Achtzehnter Gesang

Achtzehnter Gesang

Odysseus kämpft mit dem Bettler Iros. Amphinomos wird umsonst gewarnt Penelopeia besänftigt die Freier durch Hoffnung, und empfängt Geschenke. Odysseus von den Mägden beleidigt, von Eurymachos verhöhnt und geworfen. Die Freier gehn zur Ruhe.

Jetzo kam ein Bettler von Ithaka, welcher die Gassen
Haus bei Haus durchlief, ein weitberüchtigter Vielfraß:
Immer füllt‘ er den Bauch mit Essen und Trinken, und hatte
Weder Stärke noch Kraft, so groß auch seine Gestalt war.
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Dieser hieß Arnäos; denn also nannt‘ ihn die Mutter
Bei der Geburt; allein die Jünglinge nannten ihn Iros,
Weil er gerne mit Botschaft ging, wenn es einer verlangte.
Dieser kam, Odysseus von seinem eigenen Hause
Wegzutreiben; er schalt ihn, und sprach die geflügelten Worte:
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Geh von der Türe, du Greis, daß man nicht beim Fuße dich schleppe!
Merkst du nicht, wie man rings mit den Augenwimpern mir zuwinkt,
Dich von hinnen zu schleppen? Allein ich scheue mich dennoch.
Auf denn! oder es kommt noch zwischen uns beiden zum Faustkampf!
Zürnend schaute auf ihn und sprach der weise Odysseus:
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Elender, hab ich doch nimmer mit Wort oder Tat dich beleidigt!
Auch mißgönn‘ ich’s dir nicht, wie viel dir einer auch schenke.
Und die Schwelle hat Raum für uns beide. Du mußt nicht so neidisch
Sehn bei anderer Milde; du scheinst mir ein irrender Fremdling,
Eben wie ich; der Reichtum kömmt von den seligen Göttern.
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Aber fodre mich nicht so übermütig zum Faustkampf:
Daß ich nicht zürn‘, und dir, trotz meines Alters, mit Blute
Brust und Lippen besudle! Dann säß ich morgen vermutlich
Noch geruhiger hier; denn schwerlich kehrtest du jemals
Wieder zurück in das Haus des Laertiaden Odysseus!
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Und mit zürnendem Blick antwortete Iros der Bettler:
All‘ ihr Götter, wie rasch der verhungerte Bettler da plappert;
Recht wie ein Heizerweib! Ich möcht‘ es ihm übel gedenken,
Rechts und links ihn zerdreschen, und alle Zähn‘ aus dem Maul‘ ihm
Schlagen, wie einer Sau, die fremde Saaten verwüstet!
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Auf, und gürte dich jetzo, damit sie alle des Kampfes
Zeugen sei’n. Wie willst du des Jüngeren Stärke bestehen?
Also zankten sie sich vor der hohen Pforte des Saales,
Auf der geglätteten Schwelle, mit heftig erbitterten Worten.
Ihre Worte vernahm Antinoos‘ heilige Stärke,
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Und mit herzlicher Lache begann er unter den Freiern:
So was, ihr Lieben, ist uns bisher noch nimmer begegnet!
Welche Freude beschert uns Gott in diesem Palaste!
Jener Fremdling und Iros, die fodern sich jetzo einander
Zum Faustkampfe heraus. Kommt eilig, wir wollen sie hetzen!
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Also sprach er; und schnell erhuben sich alle mit Lachen,
Und versammelten sich um die schlechtgekleideten Bettler.
Aber Eupeithes‘ Sohn Antinoos sprach zur Versammlung:
Höret, was ich euch sage, ihr edelmütigen Freier!
Hier sind Ziegenmagen, mit Fett und Blute gefüllet
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Die wir zum Abendschmaus auf glühende Kohlen geleget.
Wer nun am tapfersten kämpft, und seinen Gegner besieget;
Dieser wähle sich selbst die beste der bratenden Würste.
Künftig find‘ er auch immer an unserem Mahle sein Anteil,
Und kein anderer Bettler soll diese Schwelle betreten.
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Also sprach er; und allen gefiel Antinoos‘ Rede.
Listensinnend begann der erfindungsreiche Odysseus:
Lieben, ich alter Mann, durch so viel Elend entkräftet,
Kann unmöglich die Stärke des jüngeren Mannes bestehen.
Aber mich zwingt der Hunger, die härtesten Schläge zu dulden!
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Nun wohlan! verheißt mir denn alle mit heiligem Eidschwur,
Daß nicht Iros zuliebe mich einer mit nervichter Rechte
Freventlich schlagen will, ihm seinen Sieg zu erleichtern.
Also sprach er; und alle beschwuren, was er verlangte.
Und die heilige Kraft Telemachos redete jetzo:
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Fremdling, gebeut es dein Herz und deine mutige Seele,
Treib‘ ihn getrost hinweg, und fürchte der andern Achaier
Keinen! Wer dich verletzt, der hat mit mehren zu kämpfen!
Dein Beschützer bin ich, und beide verständige Fürsten
Hegen, Antinoos dort und Eurymachos, gleiche Gesinnung.
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Seine Rede lobten die übrigen. Aber Odysseus
Gürtete sich um die Scham mit seinen Lumpen, und zeigte
Schöne rüstige Lenden; auch seine nervichten Arme
Wurden entblößt, die Brust, und die breite Schulter; Athene
Schmückt‘ unsichtbar mit Kraft und Größe den Hirten der Völker.
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Aber die Freier alle umstaunten die Wundererscheinung;
Einer wendete sich zu seinem Nachbar, und sagte:
Iros, der arme Iros bereitet sich wahrlich ein Unglück!
Welche fleischichte Lende der Greis aus den Lumpen hervorstreckt!
Also sprachen die Freier; und Iros ward übel zu Mute.
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Aber es gürteten ihn mit Gewalt die Diener, und führten
Ihn wie er zitterte fort, und sein Fleisch umbebte die Glieder,
Und Antinoos schalt ihn, und sprach mit drohender Stimme:
Wärst du doch tot, Großprahler, ja wärst du nimmer geboren,
Da du vor diesem so bebst, und so entsetzlich dich anstellst,
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Vor dem alten Manne, den mancherlei Elend geschwächt hat!
Aber ich sage dir an, und das wird wahrlich erfüllet:
Schlägt dich dieser zu Boden, und geht als Sieger vom Kampfplatz;
Siehe dann send‘ ich dich gleich im schwarzen Schiffe zum König
Echetos in Epeiros, dem Schrecken des Menschengeschlechtes:
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Daß er dir Nas‘ und Ohren mit grausamem Erze verstümmle,
Und die entrissene Scham den Hunden gebe zu fressen!
Sprach’s; da zitterte jener noch stärker an Händen und Füßen.
Aber sie führten ihn hin; und beide erhuben die Fäuste.
Nun ratschlagte bei sich der herrliche Dulder Odysseus:
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Ob er ihn schlüge, daß gleich auf der Stelle sein Leben entflöhe;
Oder mit sanftem Schlage nur bloß auf den Boden ihn streckte.
Dieser Gedanke schien dem Zweifelnden endlich der beste:
Sanft zu schlagen, um nicht den Achaiern Verdacht zu erwecken.
Iros schlug mit der Faust die rechte Schulter Odysseus‘;
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Dieser ihm unter das Ohr an den Hals, daß der Kiefer des Bettlers
Knirschend zerbrach, und purpurnes Blut dem Rachen entstürzte.
Schreiend fiel er zu Boden, ihm klappten die Zähn‘, und die Füße
Zappelten staubend im Sand. Da erhuben die mutigen Freier
Jauchzend die Händ‘, und lachten sich atemlos. Aber Odysseus
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Zog ihn beim Fuß aus der Tür, und schleppt‘ ihn über den Vorhof
Durch die Pforte der Halle; da lehnt‘ er ihn mit dem Rücken
Gegen die Mauer des Hofs, und gab ihm den Stab in die Rechte;
Und er redet‘ ihn an, und sprach die geflügelten Worte:
Sitze nun ruhig hier, und scheuche die Hund‘ und die Schweine!
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Hüte dich ferner, den Armen und Fremdlingen hier zu befehlen,
Elender Mensch; damit dir kein größeres Übel begegne!
Also sprach er, und warf um die Schulter den häßlichen Ranzen,
Allenthalben geflickt, mit einem geflochtenen Tragband;
Ging zur Schwelle zurück, und setzte sich. Aber die Freier
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Gingen mit herzlichem Lachen hinein, und grüßten ihn also:
Fremdling, dir gebe Zeus und die andern unsterblichen Götter,
Was du am meisten verlangst, und was dein Herz nur begehret:
Weil du unsere Stadt von dem unersättlichen Bettler
Hast befreit! Bald werden wir ihn fortsenden zum König
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Echetos in Epeiros, dem Schrecken des Menschengeschlechtes.
Also sprachen die Freier; der vorbedeutenden Worte
Freute der edle Odysseus sich herzlich. Antinoos bracht ihm
Jetzo den großen Magen, mit Fett und Blute gefüllet;
Und Amphinomos nahm zwei Bröt‘ aus denn zierlichen Korbe,
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Brachte sie, trank ihm zu aus goldenem Becher, und sagte:
Freue dich, fremder Vater! Es müsse dir wenigstens künftig
Wohl ergehn! denn jetzo umringt dich mancherlei Trübsal.
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Du, Amphinomos, scheinst mir ein sehr verständiger Jüngling,
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Und ein würdiger Sohn von deinem rühmlichen Vater
Nisos, der, wie ich höre, ein edler und mächtiger König
In Dulichion ist. Dein Blick verkündiget Scharfsinn.
Darum sag‘ ich dir jetzt; nimm meine Worte zu Herzen.
Siehe kein Wesen ist so eitel und unbeständig,
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Als der Mensch, von allem, was lebt und webet auf Erden.
Denn so lange die Götter ihm Heil und blühende Jugend
Schenken, trotzt er, und wähnt, ihn treffe nimmer ein Unglück.
Aber züchtigen ihn die seligen Götter mit Trübsal;
Dann erträgt er sein Leiden mit Ungeduld und Verzweiflung,
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Denn wie die Tage sich ändern, die Gott vom Himmel uns sendet,
Ändert sich auch das Herz der erdebewohnenden Menschen.
Siehe, ich selber war einst ein glücklicher Mann, und verübte
Viel Unarten, vom Trotz und Übermute verleitet,
Weil mein Vater mich schützte und meine mächtigen Brüder.
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Drum erhebe sich nimmer ein Mann, und frevele nimmer;
Sondern genieße, was ihm die Götter bescheren, in Demut!
Welchen Greuel erblick‘ ich, den hier die Freier beginnen!
Wie sie die Güter verschwelgen, und schmähn die Gattin des Mannes,
Welcher vielleicht nicht lange von seinen Freunden und Ländern
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Ferne bleibt, vielleicht schon nah ist! Aber es führe
Dich ein Himmlischer heim, daß du nicht jenem begegnest,
Wann er wieder zurück in sein liebes Vaterland kehret!
Denn die Freier allhier und jener trennen sich schwerlich
Ohne Blut voneinander, sobald er unter sein Dach kommt!
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Also sprach er, und goß des süßen Weines den Göttern,
Trank, und reichte den Becher zurück dem Führer der Völker.
Dieser ging durch den Saal mit tiefverwundeter Seele,
Und mit gesunkenem Haupt; denn er ahnete Böses im Herzen.
Dennoch entrann er nicht dem Verderben; ihn fesselt‘ Athene,
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Daß ihn Telemachos‘ Hand mit der Todeslanze vertilgte.
Und er setzte sich nieder auf seinen verlassenen Sessel.
Aber Ikarios‘ Tochter, der klugen Penelopeia
Gab Athene, die Göttin mit blauen Augen, den Rat ein,
Sich den Freiern zu zeigen, auf daß sie mit täuschender Hoffnung
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Ihre Herzen noch mehr erweiterte, und bei Odysseus
Und Telemachos sich noch größere Achtung erwürbe.
Und sie erzwang ein Lächeln, und sprach mit freundlicher Stimme:
Jetzt, Eurynome, fühl‘ ich zum erstenmal ein Verlangen,
Mich den Freiern zu zeigen, wie sehr sie mir immer verhaßt sind.
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Gerne möcht‘ ich den Sohn zu seinem Besten erinnern,
Daß er ganz die Gesellschaft der stolzen Freier vermiede;
Denn sie reden zwar gut, doch heimlich denken sie Böses.
Aber die Schaffnerin Enrynome gab ihr zur Antwort:
Wahrlich, mein Kind, du hast mit vielem Verstande geredet.
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Gehe denn hin, und sprich mit deinem Sohne von Herzen;
Aber bade zuvor den Leib, und salbe dein Antlitz.
Denn du mußt nicht so mit tränenumflossenen Wangen
Hingehn; unaufhörlicher Gram vermehrt nur das Leiden!
Siehe, du hast den erwachsenen Sohn; und du wünschest ja herzlich,
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Daß dir die Götter gewährten, ihn einst im Barte zu sehen!
Ihr antwortete drauf die kluge Penelopeia:
O! so gut du es meinst, Eurynome, rate mir das nicht,
Meinen Leib zu baden, und meine Wangen zu salben!
Denn die Liebe zum Schmuck ward mir von den himmlischen Göttern
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Gänzlich geraubt, seit jener in hohlen Schiffen hinwegfuhr!
Aber laß mir Autonoe gleich und Hippodameia
Kommen: sie sollen mich in den Saal hinunter begleiten!
Denn es ziemet mir nicht, allein zu Männern zu gehen.
Also sprach sie; da ging die Schaffnerin aus dem Gemache,
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Brachte der Fürstin Befehl, und trieb die Mägde zu eilen.
Jetzo ersann ein andres die heilige Göttin Athene:
Siehe mit süßem Schlummer umgoß sie Penelopen.
Und sie entschlief hinsinkend; die hingesunkenen Glieder
Ruhten sanft auf dem Sessel. Da gab die heilige Göttin
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Ihr unsterbliche Gaben, damit sie die Freier entzückte:
Wusch ihr schönes Gesicht mit ambrosischem Öle der Schönheit,
Jenem, womit Aphrodite die Schöngekränzte sich salbet,
Wann sie zum reizenden Chore der Charitinnen dahinschwebt;
Schuf sie höher an Wuchs, und jugendlicher an Bildung,
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Schuf sie weißer, als Elfenbein, das der Künstler geglättet.
Als sie dieses vollbracht, entschwebte die heilige Göttin.
Lärmend stürzten anjetzo die Mägde mit Lilienarmen
Aus dem Saale herein: da verließ sie der süße Schlummer;
Und sie rieb mit den Händen die schönen Wangen, und sagte:
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Ach ein sanfter Schlaf umhüllte mich Herzlichbetrübte!
Einen so sanften Tod beschere die göttliche Jungfrau
Artemis mir, jetzt gleich! damit ich Arme nicht länger
Mich abhärme, vor Gram um meines trauten Gemahles
Edles Verdienst; denn er war der Herrlichste aller Achaier!
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Also sprach sie, und stieg vom prächtigen Söller herunter,
Nicht allein; sie wurde von zwo Jungfrauen begleitet.
Als das göttliche Weib die Freier jetzo erreichte,
Stand sie still an der Schwelle des schönen gewölbeten Saales;
Ihre Wangen umwallte der feine Schleier des Hauptes,
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Und an jeglichem Arm stand eine der stattlichen Jungfraun.
Allen erbebten die Knie‘, es glühten die Herzen vor Inbrunst,
Und vor banger Begierde mit ihr das Lager zu teilen.
Und zu Telemachos sprach die zärtliche Penelopeia:
Sohn, in deinem Herzen ist weder Verstand noch Empfindung!
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Weit vernünftiger hast du dich schon als Knabe bewiesen!
Nun da du größer bist, und des Jünglings Alter erreicht hast,
Und ein Fremder sogar aus der schönen und trefflichen Bildung
Schließen kann, du seist von edlem Samen entsprossen;
Siehe nun zeigt dein Herz so wenig Verstand als Empfindung!
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Welch unwürdige Tat ist hier im Saale geschehen!
Da man den Fremdling so sehr mißhandelte, saßest du ruhig?
Aber wie? wenn ein Fremdling bei uns in unserem Hause
Hilfe sucht, und dann so schnöde Beleidigung duldet!
Dieses bringt dir ja Schimpf und Verachtung unter den Menschen!
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Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Meine Mutter, ich will nicht murren, daß du mir zürnest.
Freilich fehlt es mir jetzo nicht mehr an Verstand und Erfahrung
Gutes und Böses zu sehn; (denn ehmals war ich ein Knabe!)
Aber ich kann nicht immer die klügsten Gedanken ersinnen;
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Denn mich betäubt die Furcht vor diesen Übelgesinnten,
Welche mich rings umgeben; und niemand ist, der mir helfe.
Aber des Fremdlings Kampf mit Iros endigte gleichwohl
Nicht nach der Freier Sinn; denn dieser war stärker als Iros.
Gäbe doch Vater Zeus, Athene und Phöbos Apollon,
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Daß auch jetzo die Freier, in unserem Hause bezwungen,
So ihr schwindelndes Haupt hinneigeten, draußen im Vorhof,
Oder auch hier im Saal, an allen Gliedern gelähmet:
So wie dort an der Pforte des Hofs der zerschlagene Iros
Jetzo mit wankendem Haupt, gleich einem Betrunkenen, dasitzt,
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Und auf seinen Füßen nicht grade zu stehen, noch wieder
Heimzukehren vermag, weil seine Glieder gelähmt sind!
Also besprochen diese sich jetzo untereinander,
Aber Eurymachos wandte sich drauf zu Penelopeia:
O Ikarios‘ Tochter, du kluge Penelopeia,
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Sähen dich die Achaier im ganzen jasischen Argos,
Wahrlich vom Morgen an erschienen noch mehrere Freier
Hier im Palaste zum Schmaus; denn dir gleicht keine der Weiber
An Gestalt, an Größe, und Trefflichkeiten des Geistes!
Ihm antwortete drauf die kluge Penelopeia:
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Ach! die Tugend des Geistes, Eurymachos, Schönheit und Bildung,
Raubten die Himmlischen mir am Tage, da die Argeier
Schifften gen Troja, mit ihnen mein trauter Gemahl Odysseus!
Kehrete jener von dannen, und lebt‘ in meiner Gesellschaft;
Ja dann möchte mein Ruhm wohl größer werden und schöner.
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Aber jetzo traur‘ ich; denn Leiden beschied mir ein Dämon!
Ach! da er Abschied nahm am vaterländischen Ufer,
Faßt‘ er mich bei der Rechten, und sprach mit freundlicher Stimme:
Frau, ich vermute nicht, die schöngeharnischten Griechen
Werden alle gesund und wohl von Ilion kehren.
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Denn wie man sagt, sind auch die Troer streitbare Männer,
Mit Wurfspießen geübt, und geübt den Bogen zu spannen,
Und schnellfüßige Rosse der Schlacht zu lenken, die immer
Hurtig den großen Kampf des blutigen Krieges entscheiden.
Darum weiß ich nicht, ob Gott von Troja mich heimführt,
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Oder mich dort abfodert. Du sorg‘ hier fleißig für alles!
Pfleg‘ auch meinen Vater und meine Mutter im Hause,
So wie bisher, ja noch sorgfältiger, wann ich entfernt bin.
Siehst du aber den Sohn im ersten Barte der Jugend;
Magst du das Haus verlassen, und, wem du willst, dich vermählen.
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Also sprach er zuletzt; das wird nun alles erfüllet!
Kommen wird einst die Nacht, die schreckliche Nacht der Vermählung!
Mir unglücklichen Frau, die Zeus des Heiles beraubt hat!
Aber vor allen kränket mich das in der Tiefe des Herzens:
Unter den Freiern galt ja sonst nicht diese Begegnung!
275
Denn die ein edles Weib und eines Begüterten Tochter
Sich zur Gemahlin wünschen, und Nebenbuhler befürchten,
Diese bringen ja Rinder und fette Schafe zum Schmause
Für die Freunde der Braut, und schenken ihr köstliche Gaben;
Aber verschwelgen nicht so umsonst ein fremdes Vermögen!
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Sprach’s; da freuete sich der herrliche Dulder Odysseus,
Daß sie von ihnen Geschenke zog, und mit freundlichen Worten
Ihre Herzen bestrickte, doch anders im Herzen gedachte.
Aber Eupeithes‘ Sohn Antinoos gab ihr zur Antwort:
O Ikarios‘ Tochter, du kluge Penelopeia,
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Was dir jeder Achaier an köstlichen Gaben hieherbringt,
Dieses empfang‘; es wäre nicht fein, das Geschenk dir zu weigern.
Aber wir weichen nicht eh‘ zu den Unsrigen oder zu andern,
Eh‘ du den besten Achaier zu deinem Bräutigam wählest!
Also sprach er, und allen gefiel Antinoos‘ Rede.
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Und die Geschenke zu bringen, entsandte jeder den Herold.
Für Antinoos bracht‘ er ein prächtiges blumengesticktes
Großes Frauengewand: zwölf schöne goldene Häklein
Waren daran, und faßten in schöngebogene Ösen.
Für Eurymachos bracht‘ er ein köstliches Halsgeschmeide,
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Lauteres Gold, mit Ambra besetzt, der Sonne vergleichbar.
Für Eurydamas brachten zwei Ohrgehenke die Diener,
Dreigestirnt, und künstlich gemacht, mit strahlender Anmut.
Aus Peisandros‘ Palast, des polyktoridischen Königs,
Brachte der Diener ein reiches und lieblichschimmerndes Halsband.
300
Also schenkte jeder Achaier ein anderes Kleinod.
Und das göttliche Weib stieg wieder zur oberen Wohnung;
Ihre Jungfraun trugen der Freier schöne Geschenke.
Aber die Freier wandten sich wieder zum Tanz und Gesange,
Und belustigten sich, bis ihnen der Abend herabsank.
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Als den Lustigen nun der dunkle Abend herabsank,
Setzten sie alsobald drei Feuerfässer im Saale
Ihnen zu leuchten umher, und häuften trockene Splitter,
Welche sie frisch mit dem Erz aus dürrem Holze gespalten,
Und Kienstäbe darauf. Die Mägde des Helden Odysseus
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Gingen vom einen zum andern, und schürten die sinkende Flamme.
Aber zu ihnen sprach der göttliche weise Odysseus:
O ihr Mägde Odysseus‘, des langabwesenden Königs,
Geht zu den Wohnungen hin, wo die edle Königin wohnet;
Sitzt bei ihr im Saale, sie aufzuheitern, und drehet
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Fleißig die Spindel, oder bereitet die flockichte Wolle.
Diese will ich schon alle mit leuchtender Flamme versorgen.
Blieben sie auch die ganze Nacht, bis der Morgen sich rötet;
Mich ermüden sie nicht; ich bin zum Dulden gehärtet.
Also sprach er; da lachten sie laut, und sahn nacheinander.
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Aber nun fuhr ihn Melantho, die rosenwangichte Tochter
Dolios, an. Es hatte sie Penelopeia erzogen,
Und wie ihr Kind gepflegt, und jeden Wunsch ihr gewähret:
Dennoch rührte sie nicht der Kummer Penelopeiens;
Sondern sie buhlte geheim mit Eurymachos, ihrem Geliebten.
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Diese lästerte schändlich den edlen Dulder Odysseus:
Elender Fremdling, du bist wohl deiner Sinne nicht mächtig:
Daß du nicht gehst, die Nacht in der Herberg‘, oder des Schmiedes
Warmer Esse zu ruhn; und hier in der großen Gesellschaft
Solcher Männer so dreist, und ohne jemand zu fürchten,
330
Plauderst! Traun dich betört der Weinrausch, oder du bist auch
Immer ein solcher Geck, und schwatzest solche Geschwätze!
Oder schwindelt dein Hirn, weil du Iros, den Bettler, besiegt hast?
Daß sich nur keiner erhebe, der tapferer streitet als Iros!
Denn er möchte dein Haupt mit starken Fäusten zerschlagen,
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Und aus dem Hause dich stoßen, mit triefendem Blute besudelt.
Zürnend schaute auf sie und sprach der weise Odysseus:
Wahrlich, das sag‘ ich Telemachos an, was du Hündin da plauderst:
(Siehst du ihn dort?) damit er dich gleich in Stücke zerhaue!
Also sprach er, und schreckte die bangen Weiber von hinnen;
340
Und sie entflohn aus dem Saal, und eileten durch die Gemächer,
Zitternd vor Angst; denn sie meinten, er hab‘ im Ernste geredet.
Und Odysseus stand, der leuchtenden Feuergeschirre
Flamme nährend, und sahe nach allen. Aber sein Herz war
Andrer Gedanken voll, die bald zu Handlungen reiften.
345
Aber den mutigen Freiern verstattete Pallas Athene
Nicht, des erbitternden Spottes sich ganz zu enthalten, damit noch
Heißer entbrennte das Herz des Laertiaden Odysseus.
Siehe Polybos‘ Sohn, Eurymachos, reizte den Helden
Vor der Versammlung zuerst, und erregte der Freunde Gelächter.
350
Höret mich an, ihr Freier der weitgepriesenen Fürstin,
Daß ich rede, wie mir das Herz im Busen gebietet.
Wahrlich ein Himmlischer führte den Mann in die Wohnung Odysseus‘!
Denn wo mir recht ist, kömmt der Glanz nicht bloß von dem Feuer,
Sondern von seiner Glatze, worauf kein Härchen zu sehn ist.
355
Sprach’s, und wandte sich drauf zum Städteverwüster Odysseus:
Fremdling, willst du dich wohl bei mir zum Knechte verdingen,
Daß du, fern auf dem Land‘ (ich meine, für gute Bezahlung!)
Dornenzäune mir flechtest, und schattige Bäume mir pflanzest?
Siehe dann reicht‘ ich dir dein tägliches Essen und Trinken,
360
Und bekleidete dich, und gäbe dir Schuh‘ an die Füße.
Aber da du nun nichts als Bubenstücke gelernt hast,
Wirst du nicht gern arbeiten, und lieber das Land durchstreichen,
Deinen gefräßigen Bauch mit Bettelbrote zu stopfen!
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
365
O arbeiteten wir, Eurymachos, beide zur Wette
Einst in der Frühlingszeit, wann die Tage heiter und lang sind,
Auf der grasichten Wiese; mit schöngebogener Sichel
Gingen wir, ich und du, und mähten nüchtern vom Morgen
Bis zur sinkenden Nacht, so lang‘ es an Grase nicht fehlte!
370
Oder trieb‘ ich ein Joch der trefflichsten Rinder am Pfluge,
Rötlich und groß von Wuchs, mit fettem Grase gesättigt,
Gleich an Alter und Kraft, mit unermüdlicher Stärke,
Eine Hufe zu ackern, und wiche die Erde der Pflugschar;
Sehen solltest du dann, wie grade Furchen ich zöge!
375
Oder sendete Zeus uns heute noch Krieg, und ging ich
Mit zwo blinkenden Lanzen und einem Schilde gerüstet,
Und die Schläfe geschirmt mit einem ehernen Helme;
Sehen solltest du traun! mich unter den vordersten Streitern,
Und mich nicht so höhnend an meinen Magen erinnern!
380
Aber du bist sehr stolz und menschenfeindliches Herzens;
Und du dünkst dir vielleicht ein großer und starker Achaier,
Weil du mit wenigen Leuten, und nicht den tapfersten, umgehst!
Aber käm Odysseus in seiner Väter Gefilde;
O bald würde die Türe, so weit sie der Zimmerer baute,
385
Dennoch zu enge dir sein, wann du zum Hause hinausflöhst!
Also sprach er; da ward Eurymachos‘ Herz noch erboster,
Zürnend schaut‘ er ihn an, und sprach die geflügelten Worte:
Elender, gleich empfange den Lohn, daß du unter so vielen
Edlen Männern so dreist, und ohne jemand zu fürchten,
390
Plauderst! Traun dich betört der Weinrausch, oder du bist auch
Immer ein solcher Geck, und schwatzest solche Geschwätze!
Oder schwindelt dein Hirn, weil du Iros, den Bettler, besiegt hast?
Also sprach er, und griff nach dem Schemel. Aber Odysseus
Warf zu Amphinomos‘ Knieen, des Dulichiers, eilend sich nieder,
395
Fürchtend Eurymachos‘ Wurf; und der Schemel flog an des Schenken
Rechte Hand, daß die Kanne voll Weins ihm tönend entstürzte,
Und er selbst mit Geheul auf den Boden rücklings dahinsank.
Aber nun lärmten die Freier umher in dem schattichten Saale;
Einer wendete sich zu seinem Nachbar, und sagte:
400
Wäre der irrende Fremdling doch ferne gestorben, bevor er
Ithaka sah; dann brächt‘ er uns nicht dies laute Getümmel!
Aber wir zanken uns hier um den leidigen Bettler, und schmecken
Nichts von den Freuden des Mahls; denn es wird je länger je ärger!
Und die heilige Kraft Telemachos sprach zur Versammlung:
405
Unglückselige Männer, ihr rast, und eure Gespräche
Zeugen von Speis‘ und Trank; euch reizet wahrlich ein Dämon!
Aber nachdem ihr geschmaust, so geht, und legt euch zu Hause
Schlafen, wann’s euch gefällt; doch treib‘ ich keinen von hinnen.
Also sprach er; da bissen sie ringsumher sich die Lippen,
410
Über den Jüngling erstaunt, der so entschlossen geredet.
Drauf erhub sich und sprach Amphinomos zu der Versammlung,
Nisos‘ rühmlicher Sohn, des aretiadischen Königs:
Freunde, Telemachos hat mit großem Rechte geredet;
Drum entrüste sich keiner, noch geb‘ ihm trotzige Antwort!
415
Auch mißhandelt nicht ferner den armen Fremdling, noch jemand
Von den Leuten im Hause des göttergleichen Odysseus.
Auf! es fülle voll neuem der Schenk mit Weine die Becher,
Daß wir opfern, und dann nach Hause gehen zu schlafen.
Aber der Fremdling bleib‘ im Hause des edlen Odysseus
420
Unter Telemachos‘ Schutz; denn ihm vertraut‘ er sein Heil an.
Also sprach er, und allen gefiel Amphinomos‘ Rede.
Und Held Mulios mischte den Wein im Kelche mit Wasser,
Dieser duilichische Herold, Amphinomos‘ treuer Gefährte;
Reichte dann allen umher die vollen Becher. Die Freier
425
Opferten jetzt, und tranken des herzerfreuenden Weines.
Und nachdem sie geopfert und nach Verlangen getrunken,
Gingen sie alle heim, der süßen Ruhe zu pflegen.

Siebzehnter Gesang

Siebzehnter Gesang

Am Morgen geht Telemachos in die Stadt. Odysseus, als Bettler, mit Eumäos nachfolgend, wird vom Ziegenhirten Melantheus gemißhandelt. Sein Hund Argos erkennt ihn. Den Bettelnden wirft Antinoos. Der Königin, die ihn zu sprechen wünscht, bestimmt er den Abend. Eumäos geht ab.

