Fünftes Kapitel


Aufenthalt in Spaa. – Der Faustschlag. – Ein Degenstich. – De la Croce. – Charlotte, ihre Niederkunft und ihr Tod. – Eine lettre de cachet zwingt mich, Paris binnen vierundzwanzig Stunden zu verlassen.

Alle meine Bekannten freuten sich sehr, mich wieder zu sehen, und ich war nicht weniger hocherfreut, mich wieder in guter Gesellschaft zu befinden. Meine Freunde standen im Begriff, Aachen zu verlassen und nach Spaa zu gehen. Alle Welt ging dorthin, und wenn jemand in Aachen blieb, so tat er das nur, weil es vollkommen unmöglich war, sich in Spaa Unterkunft zu verschaffen. Der Menschenzufluß war ungeheuer. Dies wurde mir von allen Seiten gesagt; mehrere waren nach Aachen zurückgekommen, weil sie in Spaa nicht einmal eine Dachkammer hatten finden können. Gerade diese Schwierigkeiten machten mich hartnäckig, und ich sagte der Fürstin, ich würde mit ihr reisen, ich würde ganz gewiß irgendwo unterkommen und im Notfall in meinem Reisewagen schlafen. Am nächsten Tage fuhren die Fürstin, der Großnotar, Roniker, die beiden Tomatis und ich ab und kamen bei guter Zeit in Spaa an. Alle anderen hatten Wohnungen, die sie vorausbestellt hatten; ich allein wußte nicht, wohin ich gehen sollte. Ich stieg aus und begab mich auf die Suche. Bevor ich jedoch meine Wanderung durch die Straßen antrat, ging ich zu einem Hutmacher, um mir einen Hut zu kaufen, da ich den meinigen unterwegs verloren hatte. Ich erzählte der Hutmachersfrau von meiner Verlegenheit; sie sprach mir ihr Bedauern aus, sah ihren Mann an und sagte ihm etwas auf vlamisch oder wallonisch. Hierauf sagte sie mir: »Wenn es nur für einige Tage ist, werde ich Ihnen mein Zimmer abtreten und mit meinem Mann im Laden schlafen. Aber für Ihren Bedienten habe ich durchaus keinen Platz.«

»Ich habe keinen Diener.«

»Um so besser. Lassen Sie Ihr Gepäck abladen.«

»Wo soll ich meinen Wagen unterbringen?«

»Ich übernehme es, diesen in sichere Verwahrung zu geben.«

»Was habe ich zu bezahlen?«

»Nichts; und wenn Sie mit unsere Hausmannskost essen wollen, kostet Ihnen dies ebenfalls nichts.«

»Von solchem Preis läßt sich nichts abhandeln. Ich nehme ohne Umstände Ihr Anerbieten an.«

Ich stieg eine kleine Treppe hinauf und fand ein hübsches Zimmer, ein Kabinett, ein gutes Bett, eine Kommode, einen großen Tisch und zwei kleine. Alles war sehr sauber, und ich fühlte mich sehr behaglich. Die Sachen, die sie brauchten und die mir nur im Wege waren, wurden herausgeschafft. Ich fragte die guten Leute, warum sie nicht lieber in der Kammer als im Laden schlafen wollten, wo es doch sehr unbequem für sie sein müßte. Sie antworteten mir wie aus einem Munde: sie würden mir zur Last sein, während ihre Nichte mir keine Unbequemlichkeit verursachen würde.

Das Wort Nichte machte mich stutzen. Die Kammer hatte keine Tür und war nicht viel größer als das Bett, das darin stand. Es war ein fensterloses Loch, eine Art Alkoven. Ich muß bei dieser Gelegenheit bemerken, daß meine Wirtin und ihr Mann, die beide aus Lüttich stammten, von musterhafter Häßlichkeit waren. Unmöglich, dachte ich bei mir selber, kann die Nichte noch häßlicher sein; aber wenn man sie so dem ersten besten preisgibt, muß sie gewiß vor jeder Versuchung sicher sein.

Wie dem auch sein mochte, ich erklärte mich mit allem einverstanden und verlangte nicht, die Nichte zu sehen, denn man hätte die Frage übel auffassen können. Ohne meinen Koffer geöffnet zu haben, ging ich aus, indem ich ihnen sagte, lch würde erst nach dem Abendessen nach Hause kommen; zugleich gab ich ihnen Geld, um mir Kerzen und eine Nachtlampe zu kaufen.

Ich suchte die Fürstin auf, bei der ich mit den anderen Herrschaften zu Abend speisen sollte. Alle wünschten mir Glück zu meinem unerwarteten Funde. Ich besuchte das Konzert und ging dann an die Pharaobank, aber nur um zuzusehen. Ich ging auch durch die Zimmer, die für die Kommerzspieler reserviert waren, und sah dort den angeblichen Marchese d’Aragon, der mit einem alten Reichsgrafen Pikett spielte. Man erzählte mir, daß er vor drei Wochen mit einem Franzosen, der Händel mit ihm gesucht, ein Duell gehabt hätte. Der Franzose war an der Brust verwundet worden und lag noch krank zu Bett. Er wartete nur auf seine Heilung, um von neuem loszugehen; denn er hatte, als er sich zurückzog, Revanche verlangt. In Frankreich ist das so Sitte, wenn der Zweikampf keinen ernstlichen Anlaß hat. In Italien denken wir anders; dort gehen Duelle auf Leben und Tod. Unser Blut kocht, wenn wir den Feind vor uns sehen, der uns verwundet hat. Daher ist ein Dolchstoß in Italien etwas sehr Gewöhnliches und in Frankreich etwas sehr Seltenes; aus demselben Grunde sind in Italien Zweikämpfe selten, während sie in Frankreich Tag für Tag vorkommen.

Am meisten freute ich mich, daß ich in Spaa den Marchese Caraccioli traf, den ich zuletzt in London gesehen hatte. Sein Hof hatte ihm einen Urlaub bewilligt, den er in Spaa sehr angenehm verbrachte. Der Marchese war ein wahrhaft geistvoller Mann, von Menschenliebe und Wohlwollen erfüllt. Er hatte Mitgefühl für Unglück und menschliche Schwächen; er liebte die Jugend beiderlei Geschlechts, aber niemals bis zum Übermaß; er verstand zu genießen, ohne jemals zu übertreiben. Er spielte nicht, aber er liebte die Spieler, die ihre Sache verstanden, und verachtete die Toren, die sich betrügen ließen. Durch diese Charaktereigenschaften machte der angebliche Marchese d’Aragon sein Glück: Caraccioli bürgte einer fünfzigjährigen englischen Witwe, die den Spieler nach ihren Geschmack gefunden hatte, für die Echtheit seines Namens und Adels; sie heiratete ihn und brachte ihm sechzigtausend Pfund Sterling zu. Ohne Zweifel verliebte die Witwe sich in die sechs Fuß hohe Gestalt des angeblichen Marchese und in den schönen Namen d’Aragon; denn Dragon hatte weder Geist noch vornehme Manieren, und seine Beine, die er ihr vermutlich nicht zeigte, waren mit ekelhaften Spuren seines liederlichen Lebenswandels bedeckt. Ich sah diesen Marchese einige Zeit darauf in Marseille, und etliche Jahre später wurde er Eigentümer von zwei adligen Gütern in Modena. Er wußte sein Vermögen besser anzulegen als ich. Seine Frau starb vor ihm, und nach den englischen Gesetzen erbte er ihr ganzes Vermögen.

Ich kam ziemlich früh nach Hause und legte mich zu Bett, ohne die Nichte gesehen zu haben; denn sie schlief bereits. Die sehr häßliche Tante bediente mich und bat mich, während meines Aufenthaltes bei ihr keinen Bedienten zu nehmen; denn das wären lauter Spitzbuben.

Als ich am Morgen aufwachte, war die Nichte schon heruntergegangen. Ich zog mich an, um an den Brunnen zu gehen, und sagte meinen guten Leuten, daß ich an diesem Tage das Vergnügen zu haben wünschte mit ihnen zu speisen. Sie konnten nur in meinem Zimmer essen, und zu meinem großen Erstaunen fragten sie mich eigens um Erlaubnis. Die Nichte war ausgegangen; meine Neugier konnte also für den Augenblick nicht befriedigt werden. Auf der Promenade machte ich verschiedene Bekanntschaften, wie es eben an Badeorten üblich ist, und erfuhr manches über die Schönheiten, die sich dort sehen ließen. Eine unglaubliche Menge Abenteurerinnen finden sich in Spaa während der Badesaison ein, und alle gehen in der Hoffnung hin, daß sie dort ihr Glück machen werden; natürlich gehen die meisten wieder ebenso arm fort, wie sie gekommen sind, wenn nicht noch ärmer. Die Menge des Geldes, das in Spaa umläuft, ist erstaunlich: Speisewirte, Ladeninhaber, Gasthofsbesitzer und Freudenmädchen erhalten einen guten Teil davon; auch die Wucherer machen gute Geschäfte. Die Spielleidenschaft ist stärker als die Galanterie; in Spaa hat der Spieler keine Zeit, lange Betrachtungen über die Vorzüge eines Mädchens anzustellen, und ebensowenig hat er den Mut, der Liebe Opfer zu bringen. Das Geld, das aus dem Spielbetrieb herrührt, geht in drei Teile; der erste, und zwar der kleinste, fließt in die Tasche des Fürstbischofs von Lüttich; der zweite etwas größere, verteilt sich unter die Gauner, von denen es hier wimmelt und die im allgemeinen schlechte Geschäfte machen; denn man weicht ihnen aus, und sie haben keinen bestimmten Ort, wo sie mit obrigkeitlicher Erlaubnis ihr Halsabschneidergewerbe betreiben könnten; den größten Teil endlich, den man jährlich auf eine halbe Million schätzt, erhalten zwölf gewerbsmäßige Spieler, die unter sich eine Gesellschaft bilden und vom Landesherrn autorisiert sind.

All das Geld kommt aus den Taschen der Dummen, die von vierhundert Meilen in der Runde herbeieilen, um sich in diesem Loch, das man Spaa nennt, ausbeuten zu lassen.

Die Brunnenkur ist für die allermeisten nur ein Verwand. Man geht nach Spaa nur, um zu spielen, zu lieben und Gelegenheiten zu Geschäften auszukundschaften. Eine sehr kleine Anzahl von ehrenwerten Leuten geht dorthin, um sich zu unterhalten oder um sich von den Anstrengungen der Berufsarbeit zu erholen. An einem solchen Ort, wo man weiter nichts tut als essen, trinken, spazierengehn, spielen, tanzen usw., ist das Leben nicht teuer. An einer reich besetzten Tafel zahlt man für das Gedeck nur drei Franken, und für eine gleiche Summe findet man gute Unterkunft.

