Dritter Gesang

Telemachos von Nestor, der am Gestade opfert, gastfrei empfangen, fragt nach des Vaters Rückkehr, Nestor erzählt, wie er selbst, und wer sonst, von Troja gekehrt sei, ermahnt den Telemachos zur Tapferkeit gegen die Freier, und rät ihm, bei Menelaos sich zu erkundigen. Der Athene, die als Adler verschwand, gelobt Nestor eine Kuh. Telemachos von Nestor geherbergt. Am Morgen, nach vollbrachtem Opfer, fährt er mit Nestors Sohne Peisistratos nach Sparta, wo sie den anderen Abend ankommen.

Jetzo erhub sich die Sonn‘ aus ihrem strahlenden Teiche
Auf zum ehernen Himmel, zu leuchten den ewigen Göttern
Und den sterblichen Menschen auf lebenschenkender Erde.
Und die Schiffenden kamen zur wohlgebaueten Pylos,
5
Neleus‘ Stadt. Dort brachten am Meergestade die Männer
Schwarze Stiere zum Opfer dem bläulichgelockten Poseidon
Neun war der Bänke Zahl, fünfhundert saßen auf jeder;
Jede von diesen gab neun Stiere. Sie kosteten jetzo
Alle der Eingeweide, und brannten dem Gotte die Lenden.
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Jene steurten ans Land, und zogen die Segel herunter,
Banden das gleichgezimmerte Schiff, und stiegen ans Ufer.
Auch Telemachos stieg aus dem Schiffe, geführt von der Göttin.
Ihn erinnerte Zeus‘ blauäugichte Tochter Athene:
Jetzo, Telemachos, brauchst du dich keinesweges zu scheuen!
15
Darum bist du die Wogen durchschifft, nach dem Vater zu forschen,
Wo ihn die Erde verbirgt, und welches Schicksal ihn hinnahm.
Auf denn! und gehe gerade zum Rossebändiger Nestor;
Daß wir sehen, was etwa sein Herz für Rat dir bewahre.
Aber du mußt ihm flehn, daß er die Wahrheit verkünde.
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Lügen wird er nicht reden: denn er ist viel zu verständig!
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Mentor, wie geh ich doch, und wie begrüß‘ ich den König?
Unerfahren bin ich in wohlgeordneten Worten;
Und ich scheue mich auch, als Jüngling den Greis zu befragen!
25
Drauf antwortete Zeus‘ blauäugichte Tochter Athene:
Einiges wird dein Herz dir selber sagen, o Jüngling;
Anderes wird dir ein Gott eingeben. Ich denke, du bist nicht
Ohne waltende Götter geboren oder erzogen.
Als sie die Worte geredet, da wandelte Pallas Athene
30
Eilend voran, und er folgte den Schritten der wandelnder Göttin.
Und sie erreichten die Sitze der pylischen Männer, wo Nestor
Saß mit seinen Söhnen, und rings die Freunde zur Mahlzeit
Eilten das Fleisch zu braten, und andres an Spieße zu stecken.
Als sie die Fremdlinge sahn, da kamen sie alle bei Haufen,
35
Reichten grüßend die Händ‘, und nötigten beide zum Sitze.
Nestors Sohn vor allen, Peisistratos, nahte sich ihnen,
Nahm sie beid‘ an der Hand, und hieß sie sitzen am Mahle,
Auf dickwollichten Fellen, im Kieselsande des Meeres,
Seinem Vater zur Seit‘ und Thrasymedes dem Bruder;
40
Legte vor jeden ein Teil der Eingeweide, und schenkte
Wein in den goldenen Becher, und reicht‘ ihn mit herzlichem Handschlag
Pallas Athenen, der Tochter des wetterleuchtenden Gottes:
Bete jetzt, o Fremdling, zum Meerbeherrscher Poseidon,
Denn ihr findet uns hier an seinem heiligen Mahle.
45
Hast du, der Sitte gemäß, dein Opfer gebracht und gebetet,
Dann gib diesem den Becher mit herzerfreuendem Weine
Zum Trankopfer. Er wird doch auch die Unsterblichen gerne
Anflehn; denn es bedürfen ja alle Menschen der Götter.
Aber er ist der Jüngste, mit mir von einerlei Alter;
50
Darum bring‘ ich dir zuerst den goldenen Becher.
Also sprach er, und reicht‘ ihr den Becher voll duftendes Weines.
Und Athene ward froh des gerechten verständigen Mannes,
Weil er ihr zuerst den goldenen Becher gereichet;
Und sie betete viel zum Meerbeherrscher Poseidon:
55
Höre mich, Poseidaon, du Erdumgürter! Verwirf nicht
Unser frommes Gebet; erfülle, was wir begehren!