Als die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte,
Stand Telemachos auf, der Sohn des großen Odysseus,
Band die schönen Sohlen sich unter die glänzenden Füße,
Nahm dann die mächtige Lanze, die seinen Händen gerecht war,
5
Hinzugehn in die Stadt, und sprach zum Hüter der Schweine:
Väterchen, ich will jetzt in die Stadt gehn, daß mich die Mutter
Wiedersehe; denn eher, besorg‘ ich, ruhet sie schwerlich
Von dem bangen Gewinsel und ihrer tränenden Wehmut,
Bis sie mich selber sieht. Dir aber, Eumäos, befehl‘ ich:
10
Führ‘ ihn auch zu der Stadt, den unglückseligen Fremdling,
Daß er sich Nahrung bettle; ihm gebe jeder nach Willkür
Etwas Brosam und Wein. Ich kann unmöglich mir aller
Menschen Last aufbürden, mich drückt schon Kummer die Menge.
Dünkt sich der Fremdling etwa durch diese Worte beleidigt,
15
Desto schlimmer für ihn; ich rede gerne die Wahrheit.
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Lieber, ich selbst begehre nicht länger hier zu verweilen.
Leichter wird’s, in der Stadt, als auf dem Lande, dem Bettler,
Seine Nahrung zu finden; mir gebe jeder nach Willkür.
20
Denn mein Alter verstattet mir nicht, auf dem Lande zu bleiben,
Und die Dienste zu tun, die mir ein Schaffner geböte.
Gehe denn. Dieser Mann wird mich nachfahren, sobald ich
Mich am Feuer gewärmt, und die Sonne höher gestiegen.
Diese Lumpen bedecken mich nur! Die Kälte des Morgens
25
Möchte mir schaden; ihr sagt ja, die Stadt sei ferne von hinnen.
Also sprach er. Telemachos ging aus der Pforte des Hofes,
Eilte mit hurtigen Füßen, und sann auf der Freier Verderben.
Als er jetzo erreichte die schöngebauete Wohnung,
Stellt‘ er die Lanze hin an eine ragende Säule,
30
Überschritt dann selber die steinerne Schwelle des Saales.
Ihn erblickte zuerst die Pflegerin Eurykleia,
Welche mit Fellen bedeckte die künstlich gebildeten Throne.
Weinend lief sie gerad‘ auf ihn zu; es drängten sich um ihn
Auch die übrigen Mägde des leidengeübten Odysseus,
35
Hießen ihn froh willkommen, und küßten ihm Schultern und Antlitz.
Jetzo ging aus der Kammer die kluge Penelopeia,
Artemis gleich an Gestalt und der goldenen Aphrodite;
Und mit Tränen schlang sie den lieben Sohn in die Arme,
Küßte sein Angesicht, und beide glänzenden Augen,
40
Und begann lautweinend, und sprach die geflügelten Worte:
Kommst du, Telemachos, kommst du, mein süßes Leben. Ich hoffte
Nimmer dich wiederzusehn, da du ohne mein Wissen und Wollen
Warst gen Pylos geschifft, den lieben Vater zu suchen!
Aber verkündige mir, was du auf der Reise gesehen hast!
45
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Mutter, erinnere mich nicht an meinen Kummer, und reize
Nicht zur Klage mein Herz, da ich kaum dem Verderben entflohn bin.
Sondern bade dich erst, und lege reine Gewand‘ an.
Steig‘ in das Übergemach, von deinen Mägden begleitet,
50
Und gelobe den Göttern, vollkommene Hekatomben
Darzubringen, wenn Zeus doch endlich Rache vergölte.
Aber ich selber will zum Markte gehen, den Fremdling
Einzuladen, der mir hieher aus der Fremde gefolgt ist.
Diesen sandt‘ ich voran mit meinen edlen Gefährten,
55
Und befahl Peiräos, ihn mit nach Hause zu nehmen
Und sorgfältig zu pflegen, bis ich heimkehrte vorn Lande.
Also sprach er zu ihr, und redete nicht in die Winde.
Jene badete sich, und legte reine Gewand‘ an,
Und gelobte den Göttern, vollkommene Hekatomben
60
Darzubringen, wenn Zeus doch endlich Rache vergölte.
Aber Telemachos ging, mit seiner Lanze gerüstet,
Aus dem Palast; es begleiteten ihn schnellfüßige Hunde.
Siehe mit himmlischer Anmut umstrahlt‘ ihn Pallas Athene,
Daß die Völker alle dem kommenden Jünglinge staunten.
65
Um ihn versammelten sich die übermütigen Freier,
Die viel Gutes ihm sagten, und Böses im Herzen gedachten.
Aber Telemachos mied der Heuchler dichtes Gedränge,
Und ging hin zu Mentor und Antiphos und Halitherses,
Welche von Anbeginn des Vaters Freunde gewesen,
70
Setzte bei ihnen sich nieder, und diese fragten nach allem.
Ihnen nahte sich jetzo der lanzenberühmte Peiräos,
Welcher den Gast durch die Stadt zur Versammlung führte; und länger
Säumte Telemachos nicht, er eilte dem Fremdling‘ entgegen.
Ihn ermahnte zuerst mit diesen Worten Peiräos:
75
Eile, Telemachos, Mägde nach meinem Hause zu senden,
Um die Geschenke zu holen, die dir Menelaos geschenkt hat.
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Freund, wir wissen ja nicht, welch Ende die Sache gewinne!
Wenn mich in meinem Hause die übermütigen Freier
80
Heimlich ermorden, und dann mein väterlich Erbe sich teilen;
Will ich doch lieber, daß du, als ein anderer, jenes besitze.
Wenn es mir aber gelingt, sie mit blutigem Tode zu strafen:
Siehe dann magst du es fröhlich zum Hause des Fröhlichen bringen.
Sprach’s, und führte zu Hause den unglückseligen Fremdling.
85
Als sie jetzo erreichten die schöngebauete Wohnung
Legten sie ihre Mäntel auf prächtige Sessel und Throne,
Gingen und badeten sich in schöngeglätteten Wannen.
Als die Mägde sie jetzo gebadet, mit Öle gesalbet,
Und mit wollichtem Mantel und Leibrock hatten bekleidet;
90
Stiegen sie aus dem Bad‘, und setzten sich nieder auf Sessel.
Eine Dienern trug in der schönen goldenen Kanne
Über dem silbernen Becken das Wasser, beströmte zum Waschen
Ihnen die Händ‘, und stellte vor sie die geglättete Tafel.
Und die ehrbare Schaffnerin kam, und tischte das Brot auf,
95
Und der Gerichte viel aus ihrem gesammelten Vorrat.
Gegenüber saß auf dem Ruhesessel die Mutter
An der Schwelle des Saals, und drehte die zierliche Spindel.
Und sie erhoben die Hände zum leckerbereiteten Mahle.
Und nachdem die Begierde des Tranks und der Speise gestillt war,
100
Da begann das Gespräch die kluge Penelopeia:
Sohn, ich muß wohl wieder in meine Kammer hinaufgehn,
Auf dem Lager zu ruhn, dem jammervollen, das immer
Meine Tränen benetzen, seitdem der edle Odysseus
Mit den Atreiden gen Ilion zog; denn du findest Bedenken,
105
Ehe der Freier Schwarm zum Freudengelage zurückkehrt,
Mir zu erzählen, was du von deinem Vater gehört hast!
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Gerne will ich dir, Mutter, die lautere Wahrheit verkünden.
Siehe wir schifften gen Pylos, zu Nestor, dem Hirten der Völker.
110
Freundlich empfing mich dieser in seinem hohen Palaste,
Und bewirtete mich mit so geschäftiger Liebe,
Als ein Vater den Sohn, der spät aus der Fremde zurückkehrt:
So viel Liebe genoß ich von ihm und den trefflichen Söhnen.
Doch von dem leidengeübten Odysseus hatte der König
115
Nicht das geringste gehört; ob er tot sei, oder noch lebe.
Aber zu Atreus‘ Sohn Menelaos dem Lanzenberühmten
Sandt‘ er mit Rossen mich hin und einem zierlichen Wagen:
Wo ich Argos‘ Helena sah, um welche die Troer
Und Argeier so viel, nach dem Rat der Götter, erduldet.
120
Und mich fragte sogleich der Rufer im Streit Menelaos,
Was mich zu kommen genötigt zur göttlichen Stadt Lakedämon.
Und ich erzählte darauf umständlich die ganze Geschichte.
Nun antwortete mir der Held Menelaos, und sagte:
O ihr Götter, ins Lager des übergewaltigen Mannes
125
Wollten jene sich legen, die feigen verworfenen Menschen!
Aber wie wenn in dem Dickicht des starken Löwen die Hirschkuh
Ihre saugenden Jungen, die neugeborenen, hinlegt,
Dann auf den Bergen umher und kräuterbewachsenen Tälern
Weide sucht; und jener darauf in sein Lager zurückkehrt,
130
Und den Zwillingen beiden ein schreckliches Ende bereitet:
So wird jenen Odysseus ein schreckliches Ende bereiten.
Wenn er, o Vater Zeus, Athene und Phöbos Apollon!
Doch in jener Gestalt, wie er einst in der fruchtbaren Lesbos
Sich mit Philomeleides zum Wetteringen emporhub,
135
Und auf den Boden ihn warf, daß alle Achaier sich freuten;
Wenn doch in jener Gestalt Odysseus den Freiern erschiene:
Bald wär‘ ihr Leben gekürzt, und ihnen die Heirat verbittert!
Aber warum du mich fragst und bittest, das will ich geradaus,
Ohn‘ Umschweife, dir sagen, und nicht durch Lügen dich täuschen;
140
Sondern was mir der wahrhafte Greis des Meeres geweissagt,
Davon will ich kein Wort dir bergen oder verhehlen.
Jener hatt‘ auf der Insel den jammernden Helden gesehen,
In dem Hause der Nymphe Kalypso, die mit Gewalt ihn
Hält; und er sehnt sich umsonst nach seiner heimischen Insel:
145
Denn es gebricht ihm dort an Ruderschiffen und Männern,
Über den weiten Rücken des Meeres ihn zu geleiten.
Also verkündigte mir Menelaos der Lanzenberühmte.
Als ich dieses vollendet, da kehrt‘ ich von dannen: die Götter
Sandten mir günstigen Wind, und führten mich bald zu der Heimat.
150
Also sprach er; ihn hörte mit inniger Rührung die Mutter.
Und der göttliche Mann Theoklymenos redete jetzo.
Du ehrwürdiges Weib des Laertiaden Odysseus,
Jener wußte nicht alles; vernimm, was ich dir verkünde:
Denn ich will dir genau weissagen, und nichts dir verhehlen.
155
Zeus von den Göttern bezeug‘ es, und diese gastliche Tafel,
Und Odysseus heiliger Herd, zu welchem ich fliehe:
Daß Odysseus schon im Vaterlande verborgen
Sitzet, oder geheim umherschleicht, diese Verwüstung
Untersucht, und den Freiern ein schreckliches Ende bereitet.
160
Dieses ersah ich, sitzend im schöngebordeten Schiffe,
Aus des Vogels Fluge, und sagt‘ es Telemachos heimlich.
Ihm antwortete drauf die kluge Penelopeia:
Fremdling, erfülleten doch die Götter, was du geweissagt!
Dann erkenntest du bald an vielen und großen Geschenken
165
Deine Freundin, und jeder Begegnende priese dich selig!
Also besprachen diese sich jetzo untereinander,
Aber vor dem Palaste Odysseus‘ schwärmten die Freier,
Und belustigten sich, die Scheib‘ und die Lanze zu werfen,
Auf dem geebneten Platz, wo sie sonst Mutwillen verübten.
170
Jetzo kam die Stunde des Mahls, und die Hirten vom Felde
Brachten den täglichen Zoll des auserlesensten Mastviehs.
Da sprach Medon zu ihnen, der Herold, welcher am meisten
Unter den Freiern galt, und ihrer Schmäuse Genoß war:
Jünglinge, da ihr euch alle mit edlen Spielen erfreuet,
175
Geht nun wieder ins Haus, und bereitet die köstliche Mahlzeit;
Denn es ist nicht übel, zur rechten Stunde zu essen.
Also sprach er; da standen sie auf, und folgten dem Herold.
Als sie jetzo erreichten die schöngebauete Wohnung,
Legten sie ihre Mäntel auf prächtige Sessel und Throne,
180
Schlachteten große Schafe zum Mahl, und gemästete Ziegen,
Schlachteten fette Schwein‘ und eine Kuh von der Weide.
Und bereiteten eilig die Mahlzeit. Aber vom Landhof
Eilt‘ Odysseus zur Stadt und der edle Hüter der Schweine.
Also begann das Gespräch der männerbeherrschende Sauhirt:
185
Fremdling, weil du denn doch in die Stadt zu gehen verlangest,
Heute noch, wie mein Herr es dir befohlen; (ich wünschte
Freilich, du wärest hier als Hüter des Hofes geblieben;
Aber ich scheue mich, und fürchte, Telemachos möchte
Nachmals schelten; und kränkend sind doch die Verweise der Herren!)
190
Auf denn, so wollen wir gehn! Die größte Hälfte des Tages
Ist dahin, und die Kälte wird gegen Abend noch strenger.
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Gut, ich verstehe dich schon, das sind auch meine Gedanken.
Laß uns denn gehn, und du sei mein Begleiter und Führer.
195
Hast du auch einen Stab zurecht geschnitten, so gib ihn
Mir zur Stütze; ihr sagt ja, der Weg sei rauh und gefährlich.
Also sprach er, und hängt‘ um die Schulter den häßlichen Ranzen,
Allenthalben geflickt, mit einem geflochtenen Tragband;
Einen bequemen Stab zur Stütze gab ihn Eumäos;
200
Und sie gingen. Den Hof bewachten indessen die Hunde
Und die übrigen Hirten; und dieser führte den König,
Der, wie ein alter Mann, und mühebeladener Bettler,
Wankend am Stabe schlich, mit häßlichen Lumpen bekleidet.
Als die Wandernden jetzo auf ihrem höckrichten Wege
205
Nahe kamen der Stadt, am schöngebaueten Brunnen,
Welchem die Bürger der Stadt das klare Wasser entschöpften;
(Ithakos hatt‘ ihn gebaut und Neritos und Polyktor:
Ringsum war ein Hain von wasserliebenden Pappeln
In die Runde gepflanzt, und hoch von Felsen herunter
210
Schäumte das kalte Wasser; ein Altar stand auf der Höhe,
Wo die Wanderer alle den Nymphen pflegten zu opfern:)
Da erreichte sie Dolios‘ Sohn, der Hirte Melantheus,
Welcher die trefflichsten Ziegen der ganzen Herde den Freiern
Brachte zum Schmaus; es begleiteten ihn zween andere Hirten.
215
Als sie dieser erblickte, da stieß er mit schreiender Stimme
Freche Schmähungen aus, und reizte die Seele des Königs:
Wahrlich das heißt wohl recht, ein Taugenicht führet den andern!
Wie gesellet doch Gott beständig Gleiche zu Gleichen!
Sprich, wo führst du den Hungrigen hin, nichtswürdiger Sauhirt,
220
Diesen beschwerlichen Bettler, der schmierigen Brocken Verschlinger,
Welcher von Türe zu Tür‘ an den Pfosten die Schulter sich reibet,
Und sich Krümchen erbettelt, nicht Schwerter noch eherne Kessel,
Gäbest du mir den Kerl zum Hüter meines Geheges,
Daß er die Ställe fegt‘, und Laub vortrüge den Zicklein;
225
Molken sollt‘ er mir saufen, um Fleisch auf die Lenden zu kriegen!
Aber da er nun nichts als Bubenstücke gelernt hat,
Wird er nicht gern arbeiten, und lieber das Land durchstreichen,
Seinen gefräßigen Leib mit Bettelbrote zu stopfen.
Aber ich sage dir an, und das wird wahrlich erfüllet:
230
Kommt er je in das Haus des göttergleichen Odysseus,
Hageln werden die Schemel im Saal aus den Händen der Männer
Rings um sein Haupt, und die Ecken an seinen Rippen zerstoßen!
Also sprach er, und kam und stieß mit der Ferse vor Bosheit
Ihm in die Seit‘; allein er wankte nicht aus dem Wege,
235
Sondern stand unerschüttert. Nun überlegte Odysseus:
Ob er auf ihn mit dem Stab‘ anrennt‘, und das Leben ihm raubte;
Oder ihn hoch erhüb‘, und sein Haupt auf den Boden zerknirschte;
Doch er bezwang sein Herz, und duldete. Aber der Sauhirt
Schalt ihn ins Antlitz, und betete laut mit erhobenen Händen:
240
Nymphen des heiligen Quells, Zeus‘ Töchter! Hat jemals Odysseus
Lenden mit Fette bedeckt von jungen Ziegen und Lämmern
Euch zur Ehre verbrannt; so erfüllt mein heißes Verlangen:
Daß heimkehre der Held, und ihn ein Himmlischer führe!
O dann würd‘ er dir bald die hohen Gedanken vertreiben,
245
Welche du Trotziger jetzo hegst, da du immer die Stadt durch-
Irrst, indes die Herde von bösen Hirten verderbt wird!
Und der Ziegenhirte Melanthios gab ihm zur Antwort:
Götter, was plaudert er da, der Hund voll hämischer Tücke!
Ha! ich werd‘ ihn noch einst im schwarzen gerüsteten Schiffe
250
Fern von Ithaka bringen, damit ich ihn teuer verkaufe!
Tötete doch so gewiß der silberne Bogen Apollons,
Oder der Freier Gewalt, Telemachos heut‘ im Palaste;
Als Odysseus ferne von seiner Heimat dahinsank!
Also sprach er, und eilte voran; sie folgten ihm langsam.
255
Und mit hurtigen Schritten erreicht‘ er des Königes Wohnung,
Ging gerade hinein, und setzte sich unter die Freier,
Gegen Eurymachos über; denn diesen liebt‘ er am meisten.
Vor ihn legten ein Teil des Fleisches die hurtigen Diener;
Und die ehrbare Schaffnerin kam, und tischte das Brot auf,
260
Und er aß. Nun kam mit Odysseus der treffliche Sauhirt
Nahe; sie standen still. Der hohlen Harfe Getön scholl
Ihnen melodisch entgegen; denn Phemios hub den Gesang an.
Und Odysseus faßte die Hand des Hirten, und sagte:
Wahrlich, Eumäos, dies ist die prächtige Wohnung Odysseus‘!
265
Diese würde man leicht auch unter vielen erkennen!
Zimmer stehen auf Zimmern; den Hof umschließet die schöne
Zinnenbefestigte Mauer mit einem doppelten starken
Flügeltor; sie vermöchte wohl schwerlich ein Mann zu erobern!
Auch bemerk‘ ich dieses, daß viele Männer ein Gastmahl
270
Drinnen begehn; denn es duftet von Speisen umher, und die Harfe
Tönet, welche die Götter dem Mahl zur Freundin verliehen.
Ihm antwortetest du, Eumäos, Hüter der Schweine:
Richtig bemerkst du, da dir’s auch sonst an Verstande nicht fehlet.
Aber wir wollen anitzt nachdenken, wie wir es machen.
275
Geh du entweder zuerst in die schöngebauete Wohnung
Unter den Haufen der Freier; so wart‘ ich hier noch ein wenig:
Oder willst du, so bleib‘; auch ich will erstlich hineingehn.
Aber zögere nicht; hier draußen möchte dich jemand
Schlagen oder auch werfen. Dies überlege nun selber.
280
Ihm antwortete drauf der herrliche Dulder Odysseus:
Gut, ich verstehe dich schon, dies sind auch meine Gedanken.
Gehe denn erst hinein; ich warte hier noch ein wenig.
Denn ich verstehe mich auf Schläg‘ und Würfe so ziemlich,
Und nicht schwach ist mein Herz. Ich habe schon vieles erduldet,
285
Schrecken des Meers und des Kriegs; so mag auch dies noch geschehen!
Aber man kann unmöglich die Wut des hungrigen Magens
Bändigen, welcher den Menschen so vielen Kummer verursacht!
Ihn zu besänftigen, gehn selbst schöngezimmerte Schiffe
Über das wilde Meer, mit Schrecken des Krieges gerüstet!
290
Also besprachen sich diese jetzo untereinander.
Aber ein Hund erhob auf dem Lager sein Haupt und die Ohren,
Argos: welchen vordem der leidengeübte Odysseus
Selber erzog; allein er schiffte zur heiligen Troja
Ehe er seiner genoß. Ihn führten die Jünglinge vormals
295
Immer auf wilde Ziegen und flüchtige Hasen und Rehe:
Aber jetzt, da sein Herr entfernt war, lag er verachtet
Auf dem großen Haufen vom Miste der Mäuler und Rinder,
Welcher am Tore des Hofes gehäuft ward, daß ihn Odysseus‘
Knechte von dannen führen, des Königes Äcker zu düngen;
300
Hier lag Argos der Hund, von Ungeziefer zerfressen.
Dieser, da er nun endlich den nahen Odysseus erkannte,
Wedelte zwar mit dem Schwanz, und senkte die Ohren herunter;
Aber er war zu schwach, sich seinem Herren zu nähern.
Und Odysseus sah es, und trocknete heimlich die Träne,
305
Unbemerkt von Eumäos, und fragete seinen Begleiter:
Wunderbar ist es, Eumäos, daß dieser Hund auf dem Miste
Liegt! Sein Körper ist schön von Bildung; aber ich weiß nicht,
Ob er mit dieser Gestalt auch schnell im Laufe gewesen,
Oder so, wie die Hund‘ um der Reichen Tische gewöhnlich
310
Sind; denn solche Herren erziehn sie bloß zum Vergnügen.
Ihm antwortetest du, Eumäos, Hüter der Schweine:
Freilich! denn dies ist der Hund des ferne gestorbenen Mannes.
Wär‘ er derselbige noch an Gestalt und mutigen Taten,
Als wie Odysseus ihn, gen Troja schiffend, zurückließ;
315
Sicherlich würdest du jetzo die Kraft und die Schnelle bewundern!
Trieb er ein Wildbret auf im dichtverwachsenen Waldtal,
Nimmer entfloh es ihm; denn er war auch ein weidlicher Spürhund.
Aber nun liegt er im Elend hier; denn fern von der Heimat
Starb sein Herr, und die Weiber, die faulen, versäumen ihn gänzlich.
320
Das ist die Art der Bedienten: Sobald ihr Herr sie nicht antreibt,
Werden sie träge zum Guten, und gehn nicht gern an die Arbeit.
Zeus‘ allwaltender Rat nimmt schon die Hälfte der Tugend
Einem Manne, sobald er die heilige Freiheit verlieret.
Also sprach er, und ging in die schöngebauete Wohnung,
325
Eilte dann grad‘ in den Saal zu den übermütigen Freiern.
Aber Argos umhüllte der schwarze Schatten des Todes,
Da er im zwanzigsten Jahr Odysseus wieder gesehen.
Jenen sahe zuerst Telemachos, göttlich von Bildung,
Durch den Palast herwandeln, den trefflichen Hirten; er winkt‘ ihm
330
Eilig, und rief ihn heran. Der ringsumschauende Sauhirt
Nahm den ledigen Stuhl, worauf der Zerleger gesessen,
Welcher den Freiern im Saale die Menge des Fleisches zerteilte;
Diesen trug er von dannen, und stellt‘ ihn Telemachos‘ Tafel
Gegenüber, und setzte sich drauf; dann brachte der Herold
335
Ihm ein Teil des Fleisches, und gab ihm Brot aus dem Korbe.
Lange saß er noch nicht; da trat in die Wohnung Odysseus,
Der, wie ein alter Mann und mühebeladener Bettler,
Wankend am Stabe schlich, mit häßlichen Lumpen bekleidet.
Dieser setzte sich hin auf die eschene Schwelle der Pforte,
340
An die cypressene Pfoste den Rücken lehnend, die vormals
Künstlich der Meister gebildet, und nach dem Maße der Richtschnur.
Und Telemachos rief dem edlen Hirten der Schweine,
Gab ihm ein ganzes Brot aus dem schöngeflochtenen Korbe,
Und des Fleisches so viel, als er mit den Händen umfaßte:
345
Bringe dieses dem Fremdlinge hin, und sag‘ ihm, er möchte
Selber bei allen Freiern im Saale bittend umhergehn;
Denn die Blödigkeit ist dem darbenden Manne nicht heilsam.
Sprach’s; und der Sauhirt ging, sobald er die Rede vernommen,
Trat vor Odysseus hin, und sprach die geflügelten Worte:
350
Fremdling, Telemachos sendet dir dies, und saget, du möchtest
Selber bei allen Freiern im Saale bittend umhergehn;
Denn die Blödigkeit sei dem darbenden Manne nicht heilsam.
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Segne, du herrschender Zeus, Telemachos unter den Männern,
355
Und vollend‘ ihm alles, was seine Seele begehret!
Also sprach er, empfing es mit beiden Händen, und legt‘ es
Dort vor den Füßen nieder auf seinen häßlichen Ranzen;
Und dann aß er, so lange das Lied des Sängers ertönte.
Als er jetzo gespeist, da schwieg auch der göttliche Sänger.
360
Aber die Freier durchlärmten den Saal; und Pallas Athene
Nahte sich abermal dem Laertiaden Odysseus,
Und ermahnt‘ ihn, sich Brosam von allen Freiern zu sammeln,
Daß er die Mildegesinnten und Ungerechten erkennte;
Dennoch sollte nicht einen die schreckliche Rache verschonen!
365
Und er wandte sich rechts, und trat zu jeglichem Manne,
Reichte flehend die Hand, als hätt‘ er schon lange gebettelt.
Jene gaben ihm mitleidsvoll, und fragten, verwundert
Über des Bettlers Gestalt: wer er wär‘, und von wannen er käme.
Und der Ziegenhirte Melanthios sprach zur Versammlung:
370
Höret mich an, ihr Freier der weitgepriesenen Fürstin,
Wegen des Fremdlings hier. Ich hab‘ ihn nur eben gesehen;
Denn er ging zu der Stadt, und der Sauhirt war sein Geleiter.
Aber das weiß ich nicht, von welchem Geschlecht er sich rühme.
Sprach’s; und Antinoos schalt den edlen Hirten der Schweine:
375
Warum führtest du diesen zur Stadt, du berüchtigter Sauhirt?
Irren nicht etwa genug Landstreicher vor unseren Türen,
Solche beschwerliche Bettler und schmieriger Brocken Verschlinger?
Oder glaubst du, hier fehl‘ es an Gästen, welche die Güter
Deines Herrn verschlingen; daß du auch diesen noch herrufst?
380
Ihm antwortetest du, Eumäos, Hüter der Schweine:
Edel, Antinoos, bist du; allein du redest nicht schicklich.
Denn wer gehet wohl aus, und ladet selber den Fremdling,
Wo er nicht etwa im Volk durch nützliche Künste berühmt ist,
Als den erleuchteten Seher, den Arzt, den Meister des Baues,
385
Oder den göttlichen Sänger, der uns durch Lieder erfreuet?
Diese laden die Menschen in allen Landen der Erde.
Aber den Bettler, der nur belästiget, lüde wohl niemand!
Doch beständig warst du, vor allen Freiern, Odysseus‘
Knechten hart, und mir am härtesten; aber mich kümmert’s
390
Nicht: denn siehe noch lebt die kluge Penelopeia
Und ihr göttlicher Sohn Telemachos in dem Palaste!
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Väterchen, laß das sein! Was gibst du ihm vieles zur Antwort?
Denn das war ja beständig Antinoos‘ böse Gewohnheit:
395
Hart und beleidigend redet er selbst, und verführt auch die andern!
Und zu Antinoos sprach er die schnell geflügelten Worte:
Traun! wie ein Vater des Sohns, Antinoos, waltest du meiner,
Da du befiehlst, den Fremdling mit harten Worten gewaltsam
Aus dem Hause zu treiben! Das wolle Gott nicht gefallen!
400
Nimm und gib ihm; ich sehe nicht scheel, ich heiß‘ es dir selber!
Scheue dich hierin auch nicht vor meiner Mutter, noch jemand
Unter den Leuten im Hause des göttergleichen Odysseus!
Aber dein Herz bekümmern nicht solche Gedanken; du willst nur
Lieber alles allein aufschlingen, als etwas verschenken.
405
Und Antinoos rief, und gab ihm dieses zur Antwort:
Jüngling von trotziger Red‘ und verwegenem Mute, was sagst du?
Schenkten so vieles, wie ich, ihm auch die übrigen Freier,
In drei Monden würd‘ er dies Haus nicht wieder besuchen!
Also sprach er, und hob den Schemel unter dem Tische
410
Drohend empor, auf welchem die Füße des Schmausenden ruhten.
Aber die andern gaben ihm all‘, und füllten den Ranzen
Ihm mit Fleisch und Brot. Und jetzo wollte Odysseus
Wieder zur Schwelle gehn, der Achaier Geschenke zu kosten;
Aber er stellte sich erst vor Antinoos‘ Tafel, und sagte:
415
Lieber, beschenke mich auch! Du scheinst mir nicht der Geringste,
Sondern ein edler Achaier, du hast ein königlich Ansehn:
Darum mußt du mir auch mehr Speise geben, als andre;
Und ich werde dein Lob in allen Landen verkünden.
Denn auch ich war ehmals ein glücklicher Mann, und Bewohner
420
Eines reichen Palastes, und gab dem irrenden Fremdling
Oftmals, wer er auch war, und welche Not ihn auch drängte;
Und unzählige Knechte besaß ich, und andere Güter,
Die man zum Überfluß und zur Pracht der Reichen erfodert.
Aber das nahm mir Zeus nach seinem heiligen Ratschluß;
425
Denn er verleitete mich, mit küstenumirrenden Räubern
Weit nach Ägyptos zu schiffen, um mein Verderben zu finden.
Und ich legte die Schiff‘ im Strom Ägyptos vor Anker;
Dringend ermahnt‘ ich jetzo die lieben Reisegefährten,
An dem Gestade zu bleiben, und unsere Schiffe zu hüten,
430
Und versendete Wachen umher auf die Höhen des Landes.
Aber sie wurden vom Trotz und Übermute verleitet,
Daß sie ohne Verzug der Ägypter schöne Gefilde
Plünderten, ihre Weiber gefangen führten, die Männer
Und unmündigen Kinder ermordeten. Und ihr Geschrei kam
435
Schnell in die Stadt. Sobald der Morgen sich rötete, zogen
Streiter zu Roß und zu Fuße daher, und vom blitzenden Erze
Strahlte das ganze Gefilde. Der Donnerer Zeus Kronion
Sendete meinen Gefährten die schändliche Flucht, und es wagte
Keiner dem Feinde zu stehn; denn ringsum drohte Verderben.
440
Viele töteten sie mit ehernen Lanzen, und viele
Schleppten sie lebend hinweg zu harter sklavischer Arbeit.
Aber nach Kypros schenkten sie mich dem begegnenden Fremdling
Dmetor, Jasos‘ Sohne, dem mächtigen Herrscher in Kypros.
Und von dannen komm‘ ich nun hier, mit Kummer beladen.
445
Und Antinoos rief, und gab ihm dieses zur Antwort:
Welch ein Himmlischer straft uns mit dieser Plage des Gastmahls?
Stelle dich dort in die Mitte, und hebe dich weg von der Tafel,
Daß du mir nicht ein herbes Ägyptos und Kypros erblickest!
Ha du bist mir der frechste, der unverschämteste Bettler!
450
Gehst nach der Reihe bei allen umher; und ohne Bedenken
Geben sie dir! Wozu auch so sparsam, oder so ängstlich,
Fremdes Gut zu verschenken, wo man so reichlich versorgt ist!
Weichend erwiderte drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Götter, wie wenig gleichen dein Herz und deine Gestalt sich!
455
Von dem Deinigen schenkst du dem Darbenden schwerlich ein Salzkorn,
Da du an fremdem Tische dich nicht erbarmst, ein wenig
Mir von der Speise zu geben, womit du so reichlich versorgt bist!
Also sprach er; da ward Antinoos‘ Herz noch erboster;
Drohend blickt‘ er ihn an, und sprach die geflügelten Worte:
460
Nun so sollst du gewiß auf diesem Saale nicht wieder
Unbeschädigt entrinnen, da du noch Schmähungen redest!
Sprach’s, und warf mit dem Schemel die rechte Schulter Odysseus‘
Dicht am Gelenke des Halses. Er aber stand, wie ein Felsen,
Fest, und wankte nicht von Antinoos‘ mächtigem Wurfe;
465
Sondern schüttelte schweigend das Haupt, und sann auf Verderben;
Ging dann zur Schwelle zurück, und setzte sich, legte den Ranzen
Voll von Speise nieder, und sprach zu der Freier Versammlung:
Höret mich an, ihr Freier der weitgepriesenen Fürstin,
Daß ich rede, wie mir das Herz im Busen gebietet.
470
Nicht der mindeste Schmerz noch Kummer beuget die Seele
Eines Mannes, der, streitend für seine Güter, vom Feinde
Wunden empfängt, für die Herden der Rinder und wollichten Schafe:
Doch Antinoos warf mich wegen des traurigen Hungers,
Welcher den elenden Menschen so vielen Kummer verursacht!
475
Aber beschützt auch die Armen der Götter und Göttinnen Rache,
Dann ereile der Tod Antinoos vor der Vermählung!
Und Eupeithes‘ Sohn Antinoos gab ihm zur Antwort:
Fremdling, sitze geruhig und iß, oder gehe von hinnen;
Daß dich die Jünglinge nicht bei den Händen und Füßen, du Schwätzer,
480
Durch den Palast fortschleppen, und deine Glieder zerreißen!
Also sprach er; allein die übrigen zürnten ihm heftig.
Also redete mancher der übermütigen Freier:
Übel, Antinoos, tatst du, den armen Fremdling zu werfen!
Unglückseliger! wenn er nun gar ein Himmlischer wäre!
485
Denn oft tragen die Götter entfernter Fremdlinge Bildung;
Unter jeder Gestalt durchwandern sie Länder und Städte,
Daß sie den Frevel der Menschen und ihre Frömmigkeit schauen.
Also sprachen die Freier; allein er verachtete solches.
Aber Telemachos schwoll das Herz von großer Betrübnis.
490
Als er ihn warf: doch netzt‘ ihm keine Träne die Wangen;
Sondern er schüttelte schweigend das Haupt, und sann auf Verderben.
Auch in der Kammer vernahm es die kluge Penelopeia,
Als man ihn warf im Saal, und redete unter den Weibern:
Also treffe dich selbst der bogenberühmte Apollon!
495
Aber die Schaffnerin Eurynome gab ihr zur Antwort:
Ja! wenn die Sache, mein Kind, nach unsern Wünschen geschehe,
Keiner von diesen erlebte die goldene Röte des Morgens!
Ihr antwortete drauf die kluge Penelopeia:
Mutter, verhaßt sind mir alle, denn alle trachten nach Unglück!
500
Aber Antinoos gleicht doch am meisten dem schwarzen Verhängnis!
Denn es wanket im Saal ein unglückseliger Fremdling
Bittend umher bei den Männern; ihn zwingt der äußerste Mangel.
Und die übrigen füllten ihm alle den Ranzen mit Gaben;
Er nur warf ihm am Hals auf die rechte Schulter den Schemel.
505
Also redete sie, umringt von dienenden Weibern,
Sitzend in ihrer Kammer. Nun aß der edle Odysseus;
Und sie berief zu sich den edlen Hirten, und sagte:
Eile schnell in den Saal, Eumäos, und heiße den Fremdling
Zu mir kommen. Ich möcht‘ ihn ein wenig sprechen und fragen:
510
Ob er etwa gehört von dem leidengeübten Odysseus,
Oder ihn selber gesehn; denn er scheint viel Länder zu kennen.
Ihr antwortetest du, Eumäos, Hüter der Schweine:
Schwiegen nur die Achaier, o Königin, drinnen im Saale,
Wahrlich er würde dein Herz durch seine Reden erfreuen!
515
Denn ich hatt‘ ihn bei mir drei Tag‘ und Nächt‘ in der Hütte,
Wo er zuerst ankam, nachdem er vom Schiffe geflohn war;
Und doch hat er mir nicht sein Leiden alles erzählet.
So aufmerksam ein Mann den gottbegeisterten Sänger
Anschaut, welcher die Menschen mit reizenden Liedern erfreuet;
520
Voller Begierde horcht die Versammlung seinem Gesange:
Eben so rührt‘ er mein Herz, da er bei mir saß in der Hütte.
Und er saget, er sei durch seinen Vater ein Gastfreund
Von Odysseus, und wohne in Kreta, Minos‘ Geburtsland;
Und von dannen komm‘ er nun hier, durch mancherlei Trübsal
525
Weiter und weiter gewälzt; auch hab‘ er gehört, daß Odysseus
Nahe bei uns im fetten Gebiet der thesprotischen Männer
Leb‘, und mit großem Gut heimkehre zu seinem Palaste.
Ihm antwortete drauf die kluge Penelopeia:
Geh, und ruf ihn hieher, damit er mir selber erzähle.
530
Jene mögen indes vor der Türe sitzen und scherzen,
Oder auch dort im Saale, da ihre Herzen vergnügt sind.
Denn ihr eigenes Gut liegt unversehrt in den Häusern,
Speise und süßer Wein, und nähret bloß das Gesinde.
Aber sie schalten von Tage zu Tag‘ in unserem Hause,
535
Schlachten unsere Rinder und Schaf‘ und gemästeten Ziegen
Für den üppigen Schmaus, und schweigen im funkelnden Weine
Ohne Scheu; und alles wird leer: denn es fehlt uns ein solcher
Mann, wie Odysseus war, die Plage vom Hause zu wenden.
Käm‘ Odysseus zurück in seine Heimat, er würde
540
Bald mit seinem Sohne den Frevel der Männer bestrafen!
Also sprach sie; da nieste Telemachos laut, und ringsum
Scholl vom Getöse der Saal. Da lächelte Penelopeia,
Wandte sich schnell zu Eumäos, und sprach die geflügelten Worte:
Gehe mir gleich in den Saal, Eumäos, und rufe den Fremdling!
545
Siehst du nicht, wie mein Sohn mir alle Worte beniest hat?
Ja nun werde der Tod das unvermeidliche Schicksal
Aller Freier, und keiner entfliehe dem blutigen Tode!
Eins verkünd‘ ich dir noch, bewahre dieses im Herzen:
Wann ich merke, daß jener mir lautere Wahrheit erzählet,
550
Will ich mit schönen Gewanden, mit Rock und Mantel, ihn kleiden.
Sprach’s; und der Sauhirt eilte, sobald er die Rede vernommen,
Trat vor Odysseus hin, und sprach die geflügelten Worte:
Fremder Vater, dich läßt die kluge Penelopeia
Rufen, Telemachos‘ Mutter; denn ihre Seele gebeut ihr,
555
Wegen des Mannes zu fragen, um den sie so herzlich betrübt ist.
Wann sie merkt, daß du ihr lautere Wahrheit erzählest,
Will sie mit Rock und Mantel dich kleiden, die du am meisten
Nötig hast. Denn Speise, den Hunger zu stillen, erlangst du
Leicht durch Betteln im Volk; es gebe dir jeder nach Willkür.
560
Ihm antwortete drauf der herrliche Dulder Odysseus:
Gern erzählt‘ ich nun gleich, Eumäos, die lautere Wahrheit
Vor Ikarios‘ Tochter, der klugen Penelopeia.
Denn viel weiß ich von ihm: wir duldeten gleiches Verhängnis.
Aber ich fürchte nur der bösen Freier Versammlung,
565
Deren Trotz und Gewalt den eisernen Himmel erreichet.
Denn jetzt eben, da jener mich warf, daß der Schmerz mich betäubte,
Mich, der kein Böses tat, und bittend im Saale herumging;
Hat mich Telemachos weder, noch irgend ein andrer verteidigt.
Sage denn Penelopeien, sie möcht‘ in ihren Gemächern
570
Harren, wie sehr sie verlangt, bis erst die Sonne gesunken.
Alsdann frage sie mich nach ihres Mannes Zurückkunft,
Nahe beim Feuer mich setzend; denn meine Kleider sind elend.
Dieses weißt du auch selbst; du warst mein erster Beschützer.
Sprach’s; und der Sauhirt eilte, sobald er die Rede vernommen.
575
Als er die Schwelle betrat, da fragte Penelopeia:
Bringst du ihn nicht, Eumäos, warum bedenkt sich der Fremdling?
Hält ihn etwa die Furcht vor Gewalttat, oder die Scham ab,
Durch den Palast zu gehn? Ein schamhafter Bettler ist elend!
Ihr antwortetest du, Eumäos, Hüter der Schweine:
580
Was er sagt, hat Grund; so würd‘ auch ein anderer denken,
Um den Trotz zu vermeiden der übermütigen Männer.
Darum bittet er, harre, bis erst die Sonne gesunken.
Auch für dich selber ist der Abend bequemer, o Fürstin,
Daß du den fremden Mann allein befragest und hörest.
585
Ihm antwortete drauf die kluge Penelopeia:
Wer der Fremdling auch sei, so denkt er nicht unvernünftig;
Denn an keinem Orte, den sterbliche Menschen bewohnen,
Üben trotzige Männer so ausgelassene Greuel!
Also redete sie. Drauf ging der treffliche Sauhirt
590
Zu der Freier Versammlung, da sein Gewerbe bestellt war;
Und er neigte das Haupt zu Telemachos, redete leise,
Daß es die andern nicht hörten, und sprach die geflügelten Worte:
Lieber, ich gehe nun weg, die Schwein‘ und das andre zu hüten,
Dein und mein Vermögen; du sorg‘ indessen für dieses.
595
Aber vor allen erhalte dich selbst, und siehe dich wohl vor,
Daß dir kein Böses geschehe: denn viele sinnen auf Unglück.
Doch Zeus rotte sie aus, bevor sie uns Schaden bereitet!
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Väterchen, also geschehe; doch warte bis gegen den Abend.
600
Morgen früh komm wieder, und bring‘ die gemästeten Opfer;
Für das übrige laß mich und die Unsterblichen sorgen.
Sprach’s; und der Sauhirt setzte sich auf den zierlichen Sessel.
Und nachdem er sein Herz mit Trank und Speise gesättigt,
Eilt‘ er zurück zu den Schweinen, den Hof des Hauses verlassend,
605
Wo die schwelgenden Freier sich schon beim Tanz und Gesange
Freuten; denn jetzo neigte der Tag sich gegen den Abend.

Sechzehnter Gesang

Sechzehnter Gesang

Ankunft des Telemachos in des Sauhirten Gehege. Während Eumäos der Königin die Botschaft bringt, entdeckt sich Odysseus dem Sohne, und verabredet der Freier Ermordung. An der Stadt landen Telemachos‘ Genossen, und drauf‘ seine Nachsteller, die ihn in Ithaka selbst zu ermorden beschließen. Des Sauhirten Rückkehr.

Frühe bereitete schon mit Odysseus der treffliche Sauhirt
In der Hütte das Mahl bei angezündetem Feuer,
Sandte darauf die Hirten mit ihren Schweinen zu Felde.
Und Telemachos kam; ihn umhüpften die wachsamen Hunde
5
Schmeichelnd, und bellten nicht. Der göttergleiche Odysseus
Sah die schmeichelnden Hund‘, und hörte des Kommenden Fußtritt;
Wandte sich schnell zu Eumäos, und sprach die geflügelten Worte:
Sicher, Eumäos, besucht dich einer von deinen Gesellen,
Oder auch sonst ein Bekannter; denn ihn umhüpfen die Hunde
10
Schmeichelnd, und bellen nicht; auch hör‘ ich des Kommenden Fußtritt.
Als er noch redete, siehe da stand an der Schwelle des Hauses
Sein geliebtester Sohn. Voll Schrecken erhub sich der Sauhirt;
Seinen Händen entsank das Geschirr, das er eben gebrauchte,

Funkelnden Wein zu mischen; er eilte dem Fürsten entgegen,
15
Küßte sein Angesicht, und beide glänzenden Augen,
Beide Hände dazu; und Tränen umflossen sein Antlitz.
Wie den geliebten Sohn ein gütiger Vater bewillkommt,
Ihn, der im zehnten Jahr‘ aus fernen Landen zurückkehrt,
Ach! den einzigen, spätgebornen, mit Kummer erzognen:
20
Also umarmte den schönen Telemachos jetzo der Sauhirt,
Und bedeckt‘ ihn mit Küssen, als wär‘ er vom Tod‘ erstanden.
Und lautweinend begann er, und sprach die geflügelten Worte:
Kommst du, Telemachos, kommst du, mein süßes Leben? Ich hoffte
Nimmer dich wiederzusehn, da du nach Pylos geschifft warst!
25
Komm doch herein, du trautes Kind; daß mein Herz sich erfreue
Deines Anblicks, du! der erst aus der Fremde zurückkommt!
Oft besuchst du ja nicht uns Hirtenleut‘ auf dem Felde,
Sondern bleibst in der Stadt; denn du findest ein eignes Vergnügen,
Stets den verwüstenden Schwarm der bösen Freier zu sehen!
30
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Väterchen, dieses geschehe; denn deinethalben nur komm‘ ich,
Um dich wieder mit Augen zu sehn, und von dir zu erfahren:
Ob die Mutter daheim noch weile; oder der andern
Einen zum Manne gewählt, und nun das Lager Odysseus,
35
Aller Betten beraubt, von Spinneweben entstellt sei?
Ihm antwortete drauf der männerbeherrschende Sauhirt:
Allerdings weilt jene mit treuer duldender Seele
Noch in deinem Palast; und immer schwinden in Jammer
Ihre Tage dahin, und unter Tränen die Nächte!
40
Also sprach er, und nahm ihm die eherne Lanze, da jener
Über die steinerne Schwell‘ in seine Kammer hineintrat.
Vor dem Kommenden wich sein Vater Odysseus vom Sitze;
Aber Telemachos hielt ihn, und sprach mit freundlicher Stimme:
Fremder Mann, bleib sitzen; wir finden in unserer Wohnung
45
Wohl noch anderswo Platz; der Mann hier wird mich schon setzen!
Sprach’s; und Odysseus kam und setzte sich. Aber der Sauhirt
Breitete grüne Zweige für jenen, und drüber ein Geißfell;
Hierauf setzte sich dann der geliebte Sohn von Odysseus.
Und nun tischte vor ihnen der Sauhirt Schüsseln gebratnes
50
Fleisches auf, die sie letzt von der Mahlzeit übrig gelassen;
Eilte hinweg, und brachte gehäufte Körbe mit Kuchen,
Mischte dann süßen Wein im großen hölzernen Becher;
Hierauf setzt‘ er sich gegen den göttergleichen Odysseus.
Und sie erhoben die Hände zum leckerbereiteten Mahle.
55
Jetzo war die Begierde des Tranks und der Speise gestillet;
Und Telemachos sprach zu dem edlen Hüter der Schweine:
Vater, woher kam dieser Gast? Wie brachten die Schiffer
Ihn nach Ithaka her? Was rühmen sich jene für Leute?
Denn unmöglich ist er doch hier zu Fuße gekommen!
60
Ihm antwortetest du, Eumäos, Hüter der Schweine:
Dieses will ich dir, Sohn, und nach der Wahrheit erzählen.
Aus dem weiten Gefilde von Kreta stammet der Fremdling;
Viele Städte, sagt er, der Sterblichen sei er durchwandert,
Seit ihn der Himmlischen einer, die Welt zu durchflüchten, verurteilt.
65
Jetzo entrann er vom Schiffe thesprotischer Männer, und eilte
Her in mein Hirtengeheg‘. Ich geb‘ ihn dir in die Hände:
Tue mit ihm, wie du willst; denn deiner Gnade vertraut er.
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Was du mir jetzo gesagt, Eumäos, kümmert mich herzlich!
70
Denn wie kann ich den Fremdling in meinem Hause bewirten?
Sieh, ich selber bin jung, und Stärke fehlet den Händen,
Abzuwehren den Mann, der ihn zu beleidigen wagte.
Aber der Mutter Herz wankt zwischen beiden Entschlüssen,
Ob sie noch weile bei mir, und meine Güter bewahre,
75
Scheuend das Lager des Ehegemahls, und die Stimme des Volkes;
Oder jetzt von den Freiern im Hause den tapfersten Jüngling,
Welcher das meiste geschenkt, zu ihrem Bräutigam wähle.
Aber da dieser Fremdling zu deiner Hütte geflohn ist,
Will ich mit schönen Gewanden, mit Rock und Mantel, ihn kleiden,
80
Ein zweischneidiges Schwert und tüchtige Sohlen ihm schenken,
Und ihn senden, wohin es seinem Herzen gelüstet.
Wenn du willst, so behalt‘ du und pfleg‘ ihn hier in der Hütte.
Ich will Kleider hieher und allerlei Speise zum Essen
Senden, daß er nicht dich und deine Freunde beschwere.
85
Aber dort gestatt‘ ich ihm nicht in der Freier Gesellschaft
Hinzugehn; sie schalten mit zu unbändiger Frechheit:
Daß sie ihn nicht verhöhnen! Es würde mich äußerst betrüben!
Und ein einzelner Mann kann gegen mehrere wenig,
Sei er auch noch so stark; sie behalten immer den Vorrang!
90
Ihm antwortete drauf der herrliche Dulder Odysseus:
Lieber, erlaubst du mir, auch meine Gedanken zu sagen?
Wahrlich mir blutet das Herz vor Mitleid, wenn ich es höre,
Wie unbändig und frech in deinem Hause die Freier
Unfug treiben, und dein, solch eines Jünglings! nicht achten.
95
Sprich: erträgst du das Joch freiwillig; oder verabscheun
Dich die Völker des Landes, gewarnt durch göttlichen Ausspruch;
Oder liegt die Schuld an den Brüdern, welchen ein Streiter
Sonst in der Schlacht vertraut, auch wann sie am hitzigsten wütet?
Wollten die Götter, ich wäre so jung mit dieser Gesinnung,
100
Oder ein Sohn von Odysseus, dem Herrlichen! oder er selber…
Kehrete heim der Verirrte; denn noch ist Hoffnung zur Heimkehr:
Siehe so sollte mein Feind das Haupt von der Schulter mir abhaun,
Wenn ich nicht zum Verderben der ganzen Räubergesellschaft
Eilt‘ in den hohen Palast des Laertiaden Odysseus!
105
Und wenn ich Einzelner auch von der Menge würde besieget;
O so wollt‘ ich doch lieber in meinem Hause des Todes
Sterben, als immerfort den Greul der Verwüstungen ansehn:
Wie sie die Fremdlinge dort mißhandeln, die Mägde des Hauses
Zur abscheulichen Lust in den prächtigen Kammern umherziehn,
110
Allen Wein ausleeren, und alle Speise verprassen,
Frech, ohne Maß, ohne Ziel, mit unersättlicher Raubgier!
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Dieses will ich dir, Fremdling, und nach der Wahrheit erzählen.
Weder das ganze Volk verabscheut oder verfolgt mich;
115
Noch liegt etwa die Schuld an den Brüdern, welchen ein Streiter
Sonst in der Schlacht vertraut, auch wann sie am hitzigsten wütet.
Denn nur einzeln pflanzte Kronion unser Geschlecht fort:
Von Arkeisios war der einzige Erbe Laertes;
Und von Laertes war’s nur Odysseus; aber Odysseus
120
Zeugte nur mich, den er noch ungenossen daheim ließ!
Diesem erfüllen anitzt unzählige Feinde die Wohnung.
Alle Fürsten, so viel in diesen Inseln gebieten,
Samä, Dulichion, und der waldbewachs’nen Zakynthos,
Und so viele hier in der felsichten Ithaka herrschen;
125
Alle werben um meine Mutter, und zehren das Gut auf.
Aber die Mutter kann die aufgedrungne Vermählung
Nicht ausschlagen, und nicht vollziehn. Nun verprassen die Schwelger
All mein Gut, und werden in kurzem mich selber zerreißen!
Aber dieses ruhet im Schoße der seligen Götter.
130
Väterchen, eile du schnell zu der klugen Penelopeia;
Sag‘ ihr, daß ich gesund aus Pylos wieder zurückkam.
Ich will indes hier bleiben, bis du heimkehrest. Doch bring‘ ihr
Ja die Botschaft allein, und keiner der andern Achaier
Höre dich; denn es trachten mir viele das Leben zu rauben!
135
Ihm antwortetest du, Eumäos, Hüter der Schweine:
Gut, ich verstehe dich schon; das sind auch meine Gedanken.
Aber verkündige mir, und sage die lautere Wahrheit:
Soll ich auf diesem Weg‘ auch dem armen Laertes die Botschaft
Bringen? welcher bisher, aus Gram um seinen Odysseus,
140
Selber das Land bestellte; doch stets mit den Knechten des Hauses
Aß und trank, so oft die Begierde des Herzens ihn antrieb.
Aber seit du von hinnen zur göttlichen Pylos geschifft warst,
Sagt man, hab‘ er nicht mehr gegessen oder getrunken,
Noch auf die Wirtschaft gesehn; in unaufhörlicher Schwermut
145
Sitzt er, und härmt sich ab, daß die Haut an den Knochen verdorret.
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Traurig! doch müssen wir jetzo in seinem Kummer ihn lassen.
Denn wenn alles sogleich, wie es Sterbliche wünschen, geschehe;
Wahrlich so wünschten wir vor allem des Vaters Zurückkunft!
150
Aber kehre zurück, sobald du’s verkündet, und schweife
Nicht auf dem Lande herum zu jenem. Doch sage der Mutter,
Daß sie eilend zu ihm die treue Schaffnerin heimlich
Sende; sie kann es ja auch dem alten Greise verkünden.
Also sprach er, und trieb ihn. Der Sauhirt langte die Sohlen,
155
Band sie unter die Füß‘, und eilete. Aber Athene
Ward des Hirten gewahr, der aus dem Gehege zur Stadt ging,
Und sie nahete sich, und schien nun plötzlich ein Mädchen,
Schöngebildet und groß und klug in künstlicher Arbeit,
Stand an der Türe des Hofs, und erschien dem edlen Odysseus.
160
Aber Telemachos sah und merkte nichts von der Göttin;
Denn nicht allen sichtbar erscheinen die seligen Götter:
Nur die Hunde sahn sie, und bellten nicht, sondern entflohen
Winselnd und zitternd vor ihr nach der andern Seite des Hofes.
Und sie winkte; den Wink verstand der edle Odysseus,
165
Ging aus der Hütte hinaus vor die hohe Mauer des Hofes,
Stellete sich vor die Göttin; da sagte Pallas Athene:
Edler Laertiad‘, erfindungsreicher Odysseus,
Rede mit deinem Sohn, und gib dich ihm zu erkennen;
Daß ihr beide, den Freiern ein blutiges Ende bereitend,
170
Zu der berühmten Stadt der Ithaker wandelt. Ich selber
Werd‘ euch nicht lange verlassen; mich drängt die Begierde des Kampfes.
Also sprach die Göttin, und rührt‘ ihn mit goldener Rute.
Plötzlich umhüllte der schöngewaschene Mantel und Leibrock
Wieder Odysseus‘ Brust, und Hoheit schmückt‘ ihn und Jugend;
175
Brauner ward des Helden Gestalt, und voller die Wangen;
Und sein silberner Bart zerfloß in finstere Locken.
Hierauf eilte die Göttin von dannen. Aber Odysseus
Ging zurück in die Hütte: mit Staunen erblickte der Sohn ihn,
Wandte die Augen hinweg, und fürchtete, daß er ein Gott sei;
180
Und er redet‘ ihn an, und sprach die geflügelten Worte:
Anders erscheinst du mir jetzt, o Fremdling, als vormals, auch hast du
Andere Kleider an; die ganze Gestalt ist verwandelt!
Wahrlich du bist ein Gott, des weiten Himmels Bewohner!
Sei uns gnädig! Wir wollen auch liebliche Opfer dir bringen,
185
Und Geschenke von köstlichem Gold! Erbarme dich unser!
Ihm antwortete drauf der herrliche Dulder Odysseus:
Wahrlich ich bin kein Gott, und keinem Unsterblichen ähnlich;
Sondern ich bin dein Vater, um den du so herzlich dich grämest,
Und so viele Schmach von trotzigen Männern erduldest.
190
Also sprach er, und küßte den Sohn; und über die Wange
Stürzten die Tränen zur Erde, die lange verhaltenen Tränen.
Aber Telemachos stand noch staunend, und konnte nicht glauben,
Daß es sein Vater sei; und nun antwortet‘ er also:
Nein! du bist nicht mein Vater Odysseus; sondern ein Dämon
195
Täuscht mich, daß ich noch mehr mein großes Elend beseufze.
Denn kein sterblicher Mann vermochte mit seinem Verstande,
Solch ein Wunder zu tun; ihm hülfe denn einer der Götter,
Welcher leicht, wie er will, zu Greisen und Jünglingen umschafft!
Siehe nur eben warst du ein Greis, und häßlich bekleidet;
200
Jetzo den Göttern gleich, die den weiten Himmel bewohnen!
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Deinen geliebten Vater, Telemachos, welcher nun heimkehrt,
Mußt du nicht allzusehr anstaunen oder bewundern!
Wahrlich in Ithaka kommt hinfort kein andrer Odysseus,
205
Sondern ich bin der Mann, der nach vielem Jammer und Elend
Endlich im zwanzigsten Jahr in seine Heimat zurückkehrt.
Aber dies ist das Werk der siegenden Göttin Athene,
Welche mich, wie sie will, verwandelt; denn sie vermag es!
Darum erschein‘ ich jetzo zerlumpt wie ein Bettler, und jetzo
210
Wieder in Jünglingsgestalt, mit schönen Gewanden bekleidet.
Denn leicht können die Götter, des weiten Himmels Bewohner,
Jeden sterblichen Mann erniedrigen oder erhöhen.
Also sprach er, und setzte sich hin. Da umarmte der Jüngling
Seinen herrlichen Vater mit Inbrunst, bitterlich weinend.
215
Und in beiden erhob sich ein süßes Verlangen zu trauren.
Ach! sie weineten laut, und klagender noch, als Vögel,
Als scharfklauichte Geier und Habichte, welchen der Landmann
Ihre Jungen geraubt, bevor sie flügge geworden:
So zum Erbarmen weinten sie beide Tränen der Wehmut.
220
Über der Klage wäre die Sonne niedergesunken,
Hätte Telemachos nicht zu seinem Vater geredet:
Und in welcherlei Schiffe, mein Vater, brachten die Schiffer
Dich nach Ithaka her? Was rühmen sich jene für Leute?
Denn unmöglich bist du doch hier zu Fuße gekommen!
225
Ihm antwortete drauf der herrliche Dulder Odysseus:
Dieses will ich dir, Sohn, und nach der Wahrheit erzählen.
Siehe mich brachte das Schiff der segelberühmten Phäaken,
Welche jeden geleiten, der kommt und um Hilfe sie anfleht.
Diese brachten im Schlafe mich über die Wogen, und setzten
230
Mich in Ithaka aus, und gaben mir teure Geschenke,
Erzes und Goldes die Meng‘, und schöngewebete Kleider.
Dieses liegt, nach dem Willen der Götter, in Höhlen verborgen.
Aber ich kam hieher auf Befehl der hohen Athene,
Daß wir uns über den Tod der Feindlichgesinnten beraten.
235
Auf denn, verkündige mir die Zahl der trotzigen Freier:
Daß ich wisse, wie viel‘ und was für Leute so trotzen.
Denn ich muß zuvor in meiner unsträflichen Seele
Überlegen: ob wir allein, ohn‘ andere Freunde,
Streiten können; oder ob’s nötig sei, Hilfe zu suchen.
240
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Vater, ich habe viel von dem großen Ruhme gehöret
Deines Mutes im Kampf, und deiner Weisheit im Rate,
Aber du sprachst zu kühn! Ich erstaune! Wie wär‘ es doch möglich
Daß zween Männer allein so viele Starke bekämpften?
245
Siehe der Freier sind nicht zehn nur, oder nur zwanzig;
Sondern bei weitem mehr! Berechne du selber die Menge:
Aus Dulichions Fluren sind zweiundfünfzig erlesne
Mutige Jünglinge hier, von sechs Aufwärtern begleitet;
Aus der bergichten Samä sind vierundzwanzig in allem;
250
Aus Zakynthos Gefilden sind zwanzig achaiische Fürsten;
Und aus Ithaka selbst sind zwölfe der tapfersten Männer.
Diesen großen Haufen begleitet Medon der Herold,
Und der göttliche Sänger, und zween erfahrene Köche.
Wollten wir diesen allen im Hause begegnen; du möchtest
255
Traurig und schreckenvoll die Strafe der Trotzigen enden.
Überlege vielmehr, ob du noch andere Freunde
Finden kannst, die uns mit freudigem Mute beschützen.
Ihm antwortete drauf der herrliche Dulder Odysseus:
Nun ich verkündige dir, merk auf, und höre die Worte!
260
Denke nach: wird uns Athene und Vater Kronion
Gnügen; oder ist’s nötig, noch andere Hilfe zu suchen?
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Wahrlich mächtige Helfer sind jene, welche du nennest!
Denn sie sitzen hoch in den Wolken, und herrschen mit Allmacht
265
Über die Menschen auf Erden, und alle unsterblichen Götter.
Ihm antwortete drauf der herrliche Dulder Odysseus:
Diese werden gewiß in der schrecklichen Stunde des Kampfes
Uns nicht lange verlassen, wann nun in meinem Palaste
Zwischen den Freiern und uns die Gewalt des Krieges entscheidet.
270
Aber gehe du jetzo, sobald der Morgen sich rötet,
Heim, und bleib‘ in dem Schwarm der übermütigen Freier.
Dorthin folg‘ ich dir bald, geführt von dem Hirten Eumäos,
Und wie ein mühebeladner bejahrter Bettler gestaltet.
Werden mich dann im Hause die Freier beschimpfen, so dulde
275
Standhaft dein Herz im Busen, wie sehr ich beleidiget werde!
Schleppten sie auch bei den Füßen mich durch den Saal vor die Haustür,
Oder würfen nach mir; du mußt geduldig es ansehn!
Freilich kannst du sie wohl mit freundlichen Worten ermahnen,
Ihr ruchloses Verfahren zu mäßigen; aber sie werden
280
Dich nicht hören: denn schon naht ihnen der Tag des Verderbens!
Noch verkünd‘ ich dir dieses, bewahr‘ es im innersten Herzen:
Wann die Göttin des Rats Athene mir es gebietet;
Siehe dann werd‘ ich dir mit dem Haupte winken. So bald du
Dieses siehst, darin nimm aus dem Saale die Waffen des Krieges,
285
Und verwahre sie alle im Winkel des oberen Söllers.
Aber erkundigen sich die Freier, wo sie geblieben;
Dann besänftige sie mit guten Worten: Ich trug sie
Aus dem Rauche hinweg; denn sie sehen den alten nicht ähnlich,
Wie sie Odysseus einst, gen Troja schiffend, zurückließ!
290
Sondern sind ganz entstellt von dem rußichten Dampfe des Feuers.
Und noch ein größeres gab Kronion mir zu bedenken:
Daß ihr nicht etwa im Rausch euch zankt, und einander verwundet,
Und die Freuden des Mahls und die Liebe zu Penelopeia
Blutig entweiht! denn selbst das Eisen ziehet den Mann an! –
295
Aber uns beiden laß zwei Schwerter unten im Saale
Und zween Speere zurück, und zween stierlederne Schilde;
Daß wir beim Überfall sie ergreifen. Jene wird sicher
Pallas Athene verblenden, und Zeus‘ allwaltende Vorsicht!
Noch verkünd‘ ich dir dieses, bewahr‘ es im innersten Herzen:
300
Bist du wirklich mein Sohn, und unsers edlen Geblütes;
So erfahre von dir kein Mensch, daß Odysseus daheim sei;
Nicht Laertes einmal darf’s wissen, oder der Sauhirt,
Keiner auch von dem Gesinde, ja selbst nicht Penelopeia;
Sondern nur ich und du; damit wir der Weiber Gesinnung
305
Prüfen, auch unsere Knechte zugleich ein wenig erforschen,
Wo man uns beide noch mit treuem Herzen verehret,
Oder wer untreu ward, und deine Ehre dir weigert.
Und sein trefflicher Sohn Telemachos sagte dagegen:
Vater, ich hoffe, du sollst mein Herz hinfüro noch näher
310
Kennen lernen; ich hin nicht unvorsichtig und sorglos!
Aber ich glaube doch nicht, daß diese Prüfung uns beiden
Auch im mindesten nütze. Denn überlege nur selber:
Lange gingst du umher, wenn du die Werke der Männer
Nahe belauschen wolltest; indes verschwelgen die andern
315
Ruhig in deinem Palast und ohne Scheu dein Vermögen.
Zwar der Weiber Gesinnung zu prüfen, rat‘ ich dir selber:
Wer dich im Hause verachtet, und wer unsträflich geblieben.
Aber daß wir die Männer auf allen Höfen erforschen,
Dieses wünscht‘ ich nicht; verspar‘ es lieber auf künftig,
320
Wenn du wirklich ein Zeichen vom großen Kronion gesehn hast.
Also besprachen diese sich jetzo untereinander.
Aber Telemachos‘ Freunde, die ihn von Pylos geleitet,
Steurten nach Ithakas Stadt mit dem schöngezimmerten Schiffe.
Als sie jetzo die Bucht des tiefen Hafens erreichten,
325
Zogen sie eilend das schwärzliche Schiff ans hohe Gestade;
Ihre Geräte trugen die stolzen Diener von dannen.
Und sie brachten in Klytios‘ Haus die schönen Geschenke,
Sandten dann einen Herold voran zu des edlen Odysseus‘
Hause, um Botschaft zu bringen der klugen Penelopeia,
330
Daß ihr Sohn auf dem Lande sei, und dem Schiffe befohlen,
Nach der Stadt zu fahren: damit vor Kummer des Herzens
Nicht die hohe Fürstin ihr Antlitz mit Tränen benetzte.
Diesem begegnete jetzo der edle Hüter der Schweine;
Beide gingen, der Mutter die selbige Botschaft zu bringen.
335
Als sie jetzo ins Haus des göttlichen Königes kamen,
Hub der Herold an vor allen Mägden, und sagte:
Fürstin, dein lieber Sohn ist jetzo wieder gekommen!
Aber der Sauhirt trat zu Penelopeia, und sagte
Alles, was ihm ihr Sohn befohlen hatte zu sagen.
340
Und nachdem er der Fürstin Telemachos‘ Worte verkündigt,
Eilt‘ er zurück zu den Schweinen, den Hof des Hauses verlassend.
Aber die Freier wurden bestürzt und niedergeschlagen;
Und sie gingen hinaus vor die hohe Mauer des Hofes,
Allda setzten sie sich ratschlagend nieder am Tore.
345
Und des Polybos‘ Sohn Eurymachos sprach zur Versammlung:
Lieben, ein großes Werk hat Telemachos kühnlich vollendet,
Diese Reise! Wir dachten, er würde sie nimmer vollenden!
Aber wohlan, man ziehe das beste der schwärzlichen Schiffe
In das Meer, und rüst‘ es mit Ruderern, daß sie den andern
350
Schnell die Botschaft verkünden, um eilig wiederzukehren.
Also sprach er; und siehe Amphinomes wandte sein Antlitz
Gegen den tiefen Hafen, und sahe das Schiff in der Mündung,
Sahe die Segel gesenkt, und die Ruder in eilenden Händen;
Und mit herzlicher Lache begann er zu seinen Gesellen:
355
Keiner ferneren Botschaft bedarf es; sie sind schon zu Hause!
Ihnen verkündete dieses ein Himmlischer; oder sie selber
Sahn das segelnde Schiff, und vermochten es nicht zu erreichen!
Sprach’s; da erhuben sie sich, und gingen zum Ufer des Meeres,
Zogen dann eilend das schwärzliche Schiff ans hohe Gestade;
360
Ihre Geräte trugen die stolzen Diener zu Hause.
Aber sie selber eilten zum Markt; und keinen der andern
Ließen sie unter sich sitzen, der Jünglinge oder der Greise.
Und Eupeithes‘ Sohn Antinoos sprach zur Versammlung:
Wunder! wie haben die Götter doch den vom Verderben errettet!
365
Tages stellten wir Späher umher auf die luftigen Höhen,
Immer andre nach andern; und wann die Sonne sich senkte,
Ruhten wir nimmer die Nacht auf dem Lande, sondern im Meere
Kreuzten wir mit dem Schiff, und harrten der heiligen Frühe,
Auf Telemachos laurend, damit wir ihn fingen und heimlich
370
Töteten. Aber ihn führte der Himmlischen einer zu Hause!
Nun so wollen wir hier auf den Tod des Telemachos sinnen!
Laßt ihn ja nicht entfliehn! Denn ich fürchte, so lange der Jüngling
Lebt, wir werden nimmer zu unserem Zwecke gelangen.
Denn er selber kennt schon alle Künste der Klugheit,
375
Und die Völker sind uns nicht mehr so gänzlich gewogen.
Aber wohlan, bevor er zur allgemeinen Versammlung
Rufe das Volk der Achaier; denn säumen wird er gewiß nicht,
Sondern im heftigen Zorn aufstehn, und allen verkünden,
Wie wir ihn zu ermorden gesucht, und wie er entflohn sei.
380
Diese werden die Tat nicht loben, wann sie ihn hören;
Ja sie könnten uns gar mißhandeln, und aus dem Lande
Unserer Väter uns alle zu fremden Völkern verjagen.
Darum laßt uns zuvor ihn töten, fern auf dem Lande,
Oder auch auf dem Wege! Die Güter behalten wir selber,
385
Alles unter uns teilend nach Billigkeit; aber die Häuser
Geben wir seiner Mutter, und wen sie zum Bräutigam wählet.
Mißfällt aber mein Rat der Versammlung, und wünschet ihr lieber,
Daß Telemachos leb‘, und des Vaters Erbe behalte;
Nun so laßt uns nicht länger in solcher großen Versammlung
390
Seine köstlichen Schätze verprassen; sondern es werbe
Jeder außer dem Hause mit Brautgeschenken; sie aber
Wähle den Mann, der am meisten ihr schenkt, und dem sie beschert ist.
Also sprach er; und alle verstummten umher, und schwiegen.
Endlich erhub sich und sprach Amphinomos vor der Versammlung,
395
Nisos‘ rühmlicher Sohn, des aretiadischen Königs;
Der aus des weizenreichen Dulichions grünen Gefilden
War der erste der Freier, und dessen Rede der Fürstin
Noch am meisten gefiel; denn edel war seine Gesinnung:
Dieser erhub sich, und sprach wohlmeinend zu der Versammlung:
400
Lieben, ich wünschte nicht, daß wir Telemachos heimlich
Töteten; fürchterlich ist es, ein Königsgeschlecht zu ermorden!
Aber laßt uns zuvor der Götter Willen erforschen.
Wann der ewige Rat des großen Kronions es billigt,
Dann ermord‘ ich ihn selber, und rat‘ es jedem der andern:
405
Aber verbieten es uns die Götter, dann rat‘ ich zu ruhen.
Also sprach er, und allen gefiel Amphinomos‘ Rede.
Schnell erhuben sie sich, und gingen zur Wohnung Odysseus‘,
Kamen, und setzten sich nieder auf schöngebildete Throne.
Aber jetzo beschloß die kluge Penelopeia,
410
Sich zu zeigen den Freiern voll übermütiger Bosheit.
Denn sie vernahm des Sohnes Gefahr in ihren Gemächern;
Medon der Herold entdeckte sie ihr, der die Freier belauschet.
Und sie ging zu dem Saale, von ihren Mägden begleitet.
Als das göttliche Weib die Freier jetzo erreichte,
415
Stand sie still an der Schwelle des schönen gewölbeten Saales;
Ihre Wangen umwallte der feine Schleier des Hauptes.
Und sie redet‘ Antinoos an mit scheltenden Worten:
Tückischer frecher Empörer Antinoos, nennen doch alle
Dich in Ithakas Volke den besten deiner Gespielen
420
An Verstand und Reden; allein du warest es nimmer!
Rasender, sprich, was suchst du Telemachos‘ Tod und Verderben;
Und verachtest die Stimme der Leidenden, deren Kronion
Waltet? Es ist ja Sünde, das Unglück andrer zu suchen!
Weißt du nicht mehr, wie einst dein Vater flehend zu uns kam,
425
Von dem Volke geschreckt? Denn sie waren heftig erbittert,
Weil er die Räuberschiffe der Taphier hatte begleitet,
Und die Thesproten beraubt, die Genossen unseres Bundes.
Töten wollten sie ihn, und sein Herz dem Busen entreißen,
Und ausplündern den reichen Palast voll köstlicher Güter;
430
Aber Odysseus hielt sie zurück, und stillte den Aufruhr.
Und nun entehrst du sein Haus durch Schwelgen, wirbst um die Gattin,
Tötest sein einziges Kind, und meine Seele betrübst du.
Aber ich rate dir jetzt, halt ein, und zähme die andern!
Aber Polybos‘ Sohn Eurymachos sagte dagegen:
435
O Ikarios Tochter, du kluge Penelopeia,
Sei getrost, und laß dich diese Gedanken nicht kümmern!
Wahrlich er lebt nicht der Mann, und wird nicht leben noch aufstehn,
Welcher an deinen Sohn Telemachos Hand anlege,
Nimmer, so lang‘ ich leb‘, und mein Auge die Erde noch schauet!
440
Denn ich sage hier frei, und werd‘ es wahrlich erfüllen:
Schnell wird sein schwarzes Blut an meiner Lanze herunter
Triefen! Auch mir hat oft der Städteverwüster Odysseus,
Sitzend auf seinem Schoß, ein Stück gebratenes Fleisches
In die Hände gegeben, und roten Wein mir gereichet.
445
Drum ist Telemachos mir von allen Menschen der liebste;
Und ich sag‘ es, er soll sich durchaus vor dem Tode nicht fürchten,
Von den Freiern: allein von Gott ist er unvermeidlich!
Also sprach er ihr zu, und dacht‘ ihn selbst zu ermorden.
Jene stieg hinauf in den prächtigen Söller, und weinte
450
Ihren trauten Gemahl Odysseus, bis ihr Athene
Sanft mit süßem Schlummer die Augenlider bedeckte.
Abends kam zu Odysseus und seinem Sohne der Sauhirt.
Diese standen jetzt, und bereiteten emsig die Mahlzeit,
Da sie ein jähriges Schwein geopfert. Aber Athene
455
Hatte zuvor sich genaht dem Laertiaden Odysseus,
Ihn mit der Rute gerührt, und wieder zum Greise verwandelt,
Und mit schmutzigen Lumpen bekleidet: daß ihn der Sauhirt
Nicht erkennte, und dann mit überwallendem Herzen
Liefe, die Botschaft zu bringen der keuschen Penelopeia.
460
Und Telemachos rief dem kommenden Hirten entgegen:
Kommst du, edler Eumäos? Was hört man in Ithaka Neues?
Ob wohl die mutigen Freier vom Hinterhalte zurück sind,
Oder ob sie noch immer auf mich Heimkehrenden lauren?
Ihm antwortetest du, Eumäos, Hüter der Schweine:
465
Hierum hab‘ ich mich nicht bekümmert, die Stadt zu durchwandern,
Und die Leute zu fragen; es lag mir näher am Herzen,
Da ich die Botschaft gebracht, aufs Eiligste wiederzukehren.
Doch begegnete mir von deinen Gefährten ein Herold,
Der auch deiner Mutter zuerst die Botschaft verkündet.
470
Noch ein anderes weiß ich, das sah ich selber mit Augen.
Diesseits über der Stadt, dicht an dem hermeiischen Hügel,
War ich bereits gekommen; da sah ich in unserem Hafen
Landen ein hurtiges Schiff, mit vielen Männern gerüstet,
Und mit Schilden beschwert und langen doppelten Lanzen.
475
Und ich meinte, sie waren’s; allein ich weiß es nicht sicher.
Also sprach er; da blickte Telemachos‘ heilige Stärke
Lächelnd den Vater an, doch unbemerkt von Eumäos.
Als sie die Arbeit jetzo vollbracht, und die Speise bereitet,
Teilten sie alles gleich, und labten ihr Herz an dem Mahle.
480
Und nachdem die Begierde des Tranks und der Speise gestillt war,
Legten sie sich zur Ruh, und genossen die Gabe des Schlafes.

