Vierundzwanzigster Gesang

Vierundzwanzigster Gesang

Die Seelen der Freier finden in der Unterwelt den Achilleus mit Agamemnon sich unterredend: jener, der ruhmvoll vor Troja starb, sei glücklich vor diesem, der heimkehrend ermordet ward. Agamemnon, dem Amphimedon das Geschehene nach seiner Vorstellung erzählt, preiset die Glückseligkeit des siegreich heimkehrenden Odysseus. Dieser indes entdeckt sich dem Vater Laertes mit schonender Vorsicht, und wird beim Mahle von Dolios und dessen Söhnen erkannt. Eupeithes, des Antinoos‘ Vater, erregt einen Aufruhr, der nach kurzem Kampfe durch Athene gestillt wird.

Aber Hermes, der Gott von Kyllene, nahte sich jetzo,
Rief den Seelen der Freier, und hielt in der Rechten den schönen
Goldenen Herrscherstab, womit er die Augen der Menschen
Zuschließt, welcher er will, und wieder vorn Schlummer erwecket:
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Hiermit scheucht‘ er sie fort, und schwirrend folgten die Seelen.
So wie die Fledermäus‘ im Winkel der graulichen Höhle
Schwirrend flattern, wenn eine des angeklammerten Schwarmes
Nieder vom Felsen sinkt, und drauf aneinander sich hangen:
Also schwirrten die Seelen, und folgten in drängendem Zuge
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Hermes, dem Retter in Not, durch dumpfe schimmlichte Pfade.
Und sie gingen des Oceans Flut, den leukadischen Felsen,
Gingen das Sonnentor, und das Land der Träume vorüber,
Und erreichten nun bald die graue Asphodeloswiese,
Wo die Seelen wohnen, die Luftgebilde der Toten.
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Und sie fanden die Seele des Peleiden Achilleus,
Und die Seele Patroklos, des tapfern Antilochos Seele,
Und des gewaltigen Ajas, des Ersten an Wuchs und Bildung
In dem achaiischen Heer, nach dem tadellosen Achilleus:
Diese waren stets um den Peleionen versammelt.
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Eben kam auch die Seele von Atreus‘ Sohn Agamemnon
Traurend daher, umringt von anderen Seelen, die mit ihm,
In Ägisthos Palaste, das Ziel des Todes erreichten.
Zu den Kommenden sprach die Seele des Peleionen:
Atreus‘ Sohn, wir dachten, der donnerfrohe Kronion
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Hätte dich unter den Helden auf immer zum Liebling erkoren;
Weil du das große Heer der tapfersten Sieger beherrschtest,
In dem troischen Lande, wo Not uns Achaier umdrängte.
Aber es mußte auch dich sobald des Todes Verhängnis
Treffen, welchem kein Mensch, vom Weibe geboren, entfliehet.
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Hättest du doch, umringt von den glänzenden Ehren der Herrschaft,
Dort im Lande der Troer, das Ziel des Todes erreichet!
Denn ein Denkmal hätte der Griechen Volk dir errichtet,
Und so wäre zugleich dein Sohn bei den Enkeln verherrlicht.
Aber es war dein Los, des traurigsten Todes zu sterben!
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Ihm antwortete drauf die Seele des großen Atreiden:
Glücklicher Peleide, du göttergleicher Achilleus,
Der du vor Ilion starbst, von Argos ferne! Denn ringsum
Sanken die tapfersten Söhne der Troer und der Achaier,
Kämpfend um deine Leiche: du lagst in der Wolke des Staubes,
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Groß, weithingestreckt, ausruhend vom Wagengetümmel!
Aber wir kämpften den ganzen Tag, und kämpften noch immer
Brennend vor Wut, bis Zeus durch Sturm und Wetter uns trennte.
Jetzo trugen wir dich aus der Schlacht zu unseren Schiffen,
Wuschen den schönen Leib mit lauem Wasser, und legten
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Ihn mit Balsam gesalbt auf prächtige Betten; und ringsum
Weinten und jammerten laut die Achaier, und schoren ihr Haupthaar.
Auch die Mutter entstieg mit den heiligen Nymphen dem Meere,
Als sie die Botschaft vernahm; von lautwehklagenden Stimmen
Hallte die Flut: und Entsetzen ergriff das Heer der Achaier.
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Zitternd wären sie schnell zu den hohlen Schiffen geflohen;
Aber es hielt sie der Mann von alter und großer Erfahrung,
Nestor, dessen Rat wir auch ehmals immer bewundert;
Dieser erhub im Heere die Stimme der Weisheit, und sagte:
Haltet ein, Argeier, und flieht nicht, Söhne Achaias!
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Dies ist seine Mutter mit ihren unsterblichen Nymphen,
Welche dem Meer entsteigt, den toten Sohn zu bejammern!
Also sprach er, und hemmte die Flucht der edlen Achaier.
Lautwehklagend standen um dich des alternden Meergotts
Töchter, und kleideten dich mit ambrosiaduftenden Kleidern.
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Gegeneinander sangen mit schöner Stimme die Musen
Alle neun, und weinten: da siehe man keinen Argeier
Tränenlos; so rührten der Göttinnen helle Gesänge.
Siebzehn Tag‘ und Nächte beweinten wir unaufhörlich
Deinen Tod, der Unsterblichen Chor und die sterblichen Menschen.
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Am achtzehnten verbrannten wir dich, und schlachteten ringsum
Viele gemästete Schaf‘ und krummgehörnete Rinder.
Aber du lagst umhüllt mit Göttergewanden, und um dich
Standen Gefäße mit Öl und süßem Honig; und viele
Helden Achaias rannten gerüstet, zu Fuß und zu Wagen,
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Rings um das lodernde Feuer; es stieg ein lautes Getös auf.
Als dich Hephästos‘ Flamme verzehrt; da gossen wir morgens
Lauteren Wein in die Asche, und sammelten, edler Achilleus,
Deine weißen Gebeine, mit zwiefachem Fette bedeckend.
Aber die Mutter brachte die goldne gehenkelte Urne,
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Dionysos‘ Geschenk, und ein Werk des berühmten Hephästos.
Hierin ruht dein weißes Gebein, ruhmvoller Achilleus,
Mit dem Gebeine vermischt des Menötiaden Patroklos,
Und gesondert die Asche Antilochos‘, den du vor allen
Anderen Freunden ehrtest, nach deinem geliebten Patroklos.
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Und das heilige Heer der sieggewohnten Achaier
Häufte darüber ein großes und weitbewundertes Denkmal
Auf der Spitze des Landes am breiten Hellespontos,
Daß es fern im Meere vorüberschiffende Männer
Sähen, die jetzo leben, und spät in kommenden Jahren.
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Aber die Mutter bracht‘ auf den Kampfplatz köstliche Preise,
Von den Göttern erfleht, für die Tapfersten aller Achaier.
Schon bei vieler Helden Begräbnis warst du zugegen,
Sahst die Jünglinge oft am Ehrenhügel des Königs
Zum Wettkampfe sich gürten um manches schimmernde Kleinod;
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Dennoch hättest du dort mit tiefem Erstaunen betrachtet,
Welche köstliche Preise die silberfüßige Thetis
Dir zu Ehren gesetzt: denn du warst ein Liebling der Götter!
Also erlosch auch im Tode nicht dein Gedächtnis, und ewig
Glänzet bei allen Menschen dein großer Namen, Achilleus.
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Aber was frommte mir des rühmlichen Krieges Vollendung?
Selbst bei der Heimkehr weihte mich Zeus dem schrecklichsten Tode
Unter Ägisthos‘ Hand und der Hand des heillosen Weibes.
Also besprachen sich diese jetzo untereinander,
Jetzo nahte sich ihnen der rüstige Argosbesieger,
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Und ihm folgte zur Tiefe die Schar der erschlagenen Freier.
Voll Verwunderung gingen die Könige ihnen entgegen.
Und der hohe Schatten von Atreus‘ Sohn Agamemnon
Kannte des Melaniden, des tapfern Amphimedons Seele,
Welcher sein Gastfreund war in Ithakas felsichtem Eiland.
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Zu dem Kommenden sprach die Seele des großen Atreiden:
Was, Amphimedon, führt euch ins unterirdische Dunkel?
Lauter erlesene Männer von gleichem Alter! Man würde
Schwerlich in einer Stadt so treffliche Männer erlesen!
Tötet‘ euch etwa in Schiffen der Erderschüttrer Poseidon,
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Da er den wilden Orkan und die steigenden Wogen empörte?
Oder ermordeten euch auf dem Lande feindliche Männer,
Als ihr die schönen Herden der Rinder und Schafe hinwegtriebt,
Oder indem sie die Stadt und ihre Weiber verfochten?
Lieber, sage mir dies; ich war ja im Leben dein Gastfreund.
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Weißt du nicht mehr, wie ihr mich in eurem Hause bewirtet,
Als ich Odysseus ermahnte, dem göttlichen Menelaos
Mit gen Troja zu folgen in schöngebordeten Schiffen?
Erst nach einem Monat entschifften wir eurem Gestade,
Und beredeten kaum den Städteverwüster Odysseus.
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Also sprach er; ihm gab Amphinomos‘ Seele zur Antwort:
Atreus‘ rühmlicher Sohn, weitherrschender Held Agamemnon,
Dieses weiß ich noch alles, und will umständlich erzählen,
Wie uns so plötzlich die Stunde des schrecklichen Todes ereilt hat.
Siehe, wir liebten die Gattin des langentfernten Odysseus.
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Nimmer versagte sie uns, und vollendete nimmer die Hochzeit,
Heimlich uns allen den Tod und das schwarze Verhängnis bereitend.
Unter anderen Listen ersann sie endlich auch diese.
Trüglich zettelte sie in ihrer Kammer ein feines
Übergroßes Geweb‘, und sprach zu unsrer Versammlung:
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Jünglinge, die ihr mich liebt, nach dem Tode des edlen Odysseus!
Dringt auf meine Vermählung nicht eher, bis ich den Mantel
Fertig gewirkt, (damit nicht umsonst das Garn mir verderbe!)
Welcher dem Helden Laertes zum Leichengewande bestimmt ist,
Wenn ihn die finstre Stunde mit Todesschlummer umschattet:
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Daß nicht irgend im Lande mich eine Achaierin tadle,
Läg‘ er uneingekleidet, der einst so vieles beherrschte.
Also sprach sie mit List, und bewegte die Herzen der Edlen.
Und nun webete sie des Tages am großen Gewebe,
Aber des Nachts, dann trennte sie’s auf, beim Scheine der Fackeln.
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Also täuschte sie uns drei Jahr‘ und betrog die Achaier.
Als nun das vierte Jahr im Geleite der Horen herankam,
Und mit dem wechselnden Mond viel Tage waren verschwunden;
Da verkündet‘ uns eine der Weiber das schlaue Geheimnis,
Und wir fanden sie selbst bei der Trennung des schönen Gewebes.
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Also mußte sie’s nun, auch wider Willen, vollenden.
Als sie den großen Mantel gewirkt und sauber gewaschen,
Und er hell, wie die Sonn‘ und der Mond, entgegen uns glänzte;
Siehe da führte mit einmal ein böser Dämon Odysseus
Draußen zum Meierhof, den der Schweine Hüter bewohnte.
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Dorthin kam auch der Sohn des göttergleichen Odysseus,
Der von der sandigen Pylos im schwarzen Schiffe zurückfuhr.
Diese bereiteten sich zum schrecklichen Morde der Freier,
Gingen dann in die prächtige Stadt: der edle Odysseus
War der letzte, sein Sohn Telemachos kam zuerst an.
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Aber der Sauhirt führte den schlechtgekleideten König,
Der, wie ein alter Mann und mühebeladener Bettler,
Wankend am Stabe schlich, mit häßlichen Lumpen bekleidet.
Keiner konnte von uns den plötzlich erscheinenden Fremdling
Für Odysseus erkennen, auch selbst von den Ältesten keiner;
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Sondern alle verspotteten wir und warfen den Fremdling.
Und Odysseus ertrug zuerst in seinem Palaste
Unsre kränkenden Reden und Würfe mit duldender Seele.
Aber als ihn der Geist des Donnergottes erweckte,
Nahm er mit seinem Sohn aus dem Saale die zierliche Rüstung,
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Trug sie hinauf in den Söller, und schloß die Pforte mit Riegeln;
Ging dann hin, und befahl arglistig seiner Gemahlin,
Uns den Bogen zu bringen und blinkende Eisen, zum Wettkampf
Uns unglücklichen Freiern, und zum Beginne des Mordens.
Aber es konnte von uns nicht einer des mächtigen Bogens
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Senne spannen; zu sehr gebrach es allen an Stärke.
Doch wie der Sauhirt jetzo den großen Bogen Odysseus
Brachte; da zürnten wir alle, und schalten mit drohenden Worten,
Daß er den Bogen ihm nicht darreichte, was er auch sagte;
Aber Telemachos rief, und befahl ihm, weiter zu gehen.
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Und nun nahm er den Bogen, der herrliche Dulder Odysseus,
Spannt‘ ihn ohne Bemühn, und schnellte den Pfeil durch die Äxte,
Sprang auf die Schwelle, die Pfeile dem Köcher entschüttend, und blickte
Drohend umher, und schoß; und Antinoos stürzte zu Boden.
Und nun flog auf die andere des scharf hinzielenden Königs
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Schreckliches Todesgeschoß; und Haufen sanken bei Haufen.
Und man erkannte leicht, daß ihnen ein Himmlischer beistand.
Denn bald stürzten sie wütend sich unter den Haufen, und würgten
Links und rechts durch den Saal: mit dem Krachen zerschlagener Schädel
Tönte das Jammergeschrei, und Blut floß über den Boden.
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Also kamen wir um, Agamemnon, und unsere Leiber
Liegen noch unbestattet im Hause des edlen Odysseus.
Denn noch wissen es nicht die Freund‘ in unseren Häusern,
Daß sie das schwarze Blut aus den Wunden waschen, und klagend
Unsere Bahr‘ umringen: die letzte Ehre der Toten!
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Ihm antwortete drauf die Seele des großen Atreiden:
Glücklicher Sohn Laertes, erfindungsreicher Odysseus,
Wahrlich dir ward ein Weib von großer Tugend beschieden!
Welche treffliche Seele hat doch Ikarios‘ Tochter
Penelopeia! Wie treu die Edle dem Manne der Jugend,
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Ihrem Odysseus, blieb! O nimmer verschwindet der Nachruhm
Ihrer Tugend; die Götter verewigen unter den Menschen
Durch den schönsten Gesang die keusche Penelopeia!
Nicht wie Tyndareos‘ Tochter verübte sie schändliche Taten,
Welche den Mann der Jugend erschlug, und ein ewiges Schandlied
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Unter den Sterblichen ist; denn sie hat auf immer der Weiber
Namen entehrt, wenn eine sich auch des Guten befleißigt!
Also besprachen sich jetzo die Luftgebilde der Toten,
Unter der Erde stehend, in Aïdes‘ dunkler Behausung.
Jene gingen den Weg von der Stadt hinunter, und kamen
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Bald zu dem wohlbestellten und schönen Hofe Laertes‘,
Welchen er selber vordem durch Heldentaten erworben.
Allda hatt‘ er sein Haus; und wirtschaftliche Gebäude
Liefen rings um den Hof; es speiseten, saßen und schliefen
Hier die nötigen Knechte, die seine Geschäfte bestellten.
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Auch war dort eine alte Sikelerin, welche des Greises
Fern von der Stadt auf dem Lande mit treuer Sorge sich annahm.
Aber Odysseus sprach zu Telemachos und zu den Hirten:
Geht ihr jetzo hinein in die schöngebauete Wohnung,
Und bereitet uns schnell zum Mahle das trefflichste Mastschwein.
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Ich will indes hingehen, um unsern Vater zu prüfen:
Ob er mich wohl noch kennt, wenn seine Augen mich sehen;
Oder ob ich ihm fremd bin, nach meiner langen Entfernung.
Also sprach er, und gab den Hirten die kriegrische Rüstung.
Diese gingen sogleich in die Wohnung. Aber Odysseus
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Eilte zu seinem Vater im obstbeladenen Fruchthain.
Und er fand, da er eilig den langen Garten hinabging,
Weder Dolios dort, noch Dolios‘ Knechte und Söhne.
Diese waren aufs Feld gegangen, und sammelten Dornen
Zu des Gartens Geheg‘, und der alte Mann war ihr Führer.
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Nur Laertes fand er im schöngeordneten Fruchthain.
Um ein Bäumchen die Erd‘ auflockern. Ein schmutziger Leibrock
Deckt‘ ihn, geflickt und grob; und seine Schenkel umhüllten
Gegen die ritzenden Dornen geflickte Stiefeln von Stierhaut;
Und Handschuhe die Hände der Disteln wegen; die Scheitel
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Eine Kappe von Ziegenfell: so traurte sein Vater.
Als er ihn jetzo erblickte, der herrliche Dulder Odysseus,
Wie er vom Alter entkräftet und tief in der Seele betrübt war;
Sah er ihm weinend zu im Schatten des ragenden Birnbaums.
Dann bedacht‘ er sich hin und her, mit wankendem Vorsatz:
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Ob er ihn küssend umarmte, den lieben Vater, und alles
Sagte, wie er nun endlich zur Heimat wiedergekehrt sei;
Oder ihn erst ausfragte, um seine Seele zu prüfen.
Dieser Gedanke schien dem Zweifelnden endlich der beste:
Erst mit sanftem Tadel des Vaters Seele zu prüfen.
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Dieses beschloß Odysseus, und eilte hin zu Laertes,
Der, mit gesenktem Haupte, des Baumes Wurzel umhackte;
Und der treffliche Sohn trat nahe zum Vater, und sagte:
Alter, es fehlet dir nicht an Kunst den Garten zu bauen!
Schön ist alles bestellt; kein einziges dieser Gewächse,
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Keine Rebe vermißt, kein Ölbaum, Feigen- und Birnbaum,
Keines der Beet‘ im Garten vermißt die gehörige Pflege!
Eins erinnre ich nur; nimm mir’s nicht übel, o Vater!
Du wirst selber nicht gut gepflegt! Wie kümmerlich gehst du,
Schwach vor Alter, und schmutzig dabei, und häßlich bekleidet!
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Wegen der Faulheit gewiß kann dich dein Herr nicht versäumen!
Selbst der Gedank‘ an Knechtschaft verschwindet einem Betrachter
Deiner Gestalt und Größe; du hast ein königlich Ansehn:
Gleich als ob dir gebührte, dich nach dem Bad und der Mahlzeit
Sanft zur Ruhe zu legen; denn das ist die Pflege der Alten.
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Aber verkündige mir, und sage die lautere Wahrheit:
Welcher Mann ist dein Herr, und wessen Garten besorgst du?
Auch verkündige mir aufrichtig, damit ich es wisse:
Sind wir denn wirklich hier in Ithaka, wie mir ein Mann dort
Sagte, welchem ich eben begegnete, als ich hieher ging?
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Aber der Mann war nicht so artig, mir alles zu sagen,
Oder auf meine Frage zu achten, wegen des Gastfreunds,
Den ich in Ithaka habe: ob dieser noch lebt und gesund ist;
Oder ob er schon starb, und zu den Schatten hinabfuhr.
Denn ich sage dir an; merk auf, und höre die Worte:
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Einen Mann hab‘ ich einst im Vaterlande bewirtet,
Welcher mein Haus besuchte; so viel ich auch Fremde beherbergt,
Ist kein werterer Gast in meine Wohnung gekommen!
Dieser sagte, er stammt aus Ithakas felsichtem Eiland,
Und Arkeisios‘ Sohn Laertes wäre sein Vater.
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Und ich führte den werten Gast in unsere Wohnung.
Freundlich bewirtet‘ ich ihn von des Hauses reichlichem Vorrat,
Und verehrt‘ ihm Geschenke zum Denkmal unserer Freundschaft:
Schenkt‘ ihm sieben Talente des künstlichgebildeten Goldes;
Einen silberner Kelch mit schönerhobenen Blumen;
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Feiner Teppiche zwölf, und zwölf der einfachen Mäntel;
Zwölf Leibröcke dazu, mit prächtigen Purpurgewanden;
Über dieses schenkt‘ ich ihm vier untadliche Jungfraun,
Kunstverständig und schön, die er sich selber gewählet.
Ihm antwortete drauf sein Vater, Tränen vergießend:
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Fremdling, du bist gewiß in dem Lande, nach welchem du fragest!
Aber hier wohnen freche und übermütige Männer!
Und vergeblich hast du die vielen Geschenke verschwendet!
Hättest du ihn lebendig in Ithakas Volke gefunden,
Dann entließ er gewiß dich reichlich wiederbeschenket
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Und anständig bewirtet; denn Pflicht ist des Guten Vergeltung.
Aber verkündige mir, und sage die lautete Wahrheit.
Wie viel Jahre sind es, seitdem dich jener besuchte?
Dein unglücklicher Freund, mein Sohn, so lang‘ ich ihn hatte!
Armer Sohn, den fern von der Heimat und seinen Geliebten
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Schon die Fische des Meeres verzehreten, oder zu Lande
Vögel und Tiere zerrissen! Ihn hat die liebende Mutter
Nicht einkleidend beweint, noch der Vater, die wir ihn zeugten;
Noch sein edles Weib, die keusche Penelopeia,
Schluchzend am Sterbebette des lieben Gemahles gejammert,
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Und ihm die Augen geschlossen: die letzte Ehre der Toten!
Auch verkündige mir aufrichtig, damit ich es wisse:
Wer, wes Volkes bist du? und wo ist deine Geburtstadt?
Und wo liegt das Schiff, das dich und die tapfern Genossen
Brachte? Kamst du vielleicht in einem gedungenen Schiffe,
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Und die Schiffer setzten dich aus, und fuhren dann weiter?
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Gerne will ich dir dieses und nach der Wahrheit erzählen.
Ich bin aus Alybas her, und wohin‘ im berühmten Palaste
Meines Vaters Apheidas, des mächtigen Sohns Polypemons.
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Und mein Namen ist Eperitos. Aber ein Dämon
Trieb mich durch Stürme hieher, als ich gen Sikania steurte.
Und mein Schiff liegt außer der Stadt am freien Gestade.
Jetzo sind’s fünf Jahre, seitdem der edle Odysseus
Wieder von dannen fuhr, und Alybas‘ Ufer zurückließ.
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Armer Freund! Und ihm flogen doch heilweissagende Vögel,
Als er zu Schiffe ging: drum sah ich freudig ihn scheiden,
Und er freute sich auch; denn wir hofften, einer den andern
Künftig noch oft zu bewirten, und schöne Geschenke zu wechseln.
Sprach’s; und den Vater umhüllte die schwarze Wolke des Kummers.
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Siehe, er nahm mit den Händen des dürren Staubes, und streut‘ ihn
Über sein graues Haupt, und weint‘ und jammerte herzlich.
Aber Odysseus ergrimmte im Geist, und es schnob in der Nase
Ihm der erschütternde Schmerz, beim Anblick des liebenden Vaters.
Küssend sprang er hinzu mit umschlingenden Armen, und sagte:
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Vater, ich bin es selbst, mein Vater, nach welchem du fragest,
Bin im zwanzigsten Jahre zur Heimat wiedergekehret!
Darum trockne die Tränen, und hemme den weinenden Jammer!
Denn ich sage dir kurz: (uns dringt die äußerste Eile!)
Alle Freier hab‘ ich in unserem Hause getötet,
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Und ihr Trotzen bestraft und die seelenkränkenden Greuel!
Ihm antwortete drauf sein alter Vater Laertes:
Bist du denn wirklich, mein Sohn Odysseus, wiedergekommen;
Lieber, so sage mir doch ein Merkmal, daß ich es glaube!
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
330
Erstlich betrachte hier mit deinen Augen die Narbe,
Die ein Eber mir einst mit weißem Zahne gehauen,
Ferne von hier am Parnassos: denn du und die treffliche Mutter
Sandtet mich dort zu Autolykos hin, die Geschenke zu holen,
Die mir bei der Geburt ihr besuchender Vater verheißen.
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Jetzo will ich dir auch die Bäume des lieblichen Fruchthains
Nennen, die du mir einst auf meine Bitte geschenkt hast;
Denn ich begleitete dich als Knab‘ im Garten; wir gingen
Unter den Bäumen umher, und du nanntest und zeigtest mir jeden.
Dreizehn Bäume mit Birnen, und zehn voll rötlicher Äpfel
340
Schenktest du mir, und vierzig der Feigenbäume; und nanntest
Fünfzig Rebengeländer mit lauter fruchtbaren Stöcken,
Die du mir schenken wolltest: sie hangen voll mancherlei Trauben,
Wenn sie der Segen Gottes mit mildem Gewitter erfreuet.
Also sprach er; und jenem erzitterten Herz und Kniee,
345
Als er die Zeichen erkannte, die ihm Odysseus verkündet.
Seinen geliebtesten Sohn umarmend, sank er in Ohnmacht
An sein Herz; ihn hielt der herrliche Dulder Odysseus.
Als er zu atmen begann, und sein Geist dem Herzen zurückkam;
Da erhub er die Stimme, und rief mit lautem Entzücken:
350
Vater Zeus! ja noch lebt ihr Götter im hohen Olympos,
Wenn doch endlich die Greuel der üppigen Freier bestraft sind!
Aber nun fürcht‘ ich sehr in meinem Herzen, daß plötzlich
Alle Ithaker hier uns überfallen, und Botschaft
Ringsumher in die Städte der Kephallenier senden!
355
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Sei getrost, und laß dich diese Gedanken nicht kümmern!
Folge mir jetzt in das Haus, hier nahe am Ende des Gartens:
Dort ist Telemachos auch, und der Rinderhirt und der Sauhirt;
Denn ich sandte sie hin, uns eilend das Mahl zu bereiten.
360
Also besprachen sie sich, und gingen zur prächtigen Wohnung.
Und sie traten jetzt in die schönen Zimmer des Hauses,
Wo Telemachos schon, und der Rinderhirt und der Sauhirt,
Teilten die Menge des Fleisches, und Wein mit Wasser vermischten.
Aber den edelgesinnten Laertes in seinem Palaste
365
Badete jetzo die treue Sikelerin, salbte mit Öl ihn,
Und umhüllt‘ ihn dann mit dem prächtigen Mantel; Athene
Schmückt‘ unsichtbar mit Kraft und Größe den Hirten der Völker,
Schuf ihn höher an Wuchs, und jugendlicher an Bildung.
Und er stieg aus dem Bade. Mit Staunen erblickte der Sohn ihn,
370
Wie er gleich an Gestalt den unsterblichen Göttern einherging.
Und er redet‘ ihn an, und sprach die geflügelten Worte:
Wahrlich, o Vater, es hat ein unsterblicher Gott des Olympos
Deine Gestalt erhöht, und deine Bildung verschönert!
Und der verständige Greis Laertes sagte dagegen:
375
Wollte doch Vater Zeus, Athene und Phöbos Apollon,
Daß ich so, wie ich einst, am Vorgebirge der Feste,
Nerikos‘ Mauern erstieg, die Kephallenier führend;
Daß ich in jener Gestalt dir gestern in unserm Palaste,
Um die Schultern gepanzert, zur Seite hätte gestritten
380
Gegen der Freier Schar! Dann hätt‘ ich ihrer wohl manchen
Hingestreckt in den Saal, und dein Herz im Busen erfreuet!
Also besprachen diese sich jetzo untereinander.
Aber da jene das Mahl in Eile hatten bereitet,
Setzten sie sich nach der Reih auf prächtige Sessel und Throne,
385
Und erhoben die Hände zum Essen. Siehe da nahte
Dolios sich, der Greis, und Dolios‘ Söhne: sie kamen
Müde vom Felde zurück; denn die Mutter hatte sie selber
Heimgeholt, die alte Sikelerin, die sie erzogen,
Und sorgfältig des Greises in seinem Alter sich annahm.
390
Diese, sobald sie Odysseus sahn und im Herzen erkannten,
Standen still an der Schwell‘, und stauneten. Aber Odysseus
Wandte sich gegen den Greis mit diesen freundlichen Worten:
Setze dich, Alter, zu Tisch, und sehet mich nicht so erstaunt an:
Denn wir haben schon lange, begierig der Speise zu kosten,
395
Hier im Saale geharrt, und euch beständig erwartet.
Also sprach er. Da lief mit ausgebreiteten Armen
Dolios grad‘ auf ihn zu, und küßte die Hände des Königs,
Redete freundlich ihn an, und sprach die geflügelten Worte:
Lieber, kommst du nun endlich nach unserem herzlichen Wunsche.
400
Aber ohn‘ alles Vermuten, und führten dich Götter zur Heimat;
Nun so wünsch‘ ich dir Freude, Gesundheit und Segen der Götter!
Aber sage mir doch aufrichtig, damit ich es wisse:
Weiß es deine Gemahlin, die kluge Penelopeia,
Daß du zu Hause bist? oder sollen wir’s eilig verkünden?
405
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Alter, sie weiß es schon; du brauchst dich nicht zu bemühen.
Also sprach er, und setzte sich hin auf den zierlichen Sessel.
Dolios‘ Söhne traten nun auch zum berühmten Odysseus,
Hießen ihn froh willkommen, und drückten ihm alle die Hände,
410
Setzten sich dann nach der Reihe bei Dolios, ihrem Vater.
Also waren sie hier mit dem fröhlichen Schmause beschäftigt.
Aber Ossa, die schnelle Verkünderin, eilete ringsum
Durch die Stadt mit der Botschaft vom traurigen Tode der Freier.
Und nun erhuben sich alle, und sammelten hieher und dorther,
415
Lautwehklagend und lärmend, sich vor dem Palaste des Königs,
Trugen die Toten hinaus, und bestatteten jeder den Seinen;
Aber die andern, die rings von den Inseln waren gekommen,
Legten sie heimzufahren in schnelle Kähne der Fischer.
Und nun eilten sie alle zum Markte mit großer Betrübnis.
420
Als die Versammelten jetzt in geschlossener Reihe sich drängten;
Da erhub sich der Held Eupeithes vor den Achaiern,
Der mit unendlichem Schmerz um den toten Antinoos traurte,
Seinen Sohn, den zuerst der edle Odysseus getötet;
Weinend erhub sich dieser, und redete vor der Versammlung:
425
Freunde, wahrlich ein Großes bereitete jener den Griechen!
Erst entführt‘ er in Schiffen so viel‘ und tapfere Männer,
Und verlor die gerüsteten Schiff‘, und verlor die Gefährten;
Und nun kommt er, und tötet die Edelsten unseres Reiches.
Aber wohlan! bevor der Flüchtende Pylos erreichet,
430
Oder die heilige Elis, die von den Epeiern beherrscht wird;
Eilet ihm nach! Sonst werden wir nimmer das Antlitz erheben;
Schande brächt‘ es ja uns, und noch bei den spätesten Enkeln,
Wenn wir die Mörder nicht straften, die unsere Kinder und Brüder
Töteten! Ha! ich könnte nicht länger mit fröhlichem Herzen
435
Leben! mich förderte bald der Tod in die Schattenbehausung!
Auf denn, und eilt; damit sie uns nicht zu Wasser entfliehen!
Weinend sprach er’s, und rührte die ganze Versammlung zum Mitleid.
Jetzo kam zu ihnen der göttliche Sänger und Medon
Ans Odysseus‘ Palaste, nachdem sie der Schlummer verlassen;
440
Und sie traten beid‘ in die Mitte des staunenden Volkes.
Und nun sprach zur Versammlung der gute verständige Medon.
Hörer mich an, ihr Männer von Ithaka! Wahrlich, Odysseus
Hat nicht ohne den Rat der Unsterblichen dieses vollendet!
Denn ich sah ihn selbst, den unendlichen Gott, der Odysseus
445
Immer zur Seite stand, in Mentors Bildung gehüllet.
Dieser unsterbliche Gott beseelete jetzo den König,
Vor ihm stehend, mit Mut, und jetzo stürmt‘ er vertilgend
Unter die Freier im Saal; und Haufen sanken bei Haufen.
Als er es sprach, da ergriff sie alle bleiches Entsetzen.
450
Unter ihnen begann der graue Held Halitherses,
Mastors Sohn, der allein Zukunft und Vergangenes wahrnahm;
Dieser erhub im Volke die Stimme der Weisheit, und sagte:
Höret mich an, ihr Männer von Ithaka, was ich euch sage!
Eurer Trägheit halben, ihr Freund‘, ist dieses geschehen!
455
Denn ihr gehorchtet mir nicht, noch Mentor dem Hirten der Völker,
Daß ihr eurer Söhn‘ unbändige Herzen bezähmtet,
Welche mit Unverstand die entsetzlichen Greuel verübten,
Da sie die Güter verschwelgten, und selbst die Gemahlin entehrten
Jenes trefflichen Manns, und wähnten, er kehre nicht wieder.
460
Nun ist dieses mein Rat; gehorcht mir, wie ich euch sage:
Eilt ihm nicht nach, daß keiner sich selbst das Verderben bereite!
Also sprach er. Da stunden die Griechen mit lautem Geschrei auf,
Mehr als die Hälfte der Schar; allein die übrigen blieben,
Welche den Rat Halitherses nicht achteten, sondern Eupeithes
465
Folgten. Sie eilten darauf zu ihrer ehernen Rüstung.
Und nachdem sie sich alle mit blinkendem Erze gepanzert,
Kamen sie vor der Stadt im weiten Gefilde zusammen.
Und sie führte Eupeithes, der Törichte! denn er gedachte
Seines Antinoos‘ Tod zu rächen; aber ihm war nicht
470
Heimzukehren bestimmt, sein harrte des Todes Verhängnis.
Aber Athene sprach zum Donnerer Zeus Kronion:
Unser Vater Kronion, der herrschenden Könige Herrscher,
Sage mir, welchen Rat du jetzo im Herzen verbirgest.
Wirst du hinfort verderbenden Krieg und schreckliche Zwietracht
475
Senden? oder beschließest du Freundschaft unter dem Volke?
Ihr antwortete drauf der Wolkenversammler Kronion:
Warum fragst du mich, Tochter, und forschest meine Gedanken?
Hast du nicht selber den Rat in deinem Herzen ersonnen,
Daß heimkehrend jenen Odysseus‘ Rache vergölte?
480
Tue, wie dir’s gefällt; doch will ich das Beste dir sagen.
Da der edle Odysseus die Freier jetzo bestraft hat,
Werde das Bündnis erneut: er bleib‘ in Ithaka König;
Und wir wollen dem Volke der Söhn‘ und Brüder Ermordung
Aus dem Gedächtnis vertilgen; und beide lieben einander
485
Künftig wie vor, und Fried‘ und Reichtum blühen im Lande!
Also sprach er, und reizte die schon verlangende Göttin:
Eilend fuhr sie hinab von den Gipfeln des hohen Olympos.
Jene hatten sich nun mit lieblicher Speise gesättigt.
Unter ihnen begann der herrliche Dulder Odysseus:
490
Gehe doch einer, und seh, ob unsere Feinde schon annahn.
Also sprach er; und schnell ging einer von Dolios‘ Söhnen,
Stand auf der Schwelle des Hauses, und sah sie alle herannahn.
Eilend rief er Odysseus, und sprach die geflügelten Worte:
Nahe sind sie uns schon; wir müssen uns eilig bewaffnen!
495
Also rief er; da sprangen sie auf, und ergriffen die Rüstung:
Vier war Odysseus‘ Zahl, und sechs von Dolios‘ Söhnen.
Auch der alte Laertes und Dolios legten die Rüstung
An, so grau sie auch waren, durch Not gezwungene Krieger!
Und nachdem sie sich alle mit blinkendem Erze gerüstet;
500
Öffneten sie die Pforte, und gingen, geführt von Odysseus.
Jetzo nahte sich Zeus‘ blauäugichte Tochter Athene,
Mentorn gleich in allem, sowohl an Gestalt wie an Stimme.
Freudig erblickte die Göttin der herrliche Dulder Odysseus.
Und zu dem lieben Sohne Telemachos wandt‘ er sich also:
505
Jetzo wirst du doch sorgen, Telemachos, wenn du dahin kommst:
Daß du im Streite der Männer, wo sich die Tapfern hervortun,
Deiner Väter Geschlecht nicht schändest, die wir von Anfang
Immer durch Kraft und Mut der Menschen Bewundrung erwarben!
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
510
Sehen wirst du es selbst, mein Vater, wenn du es wünschest:
Daß dies Herz dein Geschlecht nicht schändet! Wie kannst du das sagen?
Also sprach er; da rief mit herzlicher Freude Laertes:
Welch ein Tag ist mir dieser! Ihr Götter, wie bin ich so glücklich!
Sohn und Enkel streiten den edlen Streit um die Tugend!
515
Siehe da nahte sich Zeus‘ blauäugichte Tochter, und sagte:
O Arkeisios‘ Sohn, geliebtester meiner Geliebten,
Flehe zu Vater Zeus und Zeus‘ blauäugichter Tochter,
Schwinge dann mutig, und wirf die weithinschattende Lanze!
Also sprach die Göttin, und haucht‘ ihm unsterblichen Mut ein.
520
Eilend flehte der Greis zur Tochter des großen Kronions,
Schwung dann mutig, und warf die weithinschattende Lanze.
Und er traf Eupeithes am ehernwangichten Helme,
Und den weichenden Helm durchdrang die stürmende Lanze:
Tönend sank er dahin, von der ehernen Rüstung umrasselt.
525
Aber Odysseus fiel und Telemachos unter die Feinde,
Hauten und stachen mit Schwertern und langgeschafteten Spießen.
Und nun hätten sie alle vertilgt und zu Boden gestürzet;
Aber die Tochter des Gottes mit wetterleuchtendem Schilde,
Pallas Athene rief, und hemmte die streitenden Scharen:
530
Ruht, ihr Ithaker, ruht vom unglückseligen Kriege!
Schonet des Menschenblutes, und trennet euch schnell voneinander!
Also rief die Göttin; da faßte sie bleiches Entsetzen:
Ihren zitternden Händen entflogen die Waffen, und alle
Fielen zur Erd‘, als laut die Stimme der Göttin ertönte.
535
Und sie wandten sich fliehend zur Stadt, ihr Leben zu retten.
Aber fürchterlich schrie der herrliche Dulder Odysseus,
Und verfolgte sie rasch, wie ein hochherfliegender Adler.
Und nun sandte Kronion den flammenden Strahl vom Olympos,
Dieser fiel vor Athene, der Tochter des schrecklichen Vaters.
540
Und zu Odysseus sprach die heilige Göttin Athene:
Edler Laertiad‘, erfindungsreicher Odysseus,
Halte nun ein, und ruhe vom allverderbenden Kriege:
Daß dir Kronion nicht zürne, der Gott weithallender Donner!
Also sprach sie, und freudig gehorcht‘ Odysseus der Göttin.
545
Zwischen ihm und dem Volk erneuete jetzo das Bündnis
Pallas Athene, die Tochter des wetterleuchtenden Gottes,
Mentorn gleich in allem, sowohl an Gestalt wie an Stimme.

Dreiundzwanzigster Gesang

Dreiundzwanzigster Gesang

Penelopeia, von der Pflegerin gerufen, geht mißtrauisch in den Saal. Odysseus gebeut den Seinigen Reigentanz, um die Ithaker zu täuschen. Er selbst, vom Bade verschönert, rechtfertigt sich der Gemahlin durch ein Geheimnis. Die Neuverbundenen erzählen vor dem Schlafe sich ihre Leiden. Am Morgen befiehlt Odysseus der Gemahlin sich einzuschließen, und geht mit dem Sohn und den Hirten zu Laertes hinaus.