Ich kam zum Mittagessen nach Hause, nachdem ich etwa zwanzig Louis gewonnen hatte. Ich betrat den Laden, um auf mein Zimmer zu gehen, und mein Blick fiel mit angenehmer Überraschung auf ein Mädchen von achtzehn bis neunzehn Jahren, eine kräftige Schönheit, groß, mit schwarzen Haaren und großen schwarzen Augen, Zähnen wie Elfenbein, frischen sinnlichen Lippen und sehr schön gewachsen, aber von ernster Miene. Sie maß Band ab; es war also die Nichte, die sechs Schritte von mir entfernt schlief, und die ich mir als eine häßliche Person vorgestellt hatte. Ohne mir meine Überraschung anmerken zu lassen, setzte ich mich für einen Augenblick, um sie besser sehen zu können und um womöglich ihre Bekanntschaft zu machen. Sie sah mich jedoch kaum an; ein leichtes Neigen des Kopfes war alles, was ich von ihr erhalten konnte. Ihre Tante kam herunter, um mir zu sagen, daß das Essen gleich fertig sei. Ich ging nach oben und sah vier Gedecke. Die Magd füllte die Suppe auf und verlangte hierauf ohne alle Umstände von mir Geld, um Wein zu kaufen, falls ich welchen trinken wollte; denn ihre Herrschaft trinke nur Bier. Entzückt über diese Offenheit gab ich ihr Geld, um zwei Flaschen Burgunder zu kaufen.

Der Hutmachermeister kam herein, zeigte mir eine goldene Repetieruhr mit ebensolcher Kette und fragte mich, wieviel diese wohl wert sein könnten.

»Mindestens vierzig Louis.«

»Ein Herr will sie mir für zwanzig verkaufen, aber unter der Bedingung, daß ich sie ihm morgen zurückgebe, wenn er mir zweiundzwanzig bringt.«

»Das ist ein Geschäft, wozu ich Ihnen rate.«

»Ich habe nicht soviel Geld.«

»Ich werde es Ihnen mit Vergnügen leihen.«

Ich gab ihm zwanzig Louis und legte die Uhr in meine Kassette. Bei Tisch saß die Nichte mir gegenüber; ich vermied es, sie anzusehen, und sie sprach als bescheidenes Mädchen während des ganzen Essens keine zwanzig Worte. Ich fand das Essen ausgezeichnet: Suppe, Rindfleisch, Zwischengericht und Braten, alles war sehr gut. Die Meisterin sagte mir, der Braten ginge auf meine Rechnung; denn da sie nicht reich wären, erlaubten sie sich diesen Luxus nur Sonntags. Ich fand ihr Benehmen sehr zartfühlend und ihre Aufrichtigkeit bewunderungswürdig. Als ich die guten Leute bat, von meinem Wein zu trinken, nahmen sie das gerne an und sagten, sie möchten ein bißchen reicher sein, um sich jeden Tag eine halbe Flasche leisten zu können.

»Aber mir scheint doch, Ihr Geschäft geht gut.«

»Die Ware gehört nicht uns, und wir haben Schulden; außerdem sind die Ausgaben ungeheuer. Bis jetzt haben wir nur wenig verkauft.«

»Sie haben nur Hüte?«

»Oh, bitte, wir haben auch chinesische Taschentücher, Pariser Strümpfe, Spitzenmanschetten. Aber man findet das alles zu teuer.«

»Ich werde von Ihnen Waren kaufen, und Sie sollen auch an alle meine Freunde verkaufen; lassen Sie mich nur machen, ich will Ihnen nützlich sein.«

»Merci, hole ein paar Pakete Taschentücher und Strümpfe, aber von den großen, denn der Herr hat starke Waden.«

Merci, so hieß die Nichte, gehorchte. Ich fand die Taschentücher herrlich und die Strümpfe sehr schön. Ich kaufte ein Dutzend und versprach ihnen, in weniger als vierundzwanzig Stunden sollten sie den ganzen Vorrat verkaufen, den sie in ihrem Laden hätten. Sie empfahlen sich meinem Wohlwollen und überhäuften mich mit Dankesversicherungen.

Nach dem Kaffee, der ebenfalls auf meine Rechnung ging, sagte die Tante zu der Nichte, sie möchte sich in acht nehmen, daß sie morgens beim Aufstehen mich nicht aufweckte. Sie antwortete sie werde sehr sorgfältig aufpassen; ich aber bat sie, sich keinen Zwang anzutun, denn ich hätte einen sehr festen Schlaf.

Nach dem Essen ging ich zu einem Waffenschmied, um mir ein paar Pistolen zu kaufen; ich fragte ihn, ob er den Huthändler kenne, bei dem ich wohne.

»Wir sind Vettern.«

»Ist er reich?«

»Ja, an Schulden.«

»Warum?«

»Weil er unglücklich ist, wie alle ehrlichen Leute.«

»Und seine Frau?«

»Sie hält ihn durch Ordnungsliebe und Sparsamkeit aufrecht.«

»Kennen Sie die Nichte?«

»Gewiß. Sie ist ein gutes Mädchen, aber fromm, und hält durch ihre dummen Gewissensbedenken die Kunden fern.«

»Was sollte sie denn nach Ihrer Meinung tun, um Kunden anzuziehen?«

»Sie müßte höflicher sein und dürfte nicht so zimperlich sein, wenn einmal einer sie umarmen will.«

»Ist es wirklich so schlimm mit ihr?«

»Versuchen Sie es, und Sie werden selber sehen. Es ist noch keine acht Tage her, da hat sie einem Offizier eine Ohrfeige gegeben. Mein Vetter schalt sie aus, und sie wollte nach Lüttich zurückgehen, aber seine Frau beruhigte sie dann wieder. Sie ist hübsch; finden Sie das nicht auch?«

»Ganz gewiß; aber wenn sie so widerhaarig ist, muß man sie in Ruhe lassen.«

Infolge dieser Auskunft beschloß ich, mir eine andere Wohnung zu suchen; denn Merci hatte mir bei Tisch außerordentlich gefallen, und ich sah voraus, daß ich nicht lange so unmittelbar neben ihr schlafen würde, ohne ihr einen Besuch zu machen; eine Pamela aber war mir ebenso verhaßt wie eine Charpillon.

Am Nachmittag führte ich Rzewuski und Roniker zu meinen Wirtsleuten. Um mir einen Gefallen zu tun, kauften sie für mehr als fünfzig Dukaten. Am nächsten Tage kauften die Fürstin und Frau Tomatis den ganzen Vorrat von Taschentüchern.

Als ich um zehn Uhr nach Hause kam, fand ich Merci wie am Abend vorher bereits zu Bette. Am anderen Morgen holte der Hutmacher sich die Uhr wieder und gab mir zweiundzwanzig Louis. Da ich keinen Gewinn solcher Art machen wollte, so schenkte ich ihm die zwei Louis und sagte ihm, wenn er Sicherheit durch Pfand hätte, würde ich ihm stets gern meine Börse öffnen, und die Gewinne könnte er behalten. Er war vor Dankbarkeit ganz gerührt.

Da ich bei Tomatis eingeladen war, konnte ich an diesem Tage nicht mit ihnen zu Mittag essen. Ich war jedoch neugierig auf die fromme Nichte und sagte ihnen, ich würde bei ihnen zu Abend essen, und die Kosten der außerordentlichen Ausgabe möchten sie mir anrechnen. Sie gaben mir ein gutes Abendessen, und wir tranken ausgezeichneten Burgunder, von dem aber Merci keinen Tropfen trinken wollte. Als sie gegen das Ende der Mahlzeit auf einen Augenblick hinausgegangen war, sagte ich zur Tante, ihre Nichte sei reizend, aber es sei schade, daß sie so traurig sei.

»Sie wird sich ändern müssen, sonst behalte ich sie nicht.«

«Ist sie gegen alle Männer so?«

»Ohne Ausnahme.«

»Sie hat niemals geliebt?«

»Sie behauptet es; aber ich glaube es nicht.«

»Ich wundere mich, daß sie so gut schläft, da sie doch weiß, daß ein Mann ganz in der Nähe ist.«

»Sie hat keine Angst.«

Merci kam wieder herein, wünschte uns gute Nacht und wollte zu Bett gehen. Ich bat sie, sie umarmen zu dürfen; sie drehte mir den Rücken zu und stellte einen Stuhl auf die Schwelle der Kammer, damit ich sie nicht im Hemde sehen sollte. Hierauf zog sie sich aus und ging zu Bett. Meine Wirtsleute gingen, und ich legte mich ebenfalls zu Bett. Ich fand Mercis Benehmen unzulässig und wenig natürlich; denn sie wußte oder konnte wissen, daß sie einem Mann gefallen mußte, und sie konnte sich wohl denken, daß ich ein Mann war. Trotzdem ging ich ruhig zu Bett. Als ich am anderen Morgen aufwachte, fand ich den Vogel ausgeflogen. Ich hatte Lust, dem Mädchen unter vier Augen gehörig Bescheid zu sagen und dann, je nach dem Erfolg, meinen Entschluß zu fassen; aber ich wußte nicht, wie ich es anfangen sollte.

Inzwischen machte der Huthändler sich mein Anerbieten zunutze, um auf Pfänder zu leihen. Er machte dabei schöne Gewinne. Ich verschaffte ihm diesen Vorteil ohne Risiko für mich selber, und seine Frau und er erklärten es für ein großes Glück, mich bei sich zu haben. Dies brachte mich auf den Gedanken, mir ihr Interesse zunutze zu machen.