Fünfzehnter Gesang

Fünfzehnter Gesang

Telemachos, dem Athene die Heimkehr befiehlt und sichert, eilt von Menelaos grade zum Schiffe; nimmt den Wahrsager Theoklymenos auf und vermeidet die nachstellenden Freier durch einen Umweg zu den spitzigen Inseln. Des Sauhirten Eumäos‘ Gespräch mit Odysseus beim Abendessen, und Erzählung, wie ihn, eines sikanischen Königes Sohn aus der Insel Syria bei Ortygia, entführende Phöniker dem Laertes verkauft. Telemachos in der Frühe jenseits anlandend, läßt sein Schiff nach der Stadt herumfahren, und geht zu
Eumäos.

Pallas Athene ging zu der großen Stadt Lakedämon,
Daß sie den rühmlichen Sohn des hochgesinnten Odysseus
Reizte, des Vaterlands zu gedenken, und wiederzukehren.
Und Telemachos lag mit Nestors blühendem Sohne
5
Ruhend vor dem Palast Menelaos‘ des Ehregekrönten.
Nestors blühender Sohn lag sanft vom Schlummer gefesselt;
Aber Telemachos floh der süße Schlummer; er wachte
Durch die ambrosische Nacht, um den Vater herzlich bekümmert.
Vor ihn stellte sich Zeus‘ blauäugichte Tochter, und sagte:
10
Länger ziemt es sich nicht, Telemachos, ferne zu irren,
Da du alle dein Gut, und so übermütige Männer
In dem Palaste verließest; damit sie nicht alles verzehren,
Deine Habe sich teilend, und fruchtlos ende die Reise!
Auf! erinnere gleich den Rufer im Streit Menelaos,
15
Heim dich zu senden, damit du die treffliche Mutter noch findest.
Denn schon wird sie vom Vater und ihren Brüdern gedränget,
Daß sie Eurymachos nehme; denn dieser schenkte das meiste
Unter den Freiern, und beut die reichste Bräutigamsgabe.
Und man könnte dir leicht, ohn‘ deinen Dank, aus dem Hause
20
Manches Gut mitnehmen; du kennst ja des Weibes Gesinnung!
Immer sucht sie den Mann, der ihr beiwohnt, zu bereichern;
Aber die vorigen Kinder und ihrer Jugend Geliebten
Kennt sie nicht mehr, da er starb, und fraget nimmer nach ihnen.
Darum eile nun heim, und vertraue selber die Güter
25
Einer Dienerin an, die dir am tüchtigsten scheinet,
Bis die himmlischen Götter ein edles Weib dir verleihen.
Noch ein andres verkünd‘ ich dir jetzt, bewahr‘ es im Herzen!
Wachsam lauern auf dich die Tapfersten unter den Freiern,
In dem Sunde, der Ithaka trennt und die bergichte Samos,
30
Daß sie dich töten, bevor du die Heimat wieder erreichest.
Aber ich hoffe das nicht! Erst deckt die Erde noch manchen
Von der Rotte der Freier, die deine Habe verzehren.
Steure dein rüstiges Schiff, Telemachos, fern von den Inseln;
Fahr auch nur in der Nacht! Dir wird der Unsterblichen einer
35
Günstigen Wind nachsenden, der dich behütet und schützet.
Wenn du das nächste Gestade von Ithaka jetzo erreicht hast,
Siehe dann sende zur Stadt das Schiff und alle Gefährten,
Und du gehe zuerst dorthin, wo der treffliche Sauhirt
Deiner Schweine hütet, der stets mit Eifer dir anhängt.
40
Allda bleibe die Nacht, und sende jenen zur Stadt hin,
Um die Botschaft zu bringen der klugen Penelopeia,
Daß du gesund und wohl von Pylos wieder zurückkamst.
Also sprach die Göttin, und eilte zum großen Olympos.
Und Telemachos weckte den Nestoriden vom Schlummer,
45
Ihn mit der Ferse berührend, und sprach zu dem blühenden Jüngling:
Nestors Sohn, wach‘ auf, Peisistratos; spann‘ an den Wagen
Hurtig die stampfenden Rosse, damit wir die Reise vollenden.
Und der Nestoride Peisistratos gab ihm zur Antwort:
Ganz unmöglich, Telemachos, wär‘ es, wie sehr wir auch eilten:
50
Diese düstere Nacht zu durchfahren! Und bald ist es Morgen;
Darum warte, bis uns mit Geschenken den Wagen belade
Atreus‘ edler Sohn, der kriegrische Held Menelaos,
Und mit gefälligen Worten uns freundlich von sich entlasse.
Denn es erinnert sich ein Gast zeitlebens des Mannes,
55
Welcher in fernem Lande mit Lieb‘ und Freundschaft ihn aufnahm.
Also sprach er; da kam die goldenthronende Eos.
Jetzo nahte sich ihnen der Rufer im Streit Menelaos,
Seiner Helena Lager, der schöngelockten, verlassend.
Als der geliebte Sohn von Odysseus diesen bemerkte,
60
Hüllte sich eilend der Held in den feinen prächtigen Leibrock,
Warf den großen Mantel sich über die rüstigen Schultern,
Ging dann hinaus, und trat zu Menelaos, und sagte:
Atreus‘ göttlicher Sohn, Menelaos, Führer der Völker,
Laß mich jetzo von dir ins liebe Vaterland ziehen;
65
Denn von ganzem Herzen begehr‘ ich jetzo der Heimkehr.
Ihm antwortete drauf der Rufer im Streit Menelaos:
Ferne sei es von mir, Telemachos, dich zu verweilen,
Wenn du nach Hause dich sehnst! Ich tadle selber den Gastfreund,
Dessen Höflichkeit uns und überzärtliche Freundschaft
70
Plagende Feindschaft wird. Das Beste bei allem ist Ordnung!
Traun! gleich arg sind beide: Wer seinem zögernden Gaste
Heimzukehren gebeut, und wer den Eilenden aufhält.
Bleibt er, so pflege des Gastes; und will er gehen, so laß ihn!
Aber warte, bis ich ein schönes Geschenk auf den Wagen
75
Leg‘, und du selber es sehest; und meinen Weibern befehle,
Dir von des Hauses Kost ein reichliches Mahl zu bereiten.
Freudigkeit fühlt der Gast und höheren Mut und Erquickung,
Der, mit Speise gestärkt, in ferne Länder verreiset.
Hast du auch Lust, umher durch Hellas und Argos zu reisen;
80
Warte, bis ich die Ross‘ anspanne, dich selber begleite,
Und zu jeglicher Stadt hinfahre. Keines der Völker
Sendet uns leer hinweg; man schenkt uns wenigstens ein Stück:
Ein dreifüßig Geschirr von Kupfer, oder ein Becken,
Oder ein Joch Maultiere, auch wohl einen goldenen Becher.
85
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Atreus‘ göttlicher Sohn Menelaos, Führer der Völker,
Jetzo eil‘ ich zurück zu dem Unsrigen: (denn da ich abfuhr,
Ließ ich niemand im Hause, mein Eigentum zu bewahren:)
Daß ich, den Vater suchend, nicht selber das Leben verliere,
90
Oder ein köstliches Gut aus meinem Hause verschwinde.
Als er solches vernommen, der Rufer im Streit Menelaos,
Rief er schnell der Gemahlin und ihren Mägden, im Saale
Hurtig ein Mahl zu bereiten vom reichlichgesammelten Vorrat.
Jetzo nahte sich auch Boethos‘ Sohn Eteoneus,
95
Seinem Lager entstiegen; er wohnte nicht ferne vom König.
Diesem befahl der Held Menelaos, Feuer zu machen,
Und des Fleisches zu braten; und schnell gehorcht‘ er dem Worte.
Hierauf stieg er hinab ins duftende hohe Gewölbe:
Nicht er allein; mit ihm ging Helena und Megapenthes.
100
Als sie die Kammer erreicht, wo seine Kleinode lagen,
Nahm Menelaos Atreides sich einen doppelten Becher.
Reichte dann seines Sohns Megapenthes‘ Händen zu tragen
Einen silbernen Kelch; und Helena trat zu den Kisten,
Wo sie die schönen Gewande verwahrt, die sie selber gewirket.
105
Eines von diesen nahm die Königin unter den Weibern,
Welches das größeste war und reichste an künstlicher Arbeit:
Hell wie ein Stern, so strahlt‘ es, und lag von allen zu unterst.
Und sie gingen zurück durch die Wohnungen, bis sie Odysseus‘
Sohn erreichten; da sprach Menelaos der Bräunlichgelockte:
110
Deine Heimkehr lasse, Telemachos, wie du sie wünschest,
Zeus Kronion gelingen, der donnernde Gatte der Here:
Von den Schätzen, so viel ich in meinem Hause bewahre,
Geb‘ ich dir zum Geschenk das schönste und köstlichste Kleinod:
Gebe dir einen Kelch von künstlich erhobener Arbeit,
115
Aus geglättetem Silber, gefaßt mit goldenem Rande,
Und ein Werk von Hephästos! Ihn gab der Sidonier König
Phädimos mir, der Held, der einst in seinem Palaste
Mich Heimkehrenden pflegte. Den will ich jetzo dir schenken.
Also sprach er, und reichte, der Held Menelaos Atreides,
120
Ihm den doppelten Becher. Sein tapferer Sohn Megapenthes
Trug den schimmernden Kelch von lauterem Silber, und setzt‘ ihn
Nieder vor ihm. Auch Helena kam, das Gewand in den Händen,
Und holdselig begann die rosenwangichte Fürstin:
Dieses Geschenk will ich, mein liebes Kind, dir verehren,
125
Zum Andenken von Helenas Hand. Bei der lieblichen Hochzeit
Trag‘ es deine Gemahlin; bis dahin lieg‘ es im Hause
Deiner geliebten Mutter. Du aber kehre mit Frieden
In dein prächtiges Haus und deiner Väter Gefilde.
Also sprach sie, und reicht‘ es ihm hin; und freudig empfing er’s.
130
Jetzo legte der Held Peisistratos alle Geschenke
Nieder im Wagenkorb, und bewunderte jedes im Herzen.
Und sie führt‘ in den Saal Menelaos der Bräunlichgelockte;
Allda setzten sie sich auf prächtige Sessel und Throne.
Eine Dienerin trug in der schönen goldenen Kanne
135
Über dem silbernen Becken das Wasser, beströmte zum Waschen
Ihnen die Händ‘, und stellte vor sie die geglättete Tafel.
Und die ehrbare Schaffnerin kam, und tischte das Brot auf,
Und der Gerichte viel aus ihrem gesammelten Vorrat.
Aber das Fleisch zerschnitt und verteilte der Sohn des Boethos,
140
Und des Königes Sohn verteilte die Becher voll Weines.
Und sie erhoben die Hände zum leckerbereiteten Mahle.
Jetzo war die Begierde des Tranks und der Speise gestillet,
Und Telemachos spannte mit Nestors blühendem Sohne
Hurtig die Rosse vor; sie bestiegen der künstlichen Wagen,
145
Lenkten darauf aus dem Tore des Hofs, und der tönenden Halle.
Ihnen zur Seite ging Menelaos der Bräunlichgelockte;
Einen goldenen Becher voll herzerfreuendes Weines
Trug er in seiner Rechten, um noch vor der Reise zu opfern,
Stand vor den Rossen, und trank, reicht‘ ihnen den Becher, und sagte:
150
Lebt, ihr Jünglinge, wohl, und grüßt den Hirten der Völker
Nestor von mir; denn wahrlich er liebte mich stets, wie ein Vater,
Als wir Achaier noch die Stadt der Troer bekriegten!
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Gerne wollen wir ihm, du Göttlicher, wie du befiehlest,
155
Dieses alles verkünden, sobald wir kommen. O fänd‘ ich,
Heim gen Ithaka kehrend, auch meinen Vater zu Hause;
Daß ich ihm sagte, wie ich von dir so gütig bewirtet
Wiederkomm‘, und so viel, und köstliche Kleinode bringe!
Sprach’s; und zur Rechten flog ein heilweissagender Adler,
160
Welcher die ungeheure, im Hofe gemästete, weiße
Gans in den Klauen trug; mit überlautem Geschreie
Folgten ihm Männer und Weiber: er kam in stürmendem Fluge
Rechtsher nahe den Rossen der Jünglinge. Als sie ihn sahen,
Freuten sie sich, und allen durchglühete Wonne die Herzen.
165
Nestors blühender Sohn Peisistratos redete jetzo:
Denke nach, Menelaos, du göttlicher Führer der Völker,
Ob Gott uns dies Zeichen gesendet, oder dir selber.
Also sprach er; da sann der kriegrische Held Menelaos
Hin und her, mit Verstand das Wunderzeichen zu deuten.
170
Aber Helena kam ihm zuvor; so sprach die Geschmückte:
Höret; ich will euch jetzt weissagen, wie es die Götter
Mir in die Seele gelegt, und wie’s wahrscheinlich geschehn wird.
Gleichwie der Adler die Gans, die im Hause sich nährte, geraubt hat,
Kommend aus dem Gebirge, von seinem Nest‘ und Geschlechte:
175
Also wird auch Odysseus, nach vielen Leiden und Irren,
Endlich zur Heimat kehren und strafen; oder er kehrte
Schon, und rüstet sich nun zu aller Freier Verderben.
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Also vollend‘ es Zeus, der donnernde Gatte der Here!
180
O dann werd‘ ich auch dort, wie eine Göttin, dich anflehn!
Sprach’s, und schwang auf die Rosse die Geißel; mit hurtiger Eile
Stürmten sie über die Gassen der Stadt in das freie Gefilde.
Also schüttelten sie bis zum Abend das Joch an den Nacken.
Und die Sonne sank, und Dunkel umhüllte die Pfade.
185
Und sie kamen gen Pherä, zur Burg des edlen Diokles,
Welchen Alpheios‘ Sohn Orsilochos hatte gezeuget,
Ruhten bei ihm die Nacht, und wurden freundlich bewirtet.
Als die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte,
Rüsteten sie ihr Gespann, und bestiegen den zierlichen Wagen,
190
Lenkten darauf aus dem Tore des Hofs, und der tönenden Halle.
Treibend schwang er die Geißel, und willig enteilten die Rosse.
Und sie erreichten bald die hochgebauete Pylos;
Und Telemachos sprach zu Nestors blühendem Sohne:
Kannst du mir, Nestors Sohn, wohl eine Bitte gewähren?
195
Siehe wir rühmen uns ja von den Zeiten unserer Väter
Schon Gastfreunde zu sein, und sind auch einerlei Alters;
Und noch inniger wird uns diese Reise verbinden.
Fahre mein Schiff nicht vorbei, du Göttlicher; laß mich hier bleiben!
Denn mich möchte der Greis aufhalten in seinem Palaste,
200
Um mir Gutes zu tun; Und ich muß aufs Eiligste reisen.
Also sprach er, und Nestors Sohn bedachte sich schweigend,
Wie er mit guter Art ihm seine Bitte gewährte.
Dieser Gedanke schien dem Zweifelnden endlich der beste:
An das Gestade des Meers zu dem Schiffe lenkt‘ er die Rosse;
205
Legte dann hinten ins Schiff Telemachos‘ schöne Geschenke,
Sein Gewand und das Gold, so ihm Menelaos verehret.
Und nun trieb er ihn an, und sprach die geflügelten Worte:
Steige nun eilend ins Schiff, und ermuntere deine Gefährten,
Eh‘ ich zu Hause komm‘, und dem Greise dieses verkünde!
210
Denn ich kenne zu gut in meinem Herzen des Vaters
Heftigen starren Sinn: er würde dich nimmer entlassen,
Sondern selbst herkommen, dich einzuladen; und schwerlich
Ging‘ er dann leer zurück, so sehr würd‘ er zürnen und eifern!
Also sprach er, und lenkte die Rosse mit wallenden Mähnen
215
Heim zu der Pylier Stadt, und bald erreicht‘ er die Wohnung.
Aber Telemachos trieb und ermahnete seine Genossen:
Freunde, bringt die Geräte des schwarzen Schiffes in Ordnung,
Und steigt selber hinein, damit wir die Reise vollenden!
Also sprach er; sie hörten ihn alle mit Fleiß, und gehorchten:
220
Stiegen eilend ins Schiff, und setzten sich hin auf die Bänke.
Also besorgt‘ er dieses, und opferte Pallas Athenen
Flehend hinten am Schiff. Und siehe, ein eilender Fremdling
Nahte sich ihm, der aus Argos entfloh, wo er jemand getötet.
Dieser war ein Prophet, und stammte vom alten Melampus,
225
Welcher vor langer Zeit in der schafegebärenden Pylos
Wohnete, mächtig im Volk, und prächtige Häuser beherrschte.
Aber sein Vaterland verließ er, und floh in die Fremde,
Vor dem gewaltigen Neleus, dem Stolzesten aller die lebten,
Welcher ein ganzes Jahr mit Gewalt sein großes Vermögen
230
Vorenthielt; indes lag jener in Phylakos Wohnung,
Hartgefesselt mit Banden, und schwere Leiden erduldend,
Wegen der Tochter Neleus‘, und seines rasenden Wahnsinns,
Welchen ihm die Erinnys, die schreckliche Göttin, gesendet.
Dennoch entfloh er dem Tod‘, und trieb aus Phylakes Auen
235
Heim die brüllenden Rinder gen Pylos, strafte den Hochmut
Neleus‘ des Göttergleichen, und führte dem Bruder zur Gattin
Seine Tochter ins Haus. Er aber zog in die ferne
Rossenährende Argos; denn dort bestimmte das Schicksal
Ihm forthin zu wohnen, ein Herrscher vieler Argeier.
240
Allda nahm er ein Weib, und baute die prächtige Wohnung,
Zeugte Antiphates dann und Mantios, tapfere Söhne!
Aber Antiphates zeugte den großgesinnten Oikles,
Und Oikles den Völkererhalter Amphiaraos.
Diesen liebte der Donnerer Zeus und Phöbos Apollon
245
Mit allwaltender Huld; doch erreicht‘ er die Schwelle des Alters
Nicht; er starb vor Thebä, durch seines Weibes Geschenke.
Seine Söhne waren Amphilochos und Alkmäon.
Aber Mantios zeugte den Polypheides und Kleitos.
Diesen Kleitos entführte die goldenthronende Eos,
250
Seiner Schönheit halben, zum Sitz der unsterblichen Götter.
Aber auf Polypheides, dem Hocherleuchteten, ruhte
Phöbos‘ prophetischer Geist, nach dem Tode des Amphiaraos.
Zürnend dem Vater, zog er gen Hyperesia, wohnte
Und weissagete dort den Sterblichen allen ihr Schicksal.
255
Dessen Sohn, genannt Theoklymenos, nahte sich jetzo,
Trat zu Telemachos hin, der dort vor Pallas Athene
Heiligen Wein ausgoß und betete, neben dem Schiffe;
Und er redet‘ ihn an, und sprach die geflügelten Worte:
Lieber, weil ich allhier beim heiligen Opfer dich finde;
260
Siehe, so fleh‘ ich dich an, beim Opfer und bei der Gottheit,
Deinem eigenen Heil‘, und der Freunde, welche dir folgen:
Sage mir Fragendem treulich und unverhohlen die Wahrheit!
Wer, wes Volkes bist du? und wo ist deine Geburtstadt?
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
265
Dieses will ich dir, Fremdling, und nach der Wahrheit verkünden.
Ich bin aus Ithaka her; mein Vater heißet Odysseus,
Wenn er noch lebt; allein er starb des traurigsten Todes.
Darum nahm ich jetzo dies Schiff und diese Gefährten,
Kundschaft mir zu erforschen vom langabwesenden Vater.
270
Und der göttliche Mann Theoklymenos gab ihm zur Antwort:
Ich bin auch aus der Heimat entflohn! denn ich tötete jemand,
Einen Bürger der Stadt; und viele Brüder und Vettern
Hat er, gewaltig im Volke der rossenährenden Argos!
Diesen bin ich entronnen, den Tod und das schwarze Verhängnis
275
Fliehend! Von nun an ist mein Schicksal, die Welt zu durchirren!
Aber nimm mich ins Schiff, den Flüchtling, welcher dich anfleht:
Daß sie mich nicht umbringen; denn sicher verfolgen mich jene!
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Freund, ich werde dich nicht von unserem Schiffe verstoßen!
280
Folg‘ uns; wir wollen dich dort bewirten, so gut wir es haben.
Also sprach er, und nahm Theoklymenos‘ eherne Lanze,
Legte sie auf das Verdeck des gleichgeruderten Schiffes,
Stieg dann über den Bord des meerdurchwallenden Schiffes,
Setzte sich hinten am Steuer, und neben dem Jünglinge setzte
285
Theoklymenos sich. Die andern lösten die Seile.
Aber Telemachos trieb und ermahnte die lieben Gefährten,
Schnell die Geräte zu ordnen. Sie folgeten seinem Befehle:
Stellten den fichtenen Mast in die mittlere Höhe des Bodens,
Richteten hoch ihn empor, und banden ihn fest mit den Seilen;
290
Spannten die weißen Segel mit starkgeflochtenen Riemen.
Einen günstigen Wind sandt‘ ihnen Pallas Athene;
Stürmend saust‘ er vom Äther daher in die Segel des Schiffes,
Und mit geflügelter Eile durchlief es die salzige Woge,
Segelte Krunö vorüber und Chalkis liebliche Mündung.
295
Und die Sonne sank, und Dunkel umhüllte die Pfade.
Und er steuert‘ gen Pherä, vom Winde Gottes erfreuet,
Und zu der göttlichen Elis, die von den Epeiern beherrscht wird.
Aber von dannen lenkt‘ er das Schiff zu den spitzigen Inseln,
Sorgend, ob er dem Tod‘ entfliehen würd‘, oder erliegen.
300
Und in der Hütte genoß mit Odysseus der treffliche Sauhirt
Jetzo die Abendkost, auch aßen die übrigen Hirten.
Und nachdem die Begierde des Tranks und der Speise gestillt war;
Da versuchte der Held Odysseus, ob ihn der Sauhirt
Noch in der Hütte dort herbergen und freundlich bewirten,
305
Oder ihn treiben würd‘, in die Stadt zu eilen; so sprach er:
Höre mich jetzt, Eumäos, und hört, ihr übrigen Hirten.
Morgen hätt‘ ich wohl Lust, in die Stadt als Bettler zu gehen;
Daß ich deine Freunde und dich nicht länger beschwere.
Sage mir denn Bescheid, und gib mir einen Gefährten,
310
Welcher den Weg mich führe. Die Stadt muß ich selber durchirren,
Ob man ein Becherchen Weins und ein wenig Brosam mir biete.
Gerne möcht‘ ich auch wohl zum Hause des edlen Odysseus
Gehen, und Botschaft bringen der klugen Penelopeia,
Und alsdann in die Schar der stolzen Freier mich mischen,
315
Ob sie mich einmal speisen von ihrem reichlichen Gastmahl.
Alles, was sie befehlen, bin ich bereit zu verrichten.
Denn ich verkündige dir; merk auf, und höre die Worte:
Durch Hermeias‘ Gnade, des Göttergesandten, der alles,
Was die Menschen beginnen, mit Ehre schmücket und Anmut,
320
Kann der Sterblichen keiner mit mir wetteifern im Dienste:
Feuer geschickt zu legen, und trockene Klötze zu spalten,
Wein zu schenken, und Fleisch zu verteilen oder zu braten:
Was vornehme Leute vom Dienste Geringerer fodern.
Zürnend erwidertest du, Eumäos, Hüter der Schweine:
325
Wehe mir, Fremdling, wie kann in dein Herz ein solcher Gedanke
Kommen? Wahrlich du eilst, dich dort ins Verderben zu stürzen,
Ist es dein ernstlicher Wille, zu gehn in der Freier Gesellschaft,
Deren Trotz und Gewalt den eisernen Himmel erreichet.
Wahrlich solche Leute sind ihre Diener mitnichten;
330
Jünglinge sind’s, mit Mantel und Leibrock zierlich gekleidet,
Und stets duftet von Salben ihr Haar und blühendes Antlitz:
Diese dienen dort; und die schöngeglätteten Tische
Sind mit Brot und Fleisch und Weine stets belastet.
Aber bleibe; du bist hier keinem Menschen beschwerlich,
335
Weder mir, noch einem der Freunde, welche mir helfen.
Kehrt einst wieder zurück der geliebte Sohn von Odysseus,
Gerne wird dich dieser mit Rock und Mantel bekleiden,
Und dich senden wohin es deinem Herzen gelüstet.
Ihm antwortete drauf der herrliche Dulder Odysseus:
340
Liebe dich Vater Zeus, wie ich dich liebe, Eumäos,
Weil du nach schrecklicher Not mir Irrenden Ruhe gewährest!
Nichts ist kummervoller, als unstet leben und flüchtig!
Oft zur Verzweiflung bringt der unversöhnliche Hunger
Leute, die Lebensgefahr und bitterer Mangel umhertreibt,
345
Aber weil du begehrst, daß ich bleib‘ und jenen erwarte;
Nun so erzähle mir von der Mutter des edlen Odysseus,
Und dem Vater, den er an der Schwelle des Alters daheimließ:
Leben sie etwa noch im Strahle der leuchtenden Sonne,
Oder sind sie schon tot und in der Schatten Behausung?
350
Ihm antwortete drauf der männerbeherrschende Sauhirt:
Dieses will ich dir, Fremdling, und nach der Wahrheit erzählen.
Immer noch lebt Laertes; doch täglich flehet er Zeus an,
Daß in seinem Hause sein Geist den Gliedern entschwinde.
Denn untröstlich beweint er des fernen Sohnes Gedächtnis,
355
Und den Tod des edlen geliebten Weibes der Jugend,
Der ihn so innig gekränkt, und sein herbes Alter beschleunigt.
Diese starb vor Gram um ihren berühmten Odysseus,
Ach! den traurigsten Tod! So sterbe keiner der Freunde,
Welcher in diesem Lande mir Liebes und Gutes getan hat.
360
Als noch jene lebte, wiewohl in steter Betrübnis,
Hatt‘ ich noch etwas Lust zu fragen und mich zu erkunden.
Denn sie erzog mich selbst mit Ktimene, ihrer geschmückten
Tugendreichen Tochter, der jüngsten ihres Geschlechtes;
Diese erzog sie mit mir, und ehrte mich wenig geringer.
365
Und da wir beide das Ziel der lieblichen Jugend erreichten,
Gaben sie jene nach Samä, und nahmen große Geschenke.
Und mich kleidete sie, die Mutter, mit prächtigen Kleidern,
Einem Mantel und Rock, und gab mir Schuh‘ an die Füße,
Sandte mich her aufs Land, und tat mir Gutes auf Gutes.
370
Dieses muß ich nun alles entbehren: aber die Götter
Segnen mit reichem Gedeihn die Arbeit, welche mir obliegt;
Hievon ess‘ ich und trinke, und geb‘ auch ehrlichen Leuten.
Von der Königin selbst ist keine Freude zu hoffen,
Weder Wort noch Tat, seitdem die Plage das Haus traf,
375
Jener verwüstende Schwarm! Und Knechte wünschen doch herzlich,
Vor der Frau des Hauses zu reden, und alles zu hören,
Und zu essen und trinken, und dann auch etwas zu Felde
Mitzunehmen: wodurch das Herz der Bedienten erfreut wird.
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
380
Ei so bist du als Kind, Eumäos, Hüter der Schweine,
Fern von dem Vaterland und deinen Eltern verirret!
Aber verkündige mir, und sage die lautere Wahrheit:
Ward die prächtige Stadt von Kriegesscharen verwüstet,
Welche dein Vater einst und die treffliche Mutter bewohnten?
385
Oder fanden dich einsam bei Schafen oder bei Rindern
Räuber, und schleppten dich fort zu den Schiffen, und boten im Hause
Dieses Mannes dich feil, der dich nach Würden bezahlte?
Ihm antwortete drauf der männerbeherrschende Sauhirt:
Fremdling, weil du mich fragst und so genau dich erkundest,
390
Nun so sitze still, erfreue dich horchend, und trinke
Wein. Die Nächte sind lang; man kann ausruhen, und kann auch
Angenehme Gespräch‘ anhören. Es zwinget dich niemand,
Frühe schlafen zu gehn; auch vieles Schlafen ist schädlich.
Sehnt sich der übrigen einer in seinem Herzen zur Ruhe,
395
Dieser gehe zu Bett; und sobald der Morgen sich rötet,
Frühstück‘ er, und treibe des Königes Schweine zu Felde.
Aber wir wollen hier in der Hütte noch essen und trinken,
Um einander das Herz durch Erinnerung trauriger Leiden
Aufzuheitern; denn auch der Trübsal denket man gerne,
400
Wenn man so vieles erduldet, so viele Länder durchirrt ist.
Jetzo will ich dir das verkündigen, was du mich fragtest:
Eine der Inseln im Meer heißt Syria, wenn du sie kennest,
Über Ortygia hin, wo die Sonnenwende zu sehn ist.
Groß ist diese nicht sehr von Umfang, aber doch fruchtbar,
405
Reich an Schafen und Rindern, an Wein und schönem Getreide.
Nimmer besucht der Hunger, und nimmer eine der andern
Schrecklichen Seuchen das Volk, die die armen Sterblichen hinrafft.
Sondern wann in der Stadt die Menschen das Alter erreichen,
Kömmt die Freundin der Pfeil‘ und der Gott des silbernen Bogens,
410
Welche sie unversehens mit sanften Geschossen erlegen.
Allda sind zwo Städte, die zwiefach alles geteilet;
Und von diesen beiden war einst mein Vater Beherrscher,
Ktesios, Ormenos‘ Sohn, ein Bild der unsterblichen Götter.
Einst besuchten uns dort Phöniker, berühmt in der Seefahrt
415
Und Erzschinder, und führten im Schiff unzähliges Spielzeug.
Aber im Hause des Vaters war eine phönikische Sklavin,
Schöngebildet und groß und klug in künstlicher Arbeit.
Diese verführten mit List die ränkegeübten Phöniker.
Einer von ihnen pflog, da sie wusch, beim schwärzlichen Schiffe,
420
Heimlicher Liebe mit ihr; die das Herz der biegsamen Weiber
Ganz in die Irre führt, wenn eine die Tugend auch ehret.
Dieser fragte darauf, wer sie wär‘, und von wannen sie käme;
Und sie zeigte sogleich zu des Vaters hohem Palaste:
Meine Geburtstadt ist die erzdurchschimmerte Sidon,
425
Und ich rühme mich dort des reichen Arybas‘ Tochter.
Aber mich raubeten einst, da ich vom Felde zurückkam,
Taphische Räuber, und brachten mich hier, und boten im Hause
Dieses Mannes mich feil, der mich nach Würden bezahlte.
Ihr antwortete drauf der Mann, der sie heimlich beschlagen
430
Möchtest du jetzo denn nicht mit uns nach Hause zurückgehn,
Deiner Eltern hohen Palast, und Vater und Mutter
Wiedersehn? Denn sie leben noch beid‘, und man nennt sie begütert.
Und das phönikische Weib antwortete jenem, und sagte:
Ja auch dieses geschehe, wofern ihr Schiffer mir eidlich
435
Angelobt, mich sicher und wohl nach Hause zu bringen.
Also sprach sie; und alle beschworen, was sie verlangte.
Als sie es jetzo gelobt, und vollendet den heiligen Eidschwur,
Hub die Phönikerin an, und sprach zu der Männer Versammlung:
Seid nun still, und keiner von eures Schiffes Genossen
440
Rede mit Worten mich an, er begegne mir auf der Straße,
Oder beim Wasserschöpfen: daß niemand zu unserem Hause
Gehend dem Alten es sag‘, und dieser vielleicht mir aus Argwohn
Schwere Band‘ anlege, und euch das Verderben bereitet
Sondern haltet die Sache geheim, und beschleunigt den Einkauf
445
Aber sobald ihr das Schiff mit Lebensgütern beladen;
Dann geh‘ einer geschwind‘ in die Burg, und bringe mir Botschaft,
Nehmen will ich, was mir an goldnem Geschirr‘ in die Hand fällt;
Und ich möcht‘ euch gerne die Fahrt noch höher bezahlen.
Denn ich erziehe den Sohn des alten Herrn im Palaste,
450
Welcher schon witzig ist, und aus dem Hause so mitläuft.
Diesen brächt‘ ich gerne zum Schiff; ihr würdet nicht wenig
Für ihn lösen, wohin ihr ihn auch in die Fremde verkauftet.
Also sprach das Weib, und kehrte zum schönen Palaste.
Und die Phöniker weilten ein ganzes Jahr auf der Insel,
455
Kauften und schleppten ins Schiff unzählige Güter zusammen.
Als sie das hohle Schiff zur Heimfahrt hatten befrachtet,
Sandten sie einen Genossen, dem Weibe die Botschaft zu bringen.
Dieser listige Mann, der in des Vaters Palast kam,
Bracht‘ ein goldnes Geschmeide, besetzt mit köstlichem Bernstein,
460
Welches die Mägde des Hauses und meine treffliche Mutter
Mit den Händen befühlten und sehr aufmerksam besahen.
Als sie über den Preis nun handelten, winkt‘ er der Sklavin
Heimlich, und eilte zurück zu dem hohlen Schiffe. Die Sklavin
Nahm mich drauf bei der Hand, und führte mich aus dem Palaste.
465
Und sie fand in dem vorderen Saal Weinbecher und Tische
Für die Gäste gestellt, die meinen Vater besuchten;
Diese waren anitzt auf dem Markt‘ in des Volkes Versammlung.
Hurtig raubte sie drei der Gefäße, verbarg sie im Busen,
Eilte dann weg, von mir einfältigen Kinde begleitet.
470
Und die Sonne sank, und Dunkel umhüllte die Pfade.
Jetzo hatten wir schnell den berühmten Hafen erreichet,
Wo der Phöniker Schiff das Meer zu durcheilen bereit lag.
Diese bestiegen mit uns das Verdeck des Schiffes, und steurten
Über die Woge des Meers, von Gottes Winde getrieben.
475
Also durchsegelten wir sechs Tag‘ und Nächte die Wasser.
Als der siebente Tag von Zeus Kronion gesandt ward,
Tötete Artemis plötzlich das Weib mit ihrem Geschosse.
Rauschend fiel sie hinab in das Wasser des Raums, wie ein Seehuhn.
Und man warf sie, den Fischen und Ungeheuern zur Beute,
480
Über den Bord; allein ich blieb mit traurigem Herzen.
Wind und Woge trieben sie jetzt an Ithakas Ufer,
Wo Laertes mich mit seinem Vermögen erkaufte.
Also hab‘ ich dies Land zuerst mit Augen gesehen.
Und der göttliche Held Odysseus gab ihm zur Antwort:
485
Wahrlich, Eumäos, ich fühl‘ es im Innersten meines Herzens,
Alles, was du mir jetzo von deinen Leiden erzählt hast!
Aber dir hat doch Zeus bei dem Bösen auch Gutes verliehen,
Da du, nach großen Leiden, in dieses gütigen Mannes
Wohnung kamst, der dir sorgfältig zu essen und trinken
490
Reicht; denn du lebst hier ganz gemächlich. Aber ich Armer
Irre, von Stadt zu Stadt vertrieben, Hilfe zu suchen!
Also besprachen diese sich jetzo untereinander,
Legten sich dann zur Ruh, nicht lange, sondern ein wenig;
Denn bald rötete sich der Morgen. Aber am Ufer
495
Lösten Telemachos Freunde die Segel, senkten den Mastbaum
Eilend herab, vollendeten dann mit Rudern die Landung,
Warfen die Anker aus, und banden mit Seilen das Schiff an.
Und nun stiegen sie selbst ans krumme Gestade des Meeres,
Eilten das Mahl zu bereiten, und mischten des funkelnden Weines.
500
Und nachdem die Begierde des Tranks und der Speise gestillt war,
Sprach der verständige Jüngling Telemachos zu der Versammlung:
Rudert, ihr andern, jetzt nach der Stadt mit dem schwärzlichen Schiffe;
Ich will erst ein wenig zu meinen Hirten aufs Land gehn.
Abends komm‘ ich zur Stadt, sobald ich das Meine besehen.
505
Morgen dächt‘ ich euch wohl ein gutes Mahl nach der Reise
Vorzusetzen, von Fleisch und herzerfreuendem Weine.
Und der göttliche Mann Theoklymenos gab ihm zur Antwort:
Aber wohin geh ich denn, mein Sohn? zu wessen Palaste
Unter den Männern, die hier in der felsichten Ithaka herrschen?
510
Geh ich gerade zu deinem und deiner Mutter Palaste?
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Sonst geböt‘ ich dir wohl, gerade zu unserem Hause
Hinzugehn; auch sollt‘ es an nichts gebrechen: doch jetzo
Würd‘ es dich selbst beschweren. Denn ich bin fern, und die Mutter
515
Siehet dich nicht; sie erscheint nicht oft vor den Freiern im Saale;
Abgesondert wirkt sie im obern Stock‘ ihr Gewebe.
Aber ich will indes dir einen anderen nennen:
Geh zu Eurymachos hin, des Polybos trefflichem Sohne,
Welcher jetzt, wie ein Gott, in der Ithaker Volke geehrt wird.
520
Und er ist auch bei weitem der Edelste, wünscht auch am meisten
Meine Mutter zum Weib , und Odysseus‘ Würde zu erben.
Aber das weiß Kronion, der Gott des hohen Olympos,
Ob vor der Hochzeit noch der böse Tag sie ereile!
Sprach’s; und rechtsher flog ein heilweissagender Vogel,
525
Phöbos schneller Gesandte, der Habicht: zwischen den Klauen
Hielt er und rupfte die Taub‘, und goß die Federn zur Erde
Zwischen Telemachos nieder und seinem schwärzlichen Schiffe.
Eilend rief Theoklymenos ihn von den Freunden besonders,
Faßte des Jünglings Hand, und erhub die Stimme der Weisheit:
530
Jüngling, nicht ohne Gott flog dir zur Rechten der Vogel;
Denn ich erkenn‘ an ihm die heilweissagenden Zeichen!
Außer eurem Geschlecht erhebt sich nimmer ein König
In der Ithaker Volk; auf euch ruht ewig die Herrschaft!
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
535
Fremdling, erfülleten doch die Götter, was du geweissagt!
Dann erkenntest du bald an vielen und großen Geschenken
Deinen Freund, und jeder Begegnende priese dich selig!
Also sprach er, und rief dem treuen Gefährten Peiräos:
Klytios‘ Sohn, Peiräos, du bist von allen Gefährten,
540
Die mich nach Pylos gebracht, mir immer am meisten gewillfahrt.
Führe mir denn auch nun zu deinem Hause den Fremdling;
Ehr‘ und bewirt‘ ihn dort, bis ich heimkehre, mit Sorgfalt!
Und der lanzenberühmte Peiräos sagte dagegen:
Wenn du auch noch so lange, Telemachos, draußen verweilest,
545
Gerne bewirt‘ ich den Gast; auch soll es an nichts ihm gebrechen!
Also sprach er, und trat in das Schiff, und befahl den Gefährten,
Einzusteigen, und schnell die Seile vom Ufer zu lösen
Und sie traten ins Schiff, und setzten sich hin auf die Bänke.
Aber Telemachos band um die Füße die prächtigen Sohlen,
550
Nahm dann die mächtige Lanze, mit scharfer eherner Spitze,
Von des Schiffes Verdeck. Die andern lösten die Seile,
Stießen ab, und fuhren zur Stadt mit dem schwärzlichen Schiffe,
Wie es Telemachos hieß, der geliebte Sohn von Odysseus.
Dieser eilte von dannen mit hurtigen Füßen zum Hofe,
555
Wo die Herden der Schwein‘ itzt ruheten, welche der Sauhirt
Schützte, der gute Mann, der seinen Herren so treu war.

