten nicht, was geschehn war.
Aber Eupeithes‘ Sohn Antinoos sprach zur Versammlung:
Unglückselige, meidet die übermütigen Reden
775
Allzumal, damit uns im Hause keiner verrate!
Laßt uns jetzo vielmehr so still aufstehen, den Ratschluß
Auszuführen, den eben die ganze Versammlung gebilligt!
Also sprach er, und wählte sich zwanzig tapfere Männer.
Und sie eilten zum rüstigen Schiff am Strande des Meeres:
780
Zogen zuerst das Schiff hinab ins tiefe Gewässer,
Trugen den Mast hinein und die Segel des schwärzlichen Schiffes;
Hängten darauf die Ruder in ihre ledernen Wirbel,
Alles wie sich’s gebührt, und spannten die schimmernden Segel,
Ihre Rüstungen brachten die übermütigen Diener.
785
Und sie stellten das Schiff im hohen Wasser des Hafens,
Stiegen hinein, und nahmen das Mahl, und harrten der Dämmrung.
Aber Penelopeia im oberen Söller des Hauses
Legte sich hin, nicht Trank noch Speise kostend, bekümmert:
Ob ihr trefflicher Sohn entflöhe dem Todesverhängnis,
790
Oder ob ihn die Schar der trotzigen Freier besiegte.
Wie im Getümmel der Männer die zweifelnde Löwin umherblickt,
Voller Furcht, denn rings umgeben sie laurende Jäger:
Also sann sie voll Angst. Doch sanft umfing sie der Schlummer,
Und sie einschlief hinsinkend, es lösten sich alle Gelenke.
795
Aber ein Neues ersann die heilige Pallas Athene:
Siehe, ein Luftgebild erschuf sie in weiblicher Schönheit,
Gleich Iphthimen, des großgesinnten Ikarios‘ Tochter,
Deren Gemahl Eumelos die Flur um Pherä beherrschte.
Diese sandte die Göttin zum Hause des edlen Odysseus,
800
Daß sie Penelopeia, die Jammernde, Herzlichbetrübte,
Ruhen ließe vom Weinen, und ihrer zagenden Schwermut.
Und sie schwebt‘ in die Kammer hinein beim Riemen des Schlosses,
Neigte sich über das Haupt der ruhenden Fürstin, und sagte:
Schläfst du, Penelopeia, du arme Herzlichbetrübte?
805
Wahrlich sie wollen es nicht, die seligen Götter des Himmels,
Daß du weinst und traurest! Denn wiederkehren zur Heimat
Soll dein Sohn; er hat sich mit nichts an den Göttern versündigt.
Ihr antwortete drauf die kluge Penelopeia,
Aus der süßen Betäubung im stillen Tore der Träume:
810
Warum kamst du hieher, o Schwester? Du hast mich ja nimmer
Sonst besucht; denn fern ist deine Wohnung von hinnen!
Jetzo ermahnst du mich, zu ruhn von meiner Betrübnis,
Und von der schrecklichen Angst, die meine Seele belastet:
Mich, die den tapfern Gemahl verlor, den Löwenbeherzten,
815
Der mit jeglicher Tugend vor allen Achaiern geschmückt war,
Tapfer und weitberühmt von Hellas bis mitten in Argos!
Und nun ging mein Sohn, mein geliebter, im Schiffe von hinnen,
Noch unmündig, und ungeübt in Taten und Worten!
Diesen bejammre ich jetzt noch mehr, als meinen Odysseus!
820
Diesem erzittert mein Herz, und fürchtet, daß ihn ein Unfall
Treffe, unter dem Volk, wo er hinfährt, oder im Meere!
Denn es lauren auf ihn viel böse Menschen, und trachten
Ihn zu ermorden, bevor er in seine Heimat zurückkehrt!
Und die dunkle Gestalt der Schwester gab ihr zur Antwort:
825
Sei getrost, und entreiße dein Herz der bangen Verzweiflung!
Eine solche Gefährtin begleitet ihn, deren Gesellschaft
Andere Männer gewiß gern wünschten, die mächtige Göttin
Pallas Athene, die sich, o Traurende, deiner erbarmet!
Diese sendet mich jetzo, damit ich dir solches verkünde.
830
Ihr antwortete drauf die kluge Penelopeia:
Bist du der Göttinnen eine, und hörtest die Stimme der Göttin;
O so erzähle mir auch das Schicksal jenes Verfolgten!
Lebt er noch irgendwo, das Licht der Sonne noch schauend?
Oder ist er schon tot, und in der Schatten Behausung?
835
Und die dunkle Gestalt der Schwester gab ihr zur Antwort:
Dieses kann ich dir nicht genau verkünden, ob jener
Tot sei, oder noch lebe; und eitles Schwatzen ist unrecht.
Also sprach die Gestalt, und verschwand beim Schlosse der Pforte
In sanftwehende Luft. Da fuhr Ikarios‘ Tochter
840
Schnell aus dem Schlummer empor, und freute sich tief in der Seele,
Daß ihr ein deutender Traum in der Morgendämmrung erschienen.
Aber die Freier im Schiffe befuhren die flüssigen Pfade,
Um den grausamen Mord Telemachos‘ auszuführen.
Mitten im Meere liegt ein kleines felsichtes Eiland,
845
In dem Sunde, der Ithaka trennt und die bergichte Samos,
Asteris wird es genannt, wo ein sicherer Hafen die Schiffe
Mit zween Armen empfängt. Hier laurten auf ihn die Achaier.

Dritter Gesang

Dritter Gesang

Telemachos von Nestor, der am Gestade opfert, gastfrei empfangen, fragt nach des Vaters Rückkehr, Nestor erzählt, wie er selbst, und wer sonst, von Troja gekehrt sei, ermahnt den Telemachos zur Tapferkeit gegen die Freier, und rät ihm, bei Menelaos sich zu erkundigen. Der Athene, die als Adler verschwand, gelobt Nestor eine Kuh. Telemachos von Nestor geherbergt. Am Morgen, nach vollbrachtem Opfer, fährt er mit Nestors Sohne Peisistratos nach Sparta, wo sie den anderen Abend ankommen.

Jetzo erhub sich die Sonn‘ aus ihrem strahlenden Teiche
Auf zum ehernen Himmel, zu leuchten den ewigen Göttern
Und den sterblichen Menschen auf lebenschenkender Erde.
Und die Schiffenden kamen zur wohlgebaueten Pylos,
5
Neleus‘ Stadt. Dort brachten am Meergestade die Männer
Schwarze Stiere zum Opfer dem bläulichgelockten Poseidon
Neun war der Bänke Zahl, fünfhundert saßen auf jeder;
Jede von diesen gab neun Stiere. Sie kosteten jetzo
Alle der Eingeweide, und brannten dem Gotte die Lenden.
10
Jene steurten ans Land, und zogen die Segel herunter,
Banden das gleichgezimmerte Schiff, und stiegen ans Ufer.
Auch Telemachos stieg aus dem Schiffe, geführt von der Göttin.
Ihn erinnerte Zeus‘ blauäugichte Tochter Athene:
Jetzo, Telemachos, brauchst du dich keinesweges zu scheuen!
15
Darum bist du die Wogen durchschifft, nach dem Vater zu forschen,
Wo ihn die Erde verbirgt, und welches Schicksal ihn hinnahm.
Auf denn! und gehe gerade zum Rossebändiger Nestor;
Daß wir sehen, was etwa sein Herz für Rat dir bewahre.
Aber du mußt ihm flehn, daß er die Wahrheit verkünde.
20
Lügen wird er nicht reden: denn er ist viel zu verständig!
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Mentor, wie geh ich doch, und wie begrüß‘ ich den König?
Unerfahren bin ich in wohlgeordneten Worten;
Und ich scheue mich auch, als Jüngling den Greis zu befragen!
25
Drauf antwortete Zeus‘ blauäugichte Tochter Athene:
Einiges wird dein Herz dir selber sagen, o Jüngling;
Anderes wird dir ein Gott eingeben. Ich denke, du bist nicht
Ohne waltende Götter geboren oder erzogen.
Als sie die Worte geredet, da wandelte Pallas Athene
30
Eilend voran, und er folgte den Schritten der wandelnder Göttin.
Und sie erreichten die Sitze der pylischen Männer, wo Nestor
Saß mit seinen Söhnen, und rings die Freunde zur Mahlzeit
Eilten das Fleisch zu braten, und andres an Spieße zu stecken.
Als sie die Fremdlinge sahn, da kamen sie alle bei Haufen,
35
Reichten grüßend die Händ‘, und nötigten beide zum Sitze.
Nestors Sohn vor allen, Peisistratos, nahte sich ihnen,
Nahm sie beid‘ an der Hand, und hieß sie sitzen am Mahle,
Auf dickwollichten Fellen, im Kieselsande des Meeres,
Seinem Vater zur Seit‘ und Thrasymedes dem Bruder;
40
Legte vor jeden ein Teil der Eingeweide, und schenkte
Wein in den goldenen Becher, und reicht‘ ihn mit herzlichem Handschlag
Pallas Athenen, der Tochter des wetterleuchtenden Gottes:
Bete jetzt, o Fremdling, zum Meerbeherrscher Poseidon,
Denn ihr findet uns hier an seinem heiligen Mahle.
45
Hast du, der Sitte gemäß, dein Opfer gebracht und gebetet,
Dann gib diesem den Becher mit herzerfreuendem Weine
Zum Trankopfer. Er wird doch auch die Unsterblichen gerne
Anflehn; denn es bedürfen ja alle Menschen der Götter.
Aber er ist der Jüngste, mit mir von einerlei Alter;
50
Darum bring‘ ich dir zuerst den goldenen Becher.
Also sprach er, und reicht‘ ihr den Becher voll duftendes Weines.
Und Athene ward froh des gerechten verständigen Mannes,
Weil er ihr zuerst den goldenen Becher gereichet;
Und sie betete viel zum Meerbeherrscher Poseidon:
55
Höre mich, Poseidaon, du Erdumgürter! Verwirf nicht
Unser frommes Gebet; erfülle, was wir begehren!
Nestorn kröne vor allen und Nestors Söhne mit Ehre;
Und erfreue dann auch die andern Männer von Pylos
Für ihr herrliches Opfer mit reicher Wiedervergeltung!
60
Mich und Telemachos laß heimkehren als frohe Vollender
Dessen, warum wir hieher im schnellen Schiffe gekommen!
Also betete sie, und erfüllte selber die Bitte,
Reichte Telemachos drauf den schönen doppelten Becher.
Eben so betete jetzt der geliebte Sohn von Odysseus.
65
Als sie das Fleisch nun gebraten, und von den Spießen gezogen,
Teilten sie’s allen umher, und feirten das prächtige Gastmahl.
Und nachdem die Begierde des Tranks und der Speise gestillt war;
Sprach der gerenische Greis, der Rossebändiger Nestor:
Jetzo ziemt es sich besser, die fremden Gäste zu fragen,
70
Wer sie sei’n, nachdem sie ihr Herz mit Speise gesättigt.
Fremdlinge, sagt, wer seid ihr? Von wannen trägt euch die Woge?
Habt ihr wo ein Gewerb‘, oder schweift ihr ohne Bestimmung
Hin und her auf der See: wie küstenumirrende Räuber,
Die ihr Leben verachten, um fremden Völkern zu schaden?
75
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen,
Ohne Furcht; denn ihm goß Athene Mut in die Seele,
Daß er nach Kundschaft forschte vom langabwesenden Vater,
Und sich selber ein gutes Gerücht bei den Menschen erwürbe:
Nestor, Neleus‘ Sohn, du großer Ruhm der Achaier
80
Fragst, von wannen wir sei’n; ich will dir alles erzählen.
Siehe von Ithaka her am Neïon sind wir gekommen,
Nicht in Geschäften des Volks, im eigenen; dieses vernimm jetzt:
Meines edlen Vaters verbreiteten Ruhm zu erforschen,
Reis‘ ich umher, Odysseus des Leidengeübten, der ehmals,
85
Sagt man, streitend mit dir, die Stadt der Troer zerstört hat.
Von den übrigen allen, die einst vor Ilion kämpften,
Hörten wir doch, wie jeder dem grausamen Tode dahinsank;
Aber von jenem verbarg sogar das Ende Kronion.
Niemand weiß uns den Ort zu nennen, wo er gestorben:
90
Ob er auf festem Lande von feindlichen Männern vertilgt sei,
Oder im stürmenden Meere von Amphitritens Gewässern.
Darum fleh ich dir jetzo, die Knie‘ umfassend, du wollest
Seinen traurigen Tod mir verkündigen; ob du ihn selber
Ansahst, oder vielleicht von einem irrenden Wandrer
95
Ihn erfuhrst: denn ach! zum Leiden gebar ihn die Mutter!
Aber schmeichle mir nicht, aus Schonung oder aus Mitleid;
Sondern erzähle mir treulich, was deine Augen gesehen.
Flehend beschwör‘ ich dich, hat je mein Vater Odysseus
Einen Wunsch dir gewährt mit Worten oder mit Taten,
100
In dem troischen Lande, wo Not euch Achaier umdrängte:
Daß du, dessen gedenkend, mir jetzo Wahrheit verkündest!