Am fünften oder sechsten Tage erwachte ich früher als Merci, zog nur meinen Schlafrock an und trat an ihr Bett. Sie hatte ein feines Gehör und erwachte; als sie mich auf sie zukommen sah, fragte sie mich in festem Ton, was ich von ihr wollte. Ich setzte mich auf ihr Bett und antwortete ihr ganz ruhig, ich wollte ihr nur guten Tag sagen und ein bißchen mit ihr plaudern. Unterdessen hatte sie sich in ihr Leinentuch gewickelt, das wegen der starken Hitze ihre einzige Decke bildete; aber ihr Bett war so schmal, daß sie mich nicht hindern konnte, sie mit meinen Armen zu umschlingen. Ich drückte sie an mich und bat sie, sie umarmen zu dürfen. Ihr Widerstand regte mich auf: ich tat einen kühnen Griff unter das Bettuch, und da sie ebenso gewachsen war wie alle anderen Mädchen, so war ich sofort am Ziel. Aber in dem Augenblicke, wo ich mich in ihren Besitz setzen zu können glaubte, erhielt ich einen Faustschlag auf die Nase, so daß ich tausend Sterne sah. Ich brauche wohl kaum zu sagen, daß ich ex abrupto jede Lust verlor, zärtlich zu sein. Das Blut überströmte mein Antlitz und befleckte das Bett der wütenden Merci. Ich war klug genug, mich zu beherrschen. Die Schöne hatte, ohne ein Geschrei auszustoßen, wie es Weiber für gewöhnlich tun, eine ansehnliche Kraft entfaltet und mir dadurch einen Vorgeschmack gegeben, welche Folgen es hätte haben können, wenn ich ihre Tätlichkeiten erwidert hätte. So entfernte ich mich denn. Während ich mein Gesicht in eine Schüssel mit kaltem Wasser tauchte, kleidete Merci sich an und ging hinaus.

Als das Blut nicht mehr strömte, sah ich mit Bitterkeit, daß eine Beule zurückgeblieben war, die mich abscheulich entstellte. Mein Gesicht mit einem Taschentuch bedeckend, rief ich den Friseur, der gerade gegenüber wohnte, und als ich frisiert war, kam die Wirtin, um mir Forellen zu zeigen; ich fand diese schön und bezahlte sie; als ich aber der Frau das Geld gab, stieß sie ein lautes Geschrei über mein entstelltes Gesicht aus. Ich beruhigte sie, indem ich ihr den Grund sagte; dabei nahm ich jedoch alles Unrecht auf mich und bat sie dringend, ihrer Nichte nichts zu sagen. Ohne auf ihre überflüssigen Entschuldigungen zu hören, ging ich aus, indem ich mir das Taschentuch vors Gesicht hielt, und besah mir auf der anderen Seite der Straße eine Wohnung, die die Herzogin von Richmond am Tage vorher verlassen hatte.

Die Hälfte der Wohnung war für einen italienischen Marchese vorausbestellt; ich nahm die andere, ließ mir einen Lohndiener besorgen und augenblicklich alle meine Sachen von der Huthändlerin abholen, ohne auf ihre Bitten und Tränen zu achten, übrigens konnten ihre Worte mich durchaus nicht versöhnlich stimmen, denn sie sagte, ich würde durch Mercis Anblick nicht mehr belästigt werden; dies war aber nach meiner Meinung eine Genugtuung für das Mädchen und für mich eine Beleidigung oder mindestens eine Strafe.

Ich fand in meiner neuen Wohnung einen Engländer, der mir versprach, er wolle die Beule sofort und jede Spur des Faustschlages binnen vierundzwanzig Stunden verschwinden machen. Ich vertraute mich ihm an, und er hielt Wort. Er rieb mir die Stelle mit Branntwein und einem Gewürz, das ich nicht kenne. Trotz dem Erfolge schämte ich mich jedoch, mich sehen zu lassen, und blieb daher den ganzen Tag in meinen vier Wänden. Mittags brachte die ganz untröstliche Huthändlerin mir meine Forellen und sagte mir, Merci sei untröstlich, daß sie mich so behandelt habe, und wenn ich wieder zu ihr ziehen wolle, werde sie mir jede Genugtuung geben, die ich nur wünschen könne.

Ich antwortete ihr: »Sie begreifen, daß ich Ihren Bitten nicht nachgeben kann; denn mein Erlebnis würde bekannt werden; ich würde mich lächerlich machen, und es wäre um die Ehre Ihres Hauses und Ihrer Nichte getan; denn diese könnte dann nicht mehr für ein frommes Mädchen gelten.«

Ich erinnerte sie auch an die Ohrfeige, die der Offizier erhalten hätte. Sie war ganz erstaunt, daß ich diese Geschichte kannte. Ferner sagte ich ihr, ihre dringenden Einladungen seien unpassend, nachdem sie mich der rohen Mißhandlung ihrer Nichte ausgesetzt habe. Zum Schluß sagte ich ihr, ich brauche nicht allzu boshaft zu sein, um anzunehmen, daß sie mit im Spiele gewesen sei. Als ich das sagte, vergoß sie Ströme von Tränen. Diese konnten echt sein; ich hielt mich daher für verpflichtet, sie zu beruhigen, indem ich sie um Entschuldigung bat und ihr versprach, auch in Zukunft ihr Geschäft zu begünstigen. Als sie mich verließ, war sie ziemlich ruhig. Eine halbe Stunde darauf brachte ihr Mann mir fünfundzwanzig Louis, die ich ihm auf eine diamantenbesetzte goldene Tabaksdose gegeben hatte, und machte mir den Vorschlag, zweihundert Louis auf einen Ring zu geben, der vierhundert wert sei. Der Ring solle mir gehören, wenn der Besitzer ihm nicht innerhalb acht Tagen zweihundertundzwanzig Louis bezahle.

Es fehlte mir nicht an Geld. Ich untersuchte den Stein, der offenbar die sechs Karat, die er wiegen sollte, wirklich wog. Es war ein Diamant von reinstem Wasser; das Geschäft war so gut wie Gold.

»Ich bin bereit, die gewünschte Summe zu geben,« sagte ich, »wenn der Eigentümer bereit ist, mich schriftlich zum Verkauf des Ringes zu ermächtigen, falls er ihn nicht einlöst.«

»Ich werde Ihnen die Ermächtigung selber in Gegenwart von Zeugen geben.«

»Schön. In einer Stunde werde ich Ihnen das Geld geben; denn ich will den Stein herausnehmen lassen. Das muß dem Besitzer einerlei sein, denn ich werde den Stein auf meine Kosten genau so wieder fassen lassen, wie er jetzt ist. Wenn er ihn einlöst, sollen die zwanzig Louis Ihnen gehören.«

»Ich muß ihn erst fragen, ob er erlaubt, daß der Stein herausgenommen wird.«

»Gehen Sie, aber sagen Sie ihm, daß ich nicht einen Taler gebe, wenn er nicht diese Erlaubnis gibt.«

Der Hutmacher ging und kam gleich darauf mit einem Juwelier wieder, der mir sagte, er sei bereit, mir dafür zu bürgen, daß der Stein mindestens zwei Gran mehr wiege als sechs Karat.«

»Haben Sie ihn gewogen?«

»Nein, aber das macht nichts.«

»So machen Sie doch das Geschäft selber.«

»Ich verfüge nicht über das Geld.«

»Warum will der Besitzer nicht den Stein herausnehmen lassen, obwohl ihm das doch nichts kostet?«

»Das weiß ich nicht; aber er weigert sich.«

»Das kann er tun, gerade so wie es bei mir steht, ihm keinen Heller zu geben.«

Sie entfernten sich. Ich war sehr froh, daß ich widerstanden hatte, denn offenbar war der Stein entweder falsch, was man am Gewicht hätte erkennen können, oder er war auf einer künstlichen Unterlage befestigt.

Ich verbrachte den ganzen Tag mit Schreiben und erledigte mehrere Briefe, mit denen ich im Rückstande war. Am Abend aß ich mit gutem Appetit, und nachdem ich gut geschlafen hatte, stand ich am anderen Morgen auf, um nachzusehn, wer an meine Tür klopfte. Man stelle sich meine Überraschung vor: es war Merci!

Ich ließ sie eintreten, legte mich wieder zu Bett und fragte sie, was sie so früh am Morgen bei mir wünsche. Sie setzte sich auf mein Bett und begann sich mit vielen Worten zu entschuldigen. Ich hatte stets die Marotte, andere Leute von ihrem Unrecht überzeugen zu wollen, und fragte sie daher, wie sie so grausam hätte sein können, mich einer so groben Behandlung von ihrer Seite auszusetzen, wenn sie einmal den Grundsatz hätte, wie eine Tigerin alle Liebkosungen eines von ihr Verführten zurückzustoßen.

»Indem ich so dicht bei Ihnen in der Kammer schlief, habe ich dem Befehl meiner Tante gehorcht; indem ich Sie schlug, was ich sehr bereue, folgte ich einem unüberlegten Antrieb meiner Seele, die sich für beschimpft hielt; denn ich glaube, es ist nicht wahr, daß jeder Mann, der mich sieht, den Verstand verlieren muß. Ich glaube an die Pflicht, und Sie werden zugeben, daß es Ihre Pflicht ist, mich zu achten, und meine Pflicht, meine Ehre zu verteidigen.«

»Wenn das Ihre Denkungsart ist, so gestehe ich, daß Sie recht haben; aber Sie haben sich nicht zu beklagen, denn Sie haben gesehen, daß ich schweigend litt. Indem ich mich von Ihnen entfernte, müssen Sie sicher sein, daß ich Sie achte und auch in Zukunft achten werde. Sind Sie zu mir gekommen, um diese Erklärung zu erhalten? Hiermit haben Sie sie, und mehr können Sie nicht verlangen wollen. Gestatten Sie mir, daß ich über Ihre Entschuldigungen lache; denn was Sie mir soeben gesagt haben, macht Sie lächerlich.«

»Was habe ich Ihnen gesagt?«

»Daß Sie Ihre Pflicht getan haben, indem Sie mir die Nase zerschmetterten. Glauben Sie, daß man sich zu entschuldigen braucht, wenn man eine Pflicht erfüllt hat?«

»Ich hätte mich ohne Gewalt verteidigen können. Ach, vergessen Sie alles und verzeihen Sie mir! Ich werde mich überhaupt nicht mehr verteidigen, ich bin ganz und gar die Ihre. Ich liebe Sie und bin bereit, Sie davon zu überzeugen.«

Merci konnte nicht deutlicher sein. Außerdem sank sie, indem sie diese letzten Worte sprach, auf mich nieder, preßte ihr Gesicht gegen das meinige und überströmte mich mit Ihren Tränen. Ich schämte mich eines Sieges, den sie mir so leicht machte. Zwar stieß ich sie nicht zurück, aber ich machte mich von ihr los, indem ich ihr sagte, sie möchte wiederkommen, wenn mein Gesicht seine frühere Gestalt wieder angenommen hätte. Tief gekränkt verließ sie mich.

Der Italiener, den mein Wirt erwartete, war während der Nacht angekommen. Aus Neugier erkundigte ich mich nach seinem Namen und man brachte mir eine Karte mit den Worten: Marchese Don Antonio de la Croce.