Nestorn kröne vor allen und Nestors Söhne mit Ehre;
Und erfreue dann auch die andern Männer von Pylos
Für ihr herrliches Opfer mit reicher Wiedervergeltung!
60
Mich und Telemachos laß heimkehren als frohe Vollender
Dessen, warum wir hieher im schnellen Schiffe gekommen!
Also betete sie, und erfüllte selber die Bitte,
Reichte Telemachos drauf den schönen doppelten Becher.
Eben so betete jetzt der geliebte Sohn von Odysseus.
65
Als sie das Fleisch nun gebraten, und von den Spießen gezogen,
Teilten sie’s allen umher, und feirten das prächtige Gastmahl.
Und nachdem die Begierde des Tranks und der Speise gestillt war;
Sprach der gerenische Greis, der Rossebändiger Nestor:
Jetzo ziemt es sich besser, die fremden Gäste zu fragen,
70
Wer sie sei’n, nachdem sie ihr Herz mit Speise gesättigt.
Fremdlinge, sagt, wer seid ihr? Von wannen trägt euch die Woge?
Habt ihr wo ein Gewerb‘, oder schweift ihr ohne Bestimmung
Hin und her auf der See: wie küstenumirrende Räuber,
Die ihr Leben verachten, um fremden Völkern zu schaden?
75
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen,
Ohne Furcht; denn ihm goß Athene Mut in die Seele,
Daß er nach Kundschaft forschte vom langabwesenden Vater,
Und sich selber ein gutes Gerücht bei den Menschen erwürbe:
Nestor, Neleus‘ Sohn, du großer Ruhm der Achaier
80
Fragst, von wannen wir sei’n; ich will dir alles erzählen.
Siehe von Ithaka her am Neïon sind wir gekommen,
Nicht in Geschäften des Volks, im eigenen; dieses vernimm jetzt:
Meines edlen Vaters verbreiteten Ruhm zu erforschen,
Reis‘ ich umher, Odysseus des Leidengeübten, der ehmals,
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Sagt man, streitend mit dir, die Stadt der Troer zerstört hat.
Von den übrigen allen, die einst vor Ilion kämpften,
Hörten wir doch, wie jeder dem grausamen Tode dahinsank;
Aber von jenem verbarg sogar das Ende Kronion.
Niemand weiß uns den Ort zu nennen, wo er gestorben:
90
Ob er auf festem Lande von feindlichen Männern vertilgt sei,
Oder im stürmenden Meere von Amphitritens Gewässern.
Darum fleh ich dir jetzo, die Knie‘ umfassend, du wollest
Seinen traurigen Tod mir verkündigen; ob du ihn selber
Ansahst, oder vielleicht von einem irrenden Wandrer
95
Ihn erfuhrst: denn ach! zum Leiden gebar ihn die Mutter!
Aber schmeichle mir nicht, aus Schonung oder aus Mitleid;
Sondern erzähle mir treulich, was deine Augen gesehen.
Flehend beschwör‘ ich dich, hat je mein Vater Odysseus
Einen Wunsch dir gewährt mit Worten oder mit Taten,
100
In dem troischen Lande, wo Not euch Achaier umdrängte:
Daß du, dessen gedenkend, mir jetzo Wahrheit verkündest!
Ihm antwortete drauf der Rossebändiger Nestor:
Lieber weil du mich doch an jene Trübsal erinnerst,
Die wir tapfern Achaier im troischen Lande geduldet;
105
Wann wir jetzt mit den Schiffen im dunkelwogenden Meere
Irrten nach Beute umher, wohin Achilleus uns führte;
Jetzt um die große Stadt des herrschenden Priamos kämpften:
Dort verloren ihr Leben die tapfersten aller Achaier!
Dort liegt Ajas, ein Held gleich Ares; dort auch Achilleus;
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Dort sein Freund Patroklos, an Rat den Unsterblichen ähnlich;
Dort mein geliebter Sohn Antilochos, tapfer und edel,
Rüstig vor allen Achaiern im Lauf, und rüstig im Streite!
Und wir haben auch sonst noch viele Leiden erduldet!
Welcher sterbliche Mensch vermöchte sie alle zu nennen?
115
Bliebest du auch fünf Jahr‘ und sechs nacheinander, und forschtest
Alle Leiden von mir der edlen Achaier; du würdest
Überdrüssig vorher in deine Heimat zurückgehn.