Ihm antwortete drauf der Rossebändiger Nestor:
Lieber weil du mich doch an jene Trübsal erinnerst,
Die wir tapfern Achaier im troischen Lande geduldet;
105
Wann wir jetzt mit den Schiffen im dunkelwogenden Meere
Irrten nach Beute umher, wohin Achilleus uns führte;
Jetzt um die große Stadt des herrschenden Priamos kämpften:
Dort verloren ihr Leben die tapfersten aller Achaier!
Dort liegt Ajas, ein Held gleich Ares; dort auch Achilleus;
110
Dort sein Freund Patroklos, an Rat den Unsterblichen ähnlich;
Dort mein geliebter Sohn Antilochos, tapfer und edel,
Rüstig vor allen Achaiern im Lauf, und rüstig im Streite!
Und wir haben auch sonst noch viele Leiden erduldet!
Welcher sterbliche Mensch vermöchte sie alle zu nennen?
115
Bliebest du auch fünf Jahr‘ und sechs nacheinander, und forschtest
Alle Leiden von mir der edlen Achaier; du würdest
Überdrüssig vorher in deine Heimat zurückgehn.
Denn neun Jahre hindurch erschöpften wir, ihnen zu schaden,
Alle Listen des Kriegs; und kaum vollbracht‘ es Kronion!
120
Da war keiner im Heere, der sich mit jenem an Klugheit
Maß; allübersehend erfand der edle Odysseus
Alle Listen des Kriegs, dein Vater; woferne du wirklich
Seines Geschlechtes bist. – Mit Staunen erfüllt mich der Anblick!
Auch dein Reden gleichet ihm ganz; man sollte nicht glauben,
125
Daß ein jüngerer Mann so gut zu reden verstünde!
Damals sprachen wir nie, ich und der edle Odysseus,
Weder im Rat verschieden, noch in des Volkes Versammlung;
Sondern eines Sinns ratschlagten wir beide mit Klugheit
Und mit Bedacht, wie am besten das Wohl der Achaier gediehe.
130
Als wir die hohe Stadt des Priamos endlich zerstöret,
Gingen wir wieder zu Schiff, allein Gott trennte die Griechen.
Damals beschloß Kronion im Herzen die traurigste Heimfahrt
Für das argeiische Heer; denn sie waren nicht alle verständig,
Noch gerecht; drum traf so viele das Schreckenverhängnis.
135
Siehe des mächtigen Zeus‘ blauäugichte Tochter entzweite,
Zürnender Rache voll, die beiden Söhne von Atreus.
Diese beriefen das Heer zur allgemeinen Versammlung;
Aber verkehrt, nicht der Ordnung gemäß, da die Sonne sich neigte,
Und es kamen, vom Weine berauscht, die Söhne der Griechen.
140
Jetzo trugen sie vor, warum sie die Völker versammelt.
Menelaos ermahnte das ganze Heer der Achaier,
Über den weiten Rücken des Meers nach Hause zu schiffen,
Aber sein Rat mißfiel Agamemnon gänzlich: er wünschte,
Dort das Volk zu behalten, und Hekatomben zu opfern,
145
Daß er den schrecklichen Zorn der beleidigten Göttin versöhnte.
Tor! er wußte nicht, daß sein Beginnen umsonst war!
Denn nicht schnell ist der Zorn der ewigen Götter zu wandeln.
Also standen sie beid‘, und wechselten heftige Worte;
Und es erhuben sich die schöngeharnischten Griechen
150
Mit unendlichem Lärm, geteilt durch zwiefache Meinung.
Beide ruhten die Nacht, voll schadenbrütendes Grolles;
Denn es bereitete Zeus den Achaiern die Strafe des Unfugs.
Frühe zogen wir Hälfte die Schiff‘ in die heilige Meersflut,
Brachten die Güter hinein, und die schöngegürteten Weiber.
155
Aber die andere Hälfte der Heerschar blieb am Gestade
Dort, bei Atreus‘ Sohn Agamemnon, dem Hirten der Völker.
Wir indes in den Schiffen entruderten eilig von dannen,
Und ein Himmlischer bahnte das ungeheure Gewässer.
Als wir gen Tenedos kamen, da opferten alle den Göttern,
160
Heimverlangend; allein noch hinderte Zeus die Heimfahrt;
Denn der Zürnende sandte von neuem verderbliche Zwietracht.
Einige lenkten zurück die gleichberuderten Schiffe,
Angeführt von dem tapfern erfindungsreichen Odysseus,
Daß sie sich Atreus‘ Sohn‘ Agamemnon gefällig erwiesen.
165
Aber ich flohe voraus mit dem Schiffsheer, welches mir folgte;
Denn es ahnete mir, daß ein Himmlischer Böses verhängte.
Tydeus‘ kriegrischer Sohn floh auch, und trieb die Gefährten.
Endlich kam auch zu uns Menelaos der Bräunlichgelockte,
Als wir in Lesbos noch ratschlagten wegen der Laufbahn:
170
Ob wir oberhalb der bergichten Chios die Heimfahrt
Lenkten auf Psyria zu, und jene zur Linken behielten;
Oder unter Chios, am Fuße des stürmischen Mimas.
Und wir baten den Gott, uns ein Zeichen zu geben; und dieser
Deutete uns, und befahl, gerade durchs Meer nach Euböa
175
Hinzusteuern, damit wir nur schnell dem Verderben entflöhen.
Jetzo blies ein säuselnder Wind in die Segel der Schiffe;
Und sie durchließen in Eile die Pfade der Fische, und kamen
Nachts vor Geraistos an. Hier brannten wir Poseidaon
Viele Lenden der Stiere zum Dank für die glückliche Meerfahrt.
180
Jetzt war der vierte Tag, als in Argos mit seinen Genossen
Landete Tydeus‘ Sohn, Diomedes der Rossebezähmer.
Aber ich setzte den Lauf nach Pylos fort, und der Fahrwind
Hörte nicht auf zu wehn, den uns der Himmlische sandte.
Also kam ich, mein Sohn, ohn‘ alle Kundschaft, und weiß nicht,
185
Welche von den Achaiern gestorben sind, oder noch leben.
Aber so viel ich hier im Hause sitzend erkundet,
Will ich, wie sich’s gebührt, anzeigen, und nichts dir verhehlen.
Glücklich kamen, wie’s heißt, die streitbaren Myrmidonen,
Angeführt von dem trefflichen Sohne des großen Achilleus;
190
Glücklich auch Philoktetes, der glänzende Sohn des Pöas.
Auch Idomeneus brachte gen Kreta alle Genossen,
Welche dem Krieg‘ entflohn, und keinen raubte das Meer ihm.
Endlich von des Atreiden Zurückkunft habt ihr Entfernten
Selber gehört, wie Ägisthos den traurigsten Tod ihm bereitet.
195
Aber wahrlich er hat ihn mit schrecklicher Rache gebüßet!
O wie schön, wenn ein Sohn von einem erschlagenen Manne
Nachbleibt! Also hat jener am Meuchelmörder Ägisthos
Rache geübt, der ihm den herrlichen Vater ermordet!
Auch du, Lieber, denn groß und stattlich bist du von Ansehn,
200
Halte dich wohl, daß einst die spätesten Enkel dich preisen!
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Nestor, Neleus‘ Sohn, du großer Ruhm der Achaier,
Schreckliche Rache hat jener geübt, und weit in Achaia
Wird erschallen sein Ruhm, ein Gesang der spätesten Enkel.
205
O beschieden auch mir so viele Stärke die Götter,
Daß ich den Übermut der rasenden Freier bestrafte,
Welche mir immer zum Trotz die schändlichsten Greuel ersinnen!
Aber versagt ward mir ein solches Glück von den Göttern,
Meinem Vater und mir! Nun gilt nichts weiter, als dulden!
210
Ihm antwortete drauf der Rossebändiger Nestor:
Lieber, weil du mich doch an jenes erinnerst; man sagt ja,
Daß um deine Mutter ein großer Haufe von Freiern,
Dir zum Trotz, im Palaste so viel Unarten beginge.
Sprich, erträgst du das Joch freiwillig, oder verabscheun
215
Dich die Völker des Landes, gewarnt durch göttlichen Ausspruch?
Aber wer weiß, ob jener nicht einst, ein Rächer des Aufruhrs,
Kommt, er selber allein, oder auch mit allen Achaiern.
Liebte sie dich so herzlich, die heilige Pallas Athene,
Wie sie einst für Odysseus den Hochberühmten besorgt war,
220
In dem troischen Lande, wo Not uns Achaier umdrängte;
(Niemals sah ich so klar die Zeichen göttlicher Obhut,
Als sich Pallas Athene für ihren Geliebten erklärte!)
Liebte sie dich so herzlich, und waltete deiner so sorgsam:
Mancher von jenen vergäße der hochzeitlichen Gedanken!
225
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Edler Greis, dies Wort wird schwerlich jemals vollendet;
Denn du sagtest zu viel! Erstaunen muß ich! O nimmer
Würde die Hoffnung erfüllt, wenn auch die Götter es wollten!
Drauf antwortete Zeus‘ blauäugichte Tochter Athene:
230
Welche Rede, o Jüngling, ist deinen Lippen entflohen?
Leicht bringt Gott, wenn er will, auch Fernverirrte zur Ruhe!
Und ich möchte doch lieber nach vielem Jammer und Elend
Spät zur Heimat kehren und schaun den Tag der Zurückkunft,
Als heimkehrend sterben am eigenen Herde, wie jener
235
Durch Ägisthos‘ Verrat und seines Weibes dahinsank.
Nur das gemeine Los des Todes können die Götter
Selbst nicht wenden, auch nicht von ihrem Geliebten, wenn jetzo
Ihn die finstere Stunde mit Todesschlummer umschattet.
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
240
Mentor, rede nicht weiter davon, wie sehr wir auch trauren!
Jener wird nimmermehr heimkehren; sondern es weihten
Ihn die Unsterblichen längst dem schwarzen Todesverhängnis.
Jetzo will ich Nestorn um etwas anderes fragen,
Ihn, der vor allen Menschen Gerechtigkeit kennet und Weisheit.
245
Denn man saget, er hat drei Menschenalter beherrschet;
Darum scheinet er mir ein Bild der unsterblichen Götter.
Nestor, Neleus‘ Sohn, verkünde mir lautere Wahrheit!
Wie starb Atreus‘ Sohn, der große Held Agamemnon?
Wo war denn Menelaos? Und welchen listigen Anschlag
250
Fand der Meuchler Ägisthos, den stärkeren Mann zu ermorden?
War er etwa noch nicht im achaiischen Argos, und irrte
Unter den Menschen umher, daß der sich des Mordes erkühnte?
Ihm antwortete drauf der Rossebändiger Nestor:
Gerne will ich, mein Sohn, dir lautere Wahrheit verkünden.
255
Siehe, du kannst es dir leicht vorstellen, wie es geschehn ist.
Hätt‘ er Ägisthos noch lebendig im Hause gefunden,
Als er von Ilion kehrte, der Held Menelaos Atreides:
Niemand hätte den Toten mit lockerer Erde beschüttet;
Sondern ihn hätten die Hund‘ und die Vögel des Himmels gefressen,
260
Liegend fern von der Stadt auf wüstem Gefild‘, und es hätte
Keine Achaierin ihn, den Hochverräter! beweinet.
Während wir andern dort viel blutige Schlachten bestanden,
Saß er ruhig im Winkel der rossenährenden Argos,
Und liebkoste dem Weib‘ Agamemnons mit süßem Geschwätze.
265
Anfangs hörte sie zwar den argen Verführer mit Abscheu,
Klytämnestra die Edle; denn sie war gut und verständig.
Auch war ein Sänger bei ihr, dem Agamemnon besonders,
Als er gen Ilion fuhr, sein Weib zu bewahren vertraute.
Aber da sie die Götter in ihr Verderben bestrickten,
270
Führt‘ Ägisthos den Sänger auf eine verwilderte Insel,
Wo er ihn zur Beute dem Raubgevögel zurückließ;
Führte dann liebend das liebende Weib zu seinem Palaste;
Opferte Rinder und Schaf‘ auf der Götter geweihten Altären,
Und behängte die Tempel mit Gold und feinem Gewebe,
275
Weil er das große Werk, das unverhoffte, vollendet.
Jetzo segelten wir zugleich von Ilions Küste,
Menelaos und ich, vereint durch innige Freundschaft.
Aber am attischen Ufer, bei Sunions heiliger Spitze,
Siehe da ward der Pilot des menelaïschen Schiffes
280
Von den sanften Geschossen Apollons plötzlich getötet,
Haltend in seinen Händen das Steuer des laufenden Schiffes:
Phrontis, Onetors Sohn, der vor allen Erdebewohnern
Durch der Orkane Tumult ein Schiff zu lenken berühmt war.
Also ward Menelaos, wie sehr er auch eilte, verzögert,
285
Um den Freund zu begraben, und Totengeschenke zu opfern.