Sollte dies Croce sein? Das war sehr leicht möglich. Er schlief noch. Ich erkundigte mich nach seinen Verhältnissen und erfuhr, daß die Marchesa eine Kammerfrau, der Marchese einen Sekretär habe, und daß außerdem noch zwei Lakaien da seien. Ich war sehr neugierig, diesen Marchese zu sehen!

Ich brauchte nicht lange zu warten, denn als er erfahren hatte, daß ich sein Nachbar sei, kam er zu mir, und schnell vergingen zwei Stunden mit der Erzählung unserer Erlebnisse seit unserem letzten Zusammentreffen in Mailand. Er wußte, daß ich das mir von ihm zurückgelassene Mädchen glücklich gemacht hatte. In den inzwischen verstrichenen sechs Jahren hatte er halb Europa durchwandert und dabei mit dem Glück gekämpft. In Paris und Brüssel hatte er viel Geld gewonnen. In dieser letzten Stadt hatte er sich in ein Fräulein von Stande verliebt, das ihr Vater in ein Kloster einsperren ließ. Er hatte sie entführt, und sie war die Marchesa de la Croce, die damals im sechsten Monat schwanger war.

Er sagte mir: »Ich gebe sie für meine Frau aus, weil ich die feste Absicht habe, sie zu heiraten. Ich besitze fünfzigtausend Franken in Gold, ebensoviel in Juwelen und Wertsachen und gedenke in meiner Wohnung Soupers zu geben und Bank zu halten; denn wenn ich spiele, ohne das Glück zu verbessern, bin ich sicher, alles zu verlieren.«

Er beabsichtigte, nach Warschau zu gehen, und rechnete darauf, daß ich ihn an alle meine Bekannten empfehlen würde. Er täuschte sich; ich weigerte mich sogar, ihn den mir bekannten Polen vorzustellen, die sich in Spaa aufhielten, und sagte ihm, es liege nur an ihm, deren Bekanntschaft zu machen. Doch versprach ich ihm, mich vollkommen neutral zu verhalten. Ich nahm seine Einladung zum Mittagessen für denselben Tag an. Sein angeblicher Sekretär war weiter nichts als ein Spießgeselle: es war ein geschickter Veroneser, namens Conti, dessen Frau notwendig mit zum Geschäft gehörte.

Gegen Mittag kam der Hutmacher wieder mit dem Besitzer des Ringes, der ganz wie ein Halsabschneider aussah. Bei ihm befanden sich der Juwelier und ein anderer Mann. Der Besitzer wiederholte mn die Bitte, ihm zweihundert Louis zu leihen.

Wäre ich vernünftig und weniger schwatzhaft gewesen, so hätte ich ihn gebeten, auf das Geschäft mit mir zu verzichten, und damit wäre alles erledigt gewesen; aber es kam anders. Ich wollte ihm auf meine übliche Weise klar machen, daß seine Weigerung, den Stein herausnehmen zu lassen, mich verhindern müsse, ihm den Gefallen zu erweisen. Zum Schluß sagte ich: »Wenn der Stein aus der Fassung genommen wäre, so würde man sehen, was er wirklich wert ist; wiegt er sechsundzwanzig Gran, so will ich Ihnen nicht zweihundert Louis, sondern sogar dreihundert geben. So wie er ist, gebe ich gar nichts dafür.«

»Sie haben unrecht, an meinen Worten zu zweifeln, denn Ihr Zweifel beleidigt meine Ehre.«

»Meine Worte können ebensowenig wie meine Absicht, den Stein aus der Fassung nehmen zu lassen, die Ehre irgend eines Menschen verletzen. Ich bin mein freier Herr und schlage Ihnen eine Wette vor: Man nehme den Stein aus der Fassung, und wenn er sechsundzwanzig Gran wiegt, verliere ich zweihundert Louis; wiegt er bedeutend weniger, so verlieren Sie den Ring.«

»Das ist ein beleidigender Vorschlag, denn er enthält den Vorwurf, daß ich Sie betrogen habe.«

Er sagte diese Worte in einem schroffen Ton, der mir mißfiel. Ich trat an meine Kommode, auf der meine Pistolen lagen, und bat den Händelsucher, mich in Ruhe zu lassen.

Inzwischen war General Roniker eingetreten, und der Mann mit dem Ringe erzählte ihm unsere Meinungsverschiedenheit. Der General sah sich den Ring an und sagte: »Wenn jemand mir den Ring schenkte, würde ich den Stein nicht herausnehmen lassen, denn einem geschenkten Gaul sieht man nicht ins Maul; wenn ich aber den Ring kaufen sollte, so würde ich nicht einen Taler dafür geben, ohne daß der Stein herausgenommen würde, und wenn der Verkäufer ein Kaiser wäre. Ich bin sehr erstaunt, daß Sie nicht Ihre Einwilligung geben wollen.«

Ohne ein Wort zu sagen und ohne zu grüßen, ging der Spitzbube aus der Tür; den Ring behielt der Lütticher in der Hand.

»Warum«, fragte ich diesen, »haben Sie ihm seinen Ring nicht wiedergegeben?«

»Weil ich ihm fünfzig Louis darauf vorgeschossen habe; aber wenn er mir diese nicht morgen wiedergibt, lasse ich den Stein in Gegenwart eines Beamten herausnehmen und öffentlich versteigern.«

»Dieser Mensch gefällt mir nicht; ich bitte Sie, niemanden zu mir in die Wohnung zu führen.«

Die Geschichte hatte folgendes Ende: der Betrüger löste seinen Ring nicht ein, und der Lütticher ließ den Stein herausnehmen. Man fand, daß der Diamant auf einer Unterlage von Bergkristall ruhte, die nicht weniger als zwei Drittel des Ganzen ausmachte. Der Diamant war jedoch die fünfzig Louis wert, und ein Engländer kaufte ihn um diesen Preis von dem Darleiher.

Acht Tage darauf traf der Gauner mich eine Viertelstunde vor der Stadt allein. Er kam auf mich zu und sagte mir, ich möchte ihm gefälligst an einen Ort folgen, wo wir nicht gesehen würden, denn er hätte ein Wörtchen mit dem Degen in der Hand zu mir zu sagen. In Spaa geht man gewöhnlich ohne Degen, und es war ein besonderer Zufall, daß ich den meinigen bei mir hatte, weil ich am Vormittag als Sekundant ein Duell zwischen zwei Hitzköpfen mitmachen sollte. Ich hatte jedoch das Vergnügen gehabt, sie ohne Blutvergießen miteinander auszusöhnen.

Ich antwortete dem Gauner: »Ich werde Ihnen nicht folgen; denn Sie können hier mit mir sprechen.«

»Hier sieht man uns.«

»Um so besser. Beeilen Sie sich, ziehen Sie Ihren Degen zuerst. Ich verspreche Ihnen, keinen Menschen zu rufen und Ihnen Genugtuung zu geben. Wenn Sie aber nicht den Degen ziehen, so erkläre ich Sie für einen Feigling, und ich glaube, Sie sind einer.«

Kaum hatte ich dies gesagt, so zog er blitzschnell den Degen; ich sprang jedoch zurück, und er fand mich zur Verteidigung bereit. Er rückte vor und legte aus, wie man es auf dem Fechtboden macht; in demselben Augenblick führte ich einen geraden Stoß auf seine Brust und versetzte ihm eine Wunde von drei Zoll. Ich würde ihm den Garaus gemacht haben, wenn er nicht den Degen gesenkt und mir gesagt hätte, er würde Gelegenheit finden, Revanche zu nehmen. Hierauf entfernte er sich, die Hand auf seine Wunde pressend. Zwanzig Personen, die uns gesehen hatten, umringten mich und ließen den anderen ruhig ziehen; denn sie waren alle Zeugen, daß er der Angreifer war. Die Geschichte hatte keine Folgen. Als ich von Spaa abreiste, befand er sich noch in ärztlicher Behandlung. Er war ein berüchtigter Abenteurer, der von allen sich in Spaa aufhaltenden Franzosen verleugnet wurde.

Die Marchesa, de la Croces angebliche Frau, war ein schönes, blondes Weib von sechzehn bis siebzehn Jahren, hochgewachsen und von adeligen Manieren. Die Geschichte ihrer Entführung ist ihren Brüdern und Schwestern bekannt, und da diese vornehmen und ehrenwerten Personen noch leben, so werden meine Leser mir gestatten, ihren Namen zu verschweigen.

Als ihr Gatte mich ihr vorstellte, empfing sie mich auf das freundlichste und anmutigste; sie bereute ihren Schritt nicht, obgleich sie sich bewußt war, daß sie damit alle Grundsätze verletzte, die ihr durch ihre Erziehung eingeprägt waren. Obwohl sie erst im sechsten oder siebenten Monat schwanger war, sah sie doch aus, wie wenn ihre Entbindung unmittelbar bevorstände; im übrigen war sie offenbar vollkommen gesund. Ihr Gesicht trug einen unbeschreiblichen Ausdruck von Aufrichtigkeit. Ihre großen, etwas hervorstehenden blauen Augen, ihre Wangen von blasser Rosenfarbe, ihr kleiner, zart geschnittener Mund mit Zähnen vom glänzendsten Schmelz, dies alles zusammen bildete eine Schönheit, die des Pinsel eines Albano würdig gewesen wäre.

Ich hielt mich für einen guten Physiognomiker und glaubte, daß das junge Weib glücklich sei und auch den Gegenstand ihrer Liebe beglücken müsse. Leider mußte ich sehr bald die Eitelkeit meiner vermeintlichen Wissenschaft erkennen, und ich benütze diese Gelegenheit, um zu erklären, daß es keine größere Torheit auf der Welt gibt, als zu glauben, Menschen nach dem ersten Eindruck beurteilen zu können.

Die junge Marchesa hatte schöne Ohrringe und zwei herrliche Fingerringe, die mir einen Vorwand lieferten, die Schönheit ihrer Hände in der Nähe bewundern zu dürfen.

Contis Frau spielte gar keine Rolle, und ich hatte nur für Charlotte Augen; so hieß die Marchesa. Ich war von ihrer Schönheit so überrascht, daß ich in meiner Zerstreuung fast immer unrichtige Antworten auf die Bemerkungen gab, die sie während des Essens an mich richtete.