Denn neun Jahre hindurch erschöpften wir, ihnen zu schaden,
Alle Listen des Kriegs; und kaum vollbracht‘ es Kronion!
120
Da war keiner im Heere, der sich mit jenem an Klugheit
Maß; allübersehend erfand der edle Odysseus
Alle Listen des Kriegs, dein Vater; woferne du wirklich
Seines Geschlechtes bist. – Mit Staunen erfüllt mich der Anblick!
Auch dein Reden gleichet ihm ganz; man sollte nicht glauben,
125
Daß ein jüngerer Mann so gut zu reden verstünde!
Damals sprachen wir nie, ich und der edle Odysseus,
Weder im Rat verschieden, noch in des Volkes Versammlung;
Sondern eines Sinns ratschlagten wir beide mit Klugheit
Und mit Bedacht, wie am besten das Wohl der Achaier gediehe.
130
Als wir die hohe Stadt des Priamos endlich zerstöret,
Gingen wir wieder zu Schiff, allein Gott trennte die Griechen.
Damals beschloß Kronion im Herzen die traurigste Heimfahrt
Für das argeiische Heer; denn sie waren nicht alle verständig,
Noch gerecht; drum traf so viele das Schreckenverhängnis.
135
Siehe des mächtigen Zeus‘ blauäugichte Tochter entzweite,
Zürnender Rache voll, die beiden Söhne von Atreus.
Diese beriefen das Heer zur allgemeinen Versammlung;
Aber verkehrt, nicht der Ordnung gemäß, da die Sonne sich neigte,
Und es kamen, vom Weine berauscht, die Söhne der Griechen.
140
Jetzo trugen sie vor, warum sie die Völker versammelt.
Menelaos ermahnte das ganze Heer der Achaier,
Über den weiten Rücken des Meers nach Hause zu schiffen,
Aber sein Rat mißfiel Agamemnon gänzlich: er wünschte,
Dort das Volk zu behalten, und Hekatomben zu opfern,
145
Daß er den schrecklichen Zorn der beleidigten Göttin versöhnte.
Tor! er wußte nicht, daß sein Beginnen umsonst war!
Denn nicht schnell ist der Zorn der ewigen Götter zu wandeln.
Also standen sie beid‘, und wechselten heftige Worte;
Und es erhuben sich die schöngeharnischten Griechen
150
Mit unendlichem Lärm, geteilt durch zwiefache Meinung.
Beide ruhten die Nacht, voll schadenbrütendes Grolles;
Denn es bereitete Zeus den Achaiern die Strafe des Unfugs.
Frühe zogen wir Hälfte die Schiff‘ in die heilige Meersflut,
Brachten die Güter hinein, und die schöngegürteten Weiber.
155
Aber die andere Hälfte der Heerschar blieb am Gestade
Dort, bei Atreus‘ Sohn Agamemnon, dem Hirten der Völker.
Wir indes in den Schiffen entruderten eilig von dannen,
Und ein Himmlischer bahnte das ungeheure Gewässer.
Als wir gen Tenedos kamen, da opferten alle den Göttern,
160
Heimverlangend; allein noch hinderte Zeus die Heimfahrt;
Denn der Zürnende sandte von neuem verderbliche Zwietracht.
Einige lenkten zurück die gleichberuderten Schiffe,
Angeführt von dem tapfern erfindungsreichen Odysseus,
Daß sie sich Atreus‘ Sohn‘ Agamemnon gefällig erwiesen.
165
Aber ich flohe voraus mit dem Schiffsheer, welches mir folgte;
Denn es ahnete mir, daß ein Himmlischer Böses verhängte.
Tydeus‘ kriegrischer Sohn floh auch, und trieb die Gefährten.
Endlich kam auch zu uns Menelaos der Bräunlichgelockte,
Als wir in Lesbos noch ratschlagten wegen der Laufbahn:
170
Ob wir oberhalb der bergichten Chios die Heimfahrt
Lenkten auf Psyria zu, und jene zur Linken behielten;
Oder unter Chios, am Fuße des stürmischen Mimas.
Und wir baten den Gott, uns ein Zeichen zu geben; und dieser
Deutete uns, und befahl, gerade durchs Meer nach Euböa
175
Hinzusteuern, damit wir nur schnell dem Verderben entflöhen.
Jetzo blies ein säuselnder Wind in die Segel der Schiffe;
Und sie durchließen in Eile die Pfade der Fische, und kamen
Nachts vor Geraistos an. Hier brannten wir Poseidaon
Viele Lenden der Stiere zum Dank für die glückliche Meerfahrt.