Vierzehnter Gesang

Vierzehnter Gesang

Odysseus vom Sauhirten Eumäos in die Hütte geführt, und mit zwei Ferkeln bewirtet. Seine Versicherung von Odysseus‘ Heimkehr findet nicht Glauben. Erdichtete Erzählung von sich. Die Unterhirte treiben die Schweine vom Felde, und Eumäos opfert ein Mastschwein zum Abendschmaus. Stürmische Nacht. Odysseus verschafft sich durch Erdichtung einen Mantel zur Decke, indes Eumäos draußen die Eber bewacht.

Aber Odysseus ging den rauhen Pfad von dem Hafen
Über die waldbewachs’nen Gebirge, hin wo Athene
Ihm den trefflichen Hirten bezeichnete, welcher am treusten
Haushielt unter den Knechten des göttergleichen Odysseus.
5
Sitzend fand er ihn jetzt an der Schwelle des Hauses, im Hofe,
Welcher hoch, auf weitumschauendem Hügel, gebaut war,
Schön und ringsumgehbar und groß. Ihn hatte der Sauhirt
Selber den Schweinen erbaut, indes sein König entfernt war,
Ohne Penelopeia, und ohne den alten Laertes,
10
Von gesammelten Steinen, und oben mit Dornen umflochten.
Draußen hatt‘ er Pfähle von allen Seiten in Menge
Dicht aneinander gepflanzt, vom Kern der gespalteten Eiche.
Innerhalb des Gehegs hatt‘ er zwölf Köfen bereitet,
Einen nahe dem andern, zum nächtlichen Lager der Schweine.
15
Fünfzig lagen in jedem der erdaufwühlenden Schweine,
Alle gebärende Mütter; und draußen schliefen die Eber,
Weit geringer an Zahl: denn schmausend verminderten diese
Täglich die göttlichen Freier, es sandte jenen der Sauhirt
Immer die besten zum Schmause von allen gemästeten Ebern;
20
Und der übrigen Zahl war nur dreihundert und sechzig.
Auch vier große Hunde, wie reißende Tiere, bewachten
Stets den Hof; sie erzog der männerbeherrschende Sauhirt.
Jetzo zerschnitt er des Stiers schönfarbiges Leder, und fügte
Sohlen um seine Füße. Die untergeordneten Hirten
25
Hatten sich schon zerstreut: drei hüteten weidende Schweine;
Aber der vierte war in die Stadt gesendet, ein Mastschwein
Hinzuführen, den Zoll für die übermütigen Freier,
Daß beim festlichen Schmaus ihr Herz an dem Fleische sich labte.
Plötzlich erblickten Odysseus die wachsambellenden Hunde,
30
Und sie stürzten auf ihn lautschreiend. Aber Odysseus
Setzte sich klüglich nieder, und legte den Stab ans den Händen.
Dennoch hätt‘ er auch dort unwürdige Schmerzen erduldet;
Aber der Sauhirt lief aus der Türe mit hurtigen Füßen
Hinter den bellenden her, und warf aus den Händen das Leder,
35
Scheltend verfolgt‘ er die Hund‘, und zerstreute sie hierhin und dorthin
Mit geworfenen Steinen; und jetzo sprach er zum König:
Alter, es fehlte nicht viel, so hätten die Hunde mit einmal
Dich zerrissen, und mich hätt‘ ewige Schande getroffen!
Und mir gaben die Götter vorhin schon Kummer und Trübsal.
40
Denn um den göttlichen König die bittersten Tränen vergießend,
Sitz‘ ich hier, und sende die fettgemästeten Schweine
Andern zum Schmause, da jener vielleicht des Brotes entbehret,
Und die Länder und Städte barbarischer Völker durchwandert!
Wenn er anders noch lebt, und das Licht der Sonne noch schauet!
45
Aber folge mir, Greis, in meine Hütte, damit du,
Wann sich deine Seele mit Brot und Weine gelabt hat,
Sagest, von wannen du kommst, und welche Leiden du littest.
Also sprach er, und führt‘ ihn hinein, der treffliche Sauhirt,
Hieß den folgenden Gast sich auf ein laubichtes Lager
50
Setzen, und breitete drauf der buntgesprenkelten Gemse
Großes und zottichtes Fell, worauf er zu schlafen gewohnt war.
Und Odysseus freute sich dieses Empfanges, und sagte:
Zeus beschere dir, Freund, und die andern unsterblichen Götter,
Was du am meisten verlangst, weil du so gütig mich aufnimmst!
55
Ihm antwortetest du, Eumäos, Hüter der Schweine:
Fremdling, es ziemte mir nicht, und wär‘ er geringer als du bist,
Einen Gast zu verschmähn; denn Gott gehören ja alle
Fremdling‘ und Darbende an. Doch kleine Gaben erfreun auch,
Heißt es bei unser einem; denn also geht es mit Knechten,
60
Welche sich immer scheun, weil ihre gebietenden Herren
Jünglinge sind. Denn ach! ihm wehren die Götter die Heimkehr,
Der mir Gutes getan und ein Eigentum hätte gegeben,
Was auch der gütigste Herr je seinem Diener geschenkt hat:
Nämlich Haus und Hof und ein liebenswürdiges Ehweib:
75
Weil er ihm treulich gedient, und Gott die Arbeit gedeihn ließ.
Also gedeiht auch mir die Arbeit, welche mir obliegt;
Und mein Herr, wenn er hier sanft alterte, lohnte mir’s reichlich!
Aber er starb! Das Geschlecht der Helena müsse von grundaus
Stürzen, die in den Staub so viele Männer gestürzt hat!
70
Denn auch jener zog, Agamemnons Ehre zu rächen,
Gegen Ilion hin, und bekämpfte die Reisigen Trojas.
Also sprach er; und schnell umband er den Rock mit dem Gürtel,
Ging zu den Köfen, worin der Ferkel Menge gesperrt war,
Und zwei nahm er heraus, und schlachtete beide zur Mahlzeit;
75
Sengte sie, haute sie klein, und steckte die Glieder an Spieße,
Briet sie über der Glut, und setzte sie hin vor Odysseus,
Brätelnd noch an den Spießen, mit weißem Mehle bestreuet;
Mischte dann süßen Wein in seinem hölzernen Becher,
Setzte sich gegen ihm über, und nötigt‘ ihn also zum Essen:
80
Iß nun, fremder Mann, so gut wir Hirten es haben,
Ferkelfleisch; die gemästeten Schweine verzehren die Freier,
Deren Herz nicht Furcht vor den Göttern kennet, noch Mitleid.
Alle gewaltsame Tat mißfällt ja den seligen Göttern;
Tugend ehren sie nur und Gerechtigkeit unter den Menschen!
85
Selbst die barbarischen Räuber, die durch Kronions Verhängnis
An ein fremdes Gestad‘ anlandeten, Beute gewannen,
Und mit beladenen Schiffen die Heimat glücklich erreichten,
Fühlen dennoch im Herzen die Macht des empörten Gewissens!
Aber diesen entdeckte vielleicht die Stimme der Götter
90
Jenes traurigen Tod, da sie nicht werben, wie recht ist,
Und zu dem Ihrigen nicht heimkehren; sondern in Ruhe
Fremdes Gut unmäßig und ohne Schonen verprassen.
Alle Tag‘ und Nächte, die Zeus den Sterblichen sendet,
Opfern die Üppigen stets, und nicht ein Opfer, noch zwei bloß!
95
Und verschwelgen den Wein mit ungezähmter Begierde.
Reichlich war er gesegnet an Lebensgütern; es hatte
Keiner der Edlen so viel, nicht dort auf der fruchtbaren Feste,
Noch in Ithaka hier; nicht zwanzig Männer zusammen
Haben so viel Reichtümer. Ich will sie dir jetzo beschreiben.
100
Rinderherden sind zwölf auf der Feste, der weidenden Schafe
Eben so viel, auch der Schweine so viel, und der streifenden Ziegen.
Mietlinge hüten sie teils, und teils leibeigene Hirten.
Hier in Ithaka gehn elf Herden streifender Ziegen
Auf entlegenen Weide, von wackern Männern gehütet.
105
Jeder von diesen sendet zum täglichen Schmause den Freiern
Immer die trefflichste Ziege der fettgemästeten Herde.
Unter meiner Gewalt und Aufsicht weiden die Schweine,
Und ich sende zum Schmause das auserlesenste Mastschwein.
Also sprach er; und schnell aß jener des Fleisches, begierig
110
Trank er des Weins, und schwieg; er dachte der Freier Verderben.
Als er jetzo gespeist, und seine Seele gelabet,
Füllete jener den Becher, woraus er zu trinken gewohnt war,
Reichte den Wein ihm dar; und er nahm ihn mit herzlicher Freude,
Redete jenen an, und sprach die geflügelten Worte:
115
Lieber, wer kaufte dich denn mit seinem Vermögen? Wie heißt er,
Jener so mächtige Mann und begüterte, wie du erzählest,
Und der sein Leben verlor, Agamemnons Ehre zu rächen?
Nenne mir ihn; vielleicht ist er von meiner Bekanntschaft.
Zeus und die Götter des Himmels, die wissen es, ob ich von ihm nicht
120
Botschaft verkündigen kann! Ich sah viel Männer auf Reisen!
Ihm antwortete drauf der männerbeherrschende Sauhirt:
Alter, kein irrender Mann, der Botschaft von jenem verkündigt,
Möchte so leicht bei der Frau und dem Sohne Glauben gewinnen.
Solche Wanderer suchen gewöhnlich milde Bewirtung
125
Durch die schmeichelnde Lüg‘, und reden selten die Wahrheit.
Jeder Fremdling, wen auch das Schicksal nach Ithaka führet,
Geht zu meiner Königin hin, und schwatzet Erdichtung.
Freundlich empfängt und bewirtet sie ihn, und forschet nach allem,
Und der Traurenden Antlitz umfließen Tränen der Wehmut,
130
Wie es dem Weibe geziemt, der fern ihr Gatte verschieden.
Und bald würdest auch du, o Greis, ein Märchen ersinnen,
Deckte dir jemand nur die Blöße mit Mantel und Leibrock.
Aber ihm rissen vielleicht die Hund‘ und die Vögel des Himmels
Schon die Haut von dem weißen Gebein, und die Seele verließ es;
135
Oder ihn fraßen die Fische des Meers, und seine Gebeine
Dorren an fremdem Gestade, vom wehenden Sande bedecket.
Also verlor er das Leben, und seine verlassenen Freunde
Klagen ihm alle nach, und ich am meisten; denn nimmer
Find‘ ich einen so gütigen Herrn, wohin ich auch gehe;
140
Käm‘ ich auch wieder ins Haus, das Vater und Mutter bewohnen,
Wo ich geboren ward, und meine Jugend verlebte.
Auch bewein‘ ich die Eltern nicht so sehr, da ich doch herzlich
Wünsche, sie wieder zu sehn und meiner Väter Gefilde;
Als Odysseus‘ Verlust mein ganzes Leben verbittert!
145
Ja, ich schäme mich, Fremdling, ihn bloß beim Namen zu nennen,
Ob er es zwar nicht hört; denn er pflegte mich gar zu liebreich!
Sondern ich nenn‘ ihn, auch fern, stets meinen älteren Bruder.
Ihm antwortete drauf der herrliche Dulder Odysseus:
Lieber, weil du es denn ganz leugnest, und nimmer vermutest,
150
Daß er zur Heimat kehrt, und stets ungläubig dein Herz bleibt;
Siehe, so will ich es nicht bloß sagen, sondern beschwören:
Daß Odysseus kömmt! Zum Lohn für die fröhliche Botschaft
Sollst du sogleich, wann jener in seine Wohnung zurückkommt,
Mich mit schönen Gewanden, mit Rock und Mantel, bekleiden.
155
Eher, wie sehr ich auch jetzo entblößt bin, nähm‘ ich sie nimmer!
Denn der ist mir verhaßt, wie die Pforten der untersten Tiefe,
Welcher, von Mangel verführt, mit leeren Erdichtungen schmeichelt!
Zeus von den Göttern bezeug‘ es, und diese gastliche Tafel,
Und Odysseus‘ heiliger Herd, zu welchem ich fliehe:
160
Daß dies alles gewiß geschehen wird, wie ich verkünde!
Selbst noch in diesem Jahre wird wiederkehren Odysseus!
Wann der jetzige Mond abnimmt, und der folgende zunimmt,
Wird er sein Haus betreten, und strafen, wer seiner Gemahlin
Und des glänzenden Sohnes Gewalt und Ehre gekränkt hat!
165
Ihm antwortetest du, Eumäos, Hüter der Schweine:
Alter, ich werde wohl nie den Lohn der Botschaft bezahlen,
Noch wird Odysseus je heimkehren! Trinke geruhig
Deinen Wein, und laß uns von etwas anderem reden.
Hieran erinnre mich nicht; denn meine Seele durchdringet
170
Schmerz, wann einer mich nur an den besten König erinnert!
Was du geschworen hast, laß gut sein; aber Odysseus
Komme, wie ich es wünsche, und seine Penelopeia,
Und Laertes der Greis, und Telemachos göttlich an Bildung!
Jetzo bewein‘ ich von Herzen den Sohn des edlen Odysseus!
175
Ach! Telemachos nährten, wie eine Pflanze, die Götter;
Und ich hofft‘ ihn dereinst nicht schlechter unter den Männern,
Als den Vater, zu finden, an Geist und Bildung ein Wunder:
Doch der Unsterblichen einer verrückt‘ ihm die richtigen Sinne,
Oder ein sterblicher Mensch! Er ging, den Vater zu suchen,
180
Nach der göttlichen Pylos; nun stellen die mutigen Freier
Ihm, wann er heimkehrt, nach: damit Arkeisios‘ Name
Und sein Heldengeschlecht aus Ithaka werde vertilget!
Aber laß uns davon nicht weiter reden; er möge
Fallen, oder entfliehn, und Gottes Hand ihn bedecken.
185
Auf! erzähle mir jetzo von deinen Leiden, o Alter!
Auch verkündige mir aufrichtig, damit ich es wisse:
Wer, wes Volkes bist du, und wo ist deine Geburtstadt?
Und in welcherlei Schiff kamst du? wie brachten die Schiffer
Dich nach Ithaka her? was rühmen sich jene für Leute?
190
Denn unmöglich bist du doch hier zu Fuße gekommen!
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Dieses will ich dir gern und nach der Wahrheit erzählen.
Wären wir beide mit Speis‘ auf lange Zeiten versorget,
Und erfreuendem Wein, und blieben hier stets in der Hütte
195
Ruhig sitzen am Mahl, und andre bestellten die Arbeit;
Siehe dann könnte leicht ein Jahr verfliegen, und dennoch
Hätt‘ ich nicht die Erzählung von allen Leiden vollendet,
Welche der Götter Rat auf meine Seele gehäuft hat.
Aus dem weiten Gefilde von Kreta stamm‘ ich; mein Vater
200
War ein begüterter Mann, und noch viel andere Söhne
Wurden in seinem Hause geboren und auferzogen,
Echte Kinder der Frau. Doch mich gebar ein erkauftes
Kebsweib; aber es ehrte mich, gleich den ehlichen Kindern
Kastor, Hylakos‘ Sohn, aus dessen Blut ich gezeugt hin.
205
Dieser ward, wie ein Gott, im kretischen Volke geehret,
Wegen seiner Gewalt, Reichtümer und rühmlichen Söhne.
Aber ihn führeten bald des Todes Schrecken in Aïs
Schattenbehausung hinab; die übermütigen Söhne
Warfen darauf das Los, und teilten das Erbe des Vaters.
210
Mir beschieden sie nur ein Haus und wenige Güter.
Aber ich nahm mir ein Weib aus einem der reichsten Geschlechter,
Das ich durch Tugend gewann; denn ich war kein entarteter Jüngling,
Noch ein Feiger im Kriege! Doch nun ist alles vergangen!
Dennoch glaub‘ ich, du wirst noch aus der Stoppel die Ähre
215
Kennen; denn ach! es drückte mich sehr viel Drangsal zu Boden!
Wahrlich, Entschlossenheit hatte mir Ares verliehn und Athene
Und vertilgende Kraft! Wann ich, dem Feinde zu schaden,
Mit erlesenen Helden im Hinterhalte versteckt lag;
Schwebte mir nimmer des Todes Bild vor der mutigen Seele:
220
Sondern ich sprang zuerst von allen hervor, und streckte
Jeglichen Feind in den Staub, den meine Schenkel ereilten.
Als focht ich im Krieg‘, und liebte weder den Feldbau,
Noch die Sorge des Hauses, und blühender Kinder Erziehung;
Aber das Ruderschiff war meine Freude beständig.
225
Schlachtengetös‘ und blinkende Speer‘ und gefiederte Pfeile:
Lauter schreckliche Dinge, die andre mit Grauen erfüllen!
Aber ich liebte, was Gott in meine Seele geleget;
Denn dem einen gefällt dies Werk, dem anderen jenes.
Eh‘ der Achaier Söhne gen Troja waren gesegelt,
230
Führt‘ ich neunmal Männer in schnellgeruderten Schiffen
Gegen entlegene Völker, und kehrte mit Beute zur Heimat.
Hievon nahm ich zuerst das schönste Kleinod, und vieles
Teilte das Los mir zu. So mehrte sich schnell mein Vermögen,
Und ich ward geehrt und hochgeachtet in Kreta.
235
Aber da Zeus‘ Vorsehung die jammerbringende Kriegsfahrt
Ordnete, welche das Leben so vieler Männer geraubt hat;
Da befahlen sie mir, mit Idomeneus, unserm Beherrscher,
Führer der Schiffe zu sein gen Ilios; alle Versuche
Mich zu befrein mißlangen; mich schreckte der Tadel des Volkes.
240
Und neun blutige Jahre durchkämpften wir Söhne der Griechen;
Und im zehnten verheerten wir Priamos‘ türmende Feste,
Steurten dann heim mit den Schiffen; und Gott zerstreute die Griechen.
Über mich Armen verhängte der Rat Kronions ein Unglück.
Denn nur einen Monat verweilt‘ ich daheim, mit dem Weibe
245
Meiner Jugend, den Kindern und meinem Gesinde mich freuend.
Und mich reizte mein Herz, mit göttergleichen Gefährten
Einige Schiffe zu rüsten, und nach dem Ägyptos zu segeln.
Und ich rüstete neun, und schnell war die Menge versammelt.
Hierauf schmausten bei mir sechs Tage die lieben Gefährten,
250
Und ich schlachtete viele gemästete Tiere zum Opfer
Für die seligen Götter, und zum erfreuenden Schmause.
Aber am siebenten Tage verließen wir Kreta, und fuhren,
Unter dem lieblichen Wehn des reinen beständigen Nordwinds,
Sanft, wie mit dem Strome, dahin; und keines der Schiffe
255
Wurde verletzt; wir saßen, gesund und fröhliches Mutes,
Auf dem Verdeck, und ließen vom Wind‘ und Steuer uns lenken.
Aber am fünften Tag‘ erreichten wir des Ägyptos‘
Herrlichen Strom, und ich legte die gleichen Schiffe vor Anker.
Dringend ermahnt‘ ich jetzo die lieben Reisegefährten,
260
An dem Gestade zu bleiben, und unsere Schiffe zu hüten,
Und versendete Wachen umher auf die Höhen des Landes.
Aber sie wurden von Trotz und Übermute verleitet,
Daß sie ohne Vorzug der Ägypter schöne Gefilde
Plünderten, ihre Weiber gefangen führten, die Männer
265
Und unmündigen Kinder ermordeten. Und ihr Geschrei kam
Schnell in die Stadt. Sobald der Morgen sich rötete, zogen
Streiter zu Roß und Fuße daher, und vom blitzenden Erze
Strahlte das ganze Gefild. Der Donnerer Zeus Kronion
Sendete meinen Gefährten die schändliche Flucht, und es wagte
270
Keiner dem Feinde zu stehn; denn ringsum drohte Verderben.
Viele töteten sie mit eisernen Lanzen, und viele
Schleppten sie lebend hinweg zu harter sklavischer Arbeit.
Aber Kronion Zeus gab selber diesen Gedanken
Mir ins Herz: (o hätte mich lieber des Todes Verhängnis
275
Dort in Ägyptos ereilt, denn meiner harrte nur Unglück!)
Eilend nahm ich den schöngebildeten Helm von dem Haupte,
Und von der Schulter den Schild, und warf den Speer aus der Rechten,
Ging dem Wagen des Königs entgegen, küßt‘ und umarmte
Seine Knie‘, und er schenkte mir voll Erbarmen das Leben,
280
Hieß in den Wagen mich steigen, und führte mich Weinenden heimwärts.
Zwar es stürzten noch oft mit eschenen Lanzen die Feinde
Mich zu ermorden heran, denn sie waren noch heftig erbittert;
Aber er wehrte sie ab, aus Furcht vor der Rache Kronions,
Welcher die Fremdlinge schützt, und ihre Beleidiger strafet.
285
Sieben Jahre blieb ich bei ihm, und sammelte Reichtum
Von dem ägyptischen Volke genung; denn sie gaben mir alle.
Doch wie das achte Jahr im Laufe der Zeiten herankam;
Siehe da kam ein phönikischer Mann, ein arger Betrüger
Und Erzschinder, der viele Menschen ins Elend gestürzt hat.
290
Dieser beredete mich, mit ihm nach Phönike zu fahren,
Wo der Bube sein Haus und sein Erworbenes hatte.
Und ein volles Jahr verweilt‘ ich bei ihm in Phönike.
Aber da jetzt die Monden und Tage waren vollendet,
Und ein anderes Jahr mit den kreisenden Horen herankam;
295
Führt‘ er gen Libya mich im meerdurchwallenden Schiffe,
Unter dem listigen Schein, als braucht‘ er mich bei der Ladung:
Um mich dort zu verkaufen, und großen Gewinn zu erwerben.
Ihn begleitet‘ ich zwar argwöhnend, aber ich mußte.
Und sie steurten, im Wehn des reinen beständigen Nordwinds,
300
Über Kreta dahin; doch Zeus beschloß ihr Verderben.
Als wir das grüne Gestade von Kreta jetzo verlassen,
Und ringsum kein Land, nur Meer und Himmel zu sehn war;
Breitete Zeus Kronion ein dunkelblaues Gewölk aus
Über das laufende Schiff, und Nacht lag über der Tiefe.
305
Und nun donnerte Zeus, der hochgeschleuderte Strahl schlug
Schmetternd ins Schiff, und es schwankte vom Donner des Gottes erschüttert,
Alles war Schwefeldampf, und die Männer entstürzten dem Boden.
Ähnlich den Wasserkrähn, bekämpften sie, rings um das Schiff her,
Steigend und sinkend die Flut; doch Gott nahm ihnen die Heimkehr.
310
Aber Kronion gab, in der schrecklichen Angst und Betäubung,
Selber den hohen Mast des blaugeschnäbelten Schiffes
Mir in die Hände, damit ich noch dem Verderben entflöhe.
Diesen umschlang ich, und trieb durch den Sturm und die tobenden Fluten.
Und neun Tage trieb ich umher; in der zehnten der Nächte
315
Warf mich ans Land der Thesproten die hochherrollende Woge.
Allda nahm mich Pheidon, der edle thesprotische König,
Freundlich und gastfrei auf; denn es fand sein Sohn am Gestade
Mich von Frost und Arbeit Entkräfteten liegen, und führte
Mich mit stützender Hand zu seines Vaters Palaste,
320
Und bekleidete mich mit prächtigem Mantel und Leibrock.
Jener erzählte mir dort von Odysseus, welcher, zur Heimat
Kehrend, ihn hätte besucht, und viele Freundschaftgenossen.
Und er zeigte mir auch die gesammelten Güter Odysseus‘,
Erzes und Goldes die Meng‘ und künstlichgeschmiedetes Eisens;
325
Daß bis ins zehnte Glied sein Geschlecht noch könnte versorgt sein.
Solch ein unendlicher Schatz lag dort im Hause des Königs.
Jener war, wie es hieß, nach Dodona gegangen, aus Gottes
Hochgewipfelter Eiche Kronions Willen zu hören,
Wie er in Ithaka ihm, nach seiner langen Entfernung,
330
Heimzukehren beföhle, ob öffentlich, oder verborgen.
Pheidon beschwur es mir selbst, und beim Trankopfer im Hause,
Segelfertig wäre das Schiff, und bereit die Gefährten,
Um ihn heimzusenden in seiner Väter Gefilde.
Aber mich sandt‘ er zuvor: denn ein Schiff thesprotischer Männer
335
Ging zu dem weizenreichen Dulichion. Diesen befahl er,
Mich sorgfältig dahin zum König Akastos zu bringen
Aber ihrem Herzen gefiel der grausamste Ratschluß
Über mir, daß ich ganz in des Elends Tiefe versänke.
Als das segelnde Schiff nun weit von dem Ufer entfernt war,
340
Droheten jene mir gleich mit dem schrecklichen Tage der Knechtschaft.
Meinen Mantel und Rock entrissen mir jetzo die Räuber,
Und umhüllten mir drauf den häßlichen Kittel und Leibrock,
Beide zerlumpt, wie du selber mit deinen Augen hier siehest.
Und am Abend erreichten wir Ithakas sonnige Hügel.
345
Jetzo banden sie mich im schöngezimmerten Schiffe
Fest mit dem starkgeflochtenen Seil, und stiegen dann selber
An das Gestad‘, und nahmen die schnellbereitete Mahlzeit.
Aber die Götter lösten mir leicht die Knoten der Fessel.
Und ich band um das Haupt die zusammengewickelten Lumpen,
350
Ließ am geglätteten Steuer mich nieder, legte mich vorwärts
Auf das Wasser, und schwamm, mit beiden Händen mich rudernd,
Hurtig von dannen, und bald war ich ferne von ihnen gekommen.
Jetzo stieg ich ans Land, kroch unter ein dickes Gebüsche,
Schmiegte mich hin, und lag. Die andern suchten indessen
355
Mich lautkeuchend umher; allein sie fanden nicht ratsam,
Tiefer ins Land zu gehn. Sie kehrten zurück, und bestiegen
Wieder das hohle Schiff; und mich entrissen die Götter
Leicht der Gefahr, und führten zu eines verständigen Mannes
Hütte mich hin. Denn noch verlängt das Schicksal mein Leben.
360
Ihm antwortetest du, Eumäos, Hüter der Schweine:
Unglückseliger Fremdling, ich fühl‘ es im innersten Herzen,
Was du von deinen Leiden und Irren mir alles erzählt hast.
Eins nur scheinet mir nicht in der Ordnung, das von Odysseus;
Nimmer glaub‘ ich es dir! Was zwingt dich, ehrlicher Alter,
365
So in den Wind zu lügen? Ich weiß zu gut von der Heimkehr
Meines Herren Bescheid! Er ist den Unsterblichen allen
Ganz verhaßt! Nicht einmal vor Troja ließ man ihn sterben,
Noch in den Armen der Freunde, nachdem er den Krieg vollendet;
Denn ein Denkmal hätt‘ ihm das Volk der Achaier errichtet,
370
Und so wäre zugleich sein Sohn bei den Enkeln verherrlicht!
Sondern er ward unrühmlich ein Raub der wilden Harpyen.
Aber ich lebe hier bei den Schweinen so einsam, und komme
Nie in die Stadt, wo nicht die kluge Penelopeia
Mir zu kommen gebeut, wenn Botschaft irgendwoher kam.
375
Ringsum sitzen sie dann, und fragen den Fremdling nach allem:
Einige grämen sich um den langabwesenden König,
Andere freuen sich drob, die seine Habe verprassen.
Aber mir ward die Lust zu fragen gänzlich verbittert,
Seit mich jüngst ein ätolischer Mann durch Märchen getäuscht hat.
380
Dieser war Totschlages halber schon weit geflüchtet, und irrte
Endlich zu meiner Hütte, wo ich mit Freundschaft ihn aufnahm.
Und er verkündigte mir: Bei Idomeneus unter den Kretern
Hab‘ er ihn bessern gesehen die sturmzerschlagenen Schiffe,
Und er käme gewiß, im Sommer oder im Herbste,
385
Mit dem unendlichen Schatz und den göttergleichen Gefährten.
Drum, unglücklicher Greis, den mir ein Himmlischer zuführt,
Trachte nicht meine Gunst durch Lügen dir zu erschmeicheln.
Denn nicht darum werd‘ ich dich ehren oder bewirten,
Sondern aus Furcht vor dem gastlichen Zeus, und weil du mich jammerst.
390
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Wahrlich, du trägst ein sehr ungläubiges Herz in dem Busen,
Da mir der Eidschwur selbst nicht dein Zutrauen gewinnet!
Aber wohlan! wir wollen uns jetzt vergleichen, und Zeugen
Sei’n die Unsterblichen uns, des hohen Olympos Bewohner!
395
Kehrt er wieder zurück zu diesem Hause, dein König;
Siehe dann sollst du mich, mit Rock und Mantel bekleidet,
Gen Dulichion senden: denn dort verlanget mein Herz hin.
Kehret er nicht zurück, dein König, wie ich verkünde;
Alsdann reize die Knechte, vom Felsen herab mich zu stürzen:
400
Daß die Bettler hinfort sich scheuen, Lügen zu schwatzen.
Ihm antwortete drauf der edle Hüter der Schweine:
Fremdling, da wäre mir traun! bei allen Menschen auf Erden
Großes Lob und Verdienst für jetzt und immer gesichert,
Hätt‘ ich dich erst in die Hütte geführt, und freundlich bewirtet,
405
Und erschlage dich dann, und raubte dein liebes Leben!
Freudigkeit gäbe mir das, vor Zeus Kronion zu beten!
Aber die Stunde zum Essen ist da; bald kommen die Leute
Heim, mit mir in der Hütte das köstliche Mahl zu bereiten.
Also besprachen diese sich jetzo untereinander.
410
Und nun kamen die Schwein‘ und ihre Hirten vorn Felde.
Diese schlossen sie drauf in ihre Ställe zum Schlafen,
Und laut tönte das Schreien der eingetriebenen Schweine.
Aber seinen Gehilfen befahl der treffliche Sauhirt:
Bringt das fetteste Schwein, für den fremden Gast es zu opfern,
415
Und uns selber einmal zu erquicken, da wir so lange
Um weißzahnichte Schweine Verdruß und Kummer erduldet,
Während andre umsonst all‘ unsere Mühe verprassen!
Also sprach er, und spaltete Holz mit dem grausamen Erze.
Jene führten ins Haus ein fett fünfjähriges Mastschwein,
420
Stellten es drauf an den Herd. Es vergaß der treffliche Sauhirt
Auch der Unsterblichen nicht, denn fromm war seine Gesinnung!
Sondern begann das Opfer, und warf in die Flamme das Stirnhaar
Vom weißzahnichten Schwein, und flehte den Himmlischen allen,
Daß sie dem weisen Odysseus doch heimzukehren vergönnten;
425
Schwung nun die Eichenkluft, die er beim Spalten zurückwarf,
Schlugs, und sein Leben entfloh; die andern schlachteten, sengten,
Und zerstückten es schnell. Das Fett bedeckte der Sauhirt
Mit dem blutigen Fleische, von allen Gliedern geschnitten;
Dieses warf er ins Feuer, mit feinem Mehle bestreuet.
430
Und sie schnitten das übrige klein, und steckten’s an Spieße.
Brieten’s mit Vorsicht über der Glut, und zogen’s herunter,
Legten dann alles zusammen auf Küchentische. Der Sauhirt
Stellte sich hin, es zu teilen; denn Billigkeit lag ihm am Herzen.
Und in sieben Teile zerlegt‘ er alles Gebratne:
435
Einen legt‘ er den Nymphen, und Hermes, dem Sohne der Mäa,
Betend den andern hin; die übrigen reicht‘ er den Männern.
Aber Odysseus verehrt‘ er den unzerschnittenen Rücken
Vom weißzahnichten Schwein, und erfreute die Seele des Königs.
Fröhlich sagte zu ihm der erfindungsreiche Odysseus:
440
Liebe dich Vater Zeus, wie ich dich liebe, Eumäos,
Da du mir armen Manne so milde Gaben verehrest!
Drauf antwortetest du, Eumäos, Hüter der Schweine:
Iß, mein unglückseliger Freund, und freue dich dessen,
Wie du es hast. Gott gibt uns dieses, und jenes versagt er,
445
Wie es seinem Herzen gefällt; denn er herrschet mit Allmacht.
Sprach’s, und weihte den Göttern die Erstlinge, opferte selber
Funkelnden Wein, und gab ihn dem Städteverwüster Odysseus
In die Hand; er saß bei seinem beschiedenen Anteil.
Ihnen verteilte das Brot Mesaulios, welchen der Sauhirt
450
Selber sich angeschafft, indes sein König entfernt war:
Ohne Penelopeia, und ohne den alten Laertes,
Hatt‘ er von Taphiern ihn mit eigenem Gute gekaufet.
Und sie erhoben die Hände zum leckerbereiteten Mahle.
Und nachdem die Begierde des Tranks und der Speise gestillt war,
455
Trug Mesaulios wieder das Brot von dannen; und alle,
Von dem Brot und dem Fleische gesättigt, eilten zur Ruhe.
Eine grauliche Nacht, unerleuchtet vom schwindenden Monde,
Kam; es regnete Zeus, naßstürmend sauste der Westwind.
Beim Entkleiden versucht‘ Odysseus, ob ihm der Sauhirt
460
Nicht den Mantel vielleicht darbieten, oder der Knechte
Einem es würde befehlen, da er für ihn so besorgt war:
Höre mich jetzt, Eumäos, und hört, ihr übrigen Hirten!
Rühmend red‘ ich ein Wort, vom betörenden Weine besieget,
Welcher den Weisesten oft anreizt zum lauten Gesange,
465
Ihn zum herzlichen Lachen und Gaukeltanze verleitet,
Und manch Wort ihm entlockt, das besser wäre verschwiegen.
Aber weil das Geschwätz doch anfing, will ich’s vollenden.
Wollte Gott, ich grünte noch jetzt in der Fülle der Jugend,
Als da vor Troja wir uns im Hinterhalte verbargen!
470
Führer waren Odysseus, und Atreus‘ Sohn Menelaos,
Und der dritte war ich; denn sie verlangten es selber.
Als wir jetzo die Stadt und die hohe Mauer erreichten,
Legten wir nahe der Burg, im dichtverwachsenen Sumpfe,
Zwischen Weiden und Schilfen uns nieder, unter der Rüstung.
475
Eine stürmische Nacht brach an; der erstarrende Nordwind
Stürzte daher; und stöbernder Schnee, gleich duftigem Reife,
Fiel anfrierend herab, und umzog die Schilde mit Glatteis.
Alle die andern lagen, gehüllt in Mantel und Leibrock,
Mit dem Schilde die Schulter bedeckt, und schlummerten ruhig.
480
Aber ich Unbesonnener ließ den Mantel beim Weggehn
Meinen Gefährten zurück, denn ich achtete gar nicht der Kälte;
Und ging bloß mit dem Schild‘ und schöngegürteten Leibrock.
Doch in der dritten Wache der Nacht, da die Sterne sich neigten,
Stieß ich Odysseus, der mir zur Seiten lag, mit dem Arme,
485
Und sprach schaudernd zu ihm; und schnell war er munter, und hörte:
Edler Laertiad‘, erfindungsreicher Odysseus,
Lange bleib‘ ich nicht mehr bei den Lebenden; sondern mich tötet
Frost, denn ich ließ den Mantel zurück; mich verführte mein Dämon,
Bloß im Rocke zu gehn: und nun ist keine Errettung!
490
Also sprach ich, und schnell beschloß er dieses im Herzen;
So wie immer der Held zum Rat und Kampfe bereit war:
Eilend erwidert‘ er mir mit leiseflüsternder Stimme:
Schweige jetzt, damit kein andrer Achaier dich höre!
Sprach’s, und stützte das Haupt auf den Ellenbogen und sagte:
495
Hört, ihr Lieben, ein göttlicher Traum erschien mir im Schlafe.
Wir sind weit von den Schiffen entfernt! O ginge doch einer,
Atreus‘ Sohn‘ Agamemnon, dem Hirten der Völker, zu sagen,
Daß er noch mehren vom Ufer hieher zu eilen geböte!
Also sprach er; und Thoas, der Sohn Andrämons, erhub sich
500
Eilend, und warf zur Erde den schönen purpurnen Mantel,
Und lief schnell zu den Schiffen; und ich umhüllte mir freudig
Sein Gewand, und lag, bis die Morgenröte heraufstieg.
Wollte Gott, ich grünte noch jetzt in der Fülle der Jugend!
Ach! dann schenkte mir wohl ein Sauhirt hier in der Hütte
505
Einen Mantel, aus Lieb‘ und Achtung gegen den Tapfern!
Nun verachten sie mich, weil ich so elend bedeckt bin!
Ihm antwortetest du, Eumäos, Hüter der Schweine:
Greis, untadelig ist das Geheimnis, so du erzählest;
Und kein unnütz Wort ist deinen Lippen entfallen.
510
Drum soll’s weder an Kleidung, noch etwas anderen, dir mangeln,
Was unglücklichen Fremden, die Hilfe suchen, gebühret,
Jetzt! Doch morgen mußt du in deine Lumpen dich hüllen.
Denn nicht viele Mäntel und oftveränderte Röcke
Haben wir anzuziehn; nur einen hat jeglicher Sauhirt.
515
Kehrt einst wieder zurück der geliebte Sohn von Odysseus,
Gerne wird dich dieser mit Rock und Mantel bekleiden,
Und dich senden, wohin es deinem Herzen gelüstet.
Also sprach er, erhub sich, und setzte neben dem Feuer
Ihm ein Bette, bedeckt mit Fellen von Ziegen und Schafen.
520
Und Odysseus legte sich hin. Da bedeckte der Sauhirt
Ihn mit dem großen wollichten Mantel, womit er sich pflegte
Umzukleiden, wenn draußen ein schrecklicher Winterorkan blies.
Also schlummerte dort Odysseus; neben Odysseus
Legten die Jünglinge sich zum Schlummer. Aber der Sauhirt
525
Liebte nicht, in dem Bett‘, entfernt von den Schweinen, zu schlafen;
Sondern er waffnete sich, hinauszugehn; und Odysseus
Freute sich, daß er so treu des Entfernten Güter besorgte.
Erstlich hängt‘ er ein scharfes Schwert um die rüstigen Schultern,
Hüllte sich dann in den windabwehrenden wollichten Mantel,
530
Nahm das zottichte Fell der großen gemästeten Ziege,
Nahm auch den scharfen Speer, den Schrecken der Menschen und Hunde,
Eilte nun hin, zu ruhn, wo die hauerbewaffneten Eber
Lagen, unter dem Hange des Felsen, geschirmt vor dem Nordwind.

Dreizehnter Gesang

Dreizehnter Gesang

Odysseus, von neuem beschenkt, geht am Abend zu Schiffe, wird schlafend nach Ithaka gebracht, und in Phorkis Bucht ausgesetzt. Das heimkehrende Schiff versteinert Poseidon. Odysseus in Götternebel verkennt sein Vaterland. Athene entnebelt ihm Ithaka, verbirgt sein Gut in der Höhle der Nymphen, entwirft der Freier Ermordung, und gibt ihm die Gestalt eines bettelnden Greises.