Unwillkürlich mußte ich darüber nachdenken, daß so viele hervorragende Mädchen sich in diesen Mann verliebten. Vergebens suchte ich nach einem Grund dafür; Croce war weder schön noch von gebildetem Geiste; er beherrschte weder den Ton der guten Gesellschaft, noch war seine Sprache verführerisch. Und so sah ich an ihm nichts, was Mädchen von guten Familien veranlassen konnte, um seinetwillen das Elternhaus zu verlassen; und doch war dies nun schon die zweite, die ich mit meinen eigenen Augen sah. Obgleich ich über diese Rätsel nachsann, war ich doch weit entfernt zu ahnen, was einige Wochen später eintreten sollte.

Nachdem wir von Tisch aufgestanden waren, nahm ich Croce auf die Seite und hielt ihm eine vernünftige und eindringliche Rede. Ich zeigte ihm, daß er sich unbedingt vernünftig benehmen müßte; denn er wäre der niederträchtigste Henkersknecht, wenn durch seine Schuld das von ihm verführte herrliche Geschöpf unglücklich werden sollte.

»Ich will mich nur noch auf meine Kunst verlassen; denn ich bin sicher, daß ich dann stets ein reicher Mann sein werde.«

»Weiß sie, daß dein einziges Vermögen die Dummheit der Menschen ist?«

»Sie weiß nichts, als daß ich Spieler bin, und da sie mich anbetet, so hat sie keinen anderen Willen als den meinigen. Ich gedenke sie in Warschau vor ihrer Niederkunft zu heiraten, und ich bin sicher, daß ich diese zweite nicht deiner Sorge anzuvertrauen brauche. Wenn du Geld brauchst, so verfüge nach deinem Belieben über meine Börse.«

»Ich danke dir und empfehle dir noch einmal, recht vernünftig und außerordentlich vorsichtig zu sein.«

Ich hatte wirklich kein Geld nötig. Ich spielte mit weiser Mäßigung und war mit beinahe vierhundert Louis im Gewinn. Wenn das Glück sich feindlich zeigte, besaß ich die Willenskraft, ihm den Rücken zu wenden und das Spiel aufzugeben.

Obgleich die Spuren von Mercis Schlag noch sehr sichtbar waren, führte ich die Marchesa in den Spielsaal, wo sie alle Blicke auf sich lenkte. Sie liebte das Pikett, und ich unterhielt sie, indem ich mit ihr spielte. Um das Spiel interessant zu machen, hatte sie verlangt, daß wir um Geld spielen sollten, und da sie etwa zwanzig Taler verloren hatte, mußte ich dieses Geld annehmen, um sie nicht zu kränken.

In der Wohnung fanden wir Croce und Conti, die beide gewonnen hatten: Croce etwa zwanzig Louis im Pharao, und Conti mehr als hundert Guineen im Passedir in einem Engländerklub, in den er sich hatte einführen lassen. Beim Abendessen hatte ich mehr Geist als mittags, und Charlotte lachte herzlich über mich.

Von diesem Tage an sah man mich nur noch selten bei den Polen und Tomatis, und nach acht Tagen machten meine Freunde keine Scherze mehr darüber. Ich war verliebt in die schöne Marchesa, und jedermann fand das ganz natürlich-, aber nach Ablauf dieser acht Tage war Croce es müde, daß trotz seinen Soupers keine Dummen zu ihm kommen wollten; er ging an die große Spielbank und verlor beständig. Er war an den Verlust wie an den Gewinn gewöhnt, und seine Laune blieb daher die gleiche: er war immer fröhlich, aß gut, trank noch besser und liebkoste seine schöne Frau, so daß wenigstens diese keinen Verdacht schöpfte. Ich wußte allerdings, wie die Sachen standen, aber ich hielt es nicht für passend, es ihr zu sagen. Ich liebte sie, wagte aber nicht, ihr das zu erkennen zu geben, denn ich glaubte, ich könnte nur auf ihre Freundschaft Anspruch machen. Ich fürchtete, sie möchte es eigennützigen Beweggründen zuschreiben, wenn ich ihr die wahren Verhältnisse ihres unwürdigen Verführers offenbarte. Vor allen Dingen fürchtete ich das Vertrauen zu verlieren, das sie mir zu schenken begann.

Nach drei Wochen hatte Conti, der vorsichtiger spielte, einige hundert Louis gewonnen; er verließ Croce und reiste mit seiner Frau und seinem Bedienten nach Verona. Einige Tage später entließ Charlotte ihre Kammerzofe, eine kleine Lütticherin, mit der sie nicht zufrieden war, und bezahlte ihr die Reise nach ihrer Heimatstadt.

Gegen Mitte des Septembers verließen alle meine Polen und Tomatis Spaa, um nach Paris zurückzukehren; ich versprach ihnen, mich dort wieder mit ihnen zu treffen. Ich blieb in Spaa nur wegen der tiefen Neigung, die Charlotte mir eingeflößt hatte. Ich sah eine Katastrophe voraus und hatte nicht den Mut, das entzückende Geschöpf in Stich zu lassen. Croce verlor jeden Tag, vormittags und abends, und sah sich bald genätigt, alle seine Juwelen zu verkaufen. Schließlich bat er Charlotten um ihre Schmucksachen, und sie gab ihm alles, was sie hatte: Ohrgehänge, Ringe, Uhren.

Er verlor alles, und trotzdem zeigte die junge Person nicht die mindeste Änderung in ihrem engelhaften Charakter. Zuletzt nahm er ihr alle ihre Spitzen und ihre schönsten Kleider, fügte dazu seine eigene Garderobe, verkaufte alles und zog in den letzten Kampf gegen das Glück mit zweihundert Louis, die er in meiner Gegenwart erbärmlich verlor, weil er wie ein verzweifelter Narr das Glück gegen jeden Sinn und Verstand zwingen wollte.

Als er nichts mehr hatte, stand er auf, sah mich und machte mit ein Zeichen. Ich ging mit ihm vor das Tor von Spaa. »Mein Freund,« sagte er dort zu mir, »ich habe keine andere Wahl, als mich auf der Stelle zu töten oder, so wie ich bin, Spaa zu verlassen, ohne auch nur einmal noch in meine Wohnung zu gehen. Ich gehe zu Fuß nach Warschau und lasse dir meine Frau zurück; ich weiß, du wirst für sie sorgen, denn du betest sie an, und mit Recht. Ich überlasse es dir, ihr die schreckliche Nachricht von meiner Lage beizubringen. Sage ihr: nur ihretwegen wollte ich ein Vermögen erwerben, und wenn ich in Zukunft mehr Glück habe, so werde ich ihr mein Leben weihen. Sorge für diesen Engel, der eines edleren Geliebten als meiner würdig ist; denn ich bin ein Elender, den sie hassen müßte, wenn ich sie nicht anbetete. Geh mit ihr nach Paris; ich werde dir schreiben und meine Briefe an deinen Bruder adressieren. Ich weiß, du hast Geld; aber ich würde lieber sterben, als einen einzigen Louis von dir annehmen. Ich habe noch drei oder vier Louis in kleiner Münze, und ich versichere dir, ich bin in diesem Augenblick reicher, als ich vor zwei Monaten war. Noch einmal lege ich dir Charlotte ans Herz. Sie wäre glücklich, wenn sie mich nie gekannt hätte.«

Nach dieser Rede umarmte er mich unter strömenden Tränen und ging: ohne Mantel, ohne auch nur ein Hemd in der Tasche zu haben, in seidenen Strümpfen und in einem schönen apfelgrünen Samtrock, einen Rohrstock in der Hand! Ich stand, ganz verdutzt, unbeweglich da und sah ihm nach. Ich war in Verzweiflung, eine solche Nachricht einer schwangeren Frau überbringen zu müssen, die ihn unglücklicherweise anbetete. Nur eins gab mir in diesem Augenblick Kraft: das Gefühl, daß ich sie liebte, und daher die Gewißheit, daß sie nicht ohne Stütze wäre. Ich war glücklich, daß ich reich genug war, sie vor Entbehrungen und Not zu schützen.

Ich ging zu ihr. Um sie zu schonen, sagte ich ihr, wir könnten zu Mittag essen, denn der Marchese sei in eine Spielpartie verwickelt, die bis zum Abend dauern werde. Sie seufzte, wünschte ihm Glück und setzte sich mit mir zu Tisch. Ich wußte mich so gut zu beherrschen, daß sie keinen Verdacht schöpfte. Nach dem Essen lud ich sie ein, einen Spaziergang in dem nahe gelegenen Kapuzinergarten zu machen. Sie war mit Vergnügen bereit. Um sie auf die verhängnisvolle Nachricht vorzubereiten, fragte ich sie, ob sie ihren Geliebten loben würde, wenn er in einem Ehrenhandel sich der Gefahr, von seinem Feinde ermordet zu werden, dadurch aussetzte, daß er zu ihr käme, um ihr Lebewohl zu sagen, anstatt ohne weiteres zu fliehen.

»Ich würde ihn tadeln!« antwortete sie mir; »er muß an seine Rettung denken, wäre es auch nur, um sein Leben für mich zu erhalten. Hat etwa mein Gatte diesen Entschluß gefaßt? Sprechen Sie zu mir ohne jeden Rückhalt! Meine Seele ist stark genug, daß sie einem solchen Schlage widerstehen würde, so furchtbar er auch wäre; ich werde stark sein, zumal da ich einen Freund wie Sie habe. Sprechen Sie!«

»Nun, so werde ich Ihnen denn alles sagen. Hören Sie mich an, und seien Sie überzeugt, daß Sie in mir einen zärtlichen Vater sehen müssen, der Sie liebt und es Ihnen an nichts fehlen lassen wird, solange der Himmel ihm das Leben schenkt.«

»So bin ich also nicht unglücklich. Sprechen Sie, würdiger Freund!«

Ich erzählte ihr nun die ganze Geschichte, ohne von dem, was Croce mir beim Abschieb gesagt hatte, nur ein Wort auszulassen. Ich schloß mit seinen Abschiedsworten: ›Ich lege dir Charlotte ans Herz; sie wäre glücklich, wenn sie mich niemals gekannt hätte.‹ Einige Augenblicke stand sie unbeweglich, in Gedanken versunken, mit gesenkten Augen und gefalteten Händen. Man konnte an ihrer Haltung, an ihrem unregelmäßigen Atmen erraten, was ihre edle Seele in diesem stillen Kampfe litt, den Liebe, Mitleid, Kummer und vielleicht Entrüstung sich in ihrem Innern lieferten. Ich war tief gerührt. Endlich trocknete sie zwei große Tränen, schlug ihre schönen Augen zu mir auf und sagte mit einem leisen Seufzer: »Mein großmütiger Freund, wenn ich auf Sie zählen kann, bin ich ganz gewiß nicht unglücklich.«

»Ich schwöre Ihnen, Charlotte: ich werde Sie niemals verlassen, als bis ich Sie Ihrem Gatten in die Arme führe, – es sei denn, daß ich vorher sterbe.«

»Das genügt mir. Ich schwöre Ihnen ewige Dankbarkeit und den vollen Gehorsam einer guten Tochter.«

Religion und Philosophie hatten sie etwas beruhigt. Sie brüstete sich nicht mit ihren Anschauungen, aber sie war offenbar tief davon durchdrungen. Sie machte einige Bemerkungen über die überstürzte Abreise des Unglücklichen und seufzte, als sie sich vorstellte, in welcher Verzweiflung er sich befunden haben mußte, als er nur die Wahl hatte, entweder sich zu töten oder, entblößt von allem, die Flucht zu ergreifen; aber sie überließ sich dieser Betrachtung nur, um ihn zu beklagen, und da sie alles der blinden und wahnsinnigen Leidenschaft des Spieles zuschrieb, so verurteilte sie ihn nicht. Croce hatte ihr oft die Geschichte von der Marseillerin erzählt, die er in dem Mailänder Gasthof mit dem Rat zurückgelassen hatte, sich an mich zu wenden. Sie fand die Schicksalsfügung wunderbar, daß ich zum zweitenmal die Fürsorge für ein Mädchen übernehmen mußte, das der unglückselige Spieler in einer noch schlimmeren Lage verlassen hatte; denn sie war im achten Monat schwanger.