180
Jetzt war der vierte Tag, als in Argos mit seinen Genossen
Landete Tydeus‘ Sohn, Diomedes der Rossebezähmer.
Aber ich setzte den Lauf nach Pylos fort, und der Fahrwind
Hörte nicht auf zu wehn, den uns der Himmlische sandte.
Also kam ich, mein Sohn, ohn‘ alle Kundschaft, und weiß nicht,
185
Welche von den Achaiern gestorben sind, oder noch leben.
Aber so viel ich hier im Hause sitzend erkundet,
Will ich, wie sich’s gebührt, anzeigen, und nichts dir verhehlen.
Glücklich kamen, wie’s heißt, die streitbaren Myrmidonen,
Angeführt von dem trefflichen Sohne des großen Achilleus;
190
Glücklich auch Philoktetes, der glänzende Sohn des Pöas.
Auch Idomeneus brachte gen Kreta alle Genossen,
Welche dem Krieg‘ entflohn, und keinen raubte das Meer ihm.
Endlich von des Atreiden Zurückkunft habt ihr Entfernten
Selber gehört, wie Ägisthos den traurigsten Tod ihm bereitet.
195
Aber wahrlich er hat ihn mit schrecklicher Rache gebüßet!
O wie schön, wenn ein Sohn von einem erschlagenen Manne
Nachbleibt! Also hat jener am Meuchelmörder Ägisthos
Rache geübt, der ihm den herrlichen Vater ermordet!
Auch du, Lieber, denn groß und stattlich bist du von Ansehn,
200
Halte dich wohl, daß einst die spätesten Enkel dich preisen!
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Nestor, Neleus‘ Sohn, du großer Ruhm der Achaier,
Schreckliche Rache hat jener geübt, und weit in Achaia
Wird erschallen sein Ruhm, ein Gesang der spätesten Enkel.
205
O beschieden auch mir so viele Stärke die Götter,
Daß ich den Übermut der rasenden Freier bestrafte,
Welche mir immer zum Trotz die schändlichsten Greuel ersinnen!
Aber versagt ward mir ein solches Glück von den Göttern,
Meinem Vater und mir! Nun gilt nichts weiter, als dulden!
210
Ihm antwortete drauf der Rossebändiger Nestor:
Lieber, weil du mich doch an jenes erinnerst; man sagt ja,
Daß um deine Mutter ein großer Haufe von Freiern,
Dir zum Trotz, im Palaste so viel Unarten beginge.
Sprich, erträgst du das Joch freiwillig, oder verabscheun
215
Dich die Völker des Landes, gewarnt durch göttlichen Ausspruch?
Aber wer weiß, ob jener nicht einst, ein Rächer des Aufruhrs,
Kommt, er selber allein, oder auch mit allen Achaiern.
Liebte sie dich so herzlich, die heilige Pallas Athene,
Wie sie einst für Odysseus den Hochberühmten besorgt war,
220
In dem troischen Lande, wo Not uns Achaier umdrängte;
(Niemals sah ich so klar die Zeichen göttlicher Obhut,
Als sich Pallas Athene für ihren Geliebten erklärte!)
Liebte sie dich so herzlich, und waltete deiner so sorgsam:
Mancher von jenen vergäße der hochzeitlichen Gedanken!
225
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Edler Greis, dies Wort wird schwerlich jemals vollendet;
Denn du sagtest zu viel! Erstaunen muß ich! O nimmer
Würde die Hoffnung erfüllt, wenn auch die Götter es wollten!
Drauf antwortete Zeus‘ blauäugichte Tochter Athene:
230
Welche Rede, o Jüngling, ist deinen Lippen entflohen?
Leicht bringt Gott, wenn er will, auch Fernverirrte zur Ruhe!
Und ich möchte doch lieber nach vielem Jammer und Elend
Spät zur Heimat kehren und schaun den Tag der Zurückkunft,
Als heimkehrend sterben am eigenen Herde, wie jener
235
Durch Ägisthos‘ Verrat und seines Weibes dahinsank.
Nur das gemeine Los des Todes können die Götter
Selbst nicht wenden, auch nicht von ihrem Geliebten, wenn jetzo
Ihn die finstere Stunde mit Todesschlummer umschattet.
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
240
Mentor, rede nicht weiter davon, wie sehr wir auch trauren!
Jener wird nimmermehr heimkehren; sondern es weihten
Ihn die Unsterblichen längst dem schwarzen Todesverhängnis.
Jetzo will ich Nestorn um etwas anderes fragen,
Ihn, der vor allen Menschen Gerechtigkeit kennet und Weisheit.