Also sprach er; und alle verstummten umher, und schwiegen,
Horchten noch, wie entzückt, im großen schattigen Saale.
Ihm antwortete drauf Alkinoos wieder, und sagte:
Da du zu meiner hohen mit Erz gegründeten Wohnung
5
Kamst; so hoff‘ ich, Odysseus, dich sollen doch jetzt von der Heimfahrt
Keine Stürme verwehn, wie sehr du auch immer geduldet!
Aber gehorchet nun, ihr alle, meiner Ermahnung,
Die ihr beständig allhier, in meinem Palaste, des roten
Ehrenweines genießt, und des Sängers Begeisterung anhört.
10
Kleider liegen bereits in der schöngeglätteten Lade
Für den Fremdling, auch Gold von künstlicher Arbeit, und andre
Reiche Geschenke, so viel die phäakischen Fürsten ihm brachten.
Laßt uns noch jeden ein groß dreifüßig Geschirr und ein Becken
Ihm verehren. Wir fodern uns dann vom versammelten Volke
15
Wieder Ersatz; denn einen belästigten solche Geschenke.
Also sprach er; und allen gefiel die Rede des Königs.
Hierauf gingen sie heim, der süßen Ruhe zu pflegen.
Als die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte,
Eilten sie alle zum Schiffe mit männerehrendem Erze.
20
Aber die heilige Macht Alkinoos legte das alles,
Selber das Schiff durchgehend, mit Sorgfalt unter die Bänke;
Daß es die Ruderer nicht an der Arbeit möchte verhindern.
Hierauf gingen sie alle zur Burg, und besorgten das Gastmahl.
Ihnen versöhnte der König mit einem geopferten Stiere
25
Zeus den donnerumwölkten Kroniden, der alles beherrschet.
Und sie verbrannten die Lenden, und feirten das herrliche Gastmahl,
Fröhliches Muts; auch sang vor ihnen der göttliche Sänger,
Unter den Völkern geehrt, Demodokos. Aber Odysseus
Wandte zur strahlenden Sonn‘ oft ungeduldig sein Haupt auf,
30
Daß sie doch unterginge; denn herzlich verlangt‘ ihn zur Heimat.
Also sehnt sich ein Pflüger zur Mahlzeit, welcher vom Morgen
Bis zum Abend die Brache mit rötlichen Stieren geackert;
Freudig sieht er, wie sich die leuchtende Sonne hinabsenkt,
Eilet zur Abendkost, und dem Gehenden wanken die Kniee:
35
Also freute sich jetzt Odysseus der sinkenden Sonne.
Schnell begann er darauf zu den rudergeübten Phäaken,
Aber vor allen wandt‘ er sich gegen den König, und sagte:
Weitgepriesener Held, Alkinoos, mächtigster König!
Sendet mich jetzt, nach geopfertem Trank, in Frieden; und lebt wohl!
40
Denn ich habe nun alles, was meine Seele gewünscht hat:
Eine sichere Fahrt und werte Geschenke. Die Götter
Lassen mir alles gedeihn! daß ich unsträflich die Gattin
Wiederfinde daheim, und unbeschädigt die Freunde.
Ihr, die ich jetzo verlasse, beglückt noch lange die Weiber
45
Eurer Jugend, und Kinder! Euch segnen die Götter mit Tugend
Und mit Heil, und nie heimsuche die Insel ein Unglück!
Also sprach er; es lobten ihn alle Fürsten, und rieten,
Heimzusenden den Gast, weil seine Bitte gerecht war.
Aber die heilige Macht Alkinoos sprach zu dem Herold:
50
Mische Wein in dem Kelche, Pontonoos; reiche dann allen
Männern im Saal‘ umher; daß wir dem Vater Kronion
Flehn, und unseren Gast zu seiner Heimat befördern.
Sprach’s; und Pontonoos mischte des herzerfreuenden Weines,
Ging umher, und verteilte die vollen Becher. Sie gossen
55
Flehend den Göttern des Tranks, die den weiten Himmel bewohnen,
Jeder von seinem Sitz. Da erhub sich der edle Odysseus,
Gab in Aretens Hand den schönen doppelten Becher,
Redete freundlich sie an, und sprach die geflügelten Worte:
Lebe beständig wohl, o Königin, bis dich das Alter
60
Sanft beschleicht und der Tod, die allen Menschen bevorstehn!
Jetzo scheid‘ ich von dir. Sei glücklich in diesem Palaste,
Samt den Kindern, dem Volk, und Alkinoos, deinem Gemahle!
Eilend ging nun der Held Odysseus über die Schwelle.
Und die heilige Macht Alkinoos sandte den Herold,
65
Ihn zu dem rüstigen Schiff ans Meergestade zu führen.
Auch die Königin ließ ihn von drei Jungfrauen begleiten:
Eine trug ihm den schöngewaschenen Mantel und Leibrock;
Diese sandte sie mit, die zierliche Lade zu bringen;
Jene folgte dem Zuge mit Speis‘ und rötlichem Weine.
70
Als sie jetzo das Schiff und des Meeres Ufer erreichten,
Nahmen eilig von ihnen die edlen Geleiter Odysseus‘
Alles, auch Speis‘ und Trank, und legten es nieder im Schiffe;
Betteten jetzt für Odysseus ein Polster und leinenen Teppich
Auf dem Hinterverdeck des hohlen Schiffes, damit er
75
Ruhig schliefe. Dann stieg er hinein, und legte sich schweigend
Auf sein Lager. Nun setzten sich alle hin auf die Bänke,
Nach der Ordnung, und lösten das Seil vom durchlöcherten Steine,
Beugten sich vor und zurück, und schlugen das Meer mit dem Ruder.
Und ein sanfter Schlaf bedeckte die Augen Odysseus‘,
80
Unerwecklich und süß, und fast dem Tode zu gleichen.
Wie wenn auf ebener Bahn vier gleichgespannete Hengste
Alle zugleich hinstürzen, umschwirrt von der treibenden Geißel,
Hoch sich erhebend, und hurtig zum Ziele des Laufes gelangen:
Also erhob sich das Steuer des Schiffs, und es rollte von hinten
85
Dunkel und groß die Woge des lautaufrauschenden Meeres.
Schnell und sicheres Laufes enteilten sie; selber kein Habicht
Hätte sie eingeholt, der geschwindeste unter den Vögeln.
Also durcheilte der schneidende Kiel die Fluten des Meeres,
Heimwärts tragend den Mann, an Weisheit ähnlich den Göttern.
90
Ach! er hatte so viel unnennbare Leiden erduldet,
Da er die Schlachten der Männer und tobende Fluten durchkämpfte;
Und nun schlief er so ruhig, und alle sein Leiden vergessend.
Als nun östlich der Stern mit funkelndem Schimmer emporstieg,
Welcher das kommende Licht der Morgenröte verkündet;
95
Schwebten sie nahe der Insel im meerdurchwallenden Schiffe.
Phorkys, dem Greise des Meers, ist eine der Buchten geheiligt,
Gegen der Ithaker Stadt, wo zwo vorragende schroffe
Felsenspitzen der Reede sich an der Mündung begegnen.
Diese zwingen die Flut, die der Sturm lautbrausend heranwälzt,
100
Draußen zurück; inwendig am stillen Ufer des Hafens
Ruhn unangebunden die schöngebordeten Schiffe.
Oben grünt am Gestad‘ ein weitumschattender Ölbaum.
Eine Grotte, nicht fern von dem Ölbaum, lieblich und dunkel,
Ist den Nymphen geweiht, die man Najaden benennet.
105
Steinerne Krüge stehn und zweigehenkelte Urnen
Innerhalb; und Bienen bereiten drinnen ihr Honig.
Aber die Nymphen weben auf langen steinernen Stühlen
Feiergewande, mit Purpur gefärbt, ein Wunder zu schauen.
Unversiegende Quellen durchströmen sie. Zwo sind der Pforten:
110
Eine gen Mitternacht, durch welche die Menschen hinabgehn;
Mittagwärts die andre geheiligte: diese durchwandelt
Nie ein sterblicher Mensch; sie ist der Unsterblichen Eingang.
Jene lenkten hinein, denn sie kannten den Hafen schon vormals.
Siehe da eilte das Schiff bis an die Hälfte des Kieles
115
Stürmend ans Land: so stark war der Schwung von der Ruderer Händen.
Und sie stiegen vom Schiffe mit zierlichen Bänken ans Ufer,
Hoben zuerst Odysseus vom Hinterverdecke des Schiffes,
Samt dem leinenen Teppich und schönen purpurnen Polster,
Und dann legten sie ihn, wie er schlummerte, nieder im Sande.
120
Und sie enthoben das Gut, das die edlen Phäaken beim Abschied
Ihm geschenkt, durch Fügung der mutigen Pallas Athene.
Dieses legten sie alles zuhauf am Stamme des Ölbaums,
Außer dem Wege, daß kein vorübergehender Wandrer
Heimlich zu rauben käme, bevor Odysseus erwachte.
125
Und nun fuhren sie heim. Doch Poseidaon vergaß nicht
Seiner Drohung, die er dem göttergleichen Odysseus
Ehmals hatte gedroht; er forschte den Willen Kronions:
Vater Zeus, auf immer ist bei den unsterblichen Göttern
Meine Ehre dahin, da Sterbliche meiner nicht achten,
130
Jene Phäaken, die selbst von meinem Blute gezeugt sind!
Sieh, ich vermutet‘, es sollte nach vielen Leiden Odysseus
Kommen ins Vaterland; denn gänzlich hätt‘ ich die Heimkehr
Nimmer gewehrt, da dein allmächtiger Wink sie verheißen:
Und sie bringen im Schlaf ihn über die Wogen, und setzen
135
Ihn in Ithaka aus, und geben ihm teure Geschenke,
Erzes und Goldes die Meng‘, und schöngewebete Kleider,
Mehr als Odysseus je aus Ilion hätte geführet,
Wär‘ er auch ohne Schaden mit seiner Beute gekommen!
Ihm antwortete drauf der Wolkenversammler Kronion:
140
Welche Red‘ entfiel dir, du erderschütternder König?
Nimmer verachten dich die Götter! vermessene Kühnheit
Wär‘ es, den ältesten mächtigsten Gott mit Verachtung zu reizen.
Weigert sich aber ein Mensch, durch Kraft und Stärke verleitet,
Dich, wie er soll, zu ehren; so bleibt dir ja immer die Rache.
145
Tue jetzt, wie du willst, und deinem Herzen gelüstet!
Drauf erwiderte jenem der Erderschüttrer Poseidon:
Gerne vollendet‘ ich gleich, Schwarzwolkichter, was du gestattest;
Aber ich fürchte mich stets vor deinem eifernden Zorne.
Jetzo will ich das schöngezimmerte Schiff der Phäaken,
150
Das vom Geleiten kehrt, im dunkelwogenden Meere
Plötzlich verderben; damit sie sich scheun, und die Männergeleitung
Lassen; und rings um die Stadt will ich ein hohes Gebirg ziehn.
Ihm antwortete drauf der Wolkenversammler Kronion:
Teuerster, dieser Rat scheint meinem Sinne der beste.
155
Wann die Bürger der Stadt dem näher rudernden Schiffe
Alle entgegen schaun, dann verwandel‘ es nahe dem Ufer
Zum schiffähnlichen Fels; daß alle Menschen dem Wunder
Staunen; und rings um die Stadt magst du ein hohes Gebirg ziehn.
Als er solches vernommen, der Erderschüttrer Poseidon,
160
Ging er gen Scheria hin, dem Lande der stolzen Phäaken.
Allda harrt‘ er; und bald kam nahe dem Ufer das schnelle
Meerdurchgleitende Schiff. Da nahte sich Poseidaon,
Schlug es mit flacher Hand, und siehe! plötzlich versteinert,
Wurzelt‘ es fest am Boden des Meers. Drauf ging er von dannen.
165
Aber am Ufer besprachen mit schnellgeflügelten Worten
Sich die Phäaken, die Führer der langberuderten Schiffe.
Einer wendete sich zu seinem Nachbar, und sagte:
Wehe! wer hemmt im Meere den Lauf des rüstigen Schiffes,
Welches zur Heimat eilte? Wir sahn es ja völlig mit Augen!
170
Also redeten sie, und wußten nicht, was geschehn war.
Aber jetzo begann Alkinoos in der Versammlung:
Weh mir! es trifft mich jetzo ein längst verkündetes Schicksal.
Mir erzählte mein Vater vordem, uns zürne Poseidon,
Weil wir ohne Gefahr jedweden zu Schiffe geleitet.
175
Dieser würde dereinst ein treffliches Schiff der Phäaken,
Das vom Geleiten kehrte, im dunkelwogenden Meere
Plötzlich verderben, und rings um die Stadt ein hohes Gebirg ziehn.
So weissagte der Greis; das wird nun alles erfüllet.
Aber wohlan! gehorcht nun alle meinem Befehle.
180
Laßt die Männergeleitung, woher auch ein Sterblicher komme,
Unserem Volke zu flehn; und opfert jetzo Poseidon
Zwölf erlesene Stiere! Vielleicht erbarmt er sich unser,
Daß er nicht rings um die Stadt ein hohes Felsengebirg zieht.
Also sprach er, und bange bereiteten jene das Opfer.
185
Also beteten dort zum Meerbeherrscher Poseidon,
Für der Phäaken Stadt, die erhabenen Fürsten und Pfleger,
Stehend um den Altar. Da erwachte der edle Odysseus,
Ruhend auf dem Boden der lange verlassenen Heimat.
Und er kannte sie nicht; denn eine Göttin umhüllt‘ ihn
190
Rings mit dunkler Nacht, Zeus‘ Tochter, Pallas Athene,
Ihn unkennbar zu machen, und alles mit ihm zu besprechen:
Daß ihn weder sein Weib noch die Freund‘ und Bürger erkennten,
Bis die üppigen Freier für allen Frevel gebüßet.
Alles erschien daher dem ringsumschauenden König
195
Unter fremder Gestalt: Heerstraßen, schiffbare Häfen,
Wolkenberührende Felsen, und hochgewipfelte Bäume.
Jetzo erhub er sich, stand; und da er sein Vaterland ansah,
Hub er bitterlich an zu weinen, und schlug sich die Hüften
Beide mit flacher Hand, und sprach mit klagender Stimme:
200
Weh mir! zu welchem Volke hin ich nun wieder gekommen?
Sind’s unmenschliche Räuber, und sittenlose Barbaren;
Oder Diener der Götter, und Freunde des heiligen Gastrechts?
Wo verberg‘ ich dies viele Gut? und wohin soll ich selber
Irren? O wäre doch dies im phäakischen Lande geblieben!
205
Und mir hätte dagegen ein anderer mächtiger König
Hilfe gewährt, mich bewirtet und hingesendet zur Heimat!
Jetzo weiß ich es weder wo hinzulegen, noch kann ich’s
Hier verlassen, damit es nicht andern werde zur Beute!
Ach! so galt denn bei jenen Gerechtigkeit weder, noch Weisheit,
210
Bei des phäakischen Volks erhabenen Fürsten und Pflegern,
Die in ein fremdes Land mich gebracht! Sie versprachen so heilig,
Mich nach Ithakas Höhn zu führen; und täuschten mich dennoch!
Zeus vergelt‘ es ihnen, der Leidenden Rächer, der aller
Menschen Beginnen schaut, und alle Sünde bestrafet!
215
Aber ich will doch jetzo die Güter zählen und nachsehn,
Ob sie mir etwas geraubt, als sie im Schiffe davon flohn.
Also sprach er, und zählte die Becken und schönen Geschirre
Mit drei Füßen, das Gold und die prächtig gewebeten Kleider;
Und ihm fehlte kein Stück. Nun weint‘ er sein Vaterland wieder,
220
Wankt‘ umher am Ufer des lautaufrauschenden Meeres,
Und wehklagete laut. Da nahte sich Pallas Athene,
Eingehüllt in Jünglingsgestalt, als Hüter der Herden,
Zart und lieblich von Wuchs, wie Königskinder einhergehn.
Diese trug um die Schultern ein wallendes feines Gewebe,
225
Einen Spieß in der Hand, und Sohlen an glänzenden Füßen.
Als sie Odysseus erblickte; da freut‘ er sich, ging ihr entgegen,
Redete freundlich sie an, und sprach die geflügelten Worte:
Lieber, weil du zuerst mir an diesem Orte begegnest,
Sei mir gegrüßt, und nahe dich nicht mit feindlichem Herzen;
230
Sondern beschütze mich selbst und dieses. Wie einem der Götter,
Fleh ich dir, und umfasse die werten Kniee voll Demut.
Auch verkündige mir aufrichtig, damit ich es wisse:
Wie benennt ihr das Land, die Stadt, und ihre Bewohner?
Ist dies eine der Inseln voll sonnenreicher Gebirge;
235
Oder die meereinlaufende Spitze der fruchtbaren Feste?
Ihm antwortete Zeus‘ blauäugichte Tochter Athene:
Fremdling du bist nicht klug, oder ferne von hinnen gebürtig;
Da du nach diesem Lande mich fragst! Ich dächte, so gänzlich
Wär‘ es nicht unberühmt; und sicherlich kennen es viele:
240
Alle die morgenwärts, und wo die Sonne sich umdreht,
Wohnen, oder da hinten, gewandt zum nächtlichen Dunkel.
Freilich ist es rauh, und taugt nicht Rosse zu tummeln;
Doch ganz elend auch nicht, wiewohl es an Ebnen ihm mangelt.
Reichlich gedeihet bei uns die Frucht des Feldes, und reichlich
245
Lohnet der Wein; denn Regen und Tau befruchten das Erdreich.
Treffliche Ziegenweiden sind hier, auch Weiden der Rinder;
Waldungen jeglicher Art, und immerfließende Bäche.
Fremdling, Ithakas Ruf ist selbst nach Troja gekommen;
Und das, sagen sie, liegt sehr fern vom achaiischen Lande!
250
Also sprach er; da freute der herrliche Dulder Odysseus
Sich im innersten Herzen des Vaterlandes, das jetzo
Pallas Athene ihm nannte, des Wetterleuchtenden Tochter.
Und er redte sie an, und sprach die geflügelten Worte;
Doch vermied er die Wahrheit mit schlauabweichender Rede,
255
Und sein erfindungsreicher Verstand war in steter Bewegung:
Ja, von Ithaka hört‘ ich in Kretas weitem Gefilde,
Ferne jenseit des Meers. Nun komme ich selber mit diesem
Gute hieher, und ließ den Kindern noch eben so vieles,
Als ich entfloh. Ich nahm Idomeneus‘ Sohne das Leben,
260
Jenem hurtigen Helden Orsilochos, welcher in Kreta
Alle geübtesten Läufer an Schnelle der Füße besiegte.
Denn er wollte mich ganz der troischen Beute berauben,
Derenthalb ich so viel unnennbare Leiden erduldet,
Blutige Schlachten der Männer und tobende Fluten durchkämpfend,
265
Weil ich seinem Vater zu dienen nimmer gewillfahrt,
In dem troischen Land‘, und selbst ein Geschwader geführet.
Aber mit ehernem Speer erschoß ich ihn, als er vom Felde
Kam; ich laurte versteckt mit einem Gefährten am Wege.
Eine düstere Nacht umhüllte den Himmel, und unser
270
Nahm kein Sterblicher wahr, und heimlich raubt‘ ich sein Leben.
Dennoch, sobald ich jenen mit ehernem Speere getötet,
Eilt‘ ich ans Ufer des Meers zum Schiffe der stolzen Phöniker,
Flehte sie an, und gewann sie mit einem Teile der Beute;
Daß sie an Pylos Gestade mich auszusetzen versprachen,
275
Oder der göttlichen Elis, die von den Epeiern beherrscht wird.
Aber leider! sie trieb die Gewalt des Orkanes von dannen,
Ihnen zum großen Verdruß; denn sie dachten mich nicht zu betrügen.
Und wir irrten umher, und kamen hier in der Nacht an.
Mühsam ruderten wir das Schiff in den Hafen, und niemand
280
Dachte der Abendkost, so sehr wir auch ihrer bedurften;
Sondern wir stiegen nur so ans Ufer, und legten uns nieder.
Und ich entschlummerte sanft, ermüdet von langer Arbeit.
Jene huben indes mein Gut aus dem Raume des Schiffes,
Legten es auf dem Sande, wo ich sanft schlummerte, nieder;
285
Stiegen dann ein, und steurten der wohlbevölkerten Küste
Von Sidonia zu; ich blieb mit traurigem Herzen.
Also sprach er; da lächelte Zeus‘ blauäugichte Tochter,
Streichelt‘ ihn mit der Hand; und schien nun plötzlich ein Mädchen,
Schöngebildet und groß und klug in künstlicher Arbeit.
290
Und sie redet‘ ihn an, und sprach die geflügelten Worte:
Geist erfoderte das und Verschlagenheit, dich an Erfindung
Jeglicher Art zu besiegen, und käm‘ auch einer der Götter!
Oberlistiger Schalk voll unergründlicher Ränke,
Also gebrauchst du noch selbst im Vaterlande Verstellung
295
Und erdichtete Worte, die du als Knabe schon liebtest?
Aber laß uns hievon nicht weiter reden; wir kennen
Beide die Kunst: du bist von allen Menschen der erste
An Verstand und Reden, und ich bin unter den Göttern
Hochgepriesen an Rat und Weisheit. Aber du kanntest
300
Pallas Athene nicht, Zeus‘ Tochter, welche beständig
Unter allen Gefahren dir beistand, und dich beschirmte,
Und dir auch die Liebe von allen Phäaken verschaffte.
Jetzo komm‘ ich hieher, um dir Anschläge zu geben,
Und zu verbergen das Gut, so viel die edlen Phäaken
305
Dir Heimkehrenden schenkten, durch meine Klugheit geleitet:
Auch zu verkünden, daß deiner im schöngebauten Palaste
Viele Drangsal noch harrt. Doch du ertrage sie standhaft,
Und entdecke dich keinem der Männer oder der Weiber,
Daß du von Leiden verfolgt hier ankamst; sondern erdulde
310
Schweigend dein trauriges Los, und schmiege dich unter die Stolzen.
Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Schwer, o Göttin, erkennt dich ein Sterblicher, dem du begegnest,
Sei er auch noch so geübt; denn du nimmst jede Gestalt an.
Dennoch weiß ich es wohl, daß du vor Zeiten mir hold warst,
315
Als wir Achaier noch die hohe Troja bekriegten.
Aber seit wir die Stadt des Priamos niedergerissen,
Und von dannen geschafft, und ein Gott die Achaier zerstreuet,
Hab‘ ich dich nimmer gesehn, Zeus‘ Tochter, und nimmer vernommen,
Daß du mein Schiff betratst, mich einer Gefahr zu entreißen;
320
Sondern immer, im Herzen von tausend Sorgen verwundet,
Irrt‘ ich umher, bis die Götter sich meines Jammers erbarmten:
Außer daß du zuletzt in dem fetten phäakischen Eiland
Mich durch Worte gestärkt, und zu der Stadt mich geführt hast.
Jetzo fleh‘ ich dich an bei deinem Vater: (ich fürchte
325
Immer, ich sei noch nicht in Ithaka, sondern durchirre
Wieder ein anderes Land, und spottend habest du, Göttin,
Mir dies alles verkündet, um meine Seele zu täuschen:)
Sage mir, bin ich denn wirklich im lieben Vaterlande?
Drauf antwortete Zeus‘ blauäugichte Tochter Athene:
330
Stets bewahrest du doch im Herzen jene Gesinnung:
Darum kann ich dich auch im Unglück nimmer verlassen,
Weil du behutsam bist, scharfsinnig und männliches Herzens.
Jeder irrende Mann der spät heimkehrte, wie freudig
Würd‘ er zu Hause nun eilen, sein Weib und die Kinder zu sehen!
335
Aber dich kümmert das nicht, zu wissen oder zu fragen,
Eh‘ du selber dein Weib geprüft hast, welche beständig
So im Hause sitzt; denn immer schwinden in Jammer
Ihre Tage dahin, und unter Tränen die Nächte.
Zwar ich zweifelte nie an der Wahrheit, sondern mein Herz war
340
Überzeugt, du kehrtest ohn‘ alle Gefährten zur Heimat;
Aber ich scheuete mich, Poseidon entgegen zu kämpfen,
Meines Vaters Bruder, der dich mit Rache verfolgte,
Zürnend, weil du das Auge des lieben Sohnes geblendet.
Aber damit du mir glaubest, so zeig‘ ich dir Ithakas Lage.
345
Phorkys, dem Greise des Meers, ist dieser Hafen geheiligt;
Hier am Gestade grünt der weitumschattende Ölbaum;
Dieses ist die große gewölbete Grotte des Felsens,
Wo du den Nymphen oft vollkommene Opfer gebracht hast;
Jenes hohe Gebirg ist Neritons waldichter Gipfel.
350
Sprach’s, und zerstreute den Nebel; und hell lag vor ihm die Gegend.
Siehe da freuete sich der edle Dulder Odysseus
Herzlich des Vaterlandes, und küßte die fruchtbare Erde.
Und nun fleht‘ er den Nymphen mit aufgehobenen Händen:
Zeus‘ unsterbliche Töchter, ihr hohen Najaden, ich hoffte
355
Nimmer, euch wieder zu sehn; seid nun in frommem Gebete
Mir gegrüßt: bald bringen wir euch Geschenke, wie ehmals,
Wenn mir anders die Gnade von Zeus‘ siegprangender Tochter
Jetzo das Leben erhält, und den lieben Sohn mir gesegnet!
Drauf antwortete Zeus‘ blauäugichte Tochter Athene:
360
Sei getrost, und laß dich diese Gedanken nicht kümmern!
Aber wohlan, wir wollen im Winkel der heiligen Grotte
Gleich verbergen das Gut, damit es in Sicherheit liege,
Und uns dann beraten, was jetzo das Beste zu tun sei.
Also sprach die Göttin, und ging in die dämmernde Grotte,
365
Heimliche Winkel umher ausspähend. Aber Odysseus
Brachte das Gut hinein, die schöngewebeten Kleider,
Gold und daurendes Erz, das ihm die Phäaken geschenket,
Und verbarg es behende; dann setzte Pallas Athene
Einen Stein vor die Türe, des Wetterleuchtenden Tochter.
370
Hierauf setzten sie sich am Stamme des heiligen Ölbaums,
Und beschlossen den Tod der übermütigen Freier.
Also redete Zeus‘ blauäugichte Tochter Athene:
Edler Laertiad‘, erfindungsreicher Odysseus,
Denk itzt nach, wie dein Arm die schamlosen Freier bestrafe,
375
Welche nun schon drei Jahr‘ obwalten in deinem Palaste,
Und dein göttliches Weib mit Brautgeschenken umwerben.
Aber mit herzlichen Tränen erwartet sie deine Zurückkunft.
Allen verheißt sie Gunst, und sendet jedem besonders
Schmeichelnde Botschaft; allein im Herzen denket sie anders.
380
Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Weh mir! ich wäre gewiß, wie Atreus‘ Sohn Agamemnon,
Nun des schmählichsten Todes in meinem Hause gestorben,
Hättest du, Göttin, mir nicht umständlich das alles verkündigt!
Aber nun gib mir Rat, wie ich die Freier bestrafe.
385
Stehe du selber mir bei, und hauche mir Mut und Entschluß ein,
Wie vordem, da wir Troja die prächtiggetürmte zerstörten!
Stündest du nun so eifrig mir bei, blauäugichte Göttin,
Siehe so ging ich getrost dreihundert Feinden entgegen,
Heilige Göttin, mit dir, wenn du mir Hilfe gewährtest!
390
Drauf antwortete Zeus‘ blauäugichte Tochter Athene:
Gerne steh ich dir bei; du sollst mein nimmer entbehren,
Wann wir die Arbeit einst beginnen. Auch hoff‘ ich, es werde
Mancher mit Blut und Gehirn den weiten Boden besudeln,
Von der Rotte der Freier, die deine Habe verzehren.
395
Aber damit dich keiner der sterblichen Menschen erkenne;
Muß einschrumpfen das schöne Fleisch der biegsamen Glieder,
Und das bräunliche Haar vom Haupte verschwinden; ein Kittel
Dich umhüllen, den jeglicher Mensch mit Ekel betrachte;
Triefend und blöde sein die anmutstrahlenden Augen:
400
Daß du so ungestalt vor allen Freiern erscheinest,
Deinem Weib‘, und dem Sohne, den du im Hause verließest.
Hierauf gehe zuerst dorthin, wo der treffliche Sauhirt
Deiner Schweine hütet, der stets mit Eifer dir anhängt,
Und Telemachos liebt und die züchtige Penelopeia.
405
Sitzend findest du ihn bei der Schweine weidender Herde,
Nahe bei Korax‘ Felsen, im arethusischen Borne.
Allda mästen sie sich mit lieblichen Eicheln, und trinken
Schattiges Wasser, wovon das Fett den Schweinen entblühet.
Bleib bei jenem, und setze dich hin, und frage nach allem.
410
Ich will indes gen Sparta, dem Lande rosiger Mädchen,
Gehn, und deinen Sohn Telemachos rufen, Odysseus:
Welcher zu Menelaos in Lakedämons Gefilde
Fuhr, um Kundschaft zu spähn, ob du noch irgendwo lebtest.
Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
415
Warum sagtest du ihm nicht alles, da du es wußtest?
Etwa damit auch er, in des Meeres wüsten Gewässern
Todesgefahren durchirrte, da Fremde sein Eigentum fressen?
Drauf antwortete Zeus‘ blauäugichte Tochter Athene:
Sorge für deinen Sohn nicht allzu ängstlich, Odysseus.
420
Ich geleitet‘ ihn selbst, damit er dort in der Fremde
Ruhm sich erwürb‘; auch sitzt er, ohn allen Kummer, geruhig
In des Atreiden Palast, und hat dort volle Genüge.
Jünglinge lauern zwar auf ihn im schwärzlichen Schiffe,
Daß sie ihn töten, bevor er in seine Heimat zurückkehrt.
425
Aber ich hoffe das nicht; erst deckt die Erde noch manchen
Von der Rotte der Freier, die deine Habe verzehren.
Also sprach die Göttin, und rührt‘ ihn sanft mit der Rute.
Siehe da schrumpfte das schöne Fleisch der biegsamen Glieder,
Und die bräunlichen Haare des Hauptes verschwanden, und ringsum
430
Hing an den schlaffen Gliedern die Haut des alternden Greises;
Triefend und blöde wurden die anmutstrahlenden Augen.
Statt der Gewand‘ umhüllt‘ ihn ein häßlicher Kittel und Leibrock,
Beide zerlumpt und schmutzig, vom häßlichen Rauche besudelt.
Auch bedeckt‘ ihn ein großes Fell des hurtigen Hirsches,
435
Kahl von Haaren. Er trug einen Stab und garstigen Ranzen,
Allenthalben geflickt, mit einem geflochtenen Tragband.
Also besprachen sie sich, und schieden. Pallas Athene
Ging zu Odysseus‘ Sohn in die göttliche Stadt Lakedämon.

Zwölfter Gesang

Zwölfter Gesang

Ankunft in Meer und Tageslicht bei Ääa. Elpenors Bestattung. Kirke meldet die Gefahren des Wegs: erst die Sirenen; dann rechts die malmenden Irrfelsen, links die Enge zwischen Skylla und Charybdis; jenseits diesen die Sonnenherden in Thrinakia. Abfahrt mit Götterwind. Nach Vermeidung der Sirenen, läßt Odysseus die Irrfelsen rechts, und steuert an Skyllas Fels in die Meerenge, indem Charybdis einschlurft; Skylla raubt sechs Männer. Erzwungene Landung an Thrinakia, wo durch Sturm ausgehungert, die Genossen heilige
Rinder schlachten. Schiffbruch; Odysseus auf der Trümmern zur schlurfenden Charybdis zurückgetrieben, dann nach Ogygia zur Kalypso.

Als wir jetzo die Flut des Oceanstromes durchsegelt,
Fuhren wir über die Woge des weithinwogenden Meeres
Zur ääischen Insel, allwo der dämmernden Frühe
Wohnung und Tänze sind, und Helios leuchtender Aufgang.
5
Jetzo landeten wir am sandigen Ufer der Insel,
Stiegen alsdann aus dem Schiff‘ ans krumme Gestade des Meeres,
Schlummerten dort ein wenig, und harrten der heiligen Frühe.
Als die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte,
Sandt‘ ich einige Freunde zur Wohnung der göttlichen Kirke,
10
Unsers toten Gefährten Elpenors Leichnam zu holen.
Eilig fällten wir Holz auf der höchsten Spitze des Landes,
Und bestatteten ihn mit vielen Tränen und Seufzern.
Als der Tote nunmehr und des Toten Rüstung verbrannt war,
Häuften wir ihm ein Grab, und errichteten drüber ein Denkmal,
15
Pflanzten dann hoch auf das Grab sein schöngeglättetes Ruder.
Also bestellten wir dies nach der Ordnung. Doch unsre Zurückkunft
Aus dem Reiche der Nacht blieb Kirke nicht lange verborgen;
Denn bald kam sie geschmückt, und ihre begleitenden Jungfraun
Trugen Gebacknes und Fleisch samt rotem funkelnden Weine.
20
Und sie trat in die Mitte, die hehre Göttin, und sagte:
Arme, die ihr lebendig in Aïdes Wohnung hinabfuhrt!
Zweimal schmeckt ihr den Tod, den andre nur einmal empfinden.
Aber wohlan, erquickt euch mit Speis‘ und funkelndem Weine
Hier, bis die Sonne sinkt; und sobald der Morgen sich rötet,
25
Schifft! Ich will euch den Weg und alle Gefahren des Weges
Selbst verkünden, damit nicht hinfort unselige Torheit,
Weder zu Wasser noch Land‘, euch neuen Jammer bereite.
Also sprach sie, und zwang der Edlen Herz zum Gehorsam.
Also saßen wir dort den Tag, bis die Sonne sich neigte,
30
An der Fülle des Fleisches und süßen Weines uns labend.
Als die Sonne nun sank, und Dunkel die Erde bedeckte,
Legten sich jene zur Ruh am festgebundenen Schiffe.
Aber mich nahm bei der Hand die Göttin, führte mich abwärts,
Legte sich neben mir nieder, und fragete, was mir begegnet!
35
Und ich erzählte darauf umständlich die ganze Geschichte.
Jetzt antwortete mir die hohe Kirke, und sagte:
Dieses hast du denn alles vollbracht; vernimm nun, Odysseus,
Was ich dir sagen will: Des wird auch ein Gott dich erinnern.
Erstlich erreichet dein Schiff die Sirenen; diese bezaubern
40
Alle sterblichen Menschen, wer ihre Wohnung berühret.
Welcher mit törichtem Herzen hinanfährt, und der Sirenen
Stimme lauscht, dem wird zu Hause nimmer die Gattin
Und unmündige Kinder mit freudigem Gruße begegnen;
Denn es bezaubert ihn der helle Gesang der Sirenen,
45
Die auf der Wiese sitzen, von aufgehäuftem Gebeine
Modernder Menschen umringt und ausgetrockneten Häuten.
Aber du steure vorbei, und verkleibe die Ohren der Freunde
Mit dem geschmolzenen Wachse der Honigscheiben, daß niemand
Von den andern sie höre. Doch willst du selber sie hören;
50
Siehe dann binde man dich an Händen und Füßen im Schiffe,
Aufrecht stehend am Maste, mit festumschlungenen Seilen:
Daß du den holden Gesang der zwo Sirenen vernehmest.
Flehst du die Freunde nun an, und befiehlst die Seile zu lösen;
Eilend feßle man dich mit mehreren Banden noch stärker!
55
Sind nun deine Gefährten bei diesen vorüber gerudert,
Dann bestimm‘ ich den Weg nicht weiter, ob du zur Rechten
Oder zur Linken dein Schiff hinsteuren müssest; erwäg‘ es
Selber in deinem Geist. Ich will dir beide bezeichnen.
Hier stürmt gegen den Fuß der überhangenden Klippen
60
Hochaufbrausend die Woge der bläulichen Amphitrite.
Irrende Klippen nennt sie die Sprache der seligen Götter.
Selbst kein fliegender Vogel, noch selbst die schüchternen Tauben
Eilen vorbei, die Zeus dem Vater Ambrosia bringen;
Sondern der glatte Fels raubt eine von ihnen beständig!
65
Aber der Vater erschafft eine andre, die Zahl zu ergänzen.
Und noch nimmer entrann ein Schiff, das ihnen sich nahte;
Sondern zugleich die Trümmer des Schiffs und die Leichen der Männer
Wirbelt die Woge des Meers und verzehrende Feuerorkane.
Eins nur steurte vorbei von den meerdurchwandelnden Schiffen,
70
Argo, die Allbesungne, da sie von Äëtes zurückfuhr;
Und bald hätte die Flut auch sie an die Klippe geschmettert,
Doch sie geleitete Here, die waltende Göttin Jasons.
Dorthin drohn zween Felsen: der eine berühret den Himmel
Mit dem spitzigen Gipfel, vom düsterblauen Gewölke
75
Rings umhüllt, das nimmer zerfließt; und nimmer erhellen
Heitere Tage den Gipfel, im Sommer oder im Herbste.
Keiner vermochte hinauf, und keiner hinunter zu steigen,
Wenn er auch zwanzig Händ‘ und zwanzig Füße bewegte;
Denn der Stein ist so glatt, als wär‘ er ringsum behauen.
80
In der Mitte des Felsen ist eine benachtete Höhle,
Abendwärts, gewandt nach des Erebos‘ Gegend, allwo ihr
Euer gebogenes Schiff vorbeilenkt, edler Odysseus.
Von dem Boden des Schiffes vermöchte der fertigste Schütze
Nicht den gefiederten Pfeil bis an die Höhle zu schnellen.
85
Diese Höhle bewohnt die fürchterlich bellende Skylla,
Deren Stimme hell, wie der jungen saugenden Hunde
Winseln tönt, sie selbst ein greuliches Scheusal, daß niemand
Ihrer Gestalt sich freut, wenn auch ein Gott ihr begegnet.
Siehe das Ungeheuer hat zwölf abscheuliche Klauen,
90
Und sechs Häls‘ unglaublicher Läng‘, auf jeglichem Halse
Einen gräßlichen Kopf, mit dreifachen Reihen gespitzter
Dichtgeschlossener Zähne voll schwarzes Todes bewaffnet.
Bis an die Mitte steckt ihr Leib in der Höhle des Felsens,
Aber die Köpfe bewegt sie hervor aus dem schrecklichen Abgrund,
95
Blickt heißhungrig umher, und fischt sich rings um den Felsen
Meerhund‘ oft und Delphine, und oft noch ein größeres Seewild,
Aus der unzähligen Schar der brausenden Amphitrite.
Noch kein kühner Pilot, der Skyllas Felsen vorbeifuhr,
Rühmt sich verschont zu sein; sie schwingst in jeglichem Rachen
100
Einen geraubeten Mann aus dem blaugeschnäbelten Schiffe.
Doch weit niedriger ist der andere Felsen, Odysseus,
Und dem ersten so nahe, daß ihn dein Bogen erreichte.
Dort ist ein Feigenbaum mit großen laubichten Ästen;
Drunter lauert Charybdis, die wasserstrudelnde Göttin.
105
Dreimal gurgelt sie täglich es aus, und schlurfet es dreimal
Schrecklich hinein. Weh dir, wofern du der Schlurfenden nahest!
Selbst Poseidaon könnte dich nicht dem Verderben entreißen:
Darum steure du dicht an Skyllas Felsen, und rudre
Schnell mit dem Schiffe davon. Es ist doch besser, Odysseus,
110
Sechs Gefährten im Schiff zu vermissen, als alle mit einmal!
Also sprach sie; und ich antwortete wieder, und sagte:
Göttin, ich flehe dich an, verkünde mir lautere Wahrheit:
Kann ich nicht dort dem Strudel der wilden Charybdis entfliehen,
Aber Skylla bestrafen, sobald sie die Meinigen anfällt?
115
Also sprach ich; mir gab die hohe Göttin zur Antwort:
Unglückseliger, denkst du auch hier der kriegrischen Taten
Und der Gewalt, und weichst nicht einmal unsterblichen Göttern?
Denn nicht sterblich ist jene; sie ist ein unsterbliches Scheusal,
Furchtbar und schreckenvoll und grausam und unüberwindlich.
120
Nichts hilft Tapferkeit dort; entfliehn ist die einzige Rettung.
Denn verweilst du am Felsen, zum Kampfe gerüstet; so fürcht‘ ich,
Daß dich das Ungeheuer von oben herunter noch einmal
Mit sechs Rachen ereil‘, und dir sechs Männer entreiße.
Rudre denn hurtig vorüber, und rufe die Göttin Kratäis,
125
Skyllas Mutter an, die die Plage der Menschen geboren:
Diese wird sie bezähmen, daß sie nicht ferner dir schade.
Jetzt erreichst du die Insel Thrinakia. Siehe da weiden
Viele fette Rinder und Schafe des Sonnenbeherrschers:
Sieben Herden der Rinder, und sieben der trefflichen Schafe,
130
Fünfzig in jeglicher Herd‘; und diese vermehren sich niemals,
Noch vermindern sie sich. Zwo Göttinnen pflegen der Weide,
Lieblichgelockte Nymphen, Lampetia und Phaetusa,
Die mit der schönen Neära der Hochhinwandelnde zeugte.
Denn die göttliche Mutter, sobald sie die Töchter erzogen,
135
Sandte sie fern hinweg in Thrinakias Insel, des Vaters
Fette Schafe zu hüten und sein schwerwandelndes Hornvieh.
Wenn du nun, eingedenk der Heimfahrt, diese verschonest;
Siehe dann mögt ihr, obzwar unglücklich, gen Ithaka kehren.
Wenn du sie aber beraubst; alsdann weissag‘ ich Verderben
140
Deinem Schiff‘ und den Freunden; und so du auch selber entrinnest,
Kehrst du doch spät, unglücklich, und ohne Gefährten, zur Heimat.
Also sprach sie; da kam die goldenthronende Eos;
Und die hohe Göttin verließ mich, und ging durch die Insel,
Aber ich eilte zum Schiff‘, und ermahnete meine Gefährten,
145
Einzusteigen, und schnell am Ufer die Seile zu lösen.
Und sie traten ins Schiff, und setzten sich hin auf die Bänke,
Saßen in Reihn, und schlugen die graue Woge mit Rudern.
Jene sandte vom Ufer dem blaugeschnäbelten Schiffe
Günstigen segelschwellenden Wind, zum guten Begleiter,
150
Kirke, die schöngelockte, die hehre melodische Göttin.
Eilig brachten wir jetzt die Geräte des Schiffes in Ordnung,
Saßen dann still, und ließen vom Wind und Steuer uns lenken.
Jetzo begann ich, und sprach zu den Freunden mit inniger Wehmut:
Freunde, nicht einem allein, noch Zweenen, gebührt es zu wissen,
155
Welche Dinge mir Kirke, die hohe Göttin, geweissagt.
Drum verkünd‘ ich sie euch, daß jeder sie wisse; wir mögen
Sterben, oder entfliehn dem schrecklichen Todesverhängnis.
Erst befiehlt uns die Göttin, der zauberischen Sirenen
Süße Stimme zu meiden, und ihre blumige Wiese.
160
Mir erlaubt sie allein, den Gesang zu hören; doch bindet
Ihr mich fest, damit ich kein Glied zu regen vermöge,
Aufrecht stehend am Maste, mit festumschlungenen Seilen.
Fleh‘ ich aber euch an, und befehle die Seile zu lösen;
Eilend fesselt mich dann mit mehreren Banden noch stärker.
165
Also verkündet‘ ich jetzo den Freunden unser Verhängnis.
Und wie geflügelt entschwebte, vom freundlichen Winde getrieben,
Unser gerüstetes Schiff zu der Insel der beiden Sirenen.
Plötzlich ruhte der Wind; von heiterer Bläue des Himmels
Glänzte die stille See; ein Himmlischer senkte die Wasser.
170
Meine Gefährten gingen, und falteten eilig die Segel,
Legten sie nieder im Schiff, und setzten sich hin an die Ruder;
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen.
Aber ich schnitt mit dem Schwert‘ aus der großen Scheibe des Wachses
Kleine Kugeln, knetete sie mit nervichten Händen;
175
Und bald weichte das Wachs, vom starken Drucke bezwungen,
Und dem Strahle des hochhinwandelnden Sonnenbeherrschers.
Hierauf ging ich umher, und verkleibte die Ohren der Freunde.
Jene banden mich jetzo an Händen und Füßen im Schiffe,
Aufrecht stehend am Maste, mit festumschlungenen Seilen;
180
Setzten sich dann, und schlugen die graue Woge mit Rudern.
Als wir jetzo so weit, wie die Stimme des Rufenden schallet,
Kamen im eilenden Lauf, da erblickten jene das nahe
Meerdurchgleitende Schiff, und huben den hellen Gesang an:
Komm, besungner Odysseus, du großer Ruhm der Achaier!
185
Lenke dein Schiff ans Land, und horche unserer Stimme.
Denn hier steurte noch keiner im schwarzen Schiffe vorüber,
Eh‘ er dem süßen Gesang aus unserem Munde gelauschet;
Und dann ging er von hinnen, vergnügt und weiser wie vormals.
Uns ist alles bekannt, was ihr Argeier und Troer
190
Durch der Götter Verhängnis in Trojas Fluren geduldet:
Alles, was irgend geschieht auf der lebenschenkenden Erde!
Also sangen jene voll Anmut. Heißes Verlangen
Fühlt‘ ich weiter zu hören, und winkte den Freunden Befehle,
Meine Bande zu lösen; doch hurtiger ruderten diese.
195
Und es erhuben sich schnell Eurylochos und Perimedes,
Legten noch mehrere Fesseln mir an, und banden mich stärker.
Also steuerten wir den Sirenen vorüber; und leiser,
Immer leiser, verhallte der Singenden Lied und Stimme.
Eilend nahmen sich nun die teuren Genossen des Schiffes
200
Von den Ohren das Wachs, und lösten mich wieder vorn Mastbaum.
Als wir jetzo der Insel entruderten, sah ich von ferne
Dampf und brandende Flut, und hört‘ ein dumpfes Getöse.
Schnell entflogen den Händen der zitternden Freunde die Ruder;
Rauschend schleppten sie alle dem Strome nach, und das Schiff stand
205
Still, weil keiner mehr das lange Ruder bewegte.
Aber ich eilte durchs Schiff, und ermahnete meine Gefährten,
Trat zu jeglichem Mann, und sprach mit freundlicher Stimme:
Freunde, wir sind ja bisher nicht ungeübt in Gefahren;
Und nicht größere drohet uns jetzt, als da der Kyklope
210
Mit unmenschlicher Kraft im dunkeln Felsen uns einschloß;
Dennoch entflohn wir auch jener durch meine Tugend und Weisheit;
Und ich hoffe, wir werden uns einst auch dieser erinnern.
Auf denn, Geliebteste, tut, was ich euch jetzo befehle!
Ihr, schlagt alle des Meers hochstürmende Woge mit Rudern,
215
Sitzend auf euren Bänken! Vielleicht verstattet Kronion
Zeus, daß wir, durch die Flucht, doch diesem Verderben entrinnen.
Aber dir, o Pilot, befehl‘ ich dieses; verschleuß es
Tief im Herzen, denn du besorgst das Steuer des Schiffes!
Lenke das Schiff mit aller Gewalt aus dem Dampf und der Brandung,
220
Und arbeite gerad‘ auf den Fels zu; daß es nicht dorthin
Unversehens sich wend‘, und du ins Verderben uns stürzest!
Also sprach ich, und schnell gehorchten sie meinem Befehle.
Aber von Skylla schwieg ich, dem unvermeidlichen Unglück!
Daß nicht meine Gefährten, aus Furcht des Todes, die Ruder
225
Sinken ließen, und all‘ im Schiffe zusammen sich drängten.
Jetzo dacht‘ ich nicht mehr des schreckenvollen Gebotes,
Welches mir Kirke geboten, mich nicht zum Kampfe zu rüsten;
Sondern ich gürtete mich mit stattlichen Waffen, und faßte
Zween weitschattende Speer‘ in der Hand, und stieg auf des Schiffes
230
Vorderverdeck; denn ich hoffte, die Felsenbewohnerin Skylla
Dorther kommen zu sehn, um mir die Freunde zu rauben.
Aber ich schaute sie nirgends, obgleich die Augen mir schmerzten,
Da ich nach jeder Kluft des braunen Felsen emporsah.
Seufzend ruderten wir hinein in die schreckliche Enge:
235
Denn hier drohete Skylla, und dort die wilde Charybdis,
Welche die salzige Flut des Meeres fürchterlich einschlang;
Wenn sie die Flut ausbrach; wie ein Kessel auf flammendem Feuer,
Brauste mit Ungestüm ihr siedender Strudel, und hochauf
Spritzte der Schaum, und bedeckte die beiden Gipfel der Felsen.
240
Wenn sie die salzige Flut des Meeres wieder hineinschlang,
Senkte sich mitten der Schlund des reißenden Strudels, und ringsum
Donnerte furchtbar der Fels, und unten blickten des Grundes
Schwarze Kiesel hervor. Und bleiches Entsetzen ergriff uns.
Während wir nun, in der Angst des Todes, alle dahinsahn,
245
Neigte sich Skylla herab, und nahm aus dem Raume des Schiffes
Mir sechs Männer, die stärksten an Mut und nervichten Armen.
Als ich jetzt auf das eilende Schiff und die Freunde zurücksah;
Da erblickt‘ ich schon oben die Händ‘ und Füße der Lieben,
Die hoch über mir schwebten; sie schrien und jammerten alle
250
Laut, und riefen mir, ach! zum letztenmale! beim Namen.
Wie am Vorgebirge mit langer Rute der Fischer
Laurend den kleinen Fischen die ködertragende Angel,
An dem Horne des Stiers, hinab in die Fluten des Meeres
Wirft, und die zappelnde Beute geschwind‘ ans Ufer hinaufschwenkt:
255
Also wurden sie zappelnd empor an dem Felsen gehoben.
Dort an der Höhle fraß sie das Ungeheuer, und schreiend
Streckten jene nach mir, in der grausamsten Marter, die Händ‘ aus.
Nichts Erbärmlichers hab‘ ich mit meinen Augen gesehen,
So viel Jammer mich auch im stürmenden Meere verfolgte!
260
Als wir jetzo die Felsen der Skylla und wilden Charybdis
Flohn, da erreichten wir bald des Gottes herrliche Insel,
Wo die Herden des hochhinwandelnden Helios weiden,
Viele treffliche Schaf‘ und viel breitstirniges Hornvieh.
Als ich noch auf dem Meer‘ im schwarzen Schiffe heranfuhr:
265
Hört‘ ich schon das Gebrüll der eingeschlossenen Rinder,
Und der Schafe Geblök. Da erwacht‘ in meinen Gedanken
Jenes thebäischen Sehers, des blinden Teiresias‘ Warnung,
Und der ääischen Kirke, die mir aufs Strengste befohlen,
Ja die Insel zu meiden der menschenerfreuenden Sonne.
270
Und mit trauriger Seele begann ich zu meinen Gefährten:
Höret meine Worte, ihr teuren Genossen im Unglück,
Daß ich euch sage, was mir Teiresias‘ Seele geweissagt,
Und die ääische Kirke, die mir aufs Strengste befohlen,
Ja die Insel zu meiden der menschenerfreuenden Sonne;
275
Denn dort würden wir uns den schrecklichsten Jammer bereiten.
Auf denn, Geliebteste, lenkt das Schiff bei der Insel vorüber!
Also sprach ich; und jenen brach das Herz vor Betrübnis.
Aber Eurylochos gab mir diese zürnende Antwort:
Grausamer Mann, du strotzest von Kraft, und nimmer ermüden
280
Deine Glieder, sie sind aus hartem Stahle gebildet!
Daß du den müden Freunden, von Arbeit und Schlummer entkräftet,
Nicht ans Land zu steigen erlaubst, damit wir uns wieder
Auf der umflossenen Insel mit lieblichen Speisen erquicken;
Sondern befiehlst, daß wir die Insel meiden, und blindlings
285
Durch die dickeste Nacht im düstern Meere verirren!
Und die Stürme der Nacht sind fürchterlich; Schiffe zertrümmert
Ihre Gewalt! Wo entflöhn wir dem schrecklichen Todesverhängnis,
Wenn nun mit einmal im wilden Orkan der gewaltige Südwind
Oder der sausende West herwirbelte, welche die Schiffe
290
Oft auch gegen den Willen der herrschenden Götter zerschmettern?
Laßt uns denn jetzo der Nacht aufsteigenden Schatten gehorchen,
Und am Ufer ein Mahl bei dem schnellen Schiffe bereiten.
Morgen steigen wir ein, und steuren ins offene Weltmeer.
Also sprach er; und laut rief jeder Eurylochos Beifall,
295
Und ich erkannte jetzt, daß ein Himmlischer Böses verhängte;
Drauf antwortet‘ ich ihm, und sprach die geflügelten Worte:
Freilich, Eurylochos, zwingt ihr mich einzelnen leicht zum Gehorsam.
Aber wohlan! jetzt schwöret mir alle den heiligen Eidschwur:
Wenn wir irgendwo Herden von Rindern oder von Schafen
300
Finden, daß keiner mir dann, durch schreckliche Bosheit verblendet,
Weder ein Rind noch ein Schaf abschlachte, sondern geruhig
Esse der Speise, die uns die unsterbliche Kirke gereicht hat!
Also sprach ich; und schnell beschwuren sie, was ich verlangte.
Als sie es jetzo gelobt, und vollendet den heiligen Eidschwur;
305
Landeten wir in der Bucht mit dem starkgezimmerten Schiffe,
Nahe bei süßem Wasser; und meine Gefährten entstiegen
Alle dem Schiff‘, und bereiteten schnell am Ufer die Mahlzeit.
Und nachdem die Begierde des Tranks und der Speise gestillt war,
Da beweineten sie der lieben Freunde Gedächtnis,
310
Welche Skylla geraubt, und vor der Höhle verschlungen;
Auf die Weinenden sank allmählich der süße Schlummer.
Schon war die dritte Wache der Nacht, und es sanken die Sterne;
Siehe da sendete Zeus, der Wolkenversammler, der Windsbraut
Fürchterlich zuckenden Sturm, verhüllt‘ in dicke Gewölke
315
Meer und Erde zugleich; und dem düstern Himmel entsank Nacht.
Als nun die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte,
Zogen wir unser Schiff in die felsenbeschattete Grotte,
Welche die schönen Reigen und Sitze der Nymphen verbirget.
Jetzo rief ich die Freunde zur Ratsversammlung, und sagte:
320
Freunde, wir haben ja noch im Schiffe zu essen und trinken;
Darum schonet der Rinder, daß uns kein Böses begegne!
Diese Rinder und Schafe sind jenes furchtbaren Gottes
Helios‘ Eigentum, der alles sicher und höret.
Also sprach ich, und zwang ihr edles Herz zum Gehorsam.
325
Aber der Süd durchstürmte den ganzen Monat, und niemals
Hub sich ein anderer Wind, als der Ost und der herrschende Südwind.
Doch so lang‘ es an Speis‘ und rotem Weine nicht fehlte,
Schoneten jene der Rinder, ihr süßes Leben zu retten.
Und da endlich im Schiffe der ganze Vorrat verzehrt war,
330
Streiften sie alle aus Not, vom nagenden Hunger gefoltert,
Durch die Insel umher, mit krummer Angel sich Fische
Oder Vögel zu fangen, was ihren Händen nur vorkam.
Jetzo ging ich allein durch die Insel, um einsam die Götter
Anzuflehn, ob einer den Weg mir zeigte zur Heimkehr.
335
Als ich, die Insel durchgehend, mich weit von den Freunden entfernet,
Am windfreien Gestade; da wusch ich die Händ‘, und flehte
Alle Götter an, die Bewohner des hohen Olympos,
Und sie deckten mir sanft die Augen mit süßem Schlummer.
Aber Eurylochos reizte die andern Freunde zum Bösen:
340
Höret meine Worte, ihr teuren Genossen im Unglück.
Zwar ist jeglicher Tod den armen Sterblichen furchtbar;
Aber so jammervoll ist keiner, als Hungers sterben.
Auf denn, und treibt die besten der Sonnenrinder zum Opfer
Für die Unsterblichen her, die den weiten Himmel bewohnen.
345
Kommen wir einst zurück in Ithakas heimische Fluren,
Seht dann weihen wir schnell dem hohen Sonnenbeherrscher
Einen prächtigen Tempel, mit köstlichem Schmucke gezieret.
Aber beschließt der Gott, um gehörnete Rinder entrüstet,
Unser Schiff zu verderben, und ihm willfahren die Götter;
350
Lieber will ich mit einmal den Geist in den Fluten verhauchen,
Als noch lang‘ hinschmachten auf dieser einsamen Insel!
Also sprach er, und laut rief jeder Eurylochos Beifall.
Und sie trieben die besten der Sonnenrinder zum Opfer
Eilend daher; denn nahe dem blaugeschnäbelten Schiffe
355
Weideten jetzt, breitstirnig und schön, die heiligen Rinder.
Diese umstanden die Freunde, den Göttern flehend, und streuten
Zarte Blätter, gepflückt von der hochgewipfelten Eiche;
Denn an Gerste gebrach es im schöngebordeten Schiffe.
Also fleheten sie, und schlachteten, zogen die Haut ab,
360
Schnitten die Lenden aus, umwickelten diese mit Fette,
Und bedeckten sie drauf mit blutigen Stücken der Glieder.
Auch an Weine gebrach es, das brennende Opfer zu sprengen;
Aber sie weihten mit Wasser die röstenden Eingeweide.
Als sie die Lenden verbrannt, und die Eingeweide gekostet,
365
Schnitten sie auch das übrige klein, und steckten’s an Spieße.
Meinen Augen entfloh nunmehr der liebliche Schlummer,
Und ich ging zu dem rüstigen Schiff am Ufer des Meeres.
Aber sobald ich mich nahte dem gleichgeruderten Schiffe,
Kam mir der süße Duft des Opferrauches entgegen.
370
Da erschrak ich, und rief wehklagend den ewigen Göttern:
Vater Zeus, und ihr andern, unsterbliche selige Götter!
Ach! ihr habt mir zum Fluche den grausamen Schlummer gesendet,
Daß die Gefährten indes den entsetzlichen Frevel verübten!
Und Lampetia stieg zu Helios‘ leuchtendem Sitze
375
Schnell mit der Botschaft empor, daß jene die Rinder getötet;
Dieser entbrannte vor Zorn, und sprach zu den ewigen Göttern:
Vater Zeus, und ihr andern, unsterbliche selige Götter,
Rächt mich an den Gefährten Odysseus‘, des Sohnes Laertes,
Welche mir übermütig die Rinder getötet, die Freude
380
Meiner Tage, so oft ich den sternichten Himmel hinanstieg,
Oder wieder hinab vom Himmel zur Erde mich wandte!
Büßen die Frevler mir nicht vollgültige Buße des Raubes;
Steig‘ ich hinab in Aïdes Reich, und leuchte den Toten!
Ihm antwortete drauf der Wolkenversammler Kronion:
385
Helios, leuchte forthin den unsterblichen Göttern des Himmels,
Und den sterblichen Menschen auf lebenschenkender Erde.
Bald will ich jenen das rüstige Schiff mit dem flammenden Donner
Mitten im dunkeln Meer, in kleine Trümmer zerschmettern!
Dieses erfuhr ich hernach von der schöngelockten Kalypso,
390
Die es selbst von Hermeias, dem Göttergesandten, erfahren.
Als ich jetzo das Schiff und des Meeres Ufer erreichte,
Schalt ich die Missetäter vom ersten zum letzten; doch nirgends
Fand ich Rettung für uns, die Rinder lagen schon tot da.
Bald erschienen darauf die schrecklichen Zeichen der Götter;
395
Ringsum krochen die Häute, es brüllte das Fleisch an den Spießen,
Rohes zugleich und gebratnes, und laut wie Rindergebrüll scholl’s.
Und sechs Tage schwelgten die unglückseligen Freunde
Von den besten Rindern des hohen Sonnenbeherrschers.
Als nun der siebente Tag von Zeus Kronion gesandt ward,
400
Siehe da legten sich schnell die reißenden Wirbel der Windsbraut;
Und wir stiegen ins Schiff, und steurten ins offene Weltmeer,
Aufgerichtet den Mast, und gespannt die schimmernden Segel.
Als wir das grüne Gestade Thrinakias jetzo verlassen,
Und ringsum kein Land, nur Meer und Himmel zu sehn war;
405
Breitete Zeus Kronion ein dunkelblaues Gewölk aus
Über das laufende Schiff, und Nacht lag über der Tiefe.
Und nicht lange mehr eilte das laufende Schiff; denn mit einmal
Kam lautbrausend der West mit fürchterlich zuckenden Wirbeln.
Plötzlich zerbrach der Orkan die beiden Taue des Mastbaums;
410
Aber der Mast fiel krachend zurück, und Segel und Stange
Sanken hinab in den Raum; die Last des Fallenden stürzte
Hinten im Schiff dem Piloten aufs Haupt, und zerknirschte mit einmal
Alle Gebeine des Haupts; da schoß er, ähnlich dem Taucher,
Köpflings herab vom Verdeck, und der Geist entwich den Gebeinen.
415
Und nun donnerte Zeus; der hochgeschleuderte Strahl schlug
Schmetternd ins Schiff: und es schwankte, vom Donner des Gottes erschüttert;
Alles war Schwefeldampf, und die Freund‘ entstürzten dem Boden.
Ähnlich den Wasserkrähn, bekämpften sie, rings um das Schiff her,
Steigend und sinkend die Flut; doch Gott nahm ihnen die Heimkehr.
420
Einsam durchwandelt‘ ich jetzo das Schiff; da trennte der Wogen
Sturz von den Seiten den Kiel, und trug die eroberten Trümmer;
Schmetterte dann auf den Kiel den Mastbaum nieder; an diesem
Hing noch das Segeltau, von Ochsenleder geflochten.
Eilend ergriff ich das Tau, und verband den Kiel und den Mastbaum;
425
Setzte mich drauf, und trieb durch den Sturm und die tobenden Fluten.
Jetzo legten sich schnell die reißenden Wirbel des Westes;
Doch es erhub sich der Süd, der, mit neuen Schrecken gerüstet,
Wieder zurück mich stürmte zum Schlunde der wilden Charybdis.
Und ich trieb durch die ganze Nacht; da die Sonne nun aufging,
430
Kam ich an Skyllas Fels und die schreckenvolle Charybdis.
Diese verschlang an jetzo des Meeres salzige Fluten;
Aber ich hob mich empor, an des Feigenbaumes Gezweige
Angeklammert, und hing, wie die Fledermaus, und vermochte
Nirgendwo mit den Füßen zu ruhn, noch höher zu klimmen.
435
Denn fern waren die Wurzeln, und nieder schwankten die Äste,
Welche, lang und groß, Charybdis mit Schatten bedeckten.
Also hielt ich mich fest an den Zweig, bis der Kiel und der Mastbaum
Wieder dem Strudel entflögen; und endlich nach langem Harren
Kamen sie. Wann zum Mahle der Richter aus der Versammlung
440
Kehrt, der viele Zwiste der hadernden Jüngling‘ entschieden;
Zu der Stund‘ entstürzten Charybdis‘ Schlunde die Balken.
Aber ich schwung mich von oben mit Händen und Füßen hinunter,
Und sprang rauschend hinab in den Strudel neben die Balken,
Setzte mich eilend darauf, und ruderte fort mit den Händen.
445
Aber Skylla ließ mich der Vater der Menschen und Götter
Nicht mehr schaun; ich wäre sonst nie dem Verderben entronnen!
Und neun Tage trieb ich umher; in der zehnten der Nächte
Führten die Himmlischen mich gen Ogygia, wo Kalypso
Wohnet, die schöngelockte, die hehre melodische Göttin;
450
Huldreich nahm sie mich auf… Doch warum erzähl‘ ich dir dieses?
Hab‘ ich es doch schon dir und deiner edlen Gemahlin
Gestern in diesem Gemach erzählt; und es ist mir zuwider
Einmal erzählete Dinge von neuem zu wiederholen.