Aber das Mütterchen stieg frohlockend empor in den Söller,
Um der Fürstin zu melden, ihr lieber Gemahl sei zu Hause:
Jugendlich strebten die Knie‘, und hurtiger eilten die Schenkel;
Und sie trat zu dem Haupte der schlafenden Fürstin, und sagte:
5
Wach auf, Penelopeia, geliebte Tochter, und schau es
Selber mit Augen, worauf du so lange geharret: Odysseus
Ist gekommen, Odysseus! und wieder zu Hause, nun endlich!
Und hat alle Freier getötet, die hier im Palaste
Trotzten, sein Gut verschlangen, und seinen Telemachos höhnten!
10
Ihr antwortete drauf die kluge Penelopeia:
Liebe Mutter, dich haben die Götter betöret, die oftmal
Selbst die verständigsten Menschen in Unverständige wandeln,
Und Einfältige oft mit hoher Weisheit erleuchten!
Diese verrückten gewiß auch deine richtigen Sinne!
15
Warum spottest du meiner, die so schon herzlich betrübt ist,
Und verkündest mir Lügen, und weckst mich vom lieblichen Schlummer,
Welcher mir, ach so sanft! die lieben Wimpern bedeckte?
Denn ich schlief noch nimmer so fest, seit Odysseus hinwegfuhr,
Troja zu sehn, die verwünschte, die keiner nennet ohn‘ Abscheu!
20
Aber nun steige hinab, und geh in die untere Wohnung!
Hätte mir eine der andern, so viel auch Weiber mir dienen,
Solch ein Märchen verkündet, und mich vom Schlummer erwecket;
Fürchterlich hätt‘ ich sie gleich, die unwillkommene Botin,
Heimgesandt in den Saal! Dich rettet diesmal dein Alter!
25
Ihr antwortete drauf die Pflegerin Eurykleia:
Liebe Tochter, ich spotte ja nicht! Wahrhaftig, Odysseus
Ist gekommen, und wieder zu Hause, wie ich dir sage!
Jener Fremdling, den alle so schändlich im Saale verhöhnten!
Und Telemachos wußte schon lange, daß er daheim sei;
30
Aber mit weisem Bedacht verschwieg er des Vaters Geheimnis,
Bis er den Übermut der stolzen Männer bestrafet.
Also sprach sie; und freudig entsprang die Fürstin dem Lager,
Und umarmte die Alte, und Tränen umströmten ihr Antlitz.
Weinend begann sie jetzo, und sprach die geflügelten Worte:
35
Liebes Mütterchen, sage mir doch die lautere Wahrheit!
Ist er denn wirklich zu Hause gekommen, wie du erzählest;
O wie hat er den Kampf mit den schamlosen Freiern vollendet,
Er allein mit so vielen, die hier sich täglich ergötzten?
Ihr antwortete drauf die Pflegerin Eurykleia:
40
Weder gesehn hab‘ ich’s, noch sonst erfahren, ich hörte
Bloß der Erschlagnen Geächz. Denn hinten in unserer Wohnung
Saßen wir alle voll Angst, bei festverriegelten Türen;
Bis mich endlich dein Sohn Telemachos aus dem Gemache
Rief, denn diesen hatte sein Vater gesandt, mich zu rufen.
45
Und nun fand ich Odysseus, umringt von erschlagenen Leichen,
Stehn, die hochgehäuft, das schöngepflasterte Estrich
Weit bedeckten. O hättest du selbst die Freude gesehen,
Als er mit Blut und Staube besudelt stand, wie ein Löwe!
Jetzo liegen sie alle gehäuft an der Pforte des Hofes;
50
Und er reinigt mit Schwefel bei angezündetem Feuer
Seinen prächtigen Saal; und sendet mich her, dich zu rufen.
Folge mir denn, damit ihr die lieben Herzen einander
Wieder mit Freuden erfüllt, nachdem ihr so vieles erduldet.
Nun ist ja endlich geschehn, was ihr so lange gewünscht habt:
55
Lebend kehret er heim zum Vaterherde, und findet
Dich und den Sohn im Palast; und alle, die ihn beleidigt,
Alle Freier vertilgt die schreckliche Rache des Königs.
Ihr antwortete drauf die kluge Penelopeia:
Liebe Mutter, du mußt nicht so frohlocken und jauchzen!
60
Ach, du weißt ja, wie herzlich erwünscht er allen im Hause
Käme, vor allen mir, und unserm einzigen Sohne!
Aber es ist unmöglich geschehen, wie du erzählest!
Einer der Himmlischen hat die stolzen Freier getötet,
Durch die Greuel gereizt, und die seelenkränkende Bosheit!
65
Denn sie ehrten ja keinen von allen Erdbewohnern,
Vornehm‘ oder geringe, wer auch um Erbarmen sie ansprach:
Darum strafte sie Gott, die Freveler! Aber Odysseus,
Fern von Achaia verlor er die Heimkehr, ach! und sein Leben!
Ihr antwortete drauf die Pflegerin Eurykleia:
70
Welche Rede, mein Kind, ist deinen Lippen entflohen!
Dein Gemahl, der schon unten am Herde sitzt, der kehret
Nimmer nach Hause zurück? O wie gar ungläubig dein Herz ist!
Nun so sag‘ ich dir jetzt ein entscheidendes Merkmal, die Narbe,
Die ein Eber ihm einst mit weißem Zahne gehauen.
75
Beim Fußwaschen nahm ich sie wahr, und wollt‘ es dir selber
Sagen; allein er faßte mir schnell mit der Hand an die Gurgel;
Und verhinderte mich mit weisem Bedachte, zu reden.
Komm denn, und folge mir jetzt. Denn ich verbürge mich selber,
Hab‘ ich dir Lügen gesagt, des kläglichsten Todes zu sterben.
80
Ihr antwortete drauf die kluge Penelopeia:
Liebe Mutter, den Rat der ewiglebenden Götter
Strebst du umsonst zu erforschen, obgleich du vieles verstehest.
Aber wir wollen doch zu meinem Sohne hinabgehn,
Daß ich die Leichname sehe der Freier, und wer sie getötet.
85
Also sprach sie, und stieg hinab. Der Gehenden Herz schlug,
Zweifelnd, ob sie den lieben Gemahl von ferne befragte,
Oder entgegen ihm flög‘, und Händ‘ und Antlitz ihm küßte.
Als sie nun über die Schwelle von glattem Marmor hineintrat,
Setzte sie fern an der Wand, im Glanze des Feuers, Odysseus
90
Gegenüber, sich hin. An einer ragenden Säule
Saß er, die Augen gesenkt, und wartete, was sie ihm sagen
Würde, die edle Gemahlin, da sie ihn selber erblickte.
Lange saß sie schweigend; ihr Herz war voller Erstaunens.
Jetzo glaubte sie schon sein Angesicht zu erkennen,
95
Jetzo verkannte sie ihn in seiner häßlichen Kleidung.
Aber Telemachos sprach unwillig zu Penelopeia:
Mutter, du böse Mutter, von unempfindlicher Seele!
Warum sonderst du dich von meinem Vater, und setzest
Dich nicht neben ihn hin, und fragst und forschest nach allem?
100
Keine andere Frau wird sich von ihrem Gemahle
So halsstarrig entfernen, der nach unendlicher Trübsal
Endlich im zwanzigsten Jahre zum Vaterlande zurückkehrt!
Aber du trägst im Busen ein Herz, das härter als Stein ist!
Ihm antwortete drauf die kluge Penelopeia:
105
Lieber Sohn, mein Geist ist ganz in Erstaunen verloren;,
Und ich vermag kein Wort zu reden, oder zu fragen,
Noch ihm gerad‘ ins Antlitz zu schaun! Doch ist er es wirklich,
Mein Odysseus, der wiederkam; so werden wir beide
Uns einander gewiß noch besser erkennen: wir haben
110
Unsre geheimen Zeichen, die keinem andern bekannt sind.
Sprach’s; da lächelte sanft der herrliche Dulder Odysseus,
Wandte sich drauf zum Sohn‘, und sprach die geflügelten Worte:
O Telemachos, laß die Mutter, so lange sie Lust hat,
Mich im Hause versuchen; sie wird bald freundlicher werden.
115
Weil ich so häßlich bin, und mit schlechten Lumpen bekleidet,
Darum verachtet sie mich, und glaubt, ich sei es nicht selber,
Aber wir müssen bedenken, was nun der sicherste Rat sei.
Denn hat jemand im Volk nur einen Menschen getötet,
Welcher, arm und geringe, nicht viele Rächer zurückläßt;
120
Flüchtet er doch, und verläßt die Heimat und seine Verwandten:
Und wir erschlugen die Stütze der Stadt, der edelsten Männer
Söhne in Ithakas Reich. Dies überlege nun selber.
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Lieber Vater, da mußt du allein zusehen; du bist ja
125
Unter den Menschen berühmt durch deine Weisheit, und niemand
Wagt es sich dir zu vergleichen von allen Erdebewohnern!
Aber wir sind zu folgen bereit; und ich hoffe, du werdest
Mut in keinem vermissen, so viel die Kräfte gewähren.
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
130
Nun so will ich denn sagen, was mir das Beste zu sein dünkt.
Geht nun erstlich ins Bad, und schmückt euch mit festlichem Leibrock;
Laßt dann die Weiber im Hause mit schönen Gewanden sich schmücken;
Aber der göttliche Sänger entlocke der klingenden Harfe
Melodien, und beflügle den fröhlichhüpfenden Reigen:
135
Daß die Nachbarn umher, und die auf der Gasse vorbeigehn,
Sagen, wann sie es hören, man feire der Königin Hochzeit;
Und damit nicht eher der Ruf von dem Morde der Freier
Durch die Stadt sich verbreite, bevor wir das schattige Lustgut
Fern auf dem Land‘ erreicht. Dort wollen wir ferner bedenken,
140
Welchen nützlichen Rat uns Zeus der Olympier eingibt.
Also sprach er. Sie hörten ihm alle mit Fleiß und gehorchten:
Gingen ins Bad, und schmückten sich dann mit festlichem Leibrock.
Auch die Weiber kamen geschmückt. Der göttliche Sänger
Nahm die gewölbete Harf‘, und reizte mit lieblichen Tönen
145
Alle zum süßen Gesang und schönnachahmenden Tanze:
Daß der hohe Palast ringsum von dem stampfenden Fußtritt
Fröhlicher Männer erscholl und schöngegürteter Weiber.
Und wer vorüberging, blieb horchend stehen, und sagte:
Wahrlich ein Freier macht mit der schönen Königin Hochzeit!
150
Konnte die böse Frau nicht ihres ersten Gemahles
Hohen Palast bewahren, bis er aus der Fremde zurückkehrt?
Also sprechen die Leute, und wußten nicht, was geschehn war.
Aber den edelgesinnten Odysseus in seinem Palaste
Badet‘ Eurynome jetzt, die Schaffnerin, salbte mit Öl ihn,
155
Und umhüllt‘ ihm darauf den prächtigen Mantel und Leibrock.
Siehe sein Haupt umstrahlt‘ Athene mit göttlicher Anmut,
Schuf ihn höher und stärker an Wuchs; und goß von der Scheitel
Ringelnde Locken herab, wie der Purpurlilien Blüte.
Also umgießt ein Mann mit feinem Golde das Silber,
160
Welchen Hephästos selbst und Pallas Athene die Weisheit
Vieler Künste gelehrt, und bildet reizende Werke:
Also umgoß die Göttin ihm Haupt und Schultern mit Anmut.
Und er stieg aus dem Bad‘, an Gestalt den Unsterblichen ähnlich;
Kam, und setzte sich wieder auf seinem verlassenen Sessel,
165
Gegenüber dem Sitz der edlen Gemahlin, und sagte:
Wnnderliche, gewiß vor allen Weibern der Erde
Schufen die Himmlischen dir ein Herz so starr und gefühllos!
Keine andere Frau wird sich von ihrem Gemahle
So halsstarrig entfernen, der nach unendlicher Trübsal
170
Endlich im zwanzigsten Jahre zum Vaterlande zurückkehrt!
Aber bereite mein Bett, o Mütterchen, daß ich allein mich
Niederlege: denn diese hat wahrlich ein Herz von Eisen!
Ihm antwortete drauf die kluge Penelopeia:
Wunderlicher, mich hält so wenig Stolz wie Verachtung
175
Oder Befremden zurück; ich weiß recht gut, wie du aussahst,
Als du von Ithaka fuhrst im langberuderten Schiffe.
Aber wohlan! bereite sein Lager ihm, Eurykleia,
Außerhalb des schönen Gemachs, das er selber gebauet.
Setzt das zierliche Bette hinaus, und leget zum Ruhen
180
Wollichte Felle hinein, und prächtige Decken und Mäntel.
Also sprach sie zum Schein, den Gemahl zu versuchen. Doch zürnend
Wandte sich jetzt Odysseus zu seiner edlen Gemahlin:
Wahrlich, o Frau, dies Wort hat meine Seele verwundet!
Wer hat mein Bette denn anders gesetzt? das könnte ja schwerlich
185
Selbst der erfahrenste Mann; wo nicht der Unsterblichen einer
Durch sein allmächtiges Wort es leicht von der Stelle versetzte:
Doch kein sterblicher Mensch, und trotzt‘ er in Kräften der Jugend,
Könnt‘ es hinwegarbeiten! Ein wunderbares Geheimnis
War an dem künstlichen Bett; und ich selber baut‘ es, kein andrer!
190
Innerhalb des Gehegs war ein weitumschattender Ölbaum,
Stark und blühendes Wuchses; der Stamm glich Säulen an Dicke.
Rings um diesen erbaut‘ ich von dichtgeordneten Steinen
Unser Ehegemach, und wölbte die obere Decke,
Und verschloß die Pforte mit festeinfugenden Flügeln.
195
Hierauf kappt‘ ich die Äste des weitumschattenden Ölbaums,
Und behaute den Stamm an der Wurzel, glättet‘ ihn ringsum
Künstlich und schön mit dem Erz, und nach dem Maße der Richtschnur;
Schnitzt‘ ihn zum Fuße des Bettes, und bohrt‘ ihn rings mit dem Bohrer,
Fügete Bohlen daran, und baute das zierliche Bette,
200
Welches mit Gold und Silber und Elfenbeine geschmückt war;
Und durchzog es mit Riemen von purpurfarbener Stierhaut.
Dies Wahrzeichen sag‘ ich dir also. Aber ich weiß nicht,
Frau, ob es noch so ist, wie vormals; oder ob jemand
Schon den Fuß von der Wurzel gehaun, und das Bette versetzt hat.
205
Also sprach er. Der Fürstin erzitterten Herz und Kniee,
Als sie die Zeichen erkannte, die ihr Odysseus verkündet:
Weinend lief sie hinzu, und fiel mit offenen Armen
Ihrem Gemahl um den Hals, und küßte sein Antlitz, und sagte:
Sei mir nicht bös, Odysseus! Du warst ja immer ein guter
210
Und verständigen Mann! Die Götter gaben uns Elend;
Denn zu groß war das Glück, daß wir beisammen in Eintracht
Unserer Jugend genössen, und sanft dem Alter uns nahten!
Aber du mußt mir jetzo nicht darum zürnen noch gram sein,
Daß ich, Geliebter, dich nicht beim ersten Blicke bewillkommt!
215
Siehe, mein armes Herz war immer in Sorgen, es möchte
Irgend ein Sterblicher kommen, und mich mit täuschenden Worten
Hintergehn; es gibt ja so viele schlaue Betrüger!
Nimmer hätte der Fremdling die schöne argeiische Fürstin
Helena, Tochter von Zeus, zur heimlichen Liebe verleitet;
220
Hätte sie vorbedacht, daß die kriegrischen Söhne Achaias
Würden mit Feuer und Schwert sie zurück aus Ilion fodern.
Aber gereizt von der Göttin, erlag sie der schnöden Verführung,
Und erwog nicht vorher in ihrem Herzen das nahe
Schreckengericht, das auch uns so vielen Jammer gebracht hat!
225
Jetzo, da du, Geliebter, mir so umständlich die Zeichen
Unserer Kammer nennst, die doch kein Sterblicher sahe,
Sondern nur du und ich, und die einzige Kammerbediente
Aktoris, welche mein Vater mir mitgab, als ich hieher zog,
Die uns beiden die Pforte bewahrt des festen Gemaches:
230
Jetzo besiegst du mein Herz, und alle Zweifel verschwinden.
Also sprach sie. Da schwoll ihm sein Herz von inniger Wehmut:
Weinend hielt er sein treues geliebtes Weib in den Armen.
So erfreulich das Land den schwimmenden Männern erscheinet,
Deren rüstiges Schiff der Erdumgürter Poseidon
235
Mitten im Meere durch Sturm und geschwollene Fluten zerschmettert;
Wenige nur entflohn dem dunkelwogenden Abgrund,
Schwimmen ans Land, ringsum vom Schlamme des Meeres besudelt,
Und nun steigen sie freudig, dem Tod‘ entronnen, ans Ufer:
So erfreulich war ihr der Anblick ihres Gemahles;
240
Und fest hielt sie den Hals mit weißen Armen umschlungen.
Und sie hätten vielleicht bis zur Morgenröte gejammert;
Aber ein andres beschloß die heilige Pallas Athene.
Denn sie hemmte die Nacht am Ende des Laufes, und weilte
An des Oceans Fluten die goldenthronende Eos:
245
Und noch spannte sie nicht die schnellen leuchtenden Rosse
Lampos und Phäton an, das Licht den Menschen zu bringen.
Aber zu seiner Gemahlin begann der weise Odysseus:
Liebes Weib, noch haben wir nicht der furchtbaren Kämpfe
Ziel erreicht; es droht noch unermeßliche Arbeit,
250
Viel und gefahrenvoll, und alle muß ich vollenden!
Also verkündigte mir des großen Teiresias‘ Seele,
Jenes Tages, da ich in Aïs‘ Wohnung hinabstieg,
Forschend nach der Gefährten und meiner eigenen Heimkehr.
Aber nun laß uns, Frau, zu Bette gehen: damit uns
255
Beide jetzo die Ruhe des süßen Schlafes erquicke.
Ihm antwortete drauf die kluge Penelopeia:
Jetzo wird dein Lager bereit sein, wann du es wünschest:
Da dir endlich die Götter verstatteten, wiederzukehren
In dein prächtiges Haus und deiner Väter Gefilde.
260
Aber weil dich ein Gott daran erinnert, mein Lieber,
Sage mir auch den Kampf! Ich muß ihn, denk‘ ich, doch einmal
Hören; so ist es ja wohl nicht schlimmer, ihn gleich zu erfahren.
Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Armes Weib, warum verlangst du, daß ich dir dieses
265
Sage? Ich will es dir denn verkünden, und nichts dir verhehlen.
Freilich wird sich darob dein Herz nicht freuen; ich selber
Freue mich nicht. Denn mir gebeut der erleuchtete Seher,
Fort durch die Welt zu gehn, in der Hand ein geglättetes Ruder,
Immerfort, bis ich komme zu Menschen, welche das Meer nicht
270
Kennen, und keine Speise gewürzt mit Salze genießen,
Welchen auch Kenntnis fehlt von rotgeschnäbelten Schiffen,
Und von geglätteten Rudern, den Fittichen eilender Schiffe.
Deutlich hat er sie mir bezeichnet, daß ich nicht irre.
Wenn ein Wanderer einst, der mir in der Fremde begegnet,
275
Sagt, ich trag‘ eine Schaufel auf meiner rüstigen Schulter;
Dann soll ich dort in die Erde das schöngeglättete Ruder
Stecken, und Opfer bringen dem Meerbeherrscher Poseidon,
Einen Widder und Stier und einen mutigen Eber;
Drauf zur Heimat kehren, und opfern heilige Gaben
280
Allen unsterblichen Göttern, des weiten Himmels Bewohnern,
Nach der Reihe herum. Zuletzt wird außer dem Meere
Kommen der Tod, und mich, von hohem behaglichem Alter
Aufgelöseten, sanft hinnehmen, wann ringsum die Völker
Froh und glücklich sind. Dies hat mir der Seher verkündet.
285
Ihm antwortete drauf die kluge Penelopeia:
Nun wenn dir von den Göttern ein frohes Alter bestimmt ist;
Können wir hoffen, du wirst dein Leiden glücklich vollenden.
Also besprachen diese sich jetzo untereinander.
Eurykleia indes und Eurynome breiteten emsig
290
Weiche Gewande zum Lager, beim Scheine leuchtender Fackeln.
Und nachdem sie in Eile das warme Lager gebettet,
Ging die Alte zurück in ihre Kammer, zu ruhen.
Aber Eurynome führte den König und seine Gemahlin
Zu dem bereiteten Lager, und trug die leuchtende Fackel;
295
Als sie die Kammer erreicht, enteilte sie. Jene bestiegen
Freudig ihr altes Lager, der keuschen Liebe geheiligt.
Aber Telemachos, der Rinderhirt und der Sauhirt
Ruhten jetzo vom fröhlichen Tanz, es ruhten die Weiber;
Und sie legten sich schlafen umher im dunkeln Palaste.
300
Jene, nachdem sie die Fülle der seligen Liebe gekostet,
Wachten noch lang‘, ihr Herz mit vielen Gesprächen erfreuend.
Erst erzählte das göttliche Weib, wie viel sie im Hause
Von dem verwüstenden Schwarme der bösen Freier erduldet,
Wie sie um ihretwillen die fetten Rinder und Schafe
305
Scharenweise geschlachtet, und frech im Weine geschwelget.
Dann erzählte der Held, wie vielen Jammer er andern
Menschen gebracht, und wie viel er selber vom Schicksal erduldet.
Und die Königin horchte mit inniger Wonne; kein Schlummer
Sank auf die Augenlider, bevor er alles erzählet.
310
Und er begann, wie er erst die Kikonen bezwungen, und hierauf
An der fruchtbaren Küste der Lotophagen gelandet.
Was der Kyklope getan, und wie er der edlen Gefährten
Tod bestraft, die er fraß, der unbarmherzige Wütrich.
Und wie Äolos ihn, nach milder Bewirtung, zur Heimfahrt
315
Ausgerüstet; allein die Stunde der fröhlichen Heimkehr
War noch nicht; denn er trieb, von dem wilden Orkane geschleudert,
Lautwehklagend zurück ins fischdurchwimmelte Weltmeer.
Wie er Telepylos dann und die Lästrygonen gesehen,
Wo er die rüstigen Schiffe und schöngeharnischten Freunde
320
Alle verlor; nur er selber entrann mit dem schwärzlichen Schiffe.
Auch von Kirkes Betrug und Zauberkünsten erzählt‘ er;
Und wie er hingefahren in Aïdes dumpfe Behausung,
Um des thebäischen Greises Teiresias‘ Seele zu fragen,
Im vielrudrigen Schiff, und alle Freunde gesehen,
325
Auch die Mutter, die ihn gebar und als Knaben ernährte.
Wie er dann den Gesang der holden Sirenen gehöret;
Dann die irrenden Klippen gesehn, und die wilde Charybdis,
Und die Skylla, die keiner noch unbeschädigt vorbeifuhr.
Dann, wie seine Gefährten die Sonnenrinder geschlachtet;
330
Und wie sein rüstiges Schiff der Gott hochrollender Donner
Zeus mit dem Blitze zerschmettert; es sanken die tapfern Genossen
Allzumal, nur er selber entfloh dem Schreckenverhängnis.
Wie er drauf gen Ogygia kam, zur Nymphe Kalypso,
Die ihn so lang aufhielt in ihrer gewölbeten Grotte,
335
Und zum Gemahl ihn begehrte: sie reicht‘ ihm Nahrung und sagte
Ihm Unsterblichkeit zu und nimmerverblühende Jugend;
Dennoch vermochte sie nicht sein standhaftes Herz zu bewegen.
Wie er endlich, nach großer Gefahr, die Phäaken erreichet,
Welche von Herzen ihn hoch, wie einen Unsterblichen, ehrten,
340
Und ihn sandten im Schiffe zur lieben heimischen Insel,
Reichlich mit Erz und Golde beschenkt und prächtigen Kleidern.
Und kaum hatt‘ er das Letzte gesagt, da beschlich ihn der süße
Sanftauflösende Schlummer, den Gram der Seele vertilgend.
Aber ein Neues ersann die heilige Pallas Athene:
345
Als sie glaubte, der Held Odysseus habe nun endlich
Seine Seele in Lieb‘ und süßem Schlafe gesättigt;
Rief sie vom Ocean schnell die goldenthronende Frühe,
Daß sie die finstere Welt erleuchtete. Aber Odysseus
Sprang vom schwellenden Lager, und sprach zu seiner Gemahlin:
350
Frau, wir haben bisher der Leiden volle Genüge
Beide geschmeckt: da du so herzlich um meine Zurückkunft
Weintest, und mich der Kronid‘ und die andern Götter durch Unglück
Stets, wie sehr ich auch strebte, von meiner Heimat entfernten.
Jetzo, nachdem wir die Nacht der seligen Liebe gefeiert,
355
Sorge du für die Güter, die mir im Palaste geblieben;
Aber die Rinder und Schafe, die mir die Freier verschwelget,
Werden mir teils die Achaier ersetzen, und andere werd‘ ich
Beuten von fremden Völkern, bis alle Höfe gefüllt sind.
Jetzo geh‘ ich hinaus, den guten Vater Laertes
360
Auf dem Lande zu sehn, der mich so herzlich bejammert.
Dir befehl‘ ich, o Frau; zwar bist du selber verständig:
Gleich wenn die Sonn‘ aufgeht, wird sicher der Ruf von den Freiern
Durch die Stadt sich verbreiten, die ich im Hause getötet;
Darum steig‘ in den Söller, und sitze dort unter den Weibern
365
Ruhig; siehe nach keinem dich um, und rede mit keinem.
Also sprach er, und panzerte sich mit schimmernder Rüstung,
Weckte Telemachos dann und beide Hirten vom Schlummer,
Und gebot, in die Hand die Waffen des Krieges zu nehmen.
Diese gehorchten ihm schnell, und standen in eherner Rüstung,
370
Schlossen die Pforte dann auf, und gingen, geführt von Odysseus.
Schon umschimmerte Licht die Erde. Doch Pallas Athene
Führte sie schnell aus der Stadt, mit dichtem Nebel umhüllet.

Zweiundzwanzigster Gesang

Zweiundzwanzigster Gesang

Odysseus erschießt den Antinoos, und entdeckt sich den Freiern. Eurymachos bittet um Schonung. Kampf. Telemachos bringt Waffen von oben, und läßt die Türe offen. Der Ziegenhirt schleicht hinauf, und wird von den treue Hirten gebunden. Athene erscheint in Mentors Gestalt, dann als Schwalbe. Entscheidender Sieg. Nur der Sänger und Medon werden verschont. Der gerufene Eurykleia Frohlocken gehemmt. Reinigung des Saales, und Strafe der Treulosen. Odysseus räuchert das Haus, und wird von den treuen Mägden bewillkommt.

Jetzo entblößte sich von den Lumpen der weise Odysseus,
Sprang auf die hohe Schwell‘, und hielt in den Händen den Bogen
Samt dem gefüllten Köcher; er goß die gefiederten Pfeile
Hin vor sich auf die Erd‘, und sprach zu der Freier Versammlung:
5
Diesen furchtbaren Kampf, ihr Freier, hab‘ ich vollendet!
Jetzo wähl‘ ich ein Ziel, das noch kein Schütze getroffen,
Ob ich’s treffen kann, und Apollon mir Ehre verleihet.
Sprach’s, und Antinoos traf er mit bitterm Todesgeschosse.
Dieser wollte vom Tisch das zweigehenkelte schöne
10
Goldne Geschirr aufheben, und faßt‘ es schon mit den Händen,
Daß er tränke des Weins; allein von seiner Ermordung
Ahnet‘ ihm nichts: und wer in der schmausenden Männer Gesellschaft
Hätte geglaubt, daß einer, und wenn er der Tapferste wäre,
Unter so vielen es wagte, ihm Mord und Tod zu bereiten!
15
Aber Odysseus traf mit dem Pfeil ihn grad‘ in die Gurgel,
Daß im zarten Genick die Spitze wieder hervordrang.
Und er sank zur Seite hinab; der Becher voll Weines
Stürzte dahin aus der Hand des Erschossenen; und aus der Nase
Sprang ihm ein Strahl dickströmendes Bluts. Er wälzte sich zuckend,
20
Stieß mit dem Fuß an den Tisch, und die Speisen fielen zur Erde;
Brot und gebratenes Fleisch ward blutig. Aber die Freier
Schrien laut auf im Saale, da sie den Stürzenden sahen,
Sprangen empor von den Thronen, und schwärmten wild durcheinander,
Schaueten ringsumher nach den schöngemauerten Wänden:
25
Aber da war kein Schild und keine mächtige Lanze!
Und sie schalten Odysseus, und schrien die zürnenden Worte:
Übel bekommt dir, Fremdling, das Männerschießen! Du kämpftest
Heute den letzten Kampf! Nun ist dein Verderben entschieden!
Wahrlich du tötetest hier den Jüngling, welcher der größte
30
Held in Ithaka war! Drum sollen die Geier dich fressen!
Also rufte der Schwarm; denn sie wähnten, er habe den Jüngling
Wider Willen getötet: die Toren! und wußten das nicht,
Daß nun über sie alle die Stunde des Todes verhängt war.
Zürnend schaute auf sie und sprach der weise Odysseus:
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Ha! ihr Hunde, ihr wähntet, ich kehrete nimmer zur Heimat
Aus dem Lande der Troer! Drum zehrtet ihr Schwelger mein Gut auf,
Und beschlieft mit Gewalt die Weiber in meinem Palaste,
Ja ihr warbt sogar, da ich lebte, um meine Gemahlin:
Weder die Götter scheuend, des weiten Himmels Bewohner;
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Noch ob ewige Schand‘ auf eurem Gedächtnisse ruhte!
Nun ist über euch alle die Stunde des Todes verhänget!
Also sprach er. Da faßte sie alle bleiches Entsetzen;
Jeder sahe sich um, wo er dem Verderben entflöhe.
Nur Eurymachos gab aus dem Haufen ihm dieses zur Antwort:
45
Bist du denn jetzt Odysseus der Ithaker wiedergekommen,
O so rügst du mit Recht die Taten dieser Achaier!
Viel‘ Unarten geschahn im Palast, und viel‘ auf dem Lande:
Aber er liegt ja schon, der solches alles verschuldet!
Denn Antinoos war der Stifter aller Verwüstung:
50
Und ihn trieb nicht einmal die heiße Begierde der Hochzeit,
Sondern andre Gedanken, die Zeus Kronion vernichtet!
Selber König zu sein in Ithakas mächtigem Reiche
Strebt‘ er, und deinen Sohn mit Hinterlist zu ermorden.
Doch nun hat er sein Teil empfangen! Du aber verschone
55
Deines Volks! Wir wollen forthin dir willig gehorchen!
Aber was hier im Palast an Speis‘ und Tranke verzehrt ward,
Dafür bringen wir gleich, ein jeglicher zwanzig Rinder,
Bringen dir Erz und Gold zur Versöhnung, bis wir dein Herz nun
Haben erfreut! So lang‘ ist freilich dein Zorn nicht zu tadeln!
60
Zürnend schaute auf ihn und sprach der weise Odysseus:
Nein, Eurymachos, brächtet ihr euer ganzes Vermögen,
Das ihr vom Vater besitzt, und legtet von anderm noch mehr zu:
Dennoch sollte mein Arm von eurem Morde nicht eher
Rasten, bevor ihr Freier mir allen Frevel gebüßt habt!
65
Jetzo habt ihr die Wahl: entweder tapfer zu streiten,
Oder zu fliehn, wer etwa den Schrecken des Todes entfliehn kann.
Aber ich hoffe, nicht einer entrinnt dem Todesverhängnis!
Also sprach er; und allen erzitterten Herz und Kniee.
Aber Eurymachos sprach noch einmal zu der Versammlung:
70
Nimmer, o Freunde, ruhn die schrecklichen Hände des Mannes;
Sondern nachdem er den Bogen und vollen Köcher gefaßt hat,
Sendet er seine Geschosse herab von der zierlichen Schwelle,
Bis er uns alle vertilgt! Drum auf! gedenket des Kampfes!
Hurtig, und zieht die Schwerter, und schirmt euch alle mit Tischen
75
Gegen die tötenden Pfeile! Dann dringen wir alle mit einmal
Gegen ihn an! Denn vertrieben wir ihn von der Schwell‘ und der Pforte
Und durchliefen die Stadt; dann erhübe sich plötzlich ein Aufruhr,
Und bald hätte der Mann die letzten Pfeile versendet!
Als er dieses gesagt, da zog er das eherne scharfe
80
Und zweischneidige Schwert, und sprang mit gräßlichem Schreien
Gegen Odysseus empor. Allein der edle Odysseus
Schnellte zugleich den Pfeil, und traf ihm die Mitte des Busens:
Tief in die Leber fuhr der gefiederte Pfeil; aus der Rechten
Fiel ihm das Schwert; und er stürzte, mit strömendem Blute besudelt,
85
Taumelnd über den Tisch, und warf die Speisen zur Erde
Samt dem doppelten Becher, und schlug mit der Stirne den Boden,
In der entsetzlichen Angst; mit beiden zappelnden Füßen
Stürzt‘ er den Sessel herum, und die brechenden Augen umschloß Nacht.
Aber Amphinomos sprang zu dem hochberühmten Odysseus
90
Stürmend hinan, und schwung das blinkende Schwert in der Rechten,
Ihn von der Pforte zu treiben. Doch mitten im stürmenden Angriff
Rannte Telemachos ihm von hinten die eherne Lanze
Zwischen die Schultern hinein, daß vorn die Spitze hervordrang.
Tönend stürzt‘ er dahin, und schlug mit der Stirne den Boden.
95
Aber Telemachos floh, und ließ in Amphinomos‘ Schulter
Seinen gewaltigen Speer; denn er fürchtete, daß ein Achaier,
Wenn er die Lanze herausarbeitete, gegen ihn stürzend,
Ihn mit geschliffenem Schwert durchstäche, oder zerhaute.
Eilend lief er, und floh zu dem lieben Vater Odysseus,
100
Stellte sich nahe bei ihn, und sprach die geflügelten Worte:
Vater, ich hole geschwinde dir einen Schild und zwo Lanzen,
Und den ehernen Helm, der deiner Schläfe gerecht ist;
Rüste mich selber alsdann, und bringe den Hirten Eumäos
Und Philötios Waffen. Man kämpft doch besser in Rüstung.
105
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Lauf und bringe sie, eh‘ ich die tötenden Pfeile verschossen:
Daß sie mich nicht von der Pforte vertreiben, wenn ich allein bin!
Sprach’s; und eilend gehorchte Telemachos seinem Gebote:
Stieg in den Söller empor, wo die prächtige Rüstung verwahrt lag.
110
Wählte sich vier gewölbete Schild‘, acht blinkende Lanzen,
Und vier eherne Helme, geschmückt mit wallendem Roßschweif;
Trug sie hinab, und eilte zum lieben Vater Odysseus.
Jetzo bedeckt‘ er zuerst den Leib mit der ehernen Rüstung;
Und dann waffneten sich der Rinderhirt und der Sauhirt:
115
Und sie standen zur Seite des weisen Helden Odysseus.
Dieser, solang‘ es ihm noch an Todesgeschosse nicht fehlte,
Streckte mit jeglichem Schuß hinzielend einen der Freier
In dem Palaste dahin, und Haufen stürzten bei Haufen.
Aber da’s an Geschoß dem zürnenden Könige fehlte,
120
Lehnt‘ er gegen die Pfoste des schöngemauerten Saales
Seinen Bogen zu stehn an eine der schimmernden Wände.
Eilend warf er sich jetzo den vierfachen Schild um die Schulter,
Deckte sein mächtiges Haupt mit dem schöngebildeten Helme,
Welchen fürchterlich winkend die Mähne des Rosses umwallte,
125
Und ergriff zwo starke mit Erz gerüstete Lanzen.
Rechts in der zierlichen Wand war eine Pforte zur Treppe.
Und von der äußern Schwelle der schöngebaueten Wohnung
Führt‘ ein Weg in den Gang, mit festverschlossener Türe.
Diesen befahl Odysseus dem edlen Hirten Eumäos
130
Nahe stehend zu hüten; denn einen nur faßte die Öffnung.
Und Agelaos begann, und sprach zu der Freier Versammlung:
Freunde, könnte nicht einer zur Treppentüre hinaufgehn,
Und es dem Volke sagen? Dann würde plötzlich ein Aufruhr,
Und bald hätte der Mann die letzten Pfeile versendet!
135
Ihm antwortete drauf der Ziegenhirte Melantheus:
Göttlicher Held Agelaos, das geht nicht! Fürchterlich nahe
Ist die Pforte des Hofes, und eng der Weg nach dem Vorsaal.
Selbst ein einzelner Mann, wenn er Herz hat, wehret ihn allen.
Aber wohlan! ich will euch Waffen holen vom Söller,
140
Daß ihr euch rüsten könnt! Denn dort, sonst nirgends, vermut‘ ich,
Hat sie Odysseus versteckt, nebst seinem glänzenden Sohne.
Also sprach er, und stieg, der Ziegenhirte Melantheus,
Durch die Stufen des Hauses empor zu den Kammern des Königs.
Und zwölf Schilde holt‘ er, und zwölf weitschattende Lanzen,
145
Und zwölf eherne Helme, geschmückt mit wallendem Roßschweif,
Stieg dann wieder hinab, und brachte sie eilig den Freiern.
Aber dem edlen Odysseus erzitterten Herz und Kniee,
Als sie um Schultern und Haupt sich rüsteten, und in den Händen
Lange Speere bewegten; ihm drohte die schrecklichste Arbeit.
150
Und er wandte sich schnell mit geflügelten Worten zum Sohne:
Sicher, Telemachos, hat uns eine der Weiber im Hause
Jenen furchtbaren Kampf bereitet, oder Melantheus!
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
O mein Vater, das hab‘ ich selber versehen, und niemand
155
Anders ist schuld! Ich ließ die feste Türe des Söllers
Unverschlossen zurück; und das hat ein Lauscher bemerket.
Aber, Eumäos, eil‘ und verschließ die Türe des Söllers,
Und gib acht, ob eine der Mägde dieses getan hat,
Oder Dolios‘ Sohn Melantheus, wie ich vermute.
160
Als sie mit diesen Worten sich untereinander besprachen,
Stieg in den Söller von neuem der Ziegenhirte Melantheus,
Schöne Waffen zu holen. Ihn merkte der treffliche Sauhirt,
Eilete wieder zurück, und sprach zum nahen Odysseus:
Edler Laertiad‘, erfindungsreicher Odysseus,
165
Siehe, da geht er schon wieder, der Bösewicht, den wir vermutet,
Nach dem Söller hinauf! Nun sage mir eilig, Odysseus:
Soll ich selber ihn töten, wenn ich mich seiner bemeistre?
Oder bring‘ ich ihn dir, damit er büße die Frevel,
Deren der Bube so viel‘ in deinem Hause verübt hat?
170
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Ich und Telemachos wollen die Schar der trotzigen Freier
Hier im Saale schon halten, wie sehr sie auch gegen uns anstürmt.
Aber ihr beiden dreht ihm Händ‘ und Füß‘ auf den Rücken,
Werft ihn hinein in den Söller, und schließt von innen die Pforte;
175
Knüpfet darauf an die Fessel ein starkes Seil, und zieht ihn
Hoch an die ragende Säule hinauf, bis dicht an die Balken:
Daß er noch lange lebe, von schrecklichen Schmerzen gefoltert!
Also sprach er; ihm hörten sie beide mit Fleiß, und gehorchten;
Eilten zum Söller empor, und fanden Melanthios drinnen:
180
Dieser suchte nach Waffen umher im Winkel des Söllers.
Und sie standen erwartend an beiden Pfosten des Eingangs.
Als nun über die Schwelle der Ziegenhirte Melantheus
Trat, in der einen Hand den prächtigen Helm, in der andern
Einen großen veralterten Schild des Helden Laertes,
185
Den er als Jüngling trug; doch jetzo lag er im Winkel,
Ganz von Schimmel entstellt, und es barsten die Nähte der Riemen.
Siehe da stürzten sie beide hervor, und ergriffen und schleppten
Ihn bei den Haaren hinein, und warfen den Jammernden nieder,
Banden ihm Händ‘ und Füße mit schmerzender Fessel, gewaltsam
190
Hinten am Rücken zusammengedreht, wie ihnen befohlen
Hatte Laertes‘ Sohn, der herrliche Dulder Odysseus;
Knüpften darauf an die Fessel ein starkes Seil, und zogen
Ihn an die ragende Säule hinauf, bis dicht an die Balken.
Höhnend sprachst du zu ihm, Eumäos, Hüter der Schweine:
195
Jetzo wirst du hier wohl die Nacht durchschlummern, Melantheus,
Wann du im weichen Lager dich ausdehnst, wie dir gebühret;
Und du siehest gewiß die schöne Morgenröte
Aus des Oceans Fluten hervorgehn, daß du den Freiern
Treffliche Ziegen bringest, im Saale den Schmaus zu bereiten.
200
Also ließ man ihn hangen, gespannt in der folternden Fessel.
Jene nahmen die Rüstung, und schlossen die schimmernde Pforte,
Eilten dann wieder zum tapfern erfindungsreichen Odysseus.
Kriegsmut atmend standen die Streitenden: hier auf der Schwelle
Vier, und dort in dem Saale so viel‘ und so rüstige Männer!
205
Siehe da nahte sich Zeus‘ blauäugichte Tochter Athene,
Mentorn gleich in allem, sowohl an Gestalt wie an Stimme.
Freudig erblickte die Göttin der Held Odysseus, und sagte:
Mentor, stehe mir bei, und rette deinen Geliebten,
Der dir Gutes getan, und gleiches Alters mit dir ist!
210
Also sprach er, Athene die Völkererhalterin ahnend.
Aber die Freier erhuben ein lautes Geschrei in dem Saale;
Und vor allen droht‘ ihr Damastors Sohn Agelaos:
Mentor, lasse dich nicht durch Odysseus‘ Worte verleiten,
Daß du jetzt mit den Freiern zu seiner Verteidigung kämpfest!
215
Denn wir geloben dir an, und ich meine, wir werden es halten:
Haben wir diese getötet, den Vater und Sohn, dann wollen
Wir mit ihnen auch dich umbringen, der du so mutig
Hier zu schalten gedenkst; mit dem Haupte sollst du es büßen!
Aber nachdem wir euch mit dem Erze des Geistes beraubet,
220
Wollen wir alle dein Gut, im Haus und außer dem Hause,
Alles, vermischt mit den Gütern Odysseus‘, unter uns teilen!
Weder die Söhne sollen, noch Töchter, in dem Palaste
Leben, noch deine Gemahlin im Lande von Ithaka wohnen!
Also sprach er; da zürnte noch heftiger Pallas Athene.
225
Und sie strafte Odysseus mit diesen zürnenden Worten:
Hast du denn völlig den Mut und die Stärke verloren, Odysseus?
Du, der um Helena einst, die lilienarmichte Tochter
Zeus‘, neun Jahre hindurch, mit den Troern so tapfer gekämpft hat,
Und so viele Männer getötet in schrecklicher Feldschlacht?
230
Siehe, durch deinen Rat sank Priamos‘ türmende Feste!
Und nun, da du dein Land und Erbteil wieder erreicht hast,
Nun wehklagest du so im Streite gegen die Freier?
Auf! komm näher, mein Freund, steh‘ hier, und schaue mein Tun an:
Daß du erkennest, wie dir, im Kampfe mit feindlichen Männern,
235
Mentor, Alkimos‘ Sohn, Wohltaten pflegt zu vergelten!
Also sprach sie; allein noch schenkte nicht völlig die Göttin
Ihm den wankenden Sieg; sie prüfte noch ferner die Stärke
Und den Mut Odysseus‘ und seines rühmlichen Sohnes.
Plötzlich entschwand sie den Blicken, und gleich der Schwalbe von Ansehn
240
Flog sie empor, und saß auf dem rußichten Simse des Rauchfangs.
Aber die Freier reizte Damastors Sohn Agelaos,
Demoptolemos, und Amphimedon, und der entschloßne
Polybos, und Eurynomos an, und der edle Peisandros:
Diese waren die ersten und tapfersten unter den Freiern,
245
Aller welche noch lebten und ihre Seele verfochten;
Jene lagen getötet vom pfeileversendenden Bogen.
Und Agelaos begann, und sprach zu der Freier Versammlung:
Freunde, gewiß bald ruhn die schrecklichen Hände des Mannes!
Schon verließ ihn Mentor, nachdem er vergebens geprahlet;
250
Und sie stehen allein an der großen Pforte des Saales!
Darum sendet nicht alle zugleich die langen Lanzen;
Sondern wohlan! ihr sechs werft erstlich, ob euch Kronion
Gnade verleiht, Odysseus zu treffen, und Ruhm zu gewinnen!
Denn mit den anderer hat es nicht Not, wenn jener nur daliegt!
255
Also sprach er. Da warfen sie alle, wie er befohlen,
Wütend; doch aller Würfe vereitelte Pallas Athene.
Einer durchbohrte die Pfoste der schöngebaueten Wohnung,
Jenes Lanze durchdrang die festeinfugende Pforte,
Jener traf in die Wand mit der erzgerüsteten Esche.
260
Und nachdem sie die Lanzen der Freier hatten vermieden,
Da begann zu ihnen der herrliche Dulder Odysseus:
Jetzo wär‘ es an mir, ihr Lieben, euch zu befehlen,
Daß ihr die Schar der Freier mit scharfen Lanzen begrüßet,
Die zu dem vorigen Frevel uns noch zu ermorden gedenken.
265
Also sprach er; da warfen sie alle zielend die Lanzen.
Demoptolemos traf der göttergleiche Odysseus,
Und Euryades traf Telemachos, aber der Sauhirt
Elatos, und Peisandros der Oberhirte der Rinder:
Diese fielen zugleich, und bissen die weite Erde.
270
Aber die Freier entflohn in den innersten Winkel des Saales,
Jene sprangen hinzu, und zogen die Speer‘ aus den Toten.
Und von neuem warfen die Freier schimmernde Lanzen,
Wütend; aber die meisten vereitelte Pallas Athene.
Einer durchbohrte die Pfoste der schöngebaueten Wohnung,
275
Jenes Lanze durchdrang die festeinfugende Pforte,
Jener traf in die Wand mit der erzgerüsteten Esche.
Nur Amphimedon streifte Telemachos‘ Hand an dem Knöchel
Sanft; die obere Haut ward kaum von dem Erze verwundet.
Und Ktesippos ritzte Eumäos über dem Schilde
280
Leicht die Schulter; der Speer flog über, und fiel auf die Erde.
Aber die Schar des tapfern erfindungsreichen Odysseus
Zielte von neuem, und warf die Lanzen unter die Freier.
Und Eurydamos traf der Städteverwüster Odysseus,
Und Amphimedon traf Telemachos, aber der Sauhirt
285
Polybos; und Ktesippos durchbohrte der Hirte der Rinder
Mit der Lanze die Brust, und sprach die höhnenden Worte:
O Polytherses‘ Sohn, du Spötter! rede nicht ferner,
Durch Mutwillen verleitet, so prahlerisch; sondern befiehl es
Alles den Göttern an: denn sie sind stärker als Menschen!
290
Nimm dies Ehrengeschenk für den Kuhfuß, welchen du neulich
Gabst dem edlen Odysseus, der bettelnd im Saale herumging!
Also sprach der Hirte der Rinder. Aber Odysseus
Sprang auf Damastors Sohn, und erstach ihn mit eherner Lanze,
Und Telemachos sprang auf Leiokritos wütend, und rannt‘ ihm
295
Seinen Speer durch den Bauch, daß hinten die Spitze hervordrang:
Vorwärts fiel er dahin, und schlug mit der Stirne den Boden.
Aber Athene erhub an der Decke den leuchtenden dunkeln
Menschenverderbenden Schild, und schreckte die Herzen der Freier.
Zitternd liefen sie rings durch den Saal, wie die Herde der Rinder,
300
Welche auf grasichter Weide die rasche Bremse verfolget,
Im anmutigen Lenz, wenn die Tage heiter und lang sind.
Aber gleich scharfklauichten krummgeschnabelten Falken,
Welche von dem Gebirg‘ herstürmend auf fliegende Vögel
Schießen; sie flattern voll Angst aus den Wolken herab auf die Felder,
305
Doch die verfolgenden Stößer ereilen sie würgend; da gilt nicht
Streiten oder Entfliehn; es freun sich die Menschen des Schauspiels:
Also stürzten sie wütend sich unter die Freier, und würgten