245
Denn man saget, er hat drei Menschenalter beherrschet;
Darum scheinet er mir ein Bild der unsterblichen Götter.
Nestor, Neleus‘ Sohn, verkünde mir lautere Wahrheit!
Wie starb Atreus‘ Sohn, der große Held Agamemnon?
Wo war denn Menelaos? Und welchen listigen Anschlag
250
Fand der Meuchler Ägisthos, den stärkeren Mann zu ermorden?
War er etwa noch nicht im achaiischen Argos, und irrte
Unter den Menschen umher, daß der sich des Mordes erkühnte?
Ihm antwortete drauf der Rossebändiger Nestor:
Gerne will ich, mein Sohn, dir lautere Wahrheit verkünden.
255
Siehe, du kannst es dir leicht vorstellen, wie es geschehn ist.
Hätt‘ er Ägisthos noch lebendig im Hause gefunden,
Als er von Ilion kehrte, der Held Menelaos Atreides:
Niemand hätte den Toten mit lockerer Erde beschüttet;
Sondern ihn hätten die Hund‘ und die Vögel des Himmels gefressen,
260
Liegend fern von der Stadt auf wüstem Gefild‘, und es hätte
Keine Achaierin ihn, den Hochverräter! beweinet.
Während wir andern dort viel blutige Schlachten bestanden,
Saß er ruhig im Winkel der rossenährenden Argos,
Und liebkoste dem Weib‘ Agamemnons mit süßem Geschwätze.
265
Anfangs hörte sie zwar den argen Verführer mit Abscheu,
Klytämnestra die Edle; denn sie war gut und verständig.
Auch war ein Sänger bei ihr, dem Agamemnon besonders,
Als er gen Ilion fuhr, sein Weib zu bewahren vertraute.
Aber da sie die Götter in ihr Verderben bestrickten,
270
Führt‘ Ägisthos den Sänger auf eine verwilderte Insel,
Wo er ihn zur Beute dem Raubgevögel zurückließ;
Führte dann liebend das liebende Weib zu seinem Palaste;
Opferte Rinder und Schaf‘ auf der Götter geweihten Altären,
Und behängte die Tempel mit Gold und feinem Gewebe,
275
Weil er das große Werk, das unverhoffte, vollendet.
Jetzo segelten wir zugleich von Ilions Küste,
Menelaos und ich, vereint durch innige Freundschaft.
Aber am attischen Ufer, bei Sunions heiliger Spitze,
Siehe da ward der Pilot des menelaïschen Schiffes
280
Von den sanften Geschossen Apollons plötzlich getötet,
Haltend in seinen Händen das Steuer des laufenden Schiffes:
Phrontis, Onetors Sohn, der vor allen Erdebewohnern
Durch der Orkane Tumult ein Schiff zu lenken berühmt war.
Also ward Menelaos, wie sehr er auch eilte, verzögert,
285
Um den Freund zu begraben, und Totengeschenke zu opfern.
Aber da nun auch jener, die dunkeln Wogen durchsegelnd,
Seine gerüsteten Schiffe zum hohen Gebirge Maleia
Hatte geführt; da verhängte der Gott weithallender Donner
Ihm die traurigste Fahrt, sandt‘ ihm lautbrausende Stürme,
290
Und hoch wogten, wie Berge, die ungeheuren Gewässer.
Plötzlich zerstreut‘ er die Schiffe; die meisten verschlug er gen Kreta,
Wo der Kydonen Volk des Jardanos Ufer umwohnet.
An der gordynischen Grenz‘, im dunkelwogenden Meere,
Türmt sich ein glatter Fels den dringenden Fluten entgegen,
295
Die der gewaltige Süd an das linke Gebirge vor Phästos
Stürmt; und der kleine Fels hemmt große brandende Fluten.
Dorthin kamen die meisten; und kaum entflohn dem Verderben
Noch die Männer, die Schiffe zerschlug an den Klippen die Brandung.
Aber die übrigen fünfe der blaugeschnäbelten Schiffe
300
Wurden von Sturm und Woge zum Strom Ägyptos getrieben.
Allda fuhr Menelaos bei unverständlichen Völkern
Mit den Schiffen umher, viel Gold und Schätze gewinnend.
Unterdessen verübte zu Haus Ägisthos die Schandtat,
Bracht‘ Agamemnon um, und zwang das Volk zum Gehorsam.
305
Sieben Jahre beherrscht‘ er die schätzereiche Mykene.