Elfter Gesang

Elfter Gesang

Ein nördlichen Götterwind führt den Odysseus zum Gestade der nächtlichen Kimmerier, wo der Weltstrom Okeanos ins Meer einströmt. An der Kluft, die in Aïdes unterirdisches Reich hinabgeht, opfert er Totenopfer; worauf die Geister aus der Tiefe dein Blute nahn. Elpenor fleht um Bestattung. Die Mutter wird vom Blute gehemmt, bis Teiresias getrunken und geweissagt. Dann trinkt die Mutter, und erkennt ihn. Dann Seelen uralter Heldinnen. Dann Agamemnon mit den Seinigen. Achilleus mit Patroklos und Antilochos; auch Ajas, Telamons Sohn. In der Ferne der richtende Minos; Orion jagend; Tityos, Tantalos und Sisyphos gequält. Des
Herakles‘ Bild annahend. Rückfahrt aus dem Okeanos.

Als wir jetzo das Schiff und des Meeres Ufer erreichten,
Zogen wir erstlich das Schiff hinab in die heilige Meersflut,
Stellten die Masten empor und die Segel im schwärzlichen Schiffe,
Brachten darauf die Schafe hinein, und traten dann selber
5
Herzlich bekümmert ins Schiff, und viele Tränen vergießend.
Jene sandte vom Ufer dem blaugeschnäbelten Schiffe,
Günstigen segelschwellenden Wind, zum guten Begleiter,
Kirke die Schöngelockte, die hehre melodische Göttin.
Eilig brachten wir jetzt die Geräte des Schiffes in Ordnung,
10
Saßen dann still, und ließen vom Wind und Steuer uns lenken.
Und wir durchschifften den Tag mit vollem Segel die Wasser.
Und die Sonne sank, und Dunkel umhüllte die Pfade.
Jetzo erreichten wir des tiefen Oceans Ende.
Allda liegt das Land und die Stadt der kimmerischen Männer.
15
Diese tappen beständig in Nacht und Nebel; und niemals
Schauet strahlend auf sie der Gott der leuchtenden Sonne;
Weder wenn er die Bahn des sternichten Himmels hinansteigt,
Noch wenn er wieder hinab vom Himmel zur Erde sich wendet:
Sondern schreckliche Nacht umhüllt die elenden Menschen.
20
Und wir zogen das Schiff an den Strand, und nahmen die Schafe
Schnell aus dem Raum; dann gingen wir längs des Oceans Ufer,
Bis wir den Ort erreichten, wovon uns Kirke gesaget.
Allda hielten die Opfer Eurylochos und Perimedes.
Aber nun eilt‘ ich, und zog das geschliffene Schwert von der Hüfte,
25
Eine Grube zu graben, von einer Ell‘ ins Gevierte.
Hierum gossen wir rings Sühnopfer für alle Toten:
Erst von Honig und Milch, von süßem Weine das zweite,
Und das dritte von Wasser, mit weißem Mehle bestreuet.

Dann gelobt‘ ich flehend den Luftgebilden der Toten,
30
Wann ich gen Ithaka käm, eine Kuh, unfruchtbar und fehllos,
In dem Palaste zu opfern, und köstliches Gut zu verbrennen,
Und für Teiresias noch besonders den stattlichsten Widder
Unserer ganzen Herde, von schwarzer Farbe, zu schlachten.
Und nachdem ich flehend die Schar der Toten gesühnet,
35
Nahm ich die Schaf‘, und zerschnitt die Gurgeln über der Grube;
Schwarz entströmte das Blut: und aus dem Erebos kamen
Viele Seelen herauf der abgeschiedenen Toten.
Jüngling‘ und Bräute kamen, und kummerbeladene Greise,
Und aufblühende Mädchen, im jungen Grame verloren.
40
Viele kamen auch, von ehernen Lanzen verwundet,
Kriegerschlagene Männer, mit blutbesudelter Rüstung.
Dicht umdrängten sie alle von allen Seiten die Grube
Mit graunvollem Geschrei; und bleiches Entsetzen ergriff mich.
Nun befahl ich, und trieb aufs äußerste meine Gefährten,
45
Beide liegenden Schafe, vom grausamen Erze getötet,
Abzuziehn und ins Feuer zu werfen, und anzubeten
Aïdes‘ schreckliche Macht und die strenge Persephoneia.
Aber ich eilt‘, und zog das geschliffene Schwert von der Hüfte,
Setzte mich hin, und ließ die Luftgebilde der Toten
50
Sich dem Blute nicht nahn, bevor ich Teiresias fragte.
Erstlich kam die Seele von unserm Gefährten Elpenor.
Denn er ruhte noch nicht in der weitumwanderten Erde;
Sondern wir hatten den Leichnam in Kirkes Wohnung verlassen,
Weder beweint noch begraben; uns drängten andere Sorgen.
55
Weinend erblickt‘ ich ihn, und fühlete herzliches Mitleid,
Und ich redet‘ ihn an, und sprach die geflügelten Worte:
Sag‘, Elpenor, wie kamst du hinab ins nächtliche Dunkel?
Gingst du schneller zu Fuß, als ich im schwärzlichen Schiffe?
Also sprach ich; und drauf begann er mit schluchzender Stimme:
60
Edler Laertiad‘, erfindungsreicher Odysseus,
Ach ein feindlicher Geist und der Weinrausch war mein Verderben!
Schlummernd auf Kirkes Palast, vergaß ich in meiner Betäubung,
Wieder hinab die Stufen der langen Treppe zu steigen;
Sondern ich stürzte mich grade vom Dache hinunter; der Nacken
65
Brach aus seinem Gelenk, und die Seele fuhr in die Tiefe.
Doch nun fleh‘ ich dich an bei deinen verlassenen Lieben,
Deiner Gemahlin, dem Vater, der dich als Knaben gepfleget,
Und bei dem einzigen Sohne Telemachos, welcher daheim blieb;
Denn ich weiß es, du kehrst zurück aus Aïdes Herrschaft,
70
Und dein rüstiges Schiff erreicht die Insel Ääa!
Dort, begehr‘ ich von dir, gedenke meiner, o König:
Laß nicht unbeweinet und unbegraben mich liegen,
Wann du scheidest, damit dich der Götter Rache nicht treffe!
Sondern verbrenne mich, samt meiner gewöhnlichen Rüstung,
75
Häufe mir dann am Gestade des grauen Meeres ein Grabmal,
Daß die Enkel noch hören von mir unglücklichem Manne!
Dieses richte mir aus, und pflanz‘ auf den Hügel das Ruder.
Welches ich lebend geführt, in meiner Freunde Gesellschaft.
Also sprach er; und ich antwortete wieder, und sagte:
80
Dies, unglücklicher Freund, will ich dir alles vollenden.
Also saßen wir dort, und redeten traurige Worte;
Ich an der einen Seite, der über dem Blute das Schwert hielt,
Und an der andern der Geist des kummervollen Gefährten.
Jetzo kam die Seele von meiner gestorbenen Mutter,
85
Antikleia, des großgesinnten Autolykos‘ Tochter,
Welche noch lebte, da ich zur heiligen Ilios schiffte.
Weinend erblickt‘ ich sie, und fühlete herzliches Mitleid;
Dennoch verbot ich ihr, obgleich mit inniger Wehmut,
Sich dem Blute zu nahn, bevor ich Teiresias fragte.
90
Jetzo kam des alten Thebäers Teiresias‘ Seele.
Haltend den goldenen Stab; er kannte mich gleich, und begann so:
Edler Laertiad‘, erfindungsreicher Odysseus,
Warum verließest du doch das Licht der Sonne, du Armer,
Und kamst hier, die Toten zu schaun und den Ort des Entsetzens?
95
Aber weiche zurück, und wende das Schwert von der Grube,
Daß ich trinke des Blutes, und dir dein Schicksal verkünde.
Also sprach er; ich wich, und steckte das silberbeschlagene
Schwert in die Scheid‘. Und sobald er des schwarzen Blutes getrunken,
Da begann er und sprach, der hocherleuchtete Seher:
100
Glückliche Heimfahrt suchst du, o weitberühmter Odysseus:
Aber sie wird dir ein Gott schwer machen; denn nimmer entrinnen
Wirst du dem Erderschüttrer! Er trägt dir heimlichen Groll nach,
Zürnend, weil du den Sohn des Augenlichtes beraubt hast.
Dennoch kämet ihr einst, obzwar unglücklich, zur Heimat,
105
Möchtest du nur dein Herz und deiner Freunde bezähmen,
Wann du jetzo, den Schrecken des dunkeln Meeres entfliehend,
Mit dem rüstigen Schiff‘ an der Insel Thrinakia landest,
Und die weidenden Rinder und feisten Schafe da findest,
Heilig dem Sonnengotte, der alles siehet und höret.
110
Denn so du, eingedenk der Heimkunft, diese verschonest,
Könner ihr einst, obzwar unglücklich, gen Ithaka kommen.
Aber verletzest du sie; alsdann weissag‘ ich Verderben
Deinem Schiff‘ und den Freunden. Und wenn du selber entrinnest,
Wirst du doch spät, unglücklich, und ohne Gefährten zur Heimat
115
Kommen, auf fremdem Schiff‘, und Elend finden im Hause,
Übermütige Männer, die deine Habe verschlingen,
Und dein göttliches Weib mit Brautgeschenken umwerben:
Aber kommen wirst du, und strafen den Trotz der Verräter.
Hast du jetzo die Freier, mit Klugheit, oder gewaltsam
120
Mit der Schärfe des Schwerts, in deinem Palaste getötet;
Siehe dann nimm in die Hand ein geglättetes Ruder, und gehe
Fort in die Welt, bis du kommst zu Menschen, welche das Meer nicht
Kennen, und keine Speise gewürzt mit Salze genießen,
Welchen auch Kenntnis fehlt von rotgeschnäbelten Schiffen,
125
Und von geglätteten Rudern, den Fittichen eilender Schiffe.
Deutlich will ich sie dir bezeichnen, daß du nicht irrest.
Wenn ein Wanderer einst, der dir in der Fremde begegnet,
Sagt, du tragst eine Schaufel auf deiner rüstigen Schulter;
Siehe dann steck‘ in die Erde das schöngeglättete Ruder,
130
Bringe stattliche Opfer dem Meerbeherrscher Poseidon,
Einen Widder und Stier und einen mutigen Eber.
Und nun kehre zurück, und opfere heilige Gaben
Allen unsterblichen Göttern, des weiten Himmels Bewohnern,
Nach der Reihe herum. Zuletzt wird außer dem Meere
135
Kommen der Tod, und dich, vom hohen behaglichen Alter
Aufgelöseten, sanft hinnehmen, wann ringsum die Völker
Froh und glücklich sind. Nun hab‘ ich dein Schicksal verkündet.
Also sprach er; und ich antwortete wieder, und sagte:
Ja, Teiresias, selbst die Götter beschieden mir solches!
140
Aber verkündige mir, und sage die lautere Wahrheit.
Dort erblick‘ ich die Seele von meiner gestorbenen Mutter:
Diese sitzet still bei dem Blut, und würdigt dem Sohne
Weder ein Wort zu sagen, noch grad‘ ins Antlitz zu schauen.
Wie beginn‘ ich es, Herrscher, daß sie als Sohn mich erkenne?
145
Also sprach ich; und schnell antwortete jener, und sagte:
Leicht ist, was du mich fragst; ich will dir’s gerne verkünden.
Wem du jetzo erlaubst der abgeschiedenen Toten,
Sich dem Blute zu nahn, der wird dir Wahres erzählen;
Aber wem du es wehrst, der wird stillschweigend zurückgehn.
150
Also sprach des hohen Teiresias‘ Seele, und eilte
Wieder in Aïdes‘ Wohnung, nachdem sie mein Schicksal geweissagt,
Aber ich blieb dort sitzen am Rande der Grube, bis endlich
Meine Mutter kam, des schwarzen Blutes zu trinken.
Und sie erkannte mich gleich, und sprach mit trauriger Stimme:
155
Lieber Sohn, wie kannst du hinab ins nächtliche Dunkel,
Da du noch lebst? Denn schwer wird Lebenden dieses zu schauen.
Große Ströme fließen und furchtbare Fluten dazwischen;
Und vor allen der Strom des Oceans, welchen zu Fuße
Niemand, sondern allein im rüstigen Schiffe durchwandert.
160
Schweifst du jetzo hieher, nachdem du vom troischen Ufer
Mit dem Schiff‘ und den Freunden so lange geirret? Und kamst du
Noch gen Ithaka nicht, und sahst zu Hause die Gattin?
Also sprach sie; und ich antwortete wieder, und sagte:
Meine Mutter, mich trieb die Not in Aïdes‘ Wohnung,
165
Um des thebäischen Greises Teiresias‘ Seele zu fragen.
Denn noch hab‘ ich Achaia, noch hab‘ ich unsere Heimat
Nicht berührt; ich irre noch stets von Leiden zu Leiden,
Seit ich zuerst in dem Heere des göttlichen Agamemnons
Hin gen Ilion zog, zum Kampf mit den Reisigen Trojas.
170
Aber verkündige mir, und sage die lautere Wahrheit:
Welches Schicksal bezwang dich des schlummergebenden Todes?
Zehrte dich Krankheit aus? Oder traf dich die Freundin der Pfeile
Artemis unversehns mit ihrem sanften Geschosse?
Sage mir auch von dem Vater und Sohne, den ich daheim ließ.
175
Ruht noch meine Würde auf ihnen, oder empfing sie
Schon ein anderer Mann; und glaubt man, ich kehre nicht wieder?
Melde mir auch die Gesinnung von meiner Ehegenossin:
Bleibt sie noch bei dem Sohn, und hält die Güter in Ordnung;
Oder ward sie bereits die Gattin des besten Achaiers?
180
Also sprach ich; mir gab die teure Mutter zur Antwort:
Allerdings weilt jene mit treuer duldender Seele
Noch in deinem Palast; und immer schwinden in Jammer
Ihre Tage dahin, und unter Tränen die Nächte.
Deine Würde empfing kein anderer; sondern in Frieden
185
Baut Telemachos noch des Königes Erbe, und speiset
Mit am Mahle des Volks, wie des Landes Richter gebühret;
Denn sie laden ihn alle. Dein Vater lebt auf dem Lande,
Wandelt nie in die Stadt, und wählet nimmer zum Lager
Bettgestelle, bedeckt mit Mänteln und prächtigen Polstern;
190
Sondern den Winter schläft er, bei seinen Knechten im Hause,
Neben dem Feuer im Staube, mit schlechten Gewanden umhüllet.
Und in den milderen Tagen des Sommers und reifenden Herbstes,
Bettet er überall im fruchtbaren Rebengefilde
Auf der Erde sein Lager von abgefallenen Blättern.
195
Seufzend liegt er darauf, bejammert dein Schicksal, und häufet
Größeren Schmerz auf die Seele; und schwerer drückt ihn das Alter.
Denn so starb auch ich, und fand mein Todesverhängnis.
Sohn, mich tötete nicht die Freundin der treffenden Pfeile
Artemis unversehns mit ihrem sanften Geschosse.
200
Auch besiegten mich nicht Krankheiten, welche gewöhnlich
Mit verzehrendem Schmerze den Geist den Gliedern entreißen.
Bloß das Verlangen nach dir, und die Angst, mein edler Odysseus,
Dein holdseliges Bild nahm deiner Mutter das Leben!
Also sprach sie; da schwoll mein Herz vor inniger Sehnsucht,
205
Sie zu umarmen, die Seele von meiner gestorbenen Mutter.
Dreimal sprang ich hinzu, an mein Herz die Geliebte zu drücken;
Dreimal entschwebte sie leicht, wie ein Schatten oder ein Traumbild,
Meinen umschlingenden Armen; und stärker ergriff mich die Wehmut.
Und ich redte sie an, und sprach die geflügelten Worte:
210
Meine Mutter, warum entfliehst du meiner Umarmung?
Wollen wir nicht in der Tiefe, mit liebenden Händen umschlungen,
Unser trauriges Herz durch Tränen einander erleichtern?
Oder welches Gebild‘ hat die furchtbare Persephoneia
Mir gesandt, damit ich noch mehr mein Elend beseufze?
215
Also sprach ich; mir gab die treffliche Mutter zur Antwort:
Mein geliebtester Sohn, Unglücklichster aller, die leben!
Ach! sie täuschet dich nicht, Zeus‘ Tochter Persephoneia!
Sondern dies ist das Los der Menschen, wann sie gestorben.
Denn nicht Fleisch und Gebein wird mehr durch Nerven verbunden;
220
Sondern die große Gewalt der brennenden Flamme verzehret
Alles, sobald der Geist die weißen Gebeine verlassen.
Und die Seele entfliegt, wie ein Traum, zu den Schatten der Tiefe.
Aber nun eile geschwinde zum Lichte zurück, und behalte
Alles, damit du es einst der lieben Gattin erzählest.
225
Also besprachen wir uns miteinander. Siehe da kamen
Viele Seelen, gesandt von der furchtbaren Persephoneia,
Alle Gemahlinnen einst und Töchter der edelsten Helden.
Diese versammelten sich um das schwarze Blut in der Grube.
Jetzo sann ich umher, wie ich jedwede befragte.
230
Aber von allen Entwürfen gefiel mir dieser am besten:
Eilend zog ich das lange Schwert von der nervichten Hüfte,
Und verwehrte den Seelen, zugleich des Blutes zu trinken.
Also nahten sie sich nacheinander; jede besonders
Meldete mir ihr Geschlecht; und so befragt‘ ich sie alle.
235
Jetzo erblickt‘ ich zuerst die edelentsprossene Tyro,
Welche sich Tochter nannte des tadellosen Salmoneus,
Und die Ehegenossin von Kretheus, Äolos‘ Sohne.
Diese liebte vordem den göttlichen Strom Enipeus,
Der durch seine Gefilde, der Ströme schönster, einherwallt.
240
Einst lustwandelte sie an Enipeus‘ schönen Gewässern;
Siehe da nahm der Erderschüttrer seine Gestalt an,
Und beschlief sie im Sand‘, an der Mündung des wirbelnden Stromes.
Rings um die Liebenden stand, wie ein Berg, die purpurne Woge,
Hochgewölbt, und verbarg den Gott und die sterbliche Jungfrau.
245
Schmeichelnd löst‘ er den Gürtel der Keuschheit, und ließ sie entschlummern.
Und da jetzo der Gott das Werk der Liebe vollendet;
Drückt‘ er des Mädchens Hand, und sagte mit freundlicher Stimme:
Freue dich, Mädchen, der Liebe! Du wirst im Laufe des Jahres
Herrliche Söhne gebären. Denn nicht unfruchtbaren Samen
250
Streut ein unsterblicher Gott. Du pfleg‘ und nähre sie sorgsam.
Jetzo gehe zu Haus‘, und schweig, und sage dies niemand:
Ich, dein Geliebter, bin der Erderschüttrer Poseidon.
Also sprach er, und sprang in des Meers hochwallende Woge.
Tyro ward schwanger, und kam mit Pelias nieder und Neleus,
255
Welche beide des großen Zeus‘ gewaltige Diener
Wurden: Pelias einst, der iaolkischen Fluren
Herdenreicher Beherrscher, und Neleus, der sandigen Pylos.
Andere Söhne gebar dem Kretheus die Fürstin der Weiber,
Äson und Pheres, und drauf Amythaon, den Tummler der Rosse.
260
Auch Antiope kam, die schöne Tochter Asopos‘,
Rühmend, sie habe geruht in Zeus‘ des Kroniden Umarmung.
Und sie gebar dem Gott zween Söhne, Amphion und Zethos.
Diese bauten zuerst die siebentorichte Thebä,
Und befestigten sie; denn unbefestigt konnten
265
Beide, wie stark sie auch waren, die große Thebä nicht schützen.
Hierauf kam Alkmene, Amphitryons Ehegenossin,
Welche den Allbesieger, den löwenbeherzten Herakles
Hatte geboren, aus Zeus‘, des großen Kroniden, Umarmung.
Auch Megare, die Tochter des übermütigen Kreions,
270
Und des nimmerbezwungnen Amphitryoniden Gemahlin.
Hierauf kam Epikaste, die schöne, Ödipus‘ Mutter,
Welche die schrecklichste Tat mit geblendeter Seele verübet.
Ihren leiblichen Sohn, der seinen Vater ermordet,
Nahm sie zum Mann! Allein bald rügten die Götter die Schandtat.
275
Ödipus herrschte, mit Kummer behäuft, in der lieblichen Thebä,
Über Kadmos‘ Geschlecht, durch der Götter verderblichen Ratschluß.
Aber sie fuhr hinab zu den festen Toren des Todes,
Denn sie knüpft‘ an das hohe Gebälk, in der Wut der Verzweiflung,
Selbst das erdrosselnde Seil, und ließ unnennbares Elend
280
Jenem zurück, den Fluch der blutgeschändeten Mutter.
Jetzo nahte sich Chloris, die schöne Gemahlin von Neleus.
Mit unzähligen Gaben gewann er die schönste der Jungfraun,
Sie, die jüngste Tochter des Jasiden Amphions,
Welcher der Minyer Stadt Orchomenos mächtig beherrschte.
285
Pylos Fürstin gebar dem Neleus herrliche Söhne,
Nestor gebar sie ihm, und Chromios, und den berühmten
Periklymenos; drauf die weitbewunderte Pero.
Diese liebeten alle benachbarten Fürsten; doch Neleus
Gab sie keinem, der nicht des mächtigen Königs Iphikles‘
290
Breitgestirnete Rinder aus Phylakes Auen entführte.
Schwer war die Tat, und nur der treffliche Seher Melampus
Unternahm sie: allein ihn hinderte Gottes Verhängnis,
Seine grausamen Band‘, und die Hirten der weidenden Rinder.
Aber nachdem die Monden und Tage waren vollendet,
295
Und ein neues Jahr mit den kreisenden Horen herankam;
Siehe da löste den Seher der mächtige König Iphikles,
Weil er ihm prophezeit. So geschah der Wille Kronions.
Jetzo erblickt‘ ich Leda, Tyndareos‘ Ehegenossin,
Welche ihrem Gemahl zween mutige Söhne geboren:
300
Kastor durch Rosse berühmt, und Polydeikes im Faustkampf.
Diese leben noch beid‘ in der allernährenden Erde.
Denn auch unter der Erde beehrte sie Zeus mit dem Vorrecht,
Daß sie beid‘ abwechselnd den einen Tag um den andern
Leben und wieder sterben, und göttlicher Ehre genießen.
305
Drauf kam Iphimedeia, die Ehegenossin Aloeus,
Rühmend, sie habe geruht in Poseidaons Umarmung.
Und sie gebar zween Söhne, wiewohl ihr Leben nur kurz war:
Otos voll göttlicher Kraft, und den ruchtbaren Ephialtes.
Diese waren die längsten von allen Erdebewohnern,
310
Und bei weitem die schönsten, nach jenem berühmten Orion.
Denn im neunten Jahre, da maß neun Ellen die Breite
Ihres Rumpfes, da maß neun Klaftern die Höhe des Hauptes.
Und sie drohten sogar den Unsterblichen, ihren Olympos
Mit verheerendem Sturm und Schlachtengetümmel zu füllen.
315
Ossa mühten sie sich auf Olympos zu setzen, auf Ossa
Pelions Waldgebirg‘, um hinauf in den Himmel zu steigen.
Und sie hätten’s vollbracht, wär‘ ihre Jugend gereifet.
Aber sie traf Zeus‘ Sohn, den die reizende Leto geboren,
Beide mit Todesgeschoß, eh‘ unter den Schläfen des Bartes
320
Blume wuchs, und dem Kinn die zarten Sprößlinge bräunten.
Drauf kam Phädra und Prokris, und Ariadne die schöne,
Jene Tochter Minos des Allerfahrnen, die Theseus
Einst aus Kreta entführte zur heiligen Flur von Athenä.
Aber er brachte sie nicht; denn in der umflossenen Dia
325
Hielt sie Artemis an, auf Dionysos Verkündung.
Mära und Klymene kam, und das schändliche Weib Eriphyle,
Welche den teuren Gemahl um ein goldenes Kleinod verkaufte.
Aber ich kann unmöglich sie alle beschreiben und nennen,
Welche Weiber und Töchter berühmter Helden ich schaute.
330
Sonst vergeht die ambrosische Nacht; und die Stunde gebeut mir,
Schlafen zu gehn, bei den Freunden in unserm gerüsteten Schiffe,
Oder auch hier, Die Reise befehl‘ ich euch und den Göttern.
Also sprach er; und alle verstummten umher, und schwiegen,
Horchten noch, wie entzückt, im großen schattigen Saale.
335
Endlich begann Arete, die lilienarmige Fürstin:
Sagt mir doch, ihr Phäaken, was haltet ihr von dem Manne,
Seiner Gestalt und Größe, mit solchem Geiste vereinigt?
Seht, das ist mein Gast! Doch jeder hat teil an der Ehre.
Darum sendet ihn nicht so eilend, und spart die Geschenke
340
Bei dem darbenden Manne nicht allzukärglich; ihr habt ja
Reiche Schätze daheim, durch die Gnade der Götter, verwahret!
Hierauf sprach zur Versammlung der graue Held Echeneos,
Welcher der älteste war von allen phäakischen Männern:
Freunde, nicht unserem Wunsch, noch unsrer Erwartung entgegen,
345
Redete jetzt voll Weisheit die Königin; darum gehorchet!
Aber Alkinoos selber gebührt es zu reden und handeln.
Ihm antwortete drauf Alkinoos wieder, und sagte:
Ja dies Wort soll wahrlich erfüllet werden, wofern ich
Leben bleib‘, ein König der rudergeübten Phäaken!
350
Aber der Fremdling wolle, wie sehr er zur Heimat verlanget,
Noch bis morgen bei uns verweilen, bis ich das ganze
Ehrengeschenk ihm bereitet. Die Fahrt liegt allen am Herzen,
Aber vor allen mir; denn mein ist die Herrschaft des Volkes.
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
355
Weitgepriesener Held, Alkinoos, mächtigster König!
Zwänget ihr mich allhier auch ein ganzes Jahr zu verweilen,
Und betriebt nur die Fahrt, und schenktet mir Ehrengeschenke;
Gerne willigt‘ ich ein; auch wäre mir besser geraten,
Wenn ich mit vollerer Hand in mein liebes Vaterland kehrte.
360
Weit willkommener würd‘ ich und weit ehrwürdiger allen
Männern in Ithaka sein, die mich Heimkehrenden sähen.
Ihm antwortete drauf Alkinoos wieder, und sagte:
Deine ganze Gestalt, Odysseus, kündet mit nichten
Einen Betrüger uns an, noch losen Schwätzer; wie viele
365
Sonst die verbreiteten Völker der schwarzen Erde durchstreifen,
Welche Lügen erdichten, woher sie keiner vermutet.
Aber in deinen Worten ist Anmut und edle Gesinnung;
Gleich dem weisesten Sänger, erzähltest du die Geschichte
Von des argeiischen Heers und deinen traurigen Leiden.
370
Aber verkündige mir, und sage die lautere Wahrheit,
Ob du einige sahst der göttlichen Freunde, die mit dir
Hin gen Ilion zogen, und dort ihr Schicksal erreichten.
Diese Nächte sind lang, sehr lang! und noch ist die Stunde
Schlafen zu gehn nicht da. Erzähle mir Wundergeschichten.
375
Selbst bis zur heiligen Frühe vermöcht‘ ich zu hören, so lange
Du in diesem Gemache mir deine Leiden erzähltest!
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Weitgepriesener Held, Alkinoos, mächtigster König!
Reden hat seine Stund‘, und seine Stunde der Schlummer.
380
Aber wenn du verlangst, mich weiter zu hören, so will ich
Ohne Weigern dir jetzt noch tränenwerteres Unglück
Meiner Freunde verkünden, die nachmals ihr Leben verloren;
Die den blutigen Schlachten des troischen Krieges entrannen,
Und auf der Heimkehr starben, durch List des heillosen Weibes.
385
Als sich auf den Befehl der schrecklichen Persephoneia
Alle Seelen der Weiber umher in die Tiefe zerstreuet;
Siehe da kam die Seele von Atreus‘ Sohn Agamemnon
Traurend daher, umringt von anderen Seelen, die mit ihm,
In Ägisthos‘ Palaste, das Ziel des Todes erreichten.
390
Dieser erkannte mich gleich, sobald er des Blutes gekostet.
Und nun weint‘ er laut, und vergoß die bittersten Tränen,
Streckte die Hände nach mir, und strebte mich zu umarmen.
Aber ihm mangelte jetzo die spannende Kraft und die Schnelle,
Welche die biegsamen Glieder des Helden vormals belebte.
395
Weinend erblickt‘ ich ihn, und fühlete herzliches Mitleid;
Und ich redet‘ ihn an, und sprach die geflügelten Worte:
Atreus‘ rühmlicher Sohn, weitherrschender Held Agamemnon,
Welches Schicksal bezwang dich des schlummergebenden Todes?
Tötete dich auf der Fahrt der Erderschüttrer Poseidon,
400
Da er den wilden Orkan lautbrausender Winde dir sandte?
Oder ermordeten dich auf dem Lande feindliche Männer,
Als du die schönen Herden der Rinder und Schafe hinwegtriebst,
Oder indem sie die Stadt und ihre Weiber verfochten?
Also sprach ich; und drauf antwortete jener und sagte:
405
Edler Laertiad‘, erfindungsreicher Odysseus,
Nein, mich tötete nicht der Erderschüttrer Poseidon,
Da er den wilden Orkan lautbrausender Winde mir sandte;
Noch ermordeten mich auf dem Lande feindliche Männer.
Sondern Ägisthos bereitete mir das Schicksal des Todes,
410
Samt dem heillosen Weibe! Er lud mich zu Gast, und erschlug mich
Unter den Freuden des Mahls: so erschlägt man den Stier an der Krippe!
Also starb ich den kläglichsten Tod; und alle Gefährten
Stürzten in Haufen umher, wie hauerbewaffnete Eber,
Die man im Hause des reichen gewaltigen Mannes zur Hochzeit,
415
Oder zum Feiergelag‘ abschlachtet, oder zum Gastmahl.
Schon bei vieler Männer Ermordung warst du zugegen,
Die in dem Zweikampf blieben, und in der wütenden Feldschlacht;
Doch kein Anblick hätte dein Herz so innig gerühret,
Als wie wir um den Kelch und die speisebeladenen Tische
420
Lagen im weiten Gemach, und rings der Boden in Blut schwamm!
Jämmerlich hört‘ ich vor allen Kassandra, Priamos‘ Tochter,
Winseln, es tötete sie die tückische Klytämnestra
Über mir; da erhub ich die Hände noch von der Erde,
Und griff sterbend ins Schwert der Mörderin. Aber die Freche
425
Ging von mir weg, ohn einmal die Augen des sterbenden Mannes
Zuzudrücken, noch ihm die kalten Lippen zu schließen.
Nichts ist scheußlicher doch, nichts unverschämter auf Erden,
Als ein Weib, entschlossen zu solcher entsetzlichen Schandtat,
Wie sie jene verübt, die Grausame! welche den Liebling
430
Ihrer Jugend mit List hinrichtete! Ach wie entzückte
Mich die Hoffnung, daheim von meinen Leuten und Kindern
Freudig begrüßt zu werden; doch jene, das Scheusal an Bosheit!
Hat ihr eignes Gedächtnis, und alle Weiber der Nachwelt
Ewig entehrt, wenn eine sich auch des Guten befleißigt!
435
Also sprach er; und ich antwortete wieder und sagte:
Wehe! wie fürchterlich hat Kronions waltende Vorsicht
Durch arglistige Weiber, den Samen Atreus‘ von Anfang
Heimgesucht! Wie viele sind Helenens halber gestorben!
Und du verlorst, heimkehrend, durch Klytämnestra dein Leben!
440
Also sprach ich; und drauf antwortete jener, und sagte:
Laß deshalben auch du von dem Weibe nimmer dich lenken,
Und vertrau‘ ihr nicht aus Zärtlichkeit jedes Geheimnis;
Sondern verkündige dies, und jenes halte verborgen!
Aber Odysseus, du wirst nicht sterben durch deine Gemahlin;
445
Denn sie ist rechtschaffen, und Weisheit adelt die Seele
Von Ikarios Tochter, der klugen Penelopeia.
Ach wir verließen sie einst als junge Frau im Palaste,
Da wir zum Streit auszogen, und ihr unmündiges Knäblein
Lag an der Brust, der nun in den Kreis der Männer sich hinsetzt.
450
Glücklicher Sohn! ihn schaut einst wiederkehrend sein Vater,
Und er begrüßt den Vater mit frommer kindlicher Liebe!
Aber mir hat mein Weib nicht einmal den freudigen Anblick
Meines Sohnes erlaubt; sie hat zuvor mich ermordet.
Höre nun meinen Rat, und bewahr‘ ihn sorgsam im Herzen:
455
Lande mit deinem Schiff ans vaterländische Ufer
Heimlich, nicht öffentlich an; denn nimmer ist Weibern zu trauen!
Aber verkündige mir, und sage die lautere Wahrheit:
Habt ihr etwa gehört von meinem noch lebenden Sohne,
In Orchomenos, oder vielleicht in der sandigen Pylos,
460
Oder bei Menelaos in Spartas weiten Gefilden?
Denn noch starb er nicht auf Erden, der edle Orestes.
Also sprach er; und ich antwortete wieder, und sagte:
Warum fragst du mich das, Sohn Atreus? Ich weiß nicht, ob jener
Tot sei, oder noch lebe; und Eitles schwatzen ist unrecht.
465
Also standen wir beide, mit trauervollen Gesprächen
Herzlich bekümmert da, und viele Tränen vergießend.
Siehe da kam die Seele des Peleiden Achilleus,
Und die Seele Patroklos‘, des tapfern Antilochos‘ Seele,
Und des gewaltigen Ajas, des ersten an Wuchs und Bildung
470
In dem achaiischen Heer, nach dem tadellosen Achilleus.
Mich erkannte die Seele des schnellen äakischen Helden,
Und sie begann wehklagend, und sprach die geflügelten Worte:
Edler Laertiad‘, erfindungsreicher Odysseus,
Welche noch größere Tat, Unglücklicher, wagest du jetzo?
475
Welche Kühnheit, herab in die Tiefe zu steigen, wo Tote
Nichtig und sinnlos wohnen, die Schatten gestorbener Menschen!
Also sprach er; und ich antwortete wieder, und sagte:
Peleus‘ Sohn, o Achilleus, du trefflichster aller Achaier,
Wegen Teiresias mußt‘ ich herab, wenn etwa der Seher
480
Mir weissagte, wie ich zur felsichten Ithaka käme.
Denn noch hab‘ ich Achaia, noch hab‘ ich unsere Heimat
Nicht berührt; ich leide noch stets! Doch keiner, Achilleus,
Glich an Seligkeit dir, und keiner wird jemals dir gleichen.
Vormals im Leben ehrten wir dich, wie einen der Götter,
485
Wir Achaier; und nun, da du hier bist, herrschest du mächtig
Unter den Geistern: drum laß dich den Tod nicht reuen, Achilleus!
Also sprach ich; und drauf antwortete jener, und sagte:
Preise mir jetzt nicht tröstend den Tod, ruhmvoller Odysseus.
Lieber möcht‘ ich fürwahr dem unbegüterten Meier,
490
Der nur kümmerlich lebt, als Tagelöhner das Feld baun,
Als die ganze Schar vermoderter Toten beherrschen.
Aber verkündige mir von meinem trefflichen Sohne,
Ob an der Spitze des Heers er schaltete, oder daheim blieb.
Melde mir auch, wo du Kunde vom großen Peleus vernahmest,
495
Ob er noch weitgeehrt die Myrmidonen beherrsche,
Oder ob man ihn schon durch Hellas und Phtia verachte,
Weil vor hohem Alter ihm Händ‘ und Schenkel erheben.
Denn ich wandle nicht mehr ein Helfer im Lichte der Sonnen,
Wie ich war, da ich einst in Trojas weitem Gefilde,
500
Für die Danaer streitend, die tapfersten Völker erlegte.
Käm‘ ich in jener Kraft nur ein wenig zum Hause des Vaters;
Schaudern vor der Gewalt der unüberwundenen Hände
Sollte, wer ihn antastet, des Königes Ehre zu rauben.
Also sprach er; und ich antwortete wieder, und sagte:
505
Keine Kunde hab‘ ich vom großen Peleus vernommen.
Aber von deinem Sohn Neoptolemos, deinem Geliebten
Will ich, wie du verlangst, dir lautete Wahrheit verkünden.
Denn ich selber hab‘ ihn im gleichgezimmerten Schiffe
Her von Skyros gebracht zu den schöngeharnischten Griechen.
510
Wann wir Achaier vor Ilions Stadt uns setzten zum Kriegsrat;
Redet‘ er immer zuerst, und sprach nicht flatternde Worte:
Nur der göttliche Nestor und ich besiegten den Jüngling.
Wann wir Achaier vor Ilions Stadt auszogen zur Feldschlacht;
Blieb er nimmer im Schwarm, noch unter den Haufen der Heerschar:
515
Sondern er eilte vorauf mit freudiger Kühnheit, und stürzte
Viele Männer dahin im schrecklichen Waffengetümmel.
Alle will ich sie dir nicht nennen oder beschreiben,
Wie viel Volkes dein Sohn, für die Danaer streitend, erlegte;
Sondern Eurypylos nur, den kriegrischen Telephiden.
520
Diesen durchstach er mit ehernem Spieß, und viele Keteier
Sanken blutig um ihn, durch Weibergeschenke verleitet.
Nach dem göttlichen Memnon war er der schönste der Feinde.
Als wir nun stiegen ins Roß, wir tapfersten Helden Achaias,
Welches Epeios gebaut; und mir die Sorge vertraut ward,
525
Unser festes Gehäuse zu öffnen, oder zu schließen:
Siehe da saßen viele der hohen Fürsten und Pfleger,
Trockneten ihre Tränen, und bebten an Händen und Füßen.
Aber ich habe nie mit meinen Augen gesehen,
Daß der blühende Jüngling erblaßte, oder sein Antlitz
530
Feige Tränen benetzten; mit Flehen bat er mich oftmal,
Ihn aus dem Rosse zu lassen, ergriff die eherne Lanze,
Legte die Hand an das Schwert, und drohte den Troern Verderben.
Als wir die hohe Stadt des Priamos endlich zerstöret;
Stieg er, mit Ehrengeschenken und großer Beute bereichert,
535
Unbeschädigt ins Schiff, von keinem fliegenden Erze,
Noch von der Schärfe des Schwerts verwundet; welches doch selten
Tapfere Streiter verschont; denn blindlings wütet der Kriegsgott.
Also sprach ich; da ging die Seele des schnellen Achilleus
Zur Asphodeloswiese mit großen Schritten hinunter,
540
Freudenvoll, daß ich ihm des Sohnes Tugend verkündigt.
Aber die anderer Seelen der abgeschiedenen Toten
Standen traurend da, und sprachen von ihrer Betrübnis.
Nur allein die Seele des telamonischen Ajas
Blieb von ferne stehn, und zürnte noch wegen des Sieges,
545
Den ich einst vor den Schiffen, mit ihm um die Waffen Achilleus
Rechtend, gewann; sie setzte zum Preis die göttliche Mutter,
Und die Söhne der Troer entschieden und Pallas Athene.
Hätt‘ ich doch nimmermehr in diesem Streite gesieget!
Denn ein solches Haupt birgt ihrenthalben die Erde:
550
Ajas, der an Gestalt und Edeltaten der größte
Unter den Danaern war, nach dem tadellosen Achilleus.
Diesen redet‘ ich an, und sagte mit freundlicher Stimme:
Ajas, Telamons Sohn, des Herrlichen! mußtest du also
Selbst nach dem Tode den Groll forttragen wegen der Rüstung,
555
Welche der Götter Rat zum Verderben der Griechen bestimmte?
Denn du sankst, ihr Turm in der Feldschlacht; und wir Achaier
Müssen, wie um das Haupt des Peleiden Achilleus,
Stets um deinen Verlust leidtragen! Doch keiner ist hieran
Schuldig, als Zeus, der, entbrannt vom schrecklichen Eifer, Achaias
560
Kriegerscharen verwarf, und dein Verhängnis dir sandte!
Aber wohlan, tritt näher zu mir, o König, und höre
Meine Red‘, und bezwinge den Zorn des erhabenen Herzens.
Also sprach ich; er schwieg, und ging in des Erebos Dunkel
Zu den übrigen Seelen der abgeschiedenen Toten.
565
Dennoch hätte mich dort der Zürnende angeredet,
Oder ich ihn; allein mich trieb die Begierde des Herzens,
Auch die Seelen der andern gestorbenen Helden zu schauen.
Und ich wandte den Blick auf Minos, den göttlichen, Zeus‘ Sohn!
Dieser saß, in der Hand den goldenen Scepter, und teilte
570
Strafe den Toten und Lohn; sie rechteten rings um den König,
Sitzend und stehend, im weitgeöffneten Hause des Aïs.
Und nach diesem erblickt‘ ich den ungeheuren Orion.
Auf der Asphodeloswiese verfolgt‘ er die drängenden Tiere,
Die er im Leben einst auf wüsten Gebirgen getötet:
575
In den Händen die eherne, nie zerbrechliche Keule.
Auch den Tityos sah ich, den Sohn der gepriesenen Erde.
Dieser lag auf dem Boden, und maß neun Hufen an Länge;
Und zween Geier saßen ihm links und rechts, und zerhackten
Unter der Haut ihm die Leber: vergebens scheuchte der Frevler,
580
Weil er Leto entehrt, Zeus‘ heilige Lagergenossin,
Als sie gen Pytho ging, durch Panopeus‘ liebliche Fluren.
Auch den Tantalos sah ich, mit schweren Qualen belastet.
Mitten im Teiche stand er, den Kinn von der Welle bespület,
Lechzte hinab vor Durst, und konnte zum Trinken nicht kommen.
585
Denn so oft sich der Greis hinbückte, die Zunge zu kühlen;
Schwand das versiegende Wasser hinweg, und rings um die Füße
Zeigte sich schwarzer Sand, getrocknet vom feindlichen Dämon.
Fruchtbare Bäume neigten um seine Scheitel die Zweige,
Voll balsamischer Birnen, Granaten und grüner Oliven,
590
Oder voll süßer Feigen und rötlichgesprenkelter Äpfel.
Aber sobald sich der Greis aufreckte, der Früchte zu pflücken;
Wirbelte plötzlich der Sturm sie empor zu den schattigen Wolken.
Auch den Sisyphos sah ich, von schrecklicher Mühe gefoltert,
Einen schweren Marmor mit großer Gewalt fortheben.
595
Angestemmt, arbeitet‘ er stark mit Händen und Füßen,
Ihn von der Au aufwälzend zum Berge. Doch glaubt‘ er ihn jetzo
Auf den Gipfel zu drehn: da mit einmal stürzte die Last um;
Hurtig mit Donnergepolter entrollte der tückische Marmor.
Und von vorn arbeitet‘ er, angestemmt, daß der Angstschweiß
600
Seinen Gliedern entfloß, und Staub sein Antlitz umwölkte.
Und nach diesem erblickt‘ ich die hohe Kraft Herakles,
Seine Gestalt; denn er selber feiert mit den ewigen Göttern
Himmlische Wonnegelag‘, und umarmt die blühende Hebe,
Zeus des Gewaltigen Tochter und Heres mit goldenen Sohlen.
605
Ringsum schrie, wie Vögelgeschrei, das Geschrei der gescheuchten
Flatternden Geister um ihn; er stand der greulichen Nacht gleich,
Hielt den entblößten Bogen gespannt, und den Pfeil auf der Senne,
Schauete drohend umher, und schien beständig zu schnellen.
Seine Brust umgürtet‘ ein fürchterlich Wehrgehenke,
610
Wo, getrieben aus Gold, die Wunderbildungen strahlten:
Bären, und Eber voll Wut, und grimmig funkelnde Löwen,
Treffen und blutige Schlachten und Niederlagen und Morde.
Immer feire der Künstler, auf immer von seiner Arbeit,
Der ein solches Gehenke mit hohem Geiste gebildet!
615
Dieser erkannte mich gleich, sobald er mit Augen mich sahe,
Wandte sich seufzend zu mir, und sprach die geflügelten Worte:
Edler Laertiad‘, erfindungsreicher Odysseus,
Armer, ruht auch auf dir ein trauervolles Verhängnis,
Wie ich weiland ertrug, da mir die Sonne noch strahlte?
620
Zeus‘ des Kroniden Sohn war ich, und duldete dennoch
Unaussprechliches Elend; dem weit geringeren Manne
Dient‘ ich, und dieser gebot mir die fürchterlichsten Gefahren.
Selbst hier sandt‘ er mich her, den Hund zu holen; denn dieses
Schien dem Tyrannen für mich die entsetzlichste aller Gefahren.
625
Aber ich brachte den Hund empor aus Aïdes Wohnung;
Hermes geleitete mich und Zeus‘ blauäugichte Tochter.
Also sprach er, und ging zurück in Aïdes Wohnung.
Aber ich blieb, und harrete dort, ob etwa noch jemand
Von den gestorbenen Helden des Altertumes sich nahte.
630
Und noch manchen vielleicht, den ich wünschte, hätt‘ ich gesehen:
Theseus und seinen Freund Peirithoos, Söhne der Götter;
Aber es sammelten sich unzählige Scharen von Geistern
Mit graunvollem Getös, und bleiches Entsetzen ergriff mich.
Fürchtend, es sende mir jetzo die strenge Persephoneia
635
Tief aus der Nacht die Schreckengestalt des gorgonischen Unholds,
Floh ich eilend von dannen zum Schiffe, befahl den Gefährten,
Hurtig zu steigen ins Schiff, und die Seile vom Ufer zu lösen;
Und sie stiegen hinein, und setzten sich hin auf die Bänke.
Also durchschifften wir die Flut des Oceanstromes,
640
Erst vom Ruder getrieben, und drauf vom günstigen Winde.