»Der Unterschied«, sagte ich ihr, »besteht darin, daß ich die erste glücklich gemacht habe, indem ich einen ehrenwerten Gatten für sie fand, während ich niemals den Mut haben werde, die zweite auf demselben Wege glücklich zu machen.«

»Solange Croce lebt, werde ich niemals die Frau eines andern werden. Dieser Entschluß steht vollkommen fest; trotzdem ist es mir in diesem Augenblick ganz lieb, frei zu sein.«

Als wir wieder zu Hause waren, riet ich ihr, den Bedienten zu entlassen und ihm die Reise bis Besançon zu bezahlen, wo Croce ihn angenommen hatte; auf diese Weise wurde er verhindert, verleumderische Reden zu verbreiten, die er sich sonst wohl erlaubt hätte. Auf meinen Rat verkaufte sie auch den ganzen Rest der Garderobe meines armen Freundes und seinen Reisewagen, weil der meinige besser war. Sie zeigte mir die Sachen, die ihr noch blieben und die nur in Wäsche und drei oder vier Kleidern bestanden.

Wir blieben noch eine Zeitlang in Spaa, aber ohne jemals auszugehen. Sie sah, daß ich sie mehr als ein Vater liebte; sie sagte es mir und war mir dankbar, daß ich sie schonte; denn obwohl ich sie stundenlang in meinen Armen hielt, begnügte ich mich damit, ihre schönen Augen zu küssen und verlangte niemals etwas mehr für meine Zärtlichkeit. Ich war glücklich über ihre Dankbarkeit und über das Glück, das meine Zurückhaltung ihr bereitete. Wenn die Versuchung meine Gefühle zu stark erweckte, entfernte ich mich und fühlte mich stolz auf meinen Sieg. Unser Verhältnis hatte etwas von der Reinheit einer ersten Liebe.

Da Charlotte einen kleinen Reisehut gebrauchte, so bestellte der Hausdiener welche bei dem Lütticher, und Merci brachte mehrere zur Auswahl. Sie errötete bei meinem Anblick, aber ich sagte nichts. Als sie fort war, erzählte ich meiner neuen Freundin die Geschichte von diesem Mädchen, und sie lachte herzlich, als ich ihr sagte, von Merci hätte ich die Beule gehabt, die mein Gesicht entstellte, als ich sie zum ersten Male gesehen hätte. Sie bewunderte meine Tapferkeit, daß ich mich nicht durch ihre scheinbare Reue hätte rühren lassen, und war wie ich der Meinung, daß die ganze Geschichte ein zwischen Merci und ihrer Tante abgekartetes Spiel gewesen wäre.

Wir reisten von Spaa ohne Bedienten ab; von Lüttich aus schlugen wir den Weg durch die Ardennen ein, um Brüssel zu vermeiden, wo sie erkannt zu werden fürchtete. In Luxemburg nahmen wir einen Bedienten, der bis Paris bei uns blieb; wir fuhren über Metz und Verdun. Während der ganzen Reise war Charlotte zärtlich, sanft und gut; aber infolge ihres Zustande blieb ich innerhalb der Grenzen kleiner Vertraulichkeiten. Ich sah voraus, daß wir nach ihrer Entbindung nicht dabei stehen bleiben würden; doch die Natur hatte es anders bestimmt.

Wir stiegen in Paris im Hotel Montmorency in der Straße gleichen Namens ab.

Paris kam mir wie eine neue Welt vor. Frau von Urfé war tot, meine alten Bekannten waren umgezogen oder befanden sich in anderen Verhältnissen: Arme waren reich, Reiche arm geworden; überall waren neue Gebäude, neue Straßen; ich fand mich nicht mehr zurecht. Auf dem Theater herrschte ein neuer Geschmack, und ich fand infolgedessen eine neue Spielweise und neue Schauspieler. Alles war teurer geworden; die Armut lief, um ihre Sorgen zu vergessen, auf den neuen Promenaden herum, die durch Habsucht und aus Politik auf den alten Stadtwällen geschaffen waren und den vollklingenden Namen Boulevards erhalten hatten. Der Luxus derer, die in ihren Karossen die Boulevards entlang fuhren, schien nur des Kontrastes wegen da zu sein. Die Reichen und die Armen waren gleichzeitig und gegenseitig Schauspiel und Zuschauer. Paris ist vielleicht die einzige Stadt auf der Welt, deren Aussehen sich in fünf oder sechs Jahren vollständig ändert.

Mein erster Besuch galt der Gräfin du Rumain, die hocherfreut war, mich wiederzusehen. Ich gab ihr das Geld zurück, das sie mit gütigem Herzen in der Zeit meiner Not mir hatte zukommen lassen. Sie befand sich gut, wurde aber durch häuslichen Kummer gequält und sagte mir, die Vorsehung schicke mich, um sie durch meine Kabbala von ihrer Sorge zu befreien. Sie fand mich zu jeder von ihr gewünschten Stunde dienstbereit; dies war das wenigste, was ich für eine Frau von ihrem Charakter tun konnte.

Mein Bruder hatte eine neue Wohnung in der Vorstadt Saint-Antoine bezogen. Er sowohl wie seine Frau waren hocherfreut, mich wiederzusehen; sie liebte nur ihn allein, obgleich er sie durch seine Impotenz unglücklich machte. Beide luden mich dringend ein, bei ihnen zu wohnen, und ich versprach ihnen zu kommen, sobald die Dame, die ich bei mir hätte, niedergekommen wäre. Ich hielt es nicht für angebracht, ihnen die Geschichte zu erzählen, und sie waren so zartfühlend, mich nicht danach zu fragen. Am selben Tage machte ich meine Besuche bei der Fürstin Lubomirska und bei den Tomatis; ich bat sie, es mir nicht übel zu nehmen, wenn ich sie nur sehr selten besuchte; die Dame, die sie in Spaa gesehen hätten, stände unmittelbar vor ihrer Niederkunft und bedürfte meiner ganzen Pflege.

Nachdem ich mich dieser gesellschaftlichen Verpflichtungen entledigt hatte, wich ich nicht mehr von Charlottens Seite. Am achten Oktober ging ich mit ihr zu der Hebamme Frau Lamarre, die in der Rue du Faubourg St. Denis wohnte; Charlotte wünschte, daß ich sie dort in Pension gäbe. Sie besah sich das Zimmer und das Bett, das sie erhalten sollte, ließ sich ausführlich sagen, wie man sie bedienen und verpflegen würde und was ich für alles zu bezahlen hatte. Am Abend desselben Tages fuhren wir nach Einbruch der Dunkelheit in einem Fiaker dorthin; ein Koffer enthielt alles, was ihr gehörte.

Am Ende der Rue Montmorency mußte unser Wagen anhalten, um den Leichenzug irgendeiner reichen Person vorüber zu lassen. Charlotte bedeckte sich die Augen mit ihrem Taschentuch, lehnte ihren schönen Kopf an meine Schulter und sagte: »Lieber Freund, ohne Zweifel ist es eine Dummheit; aber in meinem Zustand ist dieses Zusammentreffen von übler Vorbedeutung.«

»Quäle dich nicht mit eitlen Befürchtungen, reizende Charlotte! Vorbedeutungen sind ein eitler Wahn, dem nur der Aberglaube eine gewisse Bedeutung geben kann. Eine gebärende Frau ist keine Kranke, und niemals ist eine Frau im Wochenbett gestorben, wenn nicht eine andere Krankheit hinzutrat.«

»Jawohl, mein lieber Philosoph, es ist mit uns gebärenden Frauen wie mit zwei Männern, die sich schlagen: beide sind kerngesund, aber der eine bekommt einen Degenstich und stirbt.«

»Dein Vergleich ist sehr geistreich. Aber sei doch nur ruhig: bald werden wir nach Madrid abreisen, nachdem wir vorher für dein Kind gesorgt haben. Ich hoffe, dort werde ich dich glücklich und zufrieden sehen.«

Während der ganzen Fahrt unterhielt ich sie recht angenehm, um den peinlichen Eindruck zu verscheuchen, den sie empfangen hatte; denn ich wußte nur zu sehr, welche Wirkungen fixe Ideen auf ein zartes Wesen ausüben können, besonders auf eine junge Frau, die sich in einem solchen Zustande befindet wie Charlotte.

Als ich das reizende Geschöpf gut untergebracht sah, kehrte ich nach meiner Wohnung zurück; am nächsten Tage zog ich zu meinem Bruder; aber, solange Charlotte lebte, schlief ich bei ihm nur, denn von neun Uhr früh bis ein Uhr nachts hielt ich mich bei der geliebten Frau auf.