Aber im achten kam zum Verderben der edle Orestes
Von Athenä zurück, und nahm von dem Meuchler Ägisthos
Blutige Rache, der ihm den herrlichen Vater ermordet;
Brachte dann mit dein Volk ein Opfer bei dem Begräbnis
310
Seiner abscheulichen Mutter und ihres feigen Ägisthos.
Eben den Tag kam auch der Rufer im Streit Menelaos,
Mit unendlichen Schätzen, so viel die Schiffe nur trugen.
Auch du, Lieber, irre nicht lange fern von der Heimat,
Da du alle dein Gut und so unbändige Männer
315
In dem Palaste verließest: damit sie nicht alles verschlingen,
Deine Güter sich teilend, und fruchtlos ende die Reise!
Aber ich rate dir doch, zu Atreus‘ Sohn Menelaos
Hinzugehn, der neulich aus fernen Landen zurückkam,
Von entlegenen Völkern, woher kein Sterblicher jemals
320
Hoffen dürfte zu kommen, den Sturm und Woge so weithin
Über das Meer verschlugen, woher auch selbst nicht die Vögel
Fliegen können im Jahre: so furchtbar und weit ist die Reise!
Eil‘ und gehe sogleich im Schiffe mit deinen Gefährten!
Oder willst du zu Lande, so fodere Wagen und Rosse,
325
Meine Söhne dazu: sie werden dich sicher gen Sparta
Führen, der prächtigen Stadt Menelaos‘ des Bräunlichgelockten.
Aber du mußt ihm flehn, daß er die Wahrheit verkünde.
Lügen wird er nicht reden; denn er ist viel zu verständig!
Also sprach er. Da sank die Sonn‘, und Dunkel erhob sich.
330
Drauf antwortete Zeus‘ blauäugichte Tochter Athene:
Wahrlich, o Greis, du hast mit vieler Weisheit geredet.
Aber schneidet jetzo die Zungen, und mischet des Weines,
Daß wir Poseidaon und allen unsterblichen Göttern
Opfern, und schlafen gehn; die Stunde gebeut uns zu ruhen;
335
Denn schon sinket das Licht in Dämmerung. Länger geziemt sich’s
Nicht, am Mahle der Götter zu sitzen, sondern zu gehen.
Also die Tochter Zeus‘, und jene gehorchten der Rede.
Herolde gossen ihnen das Wasser über die Hände;
Jünglinge füllten die Kelche bis oben mit dem Getränke,
340
Teilten dann rechts herum die vollgegossenen Becher.
Und sie verbrannten die Zungen, und opferten stehend des Weines.
Als sie ihr Opfer vollbracht, und nach Verlangen getrunken,
Machte Athene sich auf und Telemachos, göttlich von Bildung,
Wieder von dannen zu gehn zu ihrem geräumigen Schiffe.
345
Aber Nestor verbot es mit diesen strafenden Worten:
Zeus verhüte doch dieses und alle unsterblichen Götter,
Daß ihr jetzo von mir zum schnellen Schiffe hinabgeht,
Gleich als wär‘ ich ein Mann in Lumpen, oder ein Bettler,
Der nicht viele Mäntel und weiche Decken besäße,
350
Für sich selber zum Lager, und für besuchende Freunde!
Aber ich habe genug der Mäntel und prächtigen Decken!
Wahrlich nimmer gestatt‘ ich des großen Mannes Odysseus‘
Sohne, auf dem Verdeck des Schiffes zu ruhen, so lang‘ ich
Lebe! Und dann auch werden noch Kinder bleiben im Hause,
355
Einen Gast zu bewirten, der meine Wohnung besuchet!
Drauf antwortete Zeus‘ blauäugichte Tochter Athene:
Edler Greis, du hast sehr wohl geredet, und gerne
Wird Telemachos dir gehorchen, denn es gebührt sich!
Dieser gehe denn jetzo mit dir zu deinem Palaste,
360
Dort zu ruhn. Allein ich muß zum schwärzlichen Schiffe
Gehen, unsere Freunde zu stärken, und alles zu ordnen.
Denn von allen im Schiffe bin ich der einzige Alte;
Jünglinge sind die andern, die uns aus Liebe begleiten,
Allesamt von des edlen Telemachos blühendem Alter.
365
Allda will ich die Nacht am schwarzen gebogenen Schiffe
Ruhn, und morgen früh zu den großgesinnten Kaukonen
Gehen, daß ich die Schuld, die weder neu noch gering ist,
Mir einfodre. Doch diesen, den Gastfreund deines Palastes,
Send‘ im Wagen gen Sparta, vom Sohne begleitet, und gib ihm
370
Zum Gespanne die schnellsten und unermüdlichsten Rosse.