Zehnter Gesang

Zehnter Gesang

Äolos, der Winde erregt und stillt, entsendet den Odysseus mit günstigem West, und gibt ihm die Gewalt über die andern in einem Zauberschlauch. Nahe vor Ithaka öffnen ihn die Genossen; der Sturm wirft sie nach dem schwimmenden Eilande zurück, woher, von Äolos verjagt, sie in die fabelhafte Westgegend geraten. Die Lästrygonen vertilgen elf Schiffe; in den übrigen erreicht er Ääa. Kirke verwandelt die Hälfte der Seinigen in Schweine. Er selbst, durch ein Heilkraut des Hermes geschützt, gewinnt die Liebe der Zauberin, und rettet die Freunde. Nach einem Jahre fodert er Heimkehr; Kirke befiehlt ihm zuvor, zum Eingange des Totenreichs am Okeanos zu schiffen, und den Teiresias zu befragen. Elpenors Tod.

Und wir kamen zur Insel Äolia. Diese bewohnte
Äolos, Hippotes‘ Sohn, ein Freund der unsterblichen Götter.
Undurchdringlich erhebt sich rings um das schwimmende Eiland
Eine Mauer von Erz, und ein glattes Felsengestade.
5
Kinder waren ihm zwölf in seinem Palaste geboren,
Lieblicher Töchter sechs, und sechs der blühenden Söhne.
Und er hatte die Töchter den Söhnen zu Weibern gegeben.
Bei dem geliebten Vater und ihrer herrlichen Mutter
Schmausen sie stets, bewirtet mit tausend köstlichen Speisen.
10
Und das duftende Haus erschallt von Tönen der Flöte
Tages, aber des Nachts ruht neben der züchtigen Gattin
Jeder auf prächtigen Decken im schöngebildeten Bette.
Und wir kamen zu ihrer Stadt und schönem Palaste.
Einen Monat bewirtet‘ er mich, und forschte nach allem,
15
Ilions Macht, der Achaier Schiffen, und unserer Heimfahrt;
Und ich erzählt‘ ihm darauf umständlich die ganze Geschichte.
Als ich nun weiter verlangte, und ihn um sichre Geleitung
Bat, versagt‘ er mir nichts, und rüstete mich zu der Abfahrt.
Und er gab mir, verschlossen im dichtgenäheten Schlauche
20
Vom neunjährigen Stiere, das Wehn lautbrausender Winde.
Denn ihn hatte Kronion zum Herrscher der Winde geordnet,
Sie durch seinen Befehl zu empören oder zu schweigen.
Und er knüpfte den Schlauch mit glänzendem silbernen Seile
Fest in dem hohlen Schiffe, daß auch kein Lüftchen entwehte.
25
Vor mir ließ er den Hauch des freundlichen Westes einherwehn,
Daß sie die Schiff‘ und uns selbst heimführeten. Aber dies sollte
Nicht geschehn; denn wir sanken durch eigene Torheit in Unglück.
Schon durchsegelten wir neun Tag‘ und Nächte die Wogen;
Und in der zehnten Nacht erschien uns das heimische Ufer,
30
Daß wir schon in der Nähe die Feuerwachen erblickten.
Jetzo schlummert‘ ich ein, ermüdet von langer Arbeit;
Denn ich lenkte beständig das Steur, und ließ der Gefährten
Keinen dazu, um geschwinder das Vaterland zu erreichen.
Und die Genossen besprachen sich heimlich untereinander,
35
Wähnend, ich führte mit mir viel Gold und Silber zur Heimat,
Äolos‘ Ehrengeschenke, des hippotadischen Königs.
Und man wendete sich zu seinem Nachbar, und sagte:
Wunderbar! Dieser Mann gewinnt die Achtung und Liebe
Aller Menschen, wohin er auch kommt, in Städten und Ländern!
40
Aus der troischen Beute wie manches unschätzbare Kleinod
Bringet er mit! und wir, die alle Gefahren geteilet,
Kehren am Ende doch mit leeren Händen zur Heimat.
Nun hat Äolos dieses Geschenk aus besonderer Freundschaft
Ihm verehrt! Auf, laßt uns denn eilen und sehen, was dies sei,
45
Wie viel Silber und Gold in diesem Schlauche doch stecke.
Also sprach man. Es siegte der böse Rat der Genossen;
Und sie lösten den Schlauch, und mit einmal entsausten die Winde.
Plötzlich ergriff sie der Sturm, und schleudert‘ weit in das Weltmeer
Hin die Weinenden, ferne vom Vaterlande. Da fuhr ich
50
Schnell aus dem Schlaf, und erwog in meiner unsträflichen Seele:
Ob ich vom Schiffe hinab in die tobenden Wogen mich stürzte,
Oder es schweigend erduldet , und noch bei den Lebenden bliebe;
Aber ich duldet‘ und blieb, und lag mit verhülletem Antlitz
Auf dem Verdeck; und es warf der Orkan aufbrausend die Schiffe
55
Nach der äolischen Insel zurück; es seufzten die Männer.
Allda stiegen wir aus an den Strand, und schöpften uns Wasser.
Schnell bereiteten uns die Gefährten ein Mahl bei den Schiffen.
Und sobald wir das Herz mit Trank und Speise gestärket,
Eilt‘ ich, von unserem Herold und einem Gefährten begleitet,
60
Zu der herrlichen Burg des Äolos. Diesen erblickt‘ ich
Sitzend mit seinem Weib‘ und seinen Kindern beim Schmause.
Und wir gingen ins Haus, und setzten uns neben den Pfosten
Auf die Schwelle dahin; sie erschraken im Herzen, und fragten:
Siehe woher, Odysseus? Welch böser Dämon verfolgt dich?
65
Haben wir doch die Fahrt so sorgsam gefördert, damit du
Heim in dein Vaterland, und wohin dir’s beliebte, gelangtest!
Also sprach man; und ich antwortete, trauriges Herzens:
Meine bösen Gefährten, die sind mein Verderben, mit diesen
Ein unseliger Schlaf! Ach helft mir, Freunde! Ihr könnt es.
70
Also wollt‘ ich sie mir mit schmeichelnden Worten gewinnen.
Aber sie schwiegen still; der Vater gab mir zur Antwort:
Hebe dich eilig hinweg von der Insel, du Ärgster der Menschen!
Denn es geziemet mir nicht, zu bewirten, noch weiter zu senden
Einen Mann, den die Rache der seligen Götter verfolget.
75
Hebe dich weg, denn du kömmst mit dem Zorne der Götter beladen!
Also sprach er, und trieb mich Seufzenden ans dem Palaste.
Und wir steuerten jetzo mit trauriger Seele von dannen.
Aber den Männern entschwand das Herz am ermüdenden Ruder,
Unserer Torheit halben, weil weiter kein Ende zu sehn war.
80
Als wir nun sechs Tag‘ und Nächte die Wogen durchrudert,
Landeten wir bei der Feste der Lästrygonen, bei Lamos
Stadt Telepylos an. Hier wechseln Hirten mit Hirten;
Welcher heraustreibt, hört das Rufen des, der hereintreibt.
Und ein Mann ohne Schlaf erfreute sich doppeltes Lohnes,
85
Eines als Rinderhirte, des andern als Hirte der Schafe;
Denn nicht weit sind die Triften der Nacht und des Tages entfernet.
Jetzo erreichten wir den trefflichen Hafen, den ringsum
Himmelanstrebende Felsen von beiden Seiten umschließen,
Und wo vorn in der Mündung sich zwo vorragende Spitzen
90
Gegeneinander drehn; ein enggeschlossener Eingang!
Meine Gefährten lenkten die gleichgezimmerten Schiffe
Alle hinein in die Bucht, und banden sie dicht bei einander
Fest; denn niemals erhob sich eine Welle darinnen,
Weder groß und klein; rings herrschst spiegelnde Stille.
95
Ich allein blieb draußen mit meinem schwärzlichen Schiffe,
An dem Ende der Bucht, und band es mit Seilen am Felsen,
Kletterte dann auf den zackichten weitumschauenden Gipfel.
Aber es zeigte sich nirgends die Spur von Stieren und Pflügern;
Sondern wir sahn nur Rauch von der Erd‘ am Himmel hinaufziehn.
100
Jetzo sandt‘ ich Männer voraus, das Land zu erkunden,
Was für Sterbliche dort die Frucht des Halmes genössen,
Zween erles’ne Gefährten; ein Herold war ihr Begleiter.
Und sie stiegen ans Land, und gingen die Straße, worauf man
Holzbeladene Wagen vom hohen Gebirge zur Stadt fährt.
105
Ihnen begegnete dicht vor der Stadt ein Mädchen, das Wasser
Schöpfte, des Lästrygonen Antiphates rüstige Tochter.
Diese stieg zu der Nymphe Artakia sprudelnder Quelle
Nieder; denn daraus schöpften die Lästrygonen ihr Wasser.
Und sie traten hinzu, begrüßten das Mädchen, und fragten,
110
Wer dort König wäre, und welches Volk er beherrschte.
Jene wies sie sogleich zum hohen Palaste des Vaters.
Und sie gingen hinein in die Burg, und fanden des Königs
Weib, so groß wie ein Gipfel des Bergs; und ein Grauen befiel sie.
Jene rief den berühmten Antiphates aus der Versammlung,
115
Ihren Gemahl, der ihnen ein schreckliches Ende bestimmte.
Ungestüm packt‘ er den einen Gefährten, und tischte den Schmaus auf.
Aber die übrigen Zween enteilten, und flohn zu den Schiffen.
Und er erhub ein Gebrüll durch die Stadt; und siehe; mit einmal
Kamen hieher und dorther die rüstigen Lästrygonen
120
Zahllos zuhauf, sie glichen nicht Menschen, sondern Giganten.
Diese schleuderten jetzt von dem Fels unmenschliche Lasten
Steine herab; da entstand in den Schiffen ein schrecklich Getümmel,
Sterbender Männer Geschrei und das Krachen zerschmetterter Schiffe.
Und man durchstach sie, wie Fische, und trug sie zum scheußlichen Fraß hin.
125
Während diese die Männer im tiefen Hafen vertilgten,
Eilt‘ ich geschwind, und riß das geschliffene Schwert von der Hüfte,
Und zerhaute die Seile des blaugeschnäbelten Schiffes.
Dann ermahnt‘ ich und trieb aufs äußerste meine Genossen,
Hurtig die Ruder zu regen, daß wir dem Verderben entrönnen;
130
Keuchend schlugen sie alle die Flut, aus Furcht vor dem Tode.
Aber glücklich enteilte mein Schiff von den hangenden Klippen
Über das Meer; die andern versanken dort all‘ in den Abgrund.
Also steuerten wir mit trauriger Seele von dannen,
Froh der bestandnen Gefahr, doch ohne die lieben Gefährten.
135
Und wir kamen zur Insel Ääa. Diese bewohnte
Kirke, die schöngelockte, die hehre melodische Göttin,
Eine leibliche Schwester des allerfahrnen Äätes.
Beide stammten vom Gotte der menschenerleuchtenden Sonne;
Ihre Mutter war Perse, des großen Okeanos‘ Tochter.
140
Allda liefen wir still mit unserm Schiff‘ ans Gestade
In die schirmende Bucht; ein Gott war unser Geleiter.
Und wir stiegen ans Land, wo wir zween Tag‘ und zwo Nächte
Ruhten, zugleich von der Arbeit und von dem Kummer entkräftet.
Als nun die Morgenröte des dritten Tages emporstieg,
145
Nahm ich die Lanz‘ in die Hand, und hängte das Schwert um die Schulter,
Eilte vom Schiff, und bestieg den Hügel, ob ich vielleicht wo
Spuren von Menschen erblickte, und ihre Stimme Vernähme.
Als ich jetzt von der Höhe des schroffen Felsen umhersah,
Kam es mir vor, daß Rauch von der weitumwanderten Erde
150
Hinter dem dicken Gebüsch aus Kirkes Wohnung emporstieg.
Jetzo sann ich umher, und erwog den wankenden Vorsatz,
Hin nach dem dunkeln Rauche zu gehn, und weiter zu forschen.
Dieser Gedanke erschien mir Zweifelnden endlich der beste:
Erst zu dem schnellen Schiffe zu gehn am Strande des Meeres,
155
Meine Genossen mit Speise zu stärken, und Späher zu senden.
Als ich schon nahe war dem gleichberuderten Schiffe,
Da erbarmte sich mein, des Einsamen, einer der Götter.
Und es lief ein gewaltiger Hirsch mit hohem Geweihe
Mir auf den Weg; er sprang aus der Weide des Waldes zum Bache
160
Lechzend hinab, denn ihn brannten bereits die Strahlen der Sonne.
Diesen schoß ich im Lauf, und traf ihm die Mitte des Rückgrats,
Daß die eherne Lanz‘ am Bauche wieder herausfuhr;
Schreiend stürzt‘ er dahin in den Staub, und das Leben entflog ihm.
Hierauf zog ich, den Fuß anstemmend, die eherne Lanze
165
Ans der Wunde zurück, und legte sie dort auf den Boden
Nieder. Dann brach ich am Bache mir schwanke weidene Ruten,
Drehete links und rechts ein klafterlanges Geflechte,
Und verband die Füße des mächtigen Ungeheuers.
Hängt‘ es mir über den Hals, und trug es zum schwärzlichen Schiffe,
170
Auf die Lanze gestützt; denn einer Schulter und Hand war
Viel zu schwer die Last des riesenmäßigen Tieres.
Vor dem Schiffe warf ich es hin, und redete jedem
Meiner Genossen zu mit diesen freundlichen Worten:
Lieben, wir werden ja doch, trotz unserm Grame, nicht früher
175
Sinken in Aïdes Reich, eh‘ der Tag des Schicksals uns abruft!
Auf denn, so lange das Schiff noch Trank und Speise verwahret,
Eßt nach Herzensbegier, damit uns der Hunger nicht töte!
Also sprach ich; und schnell gehorchten sie meinem Befehle,
Kamen aus ihren Hüllen, am Ufer des wüsten Meeres,
180
Und verwunderten sich des riesenmäßigen Hirsches.
Und nachdem sie die Augen an seiner Größe geweidet,
Wuschen sie ihre Hände, das herrliche Mahl zu bereiten.
Also saßen wir dort den Tag bis die Sonne sich neigte,
An der Fülle des Fleisches und süßen Weines uns labend.
185
Als die Sonne nun sank, und Dunkel die Erde bedeckte,
Legten wir uns zum Schlummer am Strande des rauschenden Meeres.
Als die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte,
Rief ich alle Gefährten zur Ratsversammlung, und sagte:
Höret jetzo mich an, ihr meine Genossen im Unglück!
190
Freunde, wir wissen ja nicht, wo Abend oder wo Morgen;
Nicht, wo die leuchtende Sonne sich unter die Erde hinabsenkt,
Noch, wo sie wiederkehrt: drum müssen wir schnell uns bedenken,
Ist noch irgend ein Rat; ich sehe keinen mehr übrig.
Denn ich umschauete dort von der Höhe des zackichten Felsens
195
Diese Insel, die rings das unendliche Meer umgürtet,
Nahe liegt sie am Land‘; und in der Mitte der Insel
Sah ich Rauch, der hinter dem dicken Gebüsche hervorstieg.
Also sprach ich; und ihnen brach das Herz vor Betrübnis,
Da sie des Lästrygonen Antiphates Taten bedachten,
200
Und des Kyklopen Gewalt, des grausamen Menschenfressers.
Und sie weineten laut, und vergossen häufige Tränen.
Aber sie konnten ja nichts mit ihrer Klage gewinnen.
Jetzo teilt‘ ich die Schar der wohlgeharnischten Freunde
In zween Haufen, und gab jedwedem einen Gebieter.
205
Diesen führte ich selbst, der edle Eurylochos jenen.
Eilend schüttelten wir im ehernen Helme die Lose;
Und das Los des beherzten Eurylochos sprang ans dem Helme.
Dieser machte sich auf mit zweiundzwanzig Gefährten;
Weinend gingen sie fort, und verließen uns traurend am Ufer.
210
Und sie fanden im Tal des Gebirgs die Wohnung der Kirke,
Von gehauenen Steinen, in weitumschauender Gegend.
Ihn umwandelten rings Bergwölfe und mähnichte Löwen,
Durch die verderblichen Säfte der mächtigen Kirke bezaubert.
Diese sprangen nicht wild auf die Männer, sondern sie stiegen
215
Schmeichelnd an ihnen empor mit langen wedelnden Schwänzen.
Also umwedeln die Hunde den Hausherrn, wenn er vom Schmause
Wiederkehrt; denn er bringt beständig leckere Bissen:
Also umwedelten sie starkklauige Löwen und Wölfe.
Aber sie fürchteten sich vor den schrecklichen Ungeheuern.
220
Und sie standen am Hofe der schöngelocketen Göttin,
Und vernahmen im Haus anmutige Melodieen.
Singend webete Kirke den großen unsterblichen Teppich,
Fein und lieblich und glänzend, wie aller Göttinnen Arbeit.
Unter ihnen begann der Völkerführer Polites,
225
Welcher der liebste mir war und geehrteste meiner Genossen:
Freunde, hier wirket jemand, und singt am großen Gewebe
Reizende Melodieen, daß rings das Getäfel ertönet;
Eine Göttin, oder ein Weib; wir wollen ihr rufen!
Also sprach Polites; die Freunde gehorchten, und riefen.
230
Jene kam, und öffnete schnell die strahlende Pforte,
Nötigte sie; und alle, die Unbesonnenen, folgten.
Nur Eurylochos blieb, denn er vermutete Böses.
Und sie setzte die Männer auf prächtige Sessel und Throne,
Mengte geriebenen Käse mit Mehl und gelblichem Honig
235
Unter pramnischen Wein, und mischte betörende Säfte
In das Gericht, damit sie der Heimat gänzlich vergäßen.
Als sie dieses empfangen und ausgeleeret, da rührte
Kirke sie mit der Rute, und sperrte sie dann in die Köfen.
Denn sie hatten von Schweinen die Köpfe, Stimmen und Leiber,
240
Auch die Borsten; allein ihr Verstand blieb völlig, wie vormals.
Weinend ließen sie sich einsperren; da schüttete Kirke
Ihnen Eicheln und Buchenmast, und rote Kornellen
Vor, das gewöhnliche Futter der erdaufwühlenden Schweine.
Und Eurylochos kam zu dem schwärzlichen Schiffe geeilet,
245
Uns das herbe Verhängnis der übrigen Freunde zu melden.
Aber er konnte kein Wort aussprechen, so gern er auch wollte.
Denn die entsetzliche Angst beklemmte sein Herz; die Augen
Waren mit Tränen erfüllt, und Jammer umschwebte die Seele.
Lange hatten wir all‘ ihn voll Erstaunen befraget;
250
Endlich hub er an, und erzählte der Freunde Verderben:
Edler Odysseus, wir gingen, wie du befahlst, durch die Waldung!
Fanden im Tal des Gebirgs die schöngebauete Wohnung,
Von gehauenen Steinen, in weitumschauender Gegend!
Allda wirkte jemand, und sang am großen Gewebe:
255
Eine Göttin, oder ein Weib! Ihr riefen die andern!
Jene kam, und öffnete schnell die strahlende Pforte,
Nötigte sie; und alle, die Unbesonnenen! folgten.
Ich allein blieb draußen, denn ich vermutete Böses!
Aber mit einmal waren die andern verschwunden, und keiner
260
Kehrte zurück; so lang‘ ich auch saß, und nach ihnen mich umsah!
Also sprach er; und ich warf eilend das silberbeschlagne
Große eherne Schwert um die Schulter, samt Bogen und Köcher;
Und befahl ihm, mich gleich des selbigen Weges zu führen.
Aber er faßte mir flehend mit beiden Händen die Kniee,
265
Und wehklagete laut, und sprach die geflügelten Worte:
Göttlicher, lasse mich hier, und führe mich nicht mit Gewalt hin!
Denn ich weiß es, du kehrst nicht wieder von dannen, und bringest
Keinen Gefährten zurück! Drum laß uns geschwinde mit diesen
Fliehn! Vielleicht daß wir noch dem Tage des Fluches entrinnen!
270
Also sprach er; und ich antwortete wieder, und sagte:
Nun so bleibe denn du, Eurylochos, hier auf der Stelle!
Iß und trink dich satt, bei dem schwarzen gebogenen Schiffe!
Aber ich geh‘ allein! denn ich fühle die Not, die mich hintreibt!
Also sprach ich, und ging von dem Schiff‘ und dem Ufer des Meeres.
275
Jetzo nähert‘ ich mich, die heiligen Tale durchwandelnd,
Schon dem hohen Palaste der furchtbaren Zauberin Kirke;
Da begegnete mir Hermeias mit goldenem Stabe
Auf dem Wege zur Burg, an Gestalt ein blühender Jüngling,
Dessen Wange sich bräunt, im holdesten Reize der Jugend.
280
Dieser gab mir die Hand, und sagte mit freundlicher Stimme:
Armer, wie gehst du hier so allein durch die bergichte Waldung,
Da du die Gegend nicht kennst? Bei Kirke sind deine Gefährten
Eingesperrt, wie Schweine, in dichtverschlossenen Ställen.
Gehst du etwa dahin, sie zu retten? Ich fürchte, du kehrest
285
Nicht von dannen zurück, du bleibest selbst bei den andern.
Aber wohlan! ich will dich vor allem Übel bewahren!
Nimm dies heilsame Mittel, und gehe zum Hause der Kirke,
Sicher, von deinem Haupte den Tag des Fluches zu wenden.
Alle verderblichen Künste der Zauberin will ich dir nennen.
290
Weinmus rührt sie dir ein, und mischt ihr Gift in die Speise:
Dennoch gelingt es ihr nicht, dich umzuschaffen; die Tugend
Dieser heilsamen Pflanze verhindert sie. Höre nun weiter.
Wann dich Kirke darauf mit der langen Rute berühret,
Siehe dann reiße du schnell das geschliffene Schwert von der Hüfte,
295
Spring auf die Zauberin los, und drohe sie gleich zu erwürgen.
Diese wird in der Angst zu ihrem Lager dich rufen;
Und nun weigre dich nicht, und besteige das Lager der Göttin,
Daß sie deine Gefährten erlös‘, und dich selber bewirte.
Aber sie schwöre zuvor der Seligen großen Eidschwur,
300
Daß sie bei sich nichts anders zu deinem Schaden beschlossen;
Daß sie dir Waffenlosen nicht raube Tugend und Stärke.
Also sprach Hermeias, und gab mir die heilsame Pflanze,
Die er dem Boden entriß, und zeigte mir ihre Natur an:
Ihre Wurzel war schwarz, und milchweiß blühte die Blume;
305
Moly wird sie genannt von den Göttern. Sterblichen Menschen
Ist sie schwer zu graben; doch alles vermögen die Götter.
Und der Argosbesieger enteilte zum hohen Olympos
Durch die waldichte Insel; ich ging zum Hause der Kirke
Hin, und viele Gedanken bewegten des Gehenden Seele.
310
Und ich stand an der Pforte der schöngelocketen Göttin,
Stand und rief; und die Göttin vernahm des Rufenden Stimme
Kam sogleich, und öffnete mir die strahlende Pforte,
Nötigte mich herein; und ich folgte mit traurigem Herzen.
Hierauf führte sie mich zu ihrem silberbeschlagnen
315
Schönen prächtigen Thron, mit füßestützendem Schemel,
Mischte mir dann ein Gemüs‘ im goldenen Becher zu trinken,
Und vergiftet‘ es tückisch mit ihrem bezaubernden Safte.
Und sie reichte mir’s hin; ich trank es, und ohne Verwandlung.
Drauf berührte sie mich mit der Zauberrute, und sagte:
320
Gehe nun in den Kofen, und liege bei deinen Gefährten.
Also sprach sie; da riß ich das schneidende Schwert von der Hüfte,
Sprang auf die Zauberin los, und drohte sie gleich zu erwürgen:
Aber sie schrie, und eilte gebückt, mir die Kniee zu fassen;
Laut wehklagend rief sie die schnellgeflügelten Worte:
325
Wer, wes Volkes bist du? und wo ist deine Geburtstadt?
Staunen ergreift mich, da dich der Zaubertrank nicht verwandelt!
Denn kein sterblicher Mensch ist diesem Zauber bestanden,
Welcher trank, sobald ihm der Wein die Zunge hinabglitt.
Aber du trägst ein unbezwingliches Herz in dem Busen!
330
Bist du jener Odysseus, der, viele Küsten umirrend,
Wann er von Ilion kehrt im schnellen Schiffe, auch hieher
Kommen soll, wie der Gott mit goldenem Stabe mir saget?
Lieber! so stecke dein Schwert in die Scheid‘, und laß uns zusammen
Unser Lager besteigen, damit wir, beide versöhnet
335
Durch die Freuden der Liebe, hinfort einander vertrauen!
Also sprach sie; und ich antwortete wieder, und sagte:
Kirke, wie kannst du begehren, daß ich dir freundlich begegne?
Da du meine Gefährten im Hause zu Schweinen gemacht hast,
Und mich selber behältst, und mir arglistig befiehlest,
340
In die Kammer zu gehn, und auf dein Lager zu steigen;
Daß du mich Waffenlosen der Tugend und Stärke beraubest?
Nein! ich werde nimmer dein Lager besteigen, o Göttin,
Du willfahrest mir denn, mit hohem Schwur zu geloben,
Daß du bei dir nichts anders zu meinem Verderben beschließest!
345
Also sprach ich; und eilend beschwur sie, was ich verlangte.
Als sie es jetzo gelobt, und vollendet den heiligen Eidschwur,
Da bestieg ich mit Kirke das köstlichbereitete Lager.
Und in dem hohen Palaste der schönen Zauberin dienten
Vier holdselige Mägde, die alle Geschäfte besorgten.
350
Diese waren Töchter der Quellen und schattigen Haine,
Und der heiligen Ströme, die in das Meer sich ergießen.
Eine von diesen bedeckte die Throne mit zierlichen Polstern:
Oben legte sie Purpur, und unten den leinenen Teppich.
Und die andere stellte die schönen Tische von Silber
355
Vor die Throne, und setzte darauf die goldenen Körbe.
Und die dritte mischte in silberner Schale den süßen
Herzerfreuenden Wein, und verteilte die goldenen Becher.
Aber die vierte Magd trug Wasser, und zündete Feuer
Unter dem großen Dreifuß an, das Wasser zu wärmen.
360
Und nachdem das Wasser im blinkenden Erze gekochet,
Führte sie mich in das Bad, und strömt‘ aus dem dampfenden Kessel
Lieblichgemischtes Wasser mir über das Haupt und die Schultern,
Und entnahm den Gliedern die geistentkräftende Arbeit.
Als sie mich jetzo gebadet, und drauf mit Öle gesalbet,
365
Da umhüllte sie mir den prächtigen Mantel und Leibrock,
Und dann führte sie mich ins Gemach zum silberbeschlagnen
Schönen künstlichen Thron, mit füßestützendem Schemel.
Eine Dienerin trug in der schönen goldenen Kanne
Über dem silbernen Becken das Wasser, beströmte zum Waschen
370
Mir die Händ‘, und stellte vor mich die geglättete Tafel.
Und die ehrbare Schaffnerin kam, und tischte das Brot auf,
Und der Gerichte viel aus ihrem gesammelten Vorrat,
Und befahl mir zu essen. Doch meinem Herzen gefiel’s nicht;
Sondern ich saß zerstreut, und ahnete Böses im Herzen.
375
Kirke bemerkte mich jetzt, wie ich dasaß, ohne die Speise
Mit den Händen zu rühren, versunken in tiefe Schwermut;
Und sie nahte sich mir, und sprach die geflügelten Worte:
Warum sitzest du so wie ein Stummer am Tische, Odysseus,
Und zerquälst dein Herz, und rührest nicht Speise noch Trank an?
380
Ist dir noch bange vor Hinterlist? Du mußt dich nicht fürchten!
Denn ich habe dir’s ja mit hohem Eide geschworen!
Also sprach sie; und ich antwortete wieder, und sagte:
Kirke, welcher Mann, dem Recht und Billigkeit obliegt,
Hätte das Herz, sich eher mit Trank und Speise zu laben,
385
Eh‘ er die Freunde gerettet, und selbst mit Augen gesehen?
Darum, wenn du aus Freundschaft zum Essen und Trinken mich nötigst;
Gib sie frei, und zeige sie mir, die lieben Gefährten!
Also sprach ich. Sie ging, in der Hand die magische Rute,
Aus dem Gemach, und öffnete schnell die Türe des Kofens,
390
Und trieb jene heraus, in Gestalt neunjähriger Eber.
Alle stellten sich jetzt vor die mächtige Kirke, und diese
Ging umher, und bestrich jedweden mit heilendem Safte.
Siehe da sanken herab von den Gliedern die scheußlichen Borsten
Jenes vergifteten Tranks, den ihnen die Zauberin eingab.
395
Männer wurden sie schnell, und jüngere Männer, denn vormals,
Auch weit schönerer Bildung und weit erhabneres Wuchses.
Und sie erkannten mich gleich, und gaben mir alle die Hände;
Alle huben an, vor Freude zu weinen, daß ringsum
Laut die Wohnung erscholl. Es jammerte selber die Göttin.
400
Und sie nahte sich mir, die hehre Göttin, und sagte:
Edler Laertiad‘, erfindungsreicher Odysseus,
Gehe nun hin zu dem rüstigen Schiff‘ am Strande des Meeres;
Zieht vor allen Dingen das Schiff ans trockne Gestade,
Und verwahrt in den Höhlen die Güter und alle Geräte.
405
Dann komm eilig zurück, und bringe die lieben Gefährten.
Also sprach sie, und zwang mein edles Herz zum Gehorsam.
Eilend ging ich zum rüstigen Schiff am Strande des Meeres,
Und fand dort bei dem rüstigen Schiffe die lieben Gefährten,
Welche trostlos klagten, und häufige Tränen vergossen.
410
Wie wenn im Meierhofe die Kälber den Kühen der Herde,
Welche satt von der Weide zum nächtlichen Stalle zurückgehn,
Alle mit freudigen Sprüngen entgegen eilen; es halten
Keine Gehege sie mehr, sie umhüpfen mit lautem Geblöke
Ihre Mutter: so flogen die Freunde, sobald sie mich sahen,
415
Alle weinend heran; und ihnen war also zu Mute,
Als gelangten sie heim in Ithakas rauhe Gefilde
Und in die Vaterstadt, wo jeder geboren und groß ward.
Und sie jammerten laut mit diesen geflügelten Worten:
Göttlicher Mann, wir freun uns so herzlich deiner Zurückkunft,
420
Als gelangten wir jetzo in Ithakas heimische Fluren!
Aber wohlan! erzähl‘ uns der übrigen Freunde Verderben!
Also riefen sie aus; und ich antwortete freundlich:
Laßt uns vor allem das Schiff ans trockne Gestade hinaufziehn,
Und in den Höhlen die Güter und alle Geräte verwahren!
425
Und dann machet euch auf, mich allesamt zu begleiten,
Daß ihr unsere Freund‘ in Kirkes heiliger Wohnung
Essen und trinken seht; denn sie haben da volle Genüge!
Also sprach ich; und schnell gehorchten sie meinem Befehle.
Nur Eurylochos suchte die übrigen Freunde zu halten;
430
Und er redte sie an, und sprach die geflügelten Worte:
Arme, wo gehen wir hin? Welch heißes Verlangen nach Unglück
Treibt euch, in Kirkes Wohnung hinabzusteigen? Sie wird uns
Alle zusammen in Schwein‘, in Löwen und Wölfe verwandeln,
Und uns Verwandelte zwingen, ihr großes Haus zu bewachen!
435
Ebenso ging es auch dort den Freunden, die des Kyklopen
Felsengrotte besuchten, geführt von dem kühnen Odysseus!
Denn durch dessen Torheit verloren auch jene das Leben!
Also sprach er; und ich erwog den wankenden Vorsatz,
Mein geschliffenes Schwert von der nervichten Hüfte zu reißen,
440
Und sein Haupt, von dem Rumpfe getrennt, auf den Boden zu stürzen,
Ob er gleich nahe mit mir verwandt war. Aber die Freunde
Sprangen umher, und hielten mich ab mit flehenden Worten:
Göttlicher Held, wir lassen ihn hier, wenn du es befiehlest,
Bleiben an dem Gestad‘ um unser Schiff zu bewahren.
445
Aber führe du uns zu Kirkes heiliger Wohnung.
Also sprachen die Freunde, und gingen vom Strande des Meeres.
Auch Eurylochos blieb nicht bei dem gebogenen Schiffe,
Sondern folgte, geschreckt durch meine zürnende Drohung.
Aber der übrigen Freund‘ in der Wohnung hatte die Göttin
450
Sorgsam gepflegt, sie gebadet, mit duftendem Öle gesalbet,
Und mit schönen Gewanden, mit Rock und Mantel, bekleidet.
Und wir fanden sie jetzo im Saal beim fröhlichen Schmause.
Als sie einander gesehn, und sich nun alles erzählet;
Weinten und jammerten sie, daß rings die Wohnung ertönte.
455
Aber sie nahte sich mir, die hehre Göttin, und sagte:
Edler Laertiad‘, erfindungsreicher Odysseus!
Reget jetzo nicht mehr den unendlichen Jammer! Ich weiß ja,
Wie viel Elend ihr littet im fischdurchwimmelten Meere,
Und wie viel ihr zu Lande von feindlichen Männern erduldet.
460
Aber wohlan! eßt jetzo der Speis‘, und trinket des Weines,
Bis ihr so frischen Mut in eure Herzen gesammelt,
Als womit ihr zuerst der vaterländischen Insel
Rauhe Gefilde verließt! Nun seid ihr entkräftet und mutlos,
Und erinnert euch stets der mühsamen Irren, und niemals
465
Stärkt euch die Freude den Mut: ihr habt sehr vieles erlitten!
Also sprach sie, und zwang ihr edles Herz zum Gehorsam.
Und wir saßen ein ganzes Jahr von Tage zu Tage,
An der Fülle des Fleisches und süßen Weines uns labend.
Als nun endlich das Jahr von den kreisenden Horen erfüllt ward,
470
Und mit dem wechselnden Mond viel Tage waren verschwunden;
Da beriefen mich heimlich die lieben Gefährten, und sagten:
Unglückseliger, denke nun endlich des Vaterlandes;
Wenn dir das Schicksal bestimmt, lebendig wieder zu kehren
In den hohen Palast, und deiner Väter Gefilde.
475
Also bewegten die Freunde mein edles Herz zum Gehorsam.
Und wir saßen den ganzen Tag bis die Sonne sich neigte,
An der Fülle des Fleisches und süßen Weines uns labend.
Als die Sonne nun sank, und Dunkel die Erde bedeckte,
Legten sich meine Genossen im schattigen Hause zum Schlummer.
480
Und ich bestieg mit Kirke das köstlichbereitete Lager,
Faßt‘ ihr flehend die Knie‘; und die Göttin hörte mein Flehen.
Und ich redte sie an, und sprach die geflügelten Worte:
Kirke, erfülle mir jetzt das Gelübde, so du gelobtest,
Mich nach Hause zu senden! Mein Herz verlanget zur Heimat,
485
Und der übrigen Freunde, die rings mit Weinen und Klagen
Meine Seele bestürmen, sobald du den Rücken nur wendest.
Also sprach ich; mir gab die hehre Göttin zur Antwort:
Edler Laertiad‘, erfindungsreicher Odysseus.
Länger zwing‘ ich euch nicht, in meinem Hause zu bleiben.
490
Aber ihr müßt zuvor noch eine Reise vollenden,
Hin zu Aïdes‘ Reich und der strengen Persephoneia,
Um des thebäischen Greises Teiresias‘ Seele zu fragen,
Jenes blinden Propheten, mit ungeschwächtem Verstande.
Ihm gab Persephoneia im Tode selber Erkenntnis;
495
Und er allein ist weise: die andern sind flatternde Schatten.
Also sagte die Göttin; mir brach das Herz vor Betrübnis.
Weinend saß ich auf Kirkes Bett, und wünschte nicht länger,
Unter den Lebenden hier das Licht der Sonne zu schauen.
Als ich endlich mein Herz durch Weinen und Wälzen erleichtert;
500
Da antwortet‘ ich ihr, und sprach die geflügelten Worte:
Kirke, wer soll mich denn auf dieser Reise geleiten?
Noch kein Sterblicher fuhr im schwarzen Schiffe zu Aïs.
Also sprach ich; mir gab die hehre Göttin zur Antwort:
Edler Laertiad‘, erfindungsreicher Odysseus,
505
Kümmre dich nicht so sehr um einen Führer des Schiffes!
Sondern richte den Mast, und spanne die schimmernden Segel;
Dann sitz ruhig, indes der Hauch des Nordes dich hintreibt!
Aber bist du im Schiffe den Ocean jetzo durchsegelt,
Und an dem niedern Gestad‘ und den Hainen Persephoneiens,
510
Voll unfruchtbarer Weiden und hoher Erlen und Pappeln;
Lande dort mit dem Schiff‘ an des Oceans tiefem Gestrudel,
Und dann gehe du selber zu Aïdes dumpfer Behausung.
Wo in den Acheron sich der Pyriphlegethon stürzet,
Und der Strom Kokytos, ein Arm der stygischen Wasser,
515
An dem Fels, wo die zween lautbrausenden Ströme sich mischen;
Nahe bei diesem Orte gebiet‘ ich dir, edler Odysseus,
Eine Grube zu graben, von einer Ell‘ ins Gevierte.
Rings um die Grube geuß Sühnopfer für alle Toten:
Erst von Honig und Milch, von süßem Weine das zweite,
520
Und das dritte von Wasser, mit weißem Mehle bestreuet.
Dann gelobe flehend den Luftgebilden der Toten:
Wenn du gen Ithaka kommst, eine Kuh, unfruchtbar und fehllos,
In dem Palaste zu opfern, und köstliches Gut zu verbrennen,
Und für Teiresias noch besonders den stattlichsten Widder
525
Eurer ganzen Herde, von schwarzer Farbe, zu schlachten.
Hast du den herrlichen Scharen der Toten geflehet, dann opfre
Einen Bock und ein Schaf von ungezeichneter Schwärze,
Ihre Häupter gekehrt zum Erebos; aber du selber
Wende dein Antlitz zurück nach den Fluten des Stromes. Dann werden
530
Viele Seelen kommen der abgeschiedenen Toten.
Jetzo ermahn‘ und treib aufs äußerste deine Gefährten,
Beide liegenden Schafe, vom grausamen Erze getötet,
Abzuziehn, und ins Feuer zu werfen, und anzubeten
Aïdes schreckliche Macht und die strenge Persephoneia.
535
Aber du reiße schnell das geschliffene Schwert von der Hüfte,
Setze dich hin, und laß die Luftgebilde der Toten
Sich dem Blute nicht nahn, bevor du Teiresias ratfragst.
Und bald wird der Prophet herwandeln, o Führer der Völker,
Daß er dir weissage den Weg und die Mittel der Reise,
540
Und wie du heimgelangst auf dem fischdurchwimmelten Meere.
Also sprach sie; da kam die goldenthronende Eos.
Und sie bekleidete mich mit wollichtem Mantel und Leibrock;
Aber sich selber zog die Nymphe ihr Silbergewand an,
Lang, anmutig und fein; und schlang um die Hüfte den schönen
545
Goldgetriebenen Gürtel, und schmückte das Haupt mit dem Schleier.
Aber ich ging durch die Burg, und ermunterte meine Gefährten,
Trat zu jeglichem Mann, und sprach die freundlichen Worte:
Lieget nun nicht länger, vom süßen Schlummer umduftet!
Laßt uns reisen, denn schon ermahnt mich die göttliche Kirke!
550
Also sprach ich, und zwang ihr edles Herz zum Gehorsam.
Aber ich führt‘ auch von dannen nicht ohne Verlust die Gefährten.
Denn der Jüngste der Schar Elpenor, nicht eben besonders
Tapfer gegen den Feind, noch mit Verstande gesegnet,
Hatte sich heimlich beiseit‘ auf Kirkes heilige Wohnung,
555
Von der Hitze des Weins sich abzukühlen, gelagert.
Jetzo vernahm er den Lärm und das rege Getümmel der Freunde;
Plötzlich sprang er empor, und vergaß in seiner Betäubung,
Wieder hinab die Stufen der langen Treppe zu steigen;
Sondern er stürzte sich grade vom Dache hinunter; der Nacken
560
Brach aus seinem Gelenk, und die Seele fuhr in die Tiefe.
Zu der versammelten Schar der übrigen sprach ich im Gehen:
Freunde, ihr wähnt vielleicht, zur lieben heimischen Insel
Hinzugehn; doch Kirke gebeut eine andere Reise,
Hin zu Aïdes‘ Reich und der strengen Persephoneia,
565
Um des thebäischen Greises Teiresias‘ Seele zu fragen.
Als sie dieses vernommen, da brach ihr Herz vor Betrübnis;
Jammernd setzten sie sich in den Staub, und rauften ihr Haupthaar:
Aber sie konnten ja nichts mit ihrer Klage gewinnen.
Während wir nun zu dem rüstigen Schiff am Strande des Meeres
570
Herzlich bekümmert gingen, und viele Tränen vergießend;
Ging auch Kirke dahin, und band bei dem schwärzlichen Schiffe
Einen Bock und ein Schaf von ungezeichneter Schwärze,
Leicht uns vorüberschlüpfend. Denn welches Sterblichen Auge
Mag des Unsterblichen Gang, der sich verhüllet, entdecken?