Aber da nun auch jener, die dunkeln Wogen durchsegelnd,
Seine gerüsteten Schiffe zum hohen Gebirge Maleia
Hatte geführt; da verhängte der Gott weithallender Donner
Ihm die traurigste Fahrt, sandt‘ ihm lautbrausende Stürme,
290
Und hoch wogten, wie Berge, die ungeheuren Gewässer.
Plötzlich zerstreut‘ er die Schiffe; die meisten verschlug er gen Kreta,
Wo der Kydonen Volk des Jardanos Ufer umwohnet.
An der gordynischen Grenz‘, im dunkelwogenden Meere,
Türmt sich ein glatter Fels den dringenden Fluten entgegen,
295
Die der gewaltige Süd an das linke Gebirge vor Phästos
Stürmt; und der kleine Fels hemmt große brandende Fluten.
Dorthin kamen die meisten; und kaum entflohn dem Verderben
Noch die Männer, die Schiffe zerschlug an den Klippen die Brandung.
Aber die übrigen fünfe der blaugeschnäbelten Schiffe
300
Wurden von Sturm und Woge zum Strom Ägyptos getrieben.
Allda fuhr Menelaos bei unverständlichen Völkern
Mit den Schiffen umher, viel Gold und Schätze gewinnend.
Unterdessen verübte zu Haus Ägisthos die Schandtat,
Bracht‘ Agamemnon um, und zwang das Volk zum Gehorsam.
305
Sieben Jahre beherrscht‘ er die schätzereiche Mykene.
Aber im achten kam zum Verderben der edle Orestes
Von Athenä zurück, und nahm von dem Meuchler Ägisthos
Blutige Rache, der ihm den herrlichen Vater ermordet;
Brachte dann mit dein Volk ein Opfer bei dem Begräbnis
310
Seiner abscheulichen Mutter und ihres feigen Ägisthos.
Eben den Tag kam auch der Rufer im Streit Menelaos,
Mit unendlichen Schätzen, so viel die Schiffe nur trugen.
Auch du, Lieber, irre nicht lange fern von der Heimat,
Da du alle dein Gut und so unbändige Männer
315
In dem Palaste verließest: damit sie nicht alles verschlingen,
Deine Güter sich teilend, und fruchtlos ende die Reise!
Aber ich rate dir doch, zu Atreus‘ Sohn Menelaos
Hinzugehn, der neulich aus fernen Landen zurückkam,
Von entlegenen Völkern, woher kein Sterblicher jemals
320
Hoffen dürfte zu kommen, den Sturm und Woge so weithin
Über das Meer verschlugen, woher auch selbst nicht die Vögel
Fliegen können im Jahre: so furchtbar und weit ist die Reise!
Eil‘ und gehe sogleich im Schiffe mit deinen Gefährten!
Oder willst du zu Lande, so fodere Wagen und Rosse,
325
Meine Söhne dazu: sie werden dich sicher gen Sparta
Führen, der prächtigen Stadt Menelaos‘ des Bräunlichgelockten.
Aber du mußt ihm flehn, daß er die Wahrheit verkünde.
Lügen wird er nicht reden; denn er ist viel zu verständig!
Also sprach er. Da sank die Sonn‘, und Dunkel erhob sich.
330
Drauf antwortete Zeus‘ blauäugichte Tochter Athene:
Wahrlich, o Greis, du hast mit vieler Weisheit geredet.
Aber schneidet jetzo die Zungen, und mischet des Weines,
Daß wir Poseidaon und allen unsterblichen Göttern
Opfern, und schlafen gehn; die Stunde gebeut uns zu ruhen;
335
Denn schon sinket das Licht in Dämmerung. Länger geziemt sich’s
Nicht, am Mahle der Götter zu sitzen, sondern zu gehen.
Also die Tochter Zeus‘, und jene gehorchten der Rede.
Herolde gossen ihnen das Wasser über die Hände;
Jünglinge füllten die Kelche bis oben mit dem Getränke,
340
Teilten dann rechts herum die vollgegossenen Becher.
Und sie verbrannten die Zungen, und opferten stehend des Weines.
Als sie ihr Opfer vollbracht, und nach Verlangen getrunken,
Machte Athene sich auf und Telemachos, göttlich von Bildung,
Wieder von dannen zu gehn zu ihrem geräumigen Schiffe.
345
Aber Nestor verbot es mit diesen strafenden Worten:
Zeus verhüte doch dieses und alle unsterblichen Götter,
Daß ihr jetzo von mir zum schnellen Schiffe hinabgeht,
Gleich als wär‘ ich ein Mann in Lumpen, oder ein Bettler,
Der nicht viele Mäntel und weiche Decken besäße,
350
Für sich selber zum Lager, und für besuchende Freunde!
Aber ich habe genug der Mäntel und prächtigen Decken!
Wahrlich nimmer gestatt‘ ich des großen Mannes Odysseus‘
Sohne, auf dem Verdeck des Schiffes zu ruhen, so lang‘ ich
Lebe! Und dann auch werden noch Kinder bleiben im Hause,
355
Einen Gast zu bewirten, der meine Wohnung besuchet!
Drauf antwortete Zeus‘ blauäugichte Tochter Athene:
Edler Greis, du hast sehr wohl geredet, und gerne
Wird Telemachos dir gehorchen, denn es gebührt sich!
Dieser gehe denn jetzo mit dir zu deinem Palaste,
360
Dort zu ruhn. Allein ich muß zum schwärzlichen Schiffe
Gehen, unsere Freunde zu stärken, und alles zu ordnen.
Denn von allen im Schiffe bin ich der einzige Alte;
Jünglinge sind die andern, die uns aus Liebe begleiten,
Allesamt von des edlen Telemachos blühendem Alter.
365
Allda will ich die Nacht am schwarzen gebogenen Schiffe
Ruhn, und morgen früh zu den großgesinnten Kaukonen
Gehen, daß ich die Schuld, die weder neu noch gering ist,
Mir einfodre. Doch diesen, den Gastfreund deines Palastes,
Send‘ im Wagen gen Sparta, vom Sohne begleitet, und gib ihm
370
Zum Gespanne die schnellsten und unermüdlichsten Rosse.
Also redete Zeus‘ blauäugichte Tochter, und schwebte,
Plötzlich ein Adler, empor; da erstaunte die ganze Versammlung.
Wundernd stand auch der Greis, da seine Augen es sahen,
Faßte Telemachos‘ Hand, und sprach mit freundlicher Stimme:
375
Lieber, ich hoffe, du wirst nicht feige werden noch kraftlos;
Denn es begleiten dich schon als Jüngling waltende Götter!
Siehe kein anderer war’s der himmelbewohnenden Götter,
Als des allmächtigen Zeus‘ siegprangende Tochter Athene,
Die auch deinen Vater vor allen Achaiern geehrt hat!
380
Herrscherin, sei uns gnädig, und krön‘ uns mit glänzendem Ruhme,
Mich und meine Kinder, und meine teure Genossin!
Dir will ich opfern ein jähriges Rind, breitstirnig und fehllos,
Unbezwungen vom Stier, und nie zum Joche gebändigt:
Dieses will ich dir opfern, mit Gold die Hörner umzogen!
385
Also sprach er flehend; ihn hörete Pallas Athene.
Und der gerenische Greis, der Rossebändiger Nestor,
Führte die Eidam‘ und Söhne zu seinem schönen Palaste.
Als sie den hohen Palast des Königs jetzo erreichten,
Setzten sich alle in Reihn auf prächtige Thronen und Sessel.
390
Und den Kommenden mischte der Greis von neuem im Kelche
Süßen balsamischen Wein; im elften Jahre des Alters
Wählte die Schaffnerin ihn, und löste den spündenden Deckel.
Diesen mischte der Greis und flehete, opfernd des Trankes,
Viel zu der Tochter des Gottes mit wetterleuchtendem Schilde.
395
Als sie ihr Opfer vollbracht, und nach Verlangen getrunken,
Gingen sie alle heim, der süßen Ruhe zu pflegen.
Aber Telemachos hieß der Rossebändiger Nestor
Dort im Palaste ruhn, den Sohn des edlen Odysseus,
Unter der tönenden Hall‘, im schöngebildeten Bette.
400
Neben ihm ruhte der Held Peisistratos, welcher allein noch
Unvermählt von den Söhnen in Nestors Hause zurückblieb.
Aber er selber schlief im Innern des hohen Palastes,
Und die Königin schmückte das Eh’bett ihres Gemahles.
Als nun die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte,
405
Da erhub sich vom Lager der Rossebändiger Nestor,
Ging hinaus, und setzte sich auf gehauene Steine,
Vor der hohen Pforte des schöngebauten Palastes,
Weiß und glänzend wie Öl. Auf diesen pflegte vor alters
Neleus sich hinzusetzen, an Rat den Unsterblichen ähnlich.
410
Aber er war schon tot und in der Schatten Behausung.
Nun saß Nestor darauf, der gerenische Hüter der Griechen,
Seinen Stab in der Hand. Da sammelten sich um den Vater
Eilend aus den Gemächern, Echephron, Stratios, Perseus,
Und Aretos der Held, und der göttliche Thrasymedes.
415
Auch der sechste der Brüder Peisistratos eilte zu Nestor.
Und sie setzten den schönen Telemachos neben den Vater.
Unter ihnen begann der Rossebändiger Nestor:
Hurtig, geliebteste Kinder, erfüllt mir dieses Verlangen,
Daß ich vor allen Göttern Athenens Gnade gewinne,
420
Welche mir sichtbar erschien am festlichen Mahle Poseidons!
Gehe denn einer aufs Feld, damit in Eile zum Opfer
Komme die Kuh, geführt vom Hirten der weidenden Rinder.
Einer gehe hinab zu des edlen Telemachos‘ Schiffe,
Seine Gefährten zu rufen, und lasse nur zween zur Bewahrung.
425
Einer heiße hieher den Meister in Golde Laerkes
Kommen, daß er mit Gold des Rindes Hörner umziehe.
Aber ihr übrigen bleibt hier allesamt, und gebietet
Drinnen im hohen Palaste den Mägden, ein Mahl zu bereiten,
Und uns Sessel und Holz und frisches Wasser zu bringen.
430
Also sprach er, und emsig enteilten sie alle. Die Kuh kam
Aus dem Gefild‘; es kamen vom gleichgezimmerten Schiffe
Auch Telemachos‘ Freunde: es kam der Meister in Golde,
Alle Schmiedegeräte, der Kunst Vollender, in Händen,
Seinen Hammer und Amboß und seine gebogene Zange,
435
Auszubilden das Gold. Es kam auch Pallas Athene
Zu der heiligen Feier. Der Rossebändiger Nestor
Gab ihm Gold; und der Meister umzog die Hörner des Rindes
Künstlich, daß sich die Göttin am prangenden Opfer erfreute.
Stratios führte die Kuh am Horn und der edle Echephron.
440
Aber Aretos trug im blumigen Becken das Wasser
Aus der Kammer hervor, ein Körbchen voll heiliger Gerste
In der Linken. Es stand der kriegrische Thrasymedes,
Eine geschliffene Axt in der Hand, die Kuh zu erschlagen.
Perseus hielt ein Gefäß, das Blut zu empfangen. Der Vater
445
Wusch zuerst sich die Händ‘, und streute die heilige Gerste,
Flehte dann viel zu Athenen; und warf in die Flamme das Stirnhaar.
Als sie jetzo gefleht und die heilige Gerste gestreuet,
Trat der mutige Held Thrasymedes näher, und haute
Zu; es zerschnitt die Axt die Sehnen des Nackens, und kraftlos
450
Stürzte die Kuh in den Sand. Und jammernd beteten jetzo
Alle Töchter und Schnür‘ und die ehrenvolle Gemahlin
Nestors, Eurydike, die erste von Klymenos Töchtern.
Aber die Männer beugten das Haupt der Kuh von der Erde
Auf; da schlachtete sie Peisistratos, Führer der Menschen.
455
Schwarz entströmte das Blut, und der Geist verließ die Gebeine.
Jene zerhauten das Opfer, und schnitten, nach dem Gebrauche,
Eilig die Lenden aus, umwickelten diese mit Fette,
Und bedeckten sie drauf mit blutigen Stücken der Glieder,
Und sie verbrannte der Greis auf dem Scheitholz, sprengte darüber
460
Dunkeln Wein; und die Jüngling‘ umstanden ihn mit dem Fünfzack.
Als sie die Lenden verbrannt, und die Eingeweide gekostet,
Schnitten sie auch das übrige klein, und steckten’s an Spieße,
Drehten die spitzigen Spieß‘ in der Hand, und brieten’s mit Vorsicht.
Aber den blühenden Jüngling Telemachos badet‘ indessen
465
Polykaste die Schöne, die jüngste Tochter des Nestor.
Als sie ihn jetzo gebadet, und drauf mit Öle gesalbet,
Da umhüllte sie ihm den prächtigen Mantel und Leibrock.
Und er stieg aus dem Bad‘, an Gestalt den Unsterblichen ähnlich,
Ging und setzte sich hin bei Nestor, dem Hirten der Völker.
470
Als sie das Fleisch nun gebraten, und von den Spießen gezogen,
Setzten sie sich zum Mahle. Die edlen Jünglinge schöpften
Aus dem Kelche den Wein, und verteilten die goldenen Becher.