Am dreizehnten Oktober wurde Charlotte von einem hitzigen Fieber befallen, das sie nicht mehr verließ. Am siebzehnten brachte sie sehr glücklich einen Jungen zur Welt, der auf den ausdrücklichen Befehl seiner Mutter gleich an demselben Morgen in die Kirche getragen und dort getauft wurde. Charlotte schrieb mit eigener Hand die Namen auf, die er tragen sollte: Jacques (nach mir), Charles (nach ihr), Sohn von Antonio de la Croce und Charlotte *** (sie gab ihren wahren Namen an). Auf ihren Wunsch mußte Frau Lamarre den Knaben von der Kirche sofort ins Findelhaus bringen. In seinen Windeln befand sich sein Taufschein sowie die Angabe, wo und von wem er geboren war. Vergeblich suchte ich sie zu überreden, das Kind meiner Sorgfalt anzuvertrauen. Sie sagte mir, wenn das Kind lebte, wäre es für den Vater sehr leicht, es aus dem Findelhause herauszunehmen. An demselben Tage, den achtzehnten Oktober, gab die Hebamme mir nachstehende Bescheinigung, die in diesem Augenblick vor mir liegt:

Wir, I. B. Dorival, königlicher Rat, Kommissarius in Châtelet zu Paris, früher Polizeivorsteher des Stadtviertels der Cité, bescheinigen hiermit kraft unseres Amtes, daß im Findelhause ein Knabe, anscheinend einen Tag alt, eingeliefert worden ist. Die Hebamme Lamarre hat ihn von der Rue de Faubourg St. Denis gebracht; er war mit seinen Windeln bekleidet, und in diesen befand sich eine Bescheinigung, woraus hervorgeht, daß er heute in St. Laurent getauft worden ist, und zwar auf den Namen Jacques-Charles, Sohn von Antonio de la Croce und Charlotte ***. Hierüber haben wir vorliegende Bescheinigung ausgestellt in unserem Palast, Rue des Marmousets in der Cité, am 18. Oktober 1767 abends 7 Uhr.

Dorival.

Sollten sich unter meinen Lesern Neugierige befinden, die den Namen der Mutter erfahren möchten, so gebe ich ihnen hiermit die Mittel an die Hand, ihre Neugier zu befriedigen.

Nach Erledigung dieser Angelegenheit, die mir recht schmerzlich war, wich ich Tag und Nacht nicht mehr von dem Bett der Kranken. Trotz der sorgfältigen Pflege eines geschickten Arztes verließ das Fieber sie keinen Augenblick mehr, und am sechsundzwanzigsten desselben Monats, morgens fünf Uhr, starb sie. Eine Stunde bevor sie den letzten Seufzer ausstieß, nahm sie Abschied von mir; sie sagte mir, es sei der letzte Abschied, und bevor sie meine Hand los ließ, führte sie sie an ihre Lippen; dies geschah in Gegenwart des ehrwürdigen Geistlichen, der ihr um Mitternacht die Beichte abgenommen hatte. Die Tränen, die ich noch in diesem Augenblick vergieße, da ich diese Zeilen schreibe, werden wahrscheinlich die letzten sein, die ich zu Ehren dieses reizenden Kindes weine, eines Opfers der Liebe und eines Mannes, der noch lebt und nur seinem seltsamen und grausamen Geschick zu gehorchen scheint, indem er Menschen unglücklich macht.

In Tränen zerfließend, setzte ich mich neben das Bett Charlottens, die ich meine Tochter nannte und so innig liebte. Vergeblich suchte die gute Frau Lamarre mich zu überreden, in ihr Zimmer zu kommen: der Anblick dieser Leiche war mir mehr als die ganze Welt, als ich selber.

Mittags kamen mein Bruder und dessen Frau, um sich nach mir zu erkundigen; sie waren unruhig um mich, da sie mich seit acht Tagen nicht mehr gesehen hatten. Als sie eine so junge und so schöne Tote sahen, der selbst die harte Hand des Todes ihre Schönheit nicht hatte rauben können, verstanden sie meine Tränen und weinten lange Zeit mit mir. Endlich entfernten sie sich auf meine Bitte, und ich schlief mit dem Kopf auf dem Bett, worauf Charlottens irdische Überreste lagen. Ich verließ sie nicht eher, als bis das Grab sie verschlungen hatte.

Am Tage vor dem Begräbnis, ewig schmerzlichen Angedenkens, hatte mein Bruder mir mehrere Briefe gegeben. Ich hatte sie nicht geöffnet. Als ich nach der Beerdigung das Sterbehaus verließ, erbrach ich meine Briefe, und der erste, den ich las, war von Herrn Dandolo, der mir den Tod des Herrn von Bragadino meldete. Meine Tränen waren versiegt; ich verlor einen Mann, der seit zweiundzwanzig Jahren Vaterstelle an mir vertrat, der um meinetwillen mit der größten Sparsamkeit lebte und sogar Schulden machte. Da sein Vermögen ein Fideikommiß war, so konnte er mir nichts hinterlassen. Seine Möbel und seine Bibliothek wurden die Beute seiner Gläubiger. Seine beiden Freunde, zugleich die meinigen, waren arm und konnten mir nur mit ihren Herzen helfen. Diese schreckliche Nachricht begleitete ein Wechsel von tausend Talern, die der Verstorbene, sein Ende voraussehend, vierundzwanzig Stunden vor seinem Tode mir noch gesandt hatte. Ich war wie zerschmettert. Nun konnte ein schlimmerer Schlag mir nicht mehr vom Schicksal kommen.

Drei Tage verbrachte ich im Hause meines Bruders, ohne auszugehen. Am vierten ging ich zur Fürstin Lubomirska, um deren Gunst ich mich eifrig bewarb. Sie hatte dem König, ihrem Vetter, einen Brief geschrieben, der ihn beschämen mußte, denn sie bewies dem Monarchen, daß er schnöder Verleumdung sein Ohr geliehen hatte. Aber Könige lassen sich nicht durch solche Kleinigkeiten beschämen. Außerdem hatte gerade damals Stanislaus August von Rußland den blutigsten Schimpf erlitten: Repnin hatte mit Gewalt die drei Senatoren wegschleppen lassen, weil sie auf ihrem Reichstag als freie Männer gesprochen hatten. Dies war ein Dolchstoß, der dem unglücklichen König das Herz durchbohren mußte.

Die Fürstin hielt sich mehr aus Haß als aus Liebe von Warschau fern; aber man glaubte es nicht.

Meine Reise nach Madrid war beschlossene Sache; denn ich wollte diesen Hof sehen, bevor ich mich nach Portugal begab. Die Fürstin gab mir vorher einen Brief für den damals in Spanien allmächtigen Grafen d’Aranda, und der Marchese Caraccioli, der noch in Paris war, gab mir drei Empfehlungsbriefe, einen für den Fürsten della Cattolica, den neapolitanischen Gesandten in Madrid, einen für den Herzog von Lossada, den Oberhoftruchseß und Günstling des Königs, und einen dritten für den Marques Mora-Pignatelli.

Am 4. November ging ich mit einer Eintrittskarte, die die Fürstin Lubomirska mir gegeben hatte, in ein Konzert gegenüber der Sackgasse der Orangerie. Mitten im Konzert hörte ich hinter mir meinen Namen nennen und lachen. Ich drehte mich um und sah den Menschen, der so verächtlich von mir sprach: es war ein großer junger Mann, der zwischen zwei alten Herren saß. Als ich ihn fest ansah, wandte er seine Blicke ab, setzte aber seine unverschämten Bemerkungen fort. Unter anderem sagte er, ich kostete ihm mindestens eine Million, die ich seiner verstorbenen Tante, der Marquise d’Urfé, gestohlen hätte.

Ich sagte zu ihm: »Sie können nur ein frecher Mensch sein. Wenn wir draußen wären, würde ich Ihnen einen Fußtritt vor den Hintern geben, um Ihnen einen anständigen Ton beizubringen.«

Mit diesen Worten stand ich auf und ging hinaus; als ich mich umdrehte, sah ich, wie die beiden alten Herren den jungen Brausekopf zurückhielten. Ich stieg in einen Wagen und ließ diesen am Eingang der Sackgasse halten, um zu sehen, ob er mir nachkomme; da ich ihn nicht kommen sah, ging ich in das Meßtheater, wo ich in derselben Loge saß wie die Valville.

Sie sagte zu mir: »Ich bin nicht mehr Schauspielerin und werde vom Marquis de Brumoi unterhalten.«

»Das freut mich; ich wünsche Ihnen alles Glück.«

»Ich hoffe, Sie werden bei mir zu Abend speisen?«

»Soviel Vergnügen mir das machen würde, kann ich es leider nicht; aber ich werde Sie besuchen, wenn Sie mir Ihre Adresse geben.«

Mit diesen Worten drückte ich ihr eine Rolle von fünfzig Louis in die Hand.

»Was ist das?«

»Das Geld, das du mir in Königsberg geliehen hast, meine Liebe.«

»Hier ist weder der Ort, noch der rechte Augenblick, es mir zurückzugeben. Ich will das Geld nicht haben, wenigstens hier nicht; ich werde es nur in meiner Wohnung annehmen. Bitte, sprich nicht weiter davon!«

Ich steckte die Rolle wieder in die Tasche, und sie nahm einen Bleistift und schrieb mir ihre Adresse auf. Bald nachher verabschiedete ich mich von ihr. Ich war zu traurig, um ein Beisammensein mit diesem reizenden Weibe anzunehmen.

Zwei Tage später saß ich bei Tische mit meinem Bruder, meiner Schwägerin und einigen Russen, die bei ihm in Pension waren, um die Schlachtenmalerei zu erlernen. Plötzlich wurde mir gemeldet, ein Ludwigsritter warte auf mich im Vorzimmer, um ein Wort mit mir zu reden. Ich ging zu ihm hinaus, und er überreichte mir, ohne ein Wort zu sagen, ein Papier.

Ich öffne es; es ist Louis unterzeichnet. Der Monarch befiehlt mir, Paris binnen vierundzwanzig Stunden und Frankreich binnen drei Wochen zu verlassen; und als Grund gibt er mir an: es sei sein bon plaisir.

Sechstes Kapitel


Abreise von Paris. – Meise nach Madrid. – Der Graf von Aranda. – Der Fürst della Cattolica. – Der Herzog von Lossada. – Mengs. – Ein Ball. – Die Pichona. – Dona Ignazia.