Links und rechts durch den Saal; mit dem Krachen zerschlagener Schädel
Tönte das Jammergeschrei, und Blut floß über den Boden.
310
Und nun eilte Leiodes, umschlang Odysseus die Kniee,
Jammerte laut um Erbarmen, und sprach die geflügelten Worte:
Flehend umfass‘ ich dein Knie: erbarme dich meiner, Odysseus!
Denn ich habe ja keine der Weiber in dem Palaste
Weder mit Worten noch Taten verunehrt, sondern beständig
315
Andere Freier gewarnt, wenn einer dergleichen verübte.
Aber sie folgten mir nicht, die Hand vom Bösen zu wenden:
Darum traf die Frevler das schreckliche Todesverhängnis!
Aber soll ich, ihr Opferprophet, der nichts getan hat,
Sterben wie sie; so ist ja des Guten keine Vergeltung!
320
Zürnend schaute auf ihn und sprach der weise Odysseus:
Bist du Opferprophet bei den Freiern gewesen, so hast du
Ohne Zweifel auch oft in diesem Saale gebetet,
Daß ich ferne verlöre den Tag der fröhlichen Heimkehr,
Und daß meine Gemahlin dir folgt‘ und Kinder gebäre!
325
Darum wünsche nur nicht den schrecklichen Tod zu vermeiden!
Als er dieses gesagt, da nahm er mit nervichter Rechte
Von der Erde das Schwert, das Agelaos im Tode
Fallen lassen, und schwung es, und haut‘ ihm tief in den Nacken:
Daß des Redenden Haupt hinrollend mit Staube vermischt ward.
330
Aber Terpios‘ Sohn entrann dem schwarzen Verhängnis,
Phemios, der bei den Freiern gezwungen wurde zu singen.
Dieser stand, in den Händen die hellerklingende Harfe,
Nahe der Seitentür, und sann in zweifelndem Herzen:
Ob er heimlich entflöh, und an des großen Kronions
335
Schönem Altar auf dem Hofe sich setzte, auf welchem Laertes
Und Odysseus die Lenden so vieler Stiere geopfert;
Oder um Mitleid flehend Odysseus zu Füßen sich würfe.
Dieser Gedanke schien dem Zweifelnden endlich der beste,
Flehend die Kniee zu rühren des göttergleichen Odysseus.
340
Und er setzte zur Erden die schöngewölbete Harfe,
Zwischen dem großen Kelch und dem silberbeschlagenen Sessel;
Lief dann eilend hinzu, umschlang Odysseus die Kniee,
Jammerte laut um Erbarmen, und sprach die geflügelten Worte:
Flehend umfass‘ ich dein Knie; erbarme dich meiner, Odysseus!
345
Töte mich nicht! Du würdest hinfort es selber bereuen,
Wenn du den Sänger erschlügst, der Göttern und Menschen gesungen!
Mich hat niemand gelehrt; ein Gott hat die mancherlei Lieder
Mir in die Seele gepflanzt! Ich verdiene, wie einem der Götter,
Dir zu singen! Drum haue mir nicht mit dem Schwerte das Haupt ab!
350
Siehe dein lieber Sohn Telemachos kann es bezeugen,
Daß ich nie freiwillig und wegen schnödes Gewinstes
Kam in deinen Palast, den Freiern am Mahle zu singen;
Sondern es führten mich viele und Mächtige hier mit Gewalt her!
Also sprach er. Ihn hörte Telemachos‘ heilige Stärke,
355
Eilte hinzu, und sprach zu seinem Vater Odysseus:
Halt, verwunde nicht diesen; er ist unschuldig, mein Vater!
Laß uns auch Medon verschonen, den Herold, welcher mich immer
Sorgsam in unserem Hause gepflegt hat, als ich ein Kind war;
Wo ihn Philötios nicht schon tötete, oder Eumäos,
360
Oder du selber ihn trafst, den Saal mit Rache durchstürmend!
Also sprach er; ihn hörte der gute verständige Medon:
Unter dem Throne sich schmiegend, vermied er das schwarze Verhängnis,
Eingehüllt in die Haut des frischgeschlachteten Rindes.
Eilend kroch er hervor, und hüllte sich schnell aus der Kuhhaut,
365
Sprang zu Telemachos hin, umschlang die Kniee des Jünglings,
Jammerte laut um Erbarmen, und sprach die geflügelten Worte:
Lieber, da bin ich selbst! O schone, und bitte den Vater,
Daß mich der Wütende nicht mit scharfem Erze vertilge,
Zürnend wegen der Freier, die alle Güter im Hause
370
Ihm verschwelgten, und dich mit törichtem Herzen entehrten!
Lächelnd erwiderte drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Sei getrost, denn dieser ist dein Beschirmer und Retter:
Daß du im Herzen erkennst, und andern Menschen verkündest,
Wie viel besser es sei, gerecht als böse zu handeln.
375
Aber geht aus dem Saal, und setzt euch aus dem Gewürge
Draußen im Hofe, du selbst und der liederkundige Sänger;
Bis ich alles im Hause vollendet, was mir gebühret.
Also sprach er. Da gingen sie schnell aus dem blutigen Saale,
Setzten sich draußen im Hof‘ am Altare des großen Kronions
380
Nieder, und blickten umher, den Tod noch immer erwartend.
Jetzo schaute Odysseus umher im Saale, ob irgend
Noch ein Lebender sich dem schwarzen Tode verberge.
Aber er sahe sie alle, mit Blut und Staube besudelt,
Weit den Boden bedecken: wie Fische, welche die Fischer
385
Aus dem bläulichen Meer ans hohle Felsengestade
Im vielmaschichten Netz aufzogen; nun liegen sie, lechzend
Nach den Fluten des Meers, im dürren Sande verbreitet,
Und die sengende Hitze der Sonne raubet ihr Leben:
Also lagen im Saale die Freier Haufen bei Haufen.
390
Und zu Telemachos sprach der erfindungsreiche Odysseus:
Auf, Telemachos, rufe die Pflegerin Eurykleia;
Denn ich habe noch was auf dem Herzen, das ich dir sage.
Sprach’s; und Telemachos eilte, wie ihm sein Vater befohlen,
Pocht‘ an die Tür, und rief der Pflegerin Eurykleia;
395
Eile geschwinde hieher, du alte redliche Mutter,
Welche die Aufsicht hat der Weiber in unserem Hause!
Komm! dich ruft mein Vater, er hat dir etwas zu sagen!
Also sprach er zu ihr, und redete nicht in die Winde.
Als sie die Pforten geöffnet der schöngebaueten Wohnung,
400
Ging sie hinaus, und folgte Telemachos, welcher sie führte.
Und sie fanden Odysseus, umringt von erschlagenen Leichen,
Ganz mit Blut und Staube besudelt, ähnlich dem Löwen,
Der, vom ermordeten Stiere gesättiget, stolz einhergeht;
Seine zottichte Brust, und beide Backen des Würgers
405
Triefen von schwarzem Blut, und fürchterlich glühn ihm die Augen:
Also war auch Odysseus an Händen und Füßen besudelt.
Als sie die Toten nun sah und rings die Ströme des Blutes,
Da frohlockte sie jauchzend; denn schrecklich und groß war der Anblick.
Aber Odysseus hielt sie, und zähmt‘ ihr lautes Entzücken;
410
Und er redte sie an, und sprach die geflügelten Worte:
Freue dich, Mutter, im Herzen; doch halte dich, daß du nicht frohlockst!
Über erschlagene Menschen zu jauchzen, ist grausam und Sünde!
Diese vertilgte der Götter Gericht und ihr böses Beginnen:
Denn sie ehrten ja keinen von allen Erdebewohnern,
415
Vornehm oder geringe, wer auch um Erbarmen sie ansprach.
Darum traf die Frevler das schreckliche Todesverhängnis.
Aber nenne mir jetzo die Weiber in dem Palaste,
Alle, die mich verachten, und die unsträflich geblieben.
Ihm antwortete drauf die Pflegerin Eurykleia:
420
Gerne will ich dir, Sohn, die lautere Wahrheit verkünden,
Fünfzig sind der Weiber in deinem hohen Palaste,
Welche wir alle die Kunst des Webestuhls und der Nadel
Lehrten, und Wolle zu kämmen, und treu und fleißig zu dienen.
Aber zwölfe verüben die unverschämtesten Greuel,
425
Und verachten mich ganz, ja selber Penelopeia.
Zwar seit kurzem erwuchs Telemachos; aber die Mutter
Wollte nimmer gestatten, daß er den Mägden beföhle.
Jetzo geh‘ ich hinauf, und bringe deiner Gemahlin
Botschaft; eben erquickt sie ein Gott mit lieblichem Schlummer.
430
Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Wecke sie jetzo noch nicht; laß erst die Weiber des Hauses
Kommen, welche bisher so viel‘ Unarten verübten.
Also sprach er; da ging die Pflegerin aus dem Gemache,
Brachte des Königs Befehl, und trieb die Mägde zu eilen.
435
Aber Telemachos und die beiden trefflichen Hirten
Rief er zu sich heran, und sprach die geflügelten Worte:
Traget jetzo die Toten hinaus, und befehlt es den Weibern;
Und dann reiniget wieder die zierlichen Sessel und Tische
Von der Erschlagenen Blute mit angefeuchteten Schwämmen.
440
Aber sobald ihr alles umher im Saale geordnet,
Führt die Weiber hinaus vor die schöngebauete Wohnung,
Zwischen das Küchengewölb‘ und die feste Mauer des Hofes,
Und erwürgt sie dort mit der Schärfe des Schwertes, bis aller
Seelen entfliehn, und vergessen der ungebändigten Lüste,
445
Welche sie oft gebüßt, in geheimer Umarmung der Freier.
Also sprach er; da kamen die Weiber alle bei Haufen
Lautwehklagend herein und heiße Tränen vergießend.
Und sie trugen hinaus die abgeschiedenen Toten
Unter die tönende Halle des festverschlossenen Hofes,
450
Legten übereinander sie hin; es trieb sie Odysseus
Hurtig zu eilen, und traurig vollendeten jene die Arbeit.
Hierauf reinigten sie die zierlichen Sessel und Tische
Von der Erschlagenen Blute mit angefeuchteten Schwämmen.
Aber Telemachos, der Rinderhirt und der Sauhirt
455
Säuberten eilig mit Schaufeln des schönen gewölbeten Saales
Estrich; den Unrat trugen die Mägde hinaus vor die Türe.
Und nachdem sie alles umher im Saale geordnet,
Führten sie jene hinaus vor die schöngebauete Wohnung
Zwischen das Küchengewölb‘ und die feste Mauer des Hofes,
460
Trieben sie dort in die Enge, wo nirgends ein Weg zum Entfliehn war.
Und der verständige Jüngling Telemachos sprach zu den Hirten:
Wahrlich den reinen Tod des Schwertes sollen die Weiber
Mir nicht sterben, die mich und meine Mutter so lange
Schmäheten, und mit den Freiern so schändliche Greuel verübten!
465
Sprach’s; da band er ein Seil des blaugeschnäbelten Schiffes
An den ragenden Pfeiler, und knüpft es hoch am Gewölbe
Fest, daß die Hangenden nicht mit den Füßen die Erde berührten.
Und wie die fliegenden Vögel, die Drosseln oder die Tauben,
In die Schlingen geraten, die im Gebüsche gestellt sind;
470
Müde eilten sie heim, und finden ein trauriges Lager:
Also hingen sie dort mit den Häuptern nebeneinander,
Alle die Schling‘ um den Hals, und starben des kläglichsten Todes,
Zappelten noch mit den Füßen ein wenig, aber nicht lange.
Jetzo holten sie auch den Ziegenhirten Melantheus;
475
Und sie schnitten ihm Nas‘ und Ohren mit grausamem Erze
Ab, entrissen und warfen die blutige Scham vor die Hunde,
Hauten dann Händ‘ und Füße vom Rumpf mit zürnendem Herzen.
Und nun wuschen sie sich die Händ‘ und Füße, und gingen
Wieder hinein zu Odysseus im Saal; und das Werk war vollendet.
480
Aber Odysseus sprach zu der Pflegerin Eurykleia:
Alte, bringe mir Feuer und fluchabwendenden Schwefel,
Daß ich den Saal durchräuchre. Dann sage Penelopeien,
Daß sie geschwind herkomme mit ihren begleitenden Jungfraun;
Auch die übrigen Weiber im Hause rufe mir eilig.
485
Ihm antwortete drauf die Pflegerin Eurykleia:
Gut, mein geliebter Sohn, du hast mit Weisheit geredet,
Aber ich will dir ein Kleid herbringen, Mantel und Leibrock;
Daß du nicht, mit den Lumpen die rüstigen Schultern umhüllet,
Hier in dem Saale stehst. Wie häßlich würde das aussehn!
490
Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Erstlich bringe mir Schwefel, und zünde Feuer im Saal an.
Also sprach er. Da eilte die Pflegerin Eurykleia;
Und nun brachte sie Feuer und Schwefel. Aber Odysseus
Räucherte rings im Saal, im Vorhaus und in dem Hofe.
495
Und die Alte stieg aus Odysseus‘ prächtiger Wohnung,
Brachte des Königs Befehl, und trieb die Mägde zu eilen.
Und sie gingen hervor, in den Händen die leuchtende Fackel.
Jetzo umringten sie alle den wiedergekommenen König,
Hießen ihn froh willkommen, und küßten ihm Schultern und Antlitz,
500
Küßten und drückten die Hände mit Inbrunst. Aber Odysseus
Weint‘ und schluchzte vor Freude; sein Herz erkannte noch alle.

Einundzwanzigster Gesang

Einundzwanzigster Gesang

Penelopeia veranstaltet den entscheidenden Bogenkampf. Empfindung der treuen Hirten. Telemachos stellt die Kampfeisen, und wird, den Bogen zu spannen, vom Vater gehindert. Die Freier versuchen nacheinander. Ahnung des Opferpropheten. Der Bogen wird erweicht. Odysseus entdeckt sich draußen dem Sauhirten und Rinderhirten, und heißt die Türen verschließen. Die Freier verschieben den Bogenkampf. Odysseus bittet um den Bogen, und die Freier lassen es endlich geschehn. Er spannt, und trifft durch die Eisen.

Aber Ikarios‘ Tochter, der klugen Penelopeia,
Gab Athene, die Göttin mit blauen Augen, den Rat ein,
Daß sie den Freiern den Bogen und blinkende Eisen zum Wettkampf
In dem Palast vorlegte, und zum Beginne des Mordens.
5
Und schon stieg sie empor die hohen Stufen der Wohnung,
Faßte mit zarter Hand den schöngebogenen Schlüssel,
Zierlich von Erz gegossen, mit elfenbeinernem Griffe,
Eilete dann, und ging, von ihren Mägden begleitet,
Zu dem innern Gemach, wo die Schätze des Königes lagen,
10
Erzes und Goldes die Meng‘, und künstlichgeschmiedetes Eisens.
Unter den Schätzen war der krumme Bogen Odysseus‘,
Und sein Köcher, gefüllt mit jammerbringenden Pfeilen.
Beide schenkt‘ ihm vordem in Lakedämon ein Gastfreund,
Iphitos, Eurytos‘ Sohn, den unsterblichen Göttern vergleichbar.
15
In Messene trafen die beiden Helden einander,
Im Palaste des tapfern Orsilochos. Dort war Odysseus,
Um die Bezahlung der Schuld vom ganzen Volke zu fodern.
Denn aus Ithaka hatten die Schiffe messenischer Männer
Jüngst dreihundert Schafe mit ihren Hirten geraubet.
20
Darum kam als Gesandter Odysseus den weiten Weg her,
Jung wie er war, von Laertes ersehn und den übrigen Greisen.
Aber Iphitos kam, die verlorenen Rosse zu suchen,
Zwölf noch säugende Stuten, mit Füllen lastbarer Mäuler,
Doch sie beschleunigten nur des Suchenden Todesverhängnis!
25
Denn als Iphitos endlich bei Zeus‘ hochtrotzendem Sohne
Kam, dem starken Herakles, dem Manne von großen Taten;
Tötete dieser den Gast in seinem Hause, der Wütrich!
Unbesorgt um der Götter Gericht, und den heiligen Gasttisch,
Den er ihm vorgesetzt! Ihn selbst erschlug er im Hause.
30
Und behielt für sich die Rosse mit malmenden Hufen!
Diese suchend, traf er den jungen Odysseus, und schenkt‘ ihm
Seinen Bogen, den einst der große Eurytos führte,
Aber sterbend dem Sohn im hohen Palaste zurückließ.
Und Odysseus schenkt‘ ihm sein Schwert und die mächtige Lanze,
35
Zu der vertraulichsten Freundschaft Beginn. Doch saßen sie niemals
Einer am Tische des andern; denn bald sank unter Herakles
Iphitos, Eurytos‘ Sohn, den unsterblichen Göttern vergleichbar.
Iphitos‘ Bogen führte der edelgesinnte Odysseus
Niemals, wann er zum Krieg in schwarzen Schiffen hinwegfuhr!
40
Sondern ließ im Palaste des unvergeßlichen Freundes
Angedenken zurück: in Ithaka führt‘ er ihn immer.
Als das göttliche Weib die gewölbete Kammer erreichte,
Und die eichene Schwelle hinanstieg, welche der Meister
Künstlich hatte geglättet, und nach dem Maße der Richtschnur,
45
Drauf die Pfosten gerichtet, mit ihren glänzenden Flügeln;
Löste sie schnell vom Ringe den künstlichen Knoten des Riemens,
Steckte die Schlüssel hinein, und drängte die Riegel der Pforte,
Scharf hinblickend, zurück: da krachten laut, wie ein Pflugstier
Brüllt auf blumiger Au, so krachten die prächtigen Flügel,
50
Von dem Schlüssel geöffnet, und breiteten sich auseinander.
Und sie trat ins Gewölb‘, und stieg auf die bretterne Bühne,
Wo die Laden standen voll lieblichduftender Kleider,
Langte von dort in die Höh, und nahm vom Nagel den Bogen,
Samt der glänzenden Scheide, die ihn umhüllte, herunter.
55
Und sie setzte sich, legt‘ auf den Schoß den Bogen des Königs,
Hub laut an zu weinen, und zog ihn hervor aus der Scheide.
Und nachdem sie ihr Herz mit vielen Tränen erleichtert,
Ging sie hinauf in den Saal zu den übermütigen Freiern,
Haltend in ihrer Hand den krummen Bogen Odysseus,
60
Und den Köcher, gefüllt mit jammerbringenden Pfeilen.
Hinter ihr trugen die Mägde die zierliche Kiste, mit Eisen
Und mit Erze beschwert, den Kampfgeräten des Königs.
Als das göttliche Weib die Freier jetzo erreichte,
Stand sie still an der Schwelle des schönen gewölbeten Saales;
65
Ihre Wangen umwallte der feine Schleier des Hauptes,
Und an jeglichem Arm stand eine der stattlichen Jungfraun.
Und sie sprach zur Versammlung der übermütigen Freier:
Hört, ihr mutigen Freier, die ihr in diesem Palaste
Scharenweise euch stets zum Essen und Trinken versammelt,
70
Da mein Gemahl so lang‘ entfernt ist; und die ihr keinen
Einzigen Grund angebt zu dieser großen Verwüstung,
Außer daß ihr mich liebt und zur Gemahlin begehret:
Auf, ihr Freier, wohlan! denn jetzo erscheinet ein Wettkampf!
Hier ist der große Bogen des göttergleichen Odysseus.
75
Wessen Hand von euch den Bogen am leichtesten spannet,
Und mit der Senne den Pfeil durch alle zwölf Äxte hindurchschnellt;
Seht, dem folg‘ ich als Weib aus diesem werten Palaste
Meines ersten Gemahls, dem prächtigen reichen Palaste,
Dessen mein Herz sich vielleicht noch künftig in Träumen erinnert.
80
Also sprach sie, und winkte dem edlen Hirten Eumäos,
Ihnen den Bogen zum Kampf und die blinkenden Äxte zu bringen.
Weinend empfing sie Eumäos, und legte sie nieder. Der Kuhhirt
Weint‘ auf der andern Seite, da er den Bogen des Herrn sah.
Aber Antinoos schalt, und sprach die geflügelten Worte:
85
Alberne Hirten des Viehs, in den Tag hinträumende Toren,
Unglückselige, sprecht, was vergießt ihr Tränen, und reizet
Unserer Königin Herz noch mehr zu trauern, das so schon
Tiefgebeugt den Verlust des lieben Gemahles bejammert?
Sitzt geruhig am Tisch, und schmauset; oder entfernt euch
90
Hurtig, und heult vor der Tür, und laßt den Bogen uns Freiern:
Daß wir den Kampf versuchen, den furchtbaren! Denn ich vermute,
Daß es so leicht nicht sei, den geglätteten Bogen zu spannen.
Denn ein solcher Mann ist nicht in der ganzen Versammlung,
Als Odysseus war! Ich hab‘ ihn selber gesehen.
95
Und entsinne mich wohl: ich war noch ein stammelnder Knabe.
Also sprach er; allein in seinem Herzen gedacht‘ er,
Selbst die Senne zu spannen, und durch die Äxte zu treffen.
Aber er sollte zuerst den Pfeil aus den Händen Odysseus‘
Kosten, weil er vordem den Herrlichen, in dem Palaste
100
Sitzend, hatte geschmäht, und die übrigen Freier gereizet.
Unter ihnen begann Telemachos‘ heilige Stärke:
Wahrlich, Zeus‘ Kronion beraubte mich alles Verstandes!
Meine Mutter verheißet anitzt, (wie gut sie auch denket!)
Einem andern zu folgen und dieses Haus zu verlassen;
105
Und ich freue mich noch, und lache, ich törichter Jüngling!
Aber wohlan, ihr Freier! denn jetzo erscheinet der Wettkampf
Um ein Weib, wie keines im ganzen achaiischen Lande,
Nicht in der heiligen Pylos, in Argos, oder Mykene,
Selbst in Ithaka nicht, und nicht auf der fruchtbaren Feste!
110
Aber das wißt ihr selber; was brauch‘ ich die Mutter zu loben?
Auf denn! verzögert ihn nicht durch lange Zweifel, und spannet
Ohne Geschwätz den Bogen; damit wir den Sieger erkennen!
Und ich hätte wohl Lust, den Bogen selbst zu versuchen.
Denn wär ich’s, der ihn spannt, und durch die Äxte hindurchschießt;
115
Dann verließe mich Traurenden nicht die teuerste Mutter,
Einem anderen folgend, noch blieb‘ ich einsam im Hause,
Da ich schon tüchtig bin zu den edlen Kämpfen des Vaters!
Also sprach er, und warf von der Schulter den purpurnen Mantel,
Seinem Sessel entspringend, und warf sein Schwert von der Schulter.
120
Hierauf stellt‘ er die Eisen im ausgegrabenen Estrich
Alle zwölf nach der Reih, und nach dem Maße der Richtschnur,
Stampfte die Erde dann fest; und alle staunten dem Jüngling,
Wie gerad‘ er sie stellte; da er’s doch nimmer gesehen.
Und er trat an die Schwelle des Saals, und versuchte den Bogen,
125
Dreimal erschüttert‘ er ihn, und strebt‘ ihn auszuspannen;
Dreimal verließ ihn die Kraft. Noch immer hoffte der Jüngling,
Selbst die Senne zu spannen, und durch die Äxte zu treffen.
Und er hätt‘ es vollbracht, da der Starke zum viertenmal anzog;
Aber ihm winkt‘ Odysseus, und hielt den strebenden Jüngling.
130
Und zu den Freiern sprach Telemachos‘ heilige Stärke:
Götter, ich bleibe vielleicht auf immer weichlich und kraftlos;
Oder ich bin noch zu jung, und darf den Händen nicht trauen,
Abzuwehren den Mann, der mich hohnsprechend beleidigt.
Aber wohlan, ihr andern, die ihr viel stärker als ich seid,
135
Kommt, und versucht den Bogen, und endiget hurtig den Wettkampf!
Also sprach er, und stellte den Bogen nieder zur Erden,
Hingelehnt an die feste mit Kunst gebildete Pforte,
Lehnte den schnellen Pfeil an des Bogens zierliche Krümmung,
Ging, und setzte sich wieder auf seinen verlassenen Sessel.
140
Aber Eupeithes‘ Sohn Antinoos sprach zur Versammlung:
Steht nach der Ordnung auf, von der Linken zur Rechten, o Freunde,
An der Stelle beginnend, von wannen der Schenke herumgeht.
Also sprach er; und allen gefiel Antinoos‘ Rede.
Und es erhub sich zuerst der Önopide Leiodes,
145
Welcher, ihr Opferprophet, beständig am schimmernden Kelche
Unten im Winkel saß: der einzige, dem die Verwüstung
Nicht gefiel; er haßte die ganze Rotte der Freier.
Dieser nahm den Bogen und schnellen Pfeil von der Erde,
Stellte sich drauf an die Schwelle des Saals, und versuchte den Bogen.
150
Aber er spannt‘ ihn nicht; die zarten Hände des Sehers
Wurden im Aufziehn laß. Da sprach er zu der Versammlung:
Freunde, ich spann‘ ihn nicht; ihn nehm‘ ein anderer jetzo!
Viele der Edeln im Volk wird dieser Bogen des Atems
Und der Seele berauben; denn das ist tausendmal besser,
155
Sterben, als lebend den Zweck zu verfehlen, um den wir uns immer
Hier im Hause versammeln, und harren von Tage zu Tage!
Jetzo hofft wohl mancher in seinem Herzen, und wünscht sich
Penelopeia zum Weib‘, Odysseus edle Gemahlin.
Aber wird er einmal den Bogen prüfen und ansehn;
160
O dann such‘ er sich nur von Achaias lieblichen Töchtern
Eine andre, und werbe mit Brautgeschenken; doch diese
Nehme den Mann, der das meiste geschenkt, und dem sie bestimmt ward.
Also sprach Leiodes, und stellte den Bogen zur Erden,
Hingelehnt an die feste mit Kunst gebildete Pforte,
165
Lehnte den schnellen Pfeil an des Bogens zierliche Krümmung
Ging, und setzte sich wieder auf seinen verlassenen Sessel.
Aber Antinoos schalt, und sprach die geflügelten Worte:
Welche Rede, Leiodes, ist deinen Lippen entflohen
Welche schreckliche Drohung! Ich ärgere mich, es zu hören!
170
Viele der Edeln im Volk soll dieser Bogen des Atems
Und der Seele berauben, weil du nicht vermagst ihn zu spannen?
Dich gebar nun freilich die teure Mutter nicht dazu,
Daß du mit Pfeil und Bogen dir Ruhm bei den Menschen erwürbest,
Aber es sind, ihn zu spannen, noch andere mutige Freier!
175
Also sprach er, und rief dem Ziegenhirten Melantheus:
Hurtig, Melanthios, eil‘ und zünd‘ hier Feuer im Saal an,
Stelle davor den Sessel, und breite Felle darüber,
Hol‘ aus der Kammer alsdann eine große Scheibe von Stierfett:
Daß wir Jüngling‘ am Feuer den Bogen wärmen und salben;
180
Dann versuchen wir ihn, und endigen hurtig den Wettkampf.
Sprach’s; und Melanthios zündet‘ ein helles Feuer im Saal an,
Stellte davor den Sessel, und breitete Felle darüber,
Holt‘ aus der Kammer alsdann eine große Scheibe von Stierfett.
Und die Jünglinge salbten und prüften den Bogen; doch keiner
185
Konnt‘ ihn spannen, zu sehr gebrach es den Händen an Stärke.
Aber Antinoos selbst und Eurymachos saßen noch ruhig,
Beide Häupter der Freier, und ihre tapfersten Helden.
Jetzo gingen zugleich aus der Türe des hohen Palastes
Beide, der Rinderhirt und der männerbeherrschende Sauhirt.
190
Ihnen folgte sofort der göttergleiche Odysseus.
Als sie jetzt aus der Tür‘ und dem Vorhof waren gekommen,
Redet‘ Odysseus sie an, und sprach die freundlichen Worte:
Hört, ich möcht‘ euch was sagen, du Rinderhirt und du Sauhirt!
Oder verschweig‘ ich’s lieber? Mein Herz gebeut mir zu reden.
195
Wen verteidigtet ihr, wenn jetzo mit einmal Odysseus
Hier aus der Fremde käm‘, und ihn ein Himmlischer brächte?
Wolltet ihr dann die Freier verteidigen, oder Odysseus?
Redet heraus, wie euch das Herz im Busen gebietet!
Ihm antwortete drauf der Oberhirte der Rinder:
200
Vater Zeus, erfülltest du doch mein heißes Verlangen,
Daß ein Himmlischer jenen zur Heimat führte! Du solltest
Sehn, was auch meine Kraft und meine Hände vermöchten!
Auch Eumäos flehte zu allen unsterblichen Göttern,
Daß sie dem weisen Odysseus verstatteten wiederzukehren.
205
Und nachdem Odysseus die Treue der Hirten geprüfet;
Da antwortet‘ er ihnen, und sprach die freundlichen Worte:
Nun ich selber bin hier! Nach vielen Todesgefahren
Bin ich im zwanzigsten Jahre zur Heimat wiedergekehret!
Und ich erkenne, wie sehr ihr beiden meine Zurückkunft
210
Wünschtet, ihr allein von den Knechten! denn keinen der andern
Hört‘ ich flehn, daß ein Gott mir heimzukehren vergönnte!
Drum vernehmet auch ihr, was euch zum Lohne bestimmt ist:
Wenn mir Gott die Vertilgung der stolzen Freier gewähret;
Dann will ich jedem ein Weib und Güter zum Eigentum geben,
215
Jedem nahe bei mir ein Haus erbauen, und künftig
Beide wie Freund‘ und Brüder von meinem Telemachos achten.
Aber daß ihr mir glaubt, und mich für Odysseus erkennet;
Kommt und betrachtet hier ein entscheidendes Zeichen, die Narbe,
Die ein Eber mir einst mit weißem Zahne gehauen,
220
Als ich auf dem Parnaß mit den Söhnen Autolykos‘ jagte.
Also sprach er, und zog von der großen Narbe die Lumpen.
Aber da jene sie sahn, und alles deutlich erkannten;
Weinten sie, schlangen die Händ‘ um den edlen Helden Odysseus,
Hießen ihn froh willkommen, und küßten ihm Schultern und Antlitz.
225
Auch Odysseus küßte den Hirten Antlitz und Hände.
Über der Klage wäre die Sonne niedergesunken,
Hätt‘ Odysseus sie nicht mit diesen Worten geendet:
Hemmt anitzo die Tränen und euren Jammer: daß niemand
Von den Leuten im Haus uns seh‘ und drinnen verrate.
230
Geht nun einzeln wieder hinein, nicht alle mit einmal:
Ich zuerst, dann ihr! Die Abred‘ aber sei diese:
Nimmer wird es die Schar der übermütigen Freier
Billigen, daß mir der Bogen und Köcher werde gegeben;
Aber gehe nur dreist mit dem Bogen, edler Eumäos,
235
Durch den Saal, und reiche mir ihn. Auch sage den Weibern,
Daß sie die festen Türen des Hinterhauses verriegeln;
Und wenn eine vielleicht ein Röcheln oder Gepolter
Drinnen im Saale der Männer vernimmt, daß keine herausgeh,
Sondern geruhig sitze bei ihrer beschiedenen Arbeit.
240
Edler Philötios, dir vertrau ich die Pforte des Hofes,
Sie mit dem Riegel zu schließen, und fest mit dem Seile zu binden.
Also sprach er, und ging in die schöngebauete Wohnung;
Allda setzt‘ er sich wieder auf seinen verlassenen Sessel.
Einzeln folgten die Knechte des göttergleichen Odysseus.
245
Und Eurymachos wandte nunmehr in den Händen den Bogen,
Hin und wieder ihn wärmend im Glanze des Feuers, und dennoch
Konnt‘ er die Senne nicht spannen. Ein tiefaufatmender Seufzer
Schwellte sein stolzes Herz, und zürnend sprach er die Worte:
Götter, wie kränkt mich der Schmerz, um mich selber und um die andern‘.
250
Wegen der Hochzeit nicht, wiewohl mich auch diese bekümmert;
Denn es sind ja noch andre Achaierinnen die Menge,
Hier in Ithaka selbst, und auch in anderen Städten:
Sondern weil unsere Kraft vor des göttergleichen Odysseus
Stärke so ganz verschwindet, daß seinen Bogen nicht einer
255
Spannen kann! Hohnlachend wird selbst der Enkel es hören!
Aber Eupeithes‘ Sohn Antinoos gab ihm zur Antwort:
Nein, Eurymachos, nicht also! Du weißt es auch besser!
Heute feirt ja das Volk des großen Gottes Apollons
Fest; wer wollte denn heute den Bogen spannen? O legt ihn
260
Ruhig nieder! Allein die Äxte können wir immer
Stehen lassen; denn schwerlich wird jemand, sie zu entwenden,
Kommen in den Palast des Laertiaden Odysseus.
Auf! es fülle von neuem der Schenk mit Weine die Becher,
Daß wir opfern, und dann hinlegen des Königes Bogen,
265
Aber morgen befehlt dem Ziegenhirten Melantheus,
Uns die trefflichsten Ziegen der ganzen Herde zu bringen.
Seht, dann opfern wir erst dem bogenberühmten Apollon,
Und versuchen den Bogen, und endigen hurtig den Wettkampf.
Also sprach er, und allen gefiel Antinoos‘ Rede.
270
Herolde gossen ihnen das Wasser über die Hände,
Jünglinge füllten die Kelche bis oben mit dem Getränke,
Und verteilten von neuem, sich rechtshin wendend, die Becher;
Als sie des Trankes geopfert, und nach Verlangen getrunken,
Sprach zu ihnen mit List der erfindungsreiche Odysseus:
275
Hört mich an, ihr Freier der weitgepriesenen Fürstin,
Daß ich rede, wie mir das Herz im Busen gebietet!
Doch vor allen fleh ich Eurymachos und den erhabnen
Helden Antinoos an, der jetzt so weise geredet.
Legt den Bogen nun hin, und befehlt die Sache den Göttern;
280
Morgen wird Gott, wem er will, die Kraft des Sieges verleihen.
Aber wohlan! gebt mir den geglätteten Bogen, damit ich
Meiner Hände Gewalt vor euch versuche: ob jetzt noch
Kraft in den Nerven ist, wie sie ehmals die Glieder belebte;
Oder ob sie das Wandern und langes Elend vertilgt hat!
285
Also sprach er, und rings entbrannten von Zorne die Freier,
Fürchtend, es möcht‘ ihm gelingen, den glatten Bogen zu spannen.
Aber Antinoos schalt, und sprach die geflügelten Worte:
Ha! du elender Fremdling, es fehlt dir ganz an Verstande!
Bist du nicht froh, daß du in unserer stolzen Versammlung
290
Ruhig schmausest? daß dir dein Teil von allem gereicht wird?
Und daß du die Gespräch‘ und Reden der Männer behorchest,
Die kein anderer Fremdling und lumpichter Bettler behorchet?
Wahrlich, der süße Wein betört dich, welcher auch andern
Schadet, wenn man ihn gierig verschlingt, nicht mäßig genießet:
295
Selbst der berühmte Kentaur Eurytion tobte vor Unsinn,
Von dem Weine berauscht, in des edlen Peirithoos‘ Hause,
Denn er kam auf das Fest der Lapithen; aber vom Weine
Rasend, begann er im Hause Peirithoos‘ schändliche Greuel.
Zürnend sprangen die Helden empor, und über den Vorsaal
300
Schleppten sie ihn hinaus, und schnitten mit grausamem Erze
Nas‘ und Ohren ihm ab; und so in voller Betäubung
Wankte der Trunkenbold heim, und trug die Strafe des Unsinns.
Hierauf folgte der blutige Krieg der Kentauren und Männer;
Aber vor allen traf das Verderben den Säufer des Weines.
305
Also verkünd‘ ich auch dir dein Unglück, wenn du den Bogen
Spannest: Du sollst nicht mehr Almosen in unserem Volke
Sammeln; wir senden dich gleich im schwarzen Schiffe zum König
Echetos in Epeiros, dem Schrecken des Menschengeschlechtes,
Dem du gewiß nicht lebend entrinnst! Drum sitze geruhig,
310
Trink, und begehre nicht mit jüngeren Männern den Wettkampf!
Ihm antwortete drauf die kluge Penelopeia:
O Antinoos, denke, wie unanständig, wie unrecht:
Fremde zu übergehn, die Telemachos‘ Wohnung besuchen!
Meinst du, wenn etwa der Fremdling den großen Bogen Odysseus‘
315
Spannt, so wie er den Händen und seiner Stärke vertrauet,
Daß er mich dann heimführe, und zur Gemahlin bekomme?
Schwerlich heget er selbst im Herzen solche Gedanken!
Und auch keinen von euch bekümmere diese Vermutung
Unter den Freuden des Mahls! Unmöglich ist es, unmöglich!
320
Aber Polybos‘ Sohn Eurymachos sagte dagegen:
O Ikarios‘ Tochter, du kluge Penelopeia,
Daß du ihn nehmest, besorgt wohl keiner; es wäre nicht möglich!
Sondern wir fürchten nur das Gerede der Männer und Weiber.
Künftig spräche vielleicht der schlechteste aller Achaier:
325
Weichliche Männer werben um jenes gewaltigen Mannes
Gattin; denn keiner vermag den glatten Bogen zu spannen:
Aber ein andrer kam, ein armer irrender Fremdling,
Spannte den Bogen leicht, und schnellte den Pfeil durch die Äxte!
Also sprächen sie dann, und es wär‘ uns ewige Schande!
330
Ihm antwortete drauf die kluge Penelopeia:
Ganz unmöglich ist es, Eurymachos, daß man im Volke
Gutes rede von Leuten, die jenes trefflichen Mannes
Haus durch Schwelgen entweihn! Doch was achtet ihr jenes für Schande?
Seht den Fremdling nur an, wie groß und stark er gebaut ist;
335
Und er stammt, wie er sagt, aus einem edlen Geschlechte.
Aber wohlan! gebt ihm den schöngeglätteten Bogen!
Denn ich verkündige jetzt, und das wird wahrlich erfüllet:
Spannt der Fremdling den Bogen, und schenkt Apollon ihm Ehre;
Will ich mit schönen Gewanden, mit Rock und Mantel, ihn kleiden,
340
Einen Speer ihm verehren, den Schrecken der Menschen und Hunde,
Ein zweischneidiges Schwert, und Sohlen unter die Füße,
Und ihn senden, wohin es seinem Herzen gelüstet.
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Mutter, über den Bogen hat keiner von allen Achaiern
345
Macht, als ich: wem ich will, ihn zu geben oder zu weigern;
Keiner von allen, die hier in der felsichten Ithaka herrschen,
Oder die nahe wohnen der rosseweidenden Elis!
Keiner von allen soll mit Gewalt mich hindern; und wollt‘ ich
Diesen Bogen dem Fremdling auch ganz zum Eigentum schenken!
350
Aber gehe nun heim, besorge deine Geschäfte,
Spindel und Webestuhl, und treib an beschiedener Arbeit
Die Mägde zum Fleiß! Der Bogen gebühret den Männern,
Und vor allen mir; denn mein ist die Herrschaft im Hause!
Staunend kehrte die Mutter zurück in ihre Gemächer,
355
Und erwog im Herzen die kluge Rede des Sohnes.
Als sie nun oben kam mit den Jungfraun, weinte sie wieder
Ihren trauten Gemahl Odysseus, bis ihr Athene
Sanft mit süßem Schlummer die Augenlider bedeckte.
Jetzo nahm er den Bogen und ging, der treffliche Sauhirt;
360
Aber die Freier fuhren ihn alle mit lautem Geschrei an.
Unter dem Schwarme begann ein übermütiger Jüngling:
Halt! wohin mit dem Bogen, du niederträchtiger Sauhirt?
Rasender! Ha! bald sollen dein Aas bei den Schweinen die Hunde,
Die du selber ernährt, von den Menschen ferne, zerreißen;
365
Wenn Apollon uns hilft und die andern unsterblichen Götter!
Also rufte der Schwarm; und der Tragende legte den Bogen
Dort auf der Stelle hin, aus Furcht vor dem Schelten der Freier.
Aber Telemachos rief auf der andern Seite die Drohung:
Du! bring weiter den Bogen! Du sollst mir, nicht allen, gehorchen
370
Oder ich jage dich gleich mit geworfenen Steinen zu Felde,
Ob ich gleich jünger bin; an Kräften bin ich doch stärker!
Überträf ich so sehr, wie dich, an Stärke des Armes,
Alle Freier, so viel in diesen Wohnungen schalten;
O bald taumelte mancher, von mir sehr übel bewirtet,
375
Heim aus unserm Palast! Denn alle treiben nur Unfug!
Also sprach er; und alle begannen herzlich zu lachen
Über den drohenden Jüngling, und hießen vom heftigen Zorne
Gegen Telemachos nach. Da nahm den Bogen der Sauhirt,
Trug ihn weiter, und reicht‘ ihn dem streiterfahrnen Odysseus;
380
Rief die Pflegerin dann aus ihrer Kammer, und sagte:
Höre, Telemachos will, verständige Eurykleia,
Daß du die festen Türen des Hinterhauses verriegelst;
Und wenn eine vielleicht ein Röcheln oder Gepolter
Drinnen im Saale der Männer vernimmt, daß keine herausgeh,
385
Sondern geruhig sitze bei ihrer beschiedenen Arbeit.
Also sprach er zu ihr, und redete nicht in die Winde.
Eilend verschloß sie die Türen der schöngebaueten Wohnung.
Aber Philötios sprang stillschweigend aus dem Palaste,
Und verschloß die Pforte des wohlbefestigten Vorhofs.
390
Unter der Halle lag ein Seil aus dem Baste des Byblos
Vom gleichrudrichten Schiffe, mit diesem band er die Flügel;
Ging, und setzte sich wieder auf seinen verlassenen Sessel,
Nach Odysseus blickend. Doch dieser bewegte den Bogen
Hin und her in der Hand, auf allen Seiten versuchend,
395
Ob auch die Würmer das Horn seit zwanzig Jahren zerfressen.
Und es wandte sich einer zu seinem Nachbar, und sagte:
Traun! das ist ein schlauer und listiger Kenner des Bogens!
Sicherlich heget er selbst schon einen solchen zu Hause;
Oder er hat auch vor, ihn nachzumachen! Wie dreht er
400
Ihn in den Händen herum, der landdurchstreichende Gaudieb!
Und von neuem begann ein übermütiger Jüngling:
Daß doch jeglicher Wunsch dem Fremdling also gelinge,
Wie es ihm jetzo gelingt, den krummen Bogen zu spannen!
Also sprachen die Freier. Allein der weise Odysseus,
405
Als er den großen Bogen geprüft und ringsum betrachtet:
So wie ein Mann, erfahren im Lautenspiel und Gesange,
Leicht mit dem neuen Wirbel die klingende Saite spannet,
Knüpfend an beiden Enden den schöngesponnenen Schafdarm:
So nachlässig spannte den großen Bogen Odysseus.
410
Und mit der rechten Hand versucht‘ er die Senne des Bogen;
Lieblich tönte die Senne, und hell wie die Stimme der Schwalbe.
Schrecken ergriff die Freier, und aller Antlitz erblaßte.
Und Zeus donnerte laut, und sandte sein Zeichen vom Himmel:
Freudig vernahm das Wunder der herrliche Dulder Odysseus,
415
Welches ihm sandte der Sohn des unerforschlichen Kronos.
Und er nahm den gefiederten Pfeil, der bloß auf dem Tische
Vor ihm lag, indes im hohlen Köcher die andern
Ruheten, welche nun bald die Achaier sollten versuchen.
Diesen faßt‘ er zugleich mit dem Griffe des Bogens; dann zog er,
420
Sitzend auf seinem Stuhle, die Senn‘ und die Kerbe des Pfeils an,
Zielte dann, schnellte den Pfeil, und verfehlete keine der Äxte;
Von dem vordersten Öhre bis durch das letzte von allen
Stürmte das ehrne Geschoß. Er sprach zu Telemachos jetzo:
Nun, Telemachos, siehst du, ob dir der Fremdling im Hause
425
Schande bringt! Ich traf das Ziel, und spannte den Bogen
Ohne langes Bemühn! Noch hab‘ ich Stärke der Jugend,
Und bin nicht so verächtlich, wie jene Freier mich schimpfen!
Aber es ist nun Zeit, den Abendschmaus zu besorgen,
Noch bei Tage! Nachher erfreue die scherzenden Männer
430
Saitenspiel und Gesang, die liebliche Zierde des Mahles!
Sprach’s, und winkte mit Augen. Da warf Telemachos eilend
Um die Schulter sein Schwert, der Sohn des großen Odysseus;
Faßte mit nervichter Hand die scharfe Lanze, und stand nun
Neben dem Vater am Stuhle, mit blinkendem Erze gerüstet.