Und nachdem die Begierde des Tranks und der Speise gestillt war,
Sprach der gerenische Greis, der Rossebändiger Nestor:
475
Eilt, geliebteste Kinder, und bringt schönmähnichte Rosse;
Spannt sie schnell vor den Wagen, Telemachos‘ Reise zu fördern!
Also sprach er; ihn hörten die Söhne mit Fleiß, und gehorchten.
Eilend spannten sie vor den Wagen die hurtigen Rosse.
Aber die Schaffnerin legt‘ in den Wagen die köstliche Zehrung,
480
Brot und feurigen Wein und göttlicher Könige Speisen.
Und Telemachos stieg auf den künstlichgebildeten Wagen.
Nestors mutiger Sohn Peisistratos, Führer der Menschen,
Setzte sich neben ihn, und hielt in den Händen die Zügel;
Treibend schwang er die Geißel, und willig enteilten die Rosse
485
In das Gefild‘, und verließen die hochgebauete Pylos.
Also schüttelten sie bis zum Abend das Joch an den Nacken.
Und die Sonne sank, und Dunkel umhüllte die Pfade.
Und sie kamen gen Pherä, zur Burg des edlen Diokles,
Welchen Alpheios‘ Sohn Orsilochos hatte gezeuget,
490
Ruhten bei ihm die Nacht, und wurden freundlich bewirtet.
Als die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte,
Rüsteten sie ihr Gespann, und bestiegen den prächtigen Wagen,
Lenkten darauf aus dem Tore des Hofs und der tönenden Halle.
Treibend schwang er die Geißel, und willig enteilten die Rosse,
495
Und durchliefen behende die Weizenfelder, und jetzo
War die Reise vollbracht: so flogen die hurtigen Rosse.
Und die Sonne sank, und Dunkel umhüllte die Pfade.

Zweiter Gesang

Zweiter Gesang

Am Morgen beruft Telemachos das Volk, und verlangt, daß die Freier sei Haus verlassen. Antinoos verweigert’s. Ein Vogelzeichen von Eurymachos verhöhnt. Telemachos bittet um ein Schiff, nach dem Vater zu forschen; Mentor rügt den Kaltsinn des Volks; aber ein Freier trennt spottend die Versammlung. Athene in Mentors Gestalt verspricht dem Einsamen Schiff und Begleitung. Die Schaffnerin Eurykleia gibt Reisekost. Athene erhält von Noemon ein Schiff, und bemannt es. Am Abend wird die Reisekost eingebracht; und Telemachos, ohne Wissen der Mutter, fährt mit dem scheinbaren Mentor nach Pylos.

Als die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte,
Sprang er vom Lager empor der geliebte Sohn von Odysseus,
Legte die Kleider an, und hängte das Schwert um die Schulter,
Band die schönen Sohlen sich unter die zierlichen Füße,
5
Trat aus der Kammer hervor, geschmückt mit göttlicher Hoheit,
Und gebot den Herolden, schnell mit tönender Stimme
Zur Versammlung zu rufen die hauptumlockten Achaier.
Tönend riefen sie aus, und flugs war alles versammelt.
Als die Versammelten jetzt in geschlossener Reihe sich drängten,
10
Ging er unter das Volk, in der Hand die eherne Lanze,
Nicht allein, ihn begleiteten zween schnellfüßige Hunde.
Siehe mit himmlischer Anmut umstrahlt‘ ihn Pallas Athene,
Daß die Völker alle dem kommenden Jünglinge staunten.
Und er saß auf des Vaters Stuhl, ihm wichen die Greise.
15
Jetzo begann der Held Ägyptios vor der Versammlung,
Dieser gebückte Greis voll tausendfacher Erfahrung.
Dessen geliebter Sohn war samt dem edlen Odysseus
Gegen die Reisigen Trojas im hohlen Schiffe gesegelt,
Antiphos, tapfer und kühn; den hatte der arge Kyklope
20
In der Höhle zerfleischt, und zum letzten Schmause bereitet.
Noch drei andere hatt‘ er: der eine, Eurynomos, lebte
Unter den Freiern, und zween besorgten des Vaters Geschäfte;
Dennoch bejammert‘ er stets des verlorenen Sohnes Gedächtnis.
Tränend begann der Greis, und redete vor der Versammlung:
25
Höret mich jetzt, ihr Männer von Ithaka, was ich euch sage!
Keine Versammlung ward und keine Sitzung gehalten,
Seit der edle Odysseus die Schiffe gen Troja geführt hat.
Wer hat uns denn heute versammelt? Welcher der Alten
Oder der Jünglinge hier? Und welche Sache bewog ihn?
30
Höret‘ er etwa Botschaft von einem nahenden Kriegsheer,
Daß er uns allen verkünde, was er am ersten vernommen?
Oder weiß er ein andres zum Wohl des Landes zu raten?
Bieder scheinet er mir und segenswürdig! Ihm lasse
Zeus das Gute gedeihn, so er im Herzen gedenket!
35
Sprach’s; und Telemachos, froh der heilweissagenden Worte,
Saß nicht länger; er trat, mit heißer Begierde zu reden,
In die Mitte des Volks. Den Scepter reichte Peisenor
Ihm in die Hand, der Herold, mit weisem Rate begabet.
Und er wandte zuerst sich gegen den Alten, und sagte:
40
Edler Greis, nicht fern ist der Mann, gleich sollst du ihn kennen:
Ich versammelte euch; mich drückt am meisten der Kummer!
Keine Botschaft hört‘ ich von einem nahenden Kriegsheer,
Daß ich euch allen verkünde, was ich am ersten vernommen;
Auch nichts anderes weiß ich zum Wohl des Landes zu raten:
45
Sondern ich rede von mir, von meines eigenen Hauses
Zwiefacher Not. Zuerst verlor ich den guten Vater,
Euren König, der euch mit Vaterliebe beherrschte.
Und nun leid‘ ich noch mehr: mein ganzes Haus ist vielleicht bald
Tief ins Verderben gestürzt, und all mein Vermögen zertrümmert!
50
Meine Mutter umdrängen mit ungestümer Bewerbung
Freier, geliebte Söhne der Edelsten unseres Volkes.
Diese scheuen sich nun, zu Ikarios‘ Hause zu wandeln,
Ihres Vaters, daß er mit reichem Schatze die Tochter
Gäbe, welchem er wollte, und wer ihm vor allen gefiele;
55
Sondern sie schalten von Tag zu Tag‘ in unserm Palaste,
Schlachten unsere Rinder und Schaf‘ und gemästeten Ziegen
Für den üppigen Schmaus, und schwelgen im funkelnden Weine
Ohne Scheu; und alles wird leer; denn es fehlt uns ein solcher
Mann, wie Odysseus war, die Plage vom Hause zu wenden!
60
Wir vermögen sie nicht zu wenden, und ach auf immer
Werden wir hilflos sein, und niemals Tapferkeit üben!
Wahrlich ich wendete sie, wenn ich nur Stärke besäße!
Ganz unerträglich begegnet man mir, ganz wider die Ordnung
Wird mir mein Haus zerrüttet! Erkennt doch selber das Unrecht,
65
Oder scheuet euch doch vor andern benachbarten Völkern,
Welche rings uns umwohnen, und bebt vor der Rache der Götter,
Daß sie euch nicht im Zorne die Übeltaten vergelten!
Freunde, ich fleh euch bei Zeus, dem Gott des Olympos und Themis,
Welche die Menschen zum Rat versammelt, und wieder zerstreuet:
70
Haltet ein, und begnügt euch, daß mich der traurigste Kummer
Quält! Hat etwa je mein guter Vater Odysseus
Euch vorsätzlich beleidigt, ihr schöngeharnischten Griechen,
Daß ihr mich zum Vergelt vorsätzlich wieder beleidigt;
Warum reizet ihr diese? Mir wäre besser geraten,
75
Wenn ihr selber mein Gut und meine Herden hinabschlängt!
Täter ihr’s, so wäre noch einst Erstattung zu hoffen!
Denn wir würden so lange die Stadt durchwandern, so flehend
Wiederfodern das Unsre, bis alles wäre vergütet!
Aber nun häuft ihr mir unheilbaren Schmerz auf die Seele!
80
Also sprach er im Zorn, und warf den Scepter zur Erde,
Tränen vergießend, und rührte die ganze Versammlung zum Mitleid.
Schweigend saßen sie all‘ umher, und keiner im Volke
Wagte Telemachos Rede mit Drohn entgegen zu wüten.
Aber Eupeithes‘ Sohn Antinoos gab ihm zur Antwort:
85
Jüngling von trotziger Red‘ und verwegenem Mute, was sprachst du
Da für Lästerung aus? Du machtest uns gerne zum Abscheu!
Aber es haben die Freier an dir des keines verschuldet;
Deine Mutter ist schuld, die Listigste unter den Weibern!
Denn drei Jahre sind schon verflossen, und bald auch das vierte,
90
Seit sie mit eitlem Wahne die edlen Achaier verspottet!
Allen verheißt sie Gunst, und sendet jedem besonders
Schmeichelnde Botschaft; allein im Herzen denket sie anders!
Unter anderen Listen ersann sie endlich auch diese:
Trüglich zettelte sie in ihrer Kammer ein feines
95
Übergroßes Geweb‘, und sprach zu unsrer Versammlung:
Jünglinge, die ihr mich liebt, nach dem Tode des edlen Odysseus,
Dringt auf meine Vermählung nicht eher, bis ich den Mantel
Fertig gewirkt (damit nicht umsonst das Garn mir verderbe!)
Welcher dem Helden Laertes zum Leichengewande bestimmt ist,
100
Wann ihn die finstre Stunde mit Todesschlummer umschattet:
Daß nicht irgend im Lande mich eine Achaierin tadle,
Läg‘ er uneingekleidet, der einst so vieles beherrschte!
Also sprach sie mit List, und bewegte die Herzen der Edlen.
Und nun webete sie des Tages am großen Gewebe:
105
Aber des Nachts, dann trennte sie’s auf, beim Scheine der Fackeln.
Also täuschte sie uns drei Jahr, und betrog die Achaier.
Als nun das vierte Jahr im Geleite der Horen herankam
Und mit dem wechselnden Mond viel Tage waren verschwunden;
Da verkündet‘ uns eine der Weiber das schlaue Geheimnis,
110
Und wir fanden sie selbst bei der Trennung des schönen Gewebes.
Also mußte sie’s nun, auch wider Willen, vollenden.
Siehe nun deuten die Freier dir an, damit du es selber
Wissest in deinem Herzen, und alle Achaier es wissen!
Sende die Mutter hinweg, und gebeut ihr, daß sie zum Manne
115
Nehme, wer ihr gefällt, und wen der Vater ihr wählet.
Aber denkt sie noch lange zu höhnen die edlen Achaier,
Und sich der Gaben zu freun, die ihr Athene verliehn hat,
Wundervolle Gewande mit klugem Geiste zu wirken,
Und der erfindsamen List, die selbst in Jahren der Vorwelt
120
Keine von Griechenlands schönlockigen Töchtern gekannt hat,
Tyro nicht, noch Alkmene, und nicht die schöne Mykene;
(Keine von allen war der erfindsamen Penelopeia
Gleich an Verstand!) so soll ihr doch diese Erfindung nicht glücken!
Denn wir schmausen so lange von deinen Herden und Gütern,
125
Als sie in diesem Sinne beharrt, den jetzo die Götter
Ihr in die Seele gegeben! Sich selber bringet sie freilich
Großen Ruhm, dir aber Verlust an großem Vermögen!
Eher weichen wir nicht zu den Unsrigen oder zu andern,
Ehe sie aus den Achaiern sich einen Bräutigam wählet!
130
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Ganz unmöglich ist mir’s, Antinoos, die zu verstoßen,
Die mich gebar und erzog; mein Vater leb‘ in der Fremde,
Oder sei tot! Schwer würde mir auch des Gutes Erstattung
An Ikarios sein, verstieß‘ ich selber die Mutter.
135
Denn hart würde gewiß ihr Vater mich drücken, und härter
Noch die göttliche Rache, wenn von uns scheidend die Mutter
Mich den grausen Erinnen verfluchte! dann wär‘ ich ein Abscheu
Aller Menschen! – O nein! ich kann ihr das nicht gebieten!
Haltet ihr euch dadurch in eurem Herzen beleidigt,
140
Nun so geht aus dem Haus, und sucht euch andere Mähler!
Zehret von eurem Gut, und laßt die Bewirtungen umgehn!
Aber wenn ihr es so bequemer und lieblicher findet,
Eines Mannes Hab‘ ohn alle Vergeltung zu fressen;
Schlingt sie hinab! Ich werde die ewigen Götter anflehn,
145
Ob euch nicht endlich einmal Zeus eure Taten bezahle,
Daß ihr in unserem Haus auch ohne Vergeltung dahinstürzt!
Also sprach er, da sandte der Gott weithallender Donner
Ihm zween Adler herab vom hohen Gipfel des Berges.