Also redete Zeus‘ blauäugichte Tochter, und schwebte,
Plötzlich ein Adler, empor; da erstaunte die ganze Versammlung.
Wundernd stand auch der Greis, da seine Augen es sahen,
Faßte Telemachos‘ Hand, und sprach mit freundlicher Stimme:
375
Lieber, ich hoffe, du wirst nicht feige werden noch kraftlos;
Denn es begleiten dich schon als Jüngling waltende Götter!
Siehe kein anderer war’s der himmelbewohnenden Götter,
Als des allmächtigen Zeus‘ siegprangende Tochter Athene,
Die auch deinen Vater vor allen Achaiern geehrt hat!
380
Herrscherin, sei uns gnädig, und krön‘ uns mit glänzendem Ruhme,
Mich und meine Kinder, und meine teure Genossin!
Dir will ich opfern ein jähriges Rind, breitstirnig und fehllos,
Unbezwungen vom Stier, und nie zum Joche gebändigt:
Dieses will ich dir opfern, mit Gold die Hörner umzogen!
385
Also sprach er flehend; ihn hörete Pallas Athene.
Und der gerenische Greis, der Rossebändiger Nestor,
Führte die Eidam‘ und Söhne zu seinem schönen Palaste.
Als sie den hohen Palast des Königs jetzo erreichten,
Setzten sich alle in Reihn auf prächtige Thronen und Sessel.
390
Und den Kommenden mischte der Greis von neuem im Kelche
Süßen balsamischen Wein; im elften Jahre des Alters
Wählte die Schaffnerin ihn, und löste den spündenden Deckel.
Diesen mischte der Greis und flehete, opfernd des Trankes,
Viel zu der Tochter des Gottes mit wetterleuchtendem Schilde.
395
Als sie ihr Opfer vollbracht, und nach Verlangen getrunken,
Gingen sie alle heim, der süßen Ruhe zu pflegen.
Aber Telemachos hieß der Rossebändiger Nestor
Dort im Palaste ruhn, den Sohn des edlen Odysseus,
Unter der tönenden Hall‘, im schöngebildeten Bette.
400
Neben ihm ruhte der Held Peisistratos, welcher allein noch
Unvermählt von den Söhnen in Nestors Hause zurückblieb.
Aber er selber schlief im Innern des hohen Palastes,
Und die Königin schmückte das Eh’bett ihres Gemahles.
Als nun die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte,
405
Da erhub sich vom Lager der Rossebändiger Nestor,
Ging hinaus, und setzte sich auf gehauene Steine,
Vor der hohen Pforte des schöngebauten Palastes,
Weiß und glänzend wie Öl. Auf diesen pflegte vor alters
Neleus sich hinzusetzen, an Rat den Unsterblichen ähnlich.
410
Aber er war schon tot und in der Schatten Behausung.
Nun saß Nestor darauf, der gerenische Hüter der Griechen,
Seinen Stab in der Hand. Da sammelten sich um den Vater
Eilend aus den Gemächern, Echephron, Stratios, Perseus,
Und Aretos der Held, und der göttliche Thrasymedes.
415
Auch der sechste der Brüder Peisistratos eilte zu Nestor.
Und sie setzten den schönen Telemachos neben den Vater.
Unter ihnen begann der Rossebändiger Nestor:
Hurtig, geliebteste Kinder, erfüllt mir dieses Verlangen,
Daß ich vor allen Göttern Athenens Gnade gewinne,
420
Welche mir sichtbar erschien am festlichen Mahle Poseidons!
Gehe denn einer aufs Feld, damit in Eile zum Opfer
Komme die Kuh, geführt vom Hirten der weidenden Rinder.
Einer gehe hinab zu des edlen Telemachos‘ Schiffe,
Seine Gefährten zu rufen, und lasse nur zween zur Bewahrung.
425
Einer heiße hieher den Meister in Golde Laerkes
Kommen, daß er mit Gold des Rindes Hörner umziehe.
Aber ihr übrigen bleibt hier allesamt, und gebietet
Drinnen im hohen Palaste den Mägden, ein Mahl zu bereiten,
Und uns Sessel und Holz und frisches Wasser zu bringen.
430
Also sprach er, und emsig enteilten sie alle. Die Kuh kam
Aus dem Gefild‘; es kamen vom gleichgezimmerten Schiffe
Auch Telemachos‘ Freunde: es kam der Meister in Golde,
Alle Schmiedegeräte, der Kunst Vollender, in Händen,
Seinen Hammer und Amboß und seine gebogene Zange,
435
Auszubilden das Gold. Es kam auch Pallas Athene
Zu der heiligen Feier. Der Rossebändiger Nestor
Gab ihm Gold; und der Meister umzog die Hörner des Rindes
Künstlich, daß sich die Göttin am prangenden Opfer erfreute.