Zwanzigster Gesang

Zwanzigster Gesang

Odysseus, im Vorsaal ruhend, bemerkt die Unarten der Mägde. Bald erweckt ihn das Jammern der Gemahlin. Glückliche Zeichen. Eurykleia bereitet den Saal zum früheren Schmause des Neumondfestes. Nach dem Sauhirten und Ziegenhirten kömmt der Rinderhirt Philötios, und bewährt seine Treue. Die Freier hindert ein Zeichen an Telemachos‘ Mord. Beim Schmause wird nach Odysseus ein Kuhfuß geworfen. Verwirrung der Freier, die in wilder Lust den Tod ahnen. Der weissagende Theoklymenos wird verhöhnt, und geht weg. Penelopeia bemerkt die Ausgelassenheit.

Aber im Vorsaal lagerte sich der edle Odysseus.
Über die rohe Haut des Stieres breitet‘ er viele
Wollichte Felle der Schafe vom üppigen Schmause der Freier:
Und Eurynome deckte den Ruhenden zu mit dem Mantel.
5
Allda lag Odysseus, und sann dem Verderben der Freier
Wachend nach. Nun gingen die Weiber aus dem Palaste,
Welche schon ehemals mit den Freiern hatten geschaltet,
Und belustigten sich, und lachten untereinander.
Aber dem Könige ward sein Herz im Busen erreget;
10
Und er bedachte sich hin und her mit wankendem Vorsatz:
Ob er sich plötzlich erhübe, die Frechen alle zu töten;
Oder ihnen noch einmal zum allerletzten erlaubte,
Mit den Freiern zu schalten. Im Innersten bellte sein Herz ihm:
So wie die mutige Hündin, die zarten Jungen umwandelnd,
15
Jemand, den sie nicht kennt, anbellt, und zum Kampfe hervorspringt.
Also bellte sein Herz, durch die schändlichen Greuel erbittert.
Aber er schlug an die Brust, und sprach die zürnenden Worte:
Dulde, mein Herz! Du hast noch härtere Kränkung erduldet,
Damals, als der Kyklop, das Ungeheuer! die lieben
20
Tapfern Freunde dir fraß. Du duldetest, bis dich ein Anschlag
Aus der Höhle befreite, wo dir dein Tod schon bestimmt war.
Also strafte der Edle sein Herz im wallenden Busen;
Und sein empörtes Herz ermannte sich schnell, und harrte
Standhaft aus. Allein er wandte sich hiehin und dorthin.
25
Also wendet der Pflüger am großen brennenden Feuer
Einen Ziegenmagen, mit Fett und Blute gefüllet,
Hin und her, und erwartet es kaum, ihn gebraten zu sehen:
Also wandte der Held sich hin und wieder, bekümmert,
Wie er den schrecklichen Kampf mit den schamlosen Freiern begönne,
30
Er allein mit so vielen. Da schwebete Pallas Athene
Hoch vom Himmel herab, und kam in weiblicher Bildung,
Neigte sich über sein Haupt, und sprach mit freundlicher Stimme:
Warum wachst du doch, unglücklichster Aller, die leben?
Dieses ist ja dein Haus, und drinnen ist deine Gemahlin,
35
Und ein Sohn, so trefflich ihn irgend ein Vater sich wünschet!
Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Dieses alles ist wahr, o Göttin, was du geredet.
Aber eines ist, was meine Seele bekümmert:
Wie ich den schrecklichen Kampf mit den schamlosen Freiern beginne,
40
Ich allein mit so vielen, die hier sich täglich versammeln.
Und noch ein größeres ist, was meine Seele bekümmert:
Wann ich jene mit Zeus‘ und deinem Willen ermorde,
Wo entflieh ich alsdann? Dies überlege nun selber.
Drauf antwortete Zeus‘ blauäugichte Tochter Athene:
45
O Kleinmütiger, traut man doch einem geringeren Freunde,
Welcher nur sterblich ist und eingeschränktes Verstandes;
Und der Unsterblichen eine bin ich, die deiner beständig
Waltet in jeder Gefahr. Vernimm denn, was ich dir sage:
Stünden auch fünfzig Scharen der vielfachredenden Menschen
50
Um uns her, und trachteten dich im Kampfe zu töten;
Dennoch raubtest du ihnen die fetten Rinder und Schafe,
Aber schlummre nun ein! Die ganze Nacht zu durchwachen,
Ist ermattend; du wirst ja der Trübsal jetzo entrinnen!
Also sprach sie, und deckte Odysseus‘ Augen mit Schlummer.
55
Und zum Olympos empor erhub sich die heilige Göttin,
Als ihn der Schlummer umfing, den Gram zerstreute, die Glieder
Sanft auflöste. Allein Odysseus‘ edle Gemahlin
Fuhr aus dem Schlafe, sie saß auf dem weichen Lager, und weinte.
Als sie endlich ihr Herz mit vielen Tränen erleichtert,
60
Flehte sie Artemis an, die trefflichste unter den Weibern:
Hochgepriesene Göttin, o Artemis, Tochter Kronions,
Träfest du doch mein Herz mit deinem Bogen, und nähmest
Meinen bekümmerten Geist gleich jetzo! Oder ein Sturmwind
Raubte durch finstere Wege mich schnell von hinnen, und würfe
65
Mich am fernen Gestade des ebbenden Oceans nieder:
So wie die Stürme vordem Pandareos‘ Töchter entführten!
Ihrer Eltern beraubt von den Göttern, blieben sie hilflos
In dem Palaste zurück; da nährte sie Aphrodite
Mit geronnener Milch und süßem Honig und Weine.
70
Ihnen schenkte dann Here vor allen sterblichen Weibern
Schönheit und klugen Verstand, die keusche Artemis Größe,
Und Athene die Kunde des Webestuhls und der Nadel.
Aber da einst Aphrodite zum großen Olympos emporstieg,
Daß der Donnerer Zeus den lieblichen Tag der Hochzeit
75
Ihren Mädchen gewährte; (denn dessen ewige Vorsicht
Lenkt allwissend das Glück und Unglück sterblicher Menschen:)
Raubten indes die Harpyen Pandareos‘ Töchter, und schenkten
Sie den verhaßten Erinnen zu harter sklavischer Arbeit.
Führten die Himmlischen so auch mich aus der Kunde der Menschen!
80
Oder entseelte mich Artemis‘ Pfeil! damit ich, Odysseus‘
Bild im Herzen, nur unter die traurige Erde versänke,
Eh‘ ich die schnöde Begierd‘ eines schlechteren Mannes gesättigt!
Ach! zu erdulden ist noch immer das Leiden, wenn jemand
Zwar die Tage durchweint und jammert, aber die Nächte
85
Ruhiger Schlummer beherrscht; denn dieser tilgt aus dem Herzen
Alles, Gutes und Böses, sobald er die Augen umschattet:
Doch mir sendet auch nachts ein Dämon schreckende Träume!
Eben schlief es wieder bei mir, ganz ähnlich ihm selber,
Wie er gen Ilion fuhr; und ich Arme freute mich herzlich,
90
Denn ich hielt es nicht für ein Traumbild, sondern für Wahrheit.
Also sprach sie; da kam die goldenthronende Eos.
Und der Weinenden Stimme vernahm der edle Odysseus.
Ängstlich sann er umher; ihn deucht‘ im Herzen, sie stünde
Ihn erkennend bereits zu seinem Haupte. Da nahm er
95
Hurtig Mantel und Felle, worauf er ruhte, zusammen,
Legte sie schnell in den Saal auf einen Sessel, die Stierhaut
Trug er hinaus, und flehete Zeus mit erhobenen Händen:
Vater Zeus, wenn ihr Götter nach vielem Jammer mich huldreich
Über Wasser und Land in meine Heimat geführt habt;
100
O so rede nun einer der Wachenden glückliche Worte
Hier im Palast, und draußen gescheh ein Zeichen vorn Himmel!
Also flehte der Held; den Flehenden hörte Kronion.
Und er donnerte schnell vom glanzerhellten Olympos
Hoch aus den Wolken herab. Da freute sich herzlich Odysseus.
105
Plötzlich hört‘ er ein mahlendes Weib, das glückliche Worte
Redete, nahe bei ihm, wo die Mühlen des Königes standen.
Täglich waren allhier zwölf Müllerinnen beschäftigt,
Weizen- und Gerstenmehl, das Mark der Männer, zu mahlen.
Aber die übrigen schliefen, nachdem sie den Weizen zermalmet:
110
Sie nur feirte noch nicht, denn sie war von allen die schwächste.
Stehen ließ sie die Mühl‘, und sprach die prophetischen Worte:
Vater Zeus, der Götter und sterblichen Menschen Beherrscher,
Wahrlich du donnertest laut vom Sternenhimmel, und nirgends
Ist ein Gewölk; du sendest gewiß jemandem ein Zeichen.
115
Ach so gewähr‘ auch jetzo mir armem Weibe die Bitte!
Laß die stolzen Freier zum letztenmal heute, zum letzten!
Ihren üppigen Schmaus in Odysseus‘ Hause genießen,
Welche mir alle Kraft durch die seelenkränkende Arbeit,
Mehl zu bereiten, geraubt! Nun laß sie zum letztenmal schweigen!
120
Sprach’s; und freudig vernahm Odysseus ihre Verkündung,
Und Zeus‘ Donnergetön; denn er hoffte die Frevler zu strafen.
Jetzo versammelten sich die andern Mägde des Königs,
Und es loderte bald auf dem Herde das mächtige Feuer.
Auch der göttliche Jüngling Telemachos sprang von dem Lager,
125
Legte die Kleider an, und hängte sein Schwert um die Schulter,
Band die schönen Sohlen sich unter die rüstigen Füße,
Faßte den mächtigen Speer, mit scharfer eherner Spitze,
Ging, und stand an der Schwelle, und sagte zu Eurykleia:
Mütterchen, habt ihr auch für die Ruh und Pflege des Fremdlings
130
Hier im Saale gesorgt? oder liegt er gänzlich versäumet?
Meine Mutter die ist nun so, (wie gut sie auch denket,)
Daß sie den schlechteren Mann in ihres Herzens Verwirrung
Oftmals ehrt, und den besseren ungeehret hinwegschickt.
Ihm erwiderte drauf die verständige Eurykleia:
135
Sohn, beschuldige nicht die ganz unschuldige Mutter!
Denn er saß da und trank, so lang‘ er wollte, des Weines;
Speise, sagte er selbst, verlangt‘ er nicht mehr; denn sie fragt‘ ihn.
Und als endlich die Stunde des süßen Schlafes herankam,
Da befahl sie den Mägden, ein Lager ihm zu bereiten;
140
Aber er, als ein ganz unglücklicher Leidengeübter,
Weigerte sich im Bette auf weichen Polstern zu schlafen:
Auf Schafsfellen allein und der unbereiteten Stierhaut
Wollt‘ er im Vorsaal ruhn; wir deckten ihn noch mit dem Mantel.
Also sprach sie. Da ging, den Speer in der Rechten, der Jüngling
145
Aus dem Palast; es begleiteten ihn schnellfüßige Hunde;
Und er ging zur Versammlung der schöngeharnischten Griechen.
Aber den Mägden befahl die Edelste unter den Weibern,
Eurykleia, die Tochter Ops, des Sohnes Peisenors:
Hurtig, ihr Mägde! kehrt mir den Saal geschwinde mit Besen,
150
Aber sprengt ihn zuvor; die purpurnen Teppiche legt dann
Auf die zierlichen Sessel! Ihr andern scheuret die Tische
Alle mit Schwämmen rein; dann spült die künstlich gegoßnen
Doppelbecher und Kelche mir aus! Ihr übrigen aber
Holet Wasser vom Quell; doch daß ihr nur eilig zurückkommt!
155
Heute zögern gewiß die Freier nicht lange, sie werden
Frühe sich hier versammeln; denn heut ist der heilige Neumond!
Also sprach sie; ihr hörten die Mägde mit Fleiß, und gehorchten.
Zwanzig eileten schnell zum Wasser der schattichten Quelle,
Und die andern im Saale vollendeten klüglich die Arbeit.
160
Jetzo kamen ins Haus der Freier mutige Diener,
Welche das Holz geschickt zerspalteten; und von der Quelle
Kamen die Weiber zurück. Auch kam der treffliche Sauhirt,
Der drei Schweine, die besten der ganzen Herde, hereintrieb.
Diese ließ er weidend im schönen Hofe herumgehn,
165
Trat dann selbst zu Odysseus, und sprach die freundlichen Worte:
Fremdling, hast du anitzt mehr Ansehn vor den Achaiern?
Oder verschmähen sie dich, wie vormals, hier im Palaste?
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Ach, Eumäos, bestraften doch einst die Götter den Frevel
170
Dieser verruchten Empörer, die hier im fremden Palaste
Schändliche Greuel verüben, und Scham und Ehre verachten!
Also besprachen diese sich jetzo untereinander.
Und es nahte sich ihnen der Ziegenhirte Melantheus,
Welcher die trefflichsten Ziegen der ganzen Herde den Freiern
175
Brachte zum Schmaus; es begleiteten ihn zween andere Hirten.
Diese banden sie fest dort unter der tönenden Halle,
Aber Melanthios sprach zu Odysseus die schmähenden Worte:
Fremdling, du willst noch jetzo in diesem Hause die Männer
Durch dein Betteln beschweren? und nie zur Türe hinausgehn?
180
Nun wir werden uns wohl nicht wieder trennen, bevor du
Diese Fäuste gekostet! Es ist ganz wider die Ordnung,
Solch ein Betteln! Es gibt ja noch andere Schmäuse der Griechen!
Also sprach er; und nichts antwortete jenem Odysseus,
Sondern schüttelte schweigend sein Haupt, und sann auf Verderben.
185
Auch der Männerbeherrscher Philötios brachte den Freiern
Eine gemästete Kuh und fette Ziegen zum Schmause.
Diese kamen vom festen Land‘ in der Fähre der Schiffer,
Die auch andere fahren, wenn jemand solches begehret.
Und er knüpfte sein Vieh auch unter der tönenden Halle
190
Fest; dann trat er näher, und fragte den edlen Eumäos:
Hüter der Schweine, wer ist der neulich gekommene Fremdling
Hier in unserem Hause? Von welchen rühmlichen Eltern
Stammt er ab? Wo ist sein Geschlecht und väterlich Erbe?
Armer! Wahrlich er trägt der herrschenden Könige Bildung!
195
Aber die Götter verdunkeln das Ansehn irrender Menschen,
Auch wenn Königen selbst ein solcher Jammer zu teil wird.
Also sprach er, und kam und reichte dem edlen Odysseus
Freundlich die rechte Hand, und sprach die geflügelten Worte:
Freue dich, fremder Vater! Es müsse dir wenigstens künftig
200
Wohl ergehn! denn jetzo umringt dich mancherlei Trübsal!
Vater Zeus, du bist doch vor allen Unsterblichen grausam!
Du erbarmest dich nicht der Menschen, die du gezeugt hast,
Sondern verdammst sie alle zu Not und schrecklichem Jammer!
Heißer und kalter Schweiß umströmte mich, als ich dich sahe,
205
Und mir tränten die Augen: ich dachte gleich an Odysseus,
Der wohl auch so zerlumpt bei fremden Leuten umherirrt;
Wo er anders noch lebt, und das Licht der Sonne noch schauet!
Ist er aber schon tot, und in der Schatten Behausung;
Weh mir! wie klag‘ ich Odysseus, den Herrlichem! der mich als Jüngling
210
Über die Rinder im Lande der Kephallenier setzte!
Diese werden nun fast unzählbar; schwerlich hat jemand
Eine so frischaufwachsende Zucht breitstirniger Rinder.
Aber mich zwingen Fremde, sie ihnen zum üppigen Mahle
Herzuführen, und achten nicht des Sohnes im Hause,
215
Zittern auch nicht vor der Rache der Götter; ja ihnen gelüstet
Schon, die Güter zu teilen des langabwesenden Königs.
O wie oft hat mein Herz in Verzweifelung diesen Gedanken
Hin und wieder bewegt: Sehr unrecht wär’s, da der Sohn lebt,
In ein anderes Land mit den Rindern zu fliehen, und Hilfe
220
Fremder Leute zu suchen; doch schrecklicher ist es, zu bleiben,
Und die Rinder für andre mit innigem Kummer zu hüten.
Und ich wäre schon längst zu einem mächtigen König
Außer dem Lande geflohn; (denn es ist nicht länger zu dulden!)
Aber ich hoffe noch immer, daß mein unglücklicher König
225
Wiederkomm‘, und die Schar der Freier im Hause zerstreue!
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Keinem geringen Manne noch törichten gleichst du, o Kuhhirt,
Und ich erkenn‘ es selber, du denkst vernünftig und edel;
Darum verkünd‘ ich dir jetzt, und beteur‘ es mit hohem Eidschwur:
230
Zeus von den Göttern bezeug‘ es, und diese gastliche Tafel,
Und Odysseus‘ heiliger Herd, zu welchem ich fliehe:
Du wirst selber zugegen sein, wann Odysseus zurückkommt,
Und so du willst, auch selber mit deinen Augen es ansehn,
Wie er die Freier vertilgt, die hier im Hause gebieten.
235
Ihm antwortete drauf der Oberhirte der Rinder:
Fremdling, erfüllte doch Zeus, was du verkündet! Du solltest
Sehn, was auch meine Kraft und meine Hände vermöchten!
Auch Eumäos flehte zu allen unsterblichen Göttern,
Daß sie dem weisen Odysseus verstatteten wiederzukehren.
240
Also besprachen diese sich jetzo untereinander.
Und die Freier beschlossen, Telemachos heimlich zu töten.
Aber linksher kam ein unglückdrohender Vogel,
Ein hochfliegender Adler, und hielt die bebende Taube.
Als ihn Amphinomos sahe, da sprach er zu der Versammlung:
245
Freunde, nimmer gelingt uns dieser heimliche Ratschluß
Über Telemachos‘ Tod; wohlauf! und gedenket des Mahles!
Also sprach er, und allen gefiel Amphinomos‘ Rede.
Und sie gingen ins Haus des göttergleichen Odysseus,

Legten die Mäntel nieder auf prächtige Sessel und Throne,
250
Opferten große Schafe zum Mahl, und gemästete Ziegen,
Opferten fette Schwein‘ und eine Kuh von der Weide.
Brieten und reichten umher die Eingeweide; und mischten
Dann des Weines in Kelchen; die Becher verteilte der Sauhirt;
Und der Männerbeherrscher Philötios reichte den Freiern
255
Brot in zierlichen Körben; Melanthios schenkte den Wein ein:
Und sie erhoben die Hände zum leckerbereiteten Mahle.
Aber Telemachos hieß, auf Listen sinnend, Odysseus
Sitzen im schöngemauerten Saal, an der steinernen Schwelle,
Neben dem kleinen Tisch, auf einem der schlechteren Stühle.
260
Und er bracht‘ ihm ein Teil der Eingeweide, und schenkte
Wein in den goldenen Becher, und sprach zu dem edlen Odysseus:
Sitze nun ruhig hier, und trinke Wein mit den Männern.
Vor Gewaltsamkeiten und Schmähungen will ich dich selber
Schützen gegen die Freier! Denn hier ist kein öffentlich Gasthaus,
265
Sondern Odysseus‘ Haus; und ich bin der Erbe des Königs!
Aber ihr, o Freier, enthaltet euch aller Beschimpfung
Und Gewalt; damit kein Zank noch Hader entstehe!
Also sprach er; da bissen sie ringsumher sich die Lippen,
Über den Jüngling erstaunt, der so entschlossen geredet.
270
Aber Eupeithes‘ Sohn Antinoos sprach zur Versammlung:
Freunde, wie hart sie auch ist, wir wollen Telemachos‘ Rede
Nur annehmen; ihr hört ja des Jünglings schreckliche Drohung!
Zeus Kronion verstattet‘ es nicht, sonst hätten wir lange
Hier im Hause den Redner mit heller Stimme geschweiget.
275
Also sprach der Freier, doch jener verachtete solches.
Und die Herolde führten die Hekatombe der Götter
Durch die Stadt; und die Schar der hauptumlockten Achaier
Ging in den Schattenhain des göttlichen Schützen Apollo.
Aber die Freier brieten das Fleisch und zogen’s herunter,
280
Teilten’s den Gästen umher und feirten das prächtige Gastmahl.
Und Odysseus brachten die Diener, welche zerlegten,
Ebensoviel des Fleisches, als jedem Gaste das Los gab,
Weil es Telemachos hieß, der Sohn des edlen Odysseus.
Aber den mutigen Freiern verstattete Pallas Athene
285
Nicht, des erbitternden Spottes sich ganz zu enthalten, damit noch
Heißer entbrennte das Herz des Laertiaden Odysseus.
Unter den Freiern war ein ungezogener Jüngling,
Dieser hieß Ktesippos und war aus Same gebürtig.
Stolz auf das große Gut des Vaters, warb er anitzo
290
Um die Gattin Odysseus‘, des langabwesenden Königs.
Dieser erhub die Stimme und sprach zu den trotzigen Freiern:
Höret, was ich euch sag, ihr edelmütigen Freier!
Zwar empfing der Fremdling schon längst sein gebührendes Anteil,
Eben wie wir; denn es wäre nicht recht und gegen den Wohlstand,
295
Fremde zu übergehn, die Telemachos‘ Wohnung besuchen:
Aber ich will ihm doch auch ein wenig verehren, damit er
Etwa die Magd, die ihn badet, beschenke, oder auch jemand
Sonst von den Leuten im Hause des göttergleichen Odysseus.
Also sprach er und warf mit nervichter Rechter den Kuhfuß,
300
Welcher im Korbe lag, nach Odysseus. Aber Odysseus
Wandte behende sein Haupt und barg mit schrecklichem Lächeln
Seinen Zorn; und das Bein fuhr gegen die zierliche Mauer.
Aber Telemachos schalt den Freier mit drohenden Worten:
Wahrlich, Ktesippos, es ist ein großes Glück für dein Leben,
305
Daß du den Fremdling nicht trafst; denn dieser beugte dem Wurf aus.
Traun, ich hätte dich gleich mit der spitzen Lanze durchbohret,
Und statt der Hochzeit würde dein Vater ein Leichenbegängnis
Hier begehn! Verübe mir keiner die mindeste Unart
Hier im Palast! Mir fehlt nun weder Verstand noch Erfahrung,
310
Gutes und Böses zu sehn; denn ehmals war ich ein Knabe!
Dennoch schaun wir es an und leiden alles geduldig,
Wie ihr das Mastvieh schlachtet und schwelgend den Wein und die Speise
Ausleert; denn was vermag ein einziger gegen so viele?
Aber hierbei laßt nun auch eure Beleidigung stillstehn!
315
Habt ihr indes beschlossen, mich mit dem Schwerte zu töten:
Lieber wollt ich doch das, und wahrlich, es wäre mir besser,
Sterben, als immerfort den Greul der Verwüstungen ansehn,
Wie man die Fremdlinge hier mißhandelt oder die Mägde
Zur abscheulichen Lust in den prächtigen Kammern umherzieht!
320
Also sprach er, und alle verstummten umher und schwiegen.
Endlich erwiderte drauf Damastors Sohn Agelaos:
Freunde, Telemachos hat mit großem Rechte geredet;
Drum entrüste sich keiner, noch geb‘ ihm trotzige Antwort!
Auch mißhandelt nicht ferner den armen Fremdling, noch jemand
325
Von den Leuten im Hause des göttergleichen Odysseus.
Aber Telemachos möcht ich anitzt und Telemachos‘ Mutter
Dies wohlmeinend raten, wenn’s ihrem Herzen gefiele.
Als ihr beide noch immer mit sehnlich harrendem Herzen
Hofftet die Wiederkehr des erfindungsreichen Odysseus,
330
War es nicht tadelhaft, zu warten und die Achaier
Hinzuhalten im Hause (denn besser wär es gewesen,
Hätten die Götter Odysseus verstattet wiederzukehren).
Doch nun ist es ja klar, daß Odysseus nimmer zurückkehrt.
Drum geh hin zu der Mutter und sag ihr, sie möge den besten
335
Jüngling, welcher das meiste geschenkt, zum Bräutigam wählen,
Daß du alle Güter des Vaters beherrschen und friedlich
Essen und trinken könnest, da sie mit dem Manne hinwegzieht!
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Nein, bei Zeus, Agelaos, und bei den Leiden des Vaters,
340
Der von Ithaka ferne den Tod fand oder umherirrt,
Ich verhindre sie nicht, ich selber heiße die Mutter
Wählen, welchen sie will und wer sie reichlich beschenket.
Aber ich scheue mich, sie mit harten Worten gewaltsam
Aus dem Hause zu treiben; das wolle Gott nicht gefallen!
345
Also sprach er. Und siehe, ein großes Gelächter erregte
Pallas Athene im Saal und verwirrte der Freier Gedanken.
Und schon lachten sie alle mit gräßlichverzuckten Gesichtern.
Blutbesudeltes Fleisch verschlangen sie jetzo; die Augen
Waren mit Tränen erfüllt, und Jammer umschwebte die Seele.
350
Und der göttliche Mann Theoklymenos sprach zur Versammlung:
Ach, unglückliche Männer, welch Elend ist euch begegnet!
Finstere Nacht umhüllt euch Haupt und Antlitz und Glieder!
Und Wehklagen ertönt, und Tränen netzen die Wangen!
Und von Blute triefen die Wänd‘ und das schöne Getäfel!
355
Flatternde Geister füllen die Flur, und füllen den Vorhof,
Zu des Erebos Schatten hinuntereilend! Die Sonne
Ist am Himmel erloschen, und rings herrscht schreckliches Dunkel!
Also sprach er; und alle begannen herzlich zu lachen.
Aber Polybos‘ Sohn Eurymachos sprach zu den Freiern:
360
Hört, wie der Fremdling rast, der neulich von ferne hieherkam!
Hurtig, ihr Jünglinge, eilt, und leitet ihn aus dem Palaste
Nach dem Versammlungsplatz! Hier kommt ihm alles wie Nacht vor!
Und der göttliche Mann Theoklymenos gab ihm zur Antwort:
Keineswegs bedarf ich, Eurymachos, deiner Geleiter;
365
Denn du siehst, ich habe noch Augen und Ohren und Füße,
Und mein guter Verstand ist auch nicht irre geworden.
Hiermit will ich allein hinausgehn; denn ich erkenne
Schon das kommende Graun des Todes, dem keiner entfliehn wird,
Keiner von euch, ihr Freier im Hause des edlen Odysseus,
370
Wo ihr die Fremdlinge höhnt, und schändliche Greuel verübet!
Also sprach er, und ging aus der schöngebaueten Wohnung
Hin zum Hause Peiräos‘, und wurde freundlich empfangen.
Aber die Freier sahn sich all‘ einander ins Antlitz,
Höhnten Telemachos aus, und lachten über die Gäste.
375
Unter dem Schwarme begann ein übermütiger Jüngling:
Nein, Telemachos, keiner hat jemals schlechtere Gäste
Aufgenommen, als du! Denn dieser verhungerte Bettler
Sitzt da, nach Speise und Wein heißhungrig; aber zur Arbeit
Hat er nicht Lust noch Kraft, die verworfene Last der Erde!
380
Und der andere dort erhub sich, uns wahrzusagen.
Aber willst du mir folgen; (es ist wahrhaftig das beste!)
Laß uns die Fremdlinge beid‘ im vielgeruderten Schiffe
Zu den Sikelern senden; da kannst du sie teuer verkaufen.
Also sprachen die Freier; doch jener verachtete solches.
385
Schweigend sah er Odysseus an, und harrte beständig,
Wann sein mächtiger Arm die schamlosen Freier bestrafte.
Gegenüber dem Saal auf einem prächtigen Sessel
Saß Ikarios‘ Tochter, die kluge Penelopeia,
Und behorchte die Reden der übermütigen Männer.
390
Diese feirten nun zwar mit lautem Lachen das Frühmahl,
Lustig und fröhliches Muts, denn sie hatten die Menge geschlachtet:
Doch unlieblicher ward kein Abendschmaus noch gefeiert,
Als den bald die Göttin, mit ihr der starke Odysseus,
Jenen gab, die bisher so schändliche Greuel verübten.

Neunzehnter Gesang

Neunzehnter Gesang

Odysseus trägt mit Telemachos die Waffen in die obere Kammer, und bleibt im Saale allein. Sein Gespräch mit Penelopeia. Er wird beim Fußwaschen von der Pflegerin Eurykleia an der Narbe erkannt. Die Königin, nachdem sie durch einen Bogenkampf die Freiwerbung zu endigen beschlossen, entfernt sich.