Anfangs schwebten sie sanft einher im Hauche des Windes,
150
Einer nahe dem andern, mit ausgebreiteten Schwingen;
Jetzo über der Mitte der stimmenvollen Versammlung,
Flogen sie wirbelnd herum, und schlugen stark mit den Schwingen,
Schauten auf aller Scheitel herab, und drohten Verderben,
Und zerkratzten sich selbst mit den Klauen die Wangen und Hälse,
155
Und sie wandten sich rechts, und stürmten über die Stadt hin.
Alle staunten dem Zeichen, das ihre Augen gesehen,
Und erwogen im Herzen das vorbedeutete Schicksal.
Unter ihnen begann der graue Held Halitherses,
Mastors Sohn, berühmt vor allen Genossen des Alters,
160
Vögelflüge zu deuten, und künftige Dinge zu reden;
Dieser erhub im Volk die Stimme der Weisheit, und sagte:
Höret mich jetzt, ihr Männer von Ithaka, was ich euch sage!
Aber vor allen gilt die Freier meine Verkündung!
Ihre Häupter umschwebt ein schreckenvolles Verhängnis!
165
Denn nicht lange mehr weilet Odysseus fern von den Seinen;
Sondern er nahet sich schon, und bereitet Tod und Verderben
Diesen allen; auch droht noch vielen andern das Unglück,
Uns Bewohnern der Hügel von Ithaka! Laßt uns denn jetzo
Überlegen, wie wir sie mäßigen; oder sie selber
170
Mäßigen sich, und gleich! zu ihrer eigenen Wohlfahrt!
Euch weissaget kein Neuling, ich red‘ aus alter Erfahrung!
Wahrlich das alles geht in Erfüllung, was ich ihm damals
Deutete, als die Argeier in hohlen Schiffen gen Troja
Fuhren, mit ihnen zugleich der erfindungsreiche Odysseus:
175
Nach unendlicher Trübsal, entblößt von allen Gefährten,
Allen Seinigen fremd, würd‘ er im zwanzigsten Jahre
Wieder zur Heimat kehren. Das wird nun alles erfüllet!
Aber Polybos‘ Sohn Eurymachos sagte dagegen:
Hurtig zu Hause mit dir, o Greis, und deute das Schicksal
180
Deinen Söhnen daheim, daß ihnen kein Übel begegne!
Dieses versteh ich selber, und besser als du, zu deuten!
Freilich schweben der Vögel genug in den Strahlen der Sonne,
Aber nicht alle verkünden ein Schicksal! Wahrlich Odysseus
Starb in der Fern‘! O wärest auch du mit ihm ins Verderben
185
Hingefahren! Dann schwatztest du hier nicht so viel von der Zukunft,
Suchtest nicht Telemachos Groll noch mehr zu erbittern,
Harrend, ob er vielleicht dein Haus mit Geschenken bereichre!
Aber ich sage dir an, und das wird wahrlich erfüllet!
Wo du den Jüngling dort, kraft deiner alten Erfahrung,
190
Durch dein schlaues Geschwätz aufwiegelst, sich wild zu gebärden;
Dann wird er selber zuerst noch tiefer sinken in Drangsal,
Und im geringsten nichts vor diesen Männern vermögen.
Und du sollst es, o Greis, mit schwerer kränkender Buße
Uns entgelten, damit du es tief in der Seele bereuest!
195
Aber Telemachos höre statt aller nun meinen Rat an:
Zwing‘ er die Mutter zum Hause des Vaters wiederzukehren!
Dort bereite man ihr die Hochzeit, und statte sie reichlich
Ihrem Bräutigam aus, wie lieben Töchtern gebühret!
Eher werden gewiß der Achaier Söhne nicht abstehn,
200
Penelopeia zu drängen; denn siehe! wir zittern vor niemand,
Selbst vor Telemachos nicht, und wär‘ er auch noch so gesprächig!
Achten auch der Deutungen nicht, die du eben, o Alter,
So in den Wind hinschwatzest! Du wirst uns nur immer verhaßter
Unser schwelgender Schmaus soll wieder beginnen, und niemals
205
Ordnung im Hause bestehn, bis jene sich den Achaiern
Wegen der Hochzeit erklärt; wir wollen in steter Erwartung,
Künftig wie vor, um den Preis wetteifern, und nimmer zu andern
Weibern gehn, um die jedwedem zu werben erlaubt ist!
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
210
Hör, Eurymachos, hört ihr andern glänzenden Freier!
Hierum werd ich vor euch nicht weiter flehen noch reden;
Denn das wissen ja schon die Götter und alle Achaier.
Aber gebt mir ein rüstiges Schiff und zwanzig Gefährten,
Welche mit mir die Pfade des weiten Meeres durchsegeln.
215
Denn ich gehe gen Sparta und zu der sandigen Pylos,
Um nach Kunde zu forschen vom langabwesenden Vater;
Ob mir’s einer verkünde der Sterblichen, oder ich Ossa,
Zeus‘ Gesandte, vernehme, die viele Gerüchte verbreitet.
Hör‘ ich, er lebe noch, mein Vater, und kehre zur Heimat;
220
Dann, wie bedrängt ich auch sei, erduld‘ ich’s noch ein Jahr lang.
Hör‘ ich, er sei gestorben, und nicht mehr unter den Menschen;
Siehe, dann kehr‘ ich wieder zur lieben heimischen Insel,
Häufe dem Vater ein Mal, und opfere Totengeschenke
Reichlich, wie sich’s gebührt, und geb‘ einem Manne die Mutter.
225
Also sprach der Jüngling, und setzte sich. Jetzo erhub sich
Mentor, ein alter Freund des tadellosen Odysseus,
Dem er, von Ithaka schiffend, des Hauses Sorge vertrauet,
Daß er dem Greise gehorcht‘, und alles in Ordnung erhielte.
Dieser erhub im Volk die Stimme der Weisheit, und sagte:
230
Höret mich jetzt, ihr Männer von Ithaka, was ich euch sage!
Künftig befleiße sich keiner der scepterführenden Herrscher,
Huldreich, mild und gnädig zu sein, und die Rechte zu schützen;
Sondern er wüte nur stets, und frevle mit grausamer Seele!
Niemand erinnert sich ja des göttergleichen Odysseus
235
Von den Völkern, die er mit Vaterliebe beherrschte!
Aber ich eifre jetzt nicht gegen die trotzigen Freier,
Die so gewaltsame Taten mit tückischer Seele beginnen;
Denn sie weihen ihr Haupt dem Verderben, da sie Odysseus
Habe wie Räuber verprassen, und wähnen, er kehre nicht wieder.
240
Jetzo schelt‘ ich das übrige Volk, daß ihr alle so gänzlich
Stumm dasitzt, und auch nicht mit einem strafenden Worte
Diese Freier, die wenigen, zähmt, da euer so viel sind!
Aber Euenors Sohn Leiokritos sagte dagegen:
Mentor, du Schadenstifter von törichtem Herzen, was sprachst du
245
Da vor Lästerung aus, und befahlst, uns Freier zu zähmen?
Schwer, auch mehreren, ist der Kampf mit schmausenden Männern!
Wenn auch selbst Odysseus, der Held von Ithaka, käme,
Und die glänzenden Freier, die seine Güter verschmausen,
Aus dem Palaste zu treiben gedächte; so würde sich dennoch
250
Seine Gemahlin nicht, wie sehr sie auch schmachtet, der Ankunft
Freun! Ihn träfe gewiß auf der Stelle das Schreckenverhängnis,
Wenn er mit mehreren kämpfte! Du hast nicht klüglich geredet!
Aber wohlan! ihr Männer, zerstreut euch zu euren Geschäften!
Diesem beschleunigen wohl Halitherses und Mentor die Reise,
255
Welche von alters her Odysseus Freunde gewesen!
Aber ich hoffe, er sitzt noch lang‘, und spähet sich Botschaft
Hier in Ithaka aus; die Reise vollendet er niemals!
Also sprach der Freier, und trennte schnell die Versammlung.
Alle zerstreueten sich, ein jeder zu seinen Geschäften;
260
Aber die Freier gingen zum Hause des edlen Odysseus.
Und Telemachos ging beiseit ans Ufer des Meeres,
Wusch in der grauen Flut die Händ‘, und flehte Athenen:
Höre mich, Gott, der du gestern in unserm Hause erschienest,
Und mir befahlst, im Schiffe das dunkle Meer zu durchfahren,
265
Und nach Kunde zu forschen vom langabwesenden Vater:
Himmlischer, siehe! das alles verhindern nun die Achaier,
Aber am meisten die Freier voll übermütiger Bosheit!
Also sprach er flehend. Ihm nahte sich Pallas Athene,
Mentorn gleich in allem, sowohl an Gestalt wie an Stimme.
270
Und sie redet‘ ihn an, und sprach die geflügelten Worte:
Jüngling, du mußt dich hinfort nicht feige betragen noch töricht!
Hast du von deinem Vater die hohe Seele geerbet,
Bist du, wie jener einst, gewaltig in Taten und Worten;
Dann wird keiner die Reise dir hindern oder vereiteln.
275
Aber bist du nicht sein Samen und Penelopeiens;
Dann verzweifl‘ ich, du wirst niemals dein Beginnen vollenden.
Wenige Kinder nur sind gleich den Vätern an Tugend,
Schlechter als sie die meisten, und nur sehr wenige besser.
Wirst du dich aber hinfort nicht feige betragen noch töricht,
280
Und verließ dich nicht völlig der Geist des großen Odysseus;
Dann ist Hoffnung genug, du wirst das Werk noch vollenden.
Darum kümmre dich nicht das Sinnen und Trachten der Freier:
Toren sind sie, und kennen Gerechtigkeit weder noch Weisheit,
Ahnen auch nicht einmal den Tod und das schwarze Verhängnis,
285
Welches schon naht, um sie alle an einem Tage zu würgen.
Aber dich soll nichts mehr an deiner Reise verhindern.
Ich, der älteste Freund von deinem Vater Odysseus,
Will dir rüsten ein hurtiges Schiff, und dich selber begleiten,
Gehe nun wieder zu Haus, und bleib in der Freier Gesellschaft;
290
Dann bereite dir Zehrung, und hebe sie auf in Gefäßen:
Wein in irdenen Krügen, und Mehl, das Mark der Männer,
In dichtnähtigen Schläuchen. Ich will jetzt unter dem Volke
Dir Freiwillige sammeln zu Ruderern. Viel sind der Schiffe
An der umfluteten Küste von Ithaka, neue bei alten;
295
Hiervon will ich für dich der trefflichsten eines erlesen.
Hurtig rüsten wir dieses, und steuren ins offene Weltmeer.
Also sprach Athenaia, Kronions Tochter: und länger
Säumte Telemachos nicht; er gehorchte der Stimme der Göttin,
Und ging wieder zu Hause mit tiefbekümmertem Herzen.
300
Allda fand er die Schar der stolzen Freier: im Hofe
Streiften sie Ziegen ab, und sengten gemästete Schweine.
Und Antinoos kam ihm lachend entgegen gewandelt,
Faßte Telemachos Hand, und sprach mit freundlicher Stimme:
Jüngling von trotziger Red‘ und verwegenem Mute, sei ruhig,
305
Und bekümmre dich nicht um böse Taten und Worte!
Laß uns, künftig wie vor, in Wollust essen und trinken:
Dieses alles besorgen dir schon die Achaier, ein schnelles
Schiff und erlesne Gefährten; damit du die göttliche Pylos
Bald erreichst, und Kunde vom trefflichen Vater erforschest!
310
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
O wie ziemte mir das, Antinoos, unter euch Stolzen
Schweigend am Mahle zu sitzen, und ruhig im Taumel der Freude?
Ist es euch nicht genug, ihr Freier, daß ihr so lange
Meine köstlichen Güter verschwelgt habt, da ich ein Kind war?
315
Jetzt da ich größer bin, und tüchtig, anderer Reden
Nachzuforschen, und höher der Mut im Busen mir steiget,
Werd‘ ich streben, auf euch des Todes Rache zu bringen.
Ob ich gen Pylos geh, oder hier in Ithaka bleibe!
Reisen will ich, und nichts soll meinen Entschluß mir vereiteln,
320
Im gedungenen Schiffe! Denn weder Schiffe noch Rudrer
Hab‘ ich in meiner Gewalt: so schien es euch freilich am besten!
Also sprach er, und zog die Hand aus der Hand des Verräters
Leicht. Die Freier im Saale bereiteten emsig die Mahlzeit.
Und sie spotteten seiner, und redeten höhnende Worte.
325
Unter dem Schwarme begann ein übermütiger Jüngling:
Wahrlich, Telemachos sinnt recht ernstlich auf unsre Ermordung!
Gebt nur acht: er holet sich Hilf‘ aus der sandigen Pylos,
Oder sogar aus Sparta! Er treibt’s mit gewaltigem Eifer!
Oder er lenkt auch jetzo nach Ephyras fruchtbarem Lande
330
Seine Fahrt, und kauft sich tötende Gifte; die mischt er
Heimlich in unseren Wein, dann sind wir alle verloren.