Stratios führte die Kuh am Horn und der edle Echephron.
440
Aber Aretos trug im blumigen Becken das Wasser
Aus der Kammer hervor, ein Körbchen voll heiliger Gerste
In der Linken. Es stand der kriegrische Thrasymedes,
Eine geschliffene Axt in der Hand, die Kuh zu erschlagen.
Perseus hielt ein Gefäß, das Blut zu empfangen. Der Vater
445
Wusch zuerst sich die Händ‘, und streute die heilige Gerste,
Flehte dann viel zu Athenen; und warf in die Flamme das Stirnhaar.
Als sie jetzo gefleht und die heilige Gerste gestreuet,
Trat der mutige Held Thrasymedes näher, und haute
Zu; es zerschnitt die Axt die Sehnen des Nackens, und kraftlos
450
Stürzte die Kuh in den Sand. Und jammernd beteten jetzo
Alle Töchter und Schnür‘ und die ehrenvolle Gemahlin
Nestors, Eurydike, die erste von Klymenos Töchtern.
Aber die Männer beugten das Haupt der Kuh von der Erde
Auf; da schlachtete sie Peisistratos, Führer der Menschen.
455
Schwarz entströmte das Blut, und der Geist verließ die Gebeine.
Jene zerhauten das Opfer, und schnitten, nach dem Gebrauche,
Eilig die Lenden aus, umwickelten diese mit Fette,
Und bedeckten sie drauf mit blutigen Stücken der Glieder,
Und sie verbrannte der Greis auf dem Scheitholz, sprengte darüber
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Dunkeln Wein; und die Jüngling‘ umstanden ihn mit dem Fünfzack.
Als sie die Lenden verbrannt, und die Eingeweide gekostet,
Schnitten sie auch das übrige klein, und steckten’s an Spieße,
Drehten die spitzigen Spieß‘ in der Hand, und brieten’s mit Vorsicht.
Aber den blühenden Jüngling Telemachos badet‘ indessen
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Polykaste die Schöne, die jüngste Tochter des Nestor.
Als sie ihn jetzo gebadet, und drauf mit Öle gesalbet,
Da umhüllte sie ihm den prächtigen Mantel und Leibrock.
Und er stieg aus dem Bad‘, an Gestalt den Unsterblichen ähnlich,
Ging und setzte sich hin bei Nestor, dem Hirten der Völker.
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Als sie das Fleisch nun gebraten, und von den Spießen gezogen,
Setzten sie sich zum Mahle. Die edlen Jünglinge schöpften
Aus dem Kelche den Wein, und verteilten die goldenen Becher.
Und nachdem die Begierde des Tranks und der Speise gestillt war,
Sprach der gerenische Greis, der Rossebändiger Nestor:
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Eilt, geliebteste Kinder, und bringt schönmähnichte Rosse;
Spannt sie schnell vor den Wagen, Telemachos‘ Reise zu fördern!
Also sprach er; ihn hörten die Söhne mit Fleiß, und gehorchten.
Eilend spannten sie vor den Wagen die hurtigen Rosse.
Aber die Schaffnerin legt‘ in den Wagen die köstliche Zehrung,
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Brot und feurigen Wein und göttlicher Könige Speisen.
Und Telemachos stieg auf den künstlichgebildeten Wagen.
Nestors mutiger Sohn Peisistratos, Führer der Menschen,
Setzte sich neben ihn, und hielt in den Händen die Zügel;
Treibend schwang er die Geißel, und willig enteilten die Rosse
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In das Gefild‘, und verließen die hochgebauete Pylos.
Also schüttelten sie bis zum Abend das Joch an den Nacken.
Und die Sonne sank, und Dunkel umhüllte die Pfade.
Und sie kamen gen Pherä, zur Burg des edlen Diokles,
Welchen Alpheios‘ Sohn Orsilochos hatte gezeuget,
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Ruhten bei ihm die Nacht, und wurden freundlich bewirtet.
Als die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte,
Rüsteten sie ihr Gespann, und bestiegen den prächtigen Wagen,
Lenkten darauf aus dem Tore des Hofs und der tönenden Halle.
Treibend schwang er die Geißel, und willig enteilten die Rosse,
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Und durchliefen behende die Weizenfelder, und jetzo
War die Reise vollbracht: so flogen die hurtigen Rosse.
Und die Sonne sank, und Dunkel umhüllte die Pfade.