Aber im Saale blieb der göttergleiche Odysseus,
Und umdachte den Tod der Freier mit Pallas Athene.
Eilend wandt‘ er sich jetzt mit geflügelten Worten zum Sohne:
Laß uns, Telemachos, gleich die Waffen im Hause verbergen!
5
Aber erkundigen sich die Freier, wo sie geblieben;
Dann besänftige sie mit guten Worten: Ich trug sie
Aus dem Rauche hinweg; denn sie sehn den alten nicht ähnlich,
Wie sie Odysseus einst, gen Troja schiffend, zurückließ;
Sondern sind ganz entstellt von dem rußichten Dampfe des Feuers.
10
Und noch ein Größeres gab ein Himmlischer mir zu bedenken:
Daß ihr nicht etwa im Rausch euch zankt, und einander verwundet,
Und die Freuden des Mahls und die Liebe zu Penelopeia
Blutig entweiht; denn selbst das Eisen ziehet den Mann an.
Also sprach Odysseus. Der Sohn gehorchte dem Vater,
15
Und rief Eurykleia, die Pflegerin, zu sich, und sagte:
Mütterchen, halte die Weiber so lang‘ in ihren Gemächern,
Bis ich hinauf in den Söller die schönen Waffen des Vaters
Bringe, die hier im Saale der Rauch so schändlich entstellet;
Denn mein Vater ist weg, und ich war ehmals ein Knabe.
20
Jetzo verwahr‘ ich sie dort, wo der Dampf des Feuers nicht hinkommt.
Ihm antwortete drauf die Pflegerin Eurykleia:
Wenn du doch endlich, mein Sohn, zu reifem Verstande gelangtest,
Um dein Haus zu besorgen, und deine Güter zu schützen!
Aber wohlan, wer begleitet dich denn mit leuchtender Fackel,
25
Wann die Mägde, die dir sonst leuchten, nicht dürfen herausgehn?
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Dieser Fremdling! Denn wer von meinem Tische sich nähret,
Darf mir nicht müßig stehn, und käm‘ er auch fern aus der Fremde.
Also sprach er zu ihr, und redete nicht in die Winde.
30
Schnell verschloß sie die Pforten der schöngebaueten Wohnung.
Nun erhub sich Odysseus mit seinem trefflichen Sohne,
Und sie trugen die Helme hinein, die gewölbeten Schilde
Und scharfspitzigen Lanzen; voran ging Pallas Athene
Mit der goldenen Lamp‘, und verbreitete leuchtenden Schimmer.
35
Und Telemachos sprach zu seinem Vater Odysseus:
Vater, ein großes Wunder erblick‘ ich hier mit den Augen!
Alle Wände des Hauses, und jegliche schöne Vertiefung,
Und die fichtenen Balken und hocherhabenen Säulen,
Glänzen mir vor den Augen so hell als brennendes Feuer!
40
Wahrlich ein Gott ist hier, des weiten Himmels Bewohner!
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Schweig, und forsche nicht nach, und bewahre deine Gedanken!
Siehe, das ist die Weise der himmelbewohnenden Götter!
Aber lege dich schlafen; ich bleibe hier noch ein wenig,
45
Um die Mägde hieher und deine Mutter zu locken:
Diese wird mich weinend nach allen Dingen befragen.
Sprach’s; und Telemachos ging mit angezündeten Fackeln
Aus dem Saale hinaus in seine Kammer zu Bette,
Wo er gewöhnlich ruhte, wann süßer Schlummer ihn einlud:
50
Allda schlief er auch jetzt, und harrte der heiligen Frühe.
Aber im Saale blieb der göttergleiche Odysseus,
Und umdachte den Tod der Freier mit Pallas Athene.
Jetzo ging aus der Kammer die kluge Penelopeia,
Artemis gleich an Gestalt und der goldenen Aphrodite.
55
Neben das Feuer setzten sie ihren gewöhnlichen Sessel,
Welcher mit Elfenbein und Silber umzogen, ein Kunstwerk
Von Ikmalios war; der Schemel unter den Füßen
Hing daran, und ein zottichtes Fell bedeckte den Sessel.
Allda setzte sich nun die kluge Penelopeia.
60
Und weißarmige Mägde, die aus der hinteren Wohnung
Kamen, trugen von dannen das viele Brot und die Tische,
Und die Trinkgefäße der übermütigen Männer;
Schütteten aus den Geschirren die Glut zur Erden, und häuften
Anderes Holz darauf, zum Leuchten und zur Erwärmung.
65
Aber Melantho schalt von neuem den edlen Odysseus:
Fremdling, willst du auch noch die Ruhe der Nacht uns verderben,
Um das Haus zu durchwandern, und auf die Weiber zu lauren?
Elender, geh aus der Tür, und sei vergnügt mit der Mahlzeit;
Oder ich werfe dich gleich mit dem Brande, daß du hinausfliehst!
70
Zürnend schaute auf sie und sprach der weise Odysseus:
Unglückselige, sprich, was fährst du mich immer so hart an?
Weil ich nicht jung mehr bin, und meine Kleider so schlecht sind?
Und weil die Not mich zwingt, als Bettler die Stadt zu durchwandern?
Dieses ist ja der Armen und irrenden Fremdlinge Schicksal!
75
Siehe, ich selber war einst ein glücklicher Mann, und Bewohner
Eines reichen Palastes, und gab dem irrenden Fremdling
Oftmals, wer er auch war, und welche Not ihn auch drängte.
Und unzählige Knechte besaß ich, und andere Güter,
Die man zum Überfluß und zur Pracht der Reichen erfodert.
80
Aber das nahm mir Zeus nach seinem heiligen Ratschluß!
Darum, Mädchen, bedenk: wenn auch du so gänzlich dein Ansehn
Einst verlörst, womit du vor deinen Gespielinnen prangest;
Oder wenn dich einmal der Zorn der Königin träfe:
Oder Odysseus käme: denn noch ist Hoffnung zur Heimkehr!
85
Aber er sei schon tot, und kehre nimmer zur Heimat:
Dennoch lebt ja sein Sohn Telemachos, welchen Apollons
Gnade beschirmt; und er weiß, wie viel Unarten die Weiber
Hier im Hause beginnen; denn er ist wahrlich kein Kind mehr!
Also sprach er; ihn hörte die kluge Penelopeia.
90
Zürnend wandte sie sich zu der Magd mit scheltenden Worten:
Unverschämteste Hündin, ich kenne jegliche Schandtat,
Welche du tust, und du sollst mit deinem Haupte sie büßen!
Alles wußtest du ja, du hattest von mir es gehöret:
Daß ich in meiner Kammer den Fremdling wollte befragen
95
Wegen meines Gemahls, um den ich so herzlich betrübt bin!
Und zu der Schaffnerin Eurynome sagte sie also:
Auf Eurynome, bringe mir einen Stuhl und ein Schafsfell,
Drauf zu legen, hieher; damit er sitzend erzähle
Und mich höre, der Fremdling; ich will ihn jetzo befragen.
100
Also sprach sie; da ging die Schaffnerin eilig, und brachte
Einen zierlichen Stuhl, und legte drüber ein Schafsfell.
Hierauf setzte sich nun der herrliche Dulder Odysseus.
Und es begann das Gespräch die kluge Penelopeia:
Hierum muß ich dich, Fremdling, vor allen Dingen befragen:
105
Wer, wes Volkes bist du, und wo ist deine Geburtstadt?
Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Keiner, o Königin, lebt auf der unermeßlichen Erde,
Der dich tadle; dein Ruhm erreicht die Feste des Himmels,
Gleich dem Ruhme des guten und gottesfürchtigen Königs,
110
Welcher ein großes Volk von starken Männern beherrschet,
Und die Gerechtigkeit schützt. Die fetten Hügel und Täler
Wallen von Weizen und Gerste, die Bäume hangen voll Obstes,
Häufig gebiert das Vieh, und die Wasser wimmeln von Fischen,
Unter dem weisen König, der seine Völker beseligt.
115
Aber frage mich hier im Hause nach anderen Dingen,
Und erkunde dich nicht nach meinem Geschlecht und Geburtsland:
Daß du nicht mein Herz mit herberen Qualen erfüllest,
Wenn ich mich alles Jammers erinnere, den ich erduldet.
Denn mit Klagen und Weinen im fremden Hause zu sitzen,
120
Ziemet mir nicht; und langer Gram vermehrt nur das Leiden.
Auch möcht‘ eine der Mägde mir zürnen, oder du selber,
Und, wenn ich weinte, sagen, mir tränten die Augen vom Weinrausch.
Ihm antwortete drauf die kluge Penelopeia:
Fremdling, die Tugend des Geistes und meine Schönheit und Bildung,
125
Raubten die Himmlischen mir am Tage, da die Argeier
Schifften gen Troja, mit ihnen mein trauter Gemahl Odysseus!
Kehrete jener von dannen, und lebt‘ in meiner Gesellschaft;
Ja dann möchte mein Ruhm wohl größer werden und schöner.
Aber jetzo traur‘ ich; denn Leiden beschied mir ein Dämon!
130
Alle Fürsten, so viel in diesen Inseln gebieten,
Samä, Dulichion und der waldbewachs’nen Zakynthos,
Und so viele hier in der sonnigen Ithaka wohnen:
Alle werben um mich mit Gewalt, und zehren das Gut auf
Darum kümmern mich Fremdling‘ und Hilfeflehende wenig,
135
Selbst die Herolde nicht, des Volks geheiligte Diener;
Sondern ich härme mich ab um meinen trauten Odysseus.
Jene treiben die Hochzeit, und ich ersinne Verzögrung.
Erst gab diesen Gedanken ein Himmlischer mir in die Seele.
Trüglich zettelt ich mir in meiner Kammer ein feines
140
Übergroßes Geweb‘, und sprach zu der Freier Versammlung:
Jünglinge, die ihr mich liebt, nach dem Tode des edlen Odysseus!
Dringt auf meine Vermählung nicht eher, bis ich den Mantel
Fertig gewirkt (damit nicht umsonst das Garn mir verderbe!)
Welcher dem Helden Laertes zum Leichengewande bestimmt ist,
145
Wann ihn die finstere Stunde mit Todesschlummer umschattet
Daß nicht irgend im Lande mich eine Achaierin tadle,
Läg‘ er uneingekleidet, der einst so vieles beherrschte.
Also sprach ich mit List, und bewegte die Herzen der Edlen.
Und nun webt‘ ich des Tages an meinem großen Gewande;
150
Aber des Nachts, dann trennt‘ ich es auf, beim Scheine der Fackeln.
Also täuschte ich sie drei Jahr‘, und betrog die Achaier.
Als nun das vierte Jahr im Geleite der Horen herankam,
Und mit dem wechselnden Mond viel Tage waren verschwunden;
Da verrieten mich Mägde, die Hündinnen sonder Empfindung!
155
Und mich trafen die Freier, und schalten mit drohenden Worten.
Also mußt‘ ich es nun, auch wider Willen, vollenden.
Aber ich kann nicht länger die Hochzeit meiden, noch weiß ich
Neuen Rat zu erfinden. Denn dringend ermahnen die Eltern
Mich zur Heirat; auch sieht es mein Sohn mit großem Verdruß an,
160
Wie man sein Gut verzehrt: denn er ist nun ein Mann, der sein Erbe
Selber zu schützen vermag, und dem Zeus Ehre verleihet.
Aber sage mir doch, aus welchem Geschlechte du herstammst;
Denn du stammst nicht vom Felsen, noch von der gefabelten Eiche.
Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
165
Du ehrwürdiges Weib des Laertiaden Odysseus,
Also hörst du nicht auf nach meinem Stamme zu forschen?
Nun so will ich’s dir sagen, wiewohl du mein bitteres Leiden
Mir noch bitterer machst; denn Schmerz empfindet doch jeder,
Welcher so lang‘ als ich von seiner Heimat entfernt ist,
170
Und mit Jammer umringt so viele Städte durchwandert.
Aber ich will dir doch, was du mich fragest, verkünden.
Kreta ist ein Land im dunkelwogenden Meere,
Fruchtbar und anmutsvoll und ringsumflossen. Es wohnen
Dort unzählige Menschen, und ihrer Städte sind neunzig:
175
Völker von mancherlei Stamm und mancherlei Sprachen. Es wohnen
Dort Achaier, Kydonen und eingeborene Kreter,
Dorier, welche sich dreifach verteilet, und edle Pelasger.
Ihrer Könige Stadt ist Knossos, wo Minos geherrscht hat,
Der neunjährig mit Zeus, dem großen Gotte, geredet.
180
Dieser war des edelgesinnten Deukalions Vater,
Meines Vaters, der mich und den König Idomeneus zeugte.
Aber Idomeneus fuhr in schöngeschnäbelten Schiffen
Mit den Atreiden gen Troja; denn er ist älter und tapfrer:
Ich bin der jüngere Sohn, und mein rühmlicher Name ist Äthon.
185
Damals sah ich Odysseus, und gab ihm Geschenke der Freundschaft.
Denn an Kretas Küste verschlug ihn die heftige Windsbraut,
Als er gen Ilion fuhr, und stürmt‘ ihn hinweg von Maleia.
In des Amnisos gefährlicher Bucht entrann er dem Sturme
Kaum, und ankerte dort bei der Grotte der Eileithya,
190
Ging darin gleich in die Stadt, um Idomeneus selber zu sehen;
Denn er nannt‘ ihn seinen geliebten und teuersten Gastfreund.
Aber schon zehnmal ging die Sonn‘ auf, oder schon elfmal,
Seit Idomeneus war mit den Schiffen gen Troja gesegelt.
Und ich führte den werten Gast in unsere Wohnung:
195
Freundlich bewirtet‘ ich ihn von des Hauses reichlichem Vorrat,
Und versorgte sein Schiff und seiner Reisegefährten
Reichlich, auf Kosten des Volks, mit Mehl und funkelndem Weine,
Und mit gemästeten Rindern, daß ihre Seele sich labte.
Und zwölf Tage blieben bei uns die edlen Achaier;
200
Denn der gewaltige Nord, den ein zürnender Dämon gesendet,
Wütete, daß man kaum auf dem Lande zu stehen vermochte.
Am dreizehnten ruhte der Sturm, und sie schifften von dannen.
Also täuscht‘ er die Gattin mit wahrheitgleicher Erdichtung.
Aber die horchende Gattin zerfloß in Tränen der Wehmut.
205
Wie der Schnee, den der West auf hohen Bergen gehäuft hat,
Vor dem schmelzenden Hauche des Morgenwindes herabfließt;
Daß von geschmolzenem Schnee die Ströme den Ufern entschwellen:
Also flossen ihr Tränen die schönen Wangen herunter,
Da sie den nahen Gemahl beweinete. Aber Odysseus
210
Fühlt‘ im innersten Herzen den Gram der weinenden Gattin;
Dennoch standen die Augen wie Horn ihm, oder wie Eisen,
Unbewegt in den Wimpern; denn klüglich hemmt‘ er die Träne.
Und nachdem sie ihr Herz mit vielen Tränen erleichtert,
Da begann sie von neuem, und gab ihm dieses zur Antwort:
215
Nun ich muß dich doch ein wenig prüfen, o Fremdling,
Ob du meinen Gemahl auch wirklich, wie du erzählest,
Samt den edlen Genossen in deinem Hause bewirtet.
Sage mir denn, mit welcherlei Kleidern war er bekleidet?
Und wie sah er aus? Auch nenne mir seine Begleiter.
220
Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Schwer, o Königin, ist es, nach seiner langen Entfernung
Ihn so genau zu beschreiben; wir sind schon im zwanzigsten Jahre,
Seit er von dannen zog aus meiner heimischen Insel.
Dennoch will ich dir sagen, so viel mein Geist sich erinnert.
225
Einen zottichten schönen gefütterten Mantel von Purpur
Trug der edle Odysseus, mit einer zwiefachgeschloßnen
Goldenen Spange daran, und vorn gezieret mit Stickwerk.
Zwischen den Vorderklauen des gierigblickenden Hundes
Zappelt‘ ein fleckichtes Rehchen; und alle sahn mit Bewundrung,
230
Wie, aus Golde gebildet, der Hund an der Gurgel das Rehkalb
Hielt, und das ringende Reh zu entfliehn mit den Füßen sich sträubte.
Unter dem Mantel bemerkt‘ ich den wunderköstlichen Leibrock:
Zart und weich, wie die Schale von einer getrockneten Zwiebel,
War das feine Geweb‘, und glänzendweiß, wie die Sonne.
235
Wahrlich viele Weiber betrachteten ihn mit Entzücken.
Eines sag‘ ich dir noch, und du nimm solches zu Herzen!
Sicher weiß ich es nicht: ob Odysseus die Kleider daheim trug;
Oder ob sie ein Freund ihm mit zu Schiffe gegeben,
Oder irgend ein Fremdling, der ihn bewirtet. Denn viele
240
Waren Odysseus hold, ihm glichen wenig Achaier.
Ich auch schenkt‘ ihm ein ehernes Schwert, ein gefüttertes schönes
Purpurfarbnes Gewand, und einen passenden Leibrock,
Und entließ ihn mit Ehren zum schöngebordeten Schiffe.
Endlich folgte dem Helden ein etwas älterer Herold
245
Nach; auch dessen Gestalt will ich dir jetzo beschreiben.
Bucklicht war er, und schwarz sein Gesicht, und lockicht sein Haupthaar;
Und Eurybates hieß er; Odysseus schätzte vor allen
Übrigen Freunden ihn hoch, denn er suchte sein Bestes mit Klugheit.
Also sprach er; da hub sie noch heftiger an zu weinen,
250
Als sie die Zeichen erkannte, die ihr Odysseus beschrieben.
Und nachdem sie ihr Herz mit vielen Tränen erleichtert,
Da begann sie von neuem, und gab ihm dieses zur Antwort:
Nun du sollst mir, o Fremdling, so jammervoll du vorhin warst,
Jetzo in meinem Haus auch Lieb‘ und Ehre genießen!
255
Denn ich selber gab ihm die Kleider, wovon du erzählest,
Wohlgefügt aus der Kammer, und setzte die goldene Spange
Ihm zur Zierde daran. Doch niemals werd‘ ich ihn wieder
Hier im Hause begrüßen, wann er zur Heimat zurückkehrt!
Zur unseligen Stund‘ einschiffte mein trauter Odysseus,
260
Troja zu sehn, die verwünschte, die keiner nennet ohn‘ Abscheu!
Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Du ehrwürdiges Weib des Laertiaden Odysseus,
Schone der holden Gestalt und deines Lebens, und jammre
Um den Gemahl nicht länger! Zwar tadeln kann ich den Schmerz nicht:
265
Denn es weint wohl jegliche Frau, die den Gatten verloren,
Ihrer Jugend Gemahl, mit dem sie Kinder gezeugt hat;
Und von Odysseus sagt man, er sei den Unsterblichen ähnlich.
Aber mäßige dich, und höre, was ich dir sage:
Denn ich will dir die Wahrheit verkünden, und nichts dir verhehlen,
270
Was ich von deines Gemahls Zurückkunft hörte, der jetzo
Nahe von hier im fetten Gebiet der thesprotischen Männer
Lebt. Er kehret mit großem und köstlichem Gute zur Heimat,
Das ihm die Völker geschenkt. Doch seine lieben Gefährten
Und sein rüstiges Schiff verlor er im stürmenden Meere,
275
Als er Thrinakiens Ufer verließ; denn es zürnten dem Helden
Zeus und der Sonnengott, des Rinder die Seinen geschlachtet.
Alle diese versanken im dunkelwogenden Meere.
Aber er rettete sich auf den Kiel, und trieb mit den Wellen
An das glückliche Land der götternahen Phäaken.
280
Diese verehrten ihn herzlich, wie einen der seligen Götter,
Schenkten ihm großes Gut, und wollten ihn unbeschädigt
Heim gen Ithaka bringen. Dann wäre vermutlich Odysseus
Lange schon hier; allein ihm schien es ein besserer Anschlag
Noch durch mehrere Länder zu reisen, und Güter zu sammeln:
285
So wie immer Odysseus vor allen Menschen auf Erden
Wußte, was Vorteil schafft; kein Sterblicher gleicht ihm an Weisheit!
Also sagte mir Pheidon, der edle thesprotische König,
Dieser beschwur es mir selbst, und beim Trankopfer im Hause,
Segelfertig wäre das Schiff, und bereit die Gefährten,
290
Um ihn heimzusenden in seiner Väter Gefilde.
Aber mich sandt‘ er zuvor im Schiffe thesprotischer Männer,
Welches zum weizenreichen Gefilde Dulichions abfuhr.
Pheidon zeigte mir auch die gesammelten Güter Odysseus‘.
Noch bis ins zehnte Glied sind seine Kinder versorget:
295
Solch ein unendlicher Schatz lag dort im Hause des Königs!
Jener war, wie es hieß, nach Dodona gegangen, aus Gottes
Hochgewipfelter Eiche Kronions Willen zu hören:
Wie er in Ithaka ihm, nach seiner langen Entfernung,
Heimzukehren beföhle, ob öffentlich oder verborgen.
300
Also lebt er noch frisch und gesund, und kehret gewiß nun
Bald zurück; er irrt nicht lange mehr in der Fremde
Von den Seinigen fern: und das beschwör‘ ich dir heilig!
Zeus bezeuge mir das, der höchste und beste der Götter,
Und Odysseus‘ heiliger Herd, zu welchem ich fliehe:
305
Daß dies alles gewiß geschehn wird, wie ich verkünde!
Selbst noch in diesem Jahre wird wiederkehren Odysseus,
Wann der jetzige Mond abnimmt, und der folgende zunimmt!
Ihm antwortete drauf die kluge Penelopeia:
Fremdling, erfülleten doch die Götter, was du geweissagt!
310
Dann erkenntest du bald an vielen und großen Geschenken
Deine Freundin, und jeder Begegnende priese dich selig!
Aber es ahnet mir schon im Geiste, wie es geschehn wird.
Weder Odysseus kehrt zur Heimat wieder, noch wirst du
Jemals weiter gebracht; denn hier sind keine Gebieter,
315
Welche, wie einst der Held Odysseus, da er noch lebte,
Edle Gäste mit Ehren bewirteten oder entließen.
Aber ihr Mägde, wascht ihm die Füß‘, und bereitet sein Lager:
Bringet ein Bett, und bedeckt es mit Mänteln und prächtigen Polstern,
Daß er in warmer Ruhe den goldenen Morgen erwarte.
320
Aber morgen sollt ihr ihn frühe baden und salben,
Daß er also geschmückt an Telemachos‘ Seite das Frühmahl
Hier im Saale genieße. Doch reuen soll es den Freier,
Der ihn wieder so frech mißhandelt: nicht das Geringste
Hab‘ er hier ferner zu schaffen, und zürnt‘ er noch so gewaltig!
325
Denn wie erkenntest du doch, o Fremdling, ob ich an Klugheit
Und verständigem Herzen vor andern Frauen geschmückt sei,
Ließ ich dich ungewaschen und schlechtbekleidet im Hause
Speisen? Es sind ja den Menschen nur wenige Tage beschieden.
Wer nun grausam denkt, und grausame Handlungen ausübt;
330
Diesem wünschen alle, so lang‘ er lebet, nur Unglück,
Und noch selbst im Tode wird sein Gedächtnis verabscheut.
Aber wer edel denkt, und edle Handlungen ausübt;
Dessen würdigen Ruhm verbreiten die Fremdlinge weithin
Unter die Menschen auf Erden, und jeder segnet den Guten.
335
Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Du ehrwürdiges Weib des Laertiaden Odysseus,
Ach mir wurden Mäntel und weiche prächtige Polster
Ganz verhaßt, seitdem ich von Kretas schneeichten Bergen
Über die Wogen fuhr im langberuderten Schiffe!
340
Laß mich denn diese Nacht so ruhn, wie ich es gewohnt hin:
Viele schlaflose Nächte hab‘ ich auf elendem Lager
Hingebracht, und sehnlich den schönen Morgen erwartet.
Auch gebeut nicht diesen, mir meine Füße zu waschen;
Denn ich möchte nicht gern verstatten, daß eine der Mägde,
345
Die im Hause dir dienen, mir meine Füße berühre.
Wo du nicht etwa sonst eine alte verständige Frau hast,
Welche so vielen Kummer, als ich, im Leben erduldet:
Dieser wehr‘ ich es nicht, mir meine Füße zu waschen.
Ihm antwortete drauf die kluge Penelopeia:
350
Lieber Gast! denn nie ist solch ein verständiger Fremdling,
Nie ein werterer Gast in meine Wohnung gekommen:
So verständig und klug ist alles, was du auch sagest!
Ja, ich hab‘ eine alte und sehr vernünftige Frau hier,
Welche die Pflegerin war des unglückseligen Mannes,
355
Und in die Arme ihn nahm, sobald ihn die Mutter geboren:
Diese wird, so schwach sie auch ist, die Füße dir waschen.
Auf denn, und wasche den Greis, du redliche Eurykleia!
Er ist gleiches Alters mit deinem Herrn. Vielleicht sind
Jetzt Odysseus‘ Händ‘ und Füße schon eben so kraftlos.
360
Denn im Unglück altern die armen Sterblichen frühe.
Also sprach sie. Die Alte verbarg mit den Händen ihr Antlitz,
Heiße Tränen vergießend, und sprach mit jammernder Stimme:
Wehe mir, wehe, mein Sohn! Ich Verlassene! Also verwarf dich
Zeus vor allen Menschen, so gottesfürchtig dein Herz ist?
365
Denn kein Sterblicher hat dem Gotte des Donners so viele
Fette Lenden verbrannt und erlesene Hekatomben,
Als du jenem geweiht, im Vertraun, ein ruhiges Alter
Einst zu erreichen, und selber den edlen Sohn zu erziehen!
Und nun raubt er dir gänzlich den Tag der fröhlichen Heimkehr!
370
Ach! es höhnten vielleicht auch ihn in der Fremde die Weiber,
Wann er hilfeflehend der Mächtigen Häuser besuchte;
Eben wie dich, o Fremdling, die Hündinnen alle verhöhnen,
Deren Schimpf und Spott zu vermeiden du jetzo dich weigerst,
Daß sie die Füße dir waschen. Doch mich, die willig gehorchet,
375
Heißt es Ikarios‘ Tochter, die kluge Penelopeia.
Und nicht Penelopeiens, auch deinethalben, o Fremdling,
Wasch‘ ich dich gern; denn tief im innersten Herzen empfind‘ ich
Mitleid! Aber wohlan, vernimm jetzt, was ich dir sage:
Unser Haus besuchte schon mancher bekümmerte Fremdling;
380
Aber ich habe noch nimmer so etwas Ähnlichs gesehen,
Als du, an Stimme, Gestalt und Füßen, Odysseus gleichest.
Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Mutter, so sagen alle, die uns mit Augen gesehen,
Daß wir beiden, Odysseus und ich, einander besonders
385
Ähnlich sind; wie auch du mit Scharfsinn jetzo bemerkest.
Also sprach er. Da trug die Alte die schimmernde Wanne
Zum Fußwaschen herbei: sie goß in die Wanne des Brunnen
Kaltes Wasser, und mischt‘ es mit kochendem. Aber Odysseus
Setzte sich neben den Herd, und wandte sich schnell in das Dunkel;
390
Denn es fiel ihm mit einmal aufs Herz, sie möchte beim Waschen
Seine Narbe bemerken, und sein Geheimnis verraten.
Jene kam, wusch ihren Herrn, und erkannte die Narbe
Gleich, die ein Eber ihm einst mit weißem Zahne gehauen,
Als er an dem Parnaß Autolykos, seiner Mutter
395
Edlen Vater, besucht‘ und Autolykos‘ Söhne, des Klügsten
An Verstellung und Schwur! Hermeias selber gewährt‘ ihm
Diese Kunst; denn ihm verbrannt‘ er der Lämmer und Zicklein
Lenden zum süßen Geruch, und huldreich schirmte der Gott ihn.
Dieser Autolykos kam in Ithakas fruchtbares Eiland,
400
Eben da seine Tochter ihm einen Enkel geboren.
Eurykleia setzte das neugeborene Knäblein,
Nach dem fröhlichen Mahl, auf die Kniee des Königs, und sagte:
Finde nun selbst den Namen, Autolykos, deinen geliebten
Tochtersohn zu benennen, den du so herzlich erwünscht hast.
405
Und Autolykos sprach zu seinem Eidam und Tochter:
Liebe Kinder, gebt ihm den Namen, den ich euch sage.
Vielen Männern und Weibern auf lebenschenkender Erde
Zürnend, komm‘ ich zu euch in Ithakas fruchtbares Eiland.
Darum soll das Knäblein Odysseus, der Zürnende, heißen.
410
Wann er mich einst als Jüngling im mütterlichen Palaste
Am Parnassos besucht, wo ich meine Güter beherrsche;
Will ihn reichlich beschenkt und fröhlich wieder entlassen.
Jetzo besucht‘ ihn Odysseus, die reichen Geschenke zu holen.
Aber Autolykos selbst und Autolykos‘ treffliche Söhne
415
Reichten Odysseus die Hand, und hießen ihn freundlich willkommen;
Auch Amphithea lief dem Enkel entgegen, umarmt‘ ihn,
Küßte sein Angesicht und beide glänzenden Augen.
Und Autolykos rief und ermahnte die rühmlichen Söhne,
Daß sie Odysseus ein Mahl bereiteten. Diese gehorchten:
420
Eilten hinaus, und führten ein stark fünfjähriges Rind her,
Schlachteten, zogen es ab, und hauten es ganz voneinander,
Und zerstückten behende das Fleisch, und steckten’s an Spieße,
Brieten’s mit Vorsicht über der Glut, und verteilten’s den Gästen.
Also saßen sie dort den Tag bis die Sonne sich neigte,
425
Und erfreuten ihr Herz am gleichgeteileten Mahle.
Als die Sonne nun sank, und Dunkel die Erde bedeckte,
Legten sie sich zur Ruh, und nahmen die Gabe des Schlafes.
Als die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte,
Gingen sie auf die Jagd, Autolykos‘ treffliche Söhne,
430
Und die spürenden Hunde; mit ihnen der edle Odysseus.
Und sie erstiegen die Höhe des waldbewachs’nen Parnassos,
Und durchwandelten bald des Berges luftige Krümmen.
Aus dem stillen Gewässer des Oceanes erhub sich
Jetzo die Sonn‘, und erhellte mit jungen Strahlen die Gegend.
435
Aber die Jäger durchsuchten das waldbewachsene Bergtal:
Vornan liefen die spürenden Hund‘, und hinter den Hunden
Gingen Autolykos‘ Söhne; doch eilte der edle Odysseus
Immer voraus, und schwang den weithinschattenden Jagdspieß.
Allda lag im dichten Gesträuch ein gewaltiger Eber.
440
Nie durchstürmte den Ort die Wut naßhauchender Winde,
Ihn erleuchtete nimmer mit warmen Strahlen die Sonne,
Selbst der gießende Regen durchdrang ihn nimmer: so dicht war
Dieses Gesträuch, und hoch bedeckten die Blätter den Boden.
Jener vernahm das Getös von den Füßen der Männer und Hunde,
445
Welche dem Lager sich nahten, und stürzte hervor aus dem Dickicht,
Hoch die Borsten gesträubt mit feuerflammenden Augen,
Grad‘ auf die Jäger, und stand. Odysseus, welcher voranging,
Flog, in der nervichten Faust den langen erhobenen Jagdspieß,
Ihn zu verwunden, hinzu; doch er kam ihm zuvor, und hieb ihm
450
Über dem Knie in die Lende: der seitwärts mähende Hauer
Riß viel Fleisch ihm hinweg, doch drang er nicht auf den Knochen.
Aber Odysseus traf die rechte Schulter des Ebers,
Und bis vorn durchdrang ihm die Spitze der schimmernden Lanze:
Schreiend stürzt‘ er dahin in den Staub, und das Leben verließ ihn.
455
Um ihn waren sogleich Autolykos‘ Söhne beschäftigt.
Diese verbanden dem edlen, dem göttergleichen Odysseus
Sorgsam die Wund‘, und stillten das schwarze Blut mit Beschwörung;
Und dann kehrten sie schnell zu ihres Vaters Palaste.
Als ihn Autolykos dort und Autolykos‘ Söhne mit Sorgfalt
460
Hatten geheilt; da beschenkten sie ihn sehr reichlich, und ließen,
Froh des Jünglings, ihn froh nach seiner heimischen Insel
Ithaka ziehn. Sein Vater und seine treffliche Mutter
Freuten sich herzlich ihn wiederzusehn, und fragten nach allem,
Wo er die Narbe bekommen; da sagt‘ er die ganze Geschichte:
465
Wie ein Eber sie ihm mit weißem Zahne gehauen,
Als er auf dem Parnaß mit Autolykos‘ Söhnen gejaget.
Diese betastete jetzo mit flachen Händen die Alte,
Und erkannte sie gleich, und ließ den Fuß aus den Händen
Sinken, er fiel in die Wanne; da klang die eherne Wanne,
470
Stürzt‘ auf die Seite herum, und das Wasser floß auf den Boden.
Freud‘ und Angst ergriffen das Herz der Alten: die Augen
Wurden mit Tränen erfüllt, und atmend stockte die Stimme.
Endlich erholte sie sich, und faßt ihn ans Kinn, und sagte:
Wahrlich du bist Odysseus, mein Kind! und ich habe nicht eher
475
Meinen Herren erkannt, bevor ich dich ringsum betastet!
Also sprach sie, und wandte die Augen nach Penelopeia,
Willens ihr zu verkünden, ihr lieber Gemahl sei zu Hause.
Aber die Königin konnte so wenig hören als sehen;
Denn Athene lenkte ihr Herz ab. Aber Odysseus
480
Faßte schnell mit der rechten Hand die Kehle der Alten,
Und mit der andern zog er sie näher heran, und sagte:
Mütterchen, mache mich nicht unglücklich! Du hast mich an deiner
Brust gesäugt; und jetzo, nach vielen Todesgefahren,
Bin ich im zwanzigsten Jahre zur Heimat wiedergekehret.
485
Aber da du mich nun durch Gottes Fügung erkannt hast,
Halt es geheim, damit es im Hause keiner erfahre!
Denn ich sage dir sonst, und das wird wahrlich erfüllet!
Wenn mir Gott die Vertilgung der stolzen Freier gewähret,
Siehe dann werd‘ ich auch deiner, die mich gesäuget, nicht schonen;
490
Sondern ich töte dich selbst mit den übrigen Weibern im Hause!
Ihm antwortete drauf die verständige Eurykleia:
Welche Rede, mein Kind, ist deinen Lippen entflohen?
Weißt du nicht selbst, wie stark und unerschüttert mein Herz ist?
Fest, wie Eisen und Stein, will ich das Geheimnis bewahren!
495
Eins verkünd‘ ich dir noch, und du nimm solches zu Herzen:
Wann dir Gott die Vertilgung der stolzen Freier gewähret,
Siehe, dann will ich selbst die Weiber im Hause dir nennen,
Alle, die dich verraten, und die unsträflich geblieben.
Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
500
Mütterchen, warum willst du sie nennen? Es ist ja nicht nötig.
Kann ich nicht selbst aufmerken, und ihre Gesinnungen prüfen?
Aber verschweig die Sache, und überlaß sie den Göttern.
Also sprach er. Da eilte die Pflegerin aus dem Gemache,
Anderes Wasser zu holen; das erste war alles verschüttet.
505
Als sie ihn jetzo gewaschen, und drauf mit Öle gesalbet;
Nahm Odysseus den Stuhl, und zog ihn näher ans Feuer,
Sich zu wärmen, und bedeckte mit seinen Lumpen die Narbe.
Drauf begann das Gespräch die verständige Penelopeia:
Fremdling, ich will dich jetzo nur noch ein weniges fragen;
510
Denn es nahet bereits die Stunde der lieblichen Ruhe,
Wem sein Leiden vergönnt, in süßem Schlummer zu ruhen.
Aber mich Arme belastet ein unermeßlicher Jammer!
Meine Freude des Tags ist, unter Tränen und Seufzern
In dem Saale zu wirken, und auf die Mägde zu sehen.
515
Aber kömmt nun die Nacht, da alle Sterblichen ausruhn;
Lieg‘ ich schlaflos im Bett, und tausend nagende Sorgen
Wühlen mit neuer Wut um meine zerrissene Seele.
Wie wenn die Nachtigall, Pandareos‘ liebliche Tochter,
Ihren schönen Gesang im beginnenden Frühling erneuert;
520
Sitzend unter dem Laube der dichtumschattenden Bäume,
Rollt sie von Tönen zu Tönen die schnelle melodische Stimme,
Ihren geliebten Sohn, den sie selber ermordet, die Törin!
Ihren Itylos klagend, den Sohn des Königes Zethos:
Also wendet sich auch mein Geist bald hiehin bald dorthin:
525
Ob ich noch weile beim Sohn, und alle Güter bewahre,
Meine Hab‘, und die Mägd‘, und die hohe prächtige Wohnung,
Scheuend das Lager des Ehegemahls und die Stimme des Volkes;
Oder jetzt von den Freiern im Hause den tapfersten Jüngling,
Welcher das meiste geschenkt, zu meinem Bräutigam wähle.
530
Als mein Sohn noch ein Kind war und schwaches Verstandes, da durft‘ ich
Ihm zuliebe nicht wählen, noch diese Wohnung verlassen;
Nun da er größer ist, und des Jünglings Alter erreicht hat,
Wünscht er selber, ich möge nur bald aus dein Hause hinweggehn,
Zürnend wegen der Habe, so ihm die Achaier verschwelgen.
535
Aber höre den Traum, und sage mir seine Bedeutung.
Zwanzig Gänse hab‘ ich in meinem Hause, die fressen
Weizen mit Wasser gemischt; und ich freue mich, wenn ich sie anseh‘.
Aber es kam ein großer krummgeschnabelter Adler
Von dem Gebirg‘, und brach den Gänsen die Hälse; getötet
540
Lagen sie all‘ im Haus‘, und er flog in die heilige Luft auf.
Und ich begann zu weinen, und schluchzt‘ im Traume. Da kamen,
Ringsumher, mich zu trösten, der Stadt schönlockige Frauen;
Aber ich jammerte laut, daß der Adler die Gänse getötet.
Plötzlich flog er zurück, und saß auf dem Simse des Rauchfangs,
545
Wandte sich tröstend zu mir, und sprach mit menschlicher Stimme:
Tochter des fernberühmten Ikarios, fröhliches Mutes!
Nicht ein Traum ist dieses, ein Göttergesicht, das dir Heil bringt.
Jene Gänse sind Freier, und ich war eben ein Adler;
Aber jetzo bin ich, dein Gatte, wieder gekommen,
550
Daß ich den Freiern allein ein schreckliches Ende bereite.
Also sprach der Adler. Der süße Schlummer verließ mich;
Eilend sah ich im Hause nach meinen Gänsen, und alle
Fraßen aus ihrem Troge den Weizen, so wie gewöhnlich.
Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
555
Fürstin, es wäre vergebens, nach einer anderen Deutung
Deines Traumes zu forschen. Dir sagte ja selber Odysseus,
Wie er ihn denkt zu erfüllen. Verderben drohet den Freiern
Allzumal, und keiner entrinnt dem Todesverhängnis.
Ihm antwortete drauf die kluge Penelopeia:
560
Fremdling, es gibt doch dunkle und unerklärbare Träume,
Und nicht alle verkünden der Menschen künftiges Schicksal.
Denn es sind, wie man sagt, zwo Pforten der nichtigen Träume:
Eine von Elfenbein, die andre von Horne gebauet.
Welche nun aus der Pforte von Elfenbeine herausgehn,
565
Diese täuschen den Geist durch lügenhafte Verkündung;
Andere, die aus der Pforte von glattem Horne hervorgehn,
Deuten Wirklichkeit an, wenn sie den Menschen erscheinen.
Aber ich zweifle, ob dorther ein vorbedeutendes Traumbild
Zu mir kam. O wie herzlich erwünscht wär‘ es mir und dem Sohne!
570
Eins verkünd‘ ich dir noch, und du nimm solches zu Herzen.
Morgen erscheinet der Tag, der entsetzliche! der von Odysseus‘
Hause mich trennen wird; denn morgen gebiet‘ ich den Wettkampf,
Durch zwölf Äxte zu schießen, die jener in seinem Palaste
Pflegte, wie Hölzer des Kiels, in grader Reihe zu stellen;
575
Ferne stand er alsdann, und schnellte den Pfeil durch die Äxte.
Diesen Wettkampf will ich den Freiern jetzo gebieten.
Wessen Hand von ihnen den Bogen am leichtesten spannet,
Und mit der Senne den Pfeil durch alle zwölf Äxte hindurchschnellt:
Sieh, dem folg‘ ich als Weib aus diesem werten Palaste
580
Meines ersten Gemahls, dem prächtigen reichen Palaste,
Dessen mein Herz sich vielleicht noch künftig in Träumen erinnert.
Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Du ehrwürdiges Weib des Laertiaden Odysseus,
Zögere nicht, und gebeut in deinem Hause den Wettkampf.
585
Wahrlich noch eher kommt der erfindungsreiche Odysseus,
Ehe von allen, die mühsam den glatten Bogen versuchen,
Einer die Senne spannt, und den Pfeil durch die Eisen hindurchschnellt.
Ihm antwortete drauf die kluge Penelopeia:
Fremdling, wolltest du mich, im Saale sitzend, noch länger
590
Unterhalten, mir würde kein Schlaf die Augen bedecken.
Aber es können ja doch die sterblichen Menschen nicht immer
Schlaflos sein; die Götter bestimmten jegliches Dinges
Maß und Ziel den Menschen auf lebenschenkender Erde.
Darum will ich jetzo in meine Kammer hinaufgehn,
595
Auf dem Lager zu ruhig, dem jammervollen, das immer
Meine Tränen benetzen, seitdem Odysseus hinwegfuhr,
Troja zu sehn, die verwünschte, die keiner nennet ohn‘ Abscheu!
Dorthin geh‘ ich zu ruhn; du aber bereite dein Lager
Hier im Haus auf der Erd‘, oder laß ein Bette dir bringen.
600
Also sprach Sie, und stieg empor zu den schönen Gemächern,
Nicht allein, es gingen mit ihr die übrigen Jungfraun.
Als sie nun oben kam mit den Jungfraun, weinte sie wieder
Ihren trauten Gemahl Odysseus, bis ihr Athene
Sanft mit süßem Schlummer die Augenlider bedeckte.

Achtzehnter Gesang

Achtzehnter Gesang

Odysseus kämpft mit dem Bettler Iros. Amphinomos wird umsonst gewarnt Penelopeia besänftigt die Freier durch Hoffnung, und empfängt Geschenke. Odysseus von den Mägden beleidigt, von Eurymachos verhöhnt und geworfen. Die Freier gehn zur Ruhe.

Jetzo kam ein Bettler von Ithaka, welcher die Gassen
Haus bei Haus durchlief, ein weitberüchtigter Vielfraß:
Immer füllt‘ er den Bauch mit Essen und Trinken, und hatte
Weder Stärke noch Kraft, so groß auch seine Gestalt war.
5
Dieser hieß Arnäos; denn also nannt‘ ihn die Mutter
Bei der Geburt; allein die Jünglinge nannten ihn Iros,
Weil er gerne mit Botschaft ging, wenn es einer verlangte.
Dieser kam, Odysseus von seinem eigenen Hause
Wegzutreiben; er schalt ihn, und sprach die geflügelten Worte:
10
Geh von der Türe, du Greis, daß man nicht beim Fuße dich schleppe!
Merkst du nicht, wie man rings mit den Augenwimpern mir zuwinkt,
Dich von hinnen zu schleppen? Allein ich scheue mich dennoch.
Auf denn! oder es kommt noch zwischen uns beiden zum Faustkampf!
Zürnend schaute auf ihn und sprach der weise Odysseus:
15
Elender, hab ich doch nimmer mit Wort oder Tat dich beleidigt!
Auch mißgönn‘ ich’s dir nicht, wie viel dir einer auch schenke.
Und die Schwelle hat Raum für uns beide. Du mußt nicht so neidisch
Sehn bei anderer Milde; du scheinst mir ein irrender Fremdling,
Eben wie ich; der Reichtum kömmt von den seligen Göttern.
20
Aber fodre mich nicht so übermütig zum Faustkampf:
Daß ich nicht zürn‘, und dir, trotz meines Alters, mit Blute
Brust und Lippen besudle! Dann säß ich morgen vermutlich
Noch geruhiger hier; denn schwerlich kehrtest du jemals
Wieder zurück in das Haus des Laertiaden Odysseus!
25
Und mit zürnendem Blick antwortete Iros der Bettler:
All‘ ihr Götter, wie rasch der verhungerte Bettler da plappert;
Recht wie ein Heizerweib! Ich möcht‘ es ihm übel gedenken,
Rechts und links ihn zerdreschen, und alle Zähn‘ aus dem Maul‘ ihm
Schlagen, wie einer Sau, die fremde Saaten verwüstet!
30
Auf, und gürte dich jetzo, damit sie alle des Kampfes
Zeugen sei’n. Wie willst du des Jüngeren Stärke bestehen?
Also zankten sie sich vor der hohen Pforte des Saales,
Auf der geglätteten Schwelle, mit heftig erbitterten Worten.
Ihre Worte vernahm Antinoos‘ heilige Stärke,
35
Und mit herzlicher Lache begann er unter den Freiern:
So was, ihr Lieben, ist uns bisher noch nimmer begegnet!
Welche Freude beschert uns Gott in diesem Palaste!
Jener Fremdling und Iros, die fodern sich jetzo einander
Zum Faustkampfe heraus. Kommt eilig, wir wollen sie hetzen!
40
Also sprach er; und schnell erhuben sich alle mit Lachen,
Und versammelten sich um die schlechtgekleideten Bettler.
Aber Eupeithes‘ Sohn Antinoos sprach zur Versammlung:
Höret, was ich euch sage, ihr edelmütigen Freier!
Hier sind Ziegenmagen, mit Fett und Blute gefüllet
45
Die wir zum Abendschmaus auf glühende Kohlen geleget.
Wer nun am tapfersten kämpft, und seinen Gegner besieget;
Dieser wähle sich selbst die beste der bratenden Würste.
Künftig find‘ er auch immer an unserem Mahle sein Anteil,
Und kein anderer Bettler soll diese Schwelle betreten.
50
Also sprach er; und allen gefiel Antinoos‘ Rede.
Listensinnend begann der erfindungsreiche Odysseus:
Lieben, ich alter Mann, durch so viel Elend entkräftet,
Kann unmöglich die Stärke des jüngeren Mannes bestehen.
Aber mich zwingt der Hunger, die härtesten Schläge zu dulden!
55
Nun wohlan! verheißt mir denn alle mit heiligem Eidschwur,
Daß nicht Iros zuliebe mich einer mit nervichter Rechte
Freventlich schlagen will, ihm seinen Sieg zu erleichtern.
Also sprach er; und alle beschwuren, was er verlangte.
Und die heilige Kraft Telemachos redete jetzo:
60
Fremdling, gebeut es dein Herz und deine mutige Seele,
Treib‘ ihn getrost hinweg, und fürchte der andern Achaier
Keinen! Wer dich verletzt, der hat mit mehren zu kämpfen!
Dein Beschützer bin ich, und beide verständige Fürsten
Hegen, Antinoos dort und Eurymachos, gleiche Gesinnung.
65
Seine Rede lobten die übrigen. Aber Odysseus
Gürtete sich um die Scham mit seinen Lumpen, und zeigte
Schöne rüstige Lenden; auch seine nervichten Arme
Wurden entblößt, die Brust, und die breite Schulter; Athene
Schmückt‘ unsichtbar mit Kraft und Größe den Hirten der Völker.
70
Aber die Freier alle umstaunten die Wundererscheinung;
Einer wendete sich zu seinem Nachbar, und sagte:
Iros, der arme Iros bereitet sich wahrlich ein Unglück!
Welche fleischichte Lende der Greis aus den Lumpen hervorstreckt!
Also sprachen die Freier; und Iros ward übel zu Mute.
75
Aber es gürteten ihn mit Gewalt die Diener, und führten
Ihn wie er zitterte fort, und sein Fleisch umbebte die Glieder,
Und Antinoos schalt ihn, und sprach mit drohender Stimme:
Wärst du doch tot, Großprahler, ja wärst du nimmer geboren,
Da du vor diesem so bebst, und so entsetzlich dich anstellst,
80
Vor dem alten Manne, den mancherlei Elend geschwächt hat!
Aber ich sage dir an, und das wird wahrlich erfüllet:
Schlägt dich dieser zu Boden, und geht als Sieger vom Kampfplatz;
Siehe dann send‘ ich dich gleich im schwarzen Schiffe zum König
Echetos in Epeiros, dem Schrecken des Menschengeschlechtes:
85
Daß er dir Nas‘ und Ohren mit grausamem Erze verstümmle,
Und die entrissene Scham den Hunden gebe zu fressen!
Sprach’s; da zitterte jener noch stärker an Händen und Füßen.
Aber sie führten ihn hin; und beide erhuben die Fäuste.
Nun ratschlagte bei sich der herrliche Dulder Odysseus:
90
Ob er ihn schlüge, daß gleich auf der Stelle sein Leben entflöhe;
Oder mit sanftem Schlage nur bloß auf den Boden ihn streckte.
Dieser Gedanke schien dem Zweifelnden endlich der beste:
Sanft zu schlagen, um nicht den Achaiern Verdacht zu erwecken.
Iros schlug mit der Faust die rechte Schulter Odysseus‘;
95
Dieser ihm unter das Ohr an den Hals, daß der Kiefer des Bettlers
Knirschend zerbrach, und purpurnes Blut dem Rachen entstürzte.
Schreiend fiel er zu Boden, ihm klappten die Zähn‘, und die Füße
Zappelten staubend im Sand. Da erhuben die mutigen Freier
Jauchzend die Händ‘, und lachten sich atemlos. Aber Odysseus
100
Zog ihn beim Fuß aus der Tür, und schleppt‘ ihn über den Vorhof
Durch die Pforte der Halle; da lehnt‘ er ihn mit dem Rücken
Gegen die Mauer des Hofs, und gab ihm den Stab in die Rechte;
Und er redet‘ ihn an, und sprach die geflügelten Worte:
Sitze nun ruhig hier, und scheuche die Hund‘ und die Schweine!
105
Hüte dich ferner, den Armen und Fremdlingen hier zu befehlen,
Elender Mensch; damit dir kein größeres Übel begegne!
Also sprach er, und warf um die Schulter den häßlichen Ranzen,
Allenthalben geflickt, mit einem geflochtenen Tragband;
Ging zur Schwelle zurück, und setzte sich. Aber die Freier
110
Gingen mit herzlichem Lachen hinein, und grüßten ihn also:
Fremdling, dir gebe Zeus und die andern unsterblichen Götter,
Was du am meisten verlangst, und was dein Herz nur begehret:
Weil du unsere Stadt von dem unersättlichen Bettler
Hast befreit! Bald werden wir ihn fortsenden zum König
115
Echetos in Epeiros, dem Schrecken des Menschengeschlechtes.
Also sprachen die Freier; der vorbedeutenden Worte
Freute der edle Odysseus sich herzlich. Antinoos bracht ihm
Jetzo den großen Magen, mit Fett und Blute gefüllet;
Und Amphinomos nahm zwei Bröt‘ aus denn zierlichen Korbe,
120
Brachte sie, trank ihm zu aus goldenem Becher, und sagte:
Freue dich, fremder Vater! Es müsse dir wenigstens künftig
Wohl ergehn! denn jetzo umringt dich mancherlei Trübsal.
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Du, Amphinomos, scheinst mir ein sehr verständiger Jüngling,
125
Und ein würdiger Sohn von deinem rühmlichen Vater
Nisos, der, wie ich höre, ein edler und mächtiger König
In Dulichion ist. Dein Blick verkündiget Scharfsinn.
Darum sag‘ ich dir jetzt; nimm meine Worte zu Herzen.
Siehe kein Wesen ist so eitel und unbeständig,
130
Als der Mensch, von allem, was lebt und webet auf Erden.
Denn so lange die Götter ihm Heil und blühende Jugend
Schenken, trotzt er, und wähnt, ihn treffe nimmer ein Unglück.
Aber züchtigen ihn die seligen Götter mit Trübsal;
Dann erträgt er sein Leiden mit Ungeduld und Verzweiflung,
135
Denn wie die Tage sich ändern, die Gott vom Himmel uns sendet,
Ändert sich auch das Herz der erdebewohnenden Menschen.
Siehe, ich selber war einst ein glücklicher Mann, und verübte
Viel Unarten, vom Trotz und Übermute verleitet,
Weil mein Vater mich schützte und meine mächtigen Brüder.
140
Drum erhebe sich nimmer ein Mann, und frevele nimmer;
Sondern genieße, was ihm die Götter bescheren, in Demut!
Welchen Greuel erblick‘ ich, den hier die Freier beginnen!
Wie sie die Güter verschwelgen, und schmähn die Gattin des Mannes,
Welcher vielleicht nicht lange von seinen Freunden und Ländern
145
Ferne bleibt, vielleicht schon nah ist! Aber es führe
Dich ein Himmlischer heim, daß du nicht jenem begegnest,
Wann er wieder zurück in sein liebes Vaterland kehret!
Denn die Freier allhier und jener trennen sich schwerlich
Ohne Blut voneinander, sobald er unter sein Dach kommt!
150
Also sprach er, und goß des süßen Weines den Göttern,
Trank, und reichte den Becher zurück dem Führer der Völker.
Dieser ging durch den Saal mit tiefverwundeter Seele,
Und mit gesunkenem Haupt; denn er ahnete Böses im Herzen.
Dennoch entrann er nicht dem Verderben; ihn fesselt‘ Athene,
155
Daß ihn Telemachos‘ Hand mit der Todeslanze vertilgte.
Und er setzte sich nieder auf seinen verlassenen Sessel.
Aber Ikarios‘ Tochter, der klugen Penelopeia
Gab Athene, die Göttin mit blauen Augen, den Rat ein,
Sich den Freiern zu zeigen, auf daß sie mit täuschender Hoffnung
160
Ihre Herzen noch mehr erweiterte, und bei Odysseus
Und Telemachos sich noch größere Achtung erwürbe.
Und sie erzwang ein Lächeln, und sprach mit freundlicher Stimme:
Jetzt, Eurynome, fühl‘ ich zum erstenmal ein Verlangen,
Mich den Freiern zu zeigen, wie sehr sie mir immer verhaßt sind.
165
Gerne möcht‘ ich den Sohn zu seinem Besten erinnern,
Daß er ganz die Gesellschaft der stolzen Freier vermiede;
Denn sie reden zwar gut, doch heimlich denken sie Böses.
Aber die Schaffnerin Enrynome gab ihr zur Antwort:
Wahrlich, mein Kind, du hast mit vielem Verstande geredet.
170
Gehe denn hin, und sprich mit deinem Sohne von Herzen;
Aber bade zuvor den Leib, und salbe dein Antlitz.
Denn du mußt nicht so mit tränenumflossenen Wangen
Hingehn; unaufhörlicher Gram vermehrt nur das Leiden!
Siehe, du hast den erwachsenen Sohn; und du wünschest ja herzlich,
175
Daß dir die Götter gewährten, ihn einst im Barte zu sehen!
Ihr antwortete drauf die kluge Penelopeia:
O! so gut du es meinst, Eurynome, rate mir das nicht,
Meinen Leib zu baden, und meine Wangen zu salben!
Denn die Liebe zum Schmuck ward mir von den himmlischen Göttern
180
Gänzlich geraubt, seit jener in hohlen Schiffen hinwegfuhr!
Aber laß mir Autonoe gleich und Hippodameia
Kommen: sie sollen mich in den Saal hinunter begleiten!
Denn es ziemet mir nicht, allein zu Männern zu gehen.
Also sprach sie; da ging die Schaffnerin aus dem Gemache,
185
Brachte der Fürstin Befehl, und trieb die Mägde zu eilen.
Jetzo ersann ein andres die heilige Göttin Athene:
Siehe mit süßem Schlummer umgoß sie Penelopen.
Und sie entschlief hinsinkend; die hingesunkenen Glieder
Ruhten sanft auf dem Sessel. Da gab die heilige Göttin
190
Ihr unsterbliche Gaben, damit sie die Freier entzückte:
Wusch ihr schönes Gesicht mit ambrosischem Öle der Schönheit,
Jenem, womit Aphrodite die Schöngekränzte sich salbet,
Wann sie zum reizenden Chore der Charitinnen dahinschwebt;
Schuf sie höher an Wuchs, und jugendlicher an Bildung,
195
Schuf sie weißer, als Elfenbein, das der Künstler geglättet.
Als sie dieses vollbracht, entschwebte die heilige Göttin.
Lärmend stürzten anjetzo die Mägde mit Lilienarmen
Aus dem Saale herein: da verließ sie der süße Schlummer;
Und sie rieb mit den Händen die schönen Wangen, und sagte:
200
Ach ein sanfter Schlaf umhüllte mich Herzlichbetrübte!
Einen so sanften Tod beschere die göttliche Jungfrau
Artemis mir, jetzt gleich! damit ich Arme nicht länger
Mich abhärme, vor Gram um meines trauten Gemahles
Edles Verdienst; denn er war der Herrlichste aller Achaier!
205
Also sprach sie, und stieg vom prächtigen Söller herunter,
Nicht allein; sie wurde von zwo Jungfrauen begleitet.
Als das göttliche Weib die Freier jetzo erreichte,
Stand sie still an der Schwelle des schönen gewölbeten Saales;
Ihre Wangen umwallte der feine Schleier des Hauptes,
210
Und an jeglichem Arm stand eine der stattlichen Jungfraun.
Allen erbebten die Knie‘, es glühten die Herzen vor Inbrunst,
Und vor banger Begierde mit ihr das Lager zu teilen.
Und zu Telemachos sprach die zärtliche Penelopeia:
Sohn, in deinem Herzen ist weder Verstand noch Empfindung!
215
Weit vernünftiger hast du dich schon als Knabe bewiesen!
Nun da du größer bist, und des Jünglings Alter erreicht hast,
Und ein Fremder sogar aus der schönen und trefflichen Bildung
Schließen kann, du seist von edlem Samen entsprossen;
Siehe nun zeigt dein Herz so wenig Verstand als Empfindung!
220
Welch unwürdige Tat ist hier im Saale geschehen!
Da man den Fremdling so sehr mißhandelte, saßest du ruhig?
Aber wie? wenn ein Fremdling bei uns in unserem Hause
Hilfe sucht, und dann so schnöde Beleidigung duldet!
Dieses bringt dir ja Schimpf und Verachtung unter den Menschen!
225
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Meine Mutter, ich will nicht murren, daß du mir zürnest.
Freilich fehlt es mir jetzo nicht mehr an Verstand und Erfahrung
Gutes und Böses zu sehn; (denn ehmals war ich ein Knabe!)
Aber ich kann nicht immer die klügsten Gedanken ersinnen;
230
Denn mich betäubt die Furcht vor diesen Übelgesinnten,
Welche mich rings umgeben; und niemand ist, der mir helfe.
Aber des Fremdlings Kampf mit Iros endigte gleichwohl
Nicht nach der Freier Sinn; denn dieser war stärker als Iros.
Gäbe doch Vater Zeus, Athene und Phöbos Apollon,
235
Daß auch jetzo die Freier, in unserem Hause bezwungen,
So ihr schwindelndes Haupt hinneigeten, draußen im Vorhof,
Oder auch hier im Saal, an allen Gliedern gelähmet:
So wie dort an der Pforte des Hofs der zerschlagene Iros
Jetzo mit wankendem Haupt, gleich einem Betrunkenen, dasitzt,
240
Und auf seinen Füßen nicht grade zu stehen, noch wieder
Heimzukehren vermag, weil seine Glieder gelähmt sind!
Also besprochen diese sich jetzo untereinander,
Aber Eurymachos wandte sich drauf zu Penelopeia:
O Ikarios‘ Tochter, du kluge Penelopeia,
245
Sähen dich die Achaier im ganzen jasischen Argos,
Wahrlich vom Morgen an erschienen noch mehrere Freier
Hier im Palaste zum Schmaus; denn dir gleicht keine der Weiber
An Gestalt, an Größe, und Trefflichkeiten des Geistes!
Ihm antwortete drauf die kluge Penelopeia:
250
Ach! die Tugend des Geistes, Eurymachos, Schönheit und Bildung,
Raubten die Himmlischen mir am Tage, da die Argeier
Schifften gen Troja, mit ihnen mein trauter Gemahl Odysseus!
Kehrete jener von dannen, und lebt‘ in meiner Gesellschaft;
Ja dann möchte mein Ruhm wohl größer werden und schöner.
255
Aber jetzo traur‘ ich; denn Leiden beschied mir ein Dämon!
Ach! da er Abschied nahm am vaterländischen Ufer,
Faßt‘ er mich bei der Rechten, und sprach mit freundlicher Stimme:
Frau, ich vermute nicht, die schöngeharnischten Griechen
Werden alle gesund und wohl von Ilion kehren.
260
Denn wie man sagt, sind auch die Troer streitbare Männer,
Mit Wurfspießen geübt, und geübt den Bogen zu spannen,
Und schnellfüßige Rosse der Schlacht zu lenken, die immer
Hurtig den großen Kampf des blutigen Krieges entscheiden.
Darum weiß ich nicht, ob Gott von Troja mich heimführt,
265
Oder mich dort abfodert. Du sorg‘ hier fleißig für alles!
Pfleg‘ auch meinen Vater und meine Mutter im Hause,
So wie bisher, ja noch sorgfältiger, wann ich entfernt bin.
Siehst du aber den Sohn im ersten Barte der Jugend;
Magst du das Haus verlassen, und, wem du willst, dich vermählen.
270
Also sprach er zuletzt; das wird nun alles erfüllet!
Kommen wird einst die Nacht, die schreckliche Nacht der Vermählung!
Mir unglücklichen Frau, die Zeus des Heiles beraubt hat!
Aber vor allen kränket mich das in der Tiefe des Herzens:
Unter den Freiern galt ja sonst nicht diese Begegnung!
275
Denn die ein edles Weib und eines Begüterten Tochter
Sich zur Gemahlin wünschen, und Nebenbuhler befürchten,
Diese bringen ja Rinder und fette Schafe zum Schmause
Für die Freunde der Braut, und schenken ihr köstliche Gaben;
Aber verschwelgen nicht so umsonst ein fremdes Vermögen!
280
Sprach’s; da freuete sich der herrliche Dulder Odysseus,
Daß sie von ihnen Geschenke zog, und mit freundlichen Worten
Ihre Herzen bestrickte, doch anders im Herzen gedachte.
Aber Eupeithes‘ Sohn Antinoos gab ihr zur Antwort:
O Ikarios‘ Tochter, du kluge Penelopeia,
285
Was dir jeder Achaier an köstlichen Gaben hieherbringt,
Dieses empfang‘; es wäre nicht fein, das Geschenk dir zu weigern.
Aber wir weichen nicht eh‘ zu den Unsrigen oder zu andern,
Eh‘ du den besten Achaier zu deinem Bräutigam wählest!
Also sprach er, und allen gefiel Antinoos‘ Rede.
290
Und die Geschenke zu bringen, entsandte jeder den Herold.
Für Antinoos bracht‘ er ein prächtiges blumengesticktes
Großes Frauengewand: zwölf schöne goldene Häklein
Waren daran, und faßten in schöngebogene Ösen.
Für Eurymachos bracht‘ er ein köstliches Halsgeschmeide,
295
Lauteres Gold, mit Ambra besetzt, der Sonne vergleichbar.
Für Eurydamas brachten zwei Ohrgehenke die Diener,
Dreigestirnt, und künstlich gemacht, mit strahlender Anmut.
Aus Peisandros‘ Palast, des polyktoridischen Königs,
Brachte der Diener ein reiches und lieblichschimmerndes Halsband.
300
Also schenkte jeder Achaier ein anderes Kleinod.
Und das göttliche Weib stieg wieder zur oberen Wohnung;
Ihre Jungfraun trugen der Freier schöne Geschenke.
Aber die Freier wandten sich wieder zum Tanz und Gesange,
Und belustigten sich, bis ihnen der Abend herabsank.
305
Als den Lustigen nun der dunkle Abend herabsank,
Setzten sie alsobald drei Feuerfässer im Saale
Ihnen zu leuchten umher, und häuften trockene Splitter,
Welche sie frisch mit dem Erz aus dürrem Holze gespalten,
Und Kienstäbe darauf. Die Mägde des Helden Odysseus
310
Gingen vom einen zum andern, und schürten die sinkende Flamme.
Aber zu ihnen sprach der göttliche weise Odysseus:
O ihr Mägde Odysseus‘, des langabwesenden Königs,
Geht zu den Wohnungen hin, wo die edle Königin wohnet;
Sitzt bei ihr im Saale, sie aufzuheitern, und drehet
315
Fleißig die Spindel, oder bereitet die flockichte Wolle.
Diese will ich schon alle mit leuchtender Flamme versorgen.
Blieben sie auch die ganze Nacht, bis der Morgen sich rötet;
Mich ermüden sie nicht; ich bin zum Dulden gehärtet.
Also sprach er; da lachten sie laut, und sahn nacheinander.
320
Aber nun fuhr ihn Melantho, die rosenwangichte Tochter
Dolios, an. Es hatte sie Penelopeia erzogen,
Und wie ihr Kind gepflegt, und jeden Wunsch ihr gewähret:
Dennoch rührte sie nicht der Kummer Penelopeiens;
Sondern sie buhlte geheim mit Eurymachos, ihrem Geliebten.
325
Diese lästerte schändlich den edlen Dulder Odysseus:
Elender Fremdling, du bist wohl deiner Sinne nicht mächtig:
Daß du nicht gehst, die Nacht in der Herberg‘, oder des Schmiedes
Warmer Esse zu ruhn; und hier in der großen Gesellschaft
Solcher Männer so dreist, und ohne jemand zu fürchten,
330
Plauderst! Traun dich betört der Weinrausch, oder du bist auch
Immer ein solcher Geck, und schwatzest solche Geschwätze!
Oder schwindelt dein Hirn, weil du Iros, den Bettler, besiegt hast?
Daß sich nur keiner erhebe, der tapferer streitet als Iros!
Denn er möchte dein Haupt mit starken Fäusten zerschlagen,
335
Und aus dem Hause dich stoßen, mit triefendem Blute besudelt.
Zürnend schaute auf sie und sprach der weise Odysseus:
Wahrlich, das sag‘ ich Telemachos an, was du Hündin da plauderst:
(Siehst du ihn dort?) damit er dich gleich in Stücke zerhaue!
Also sprach er, und schreckte die bangen Weiber von hinnen;
340
Und sie entflohn aus dem Saal, und eileten durch die Gemächer,
Zitternd vor Angst; denn sie meinten, er hab‘ im Ernste geredet.
Und Odysseus stand, der leuchtenden Feuergeschirre
Flamme nährend, und sahe nach allen. Aber sein Herz war
Andrer Gedanken voll, die bald zu Handlungen reiften.
345
Aber den mutigen Freiern verstattete Pallas Athene
Nicht, des erbitternden Spottes sich ganz zu enthalten, damit noch
Heißer entbrennte das Herz des Laertiaden Odysseus.
Siehe Polybos‘ Sohn, Eurymachos, reizte den Helden
Vor der Versammlung zuerst, und erregte der Freunde Gelächter.
350
Höret mich an, ihr Freier der weitgepriesenen Fürstin,
Daß ich rede, wie mir das Herz im Busen gebietet.
Wahrlich ein Himmlischer führte den Mann in die Wohnung Odysseus‘!
Denn wo mir recht ist, kömmt der Glanz nicht bloß von dem Feuer,
Sondern von seiner Glatze, worauf kein Härchen zu sehn ist.
355
Sprach’s, und wandte sich drauf zum Städteverwüster Odysseus:
Fremdling, willst du dich wohl bei mir zum Knechte verdingen,
Daß du, fern auf dem Land‘ (ich meine, für gute Bezahlung!)
Dornenzäune mir flechtest, und schattige Bäume mir pflanzest?
Siehe dann reicht‘ ich dir dein tägliches Essen und Trinken,
360
Und bekleidete dich, und gäbe dir Schuh‘ an die Füße.
Aber da du nun nichts als Bubenstücke gelernt hast,
Wirst du nicht gern arbeiten, und lieber das Land durchstreichen,
Deinen gefräßigen Bauch mit Bettelbrote zu stopfen!
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
365
O arbeiteten wir, Eurymachos, beide zur Wette
Einst in der Frühlingszeit, wann die Tage heiter und lang sind,
Auf der grasichten Wiese; mit schöngebogener Sichel
Gingen wir, ich und du, und mähten nüchtern vom Morgen
Bis zur sinkenden Nacht, so lang‘ es an Grase nicht fehlte!
370
Oder trieb‘ ich ein Joch der trefflichsten Rinder am Pfluge,
Rötlich und groß von Wuchs, mit fettem Grase gesättigt,
Gleich an Alter und Kraft, mit unermüdlicher Stärke,
Eine Hufe zu ackern, und wiche die Erde der Pflugschar;
Sehen solltest du dann, wie grade Furchen ich zöge!
375
Oder sendete Zeus uns heute noch Krieg, und ging ich
Mit zwo blinkenden Lanzen und einem Schilde gerüstet,
Und die Schläfe geschirmt mit einem ehernen Helme;
Sehen solltest du traun! mich unter den vordersten Streitern,
Und mich nicht so höhnend an meinen Magen erinnern!
380
Aber du bist sehr stolz und menschenfeindliches Herzens;
Und du dünkst dir vielleicht ein großer und starker Achaier,
Weil du mit wenigen Leuten, und nicht den tapfersten, umgehst!
Aber käm Odysseus in seiner Väter Gefilde;
O bald würde die Türe, so weit sie der Zimmerer baute,
385
Dennoch zu enge dir sein, wann du zum Hause hinausflöhst!
Also sprach er; da ward Eurymachos‘ Herz noch erboster,
Zürnend schaut‘ er ihn an, und sprach die geflügelten Worte:
Elender, gleich empfange den Lohn, daß du unter so vielen
Edlen Männern so dreist, und ohne jemand zu fürchten,
390
Plauderst! Traun dich betört der Weinrausch, oder du bist auch
Immer ein solcher Geck, und schwatzest solche Geschwätze!
Oder schwindelt dein Hirn, weil du Iros, den Bettler, besiegt hast?
Also sprach er, und griff nach dem Schemel. Aber Odysseus
Warf zu Amphinomos‘ Knieen, des Dulichiers, eilend sich nieder,
395
Fürchtend Eurymachos‘ Wurf; und der Schemel flog an des Schenken
Rechte Hand, daß die Kanne voll Weins ihm tönend entstürzte,
Und er selbst mit Geheul auf den Boden rücklings dahinsank.
Aber nun lärmten die Freier umher in dem schattichten Saale;
Einer wendete sich zu seinem Nachbar, und sagte:
400
Wäre der irrende Fremdling doch ferne gestorben, bevor er
Ithaka sah; dann brächt‘ er uns nicht dies laute Getümmel!
Aber wir zanken uns hier um den leidigen Bettler, und schmecken
Nichts von den Freuden des Mahls; denn es wird je länger je ärger!
Und die heilige Kraft Telemachos sprach zur Versammlung:
405
Unglückselige Männer, ihr rast, und eure Gespräche
Zeugen von Speis‘ und Trank; euch reizet wahrlich ein Dämon!
Aber nachdem ihr geschmaust, so geht, und legt euch zu Hause
Schlafen, wann’s euch gefällt; doch treib‘ ich keinen von hinnen.
Also sprach er; da bissen sie ringsumher sich die Lippen,
410
Über den Jüngling erstaunt, der so entschlossen geredet.
Drauf erhub sich und sprach Amphinomos zu der Versammlung,
Nisos‘ rühmlicher Sohn, des aretiadischen Königs:
Freunde, Telemachos hat mit großem Rechte geredet;
Drum entrüste sich keiner, noch geb‘ ihm trotzige Antwort!
415
Auch mißhandelt nicht ferner den armen Fremdling, noch jemand
Von den Leuten im Hause des göttergleichen Odysseus.
Auf! es fülle voll neuem der Schenk mit Weine die Becher,
Daß wir opfern, und dann nach Hause gehen zu schlafen.
Aber der Fremdling bleib‘ im Hause des edlen Odysseus
420
Unter Telemachos‘ Schutz; denn ihm vertraut‘ er sein Heil an.
Also sprach er, und allen gefiel Amphinomos‘ Rede.
Und Held Mulios mischte den Wein im Kelche mit Wasser,
Dieser duilichische Herold, Amphinomos‘ treuer Gefährte;
Reichte dann allen umher die vollen Becher. Die Freier
425
Opferten jetzt, und tranken des herzerfreuenden Weines.
Und nachdem sie geopfert und nach Verlangen getrunken,
Gingen sie alle heim, der süßen Ruhe zu pflegen.