Und von neuem begann ein übermütiger Jüngling:
Aber wer weiß, ob dieser nicht auch mit dem Leben die Schiffahrt,
Fern von den Seinen, bezahlt, umhergestürmt wie Odysseus?
335
Denkt, darin macht er uns hier noch sorgenvollere Arbeit!
Teilen müßten wir ja das ganze Vermögen, und räumen
Seiner Mutter das Haus, und ihrem jungen Gemahle!
Aber Telemachos stieg ins hohe weite Gewölbe
Seines Vaters hinab, wo Gold und Kupfer gehäuft lag,
340
Prächtige Kleider in Kasten, und Fässer voll duftendes Öles.
Allda stunden auch Tonnen mit altem balsamischen Weine,
Welche das lautre Getränk, das süße, das göttliche, faßten,
Nach der Reihe gelehnt an die Mauer, wenn jemals Odysseus
Wieder zur Heimat kehrte, nach seiner unendlichen Trübsal.
345
Fest verschloß das Gewölbe die wohleinfugende Türe,
Mit zween Riegeln verwahrt. Die Schaffnerin schaltete drinnen
Tag und Nacht, und bewachte die Güter mit sorgsamer Klugheit,
Eurykleia, die Tochter Ops, des Sohnes Peisenors.
Und Telemachos rief sie hinein ins Gewölb‘, und sagte:
350
Mütterchen, eil‘ und schöpfe mir Wein in irdene Krüge,
Mild und edel, den besten nach jenem, welchen du schonest
Für den duldenden König, den göttergleichen Odysseus,
Wenn er einmal heimkehret, dem Todesschicksal entronnen.
Hiermit fülle mir zwölf, und spünde sie alle mit Deckeln.
355
Ferner schütte mir Mehl in dichtgenähete Schläuche;
Zwanzig Maße gib mir des feingemahlenen Mehles.
Aber tu‘ es geheim, und lege mir alles zusammen.
Denn am Abende komm‘ ich und hol‘ es, wenn sich die Mutter
In ihr oberes Zimmer entfernt, und der Ruhe gedenket.
360
Denn ich gehe gen Sparta und zu der sandigen Pylos,
Um nach Kunde zu forschen von meines Vaters Zurückkunft.
Also sprach er. Da schluchzte die Pflegerin Eurykleia;
Laut wehklagend begann sie, und sprach die geflügelten Worte:
Liebes Söhnchen, wie kann in dein Herz ein solcher Gedanke
365
Kommen? Wo denkst du denn hin in die weite Welt zu gehen,
Einziger liebster Sohn? Ach ferne vom Vaterlande
Starb der edle Odysseus bei unbekannten Barbaren!
Und sie werden dir gleich, wenn du gehst, nachstellen, die Meuchler!
Daß sie dich töten mit List, und alles unter sich teilen!
370
Bleibe denn hier, und sitz‘ auf dem Deinigen! Lieber, was zwingt dich,
Auf der wütenden See in Not und Kummer zu irren?
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Mütterchen, sei getrost! Ich handle nicht ohne die Götter.
Aber schwöre mir jetzo, es nicht der Mutter zu sagen,
375
Ehe der elfte Tag vorbei ist oder der zwölfte,
Oder mich jene vermißt, und hört von meiner Entfernung:
Daß sie nicht durch Tränen ihr schönes Antlitz entstelle.
Also sprach er; da schwur sie bei allen unsterblichen Göttern.
Als sie es jetzo gelobt, und vollendet den heiligen Eidschwur;
380
Schöpfte sie ihm alsbald des Weines in irdene Krüge,
Schüttete ferner das Mehl in dichtgenähete Schläuche.
Und Telemachos ging in den Saal zu der Freier Gesellschaft.
Aber ein Neues ersann die heilige Pallas Athene:
In Telemachos‘ Bildung erscheinend, eilte sie ringsum
385
Durch die Stadt, und sprach mit jedem begegnenden Manne,
Und befahl, sich am Abend beim rüstigen Schiffe zu sammeln.
Hierauf bat sie Phronios‘ Sohn, den edlen Noemon,
Um ein rüstiges Schiff; und dieser versprach es ihr willig.
Und die Sonne sank, und Dunkel umhüllte die Pfade.
390
Siehe nun zog die Göttin das Schiff in die Wellen, und brachte
Alle Geräte hinein, die Rüstung segelnder Schiffe;
Stellt‘ es darauf am Ende der Bucht. Die tapfern Gefährten
Standen versammelt umher, und jeden ermahnte die Göttin.
Und ein Neues ersann die heilige Pallas Athene:
395
Eilend ging sie zum Hause des göttergleichen Odysseus,
Übertauete sanft mit süßem Schlafe die Freier,
Machte die Säufer berauscht, und den Händen entsanken die Becher.
Müde wankten sie heim durch die Stadt, und konnten nicht länger
Sitzen, da ihnen der Schlaf die Augenlider bedeckte.
400
Aber Telemachos rief die heilige Pallas Athene
Aus dem Saale hervor des schöngebauten Palastes,
Mentorn gleich in allem, sowohl an Gestalt wie an Stimme:
Jetzo, Telemachos, sitzen die schöngeharnischten Freunde
Alle am Ruder bereit, und harren nur deiner zur Abfahrt.
405
Laß uns zu Schiffe gehn, und die Reise nicht länger verschieben!
Als sie die Worte geredet, da wandelte Pallas Athene
Eilend voran; und er folgte den Schritten der wandelnden Göttin.
Und da sie jetzo das Schiff und des Meeres Ufer erreichten,
Fanden sie an dem Gestade die hauptumlockten Genossen.
410
Unter ihnen begann Telemachos‘ heilige Stärke:
Kommt, Geliebte, mit mir, die Zehrung zu holen. Sie liegt schon
Alle beisammen im Haus; und nichts argwöhnet die Mutter,
Noch die übrigen Mägde; nur eine weiß das Geheimnis.
Also sprach er, und eilte voran; sie folgten dem Führer,
415
Brachten alles, und legten’s im schöngebordeten Schiffe
Nieder, wie ihnen befahl der geliebte Sohn von Odysseus.
Und Telemachos trat in das Schiff, geführt von Athenen.
Diese setzte sich hinten am Steuer, nahe der Göttin
Setzte Telemachos sich. Die andern lösten die Seile,
420
Traten dann selber ins Schiff, und setzten sich hin auf die Bänke.
Einen günstigen Wind‘ sandt‘ ihnen Pallas Athene,
Leise streifte der West das rauschende dunkle Gewässer.
Aber Telemachos trieb und ermahnte die lieben Gefährten,
Schnell die Geräte zu ordnen. Sie folgeten seinem Befehle:
425
Stellten den fichtenen Mast in die mittlere Höhle des Bodens,
Richteten hoch ihn empor, und banden ihn fest mit den Seilen;
Spannten die weißen Segel mit starkgeflochtenen Riemen,
Hochauf wölbte der Wind das volle Segel, und donnernd
Wogte die purpurne Flut um den Kiel des gleitenden Schiffes;
430
Schnell durchlief es die Wogen in unaufhaltsamer Eile.
Als sie nun die Geräte des schwarzen Schiffes befestigt,
Stellten sie Kelche hin, bis oben mit Weine gefüllet.
Und sie gossen des Weins für alle unsterblichen Götter,
Aber am meisten für Zeus‘ blauäugichte Tochter Athene,
435
Welche die ganze Nacht und den Morgen die Wasser beschiffte.

Erster Gesang

Erster Gesang

Ratschluß der Götter, daß Odysseus, welchen Poseidon verfolgt, von Kalypsos Insel Ogygia heimkehre. Athene, in Mentes Gestalt, den Telemachos besuchend, rät ihm in Pylos und Sparta nach dem Vater sich zu erkundigen, und die schwelgenden Freier aus dem Hause zu schaffen. Er redet das erste Mal mit Entschlossenheit zur Mutter und zu den Freier. Nacht.

Sage mir, Muse, die Taten des vielgewanderten Mannes,
Welcher so weit geirrt, nach der heiligen Troja Zerstörung,
Vieler Menschen Städte gesehn, und Sitte gelernt hat,
Und auf dem Meere so viel‘ unnennbare Leiden erduldet,
5
Seine Seele zu retten, und seiner Freunde Zurückkunft.
Aber die Freunde rettet‘ er nicht, wie eifrig er strebte,
Denn sie bereiteten selbst durch Missetat ihr Verderben:
Toren! welche die Rinder des hohen Sonnenbeherrschers
Schlachteten; siehe, der Gott nahm ihnen den Tag der Zurückkunft,
10
Sage hievon auch uns ein weniges, Tochter Kronions.
Alle die andern, so viel dem verderbenden Schicksal entflohen,
Waren jetzo daheim, dem Krieg‘ entflohn und dem Meere:
Ihn allein, der so herzlich zur Heimat und Gattin sich sehnte,
Hielt die unsterbliche Nymphe, die hehre Göttin Kalypso,
15
In der gewölbeten Grotte, und wünschte sich ihn zum Gemahle.
Selbst da das Jahr nun kam im kreisenden Laufe der Zeiten,
Da ihm die Götter bestimmt, gen Ithaka wiederzukehren;
Hatte der Held noch nicht vollendet die müdende Laufbahn,
Auch bei den Seinigen nicht. Es jammerte seiner die Götter;
20
Nur Poseidon zürnte dem göttergleichen Odysseus
Unablässig, bevor er sein Vaterland wieder erreichte.
Dieser war jetzo fern zu den Äthiopen gegangen;
Äthiopen, die zwiefach geteilt sind, die äußersten Menschen,
Gegen den Untergang der Sonnen, und gegen den Aufgang:
25
Welche die Hekatombe der Stier‘ und Widder ihm brachten.
Allda saß er, des Mahls sich freuend. Die übrigen Götter
Waren alle in Zeus‘ des Olympiers Hause versammelt.
Unter ihnen begann der Vater der Menschen und Götter;
Denn er gedachte bei sich des tadellosen Ägisthos,
30
Den Agamemnons Sohn, der berühmte Orestes, getötet;
Dessen gedacht‘ er jetzo, und sprach zu der Götter Versammlung:
Welche Klagen erheben die Sterblichen wider die Götter!
Nur von uns, wie sie schrein, kommt alles Übel; und dennoch
Schaffen die Toren sich selbst, dem Schicksal entgegen, ihr Elend.
35
So nahm jetzo Ägisthos, dem Schicksal entgegen, die Gattin
Agamemnons zum Weib‘, und erschlug den kehrenden Sieger,
Kundig des schweren Gerichts! Wir hatten ihn lange gewarnet,
Da wir ihm Hermes sandten, den wachsamen Argosbesieger,
Weder jenen zu töten, noch um die Gattin zu werben.
40
Denn von Orestes wird einst das Blut Agamemnons gerochen,
Wann er, ein Jüngling nun, des Vaters Erbe verlanget.
So weissagte Hermeias; doch folgte dem heilsamen Rate
Nicht Ägisthos, und jetzt hat er alles auf einmal gebüßet.
Drauf antwortete Zeus‘ blauäugige Tochter Athene:
45
Unser Vater Kronion, der herrschenden Könige Herrscher,
Seiner verschuldeten Strafe ist jener Verräter gefallen.
Möchte doch jeder so fallen, wer solche Taten beginnet!
Aber mich kränkt in der Seele des weisen Helden Odysseus
Elend, welcher so lang‘, entfernt von den Seinen, sich abhärmt,
50
Auf der umflossenen Insel, der Mitte des wogenden Meeres.
Eine Göttin bewohnt das waldumschattete Eiland,
Atlas‘ Tochter, des Allerforschenden, welcher des Meeres
Dunkle Tiefen kennt, und selbst die ragenden Säulen
Aufhebt, welche die Erde vom hohen Himmel sondern.
55
Dessen Tochter hält den ängstlich harrenden Dulder,
Immer schmeichelt sie ihm mit sanft liebkosenden Worten,
Daß er des Vaterlandes vergesse. Aber Odysseus
Sehnt sich, auch nur den Rauch von Ithakas heimischen Hügeln
Steigen zu sehn, und dann zu sterben! Ist denn bei dir auch
60
Kein Erbarmen für ihn, Olympier? Brachte Odysseus
Nicht bei den Schiffen der Griechen in Trojas weitem Gefilde
Sühnender Opfer genug? Warum denn zürnest du so, Zeus?
Ihr antwortete drauf der Wolkenversammler Kronion:
Welche Rede, mein Kind, ist deinen Lippen entflohen?
65
O wie könnte doch ich des edlen Odysseus vergessen?
Sein, des weisesten Mannes, und der die reichlichsten Opfer
Uns Unsterblichen brachte, des weiten Himmels Bewohnern?
Poseidaon verfolgt ihn, der Erdumgürter, mit heißer
Unaufhörlicher Rache; weil er den Kyklopen geblendet,
70
Polyphemos, den Riesen, der unter allen Kyklopen,
Stark wie ein Gott, sich erhebt. Ihn gebar die Nymphe Thoosa,
Phorkyns Tochter, des Herrschers im wüsten Reiche der Wasser,
Welche Poseidon einst in dämmernder Grotte bezwungen.