Neunter Gesang

Neunter Gesang

Odysseus erzählt seine Irrfahrt von Troja. Siegende Kikonen. Bei Maleia Nordsturm, der ihn ins Unbekannte zu den Lotophagen verschlägt. Dorther zu den einäugigen Kyklopen verirrt, besucht er Poseidons Sohn Polyphemos, der sechs seiner Genossen frißt, dann, im Schlafe geblendet, den Fliehenden Felsstücke nachschleudert.

Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Weitgepriesener Held, Alkinoos, mächtigster König,
Wahrlich es füllt mit Wonne das Herz, dem Gesange zu horchen,
Wenn ein Sänger, wie dieser, die Töne der Himmlischen nachahmt.
5
Denn ich kenne gewiß kein angenehmeres Leben,
Als wenn ein ganzes Volk ein Fest der Freude begehet,
Und in den Häusern umher die gereiheten Gäste des Sängers
Melodieen horchen, und alle Tische bedeckt sind
Mit Gebacknem und Fleisch, und der Schenke den Wein aus dem Kelche
10
Fleißig schöpft, und ringsum die vollen Becher verteilet.
Siehe das nennet mein Herz die höchste Wonne des Lebens!
Jetzo gefällt es dir, nach meinen kläglichen Leiden
Mich zu fragen, damit ich noch mehr mein Elend beseufze.
Aber was soll ich zuerst, was soll ich zuletzt dir erzählen?
15
Denn viel Elend häuften auf mich die himmlischen Götter!
Sagen will ich zuerst, wie ich heiße: damit ihr mich kennet,
Und ich hinfort, so lange der grausame Tag mich verschonet,
Euer Gastfreund sei, so fern ich von hinnen auch wohne.
Ich hin Odysseus, Laertes Sohn, durch mancherlei Klugheit
20
Unter den Menschen bekannt; und mein Ruhm erreichet den Himmel.
Ithakas sonnige Höhn sind meine Heimat; in dieser
Türmet sich Neritons Haupt mit rauschenden Wipfeln; und ringsum
Dicht aneinander gesät, sind viele bevölkerte Inseln,
Same, Dulichion und die waldbewachsne Zakynthos.
25
Ithaka liegt in der See am höchsten hinauf an die Feste,
Gegen den Nord; die andern sind östlich und südlich entfernet.
Rauh ist diese, doch nähret sie rüstige Männer; und wahrlich
Süßer als Vaterland ist nichts auf Erden zu finden!
Siehe mich hielt bei sich die hehre Göttin Kalypso
30
In der gewölbeten Grotte, und wünschte mich zum Gemahle;
Ebenso hielt mich auch die ääische Zauberin Kirke
Trüglich in ihrem Palast, und wünschte mich zum Gemahle:
Aber keiner gelang es, mein standhaftes Herz zu bewegen.
Denn nichts ist doch süßer, als unsere Heimat und Eltern,
35
Wenn man auch in der Fern‘ ein Haus voll köstlicher Güter,
Unter fremden Leuten, getrennt von den Seinen, bewohnet!
Aber wohlan! vernimm itzt meine traurige Heimfahrt,
Die mir der Donnerer Zeus vom troischen Ufer beschieden.
Gleich von Ilion trieb mich der Wind zur Stadt der Kikonen
40
Ismaros hin. Da verheert‘ ich die Stadt, und würgte die Männer.
Aber die jungen Weiber und Schätze teilten wir alle
Unter uns gleich, daß keiner leer von der Beute mir ausging.
Jetzo warnet‘ ich zwar die Freunde, mit eilendem Fuße
Weiter zu fliehn; allein die Unbesonnenen blieben.
45
Und nun ward in dem Weine geschwelgt, viel Ziegen und Schafe
An dem Ufer geschlachtet, und viel schwerwandelndes Hornvieh.
Aber es riefen indes die zerstreuten Kikonen die andern
Nahen Kikonen zu Hilfe, die tapferer waren und stärker,
Aus der Mitte des Landes. Sie waren geübt, von den Wagen,
50
Und wenn es nötig war, zu Fuß mit dem Feinde zu kämpfen.
Zahllos schwärmten sie jetzt, wie die Blätter und Blumen des Frühlings,
Mit dem Morgen daher. Da suchte Gottes Verderben
Uns Unglückliche heim, und überhäuft‘ uns mit Jammer.
Bei den rüstigen Schiffen begann die wütende Feldschlacht,
55
Und von Treffen zu Treffen entschwirrten die ehernen Lanzen.
Weil der heilige Tag noch mit dem Morgen emporstieg,
Wehrten wir uns, und trotzten der Übermacht der Kikonen.
Aber da nun die Sonne zur Stunde des Stierabspannens
Sank, da siegte der Feind, und zwang die Achaier zum Weichen.
60
Jedes der Schiffe verlor sechs wohlgeharnischte Männer;
Und wir andern entflohn dem schrecklichen Todesverhängnis.
Also steuerten wir mit trauriger Seele von dannen,
Froh der bestandnen Gefahr, doch ohne die lieben Gefährten.
Doch nicht eher enteilten die gleichgeruderten Schiffe,
65
Ehe wir dreimal jedem der armen Freunde gerufen,
Welche der siegende Feind auf dem Schlachtgefilde getötet.
Aber nun sandt‘ auf die Schiffe der Wolkenversammler des Nordwinds
Fürchterlich heulenden Sturm, verhüllt in dicke Gewölke
Meer und Erde zugleich; und dem düstern Himmel entsank Nacht.
70
Schnell mit gesunkenen Masten entflohen die Schiff‘; und mit einmal
Rasselte rauschend der Sturm, und zerriß die flatternden Segel.
Eilend zogen wir sie, aus Furcht zu scheitern, herunter,
Und arbeiteten uns mit dem Ruder ans nahe Gestade.
Zwo graunvolle Nächte und zween langwierige Tage
75
Lagen wir mutlos dort, von Arbeit und Kummer entkräftet.
Aber da nun die dritte der Morgenröten emporstieg,
Richteten wir die Masten, und spannten die schimmernden Segel,
Setzten uns hin, und ließen vom Wind‘ und Steuer uns lenken.
Jetzo hofften wir sicher den Tag der fröhlichen Heimkehr.
80
Aber als wir die Schiff um Maleia lenkten, da warf uns
Plötzlich die Flut und der Strom und der Nordwind fern von Kythera.
Und neun Tage trieb ich, von wütenden Stürmen geschleudert,
Über das fischdurchwimmelte Meer; am zehnten gelangt‘ ich
Hin zu den Lotophagen, die blühende Speise genießen.
85
Allda stiegen wir an das Gestad‘, und schöpften uns Wasser.
Eilend nahmen die Freunde das Mahl bei den rüstigen Schiffen.
Und nachdem wir uns alle mit Trank und Speise gesättigt,
Sandt‘ ich einige Männer voran, das Land zu erkunden,
Was für Sterbliche dort die Frucht des Halmes genössen:
90
Zween erlesene Freund‘; ein Herold war ihr Begleiter.
Und sie erreichten bald der Lotophagen Versammlung.
Aber die Lotophagen beleidigten nicht im geringsten
Unsere Freunde; sie gaben den Fremdlingen Lotos zu kosten.
Wer nun die Honigsüße der Lotosfrüchte gekostet,
95
Dieser dachte nicht mehr an Kundschaft oder an Heimkehr:
Sondern sie wollten stets in der Lotophagen Gesellschaft
Bleiben, und Lotos pflücken, und ihrer Heimat entsagen.
Aber ich zog mit Gewalt die Weinenden wieder ans Ufer,
Warf sie unter die Bänke der Schiff, und band sie mit Seilen.
100
Drauf befahl ich und trieb die übrigen lieben Gefährten,
Eilend von dannen zu fliehn, und sich in die Schiffe zu retten,
Daß man nicht, vom Lotos gereizt, der Heimat vergäße.
Und sie traten ins Schiff, und setzten sich hin auf die Bänke,
Saßen in Reihn, und schlugen die graue Woge mit Rudern.
105
Also steuerten wir mit traurigen Seele von dannen.
Und zum Lande der wilden gesetzelosen Kyklopen
Kamen wir jetzt, der Riesen, die im Vertraun auf die Götter
Nimmer pflanzen noch sä’n, und nimmer die Erde beackern.
Ohne Samen und Pfleg‘ einkeimen alle Gewächse,
110
Weizen und Gerste dem Boden, und edle Reben, die tragen
Wein in geschwollenen Trauben, und Gottes Regen ernährt ihn.
Dort ist weder Gesetz, noch öffentliche Versammlung;
Sondern sie wohnen all‘ auf den Häuptern hoher Gebirge
In gehöhleten Felsen, und jeder richtet nach Willkür
115
Seine Kinder und Weiber, und kümmert sich nicht um den andern.
Gegenüber der Bucht des Kyklopenlandes erstreckt sich,
Weder nahe noch fern, ein kleines waldichtes Eiland,
Welches unzählige Scharen von wilden Ziegen durchstreifen.
Denn kein menschlicher Fuß durchdringt die verwachsene Wildnis;
120
Und nie scheuchet sie dort ein spürender Jäger, der mühsam
Sich durch den Forst arbeitet, und steile Felsen umklettert.
Nirgends weidet ein Hirt, und nirgends ackert ein Pflüger;
Unbesäet liegt und unbeackert das Eiland
Ewig menschenleer, und nähret nur meckernde Ziegen.
125
Denn es gebricht den Kyklopen an rotgeschnäbelten Schiffen,
Auch ist unter dem Schwarm kein Meister, kundig des Schiffbaus,
Schöngebordete Schiffe zu zimmern, daß sie mit Botschaft
Zu den Völkern der Welt hinwandelten: wie sich so häufig
Menschen über das Meer in Schiffen einander besuchen;
130
Welche die Wildnis bald zu blühenden Auen sich schüfen.
Denn nicht karg ist das Land, und schmückte jegliche Jahrszeit.
Längs des grauen Meeres Gestade winden sich Wiesen,
Reich an Quellen und Klee. Dort rankten die edelsten Reben;
Und leicht pflügte der Pflug, und dicke Saatengefilde
135
Reiften jährlich der Ernte; denn fett ist unten der Boden.
Und der Hafen so sicher! Kein Schiff bedarf da der Fessel,
Weder geworfener Anker, noch angebundener Seile;
Sondern es läuft auf den Sand, und ruhet, bis es dem Schiffer
Weiter zu fahren beliebt, und günstige Winde sich heben.
140
Oben am Ende der Bucht entrieselt der felsichten Grotte
Silberblinkend ein Quell, von Pappelweiden umschattet.
Allda landeten wir. Ein Gott war unser Geleiter
Durch die finstere Nacht: wir sahn nicht, wohin wir uns wandten.
Dickes Dunkel umdrängte die Schiff‘; es leuchtet‘ am Himmel
145
Weder Mond noch Stern, in schwarze Wolken gehüllet.
Niemand erblickte daher mit seinen Augen die Insel;
Selbst die langen Wogen, die hin ans Ufer sich wälzten,
Sahen wir nicht, bevor die starken Schiffe gelandet.
Und nachdem wir gelandet, da zogen wir nieder die Segel,
150
Stiegen dann aus den Schiffen ans krumme Gestade des Meeres,
Schlummerten dort ein wenig, und harrten der heiligen Frühe.
Als die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte,
Wanderten wir umher, und besahen wundernd das Eiland.
Und es trieben die Nymphen, Kronions liebliche Töchter,
155
Kletternde Ziegen uns hin, zum Schmause meiner Gefährten.
Eilend holten wir Bogen und langgeschaftete Spieße
Aus den Schiffen hervor, und in drei Geschwader geordnet
Schossen wir frisch; und Gott erfreut‘ uns mit reichlichem Wildbret.
Zwölf war die Zahl der Schiffe, die mir gehorchten; und jedem
160
Teilte das Los neun Ziegen, und zehn erlas ich mir selber.
Also saßen wir dort den Tag, bis die Sonne sich neigte,
An der Fülle des Fleisches und süßen Weines uns labend.
Denn noch war in den Schiffen der rote Wein nicht versieget,
Sondern wir hatten genung; denn reichlich schöpften wir alle
165
In die Eimer, da wir die Stadt der Kikonen beraubten.
Und wir sahen den Rauch des Kyklopenlandes, und hörten
Ihre murmelnde Stimm‘, und die Stimme der Ziegen und Schafe.
Als die Sonne nun sank, und Dunkel die Erde bedeckte,
Legten wir uns zum Schlummer am Strande des rauschenden Meeres.
170
Als die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte,
Rief ich alle Gefährten zur Ratsversammlung, und sagte:
Bleibt ihr übrigen jetzt, ihr meine lieben Gefährten.
Ich und meine Genossen wollen im Schiffe hinüber
Fahren, und Kundschaft holen, was dort für Sterbliche wohnen:
175
Ob unmenschliche Räuber, und sittenlose Barbaren;
Oder Diener der Götter, und Freunde des heiligen Gastrechts.
Also sprach ich, und trat ins Schiff, und befahl den Gefährten,
Einzusteigen, und schnell die Seile vom Ufer zu lösen.
Und sie traten ins Schiff, und setzten sich hin auf die Bänke,
180
Saßen in Reihn und schlugen die graue Woge mit Rudern.
Als wir das nahe Gestad‘ erreichten, sahn wir von ferne
Eine Felsenhöhl‘ am Meer in der Spitze des Landes,
Hochgewölbt und umschattet mit Lorbeerbäumen. Hier pflegten
Viele Ziegen und Schafe des Nachts zu ruhen; und ringsum
185
War ein hohes Gehege von Felsenstücken gebauet,
Von erhobenen Fichten und himmelanwehenden Eichen.
Allda wohnt‘ auch ein Mann von Riesengröße, der einsam
Stets auf entlegene Weiden sie trieb, und nimmer mit andern
Umging, sondern für sich auf arge Tücke bedacht war.
190
Gräßlich gestaltet war das Ungeheuer, wie keiner,
Welchen der Halm ernährt: er glich dem waldichten Gipfel
Hoher Kettengebirge, der einsam vor allen emporsteigt.
Eilend befahl ich jetzo den übrigen lieben Gefährten,
An dem Gestade zu bleiben, und unser Schiff zu bewahren;
195
Und ging selber mit zwölf der Tapfersten, die ich mir auskor,
Einen ziegenledernen Schlauch auf der Achsel, voll schwarzes
Süßes Weines, den mir einst Maron, der Sohn Euanthes,
Schenkte, der Priester Apollons, der über Ismaros waltet.
Diesen verschoneten wir, und seine Kinder und Gattin,
200
Ehrfurchtsvoll; denn er wohnete dort in Phöbos Apollons
Heiligem Schattenhain. Drum schenkt‘ er mir köstliche Gaben:
Schenkte mir sieben Talente des schöngebildeten Goldes;
Schenkte mir einen Kelch von lauterem Silber; und endlich
Schöpft‘ er mir dieses Weines in zwölf gehenkelte Krüge:
205
Süß und unverfälscht, ein Göttergetränk! Auch wußte
Keiner der Knecht‘ im Hause darum, und keine der Mägde;
Nur er selbst, und sein Weib, und die einzige Schaffnerin wußten’s.
Gab er ihn preis, dann füllt‘ er des süßen funkelnden Weines
Einen Becher, und goß ihn in zwanzig Becher voll Wasser
210
Und den schäumenden Kelch umhauchten balsamische Düfte,
Göttlicher Kraft: da war es gewiß nicht Freude zu dursten!
Hiermit füllt‘ ich den großen Schlauch, den Ranzen mit Speise;
Denn mir ahnete schon im Heldengeiste, wir würden
Einen Mann besuchen, mit großer Stärke gerüstet,
215
Grausam und ungerecht, und durch keine Gesetze gebändigt.
Eilig wanderten wir zur Höhl‘ und fanden den Riesen
Nicht daheim; er weidete schon auf der Weide die Herden.
Und wir gingen hinein, und besahen wundernd die Höhle.
Alle Körbe strotzten von Käse; Lämmer und Zicklein
220
Drängeten sich in den Ställen, und jede waren besonders
Eingesperrt: die Frühling‘ allein, allein auch die Mittlern,
Und die zarten Spätling‘ allein. Es schwammen in Molken
Alle Gefäße, die Wannen und Eimer, worinnen er melkte.
Anfangs baten mich zwar die Freunde mit dringenden Worten,
225
Nur von den Käsen zu nehmen, und wegzuschleichen; dann wieder,
Hurtig zu unserm Schiff‘ aus den Ställen die Lämmer und Zicklein
Wegzutreiben, und über die salzigen Fluten zu steuern.
Aber ich hörete nicht; (ach, besser hätt‘ ich gehöret!)
Um ihn selber zu sehn, und seiner Bewirtung zu harren:
230
Ach für meine Gefährten ein unerfreulicher Anblick!
Und wir zündeten Feuer, und opferten; nahmen dann selber
Von den Käsen und aßen, und setzten uns voller Erwartung,
Bis er kam mit der Herd‘. Er trug eine mächtige Ladung
Trockenes Scheiterholz, das er zum Mahle gespaltet.
235
Und in der Höhle stürzt‘ er es hin; da krachte der Felsen;
Und wir erschraken, und flohn in den innersten Winkel der Höhle.
Aber er trieb in die Kluft die fetten Ziegen und Schafe
Alle zur Melke herein; die Widder und bärtigen Böcke
Ließ er draußen zurück, im hochummaurten Gehege.
240
Hochauf schwenkt‘ er und setzte das große Spund vor den Eingang:
Fürchterlich groß! die Gespanne von zweiundzwanzig starken
Und vierrädrigen Wagen, sie schleppten ihn nicht von der Stelle,
Jenen gewaltigen Fels, den das Ungeheuer emporhub.
Jetzo saß er, und melkte die Schaf‘ und meckernden Ziegen
245
Nach der Ordnung, und legte den Müttern die Säugling‘ ans Euter;
Ließ von der weißen Milch die Hälfte gerinnen, und setzte
Sie zum Trocknen hinweg in dichtgeflochtenen Körben;
Und die andere Hälfte verwahrt‘ er in weiten Gefäßen,
Daß er beim Abendschmause den Durst mit dem Tranke sich löschte.
250
Und nachdem er seine Geschäft‘ in Eile verrichtet,
Zündet‘ er Feuer an, und sah uns stehen, und fragte:
Fremdlinge, sagt, wer seid ihr? Von wannen trägt euch die Woge?
Habt ihr wo ein Gewerb‘, oder schweift ihr ohne Bestimmung
Hin und her auf der See: wie küstenumirrende Räuber,
255
Die ihr Leben verachten, um fremden Völkern zu schaden?
Also sprach der Kyklop. Uns brach das Herz vor Entsetzen
Über das rauhe Gebrüll, und das scheußliche Ungeheuer.
Dennoch ermannt‘ ich mich, und gab ihm dieses zur Antwort:
Griechen sind wir, und kommen von Trojas fernem Gestade,
260
Über das große Meer von mancherlei Stürmen geschleudert,
Als wir ins Vaterland hinsteuerten: andere Fahrten,
Andere Bahnen verhängt‘ uns Kronions waltende Vorsicht!
Siehe wir preisen uns Völker von Atreus‘ Sohn Agamemnon,
Welchen der größte Ruhm itzt unter dem Himmel verherrlicht,
265
Weil er die mächtige Stadt und so viele Völker vertilgt hat!
Jetzo fallen wir dir zu Füßen, und flehen in Demut:
Reich‘ uns eine geringe Bewirtung, oder ein andres
Kleines Geschenk, wie man gewöhnlich den Fremdlingen anbeut!
Scheue doch, Bester, die Götter! Wir Armen flehn dir um Hilfe!
270
Und ein Rächer ist Zeus den hilfeflehenden Fremden,
Zeus der Gastliche, welcher die heiligen Gäste geleitet!
Also sprach ich; und drauf versetzte der grausame Wütrich:
Fremdling, du bist ein Narr, oder kommst auch ferne von hinnen!
Mir befiehlst du, die Götter zu fürchten, die Götter zu ehren?
275
Wir Kyklopen kümmern uns nicht um den König des Himmels,
Noch um die seligen Götter; denn wir sind besser, als jene!
Nimmer verschon‘ ich euer aus Furcht vor der Rache Kronions,
Dein und deiner Gesellen, wofern es mir selbst nicht gelüstet!
Sage mir an: wo bist du mit deinem Schiffe gelandet?
280
Irgendwo in der Fern‘, oder nahe? damit ich es wisse!
Also sprach er voll Tück‘; allein ich kannte dergleichen.
Eilend erwidert‘ ich ihm die schlauersonnenen Worte:
Ach mein Schiff hat der Erderschütterer Poseidaon
Mir an den Klippen zerschmettert, indem er ans schroffe Gestade
285
Eures Landes es warf, und der Sturm aus dem Meer es verfolgte!
Ich nur und diese Gefährten entflohn dem Schreckenverhängnis!
Also sprach ich; und nichts versetzte der grausame Wütrich!
Sondern fuhr auf, und streckte nach meinen Gefährten die Händ‘ aus,
Deren er zween anpackt‘, und wie junge Hund‘ auf den Boden
290
Schmetterte: blutig entspritzt‘ ihr Gehirn, und netzte den Boden.
Dann zerstückt‘ er sie Glied für Glied, und tischte den Schmaus auf,
Schluckte darein, wie ein Leu des Felsengebirgs, und verschmähte
Weder Eingeweide, noch Fleisch, noch die markichten Knochen.
Weinend erhuben wir die Hände zum Vater Kronion,
295
Als wir den Jammer sahn, und starres Entsetzen ergriff uns.
Doch kaum hatte der Riese den großen Wanst sich gestopfet
Mit dem Fraße von Menschenfleisch und dem lauteren Milchtrunk;
Siehe da lag er im Fels weithingestreckt bei dem Viehe.
Jetzo stieg der Gedank‘ in meine zürnende Seele:
300
Näher zu gehn, das geschliffene Schwert von der Hüfte zu reißen,
Und ihm die Brust zu durchgraben, wo Zwerchfell und Leber sich treffen,
Mit nachbohrender Faust; doch ein andrer Gedanke verdrängt‘ ihn.
Denn so hätt‘ ich uns selbst dem schrecklichen Tode geopfert:
Unsere Hände vermochten ja nicht von der hohen Pforte
305
Abzuwälzen den mächtigen Fels, den der Riese davorschob.
Drum erwarteten wir mit Seufzen die heilige Frühe.
Als die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte,
Zündet‘ er Feuer an, und melkte die Ziegen und Schafe
Nach der Ordnung, und legte den Müttern die Säugling‘ ans Euter.
310
Und nachdem er seine Geschäft‘ in Eile verrichtet,
Packt‘ er abermal Zween, und tischte die Stücke zum Schmaus auf.
Nach dem Frühstück trieb er die feiste Herd‘ aus der Höhle.
Spielend enthob er die Last des großen Spundes, und spielend
Setzt‘ er sie vor, als setzt‘ er auf seinen Köcher den Deckel.
315
Und nun trieb der Kyklop mit gellendem Pfeifen die Herde
Auf das Gebirg‘. Ich blieb in der Höhle mit tausend Entwürfen,
Rache zu üben, wenn mir Athene Hilfe gewährte.
Aber von allen Entwürfen gefiel mir dieser am besten.
Neben dem Stalle lag des Kyklopen gewaltige Keule,
320
Grün, aus Olivenholze gehaun. Zum künftigen Stabe
Dorrte sie hier an der Wand, und kam uns vor nach dem Ansehn,
Wie der ragende Mast des zwanzigrudrichten Lastschiffs,
Welches mit breitem Bauch auf dem großen Wasser dahinfährt:
Diesem schien sie an Läng‘, und diesem an Dicke zu gleichen.
325
Und ich haute davon, soviel die Klafter umspannet,
Reichte meinen Gefährten den Pfahl, und hieß ihn mir glätten;
Und sie schabten ihn glatt. Ich selber schärfte die Spitze
Oben, und härtete sie in der lodernden Flamme des Feuers,
Drauf verbarg ich den Knittel bedachtsam unter dem Miste,
330
Welcher dick und breit durch die ganze Höhle gesät war.
Jetzo befahl ich den andern, durchs heilige Los zu entscheiden,
Wer sich wagen sollte, mit mir den gehobenen Knittel
Jenem ins Auge zu drehn, sobald ihn der Schlummer befiele.
Und es traf gerade das Los, die ich heimlich mir wünschte,
335
Vier von meinen Gefährten; ich selbst war der fünfte mit ihnen.
Und am Abende kam er mit seiner gemästeten Herde,
Und trieb schnell in die weite Kluft die Ziegen und Schafe,
Mütter und Böcke zugleich, und ließ nichts draußen im Vorhof:
Weil er etwas besorgt‘, oder Gott es also geordnet.
340
Hochauf schwenkt‘ er und setzte das große Spund vor den Eingang.
Und nun saß er, und melkte die Schaf‘ und meckernden Ziegen
Nach der Ordnung, und legte den Müttern die Säugling‘ ans Euter.
Und nachdem er seine Geschäft‘ in Eile verrichtet,
Packt‘ er abermal Zween, und tischte die Stücke zum Schmaus auf.
345
Jetzo trat ich näher, und sagte zu dem Kyklopen,
Einen hölzernen Becher voll schwarzes Weines in Händen:
Nimm, Kyklop, und trink eins; auf Menschenfleisch ist der Wein gut!
Daß du doch lernst, welch ein Trunk in unserem Schiffe ruhte!
Diesen rettet‘ ich dir zum Opfer, damit du erbarmend
350
Heim mich sendetest. Aber du wütest ja ganz unerträglich!
Böser Mann, wer wird dich hinfort von den Erdebewohnern
Wieder besuchen wollen? Du hast nicht billig gehandelt!
Also sprach ich. Er nahm und trank, und schmeckte gewaltig
Nach dem süßen Getränk‘, und bat noch einmal zu füllen:
355
Lieber, schenk mir noch eins, und sage mir gleich, wie du heißest;
Daß ich dich wieder bewirt‘, und deine Seele sich labe!
Wiß, auch uns Kyklopen gebiert die fruchtbare Erde
Wein in geschwollenen Trauben, und Gottes Regen ernährt ihn.
Aber der ist ein Saft von Ambrosia oder von Nektar!
360
Also sprach er; ich bracht‘ ihm von neuem des funkelnden Weines.
Dreimal schenkt‘ ich ihm voll, und dreimal leerte der Dumme.
Aber da jetzo der geistige Trank in das Hirn des Kyklopen
Stieg; da schmeichelt‘ ich ihm mit glatten Worten, und sagte:
Meinen berühmten Namen, Kyklop? Du sollst ihn erfahren.
365
Aber vergiß mir auch nicht die Bewirtung, die du verhießest!
Niemand ist mein Name; denn Niemand nennen mich alle,
Meine Mutter, mein Vater, und alle meine Gesellen.
Also sprach ich; und drauf versetzte der grausame Wütrich:
Niemand will ich zuletzt nach seinen Gesellen verzehren;
370
Alle die andern zuvor! Dies sei die verheißne Bewirtung!
Sprach’s, und streckte sich hin, fiel rücklings, und lag mit gesenktem
Feistem Nacken im Staub; und der allgewaltige Schlummer
Überwältiget‘ ihn: dem Rachen entstürzten mit Weine
Stücke von Menschenfleisch, die der schnarchende Trunkenbold ausbrach.
375
Und nun hielt ich die Spitze des Knittels in glimmende Asche,
Bis sie Feuer fing, und stärkte mit herzhaften Worten
Meine Gefährten, daß keiner sich feig‘ im Winkel verkröche.
Aber da eben jetzo der Ölbaumknittel im Feuer
Drohte zu brennen, so grün er auch war, und fürchterlich glühte;
380
Zog ich ihn eilend zurück aus dem Feuer, und meine Gefährten
Standen um mich; und ein Himmlischer haucht‘ uns Mut in die Seele.
Und sie faßten den spitzen Olivenknittel, und stießen
Ihn dem Kyklopen ins Aug‘, und ich, in die Höhe mich reckend,
Drehete. Wie wenn ein Mann, den Bohrer lenkend, ein Schiffholz
385
Bohrt; die Unteren ziehn an beiden Enden des Riemens,
Wirbeln ihn hin und her; und er flieget in dringender Eile:
Also hielten auch wir in das Auge den glühenden Knittel,
Drehten, und heißes Blut umquoll die dringende Spitze.
Alle Wimpern und Augenborsten versengte die Lohe
390
Seines entflammten Sterns; es prasselten brennend die Wurzeln.
Wie wenn ein kluger Schmied die Holzaxt oder das Schlichtbeil
Aus der Ess‘ in den kühlenden Trog, der sprudelnd emporbraust,
Wirft und härtet; denn dieses ersetzt die Kräfte des Eisens:
Also zischte das Aug‘ um die feurige Spitze des Ölbrands.
395
Fürchterlich heult‘ er auf, daß rings die dumpfige Kluft scholl.
Und wir erschraken und flohn in den innersten Winkel. Doch jener
Riß aus dem Auge den Knittel, mit vielem Blute besudelt,
Schleudert‘ ihn ferne von dannen mit ungebärdigem Grimme;
Und nun ruft er mit Zetergebrüll den andern Kyklopen,
400
Welche ringsum die Klüfte des stürmischen Felsen bewohnten.
Und sie vernehmen das Brüllen, und drängten sich dorther und daher,
Standen rund um die Höhl‘, und fragten, was ihn betrübte:
Was geschah dir für Leid, Polyphemos, daß du so brülltest
Durch die ambrosische Nacht, und uns vom Schlummer erwecktest?
405
Raubt der Sterblichen einer dir deine Ziegen und Schafe?
Oder würgt man dich selbst, arglistig oder gewaltsam?
Ihnen erwiderte drauf aus der Felsenkluft Polyphemos:
Niemand würgt mich, ihr Freund‘, arglistig! und keiner gewaltsam!
Drauf antworteten sie, und schrien die geflügelten Worte:
410
Wenn dir denn keiner Gewalt antut in der einsamen Höhle;
Gegen Schmerzen, die Zeus dir schickt, ist kein anderes Mittel:
Flehe zu deinem Vater, dem Meerbeherrscher Poseidon!
Also schrien sie, und gingen. Mir lachte die Seele vor Freude,
Daß sie mein falscher Name getäuscht und mein trefflicher Einfall.
415
Aber ächzend vor Qual, mit jammervollem Gewinsel
Tappte der blinde Kyklop, und nahm den Stein von der Pforte,
Setzte sich dann in die Pforte, mit ausgebreiteten Händen,
Tastend, ob nicht vielleicht mit den Schafen einer entwischte.
So einfältig hielt mich in seinem Herzen der Riese.
420
Aber ich sann umher, das sicherste Mittel zu finden,
Wie ich meine Gefährten und mich von dem schrecklichen Tode
Rettete. Tausend Entwürf‘ und Listen wurden ersonnen;
Denn es galt das Leben; und fürchterlich drang die Entscheidung!
Doch von allen Entwürfen gefiel mir dieser am besten.
425
Seine Widder waren sehr feist, dickbuschichter Vliese,
Groß und stattlich von Wuchs, mit brauner Wolle bekleidet.
Diese band ich geheim mit schwanken Ruten zusammen,
Wo der Kyklop auf schlief, das gottlose Ungeheuer!
Drei und drei: der mittelste Bock trug einen der Männer,
430
Und zween gingen beiher, und schirmten meine Gefährten.
Also trugen jeglichen Mann drei Widder. Ich selber
Wählte mir einen Bock, den trefflichsten unter der Herde.
Diesen ergriff ich schnell beim Rücken, wälzte mich nieder
Unter den wollichten Bauch, und lag mit duldendem Herzen,
435
Beide Hände fest im Gekräusel der Flocken verwickelt.
Also erwarteten wir mit Seufzen die heilige Frühe.
Als die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte,
Eilten die Männer der Herde mit Ungestüm auf die Weide.
Aber es blökten am Stalle die ungemelkten Mütter;
440
Denn die Euter strotzten von Milch. Der grausame Wütrich
Saß von Schmerzen gefoltert, und tastete sorgsam die Rücken
Aller steigenden Widder, und ahnete nicht in der Dummheit,
Daß ich sie unter die Brust der wollichten Böcke gebunden.
Langsam folgte nun der übrigen Herde mein Widder,
445
Schwerbeladen mit Wolle, und mir, der mancherlei dachte.
Streichelnd betastet‘ auch ihn das Ungeheuer, und sagte:
Süßes Böckchen, wie geht’s? Du kommst zuletzt aus der Höhle?
Ei du pflegst mir ja sonst nicht hinter der Herde zu bleiben!
Trabst ja so hurtig voran, und pflückst dir zuerst auf der Weide
450
Gräschen und Blümelein; eilst auch zuerst in die Wellen der Flüsse;
Trachtest auch immer zuerst in den Stall zu kommen des Abends!
Nun der letzte von allen? Ach geht dir etwa das Auge
Deines Herren so nach? Der Bösewicht hat mir’s entrissen,
Er samt seinem Gesindel, indem er mit Wein mich berauschte,
455
Niemand! Ich mein‘, er ist mir noch nicht dem Verderben entronnen!
Hättest du nur Gedanken wie ich, und verstündest die Sprache;
Daß du mir sagtest, wo jener vor meiner Stärke sich hinbirgt!
Ha! auf den Boden geschmettert, wie sollte sein Hirn durch die Höhle
Hiehin und dahin zerspritzen! Wie würde mein Herz von dem Jammer
460
Sich erlaben, den mir der Taugenicht machte, der Niemand!
Also sprach er, und ließ den Widder von sich hinausgehn.
Als wir uns von der Höhl‘ und dem Hof‘ ein wenig entfernet,
Macht‘ ich zuerst vom Widder mich los, und löste die andern.
Eilend trieben wir jetzo die wohlgemästeten großen
465
Hochgeschenkelten Böcke durch mancherlei Krümmen zum Schiffe.
Und mit herzlicher Freud‘ empfingen die lieben Gefährten
Uns Entflohne des Todes, und klagten schluchzend die andern.
Aber ich ließ es nicht zu; ich deutete jedem mit Blicken,
Nicht zu weinen; befahl dann, die schöne wollichte Herde
470
Hurtig ins Schiff zu werfen, und über die Wogen zu steuern.
Und sie traten ins Schiff, und setzten sich hin auf die Bänke.
Saßen in Reihn, und schlugen die graue Woge mit Rudern.
Als ich so weit nun war, wie die Stimme des Rufenden schallet,
Da begann ich, und rief dem Kyklopen mit schmähenden Worten:
475
Ha, Kyklope, so recht! Nicht eines Feigen Gefährten
Hast du, wütiger Ries‘, in der dunkeln Höhle gefressen!
Lange hattest du das mit deinen Sünden verschuldet!
Grausamer, weil du die Gäste nicht scheutest in deiner Behausung
Aufzuschlucken; drum strafte dich Zeus und die übrigen Götter!
480
Also rief ich. Noch wütender tobte der blinde Kyklope,
Riß herunter und warf den Gipfel des hohen Gebirges.
Aber er fiel jenseits des blaugeschnäbelten Schiffes
Nieder, und wenig gefehlt, so traf er die Spitze des Steuers.
Hochauf wogte das Meer von dem stürzenden Felsen, und plötzlich
485
Raffte mit Ungestüm der strudelnde Schwall der Gewässer,
Landwärts flutend, das Schiff, und warf es zurück an das Ufer.
Aber ich nahm mit den Händen geschwind eine mächtige Stange,
Stieß es vom Land‘, und trieb und ermahnete meine Gefährten,
Hurtig die Ruder zu regen, daß wir dem Verderben entrönnen,
490
Deutend und nickend; sie flogen ans Werk, und ruderten keuchend.
Als wir nun doppelt so weit in das hohe Meer uns gerettet,
Siehe da rief ich von neuem dem Wüterich. Aber die Freunde
Sprangen umher, und schweigten mich alle mit freundlichen Worten:
Waghals! willst du noch mehr den grausamen Riesen erbittern,
495
Welcher mit seinem Geschoß in die See hinspielet, und eben
Wieder ans Ufer uns warf, wo Tod und Verderben uns drohte?
Hätt‘ er von dir nur ein Wort, nur deine Stimme vernommen;
Wahrlich mit einem geschleuderten Fels hätt‘ er unsere Schädel
Samt den Balken des Schiffes zerschellt! Er versteht sich aufs Schleudern!
500
Aber sie strebten umsonst, mein edles Herz zu bewegen.
Und ich rief dem Kyklopen von neuem mit zürnender Seele:
Hör, Kyklope! Sollte dich einst von den sterblichen Menschen
Jemand fragen, wer dir dein Auge so schändlich geblendet;
Sag‘ ihm: Odysseus, der Sohn Laertes, der Städteverwüster,
505
Der in Ithaka wohnt, der hat mein Auge geblendet!
Also rief ich ihm zu; und heulend gab er zur Antwort:
Weh mir! es trifft mich jetzo ein längstverkündetes Schicksal!
Hier war einst ein Prophet, ein Mann von Schönheit und Größe,
Telemos, Eurymos‘ Sohn, bekannt mit den Zeichen der Zukunft,
510
Und bis ins Alter beschäftigt, sie uns Kyklopen zu deuten;
Der weissagte mir alles, was jetzt nach Jahren erfüllt wird:
Durch Odysseus‘ Hände würd‘ ich mein Auge verlieren.
Doch erwartet‘ ich immer, ein großer und stattlicher Riese
Würde mich hier besuchen, mit großer Stärke gerüstet!
515
Und nun kommt so ein Ding, so ein elender Wicht, so ein Weichling,
Und verbrennt mir das Auge, nachdem er mit Wein mich berauschet!
Komm doch her, Odysseus! Ich will dich herrlich bewirten,
Und dir ein sicher Geleit vom hohen Poseidon verschaffen.
Denn ich bin sein Sohn, und rühmend nennt er sich Vater!
520
Dieser kann mich auch heilen, wenn’s ihm gelüstet; kein andrer
Unter den seligen Göttern, noch unter den sterblichen Menschen!
Also sprach der Kyklop! ich gab ihm dieses zur Antwort:
Könnt‘ ich nur so gewiß auch deines Geistes und Lebens
Dich entledigen, und in die Schattenwohnungen senden,
525
Als dein Auge selbst der hohe Poseidon nicht heilet!
Also sprach ich. Da streckt‘ er empor zum sternichten Himmel
Seine Händ‘, und flehte dem Meerbeherrscher Poseidon:
Höre mich, Erdumgürter, du bläulichgelockter Poseidon,
Bin ich wirklich dein Sohn, und nennst du rühmend dich Vater!
530
Gib, daß Odysseus, der Sohn Laertes, der Städteverwüster,
Der in Ithaka wohnt, nicht wiederkehre zur Heimat!
Oder ward ihm bestimmt, die Freunde wiederzusehen,
Und sein prächtiges Haus, und seiner Väter Gefilde;
Laß ihn spät, unglücklich, und ohne Gefährten, zur Heimat
535
Kehren auf fremdem Schiff‘, und Elend finden im Hause!
Also sprach er flehend; ihn hörte der Bläulichgelockte.
Und nun hub er von neuem noch einen größeren Fels auf,
Schwung ihn im Wirbel, und warf mit unermeßlicher Stärke.
Aber er fiel diesseits des blaugeschnäbelten Schiffes
540
Nieder, und wenig gefehlt, so traf er die Spitze des Steuers.
Hochauf wogte das Meer von dem stürzenden Felsen; und vorwärts
Trieben die Fluten das Schiff, und warfen es an das Gestade.
Also erreichten wir des Eilands Bucht, wo die andern
Schöngebordeten Schiffe beisammen ruhten, und ringsum
545
Traurend die Freunde saßen, und uns beständig erwartend.
Jetzo landeten wir am sandigen Ufer des Eilands,
Stiegen dann aus dem Schiff ans krumme Gestade des Meeres,
Nahmen vom hohlen Schiffe die Herd‘, und teilten sie alle
Unter uns gleich, daß keiner leer von der Beute mir ausging.
550
Aber den Widder schenkten die schöngeharnischten Freunde
Mir bei der Teilung voraus. Ihn opfert‘ ich an dem Gestade
Zeus Kronion, dem Wolkenversammler, der alles beherrschet,
Und verbrannte die Lenden. Doch er verschmähte das Opfer;
Unversöhnt beschloß er in seinem Rate Vertilgung
555
Aller rüstigen Schiff‘ und meiner lieben Gefährten.
Also saßen wir dort den Tag, bis die Sonne sich neigte,
An der Fülle des Fleisches und süßen Weines uns labend.
Als die Sonne nun sank, und Dunkel die Erde bedeckte,
Legten wir uns zum Schlummer am Strande des rauschenden Meeres.
560
Als die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte,
Trat ich selber ins Schiff, und ermahnete meine Gefährten,
Einzusteigen, und schnell die Seile vom Ufer zu lösen.
Und sie traten ins Schiff, und setzten sich hin auf die Bänke,
Saßen in Reihn, und schlugen die graue Woge mit Rudern.
565
Also steuerten wir mit trauriger Seele von dannen,
Froh der bestandnen Gefahr, doch ohne die lieben Gefährten.