Siebzehnter Gesang

Siebzehnter Gesang

Am Morgen geht Telemachos in die Stadt. Odysseus, als Bettler, mit Eumäos nachfolgend, wird vom Ziegenhirten Melantheus gemißhandelt. Sein Hund Argos erkennt ihn. Den Bettelnden wirft Antinoos. Der Königin, die ihn zu sprechen wünscht, bestimmt er den Abend. Eumäos geht ab.

Als die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte,
Stand Telemachos auf, der Sohn des großen Odysseus,
Band die schönen Sohlen sich unter die glänzenden Füße,
Nahm dann die mächtige Lanze, die seinen Händen gerecht war,
5
Hinzugehn in die Stadt, und sprach zum Hüter der Schweine:
Väterchen, ich will jetzt in die Stadt gehn, daß mich die Mutter
Wiedersehe; denn eher, besorg‘ ich, ruhet sie schwerlich
Von dem bangen Gewinsel und ihrer tränenden Wehmut,
Bis sie mich selber sieht. Dir aber, Eumäos, befehl‘ ich:
10
Führ‘ ihn auch zu der Stadt, den unglückseligen Fremdling,
Daß er sich Nahrung bettle; ihm gebe jeder nach Willkür
Etwas Brosam und Wein. Ich kann unmöglich mir aller
Menschen Last aufbürden, mich drückt schon Kummer die Menge.
Dünkt sich der Fremdling etwa durch diese Worte beleidigt,
15
Desto schlimmer für ihn; ich rede gerne die Wahrheit.
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Lieber, ich selbst begehre nicht länger hier zu verweilen.
Leichter wird’s, in der Stadt, als auf dem Lande, dem Bettler,
Seine Nahrung zu finden; mir gebe jeder nach Willkür.
20
Denn mein Alter verstattet mir nicht, auf dem Lande zu bleiben,
Und die Dienste zu tun, die mir ein Schaffner geböte.
Gehe denn. Dieser Mann wird mich nachfahren, sobald ich
Mich am Feuer gewärmt, und die Sonne höher gestiegen.
Diese Lumpen bedecken mich nur! Die Kälte des Morgens
25
Möchte mir schaden; ihr sagt ja, die Stadt sei ferne von hinnen.
Also sprach er. Telemachos ging aus der Pforte des Hofes,
Eilte mit hurtigen Füßen, und sann auf der Freier Verderben.
Als er jetzo erreichte die schöngebauete Wohnung,
Stellt‘ er die Lanze hin an eine ragende Säule,
30
Überschritt dann selber die steinerne Schwelle des Saales.
Ihn erblickte zuerst die Pflegerin Eurykleia,
Welche mit Fellen bedeckte die künstlich gebildeten Throne.
Weinend lief sie gerad‘ auf ihn zu; es drängten sich um ihn
Auch die übrigen Mägde des leidengeübten Odysseus,
35
Hießen ihn froh willkommen, und küßten ihm Schultern und Antlitz.
Jetzo ging aus der Kammer die kluge Penelopeia,
Artemis gleich an Gestalt und der goldenen Aphrodite;
Und mit Tränen schlang sie den lieben Sohn in die Arme,
Küßte sein Angesicht, und beide glänzenden Augen,
40
Und begann lautweinend, und sprach die geflügelten Worte:
Kommst du, Telemachos, kommst du, mein süßes Leben. Ich hoffte
Nimmer dich wiederzusehn, da du ohne mein Wissen und Wollen
Warst gen Pylos geschifft, den lieben Vater zu suchen!
Aber verkündige mir, was du auf der Reise gesehen hast!
45
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Mutter, erinnere mich nicht an meinen Kummer, und reize
Nicht zur Klage mein Herz, da ich kaum dem Verderben entflohn bin.
Sondern bade dich erst, und lege reine Gewand‘ an.
Steig‘ in das Übergemach, von deinen Mägden begleitet,
50
Und gelobe den Göttern, vollkommene Hekatomben
Darzubringen, wenn Zeus doch endlich Rache vergölte.
Aber ich selber will zum Markte gehen, den Fremdling
Einzuladen, der mir hieher aus der Fremde gefolgt ist.
Diesen sandt‘ ich voran mit meinen edlen Gefährten,
55
Und befahl Peiräos, ihn mit nach Hause zu nehmen
Und sorgfältig zu pflegen, bis ich heimkehrte vorn Lande.
Also sprach er zu ihr, und redete nicht in die Winde.
Jene badete sich, und legte reine Gewand‘ an,
Und gelobte den Göttern, vollkommene Hekatomben
60
Darzubringen, wenn Zeus doch endlich Rache vergölte.
Aber Telemachos ging, mit seiner Lanze gerüstet,
Aus dem Palast; es begleiteten ihn schnellfüßige Hunde.
Siehe mit himmlischer Anmut umstrahlt‘ ihn Pallas Athene,
Daß die Völker alle dem kommenden Jünglinge staunten.
65
Um ihn versammelten sich die übermütigen Freier,
Die viel Gutes ihm sagten, und Böses im Herzen gedachten.
Aber Telemachos mied der Heuchler dichtes Gedränge,
Und ging hin zu Mentor und Antiphos und Halitherses,
Welche von Anbeginn des Vaters Freunde gewesen,
70
Setzte bei ihnen sich nieder, und diese fragten nach allem.
Ihnen nahte sich jetzo der lanzenberühmte Peiräos,
Welcher den Gast durch die Stadt zur Versammlung führte; und länger
Säumte Telemachos nicht, er eilte dem Fremdling‘ entgegen.
Ihn ermahnte zuerst mit diesen Worten Peiräos:
75
Eile, Telemachos, Mägde nach meinem Hause zu senden,
Um die Geschenke zu holen, die dir Menelaos geschenkt hat.
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Freund, wir wissen ja nicht, welch Ende die Sache gewinne!
Wenn mich in meinem Hause die übermütigen Freier
80
Heimlich ermorden, und dann mein väterlich Erbe sich teilen;
Will ich doch lieber, daß du, als ein anderer, jenes besitze.
Wenn es mir aber gelingt, sie mit blutigem Tode zu strafen:
Siehe dann magst du es fröhlich zum Hause des Fröhlichen bringen.
Sprach’s, und führte zu Hause den unglückseligen Fremdling.
85
Als sie jetzo erreichten die schöngebauete Wohnung
Legten sie ihre Mäntel auf prächtige Sessel und Throne,
Gingen und badeten sich in schöngeglätteten Wannen.
Als die Mägde sie jetzo gebadet, mit Öle gesalbet,
Und mit wollichtem Mantel und Leibrock hatten bekleidet;
90
Stiegen sie aus dem Bad‘, und setzten sich nieder auf Sessel.
Eine Dienern trug in der schönen goldenen Kanne
Über dem silbernen Becken das Wasser, beströmte zum Waschen
Ihnen die Händ‘, und stellte vor sie die geglättete Tafel.
Und die ehrbare Schaffnerin kam, und tischte das Brot auf,
95
Und der Gerichte viel aus ihrem gesammelten Vorrat.
Gegenüber saß auf dem Ruhesessel die Mutter
An der Schwelle des Saals, und drehte die zierliche Spindel.
Und sie erhoben die Hände zum leckerbereiteten Mahle.
Und nachdem die Begierde des Tranks und der Speise gestillt war,
100
Da begann das Gespräch die kluge Penelopeia:
Sohn, ich muß wohl wieder in meine Kammer hinaufgehn,
Auf dem Lager zu ruhn, dem jammervollen, das immer
Meine Tränen benetzen, seitdem der edle Odysseus
Mit den Atreiden gen Ilion zog; denn du findest Bedenken,
105
Ehe der Freier Schwarm zum Freudengelage zurückkehrt,
Mir zu erzählen, was du von deinem Vater gehört hast!
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Gerne will ich dir, Mutter, die lautere Wahrheit verkünden.
Siehe wir schifften gen Pylos, zu Nestor, dem Hirten der Völker.
110
Freundlich empfing mich dieser in seinem hohen Palaste,
Und bewirtete mich mit so geschäftiger Liebe,
Als ein Vater den Sohn, der spät aus der Fremde zurückkehrt:
So viel Liebe genoß ich von ihm und den trefflichen Söhnen.
Doch von dem leidengeübten Odysseus hatte der König
115
Nicht das geringste gehört; ob er tot sei, oder noch lebe.
Aber zu Atreus‘ Sohn Menelaos dem Lanzenberühmten
Sandt‘ er mit Rossen mich hin und einem zierlichen Wagen:
Wo ich Argos‘ Helena sah, um welche die Troer
Und Argeier so viel, nach dem Rat der Götter, erduldet.
120
Und mich fragte sogleich der Rufer im Streit Menelaos,
Was mich zu kommen genötigt zur göttlichen Stadt Lakedämon.
Und ich erzählte darauf umständlich die ganze Geschichte.
Nun antwortete mir der Held Menelaos, und sagte:
O ihr Götter, ins Lager des übergewaltigen Mannes
125
Wollten jene sich legen, die feigen verworfenen Menschen!
Aber wie wenn in dem Dickicht des starken Löwen die Hirschkuh
Ihre saugenden Jungen, die neugeborenen, hinlegt,
Dann auf den Bergen umher und kräuterbewachsenen Tälern
Weide sucht; und jener darauf in sein Lager zurückkehrt,
130
Und den Zwillingen beiden ein schreckliches Ende bereitet:
So wird jenen Odysseus ein schreckliches Ende bereiten.
Wenn er, o Vater Zeus, Athene und Phöbos Apollon!
Doch in jener Gestalt, wie er einst in der fruchtbaren Lesbos
Sich mit Philomeleides zum Wetteringen emporhub,
135
Und auf den Boden ihn warf, daß alle Achaier sich freuten;
Wenn doch in jener Gestalt Odysseus den Freiern erschiene:
Bald wär‘ ihr Leben gekürzt, und ihnen die Heirat verbittert!
Aber warum du mich fragst und bittest, das will ich geradaus,
Ohn‘ Umschweife, dir sagen, und nicht durch Lügen dich täuschen;
140
Sondern was mir der wahrhafte Greis des Meeres geweissagt,
Davon will ich kein Wort dir bergen oder verhehlen.
Jener hatt‘ auf der Insel den jammernden Helden gesehen,
In dem Hause der Nymphe Kalypso, die mit Gewalt ihn
Hält; und er sehnt sich umsonst nach seiner heimischen Insel:
145
Denn es gebricht ihm dort an Ruderschiffen und Männern,
Über den weiten Rücken des Meeres ihn zu geleiten.
Also verkündigte mir Menelaos der Lanzenberühmte.
Als ich dieses vollendet, da kehrt‘ ich von dannen: die Götter
Sandten mir günstigen Wind, und führten mich bald zu der Heimat.
150
Also sprach er; ihn hörte mit inniger Rührung die Mutter.
Und der göttliche Mann Theoklymenos redete jetzo.
Du ehrwürdiges Weib des Laertiaden Odysseus,
Jener wußte nicht alles; vernimm, was ich dir verkünde:
Denn ich will dir genau weissagen, und nichts dir verhehlen.
155
Zeus von den Göttern bezeug‘ es, und diese gastliche Tafel,
Und Odysseus heiliger Herd, zu welchem ich fliehe:
Daß Odysseus schon im Vaterlande verborgen
Sitzet, oder geheim umherschleicht, diese Verwüstung
Untersucht, und den Freiern ein schreckliches Ende bereitet.
160
Dieses ersah ich, sitzend im schöngebordeten Schiffe,
Aus des Vogels Fluge, und sagt‘ es Telemachos heimlich.
Ihm antwortete drauf die kluge Penelopeia:
Fremdling, erfülleten doch die Götter, was du geweissagt!
Dann erkenntest du bald an vielen und großen Geschenken
165
Deine Freundin, und jeder Begegnende priese dich selig!
Also besprachen diese sich jetzo untereinander,
Aber vor dem Palaste Odysseus‘ schwärmten die Freier,
Und belustigten sich, die Scheib‘ und die Lanze zu werfen,
Auf dem geebneten Platz, wo sie sonst Mutwillen verübten.
170
Jetzo kam die Stunde des Mahls, und die Hirten vom Felde
Brachten den täglichen Zoll des auserlesensten Mastviehs.
Da sprach Medon zu ihnen, der Herold, welcher am meisten
Unter den Freiern galt, und ihrer Schmäuse Genoß war:
Jünglinge, da ihr euch alle mit edlen Spielen erfreuet,
175
Geht nun wieder ins Haus, und bereitet die köstliche Mahlzeit;
Denn es ist nicht übel, zur rechten Stunde zu essen.
Also sprach er; da standen sie auf, und folgten dem Herold.
Als sie jetzo erreichten die schöngebauete Wohnung,
Legten sie ihre Mäntel auf prächtige Sessel und Throne,
180
Schlachteten große Schafe zum Mahl, und gemästete Ziegen,
Schlachteten fette Schwein‘ und eine Kuh von der Weide.
Und bereiteten eilig die Mahlzeit. Aber vom Landhof
Eilt‘ Odysseus zur Stadt und der edle Hüter der Schweine.
Also begann das Gespräch der männerbeherrschende Sauhirt:
185
Fremdling, weil du denn doch in die Stadt zu gehen verlangest,
Heute noch, wie mein Herr es dir befohlen; (ich wünschte
Freilich, du wärest hier als Hüter des Hofes geblieben;
Aber ich scheue mich, und fürchte, Telemachos möchte
Nachmals schelten; und kränkend sind doch die Verweise der Herren!)
190
Auf denn, so wollen wir gehn! Die größte Hälfte des Tages
Ist dahin, und die Kälte wird gegen Abend noch strenger.
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Gut, ich verstehe dich schon, das sind auch meine Gedanken.
Laß uns denn gehn, und du sei mein Begleiter und Führer.
195
Hast du auch einen Stab zurecht geschnitten, so gib ihn
Mir zur Stütze; ihr sagt ja, der Weg sei rauh und gefährlich.
Also sprach er, und hängt‘ um die Schulter den häßlichen Ranzen,
Allenthalben geflickt, mit einem geflochtenen Tragband;
Einen bequemen Stab zur Stütze gab ihn Eumäos;
200
Und sie gingen. Den Hof bewachten indessen die Hunde
Und die übrigen Hirten; und dieser führte den König,
Der, wie ein alter Mann, und mühebeladener Bettler,
Wankend am Stabe schlich, mit häßlichen Lumpen bekleidet.
Als die Wandernden jetzo auf ihrem höckrichten Wege
205
Nahe kamen der Stadt, am schöngebaueten Brunnen,
Welchem die Bürger der Stadt das klare Wasser entschöpften;
(Ithakos hatt‘ ihn gebaut und Neritos und Polyktor:
Ringsum war ein Hain von wasserliebenden Pappeln
In die Runde gepflanzt, und hoch von Felsen herunter
210
Schäumte das kalte Wasser; ein Altar stand auf der Höhe,
Wo die Wanderer alle den Nymphen pflegten zu opfern:)
Da erreichte sie Dolios‘ Sohn, der Hirte Melantheus,
Welcher die trefflichsten Ziegen der ganzen Herde den Freiern
Brachte zum Schmaus; es begleiteten ihn zween andere Hirten.
215
Als sie dieser erblickte, da stieß er mit schreiender Stimme
Freche Schmähungen aus, und reizte die Seele des Königs:
Wahrlich das heißt wohl recht, ein Taugenicht führet den andern!
Wie gesellet doch Gott beständig Gleiche zu Gleichen!
Sprich, wo führst du den Hungrigen hin, nichtswürdiger Sauhirt,
220
Diesen beschwerlichen Bettler, der schmierigen Brocken Verschlinger,
Welcher von Türe zu Tür‘ an den Pfosten die Schulter sich reibet,
Und sich Krümchen erbettelt, nicht Schwerter noch eherne Kessel,
Gäbest du mir den Kerl zum Hüter meines Geheges,
Daß er die Ställe fegt‘, und Laub vortrüge den Zicklein;
225
Molken sollt‘ er mir saufen, um Fleisch auf die Lenden zu kriegen!
Aber da er nun nichts als Bubenstücke gelernt hat,
Wird er nicht gern arbeiten, und lieber das Land durchstreichen,
Seinen gefräßigen Leib mit Bettelbrote zu stopfen.
Aber ich sage dir an, und das wird wahrlich erfüllet:
230
Kommt er je in das Haus des göttergleichen Odysseus,
Hageln werden die Schemel im Saal aus den Händen der Männer
Rings um sein Haupt, und die Ecken an seinen Rippen zerstoßen!
Also sprach er, und kam und stieß mit der Ferse vor Bosheit
Ihm in die Seit‘; allein er wankte nicht aus dem Wege,
235
Sondern stand unerschüttert. Nun überlegte Odysseus:
Ob er auf ihn mit dem Stab‘ anrennt‘, und das Leben ihm raubte;
Oder ihn hoch erhüb‘, und sein Haupt auf den Boden zerknirschte;
Doch er bezwang sein Herz, und duldete. Aber der Sauhirt
Schalt ihn ins Antlitz, und betete laut mit erhobenen Händen:
240
Nymphen des heiligen Quells, Zeus‘ Töchter! Hat jemals Odysseus
Lenden mit Fette bedeckt von jungen Ziegen und Lämmern
Euch zur Ehre verbrannt; so erfüllt mein heißes Verlangen:
Daß heimkehre der Held, und ihn ein Himmlischer führe!
O dann würd‘ er dir bald die hohen Gedanken vertreiben,
245
Welche du Trotziger jetzo hegst, da du immer die Stadt durch-
Irrst, indes die Herde von bösen Hirten verderbt wird!
Und der Ziegenhirte Melanthios gab ihm zur Antwort:
Götter, was plaudert er da, der Hund voll hämischer Tücke!
Ha! ich werd‘ ihn noch einst im schwarzen gerüsteten Schiffe
250
Fern von Ithaka bringen, damit ich ihn teuer verkaufe!
Tötete doch so gewiß der silberne Bogen Apollons,
Oder der Freier Gewalt, Telemachos heut‘ im Palaste;
Als Odysseus ferne von seiner Heimat dahinsank!
Also sprach er, und eilte voran; sie folgten ihm langsam.
255
Und mit hurtigen Schritten erreicht‘ er des Königes Wohnung,
Ging gerade hinein, und setzte sich unter die Freier,
Gegen Eurymachos über; denn diesen liebt‘ er am meisten.
Vor ihn legten ein Teil des Fleisches die hurtigen Diener;
Und die ehrbare Schaffnerin kam, und tischte das Brot auf,
260
Und er aß. Nun kam mit Odysseus der treffliche Sauhirt
Nahe; sie standen still. Der hohlen Harfe Getön scholl
Ihnen melodisch entgegen; denn Phemios hub den Gesang an.
Und Odysseus faßte die Hand des Hirten, und sagte:
Wahrlich, Eumäos, dies ist die prächtige Wohnung Odysseus‘!
265
Diese würde man leicht auch unter vielen erkennen!
Zimmer stehen auf Zimmern; den Hof umschließet die schöne
Zinnenbefestigte Mauer mit einem doppelten starken
Flügeltor; sie vermöchte wohl schwerlich ein Mann zu erobern!
Auch bemerk‘ ich dieses, daß viele Männer ein Gastmahl
270
Drinnen begehn; denn es duftet von Speisen umher, und die Harfe
Tönet, welche die Götter dem Mahl zur Freundin verliehen.
Ihm antwortetest du, Eumäos, Hüter der Schweine:
Richtig bemerkst du, da dir’s auch sonst an Verstande nicht fehlet.
Aber wir wollen anitzt nachdenken, wie wir es machen.
275
Geh du entweder zuerst in die schöngebauete Wohnung
Unter den Haufen der Freier; so wart‘ ich hier noch ein wenig:
Oder willst du, so bleib‘; auch ich will erstlich hineingehn.
Aber zögere nicht; hier draußen möchte dich jemand
Schlagen oder auch werfen. Dies überlege nun selber.
280
Ihm antwortete drauf der herrliche Dulder Odysseus:
Gut, ich verstehe dich schon, dies sind auch meine Gedanken.
Gehe denn erst hinein; ich warte hier noch ein wenig.
Denn ich verstehe mich auf Schläg‘ und Würfe so ziemlich,
Und nicht schwach ist mein Herz. Ich habe schon vieles erduldet,
285
Schrecken des Meers und des Kriegs; so mag auch dies noch geschehen!
Aber man kann unmöglich die Wut des hungrigen Magens
Bändigen, welcher den Menschen so vielen Kummer verursacht!
Ihn zu besänftigen, gehn selbst schöngezimmerte Schiffe
Über das wilde Meer, mit Schrecken des Krieges gerüstet!
290
Also besprachen sich diese jetzo untereinander.
Aber ein Hund erhob auf dem Lager sein Haupt und die Ohren,
Argos: welchen vordem der leidengeübte Odysseus
Selber erzog; allein er schiffte zur heiligen Troja
Ehe er seiner genoß. Ihn führten die Jünglinge vormals
295
Immer auf wilde Ziegen und flüchtige Hasen und Rehe:
Aber jetzt, da sein Herr entfernt war, lag er verachtet
Auf dem großen Haufen vom Miste der Mäuler und Rinder,
Welcher am Tore des Hofes gehäuft ward, daß ihn Odysseus‘
Knechte von dannen führen, des Königes Äcker zu düngen;
300
Hier lag Argos der Hund, von Ungeziefer zerfressen.
Dieser, da er nun endlich den nahen Odysseus erkannte,
Wedelte zwar mit dem Schwanz, und senkte die Ohren herunter;
Aber er war zu schwach, sich seinem Herren zu nähern.
Und Odysseus sah es, und trocknete heimlich die Träne,
305
Unbemerkt von Eumäos, und fragete seinen Begleiter:
Wunderbar ist es, Eumäos, daß dieser Hund auf dem Miste
Liegt! Sein Körper ist schön von Bildung; aber ich weiß nicht,
Ob er mit dieser Gestalt auch schnell im Laufe gewesen,
Oder so, wie die Hund‘ um der Reichen Tische gewöhnlich
310
Sind; denn solche Herren erziehn sie bloß zum Vergnügen.
Ihm antwortetest du, Eumäos, Hüter der Schweine:
Freilich! denn dies ist der Hund des ferne gestorbenen Mannes.
Wär‘ er derselbige noch an Gestalt und mutigen Taten,
Als wie Odysseus ihn, gen Troja schiffend, zurückließ;
315
Sicherlich würdest du jetzo die Kraft und die Schnelle bewundern!
Trieb er ein Wildbret auf im dichtverwachsenen Waldtal,
Nimmer entfloh es ihm; denn er war auch ein weidlicher Spürhund.
Aber nun liegt er im Elend hier; denn fern von der Heimat
Starb sein Herr, und die Weiber, die faulen, versäumen ihn gänzlich.
320
Das ist die Art der Bedienten: Sobald ihr Herr sie nicht antreibt,
Werden sie träge zum Guten, und gehn nicht gern an die Arbeit.
Zeus‘ allwaltender Rat nimmt schon die Hälfte der Tugend
Einem Manne, sobald er die heilige Freiheit verlieret.
Also sprach er, und ging in die schöngebauete Wohnung,
325
Eilte dann grad‘ in den Saal zu den übermütigen Freiern.
Aber Argos umhüllte der schwarze Schatten des Todes,
Da er im zwanzigsten Jahr Odysseus wieder gesehen.
Jenen sahe zuerst Telemachos, göttlich von Bildung,
Durch den Palast herwandeln, den trefflichen Hirten; er winkt‘ ihm
330
Eilig, und rief ihn heran. Der ringsumschauende Sauhirt
Nahm den ledigen Stuhl, worauf der Zerleger gesessen,
Welcher den Freiern im Saale die Menge des Fleisches zerteilte;
Diesen trug er von dannen, und stellt‘ ihn Telemachos‘ Tafel
Gegenüber, und setzte sich drauf; dann brachte der Herold
335
Ihm ein Teil des Fleisches, und gab ihm Brot aus dem Korbe.
Lange saß er noch nicht; da trat in die Wohnung Odysseus,
Der, wie ein alter Mann und mühebeladener Bettler,
Wankend am Stabe schlich, mit häßlichen Lumpen bekleidet.
Dieser setzte sich hin auf die eschene Schwelle der Pforte,
340
An die cypressene Pfoste den Rücken lehnend, die vormals
Künstlich der Meister gebildet, und nach dem Maße der Richtschnur.
Und Telemachos rief dem edlen Hirten der Schweine,
Gab ihm ein ganzes Brot aus dem schöngeflochtenen Korbe,
Und des Fleisches so viel, als er mit den Händen umfaßte:
345
Bringe dieses dem Fremdlinge hin, und sag‘ ihm, er möchte
Selber bei allen Freiern im Saale bittend umhergehn;
Denn die Blödigkeit ist dem darbenden Manne nicht heilsam.
Sprach’s; und der Sauhirt ging, sobald er die Rede vernommen,
Trat vor Odysseus hin, und sprach die geflügelten Worte:
350
Fremdling, Telemachos sendet dir dies, und saget, du möchtest
Selber bei allen Freiern im Saale bittend umhergehn;
Denn die Blödigkeit sei dem darbenden Manne nicht heilsam.
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Segne, du herrschender Zeus, Telemachos unter den Männern,
355
Und vollend‘ ihm alles, was seine Seele begehret!
Also sprach er, empfing es mit beiden Händen, und legt‘ es
Dort vor den Füßen nieder auf seinen häßlichen Ranzen;
Und dann aß er, so lange das Lied des Sängers ertönte.
Als er jetzo gespeist, da schwieg auch der göttliche Sänger.
360
Aber die Freier durchlärmten den Saal; und Pallas Athene
Nahte sich abermal dem Laertiaden Odysseus,
Und ermahnt‘ ihn, sich Brosam von allen Freiern zu sammeln,
Daß er die Mildegesinnten und Ungerechten erkennte;
Dennoch sollte nicht einen die schreckliche Rache verschonen!
365
Und er wandte sich rechts, und trat zu jeglichem Manne,
Reichte flehend die Hand, als hätt‘ er schon lange gebettelt.
Jene gaben ihm mitleidsvoll, und fragten, verwundert
Über des Bettlers Gestalt: wer er wär‘, und von wannen er käme.
Und der Ziegenhirte Melanthios sprach zur Versammlung:
370
Höret mich an, ihr Freier der weitgepriesenen Fürstin,
Wegen des Fremdlings hier. Ich hab‘ ihn nur eben gesehen;
Denn er ging zu der Stadt, und der Sauhirt war sein Geleiter.
Aber das weiß ich nicht, von welchem Geschlecht er sich rühme.
Sprach’s; und Antinoos schalt den edlen Hirten der Schweine:
375
Warum führtest du diesen zur Stadt, du berüchtigter Sauhirt?
Irren nicht etwa genug Landstreicher vor unseren Türen,
Solche beschwerliche Bettler und schmieriger Brocken Verschlinger?
Oder glaubst du, hier fehl‘ es an Gästen, welche die Güter
Deines Herrn verschlingen; daß du auch diesen noch herrufst?
380
Ihm antwortetest du, Eumäos, Hüter der Schweine:
Edel, Antinoos, bist du; allein du redest nicht schicklich.
Denn wer gehet wohl aus, und ladet selber den Fremdling,
Wo er nicht etwa im Volk durch nützliche Künste berühmt ist,
Als den erleuchteten Seher, den Arzt, den Meister des Baues,
385
Oder den göttlichen Sänger, der uns durch Lieder erfreuet?
Diese laden die Menschen in allen Landen der Erde.
Aber den Bettler, der nur belästiget, lüde wohl niemand!
Doch beständig warst du, vor allen Freiern, Odysseus‘
Knechten hart, und mir am härtesten; aber mich kümmert’s
390
Nicht: denn siehe noch lebt die kluge Penelopeia
Und ihr göttlicher Sohn Telemachos in dem Palaste!
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Väterchen, laß das sein! Was gibst du ihm vieles zur Antwort?
Denn das war ja beständig Antinoos‘ böse Gewohnheit:
395
Hart und beleidigend redet er selbst, und verführt auch die andern!
Und zu Antinoos sprach er die schnell geflügelten Worte:
Traun! wie ein Vater des Sohns, Antinoos, waltest du meiner,
Da du befiehlst, den Fremdling mit harten Worten gewaltsam
Aus dem Hause zu treiben! Das wolle Gott nicht gefallen!
400
Nimm und gib ihm; ich sehe nicht scheel, ich heiß‘ es dir selber!
Scheue dich hierin auch nicht vor meiner Mutter, noch jemand
Unter den Leuten im Hause des göttergleichen Odysseus!
Aber dein Herz bekümmern nicht solche Gedanken; du willst nur
Lieber alles allein aufschlingen, als etwas verschenken.
405
Und Antinoos rief, und gab ihm dieses zur Antwort:
Jüngling von trotziger Red‘ und verwegenem Mute, was sagst du?
Schenkten so vieles, wie ich, ihm auch die übrigen Freier,
In drei Monden würd‘ er dies Haus nicht wieder besuchen!
Also sprach er, und hob den Schemel unter dem Tische
410
Drohend empor, auf welchem die Füße des Schmausenden ruhten.
Aber die andern gaben ihm all‘, und füllten den Ranzen
Ihm mit Fleisch und Brot. Und jetzo wollte Odysseus
Wieder zur Schwelle gehn, der Achaier Geschenke zu kosten;
Aber er stellte sich erst vor Antinoos‘ Tafel, und sagte:
415
Lieber, beschenke mich auch! Du scheinst mir nicht der Geringste,
Sondern ein edler Achaier, du hast ein königlich Ansehn:
Darum mußt du mir auch mehr Speise geben, als andre;
Und ich werde dein Lob in allen Landen verkünden.
Denn auch ich war ehmals ein glücklicher Mann, und Bewohner
420
Eines reichen Palastes, und gab dem irrenden Fremdling
Oftmals, wer er auch war, und welche Not ihn auch drängte;
Und unzählige Knechte besaß ich, und andere Güter,
Die man zum Überfluß und zur Pracht der Reichen erfodert.
Aber das nahm mir Zeus nach seinem heiligen Ratschluß;
425
Denn er verleitete mich, mit küstenumirrenden Räubern
Weit nach Ägyptos zu schiffen, um mein Verderben zu finden.
Und ich legte die Schiff‘ im Strom Ägyptos vor Anker;
Dringend ermahnt‘ ich jetzo die lieben Reisegefährten,
An dem Gestade zu bleiben, und unsere Schiffe zu hüten,
430
Und versendete Wachen umher auf die Höhen des Landes.
Aber sie wurden vom Trotz und Übermute verleitet,
Daß sie ohne Verzug der Ägypter schöne Gefilde
Plünderten, ihre Weiber gefangen führten, die Männer
Und unmündigen Kinder ermordeten. Und ihr Geschrei kam
435
Schnell in die Stadt. Sobald der Morgen sich rötete, zogen
Streiter zu Roß und zu Fuße daher, und vom blitzenden Erze
Strahlte das ganze Gefilde. Der Donnerer Zeus Kronion
Sendete meinen Gefährten die schändliche Flucht, und es wagte
Keiner dem Feinde zu stehn; denn ringsum drohte Verderben.
440
Viele töteten sie mit ehernen Lanzen, und viele
Schleppten sie lebend hinweg zu harter sklavischer Arbeit.
Aber nach Kypros schenkten sie mich dem begegnenden Fremdling
Dmetor, Jasos‘ Sohne, dem mächtigen Herrscher in Kypros.
Und von dannen komm‘ ich nun hier, mit Kummer beladen.
445
Und Antinoos rief, und gab ihm dieses zur Antwort:
Welch ein Himmlischer straft uns mit dieser Plage des Gastmahls?
Stelle dich dort in die Mitte, und hebe dich weg von der Tafel,
Daß du mir nicht ein herbes Ägyptos und Kypros erblickest!
Ha du bist mir der frechste, der unverschämteste Bettler!
450
Gehst nach der Reihe bei allen umher; und ohne Bedenken
Geben sie dir! Wozu auch so sparsam, oder so ängstlich,
Fremdes Gut zu verschenken, wo man so reichlich versorgt ist!
Weichend erwiderte drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Götter, wie wenig gleichen dein Herz und deine Gestalt sich!
455
Von dem Deinigen schenkst du dem Darbenden schwerlich ein Salzkorn,
Da du an fremdem Tische dich nicht erbarmst, ein wenig
Mir von der Speise zu geben, womit du so reichlich versorgt bist!
Also sprach er; da ward Antinoos‘ Herz noch erboster;
Drohend blickt‘ er ihn an, und sprach die geflügelten Worte:
460
Nun so sollst du gewiß auf diesem Saale nicht wieder
Unbeschädigt entrinnen, da du noch Schmähungen redest!
Sprach’s, und warf mit dem Schemel die rechte Schulter Odysseus‘
Dicht am Gelenke des Halses. Er aber stand, wie ein Felsen,
Fest, und wankte nicht von Antinoos‘ mächtigem Wurfe;
465
Sondern schüttelte schweigend das Haupt, und sann auf Verderben;
Ging dann zur Schwelle zurück, und setzte sich, legte den Ranzen
Voll von Speise nieder, und sprach zu der Freier Versammlung:
Höret mich an, ihr Freier der weitgepriesenen Fürstin,
Daß ich rede, wie mir das Herz im Busen gebietet.
470
Nicht der mindeste Schmerz noch Kummer beuget die Seele
Eines Mannes, der, streitend für seine Güter, vom Feinde
Wunden empfängt, für die Herden der Rinder und wollichten Schafe:
Doch Antinoos warf mich wegen des traurigen Hungers,
Welcher den elenden Menschen so vielen Kummer verursacht!
475
Aber beschützt auch die Armen der Götter und Göttinnen Rache,
Dann ereile der Tod Antinoos vor der Vermählung!
Und Eupeithes‘ Sohn Antinoos gab ihm zur Antwort:
Fremdling, sitze geruhig und iß, oder gehe von hinnen;
Daß dich die Jünglinge nicht bei den Händen und Füßen, du Schwätzer,
480
Durch den Palast fortschleppen, und deine Glieder zerreißen!
Also sprach er; allein die übrigen zürnten ihm heftig.
Also redete mancher der übermütigen Freier:
Übel, Antinoos, tatst du, den armen Fremdling zu werfen!
Unglückseliger! wenn er nun gar ein Himmlischer wäre!
485
Denn oft tragen die Götter entfernter Fremdlinge Bildung;
Unter jeder Gestalt durchwandern sie Länder und Städte,
Daß sie den Frevel der Menschen und ihre Frömmigkeit schauen.
Also sprachen die Freier; allein er verachtete solches.
Aber Telemachos schwoll das Herz von großer Betrübnis.
490
Als er ihn warf: doch netzt‘ ihm keine Träne die Wangen;
Sondern er schüttelte schweigend das Haupt, und sann auf Verderben.
Auch in der Kammer vernahm es die kluge Penelopeia,
Als man ihn warf im Saal, und redete unter den Weibern:
Also treffe dich selbst der bogenberühmte Apollon!
495
Aber die Schaffnerin Eurynome gab ihr zur Antwort:
Ja! wenn die Sache, mein Kind, nach unsern Wünschen geschehe,
Keiner von diesen erlebte die goldene Röte des Morgens!
Ihr antwortete drauf die kluge Penelopeia:
Mutter, verhaßt sind mir alle, denn alle trachten nach Unglück!
500
Aber Antinoos gleicht doch am meisten dem schwarzen Verhängnis!
Denn es wanket im Saal ein unglückseliger Fremdling
Bittend umher bei den Männern; ihn zwingt der äußerste Mangel.
Und die übrigen füllten ihm alle den Ranzen mit Gaben;
Er nur warf ihm am Hals auf die rechte Schulter den Schemel.
505
Also redete sie, umringt von dienenden Weibern,
Sitzend in ihrer Kammer. Nun aß der edle Odysseus;
Und sie berief zu sich den edlen Hirten, und sagte:
Eile schnell in den Saal, Eumäos, und heiße den Fremdling
Zu mir kommen. Ich möcht‘ ihn ein wenig sprechen und fragen:
510
Ob er etwa gehört von dem leidengeübten Odysseus,
Oder ihn selber gesehn; denn er scheint viel Länder zu kennen.
Ihr antwortetest du, Eumäos, Hüter der Schweine:
Schwiegen nur die Achaier, o Königin, drinnen im Saale,
Wahrlich er würde dein Herz durch seine Reden erfreuen!
515
Denn ich hatt‘ ihn bei mir drei Tag‘ und Nächt‘ in der Hütte,
Wo er zuerst ankam, nachdem er vom Schiffe geflohn war;
Und doch hat er mir nicht sein Leiden alles erzählet.
So aufmerksam ein Mann den gottbegeisterten Sänger
Anschaut, welcher die Menschen mit reizenden Liedern erfreuet;
520
Voller Begierde horcht die Versammlung seinem Gesange:
Eben so rührt‘ er mein Herz, da er bei mir saß in der Hütte.
Und er saget, er sei durch seinen Vater ein Gastfreund
Von Odysseus, und wohne in Kreta, Minos‘ Geburtsland;
Und von dannen komm‘ er nun hier, durch mancherlei Trübsal
525
Weiter und weiter gewälzt; auch hab‘ er gehört, daß Odysseus
Nahe bei uns im fetten Gebiet der thesprotischen Männer
Leb‘, und mit großem Gut heimkehre zu seinem Palaste.
Ihm antwortete drauf die kluge Penelopeia:
Geh, und ruf ihn hieher, damit er mir selber erzähle.
530
Jene mögen indes vor der Türe sitzen und scherzen,
Oder auch dort im Saale, da ihre Herzen vergnügt sind.
Denn ihr eigenes Gut liegt unversehrt in den Häusern,
Speise und süßer Wein, und nähret bloß das Gesinde.
Aber sie schalten von Tage zu Tag‘ in unserem Hause,
535
Schlachten unsere Rinder und Schaf‘ und gemästeten Ziegen
Für den üppigen Schmaus, und schweigen im funkelnden Weine
Ohne Scheu; und alles wird leer: denn es fehlt uns ein solcher
Mann, wie Odysseus war, die Plage vom Hause zu wenden.
Käm‘ Odysseus zurück in seine Heimat, er würde
540
Bald mit seinem Sohne den Frevel der Männer bestrafen!
Also sprach sie; da nieste Telemachos laut, und ringsum
Scholl vom Getöse der Saal. Da lächelte Penelopeia,
Wandte sich schnell zu Eumäos, und sprach die geflügelten Worte:
Gehe mir gleich in den Saal, Eumäos, und rufe den Fremdling!
545
Siehst du nicht, wie mein Sohn mir alle Worte beniest hat?
Ja nun werde der Tod das unvermeidliche Schicksal
Aller Freier, und keiner entfliehe dem blutigen Tode!
Eins verkünd‘ ich dir noch, bewahre dieses im Herzen:
Wann ich merke, daß jener mir lautere Wahrheit erzählet,
550
Will ich mit schönen Gewanden, mit Rock und Mantel, ihn kleiden.
Sprach’s; und der Sauhirt eilte, sobald er die Rede vernommen,
Trat vor Odysseus hin, und sprach die geflügelten Worte:
Fremder Vater, dich läßt die kluge Penelopeia
Rufen, Telemachos‘ Mutter; denn ihre Seele gebeut ihr,
555
Wegen des Mannes zu fragen, um den sie so herzlich betrübt ist.
Wann sie merkt, daß du ihr lautere Wahrheit erzählest,
Will sie mit Rock und Mantel dich kleiden, die du am meisten
Nötig hast. Denn Speise, den Hunger zu stillen, erlangst du
Leicht durch Betteln im Volk; es gebe dir jeder nach Willkür.
560
Ihm antwortete drauf der herrliche Dulder Odysseus:
Gern erzählt‘ ich nun gleich, Eumäos, die lautere Wahrheit
Vor Ikarios‘ Tochter, der klugen Penelopeia.
Denn viel weiß ich von ihm: wir duldeten gleiches Verhängnis.
Aber ich fürchte nur der bösen Freier Versammlung,
565
Deren Trotz und Gewalt den eisernen Himmel erreichet.
Denn jetzt eben, da jener mich warf, daß der Schmerz mich betäubte,
Mich, der kein Böses tat, und bittend im Saale herumging;
Hat mich Telemachos weder, noch irgend ein andrer verteidigt.
Sage denn Penelopeien, sie möcht‘ in ihren Gemächern
570
Harren, wie sehr sie verlangt, bis erst die Sonne gesunken.
Alsdann frage sie mich nach ihres Mannes Zurückkunft,
Nahe beim Feuer mich setzend; denn meine Kleider sind elend.
Dieses weißt du auch selbst; du warst mein erster Beschützer.
Sprach’s; und der Sauhirt eilte, sobald er die Rede vernommen.
575
Als er die Schwelle betrat, da fragte Penelopeia:
Bringst du ihn nicht, Eumäos, warum bedenkt sich der Fremdling?
Hält ihn etwa die Furcht vor Gewalttat, oder die Scham ab,
Durch den Palast zu gehn? Ein schamhafter Bettler ist elend!
Ihr antwortetest du, Eumäos, Hüter der Schweine:
580
Was er sagt, hat Grund; so würd‘ auch ein anderer denken,
Um den Trotz zu vermeiden der übermütigen Männer.
Darum bittet er, harre, bis erst die Sonne gesunken.
Auch für dich selber ist der Abend bequemer, o Fürstin,
Daß du den fremden Mann allein befragest und hörest.
585
Ihm antwortete drauf die kluge Penelopeia:
Wer der Fremdling auch sei, so denkt er nicht unvernünftig;
Denn an keinem Orte, den sterbliche Menschen bewohnen,
Üben trotzige Männer so ausgelassene Greuel!
Also redete sie. Drauf ging der treffliche Sauhirt
590
Zu der Freier Versammlung, da sein Gewerbe bestellt war;
Und er neigte das Haupt zu Telemachos, redete leise,
Daß es die andern nicht hörten, und sprach die geflügelten Worte:
Lieber, ich gehe nun weg, die Schwein‘ und das andre zu hüten,
Dein und mein Vermögen; du sorg‘ indessen für dieses.
595
Aber vor allen erhalte dich selbst, und siehe dich wohl vor,
Daß dir kein Böses geschehe: denn viele sinnen auf Unglück.
Doch Zeus rotte sie aus, bevor sie uns Schaden bereitet!
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Väterchen, also geschehe; doch warte bis gegen den Abend.
600
Morgen früh komm wieder, und bring‘ die gemästeten Opfer;
Für das übrige laß mich und die Unsterblichen sorgen.
Sprach’s; und der Sauhirt setzte sich auf den zierlichen Sessel.
Und nachdem er sein Herz mit Trank und Speise gesättigt,
Eilt‘ er zurück zu den Schweinen, den Hof des Hauses verlassend,
605
Wo die schwelgenden Freier sich schon beim Tanz und Gesange
Freuten; denn jetzo neigte der Tag sich gegen den Abend.