Darum trachtet den Helden der Erderschüttrer Poseidon,
75
Nicht zu töten, allein von der Heimat irre zu treiben.
Aber wir wollen uns alle zum Rat vereinen, die Heimkehr
Dieses Verfolgten zu fördern; und Poseidaon entsage
Seinem Zorn: denn nichts vermag er doch wider uns alle,
Uns unsterblichen Göttern allein entgegen zu kämpfen!
80
Drauf antwortete Zeus‘ blauäugichte Tochter Athene:
Unser Vater Kronion, der herrschenden Könige Herrscher,
Ist denn dieses im Rate der seligen Götter beschlossen,
Daß in sein Vaterland heimkehre der weise Odysseus;
Auf! so laßt uns Hermeias, den rüstigen Argosbesieger,
85
Senden hinab zu der Insel Ogygia: daß er der Nymphe
Mit schönwallenden Locken verkünde den heiligen Ratschluß,
Von der Wiederkehr des leidengeübten Odysseus.
Aber ich will gern Ithaka gehn, den Sohn des Verfolgten
Mehr zu entflammen, und Mut in des Jünglings Seele zu gießen;
90
Daß er zu Rat berufe die hauptumlockten Achaier,
Und den Freiern verbiete, die stets mit üppiger Frechheit
Seine Schafe schlachten, und sein schwerwandelndes Hornvieh;
Will ihn dann senden gen Sparta, und zu der sandigen Pylos:
Daß er nach Kundschaft forsche von seines Vaters Zurückkunft,
95
Und ein edler Ruf ihn unter den Sterblichen preise.
Also sprach sie, und band sich unter die Füße die schönen
Goldnen ambrosischen Sohlen, womit sie über die Wasser
Und das unendliche Land im Hauche des Windes einherschwebt;
Faßte die mächtige Lanze mit scharfer eherner Spitze,
100
Schwer und groß und stark, womit sie die Scharen der Helden
Stürzt, wenn im Zorn sich erhebt die Tochter des schrecklichen Vaters.
Eilend fuhr sie hinab von den Gipfeln des hohen Olympos,
Stand nun in Ithakas Stadt, am Tore des Helden Odysseus,
Vor der Schwelle des Hofs, und hielt die eherne Lanze,
105
Gleich dem Freunde des Hauses, dem Fürsten der Taphier Mentes.
Aber die mutigen Freier erblickte sie an des Palastes
Pforte, wo sie ihr Herz mit Steineschieben ergötzten,
Hin auf Häuten der Rinder gestreckt, die sie selber geschlachtet.
Herold‘ eilten umher und fleißige Diener im Hause:
110
Jene mischten für sie den Wein in den Kelchen mit Wasser;
Diese säuberten wieder mit lockern Schwämmen die Tische,
Stellten in Reihen sie hin, und teilten die Menge des Fleisches.
Pallas erblickte zuerst Telemachos, ähnlich den Göttern.
Unter den Freiern saß er mit traurigem Herzen; denn immer
115
Schwebte vor seinem Geiste das Bild des trefflichen Vaters:
Ob er nicht endlich käme, die Freier im Hause zerstreute,
Und, mit Ehre gekrönt, sein Eigentum wieder beherrschte.
Dem nachdenkend, saß er bei jenen, erblickte die Göttin,
Und ging schnell nach der Pforte des Hofs, unwillig im Herzen,
120
Daß ein Fremder so lang‘ an der Türe harrte; empfing sie,
Drückt‘ ihr die rechte Hand, und nahm die eherne Lanze,
Redete freundlich sie an, und sprach die geflügelten Worte:
Freue dich, fremder Mann! Sei uns willkommen; und hast du
Dich mit Speise gestärkt, dann sage, was du begehrest.
125
Also sprach er, und ging; ihm folgete Pallas Athene.
Als sie jetzt in den Saal des hohen Palastes gekommen;
Trug er die Lanz‘ in das schöngetäfelte Speerbehältnis,
An die hohe Säule sie lehnend, an welcher noch viele
Andere Lanzen stunden des leidengeübten Odysseus.
130
Pallas führt‘ er zum Thron, und breitet‘ ein Polster ihr unter,
Schön und künstlich gewirkt; ein Schemel stützte die Füße,
Neben ihr setzt‘ er sich selbst auf einen prächtigen Sessel,
Von den Freiern entfernt: daß nicht dem Gaste die Mahlzeit
Durch das wüste Getümmel der Trotzigen würde verleidet;
135
Und er um Kundschaft ihn von seinem Vater befragte.
Eine Dienerin trug in der schönen goldenen Kanne,
Über dem silbernen Becken, das Wasser, beströmte zum Waschen
Ihnen die Händ‘, und stellte vor sie die geglättete Tafel.
Und die ehrbare Schaffnerin kam, und tischte das Brot auf,
140
Und der Gerichte viel aus ihrem gesammelten Vorrat.
Hierauf kam der Zerleger, und bracht‘ in erhobenen Schüsseln
Allerlei Fleisch, und setzte vor sie die goldenen Becher.
Und ein geschäftiger Herold versorgte sie reichlich mit Weine.
Jetzo kamen auch die mutigen Freier, und saßen
145
All‘ in langen Reihen auf prächtigen Thronen und Sesseln.
Herolde gossen ihnen das Wasser über die Hände.
Aber die Mägde setzten gehäufte Körbe mit Brot auf
Jünglinge füllten die Kelche bis oben mit dem Getränke,
Und sie erhoben die Hände zum leckerbereiteten Mahle.
150
Und nachdem die Begierde des Tranks und der Speise gestillt war,
Dachten die üppigen Freier auf neue Reize der Seelen,
Auf Gesang und Tanz, des Mahles liebliche Zierden.
Und ein Herold reichte die schöngebildete Harfe
Phemios hin, der an Kunst des Gesangs vor allen berühmt war,
155
Phemios, der bei den Freiern gezwungen wurde zu singen.
Prüfend durchrauscht‘ er die Saiten, und hub den schönen Gesang an.
Aber Telemachos neigte das Haupt zu Pallas Athene,
Und sprach leise zu ihr, damit es die andern nicht hörten:
Lieher Gastfreund, wirst du mir auch die Rede verargen?
160
Diese können sich wohl bei Saitenspiel‘ und Gesange
Freun, da sie ungestraft des Mannes Habe verschwelgen,
Dessen weißes Gebein vielleicht schon an fernem Gestade
Modert im Regen, vielleicht von den Meereswogen gewälzt wird.
Sähen sie jenen einmal zurück in Ithaka kommen;
165
Alle wünschten gewiß sich lieber noch schnellere Füße,
Als noch größere Last an Gold‘ und prächtigen Kleidern.
Aber es war sein Verhängnis, so hinzusterben; und keine
Hoffnung erfreuet uns mehr, wenn auch zuweilen ein Fremdling
Sagt, er komme zurück. Der Tag ist auf immer verloren!
170
Aber verkündige mir, und sage die lautere Wahrheit.
Wer, wes Volkes bist du? und wo ist deine Geburtstadt?
Und in welcherlei Schiff kamst du? wie brachten die Schiffer
Dich nach Ithaka her? was rühmen sich jene vor Leute?
Denn unmöglich bist du doch hier zu Fuße gekommen!
175
Dann erzähle mir auch aufrichtig, damit ich es wisse:
Bist du in Ithaka noch ein Neuling, oder ein Gastfreund
Meines Vaters? Denn unser Haus besuchten von jeher
Viele Männer, und er mocht‘ auch mit Leuten wohl umgehn.
Drauf antwortete Zeus‘ blauäugichte Tochter Athene:
180
Dieses will ich dir alles, und nach der Wahrheit, erzählen.
Mentes, Anchialos Sohn, des kriegserfahrenen Helden,
Rühm‘ ich mich, und beherrsche die ruderliebenden Taphos.
Jetzo schifft‘ ich hier an; denn ich steure mit meinen Genossen
Über das dunkle Meer zu unverständlichen Völkern,
185
Mir in Temesa Kupfer für blinkendes Eisen zu tauschen.
Und mein Schiff liegt außer der Stadt am freien Gestade,
In der reithrischen Bucht, all des waldichten Neïon Fuße.
Lange preisen wir, schon von dein Zeiten unserer Väter,
Uns Gastfreunde. Du darfst nur zum alten Helden Laertes
190
Gehn und fragen; der jetzt, wie man sagt, nicht mehr in die Stadt kommt,
Sondern in Einsamkeit auf dem Lande sein Leben vertrauret,
Bloß von der Alten bedient, die ihm sein Essen und Trinken
Vorsetzt, wann er einmal vom fruchtbaren Rebengefilde,
Wo er den Tag hinschleicht, mit müden Gliedern zurückwankt.
195
Aber ich kam, weil es hieß, dein Vater wäre nun endlich
Heimgekehrt; doch ihm wehren vielleicht die Götter die Heimkehr.
Denn noch starb er nicht auf Erden der edle Odysseus;
Sondern er lebt noch wo in einem umflossenen Eiland
Auf dem Meere der Welt; ihn halten grausame Männer,
200
Wilde Barbaren, die dort mit Gewalt zu bleiben ihn zwingen.
Aber ich will dir anitzt weissagen, wie es die Götter
Mir in die Seele gelegt, und wie’s wahrscheinlich geschehn wird;
Denn kein Seher bin ich, noch Flüge zu deuten erleuchtet.
Nicht mehr lange bleibt er von seiner heimischen Insel
205
Ferne, nicht lange mehr, und hielten ihn eiserne Bande;
Sinnen wird er auf Flucht, und reich ist sein Geist an Erfindung.
Aber verkündige mir, und sage die lautere Wahrheit.
Bist du mit dieser Gestalt ein leiblicher Sohn von Odysseus?
Wundergleich bist du ihm, an Haupt und Glanze der Augen!
210
Denn oft haben wir so uns zu einander gesellet,
Eh‘ er gen Troja fuhr mit den übrigen Helden Achaias.
Seitdem hab‘ ich Odysseus, und jener mich nicht gesehen.
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Dieses will ich dir, Freund, und nach der Wahrheit, erzählen.
215
Meine Mutter die sagt es, er sei mein Vater; ich selber
Weiß es nicht: denn von selbst weiß niemand, wer ihn gezeuget.
Wär ich doch lieber der Sohn von einem glücklichen Manne,
Den bei seiner Habe das ruhige Alter beschliche!
Aber der Unglückseligste aller sterblichen Menschen
220
Ist, wie man sagt, mein Vater; weil du mich darum befragest.
Drauf antwortete Zeus‘ blauäugichte Tochter Athene:
Nun so werden die Götter doch nicht den Namen des Hauses
Tilgen, da solchen Sohn ihm Penelopeia geboren.
Aber verkündige mir, und sage die lautere Wahrheit.
225
Was für ein Schmaus ist hier, und Gesellschaft? Gibst du ein Gastmahl,
Oder ein Hochzeitfest? Denn keinem Gelag‘ ist es ähnlich!
Dafür scheinen die Gäste mit zu unbändiger Frechheit
Mir in dem Saale zu schwärmen. Ereifern müßte die Seele
Jedes vernünftigen Manns, der solche Greuel mit ansäh!
230
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Fremdling, weil du mich fragst, und so genau dich erkundest;
Ehmals konnte dies Haus vielleicht begütert und glänzend
Heißen, da jener noch im Vaterlande verweilte:
Aber nun haben es anders die grausamen Götter entschieden,
235
Welche den herrlichen Mann vor allen Menschen verdunkelt!
Ach! ich trauerte selbst um den Tod des Vaters nicht so sehr,
Wär‘ er mit seinen Genossen im Lande der Troer gefallen,
Oder den Freunden im Arme, nachdem er den Krieg vollendet.
Denn ein Denkmal hätt‘ ihm das Volk der Achaier errichtet,
240
Und so wäre zugleich sein Sohn bei den Enkeln verherrlicht.
Aber er ward unrühmlich ein Raub der wilden Harpyen;
Weder gesehn, noch gehört, verschwand er, und ließ mir zum Erbteil
Jammer und Weh! Doch jetzo bewein‘ ich nicht jenen allein mehr;
Ach! es bereiteten mir die Götter noch andere Leiden.
245
Alle Fürsten, so viel in diesen Inseln gebieten,
In Dulichion, Same, der waldbewachsnen Zakynthos,
Und so viele hier in der felsichten Ithaka herrschen:
Alle werben um meine Mutter, und zehren das Gut auf.
Aber die Mutter kann die aufgedrungne Vermählung
250
Nicht ausschlagen, und nicht vollziehn. Nun verprassen die Schwelger
All mein Gut, und werden in kurzem mich selber zerreißen!
Und mit zürnendem Schmerz antwortete Pallas Athene:
Götter, wie sehr bedarfst du des langabwesenden Vaters,
Daß sein furchtbarer Arm die schamlosen Freier bestrafe!
255
Wenn er doch jetzo käm‘, und vorn in der Pforte des Saales
Stünde, mit Helm und Schild und zween Lanzen bewaffnet;
So an Gestalt, wie ich ihn zum erstenmale gesehen,
Da er aus Ephyra kehrend von Ilos, Mermeros‘ Sohne,
Sich in unserer Burg beim gastlichen Becher erquickte!