Sechzehnter Gesang

Sechzehnter Gesang

Ankunft des Telemachos in des Sauhirten Gehege. Während Eumäos der Königin die Botschaft bringt, entdeckt sich Odysseus dem Sohne, und verabredet der Freier Ermordung. An der Stadt landen Telemachos‘ Genossen, und drauf‘ seine Nachsteller, die ihn in Ithaka selbst zu ermorden beschließen. Des Sauhirten Rückkehr.

Frühe bereitete schon mit Odysseus der treffliche Sauhirt
In der Hütte das Mahl bei angezündetem Feuer,
Sandte darauf die Hirten mit ihren Schweinen zu Felde.
Und Telemachos kam; ihn umhüpften die wachsamen Hunde
5
Schmeichelnd, und bellten nicht. Der göttergleiche Odysseus
Sah die schmeichelnden Hund‘, und hörte des Kommenden Fußtritt;
Wandte sich schnell zu Eumäos, und sprach die geflügelten Worte:
Sicher, Eumäos, besucht dich einer von deinen Gesellen,
Oder auch sonst ein Bekannter; denn ihn umhüpfen die Hunde
10
Schmeichelnd, und bellen nicht; auch hör‘ ich des Kommenden Fußtritt.
Als er noch redete, siehe da stand an der Schwelle des Hauses
Sein geliebtester Sohn. Voll Schrecken erhub sich der Sauhirt;
Seinen Händen entsank das Geschirr, das er eben gebrauchte,

Funkelnden Wein zu mischen; er eilte dem Fürsten entgegen,
15
Küßte sein Angesicht, und beide glänzenden Augen,
Beide Hände dazu; und Tränen umflossen sein Antlitz.
Wie den geliebten Sohn ein gütiger Vater bewillkommt,
Ihn, der im zehnten Jahr‘ aus fernen Landen zurückkehrt,
Ach! den einzigen, spätgebornen, mit Kummer erzognen:
20
Also umarmte den schönen Telemachos jetzo der Sauhirt,
Und bedeckt‘ ihn mit Küssen, als wär‘ er vom Tod‘ erstanden.
Und lautweinend begann er, und sprach die geflügelten Worte:
Kommst du, Telemachos, kommst du, mein süßes Leben? Ich hoffte
Nimmer dich wiederzusehn, da du nach Pylos geschifft warst!
25
Komm doch herein, du trautes Kind; daß mein Herz sich erfreue
Deines Anblicks, du! der erst aus der Fremde zurückkommt!
Oft besuchst du ja nicht uns Hirtenleut‘ auf dem Felde,
Sondern bleibst in der Stadt; denn du findest ein eignes Vergnügen,
Stets den verwüstenden Schwarm der bösen Freier zu sehen!
30
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Väterchen, dieses geschehe; denn deinethalben nur komm‘ ich,
Um dich wieder mit Augen zu sehn, und von dir zu erfahren:
Ob die Mutter daheim noch weile; oder der andern
Einen zum Manne gewählt, und nun das Lager Odysseus,
35
Aller Betten beraubt, von Spinneweben entstellt sei?
Ihm antwortete drauf der männerbeherrschende Sauhirt:
Allerdings weilt jene mit treuer duldender Seele
Noch in deinem Palast; und immer schwinden in Jammer
Ihre Tage dahin, und unter Tränen die Nächte!
40
Also sprach er, und nahm ihm die eherne Lanze, da jener
Über die steinerne Schwell‘ in seine Kammer hineintrat.
Vor dem Kommenden wich sein Vater Odysseus vom Sitze;
Aber Telemachos hielt ihn, und sprach mit freundlicher Stimme:
Fremder Mann, bleib sitzen; wir finden in unserer Wohnung
45
Wohl noch anderswo Platz; der Mann hier wird mich schon setzen!
Sprach’s; und Odysseus kam und setzte sich. Aber der Sauhirt
Breitete grüne Zweige für jenen, und drüber ein Geißfell;
Hierauf setzte sich dann der geliebte Sohn von Odysseus.
Und nun tischte vor ihnen der Sauhirt Schüsseln gebratnes
50
Fleisches auf, die sie letzt von der Mahlzeit übrig gelassen;
Eilte hinweg, und brachte gehäufte Körbe mit Kuchen,
Mischte dann süßen Wein im großen hölzernen Becher;
Hierauf setzt‘ er sich gegen den göttergleichen Odysseus.
Und sie erhoben die Hände zum leckerbereiteten Mahle.
55
Jetzo war die Begierde des Tranks und der Speise gestillet;
Und Telemachos sprach zu dem edlen Hüter der Schweine:
Vater, woher kam dieser Gast? Wie brachten die Schiffer
Ihn nach Ithaka her? Was rühmen sich jene für Leute?
Denn unmöglich ist er doch hier zu Fuße gekommen!
60
Ihm antwortetest du, Eumäos, Hüter der Schweine:
Dieses will ich dir, Sohn, und nach der Wahrheit erzählen.
Aus dem weiten Gefilde von Kreta stammet der Fremdling;
Viele Städte, sagt er, der Sterblichen sei er durchwandert,
Seit ihn der Himmlischen einer, die Welt zu durchflüchten, verurteilt.
65
Jetzo entrann er vom Schiffe thesprotischer Männer, und eilte
Her in mein Hirtengeheg‘. Ich geb‘ ihn dir in die Hände:
Tue mit ihm, wie du willst; denn deiner Gnade vertraut er.
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Was du mir jetzo gesagt, Eumäos, kümmert mich herzlich!
70
Denn wie kann ich den Fremdling in meinem Hause bewirten?
Sieh, ich selber bin jung, und Stärke fehlet den Händen,
Abzuwehren den Mann, der ihn zu beleidigen wagte.
Aber der Mutter Herz wankt zwischen beiden Entschlüssen,
Ob sie noch weile bei mir, und meine Güter bewahre,
75
Scheuend das Lager des Ehegemahls, und die Stimme des Volkes;
Oder jetzt von den Freiern im Hause den tapfersten Jüngling,
Welcher das meiste geschenkt, zu ihrem Bräutigam wähle.
Aber da dieser Fremdling zu deiner Hütte geflohn ist,
Will ich mit schönen Gewanden, mit Rock und Mantel, ihn kleiden,
80
Ein zweischneidiges Schwert und tüchtige Sohlen ihm schenken,
Und ihn senden, wohin es seinem Herzen gelüstet.
Wenn du willst, so behalt‘ du und pfleg‘ ihn hier in der Hütte.
Ich will Kleider hieher und allerlei Speise zum Essen
Senden, daß er nicht dich und deine Freunde beschwere.
85
Aber dort gestatt‘ ich ihm nicht in der Freier Gesellschaft
Hinzugehn; sie schalten mit zu unbändiger Frechheit:
Daß sie ihn nicht verhöhnen! Es würde mich äußerst betrüben!
Und ein einzelner Mann kann gegen mehrere wenig,
Sei er auch noch so stark; sie behalten immer den Vorrang!
90
Ihm antwortete drauf der herrliche Dulder Odysseus:
Lieber, erlaubst du mir, auch meine Gedanken zu sagen?
Wahrlich mir blutet das Herz vor Mitleid, wenn ich es höre,
Wie unbändig und frech in deinem Hause die Freier
Unfug treiben, und dein, solch eines Jünglings! nicht achten.
95
Sprich: erträgst du das Joch freiwillig; oder verabscheun
Dich die Völker des Landes, gewarnt durch göttlichen Ausspruch;
Oder liegt die Schuld an den Brüdern, welchen ein Streiter
Sonst in der Schlacht vertraut, auch wann sie am hitzigsten wütet?
Wollten die Götter, ich wäre so jung mit dieser Gesinnung,
100
Oder ein Sohn von Odysseus, dem Herrlichen! oder er selber…
Kehrete heim der Verirrte; denn noch ist Hoffnung zur Heimkehr:
Siehe so sollte mein Feind das Haupt von der Schulter mir abhaun,
Wenn ich nicht zum Verderben der ganzen Räubergesellschaft
Eilt‘ in den hohen Palast des Laertiaden Odysseus!
105
Und wenn ich Einzelner auch von der Menge würde besieget;
O so wollt‘ ich doch lieber in meinem Hause des Todes
Sterben, als immerfort den Greul der Verwüstungen ansehn:
Wie sie die Fremdlinge dort mißhandeln, die Mägde des Hauses
Zur abscheulichen Lust in den prächtigen Kammern umherziehn,
110
Allen Wein ausleeren, und alle Speise verprassen,
Frech, ohne Maß, ohne Ziel, mit unersättlicher Raubgier!
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Dieses will ich dir, Fremdling, und nach der Wahrheit erzählen.
Weder das ganze Volk verabscheut oder verfolgt mich;
115
Noch liegt etwa die Schuld an den Brüdern, welchen ein Streiter
Sonst in der Schlacht vertraut, auch wann sie am hitzigsten wütet.
Denn nur einzeln pflanzte Kronion unser Geschlecht fort:
Von Arkeisios war der einzige Erbe Laertes;
Und von Laertes war’s nur Odysseus; aber Odysseus
120
Zeugte nur mich, den er noch ungenossen daheim ließ!
Diesem erfüllen anitzt unzählige Feinde die Wohnung.
Alle Fürsten, so viel in diesen Inseln gebieten,
Samä, Dulichion, und der waldbewachs’nen Zakynthos,
Und so viele hier in der felsichten Ithaka herrschen;
125
Alle werben um meine Mutter, und zehren das Gut auf.
Aber die Mutter kann die aufgedrungne Vermählung
Nicht ausschlagen, und nicht vollziehn. Nun verprassen die Schwelger
All mein Gut, und werden in kurzem mich selber zerreißen!
Aber dieses ruhet im Schoße der seligen Götter.
130
Väterchen, eile du schnell zu der klugen Penelopeia;
Sag‘ ihr, daß ich gesund aus Pylos wieder zurückkam.
Ich will indes hier bleiben, bis du heimkehrest. Doch bring‘ ihr
Ja die Botschaft allein, und keiner der andern Achaier
Höre dich; denn es trachten mir viele das Leben zu rauben!
135
Ihm antwortetest du, Eumäos, Hüter der Schweine:
Gut, ich verstehe dich schon; das sind auch meine Gedanken.
Aber verkündige mir, und sage die lautere Wahrheit:
Soll ich auf diesem Weg‘ auch dem armen Laertes die Botschaft
Bringen? welcher bisher, aus Gram um seinen Odysseus,
140
Selber das Land bestellte; doch stets mit den Knechten des Hauses
Aß und trank, so oft die Begierde des Herzens ihn antrieb.
Aber seit du von hinnen zur göttlichen Pylos geschifft warst,
Sagt man, hab‘ er nicht mehr gegessen oder getrunken,
Noch auf die Wirtschaft gesehn; in unaufhörlicher Schwermut
145
Sitzt er, und härmt sich ab, daß die Haut an den Knochen verdorret.
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Traurig! doch müssen wir jetzo in seinem Kummer ihn lassen.
Denn wenn alles sogleich, wie es Sterbliche wünschen, geschehe;
Wahrlich so wünschten wir vor allem des Vaters Zurückkunft!
150
Aber kehre zurück, sobald du’s verkündet, und schweife
Nicht auf dem Lande herum zu jenem. Doch sage der Mutter,
Daß sie eilend zu ihm die treue Schaffnerin heimlich
Sende; sie kann es ja auch dem alten Greise verkünden.
Also sprach er, und trieb ihn. Der Sauhirt langte die Sohlen,
155
Band sie unter die Füß‘, und eilete. Aber Athene
Ward des Hirten gewahr, der aus dem Gehege zur Stadt ging,
Und sie nahete sich, und schien nun plötzlich ein Mädchen,
Schöngebildet und groß und klug in künstlicher Arbeit,
Stand an der Türe des Hofs, und erschien dem edlen Odysseus.
160
Aber Telemachos sah und merkte nichts von der Göttin;
Denn nicht allen sichtbar erscheinen die seligen Götter:
Nur die Hunde sahn sie, und bellten nicht, sondern entflohen
Winselnd und zitternd vor ihr nach der andern Seite des Hofes.
Und sie winkte; den Wink verstand der edle Odysseus,
165
Ging aus der Hütte hinaus vor die hohe Mauer des Hofes,
Stellete sich vor die Göttin; da sagte Pallas Athene:
Edler Laertiad‘, erfindungsreicher Odysseus,
Rede mit deinem Sohn, und gib dich ihm zu erkennen;
Daß ihr beide, den Freiern ein blutiges Ende bereitend,
170
Zu der berühmten Stadt der Ithaker wandelt. Ich selber
Werd‘ euch nicht lange verlassen; mich drängt die Begierde des Kampfes.
Also sprach die Göttin, und rührt‘ ihn mit goldener Rute.
Plötzlich umhüllte der schöngewaschene Mantel und Leibrock
Wieder Odysseus‘ Brust, und Hoheit schmückt‘ ihn und Jugend;
175
Brauner ward des Helden Gestalt, und voller die Wangen;
Und sein silberner Bart zerfloß in finstere Locken.
Hierauf eilte die Göttin von dannen. Aber Odysseus
Ging zurück in die Hütte: mit Staunen erblickte der Sohn ihn,
Wandte die Augen hinweg, und fürchtete, daß er ein Gott sei;
180
Und er redet‘ ihn an, und sprach die geflügelten Worte:
Anders erscheinst du mir jetzt, o Fremdling, als vormals, auch hast du
Andere Kleider an; die ganze Gestalt ist verwandelt!
Wahrlich du bist ein Gott, des weiten Himmels Bewohner!
Sei uns gnädig! Wir wollen auch liebliche Opfer dir bringen,
185
Und Geschenke von köstlichem Gold! Erbarme dich unser!
Ihm antwortete drauf der herrliche Dulder Odysseus:
Wahrlich ich bin kein Gott, und keinem Unsterblichen ähnlich;
Sondern ich bin dein Vater, um den du so herzlich dich grämest,
Und so viele Schmach von trotzigen Männern erduldest.
190
Also sprach er, und küßte den Sohn; und über die Wange
Stürzten die Tränen zur Erde, die lange verhaltenen Tränen.
Aber Telemachos stand noch staunend, und konnte nicht glauben,
Daß es sein Vater sei; und nun antwortet‘ er also:
Nein! du bist nicht mein Vater Odysseus; sondern ein Dämon
195
Täuscht mich, daß ich noch mehr mein großes Elend beseufze.
Denn kein sterblicher Mann vermochte mit seinem Verstande,
Solch ein Wunder zu tun; ihm hülfe denn einer der Götter,
Welcher leicht, wie er will, zu Greisen und Jünglingen umschafft!
Siehe nur eben warst du ein Greis, und häßlich bekleidet;
200
Jetzo den Göttern gleich, die den weiten Himmel bewohnen!
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Deinen geliebten Vater, Telemachos, welcher nun heimkehrt,
Mußt du nicht allzusehr anstaunen oder bewundern!
Wahrlich in Ithaka kommt hinfort kein andrer Odysseus,
205
Sondern ich bin der Mann, der nach vielem Jammer und Elend
Endlich im zwanzigsten Jahr in seine Heimat zurückkehrt.
Aber dies ist das Werk der siegenden Göttin Athene,
Welche mich, wie sie will, verwandelt; denn sie vermag es!
Darum erschein‘ ich jetzo zerlumpt wie ein Bettler, und jetzo
210
Wieder in Jünglingsgestalt, mit schönen Gewanden bekleidet.
Denn leicht können die Götter, des weiten Himmels Bewohner,
Jeden sterblichen Mann erniedrigen oder erhöhen.
Also sprach er, und setzte sich hin. Da umarmte der Jüngling
Seinen herrlichen Vater mit Inbrunst, bitterlich weinend.
215
Und in beiden erhob sich ein süßes Verlangen zu trauren.
Ach! sie weineten laut, und klagender noch, als Vögel,
Als scharfklauichte Geier und Habichte, welchen der Landmann
Ihre Jungen geraubt, bevor sie flügge geworden:
So zum Erbarmen weinten sie beide Tränen der Wehmut.
220
Über der Klage wäre die Sonne niedergesunken,
Hätte Telemachos nicht zu seinem Vater geredet:
Und in welcherlei Schiffe, mein Vater, brachten die Schiffer
Dich nach Ithaka her? Was rühmen sich jene für Leute?
Denn unmöglich bist du doch hier zu Fuße gekommen!
225
Ihm antwortete drauf der herrliche Dulder Odysseus:
Dieses will ich dir, Sohn, und nach der Wahrheit erzählen.
Siehe mich brachte das Schiff der segelberühmten Phäaken,
Welche jeden geleiten, der kommt und um Hilfe sie anfleht.
Diese brachten im Schlafe mich über die Wogen, und setzten
230
Mich in Ithaka aus, und gaben mir teure Geschenke,
Erzes und Goldes die Meng‘, und schöngewebete Kleider.
Dieses liegt, nach dem Willen der Götter, in Höhlen verborgen.
Aber ich kam hieher auf Befehl der hohen Athene,
Daß wir uns über den Tod der Feindlichgesinnten beraten.
235
Auf denn, verkündige mir die Zahl der trotzigen Freier:
Daß ich wisse, wie viel‘ und was für Leute so trotzen.
Denn ich muß zuvor in meiner unsträflichen Seele
Überlegen: ob wir allein, ohn‘ andere Freunde,
Streiten können; oder ob’s nötig sei, Hilfe zu suchen.
240
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Vater, ich habe viel von dem großen Ruhme gehöret
Deines Mutes im Kampf, und deiner Weisheit im Rate,
Aber du sprachst zu kühn! Ich erstaune! Wie wär‘ es doch möglich
Daß zween Männer allein so viele Starke bekämpften?
245
Siehe der Freier sind nicht zehn nur, oder nur zwanzig;
Sondern bei weitem mehr! Berechne du selber die Menge:
Aus Dulichions Fluren sind zweiundfünfzig erlesne
Mutige Jünglinge hier, von sechs Aufwärtern begleitet;
Aus der bergichten Samä sind vierundzwanzig in allem;
250
Aus Zakynthos Gefilden sind zwanzig achaiische Fürsten;
Und aus Ithaka selbst sind zwölfe der tapfersten Männer.
Diesen großen Haufen begleitet Medon der Herold,
Und der göttliche Sänger, und zween erfahrene Köche.
Wollten wir diesen allen im Hause begegnen; du möchtest
255
Traurig und schreckenvoll die Strafe der Trotzigen enden.
Überlege vielmehr, ob du noch andere Freunde
Finden kannst, die uns mit freudigem Mute beschützen.
Ihm antwortete drauf der herrliche Dulder Odysseus:
Nun ich verkündige dir, merk auf, und höre die Worte!
260
Denke nach: wird uns Athene und Vater Kronion
Gnügen; oder ist’s nötig, noch andere Hilfe zu suchen?
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Wahrlich mächtige Helfer sind jene, welche du nennest!
Denn sie sitzen hoch in den Wolken, und herrschen mit Allmacht
265
Über die Menschen auf Erden, und alle unsterblichen Götter.
Ihm antwortete drauf der herrliche Dulder Odysseus:
Diese werden gewiß in der schrecklichen Stunde des Kampfes
Uns nicht lange verlassen, wann nun in meinem Palaste
Zwischen den Freiern und uns die Gewalt des Krieges entscheidet.
270
Aber gehe du jetzo, sobald der Morgen sich rötet,
Heim, und bleib‘ in dem Schwarm der übermütigen Freier.
Dorthin folg‘ ich dir bald, geführt von dem Hirten Eumäos,
Und wie ein mühebeladner bejahrter Bettler gestaltet.
Werden mich dann im Hause die Freier beschimpfen, so dulde
275
Standhaft dein Herz im Busen, wie sehr ich beleidiget werde!
Schleppten sie auch bei den Füßen mich durch den Saal vor die Haustür,
Oder würfen nach mir; du mußt geduldig es ansehn!
Freilich kannst du sie wohl mit freundlichen Worten ermahnen,
Ihr ruchloses Verfahren zu mäßigen; aber sie werden
280
Dich nicht hören: denn schon naht ihnen der Tag des Verderbens!
Noch verkünd‘ ich dir dieses, bewahr‘ es im innersten Herzen:
Wann die Göttin des Rats Athene mir es gebietet;
Siehe dann werd‘ ich dir mit dem Haupte winken. So bald du
Dieses siehst, darin nimm aus dem Saale die Waffen des Krieges,
285
Und verwahre sie alle im Winkel des oberen Söllers.
Aber erkundigen sich die Freier, wo sie geblieben;
Dann besänftige sie mit guten Worten: Ich trug sie
Aus dem Rauche hinweg; denn sie sehen den alten nicht ähnlich,
Wie sie Odysseus einst, gen Troja schiffend, zurückließ!
290
Sondern sind ganz entstellt von dem rußichten Dampfe des Feuers.
Und noch ein größeres gab Kronion mir zu bedenken:
Daß ihr nicht etwa im Rausch euch zankt, und einander verwundet,
Und die Freuden des Mahls und die Liebe zu Penelopeia
Blutig entweiht! denn selbst das Eisen ziehet den Mann an! –
295
Aber uns beiden laß zwei Schwerter unten im Saale
Und zween Speere zurück, und zween stierlederne Schilde;
Daß wir beim Überfall sie ergreifen. Jene wird sicher
Pallas Athene verblenden, und Zeus‘ allwaltende Vorsicht!
Noch verkünd‘ ich dir dieses, bewahr‘ es im innersten Herzen:
300
Bist du wirklich mein Sohn, und unsers edlen Geblütes;
So erfahre von dir kein Mensch, daß Odysseus daheim sei;
Nicht Laertes einmal darf’s wissen, oder der Sauhirt,
Keiner auch von dem Gesinde, ja selbst nicht Penelopeia;
Sondern nur ich und du; damit wir der Weiber Gesinnung
305
Prüfen, auch unsere Knechte zugleich ein wenig erforschen,
Wo man uns beide noch mit treuem Herzen verehret,
Oder wer untreu ward, und deine Ehre dir weigert.
Und sein trefflicher Sohn Telemachos sagte dagegen:
Vater, ich hoffe, du sollst mein Herz hinfüro noch näher
310
Kennen lernen; ich hin nicht unvorsichtig und sorglos!
Aber ich glaube doch nicht, daß diese Prüfung uns beiden
Auch im mindesten nütze. Denn überlege nur selber:
Lange gingst du umher, wenn du die Werke der Männer
Nahe belauschen wolltest; indes verschwelgen die andern
315
Ruhig in deinem Palast und ohne Scheu dein Vermögen.
Zwar der Weiber Gesinnung zu prüfen, rat‘ ich dir selber:
Wer dich im Hause verachtet, und wer unsträflich geblieben.
Aber daß wir die Männer auf allen Höfen erforschen,
Dieses wünscht‘ ich nicht; verspar‘ es lieber auf künftig,
320
Wenn du wirklich ein Zeichen vom großen Kronion gesehn hast.
Also besprachen diese sich jetzo untereinander.
Aber Telemachos‘ Freunde, die ihn von Pylos geleitet,
Steurten nach Ithakas Stadt mit dem schöngezimmerten Schiffe.
Als sie jetzo die Bucht des tiefen Hafens erreichten,
325
Zogen sie eilend das schwärzliche Schiff ans hohe Gestade;
Ihre Geräte trugen die stolzen Diener von dannen.
Und sie brachten in Klytios‘ Haus die schönen Geschenke,
Sandten dann einen Herold voran zu des edlen Odysseus‘
Hause, um Botschaft zu bringen der klugen Penelopeia,
330
Daß ihr Sohn auf dem Lande sei, und dem Schiffe befohlen,
Nach der Stadt zu fahren: damit vor Kummer des Herzens
Nicht die hohe Fürstin ihr Antlitz mit Tränen benetzte.
Diesem begegnete jetzo der edle Hüter der Schweine;
Beide gingen, der Mutter die selbige Botschaft zu bringen.
335
Als sie jetzo ins Haus des göttlichen Königes kamen,
Hub der Herold an vor allen Mägden, und sagte:
Fürstin, dein lieber Sohn ist jetzo wieder gekommen!
Aber der Sauhirt trat zu Penelopeia, und sagte
Alles, was ihm ihr Sohn befohlen hatte zu sagen.
340
Und nachdem er der Fürstin Telemachos‘ Worte verkündigt,
Eilt‘ er zurück zu den Schweinen, den Hof des Hauses verlassend.
Aber die Freier wurden bestürzt und niedergeschlagen;
Und sie gingen hinaus vor die hohe Mauer des Hofes,
Allda setzten sie sich ratschlagend nieder am Tore.
345
Und des Polybos‘ Sohn Eurymachos sprach zur Versammlung:
Lieben, ein großes Werk hat Telemachos kühnlich vollendet,
Diese Reise! Wir dachten, er würde sie nimmer vollenden!
Aber wohlan, man ziehe das beste der schwärzlichen Schiffe
In das Meer, und rüst‘ es mit Ruderern, daß sie den andern
350
Schnell die Botschaft verkünden, um eilig wiederzukehren.
Also sprach er; und siehe Amphinomes wandte sein Antlitz
Gegen den tiefen Hafen, und sahe das Schiff in der Mündung,
Sahe die Segel gesenkt, und die Ruder in eilenden Händen;
Und mit herzlicher Lache begann er zu seinen Gesellen:
355
Keiner ferneren Botschaft bedarf es; sie sind schon zu Hause!
Ihnen verkündete dieses ein Himmlischer; oder sie selber
Sahn das segelnde Schiff, und vermochten es nicht zu erreichen!
Sprach’s; da erhuben sie sich, und gingen zum Ufer des Meeres,
Zogen dann eilend das schwärzliche Schiff ans hohe Gestade;
360
Ihre Geräte trugen die stolzen Diener zu Hause.
Aber sie selber eilten zum Markt; und keinen der andern
Ließen sie unter sich sitzen, der Jünglinge oder der Greise.
Und Eupeithes‘ Sohn Antinoos sprach zur Versammlung:
Wunder! wie haben die Götter doch den vom Verderben errettet!
365
Tages stellten wir Späher umher auf die luftigen Höhen,
Immer andre nach andern; und wann die Sonne sich senkte,
Ruhten wir nimmer die Nacht auf dem Lande, sondern im Meere
Kreuzten wir mit dem Schiff, und harrten der heiligen Frühe,
Auf Telemachos laurend, damit wir ihn fingen und heimlich
370
Töteten. Aber ihn führte der Himmlischen einer zu Hause!
Nun so wollen wir hier auf den Tod des Telemachos sinnen!
Laßt ihn ja nicht entfliehn! Denn ich fürchte, so lange der Jüngling
Lebt, wir werden nimmer zu unserem Zwecke gelangen.
Denn er selber kennt schon alle Künste der Klugheit,
375
Und die Völker sind uns nicht mehr so gänzlich gewogen.
Aber wohlan, bevor er zur allgemeinen Versammlung
Rufe das Volk der Achaier; denn säumen wird er gewiß nicht,
Sondern im heftigen Zorn aufstehn, und allen verkünden,
Wie wir ihn zu ermorden gesucht, und wie er entflohn sei.
380
Diese werden die Tat nicht loben, wann sie ihn hören;
Ja sie könnten uns gar mißhandeln, und aus dem Lande
Unserer Väter uns alle zu fremden Völkern verjagen.
Darum laßt uns zuvor ihn töten, fern auf dem Lande,
Oder auch auf dem Wege! Die Güter behalten wir selber,
385
Alles unter uns teilend nach Billigkeit; aber die Häuser
Geben wir seiner Mutter, und wen sie zum Bräutigam wählet.
Mißfällt aber mein Rat der Versammlung, und wünschet ihr lieber,
Daß Telemachos leb‘, und des Vaters Erbe behalte;
Nun so laßt uns nicht länger in solcher großen Versammlung
390
Seine köstlichen Schätze verprassen; sondern es werbe
Jeder außer dem Hause mit Brautgeschenken; sie aber
Wähle den Mann, der am meisten ihr schenkt, und dem sie beschert ist.
Also sprach er; und alle verstummten umher, und schwiegen.
Endlich erhub sich und sprach Amphinomos vor der Versammlung,
395
Nisos‘ rühmlicher Sohn, des aretiadischen Königs;
Der aus des weizenreichen Dulichions grünen Gefilden
War der erste der Freier, und dessen Rede der Fürstin
Noch am meisten gefiel; denn edel war seine Gesinnung:
Dieser erhub sich, und sprach wohlmeinend zu der Versammlung:
400
Lieben, ich wünschte nicht, daß wir Telemachos heimlich
Töteten; fürchterlich ist es, ein Königsgeschlecht zu ermorden!
Aber laßt uns zuvor der Götter Willen erforschen.
Wann der ewige Rat des großen Kronions es billigt,
Dann ermord‘ ich ihn selber, und rat‘ es jedem der andern:
405
Aber verbieten es uns die Götter, dann rat‘ ich zu ruhen.
Also sprach er, und allen gefiel Amphinomos‘ Rede.
Schnell erhuben sie sich, und gingen zur Wohnung Odysseus‘,
Kamen, und setzten sich nieder auf schöngebildete Throne.
Aber jetzo beschloß die kluge Penelopeia,
410
Sich zu zeigen den Freiern voll übermütiger Bosheit.
Denn sie vernahm des Sohnes Gefahr in ihren Gemächern;
Medon der Herold entdeckte sie ihr, der die Freier belauschet.
Und sie ging zu dem Saale, von ihren Mägden begleitet.
Als das göttliche Weib die Freier jetzo erreichte,
415
Stand sie still an der Schwelle des schönen gewölbeten Saales;
Ihre Wangen umwallte der feine Schleier des Hauptes.
Und sie redet‘ Antinoos an mit scheltenden Worten:
Tückischer frecher Empörer Antinoos, nennen doch alle
Dich in Ithakas Volke den besten deiner Gespielen
420
An Verstand und Reden; allein du warest es nimmer!
Rasender, sprich, was suchst du Telemachos‘ Tod und Verderben;
Und verachtest die Stimme der Leidenden, deren Kronion
Waltet? Es ist ja Sünde, das Unglück andrer zu suchen!
Weißt du nicht mehr, wie einst dein Vater flehend zu uns kam,
425
Von dem Volke geschreckt? Denn sie waren heftig erbittert,
Weil er die Räuberschiffe der Taphier hatte begleitet,
Und die Thesproten beraubt, die Genossen unseres Bundes.
Töten wollten sie ihn, und sein Herz dem Busen entreißen,
Und ausplündern den reichen Palast voll köstlicher Güter;
430
Aber Odysseus hielt sie zurück, und stillte den Aufruhr.
Und nun entehrst du sein Haus durch Schwelgen, wirbst um die Gattin,
Tötest sein einziges Kind, und meine Seele betrübst du.
Aber ich rate dir jetzt, halt ein, und zähme die andern!
Aber Polybos‘ Sohn Eurymachos sagte dagegen:
435
O Ikarios Tochter, du kluge Penelopeia,
Sei getrost, und laß dich diese Gedanken nicht kümmern!
Wahrlich er lebt nicht der Mann, und wird nicht leben noch aufstehn,
Welcher an deinen Sohn Telemachos Hand anlege,
Nimmer, so lang‘ ich leb‘, und mein Auge die Erde noch schauet!
440
Denn ich sage hier frei, und werd‘ es wahrlich erfüllen:
Schnell wird sein schwarzes Blut an meiner Lanze herunter
Triefen! Auch mir hat oft der Städteverwüster Odysseus,
Sitzend auf seinem Schoß, ein Stück gebratenes Fleisches
In die Hände gegeben, und roten Wein mir gereichet.
445
Drum ist Telemachos mir von allen Menschen der liebste;
Und ich sag‘ es, er soll sich durchaus vor dem Tode nicht fürchten,
Von den Freiern: allein von Gott ist er unvermeidlich!
Also sprach er ihr zu, und dacht‘ ihn selbst zu ermorden.
Jene stieg hinauf in den prächtigen Söller, und weinte
450
Ihren trauten Gemahl Odysseus, bis ihr Athene
Sanft mit süßem Schlummer die Augenlider bedeckte.
Abends kam zu Odysseus und seinem Sohne der Sauhirt.
Diese standen jetzt, und bereiteten emsig die Mahlzeit,
Da sie ein jähriges Schwein geopfert. Aber Athene
455
Hatte zuvor sich genaht dem Laertiaden Odysseus,
Ihn mit der Rute gerührt, und wieder zum Greise verwandelt,
Und mit schmutzigen Lumpen bekleidet: daß ihn der Sauhirt
Nicht erkennte, und dann mit überwallendem Herzen
Liefe, die Botschaft zu bringen der keuschen Penelopeia.
460
Und Telemachos rief dem kommenden Hirten entgegen:
Kommst du, edler Eumäos? Was hört man in Ithaka Neues?
Ob wohl die mutigen Freier vom Hinterhalte zurück sind,
Oder ob sie noch immer auf mich Heimkehrenden lauren?
Ihm antwortetest du, Eumäos, Hüter der Schweine:
465
Hierum hab‘ ich mich nicht bekümmert, die Stadt zu durchwandern,
Und die Leute zu fragen; es lag mir näher am Herzen,
Da ich die Botschaft gebracht, aufs Eiligste wiederzukehren.
Doch begegnete mir von deinen Gefährten ein Herold,
Der auch deiner Mutter zuerst die Botschaft verkündet.
470
Noch ein anderes weiß ich, das sah ich selber mit Augen.
Diesseits über der Stadt, dicht an dem hermeiischen Hügel,
War ich bereits gekommen; da sah ich in unserem Hafen
Landen ein hurtiges Schiff, mit vielen Männern gerüstet,
Und mit Schilden beschwert und langen doppelten Lanzen.
475
Und ich meinte, sie waren’s; allein ich weiß es nicht sicher.
Also sprach er; da blickte Telemachos‘ heilige Stärke
Lächelnd den Vater an, doch unbemerkt von Eumäos.
Als sie die Arbeit jetzo vollbracht, und die Speise bereitet,
Teilten sie alles gleich, und labten ihr Herz an dem Mahle.
480
Und nachdem die Begierde des Tranks und der Speise gestillt war,
Legten sie sich zur Ruh, und genossen die Gabe des Schlafes.

Fünfzehnter Gesang

Fünfzehnter Gesang

Telemachos, dem Athene die Heimkehr befiehlt und sichert, eilt von Menelaos grade zum Schiffe; nimmt den Wahrsager Theoklymenos auf und vermeidet die nachstellenden Freier durch einen Umweg zu den spitzigen Inseln. Des Sauhirten Eumäos‘ Gespräch mit Odysseus beim Abendessen, und Erzählung, wie ihn, eines sikanischen Königes Sohn aus der Insel Syria bei Ortygia, entführende Phöniker dem Laertes verkauft. Telemachos in der Frühe jenseits anlandend, läßt sein Schiff nach der Stadt herumfahren, und geht zu
Eumäos.

Pallas Athene ging zu der großen Stadt Lakedämon,
Daß sie den rühmlichen Sohn des hochgesinnten Odysseus
Reizte, des Vaterlands zu gedenken, und wiederzukehren.
Und Telemachos lag mit Nestors blühendem Sohne
5
Ruhend vor dem Palast Menelaos‘ des Ehregekrönten.
Nestors blühender Sohn lag sanft vom Schlummer gefesselt;
Aber Telemachos floh der süße Schlummer; er wachte
Durch die ambrosische Nacht, um den Vater herzlich bekümmert.
Vor ihn stellte sich Zeus‘ blauäugichte Tochter, und sagte:
10
Länger ziemt es sich nicht, Telemachos, ferne zu irren,
Da du alle dein Gut, und so übermütige Männer
In dem Palaste verließest; damit sie nicht alles verzehren,
Deine Habe sich teilend, und fruchtlos ende die Reise!
Auf! erinnere gleich den Rufer im Streit Menelaos,
15
Heim dich zu senden, damit du die treffliche Mutter noch findest.
Denn schon wird sie vom Vater und ihren Brüdern gedränget,
Daß sie Eurymachos nehme; denn dieser schenkte das meiste
Unter den Freiern, und beut die reichste Bräutigamsgabe.
Und man könnte dir leicht, ohn‘ deinen Dank, aus dem Hause
20
Manches Gut mitnehmen; du kennst ja des Weibes Gesinnung!
Immer sucht sie den Mann, der ihr beiwohnt, zu bereichern;
Aber die vorigen Kinder und ihrer Jugend Geliebten
Kennt sie nicht mehr, da er starb, und fraget nimmer nach ihnen.
Darum eile nun heim, und vertraue selber die Güter
25
Einer Dienerin an, die dir am tüchtigsten scheinet,
Bis die himmlischen Götter ein edles Weib dir verleihen.
Noch ein andres verkünd‘ ich dir jetzt, bewahr‘ es im Herzen!
Wachsam lauern auf dich die Tapfersten unter den Freiern,
In dem Sunde, der Ithaka trennt und die bergichte Samos,
30
Daß sie dich töten, bevor du die Heimat wieder erreichest.
Aber ich hoffe das nicht! Erst deckt die Erde noch manchen
Von der Rotte der Freier, die deine Habe verzehren.
Steure dein rüstiges Schiff, Telemachos, fern von den Inseln;
Fahr auch nur in der Nacht! Dir wird der Unsterblichen einer
35
Günstigen Wind nachsenden, der dich behütet und schützet.
Wenn du das nächste Gestade von Ithaka jetzo erreicht hast,
Siehe dann sende zur Stadt das Schiff und alle Gefährten,
Und du gehe zuerst dorthin, wo der treffliche Sauhirt
Deiner Schweine hütet, der stets mit Eifer dir anhängt.
40
Allda bleibe die Nacht, und sende jenen zur Stadt hin,
Um die Botschaft zu bringen der klugen Penelopeia,
Daß du gesund und wohl von Pylos wieder zurückkamst.
Also sprach die Göttin, und eilte zum großen Olympos.
Und Telemachos weckte den Nestoriden vom Schlummer,
45
Ihn mit der Ferse berührend, und sprach zu dem blühenden Jüngling:
Nestors Sohn, wach‘ auf, Peisistratos; spann‘ an den Wagen
Hurtig die stampfenden Rosse, damit wir die Reise vollenden.
Und der Nestoride Peisistratos gab ihm zur Antwort:
Ganz unmöglich, Telemachos, wär‘ es, wie sehr wir auch eilten:
50
Diese düstere Nacht zu durchfahren! Und bald ist es Morgen;
Darum warte, bis uns mit Geschenken den Wagen belade
Atreus‘ edler Sohn, der kriegrische Held Menelaos,
Und mit gefälligen Worten uns freundlich von sich entlasse.
Denn es erinnert sich ein Gast zeitlebens des Mannes,
55
Welcher in fernem Lande mit Lieb‘ und Freundschaft ihn aufnahm.
Also sprach er; da kam die goldenthronende Eos.
Jetzo nahte sich ihnen der Rufer im Streit Menelaos,
Seiner Helena Lager, der schöngelockten, verlassend.
Als der geliebte Sohn von Odysseus diesen bemerkte,
60
Hüllte sich eilend der Held in den feinen prächtigen Leibrock,
Warf den großen Mantel sich über die rüstigen Schultern,
Ging dann hinaus, und trat zu Menelaos, und sagte:
Atreus‘ göttlicher Sohn, Menelaos, Führer der Völker,
Laß mich jetzo von dir ins liebe Vaterland ziehen;
65
Denn von ganzem Herzen begehr‘ ich jetzo der Heimkehr.
Ihm antwortete drauf der Rufer im Streit Menelaos:
Ferne sei es von mir, Telemachos, dich zu verweilen,
Wenn du nach Hause dich sehnst! Ich tadle selber den Gastfreund,
Dessen Höflichkeit uns und überzärtliche Freundschaft
70
Plagende Feindschaft wird. Das Beste bei allem ist Ordnung!
Traun! gleich arg sind beide: Wer seinem zögernden Gaste
Heimzukehren gebeut, und wer den Eilenden aufhält.
Bleibt er, so pflege des Gastes; und will er gehen, so laß ihn!
Aber warte, bis ich ein schönes Geschenk auf den Wagen
75
Leg‘, und du selber es sehest; und meinen Weibern befehle,
Dir von des Hauses Kost ein reichliches Mahl zu bereiten.
Freudigkeit fühlt der Gast und höheren Mut und Erquickung,
Der, mit Speise gestärkt, in ferne Länder verreiset.
Hast du auch Lust, umher durch Hellas und Argos zu reisen;
80
Warte, bis ich die Ross‘ anspanne, dich selber begleite,
Und zu jeglicher Stadt hinfahre. Keines der Völker
Sendet uns leer hinweg; man schenkt uns wenigstens ein Stück:
Ein dreifüßig Geschirr von Kupfer, oder ein Becken,
Oder ein Joch Maultiere, auch wohl einen goldenen Becher.
85
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Atreus‘ göttlicher Sohn Menelaos, Führer der Völker,
Jetzo eil‘ ich zurück zu dem Unsrigen: (denn da ich abfuhr,
Ließ ich niemand im Hause, mein Eigentum zu bewahren:)
Daß ich, den Vater suchend, nicht selber das Leben verliere,
90
Oder ein köstliches Gut aus meinem Hause verschwinde.
Als er solches vernommen, der Rufer im Streit Menelaos,
Rief er schnell der Gemahlin und ihren Mägden, im Saale
Hurtig ein Mahl zu bereiten vom reichlichgesammelten Vorrat.
Jetzo nahte sich auch Boethos‘ Sohn Eteoneus,
95
Seinem Lager entstiegen; er wohnte nicht ferne vom König.
Diesem befahl der Held Menelaos, Feuer zu machen,
Und des Fleisches zu braten; und schnell gehorcht‘ er dem Worte.
Hierauf stieg er hinab ins duftende hohe Gewölbe:
Nicht er allein; mit ihm ging Helena und Megapenthes.
100
Als sie die Kammer erreicht, wo seine Kleinode lagen,
Nahm Menelaos Atreides sich einen doppelten Becher.
Reichte dann seines Sohns Megapenthes‘ Händen zu tragen
Einen silbernen Kelch; und Helena trat zu den Kisten,
Wo sie die schönen Gewande verwahrt, die sie selber gewirket.
105
Eines von diesen nahm die Königin unter den Weibern,
Welches das größeste war und reichste an künstlicher Arbeit:
Hell wie ein Stern, so strahlt‘ es, und lag von allen zu unterst.
Und sie gingen zurück durch die Wohnungen, bis sie Odysseus‘
Sohn erreichten; da sprach Menelaos der Bräunlichgelockte:
110
Deine Heimkehr lasse, Telemachos, wie du sie wünschest,
Zeus Kronion gelingen, der donnernde Gatte der Here:
Von den Schätzen, so viel ich in meinem Hause bewahre,
Geb‘ ich dir zum Geschenk das schönste und köstlichste Kleinod:
Gebe dir einen Kelch von künstlich erhobener Arbeit,
115
Aus geglättetem Silber, gefaßt mit goldenem Rande,
Und ein Werk von Hephästos! Ihn gab der Sidonier König
Phädimos mir, der Held, der einst in seinem Palaste
Mich Heimkehrenden pflegte. Den will ich jetzo dir schenken.
Also sprach er, und reichte, der Held Menelaos Atreides,
120
Ihm den doppelten Becher. Sein tapferer Sohn Megapenthes
Trug den schimmernden Kelch von lauterem Silber, und setzt‘ ihn
Nieder vor ihm. Auch Helena kam, das Gewand in den Händen,
Und holdselig begann die rosenwangichte Fürstin:
Dieses Geschenk will ich, mein liebes Kind, dir verehren,
125
Zum Andenken von Helenas Hand. Bei der lieblichen Hochzeit
Trag‘ es deine Gemahlin; bis dahin lieg‘ es im Hause
Deiner geliebten Mutter. Du aber kehre mit Frieden
In dein prächtiges Haus und deiner Väter Gefilde.
Also sprach sie, und reicht‘ es ihm hin; und freudig empfing er’s.
130
Jetzo legte der Held Peisistratos alle Geschenke
Nieder im Wagenkorb, und bewunderte jedes im Herzen.
Und sie führt‘ in den Saal Menelaos der Bräunlichgelockte;
Allda setzten sie sich auf prächtige Sessel und Throne.
Eine Dienerin trug in der schönen goldenen Kanne
135
Über dem silbernen Becken das Wasser, beströmte zum Waschen
Ihnen die Händ‘, und stellte vor sie die geglättete Tafel.
Und die ehrbare Schaffnerin kam, und tischte das Brot auf,
Und der Gerichte viel aus ihrem gesammelten Vorrat.
Aber das Fleisch zerschnitt und verteilte der Sohn des Boethos,
140
Und des Königes Sohn verteilte die Becher voll Weines.
Und sie erhoben die Hände zum leckerbereiteten Mahle.
Jetzo war die Begierde des Tranks und der Speise gestillet,
Und Telemachos spannte mit Nestors blühendem Sohne
Hurtig die Rosse vor; sie bestiegen der künstlichen Wagen,
145
Lenkten darauf aus dem Tore des Hofs, und der tönenden Halle.
Ihnen zur Seite ging Menelaos der Bräunlichgelockte;
Einen goldenen Becher voll herzerfreuendes Weines
Trug er in seiner Rechten, um noch vor der Reise zu opfern,
Stand vor den Rossen, und trank, reicht‘ ihnen den Becher, und sagte:
150
Lebt, ihr Jünglinge, wohl, und grüßt den Hirten der Völker
Nestor von mir; denn wahrlich er liebte mich stets, wie ein Vater,
Als wir Achaier noch die Stadt der Troer bekriegten!
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Gerne wollen wir ihm, du Göttlicher, wie du befiehlest,
155
Dieses alles verkünden, sobald wir kommen. O fänd‘ ich,
Heim gen Ithaka kehrend, auch meinen Vater zu Hause;
Daß ich ihm sagte, wie ich von dir so gütig bewirtet
Wiederkomm‘, und so viel, und köstliche Kleinode bringe!
Sprach’s; und zur Rechten flog ein heilweissagender Adler,
160
Welcher die ungeheure, im Hofe gemästete, weiße
Gans in den Klauen trug; mit überlautem Geschreie
Folgten ihm Männer und Weiber: er kam in stürmendem Fluge
Rechtsher nahe den Rossen der Jünglinge. Als sie ihn sahen,
Freuten sie sich, und allen durchglühete Wonne die Herzen.
165
Nestors blühender Sohn Peisistratos redete jetzo:
Denke nach, Menelaos, du göttlicher Führer der Völker,
Ob Gott uns dies Zeichen gesendet, oder dir selber.
Also sprach er; da sann der kriegrische Held Menelaos
Hin und her, mit Verstand das Wunderzeichen zu deuten.
170
Aber Helena kam ihm zuvor; so sprach die Geschmückte:
Höret; ich will euch jetzt weissagen, wie es die Götter
Mir in die Seele gelegt, und wie’s wahrscheinlich geschehn wird.
Gleichwie der Adler die Gans, die im Hause sich nährte, geraubt hat,
Kommend aus dem Gebirge, von seinem Nest‘ und Geschlechte:
175
Also wird auch Odysseus, nach vielen Leiden und Irren,
Endlich zur Heimat kehren und strafen; oder er kehrte
Schon, und rüstet sich nun zu aller Freier Verderben.
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Also vollend‘ es Zeus, der donnernde Gatte der Here!
180
O dann werd‘ ich auch dort, wie eine Göttin, dich anflehn!
Sprach’s, und schwang auf die Rosse die Geißel; mit hurtiger Eile
Stürmten sie über die Gassen der Stadt in das freie Gefilde.
Also schüttelten sie bis zum Abend das Joch an den Nacken.
Und die Sonne sank, und Dunkel umhüllte die Pfade.
185
Und sie kamen gen Pherä, zur Burg des edlen Diokles,
Welchen Alpheios‘ Sohn Orsilochos hatte gezeuget,
Ruhten bei ihm die Nacht, und wurden freundlich bewirtet.
Als die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte,
Rüsteten sie ihr Gespann, und bestiegen den zierlichen Wagen,
190
Lenkten darauf aus dem Tore des Hofs, und der tönenden Halle.
Treibend schwang er die Geißel, und willig enteilten die Rosse.
Und sie erreichten bald die hochgebauete Pylos;
Und Telemachos sprach zu Nestors blühendem Sohne:
Kannst du mir, Nestors Sohn, wohl eine Bitte gewähren?
195
Siehe wir rühmen uns ja von den Zeiten unserer Väter
Schon Gastfreunde zu sein, und sind auch einerlei Alters;
Und noch inniger wird uns diese Reise verbinden.
Fahre mein Schiff nicht vorbei, du Göttlicher; laß mich hier bleiben!
Denn mich möchte der Greis aufhalten in seinem Palaste,
200
Um mir Gutes zu tun; Und ich muß aufs Eiligste reisen.
Also sprach er, und Nestors Sohn bedachte sich schweigend,
Wie er mit guter Art ihm seine Bitte gewährte.
Dieser Gedanke schien dem Zweifelnden endlich der beste:
An das Gestade des Meers zu dem Schiffe lenkt‘ er die Rosse;
205
Legte dann hinten ins Schiff Telemachos‘ schöne Geschenke,
Sein Gewand und das Gold, so ihm Menelaos verehret.
Und nun trieb er ihn an, und sprach die geflügelten Worte:
Steige nun eilend ins Schiff, und ermuntere deine Gefährten,
Eh‘ ich zu Hause komm‘, und dem Greise dieses verkünde!
210
Denn ich kenne zu gut in meinem Herzen des Vaters
Heftigen starren Sinn: er würde dich nimmer entlassen,
Sondern selbst herkommen, dich einzuladen; und schwerlich
Ging‘ er dann leer zurück, so sehr würd‘ er zürnen und eifern!
Also sprach er, und lenkte die Rosse mit wallenden Mähnen
215
Heim zu der Pylier Stadt, und bald erreicht‘ er die Wohnung.
Aber Telemachos trieb und ermahnete seine Genossen:
Freunde, bringt die Geräte des schwarzen Schiffes in Ordnung,
Und steigt selber hinein, damit wir die Reise vollenden!
Also sprach er; sie hörten ihn alle mit Fleiß, und gehorchten:
220
Stiegen eilend ins Schiff, und setzten sich hin auf die Bänke.
Also besorgt‘ er dieses, und opferte Pallas Athenen
Flehend hinten am Schiff. Und siehe, ein eilender Fremdling
Nahte sich ihm, der aus Argos entfloh, wo er jemand getötet.
Dieser war ein Prophet, und stammte vom alten Melampus,
225
Welcher vor langer Zeit in der schafegebärenden Pylos
Wohnete, mächtig im Volk, und prächtige Häuser beherrschte.
Aber sein Vaterland verließ er, und floh in die Fremde,
Vor dem gewaltigen Neleus, dem Stolzesten aller die lebten,
Welcher ein ganzes Jahr mit Gewalt sein großes Vermögen
230
Vorenthielt; indes lag jener in Phylakos Wohnung,
Hartgefesselt mit Banden, und schwere Leiden erduldend,
Wegen der Tochter Neleus‘, und seines rasenden Wahnsinns,
Welchen ihm die Erinnys, die schreckliche Göttin, gesendet.
Dennoch entfloh er dem Tod‘, und trieb aus Phylakes Auen
235
Heim die brüllenden Rinder gen Pylos, strafte den Hochmut
Neleus‘ des Göttergleichen, und führte dem Bruder zur Gattin
Seine Tochter ins Haus. Er aber zog in die ferne
Rossenährende Argos; denn dort bestimmte das Schicksal
Ihm forthin zu wohnen, ein Herrscher vieler Argeier.
240
Allda nahm er ein Weib, und baute die prächtige Wohnung,
Zeugte Antiphates dann und Mantios, tapfere Söhne!
Aber Antiphates zeugte den großgesinnten Oikles,
Und Oikles den Völkererhalter Amphiaraos.
Diesen liebte der Donnerer Zeus und Phöbos Apollon
245
Mit allwaltender Huld; doch erreicht‘ er die Schwelle des Alters
Nicht; er starb vor Thebä, durch seines Weibes Geschenke.
Seine Söhne waren Amphilochos und Alkmäon.
Aber Mantios zeugte den Polypheides und Kleitos.
Diesen Kleitos entführte die goldenthronende Eos,
250
Seiner Schönheit halben, zum Sitz der unsterblichen Götter.
Aber auf Polypheides, dem Hocherleuchteten, ruhte
Phöbos‘ prophetischer Geist, nach dem Tode des Amphiaraos.
Zürnend dem Vater, zog er gen Hyperesia, wohnte
Und weissagete dort den Sterblichen allen ihr Schicksal.
255
Dessen Sohn, genannt Theoklymenos, nahte sich jetzo,
Trat zu Telemachos hin, der dort vor Pallas Athene
Heiligen Wein ausgoß und betete, neben dem Schiffe;
Und er redet‘ ihn an, und sprach die geflügelten Worte:
Lieber, weil ich allhier beim heiligen Opfer dich finde;
260
Siehe, so fleh‘ ich dich an, beim Opfer und bei der Gottheit,
Deinem eigenen Heil‘, und der Freunde, welche dir folgen:
Sage mir Fragendem treulich und unverhohlen die Wahrheit!
Wer, wes Volkes bist du? und wo ist deine Geburtstadt?
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
265
Dieses will ich dir, Fremdling, und nach der Wahrheit verkünden.
Ich bin aus Ithaka her; mein Vater heißet Odysseus,
Wenn er noch lebt; allein er starb des traurigsten Todes.
Darum nahm ich jetzo dies Schiff und diese Gefährten,
Kundschaft mir zu erforschen vom langabwesenden Vater.
270
Und der göttliche Mann Theoklymenos gab ihm zur Antwort:
Ich bin auch aus der Heimat entflohn! denn ich tötete jemand,
Einen Bürger der Stadt; und viele Brüder und Vettern
Hat er, gewaltig im Volke der rossenährenden Argos!
Diesen bin ich entronnen, den Tod und das schwarze Verhängnis
275
Fliehend! Von nun an ist mein Schicksal, die Welt zu durchirren!
Aber nimm mich ins Schiff, den Flüchtling, welcher dich anfleht:
Daß sie mich nicht umbringen; denn sicher verfolgen mich jene!
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Freund, ich werde dich nicht von unserem Schiffe verstoßen!
280
Folg‘ uns; wir wollen dich dort bewirten, so gut wir es haben.
Also sprach er, und nahm Theoklymenos‘ eherne Lanze,
Legte sie auf das Verdeck des gleichgeruderten Schiffes,
Stieg dann über den Bord des meerdurchwallenden Schiffes,
Setzte sich hinten am Steuer, und neben dem Jünglinge setzte
285
Theoklymenos sich. Die andern lösten die Seile.
Aber Telemachos trieb und ermahnte die lieben Gefährten,
Schnell die Geräte zu ordnen. Sie folgeten seinem Befehle:
Stellten den fichtenen Mast in die mittlere Höhe des Bodens,
Richteten hoch ihn empor, und banden ihn fest mit den Seilen;
290
Spannten die weißen Segel mit starkgeflochtenen Riemen.
Einen günstigen Wind sandt‘ ihnen Pallas Athene;
Stürmend saust‘ er vom Äther daher in die Segel des Schiffes,
Und mit geflügelter Eile durchlief es die salzige Woge,
Segelte Krunö vorüber und Chalkis liebliche Mündung.
295
Und die Sonne sank, und Dunkel umhüllte die Pfade.
Und er steuert‘ gen Pherä, vom Winde Gottes erfreuet,
Und zu der göttlichen Elis, die von den Epeiern beherrscht wird.
Aber von dannen lenkt‘ er das Schiff zu den spitzigen Inseln,
Sorgend, ob er dem Tod‘ entfliehen würd‘, oder erliegen.
300
Und in der Hütte genoß mit Odysseus der treffliche Sauhirt
Jetzo die Abendkost, auch aßen die übrigen Hirten.
Und nachdem die Begierde des Tranks und der Speise gestillt war;
Da versuchte der Held Odysseus, ob ihn der Sauhirt
Noch in der Hütte dort herbergen und freundlich bewirten,
305
Oder ihn treiben würd‘, in die Stadt zu eilen; so sprach er:
Höre mich jetzt, Eumäos, und hört, ihr übrigen Hirten.
Morgen hätt‘ ich wohl Lust, in die Stadt als Bettler zu gehen;
Daß ich deine Freunde und dich nicht länger beschwere.
Sage mir denn Bescheid, und gib mir einen Gefährten,
310
Welcher den Weg mich führe. Die Stadt muß ich selber durchirren,
Ob man ein Becherchen Weins und ein wenig Brosam mir biete.
Gerne möcht‘ ich auch wohl zum Hause des edlen Odysseus
Gehen, und Botschaft bringen der klugen Penelopeia,
Und alsdann in die Schar der stolzen Freier mich mischen,
315
Ob sie mich einmal speisen von ihrem reichlichen Gastmahl.
Alles, was sie befehlen, bin ich bereit zu verrichten.
Denn ich verkündige dir; merk auf, und höre die Worte:
Durch Hermeias‘ Gnade, des Göttergesandten, der alles,
Was die Menschen beginnen, mit Ehre schmücket und Anmut,
320
Kann der Sterblichen keiner mit mir wetteifern im Dienste:
Feuer geschickt zu legen, und trockene Klötze zu spalten,
Wein zu schenken, und Fleisch zu verteilen oder zu braten:
Was vornehme Leute vom Dienste Geringerer fodern.
Zürnend erwidertest du, Eumäos, Hüter der Schweine:
325
Wehe mir, Fremdling, wie kann in dein Herz ein solcher Gedanke
Kommen? Wahrlich du eilst, dich dort ins Verderben zu stürzen,
Ist es dein ernstlicher Wille, zu gehn in der Freier Gesellschaft,
Deren Trotz und Gewalt den eisernen Himmel erreichet.
Wahrlich solche Leute sind ihre Diener mitnichten;
330
Jünglinge sind’s, mit Mantel und Leibrock zierlich gekleidet,
Und stets duftet von Salben ihr Haar und blühendes Antlitz:
Diese dienen dort; und die schöngeglätteten Tische
Sind mit Brot und Fleisch und Weine stets belastet.
Aber bleibe; du bist hier keinem Menschen beschwerlich,
335
Weder mir, noch einem der Freunde, welche mir helfen.
Kehrt einst wieder zurück der geliebte Sohn von Odysseus,
Gerne wird dich dieser mit Rock und Mantel bekleiden,
Und dich senden wohin es deinem Herzen gelüstet.
Ihm antwortete drauf der herrliche Dulder Odysseus:
340
Liebe dich Vater Zeus, wie ich dich liebe, Eumäos,
Weil du nach schrecklicher Not mir Irrenden Ruhe gewährest!
Nichts ist kummervoller, als unstet leben und flüchtig!
Oft zur Verzweiflung bringt der unversöhnliche Hunger
Leute, die Lebensgefahr und bitterer Mangel umhertreibt,
345
Aber weil du begehrst, daß ich bleib‘ und jenen erwarte;
Nun so erzähle mir von der Mutter des edlen Odysseus,
Und dem Vater, den er an der Schwelle des Alters daheimließ:
Leben sie etwa noch im Strahle der leuchtenden Sonne,
Oder sind sie schon tot und in der Schatten Behausung?
350
Ihm antwortete drauf der männerbeherrschende Sauhirt:
Dieses will ich dir, Fremdling, und nach der Wahrheit erzählen.
Immer noch lebt Laertes; doch täglich flehet er Zeus an,
Daß in seinem Hause sein Geist den Gliedern entschwinde.
Denn untröstlich beweint er des fernen Sohnes Gedächtnis,
355
Und den Tod des edlen geliebten Weibes der Jugend,
Der ihn so innig gekränkt, und sein herbes Alter beschleunigt.
Diese starb vor Gram um ihren berühmten Odysseus,
Ach! den traurigsten Tod! So sterbe keiner der Freunde,
Welcher in diesem Lande mir Liebes und Gutes getan hat.
360
Als noch jene lebte, wiewohl in steter Betrübnis,
Hatt‘ ich noch etwas Lust zu fragen und mich zu erkunden.
Denn sie erzog mich selbst mit Ktimene, ihrer geschmückten
Tugendreichen Tochter, der jüngsten ihres Geschlechtes;
Diese erzog sie mit mir, und ehrte mich wenig geringer.
365
Und da wir beide das Ziel der lieblichen Jugend erreichten,
Gaben sie jene nach Samä, und nahmen große Geschenke.
Und mich kleidete sie, die Mutter, mit prächtigen Kleidern,
Einem Mantel und Rock, und gab mir Schuh‘ an die Füße,
Sandte mich her aufs Land, und tat mir Gutes auf Gutes.
370
Dieses muß ich nun alles entbehren: aber die Götter
Segnen mit reichem Gedeihn die Arbeit, welche mir obliegt;
Hievon ess‘ ich und trinke, und geb‘ auch ehrlichen Leuten.
Von der Königin selbst ist keine Freude zu hoffen,
Weder Wort noch Tat, seitdem die Plage das Haus traf,
375
Jener verwüstende Schwarm! Und Knechte wünschen doch herzlich,
Vor der Frau des Hauses zu reden, und alles zu hören,
Und zu essen und trinken, und dann auch etwas zu Felde
Mitzunehmen: wodurch das Herz der Bedienten erfreut wird.
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
380
Ei so bist du als Kind, Eumäos, Hüter der Schweine,
Fern von dem Vaterland und deinen Eltern verirret!
Aber verkündige mir, und sage die lautere Wahrheit:
Ward die prächtige Stadt von Kriegesscharen verwüstet,
Welche dein Vater einst und die treffliche Mutter bewohnten?
385
Oder fanden dich einsam bei Schafen oder bei Rindern
Räuber, und schleppten dich fort zu den Schiffen, und boten im Hause
Dieses Mannes dich feil, der dich nach Würden bezahlte?
Ihm antwortete drauf der männerbeherrschende Sauhirt:
Fremdling, weil du mich fragst und so genau dich erkundest,
390
Nun so sitze still, erfreue dich horchend, und trinke
Wein. Die Nächte sind lang; man kann ausruhen, und kann auch
Angenehme Gespräch‘ anhören. Es zwinget dich niemand,
Frühe schlafen zu gehn; auch vieles Schlafen ist schädlich.
Sehnt sich der übrigen einer in seinem Herzen zur Ruhe,
395
Dieser gehe zu Bett; und sobald der Morgen sich rötet,
Frühstück‘ er, und treibe des Königes Schweine zu Felde.
Aber wir wollen hier in der Hütte noch essen und trinken,
Um einander das Herz durch Erinnerung trauriger Leiden
Aufzuheitern; denn auch der Trübsal denket man gerne,
400
Wenn man so vieles erduldet, so viele Länder durchirrt ist.
Jetzo will ich dir das verkündigen, was du mich fragtest:
Eine der Inseln im Meer heißt Syria, wenn du sie kennest,
Über Ortygia hin, wo die Sonnenwende zu sehn ist.
Groß ist diese nicht sehr von Umfang, aber doch fruchtbar,
405
Reich an Schafen und Rindern, an Wein und schönem Getreide.
Nimmer besucht der Hunger, und nimmer eine der andern
Schrecklichen Seuchen das Volk, die die armen Sterblichen hinrafft.
Sondern wann in der Stadt die Menschen das Alter erreichen,
Kömmt die Freundin der Pfeil‘ und der Gott des silbernen Bogens,
410
Welche sie unversehens mit sanften Geschossen erlegen.
Allda sind zwo Städte, die zwiefach alles geteilet;
Und von diesen beiden war einst mein Vater Beherrscher,
Ktesios, Ormenos‘ Sohn, ein Bild der unsterblichen Götter.
Einst besuchten uns dort Phöniker, berühmt in der Seefahrt
415
Und Erzschinder, und führten im Schiff unzähliges Spielzeug.
Aber im Hause des Vaters war eine phönikische Sklavin,
Schöngebildet und groß und klug in künstlicher Arbeit.
Diese verführten mit List die ränkegeübten Phöniker.
Einer von ihnen pflog, da sie wusch, beim schwärzlichen Schiffe,
420
Heimlicher Liebe mit ihr; die das Herz der biegsamen Weiber
Ganz in die Irre führt, wenn eine die Tugend auch ehret.
Dieser fragte darauf, wer sie wär‘, und von wannen sie käme;
Und sie zeigte sogleich zu des Vaters hohem Palaste:
Meine Geburtstadt ist die erzdurchschimmerte Sidon,
425
Und ich rühme mich dort des reichen Arybas‘ Tochter.
Aber mich raubeten einst, da ich vom Felde zurückkam,
Taphische Räuber, und brachten mich hier, und boten im Hause
Dieses Mannes mich feil, der mich nach Würden bezahlte.
Ihr antwortete drauf der Mann, der sie heimlich beschlagen
430
Möchtest du jetzo denn nicht mit uns nach Hause zurückgehn,
Deiner Eltern hohen Palast, und Vater und Mutter
Wiedersehn? Denn sie leben noch beid‘, und man nennt sie begütert.
Und das phönikische Weib antwortete jenem, und sagte:
Ja auch dieses geschehe, wofern ihr Schiffer mir eidlich
435
Angelobt, mich sicher und wohl nach Hause zu bringen.
Also sprach sie; und alle beschworen, was sie verlangte.
Als sie es jetzo gelobt, und vollendet den heiligen Eidschwur,
Hub die Phönikerin an, und sprach zu der Männer Versammlung:
Seid nun still, und keiner von eures Schiffes Genossen
440
Rede mit Worten mich an, er begegne mir auf der Straße,
Oder beim Wasserschöpfen: daß niemand zu unserem Hause
Gehend dem Alten es sag‘, und dieser vielleicht mir aus Argwohn
Schwere Band‘ anlege, und euch das Verderben bereitet
Sondern haltet die Sache geheim, und beschleunigt den Einkauf
445
Aber sobald ihr das Schiff mit Lebensgütern beladen;
Dann geh‘ einer geschwind‘ in die Burg, und bringe mir Botschaft,
Nehmen will ich, was mir an goldnem Geschirr‘ in die Hand fällt;
Und ich möcht‘ euch gerne die Fahrt noch höher bezahlen.
Denn ich erziehe den Sohn des alten Herrn im Palaste,
450
Welcher schon witzig ist, und aus dem Hause so mitläuft.
Diesen brächt‘ ich gerne zum Schiff; ihr würdet nicht wenig
Für ihn lösen, wohin ihr ihn auch in die Fremde verkauftet.
Also sprach das Weib, und kehrte zum schönen Palaste.
Und die Phöniker weilten ein ganzes Jahr auf der Insel,
455
Kauften und schleppten ins Schiff unzählige Güter zusammen.
Als sie das hohle Schiff zur Heimfahrt hatten befrachtet,
Sandten sie einen Genossen, dem Weibe die Botschaft zu bringen.
Dieser listige Mann, der in des Vaters Palast kam,
Bracht‘ ein goldnes Geschmeide, besetzt mit köstlichem Bernstein,
460
Welches die Mägde des Hauses und meine treffliche Mutter
Mit den Händen befühlten und sehr aufmerksam besahen.
Als sie über den Preis nun handelten, winkt‘ er der Sklavin
Heimlich, und eilte zurück zu dem hohlen Schiffe. Die Sklavin
Nahm mich drauf bei der Hand, und führte mich aus dem Palaste.
465
Und sie fand in dem vorderen Saal Weinbecher und Tische
Für die Gäste gestellt, die meinen Vater besuchten;
Diese waren anitzt auf dem Markt‘ in des Volkes Versammlung.
Hurtig raubte sie drei der Gefäße, verbarg sie im Busen,
Eilte dann weg, von mir einfältigen Kinde begleitet.
470
Und die Sonne sank, und Dunkel umhüllte die Pfade.
Jetzo hatten wir schnell den berühmten Hafen erreichet,
Wo der Phöniker Schiff das Meer zu durcheilen bereit lag.
Diese bestiegen mit uns das Verdeck des Schiffes, und steurten
Über die Woge des Meers, von Gottes Winde getrieben.
475
Also durchsegelten wir sechs Tag‘ und Nächte die Wasser.
Als der siebente Tag von Zeus Kronion gesandt ward,
Tötete Artemis plötzlich das Weib mit ihrem Geschosse.
Rauschend fiel sie hinab in das Wasser des Raums, wie ein Seehuhn.
Und man warf sie, den Fischen und Ungeheuern zur Beute,
480
Über den Bord; allein ich blieb mit traurigem Herzen.
Wind und Woge trieben sie jetzt an Ithakas Ufer,
Wo Laertes mich mit seinem Vermögen erkaufte.
Also hab‘ ich dies Land zuerst mit Augen gesehen.
Und der göttliche Held Odysseus gab ihm zur Antwort:
485
Wahrlich, Eumäos, ich fühl‘ es im Innersten meines Herzens,
Alles, was du mir jetzo von deinen Leiden erzählt hast!
Aber dir hat doch Zeus bei dem Bösen auch Gutes verliehen,
Da du, nach großen Leiden, in dieses gütigen Mannes
Wohnung kamst, der dir sorgfältig zu essen und trinken
490
Reicht; denn du lebst hier ganz gemächlich. Aber ich Armer
Irre, von Stadt zu Stadt vertrieben, Hilfe zu suchen!
Also besprachen diese sich jetzo untereinander,
Legten sich dann zur Ruh, nicht lange, sondern ein wenig;
Denn bald rötete sich der Morgen. Aber am Ufer
495
Lösten Telemachos Freunde die Segel, senkten den Mastbaum
Eilend herab, vollendeten dann mit Rudern die Landung,
Warfen die Anker aus, und banden mit Seilen das Schiff an.
Und nun stiegen sie selbst ans krumme Gestade des Meeres,
Eilten das Mahl zu bereiten, und mischten des funkelnden Weines.
500
Und nachdem die Begierde des Tranks und der Speise gestillt war,
Sprach der verständige Jüngling Telemachos zu der Versammlung:
Rudert, ihr andern, jetzt nach der Stadt mit dem schwärzlichen Schiffe;
Ich will erst ein wenig zu meinen Hirten aufs Land gehn.
Abends komm‘ ich zur Stadt, sobald ich das Meine besehen.
505
Morgen dächt‘ ich euch wohl ein gutes Mahl nach der Reise
Vorzusetzen, von Fleisch und herzerfreuendem Weine.
Und der göttliche Mann Theoklymenos gab ihm zur Antwort:
Aber wohin geh ich denn, mein Sohn? zu wessen Palaste
Unter den Männern, die hier in der felsichten Ithaka herrschen?
510
Geh ich gerade zu deinem und deiner Mutter Palaste?
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Sonst geböt‘ ich dir wohl, gerade zu unserem Hause
Hinzugehn; auch sollt‘ es an nichts gebrechen: doch jetzo
Würd‘ es dich selbst beschweren. Denn ich bin fern, und die Mutter
515
Siehet dich nicht; sie erscheint nicht oft vor den Freiern im Saale;
Abgesondert wirkt sie im obern Stock‘ ihr Gewebe.
Aber ich will indes dir einen anderen nennen:
Geh zu Eurymachos hin, des Polybos trefflichem Sohne,
Welcher jetzt, wie ein Gott, in der Ithaker Volke geehrt wird.
520
Und er ist auch bei weitem der Edelste, wünscht auch am meisten
Meine Mutter zum Weib , und Odysseus‘ Würde zu erben.
Aber das weiß Kronion, der Gott des hohen Olympos,
Ob vor der Hochzeit noch der böse Tag sie ereile!
Sprach’s; und rechtsher flog ein heilweissagender Vogel,
525
Phöbos schneller Gesandte, der Habicht: zwischen den Klauen
Hielt er und rupfte die Taub‘, und goß die Federn zur Erde
Zwischen Telemachos nieder und seinem schwärzlichen Schiffe.
Eilend rief Theoklymenos ihn von den Freunden besonders,
Faßte des Jünglings Hand, und erhub die Stimme der Weisheit:
530
Jüngling, nicht ohne Gott flog dir zur Rechten der Vogel;
Denn ich erkenn‘ an ihm die heilweissagenden Zeichen!
Außer eurem Geschlecht erhebt sich nimmer ein König
In der Ithaker Volk; auf euch ruht ewig die Herrschaft!
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
535
Fremdling, erfülleten doch die Götter, was du geweissagt!
Dann erkenntest du bald an vielen und großen Geschenken
Deinen Freund, und jeder Begegnende priese dich selig!
Also sprach er, und rief dem treuen Gefährten Peiräos:
Klytios‘ Sohn, Peiräos, du bist von allen Gefährten,
540
Die mich nach Pylos gebracht, mir immer am meisten gewillfahrt.
Führe mir denn auch nun zu deinem Hause den Fremdling;
Ehr‘ und bewirt‘ ihn dort, bis ich heimkehre, mit Sorgfalt!
Und der lanzenberühmte Peiräos sagte dagegen:
Wenn du auch noch so lange, Telemachos, draußen verweilest,
545
Gerne bewirt‘ ich den Gast; auch soll es an nichts ihm gebrechen!
Also sprach er, und trat in das Schiff, und befahl den Gefährten,
Einzusteigen, und schnell die Seile vom Ufer zu lösen
Und sie traten ins Schiff, und setzten sich hin auf die Bänke.
Aber Telemachos band um die Füße die prächtigen Sohlen,
550
Nahm dann die mächtige Lanze, mit scharfer eherner Spitze,
Von des Schiffes Verdeck. Die andern lösten die Seile,
Stießen ab, und fuhren zur Stadt mit dem schwärzlichen Schiffe,
Wie es Telemachos hieß, der geliebte Sohn von Odysseus.
Dieser eilte von dannen mit hurtigen Füßen zum Hofe,
555
Wo die Herden der Schwein‘ itzt ruheten, welche der Sauhirt
Schützte, der gute Mann, der seinen Herren so treu war.