260
Denn dorthin war Odysseus im schnellen Schiffe gesegelt,
Menschentötende Säfte zu holen, damit er die Spitze
Seiner gefiederten Pfeile vergiftete. Aber sie gab ihm
Ilos nicht, denn er scheute den Zorn der unsterblichen Götter;
Aber mein Vater gab ihm das Gift, weil er herzlich ihn liebte:
265
Wenn doch in jener Gestalt Odysseus den Freiern erschiene!
Bald wär‘ ihr Leben gekürzt, und ihnen die Heirat verbittert!
Aber dieses ruhet im Schoße der seligen Götter,
Ob er zur Heimat kehrt, und einst in diesem Palaste
Rache vergilt, oder nicht. Dir aber gebiet‘ ich, zu trachten,
270
Daß du der Freier Schar aus deinem Hause vertreibest.
Lieber, wohlan! merk‘ auf, und nimm die Rede zu Herzen.
Fodere morgen zu Rat die Edelsten aller Achaier,
Rede vor der Versammlung, und rufe die Götter zu Zeugen.
Allen Freiern gebeut, zu dem Ihrigen sich zu zerstreuen;
275
Und der Mutter: verlangt ihr Herz die zwote Vermählung,
Kehre sie heim in das Haus des wohlbegüterten Vaters.
Dort bereite man ihr die Hochzeit, und statte sie reichlich
Ihrem Bräutigam aus, wie lieben Töchtern gebühret.
Für dich selbst ist dieses mein Rat, wofern du gehorchest.
280
Rüste das trefflichste Schiff mit zwanzig Gefährten, und eile,
Kundschaft dir zu erforschen vom langabwesenden Vater;
Ob dir’s einer verkünde der Sterblichen, oder du Ossa,
Zeus‘ Gesandte, vernehmest, die viele Gerüchte verbreitet.
Erstlich fahre gen Pylos, und frage den göttlichen Nestor,
285
Dann gen Sparta, zur Burg Menelaos‘ des Bräunlichgelockten,
Welcher zuletzt heim kam von dein erzgepanzerten Griechen.
Hörst du, er lebe noch, dein Vater, und kehre zur Heimat;
Dann, wie bedrängt du auch seist, erduld‘ es noch ein Jahr lang.
Hörst du, er sei gestorben, und nicht mehr unter den Menschen;
290
Siehe dann kehre wieder zur lieben heimischen Insel,
Häufe dem Vater ein Mal, und opfere Totengeschenke
Reichlich, wie sich’s gebührt, und gib einem Manne die Mutter.
Aber hast du dieses getan und alles vollendet,
Siehe dann denk‘ umher, und überlege mit Klugheit,
295
Wie du die üppige Schar der Freier in deinem Palaste
Tötest, mit heimlicher List, oder öffentlich! Fürder geziemen
Kinderwerke dir nicht, du bist dem Getändel entwachsen.
Hast du nimmer gehört, welch ein Ruhm den edlen Orestes
Unter den Sterblichen preist, seitdem er den Meuchler Ägisthos
300
Umgebracht, der ihm den herrlichen Vater ermordet?
Auch du, Lieber, denn groß und stattlich bist du von Ansehn,
Halte dich wohl, daß einst die spätesten Enkel dich loben!
Ich will jetzo wieder zum schnellen Schiffe hinabgehn,
Und den Gefährten, die mich, vielleicht unwillig, erwarten.
305
Sorge nun selber für dich, und nimm die Rede zu Herzen.
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Freund, du redest gewiß mit voller herzlicher Liebe,
Wie ein Vater zum Sohn, und nimmer werd‘ ich’s vergessen.
Aber verweile bei uns noch ein wenig, wie sehr du auch eilest;
310
Lieber, bade zuvor, und gib dem Herzen Erfrischung:
Daß du mit froherem Mut heimkehrest, und zu dem Schiffe
Bringest ein Ehrengeschenk, ein schönes köstliches Kleinod
Zum Andenken von mir, wie Freunde Freunden verehren.
Drauf antwortete Zeus‘ blauäugichte Tochter Athene:
315
Halte nicht länger mich auf; denn dringend sind meine Geschäfte.
Dein Geschenk, das du mir im Herzen bestimmest, das gib mir,
Wann ich wiederkomme, damit ich zur Heimat es bringe;
Und empfange dagegen von mir ein würdiges Kleinod.
Also redete Zeus‘ blauäugichte Tochter, und eilend
320
Flog wie ein Vogel sie durch den Kamin. Dem Jünglinge goß sie
Kraft und Mut in die Brust, und fachte des Vaters Gedächtnis
Heller noch an, wie zuvor. Er empfand es im innersten Herzen,
Und erstaunte darob; ihm ahnete, daß es ein Gott war.
Jetzo ging er zurück zu den Freiern, der göttliche Jüngling.
325
Vor den Freiern sang der berühmte Sänger; und schweigend
Saßen sie all‘, und horchten. Er sang die traurige Heimfahrt,
Welche Pallas Athene den Griechen von Troja beschieden.
Und im oberen Stock vernahm die himmlischen Töne
Auch Ikarios Tochter, die kluge Penelopeia.
330
Eilend stieg sie hinab die hohen Stufen der Wohnung,
Nicht allein; sie wurde von zwo Jungfrauen begleitet.
Als das göttliche Weib die Freier jetzo erreichte,
Stand sie still an der Schwelle des schönen gewölbeten Saales;
Ihre Wangen umwallte der feine Schleier des Hauptes,
335
Und an jeglichem Arm stand eine der stattlichen Jungfraun.
Tränend wandte sie sich zum göttlichen Sänger, und sagte:
Phemios, du weißt ja noch sonst viel reizende Lieder,
Taten der Menschen und Götter, die unter den Sängern berühmt sind;
Singe denn davon eins vor diesen Männern, und schweigend
340
Trinke jeder den Wein. Allein mit jenem Gesange
Quäle mich nicht, der stets mein armes Herz mir durchbohret.
Denn mich traf ja vor allen der unaussprechlichste Jammer!
Ach den besten Gemahl bewein‘ ich, und denke beständig

Jenes Mannes, der weit durch Hellas und Argos berühmt ist!
345
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Meine Mutter, warum verargst du dem lieblichen Sänger,
Daß er mit Liedern uns reizt, wie sie dem Herzen entströmen?
Nicht die Sänger sind des zu beschuldigen, sondern allein Zeus,
Welcher die Meister der Kunst nach seinem Gefallen begeistert.
350
Zürne denn nicht, weil dieser die Leiden der Danaer singet;
Denn der neuste Gesang erhält vor allen Gesängen
Immer das lauteste Lob der aufmerksamen Versammlung:
Sondern stärke vielmehr auch deine Seele, zu hören.
Nicht Odysseus allein verlor den Tag der Zurückkunft
355
Unter den Troern; es sanken mit ihm viel andere Männer.
Aber gehe nun heim, besorge deine Geschäfte,
Spindel und Webestuhl, und treib an beschiedener Arbeit
Deine Mägde zum Fleiß! Die Rede gebühret den Männern,
Und vor allen mir; denn mein ist die Herrschaft im Hause!
360
Staunend kehrte die Mutter zurück in ihre Gemächer,
Und erwog im Herzen die kluge Rede des Sohnes.
Als sie nun oben kam mit den Jungfraun, weinte sie wieder
Ihren trauten Gemahl Odysseus; bis ihr Athene
Sanft mit süßem Schlummer die Augenlider betaute.
365
Aber nun lärmten die Freier umher in dem schattichten Saale,
Denn sie wünschten sich alle, mit ihr das Bette zu teilen.
Und der verständige Jüngling Telemachos sprach zur Versammlung:
Freier meiner Mutter, voll übermütiges Trotzes,
Freut euch jetzo des Mahls, und erhebt kein wüstes Getümmel!
370
Denn es füllt ja mit Wonne das Herz, dem Gesange zu horchen,
Wann ein Sänger, wie dieser, die Töne der Himmlischen nachahmt!
Morgen wollen wir uns zu den Sitzen des Marktes versammeln;
Daß ich euch allen dort freimütig und öffentlich rate,
Mir aus dem Hause zu gehn! Sucht künftig andere Mähler;
375
Zehret von euren Gütern, und laßt die Bewirtungen umgehn.
Aber wenn ihr es so bequemer und lieblicher findet,
Eines Mannes Hab‘, ohn‘ alle Vergeltung zu fressen;
Schlingt sie hinab! Ich werde die ewigen Götter anflehn,
Ob euch nicht endlich einmal Zeus eure Taten bezahle,
380
Daß ihr in unserm Haus‘ auch ohne Vergeltung dahinstürzt!
Also sprach er; da bissen sie ringsumher sich die Lippen,
Über den Jüngling erstaunt, der so entschlossen geredet.
Aber Eupeithes‘ Sohn Antinoos gab ihm zur Antwort:
Ei! dich lehren gewiß, Telemachos, selber die Götter,
385
Vor der Versammlung so hoch und so entschlossen zu reden!
Daß Kronion dir ja die Herrschaft unseres Eilands
Nicht vertraue, die dir von deinem Vater gebühret!
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
O Antinoos, wirst du mir auch die Rede verargen?
390
Gerne nähm‘ ich sie an, wenn Zeus sie schenkte, die Herrschaft!
Oder meinst du, es sei das Schlechteste unter den Menschen?
Wahrlich, es ist nichts Schlechtes, zu herrschen; des Königes Haus wird
Schnell mit Schätzen erfüllt, er selber höher geachtet!
Aber es wohnen ja sonst genug achaiische Fürsten
395
In dem umfluteten Reiche von Ithaka, Jüngling‘ und Greise;
Nehm‘ es einer von diesen, wofern Odysseus gestorben!
Doch behalt‘ ich für mich die Herrschaft unseres Hauses,
Und der Knechte, die mir der edle Odysseus erbeutet!
Aber Polybos‘ Sohn Eurymachos sagte dagegen:
400
Dies, Telemachos, ruht im Schoße der seligen Götter,
Wer das umflutete Reich von Ithaka künftig beherrschet;
Aber die Herrschaft im Haus und dein Eigentum bleiben dir sicher!
Komme nur keiner, und raube dir je mit gewaltsamen Händen
Deine Habe, so lange noch Männer in Ithaka wohnen!
405
Aber ich möchte dich wohl um den Gast befragen, mein Bester.
Sage, woher ist der Mann? und welches Landes Bewohner
Rühmt er sich? Wo ist sein Geschlecht und väterlich Erbe?
Bracht‘ er dir etwa Botschaft von deines Vaters Zurückkunft?
Oder kam er hieher in seinen eignen Geschäften?
410
Warum eilt‘ er so plötzlich hinweg, und scheute so sichtbar
Unsre Bekanntschaft? Gewiß, unedel war seine Gestalt nicht!
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Hin, Eurymachos, ist auf immer des Vaters Zurückkunft!
Darum trau‘ ich nicht mehr Botschaften, woher sie auch kommen,
415
Kümmre mich nie um Deutungen mehr, wen auch immer die Mutter
Zu sich ins Haus berufe, um unser Verhängnis zu forschen!
Dies war ein taphischer Mann, mein angeborener Gastfreund.
Mentes, Anchialos‘ Sohn, des kriegserfahrenen Helden,
Rühmt er sich, und beherrscht die ruderliebende Taphos.
420
Also sprach er; im Herzen erkannt‘ er die heilige Göttin.
Und sie wandten sich wieder zum Tanz und frohen Gesange,
Und belustigten sich, bis ihnen der Abend herabsank.
Als den Lustigen nun der dunkle Abend herabsank;
Gingen sie alle heim, der süßen Ruhe zu pflegen.
425
Aber Telemachos ging zu seinem hohen Gemache.
Auf dem prächtigen Hof‘, in weitumschauender Gegend;
Dorthin ging er zur Ruh mit tiefbekümmerter Seele.
Vor ihm ging mit brennenden Fackeln die tüchtige alte
Eurykleia, die Tochter Ops, des Sohnes Peisenors,
430
Welche vordem Laertes mit seinem Gute gekaufet,
In jungfräulicher Blüte, für zwanzig Rinder: er ehrte
Sie im hohen Palast, gleich seiner edlen Gemahlin,
Aber berührte sie nie, aus Furcht vor dem Zorne der Gattin.
Diese begleitete ihn mit brennenden Fackeln; sie hatt‘ ihn
435
Unter den Mägden am liebsten, und pflegt‘ ihn, als er ein Kind war.
Und er öffnete jetzt die Türe des schönen Gemaches,
Setzte sich auf sein Lager, und zog das weiche Gewand aus,
Warf es dann in die Hände der wohlbedächtigen Alten.
Diese fügte den Rock geschickt in Falten, und hängt‘ ihn
440
An den hölzernen Nagel zur Seite des zierlichen Bettes,
Ging aus der Kammer, und zog mit dem silbernen Ringe die Türe
Hinter sich an, und schob den Riegel vor mit dem Riemen.
Also lag er die Nacht, mit feiner Wolle bedecket,
Und umdachte die Reise, die ihm Athene geraten.