Schön, mein Herr Chevalier, ich habe gelesen und werde mich bemühen, dem Herrscher dieses plaisir so früh wie möglich zu erweisen. Sollte ich jedoch in vierundzwanzig Stunden noch nicht reisen können, so wird Seine Majestät das plaisir haben, mit mir alles zu machen, was ihm vielleicht plaisir macht.«

»Mein Herr, die vierundzwanzig Stunden sind nur der Form wegen Ihnen vorgeschrieben. Erkennen Sie den Befehl an und geben Sie mir Quittung über die lettre de cachet, dann können Sie nach Ihrer Bequemlichkeit abreisen. Ich ersuche Sie nur, mir Ihr Ehrenwort zu geben, weder Schauspieler zu besuchen noch sich zu Fuß auf die öffentlichen Spaziergänge zu begeben.«

»Mein Herr, ich gebe Ihnen mein Wort und danke Ihnen dafür, daß Sie es annehmen.«

Ich führte den Chevalier in mein Zimmer und schrieb dort alles nieder, was er mir diktierte. Da er mir hierauf sagte, es werde ihm Freude machen, meinen Bruder zu sehen, den er bereits kenne, so führte ich ihn in den Saal, wo man noch bei Tisch saß, und erzählte den Anwesenden ohne Umstände, aber mit höflichem und heiterem Ausdruck, den Anlaß seines Besuches.

Mein Bruder lachte und sagte zum Chevalier: »Mein lieber Herr de Buhot, dieser Befehl war sicherlich nicht notwendig, denn mein Bruder gedachte im Laufe der Woche ohnedies abzureisen.«

»Um so besser. Wenn der Minister das gewußt hätte, hätte er sich nicht die Umstände gemacht, den Brief noch heute morgen unterzeichnen zu lassen.«

»Kennt man den Grund der Maßregel?«

»Man spricht von einer Bemerkung, daß ein gewisser Herr Fußtritte vor den Hintern erhalten solle; es ist zwar ein junger Herr, aber von einem Range, daß er Fußtritts zu empfangen nicht gewöhnt ist.«

»Sie begreifen, Herr Chevalier,« sagte ich, »daß diese Worte nur eine Formsache sind, genau wie die vierundzwanzig Stunden des Befehles. Ich habe den ungezogenen jungen Herrn mit diesen Worten bedrohen zu müssen geglaubt, um auf die beleidigenden Worte zu antworten, die er sich mir gegenüber erlaubte. Wäre er herausgekommen, so hatte er ja einen Degen bei sich, durch den er leicht seinen Hintern vor einer Beschimpfung schützen konnte.«

Hierauf erzählte ich die Geschichte mit allen Umständen, und Buhot gab zu, daß ich vollkommen recht hätte; aber er meinte doch, daß auch die Polizei recht hätte, wenn sie, soviel es in ihren Kräften stände, Händel dieser Art verhinderte. Er riet mir, am nächsten Morgen die ganze Geschichte dem Herrn von Sartines zu erzählen, der mich ja kenne und entzückt sein werde, den Vorfall aus meinem Munde zu vernehmen. Ich antwortete hierauf nicht, denn ich kannte den berühmten Polizeistatthalter als einen Herrn, der gerne Moralpredigten hielt.

Die lettre de cachet war vom 6. November datiert, und ich verließ Paris erst am 20.

Ich machte allen meinen Bekannten Mitteilung von der Ehre, die der König von Frankreich mir erwiesen hätte, indem er mir sein bon plaisir hätte bedeuten lassen. Das ist eine abscheuliche Formel, denn sie erniedrigt das Menschengeschlecht. Ich widersetzte mich in aller Form dem wohlwollenden Eifer der Frau du Rumain, die durchaus nach Versailles gehen wollte, da sie, wie sie behauptete, sicher wäre, daß sie die Rücknahme der lettre de cachet erwirken würde. Mein Paß, wonach ich Postpferde nehmen durfte, ist vom 19. November vom Herzog von Choiseul ausgestellt; ich besitze ihn noch.

Ich reiste allein, ohne Bedienten, immer noch traurig über den Tod meiner Charlotte, aber ruhig, mit hundert Louis in meiner Börse und einem Wechsel von achttausend Franken auf Bordeaux. Ich erfreute mich einer vollkommenen Gesundheit, und meine Lebensanschauung war eine ganz andere geworden. Ich ging in ein Land, wo ich Klugheit und Umsicht nötig hatte. Außerdem hatte ich alle meine Hilfsquellen verloren; der Tod hatte mich einsam gemacht; ich war bereits in meinen eigenen Augen ein Herr von einem gewissen Alter. Von diesem Alter will das Glück für gewöhnlich nichts wissen, und die Frauen noch weniger.

Die Valville besuchte ich erst am Tage vor meiner Abreise; ich fand sie in einer glänzend möblierten Wohnung und reich mit Diamanten versehen. Als ich ihr die fünfzig Louis wiedergeben wollte, fragte sie mich, ob ich mindestens tausend besäße, und als sie erfuhr, daß ich nur fünfhundert hatte, weigerte sie sich rund heraus, das Geld anzunehmen, und bot mir ihrerseits auf die freundschaftlichste Weise ihre Börse an, die ich jedoch ebenfalls zurückwies. Seitdem habe ich niemals wieder etwas von diesem guten Mädchen gehört; ich gab ihr ausgezeichnete Ratschläge, um im Alter eine unabhängige Stellung einzunehmen, wenn ihre Schönheit ihr nichts mehr einbringen würde. Ich will wünschen, daß sie sich diesen Rat zunutze gemacht hat.

Nachdem ich meinen Bruder und meine Schwägerin umarmt hatte, stieg ich um sechs Uhr abends in meinen Wagen, um bei Mondschein die ganze Nacht hindurch zu fahren und in Orléans zu Mittag zu essen. Dort wollte ich einen alten Bekannten besuchen. In einer halben Stunde war ich in Bourg-la-Reine. Dort schlief ich ein. Zu meinem Verdruß wurde ich jeden Augenblick aufgeweckt, um das Postgeld zu bezahlen; zum letzten Male erwachte ich in Orléans um sieben Uhr morgens.

Oh, mein schönes, liebes Frankreich, wo zu jener Zeit alles so gut ging, trotz den lettres de cachet, trotz den Fronden, dem Elend des Volkes, dem bon plaisir des Königs und der Minister! Mein liebes Frankreich, was ist heute aus dir geworden? Das Volk ist dein Herrscher, – das Volk, der brutalste, tyrannischste von allen Herrschern! Du hast allerdings nicht mehr das bon plaisir des Königs, aber du hast dafür die Laune der Volksmenge, und die Republik ist eine abscheuliche Regierungsform, die für moderne Völker nicht passen kann; denn diese sind zu reich, zu klug und vor allen Dingen zu verderbt für eine Regierungsform, deren Voraussetzungen Selbstverleugnung, Nüchternheit und alle Tugenden sind. Das wird nicht von Dauer sein.

Ich ließ mich zu Bodin führen, einem wackeren ehemaligen Tänzer, der die Geoffroy geheiratet hatte, eine von meinen tausend Geliebten, die ich vor zweiundzwanzig Jahren zuerst gekannt hatte. Ich hatte sie später in Turin, Wien und Paris getroffen und ich wollte sie nun gern auch in ihrem Hause sehen. Diese Überraschungen, diese Wiedererkennungen, wodurch alte Erinnerungen belebt, frühere Freuden wieder wachgerufen werden, waren stets meine schwache, oder vielmehr meine starke Seite gewesen. Ich glaubte für einen Augenblick wieder zu sein, was ich einst gewesen war, und meine Seele freute sich, indem ich meine Erlebnisse erzählte oder die der Wiedergefundenen erzählen ließ. Ich hatte eine Freude daran, weil keine Reue mein Gewissen peinigte.

Bodins Frau war mehr häßlich als alt geworden; außerdem war sie jetzt ihrem Mann zuliebe fromm und gab Gott, was der Teufel übrig gelassen hatte. Bodin lebte vom Ertrage eines kleinen Gutes, das er gekauft hatte, und schrieb der Gerechtigkeit eines rächenden Gottes alles Unglück zu, das im Laufe des Jahres sein Landgut befiel. Ich aß mit ihm Fastenspeisen, denn es war Freitag, und die Vorschrift der Kirche war unverletzlich. Ich erzählte ihm in aller Ruhe meine Erlebnisse seit der Zeit, daß wir uns zuletzt gesehen hatten, und als ich fertig war, stellten sie lange Betrachtungen darüber an, daß das Leben des Menschen unregelmäßig sei, wenn er sich nicht bei allen seinen Grundzügen von der Religion leiten lasse. Sie sagten mir – was ich ebensogut und vielleicht besser als sie selber wußte –, daß es einen Gott gebe, daß ich eine Seele habe, und daß es für mich hohe Zeit sei, nach ihrem Beispiel auf alle Eitelkeit der Welt zu verzichten.

»Und Kapuziner zu werden, nicht wahr?«

»Daran täten Sie gar nicht übel.«

»Schön; aber ich werde solange warten, bis mein Bart in einer einzigen Nacht lang genug wächst.«

Trotz allen diesen Dummheiten war es mir nicht unangenehm, sechs Stunden mit diesen guten Geschöpfen verbracht zu haben, die auf ihre Art durch ihre aufrichtige Reue glücklich sein mußten. Nachdem ich sie zärtlich umarmt hatte, stieg ich wieder in meinen Wagen und fuhr die ganze Nacht hindurch. In Chanteloup machte ich Halt, um das Denkmal der Prachtliebe und des Geschmackes des Herzogs von Choiseul zu sehen. Ich brachte dort vierundzwanzig Stunden zu. Ein Mann von höfischem Wesen, der mich nicht kannte und dem ich nicht empfohlen war, wies mir eine schöne Wohnung an, gab mir ein Abendessen und setzte sich erst, nachdem ich ihn lange hatte bitten müssen, zu mir an den Tisch. Am nächsten Tage beim Mittagessen benahm er sich ebenso; er führte mich überall herum und ehrte mich wie einen Fürsten, ohne mich auch nur nach meinem Namen zu fragen. Er war so aufmerksam, dafür zu sorgen, daß kein Bedienter zugegen war, als ich in meinen Wagen stieg, um weiter zu fahren. Dies geschah aus Zartgefühl, um den Gast zu verhindern, daß er die Herberge bezahlte, indem er einem Bedienten einen Louis in die Hand drückte.

Das schöne Schloß, für das der Herzog von Choiseul ungeheure Summen ausgegeben hatte, kostete ihm nichts; denn er blieb alles schuldig und kümmerte sich nicht darum; er war ein abgesagter Feind des Unterschiedes von mein und dein. Er bezahlte keinen Menschen, belästigte aber auch niemals solche, die ihm etwas schuldig waren. Er gab gern. Liebhaber der Künste, Freund aller talent- und geschmackvollen Leute, fand er ein ganz besonderes Vergnügen daran, wenn er ihnen nützlich sein konnte und wenn sie ihm ihre Dankbarkeit dadurch bezeigten, daß sie ihm den Hof machten. Übrigens besaß er viel Geist, aber dieser ging nur ins Große und bekümmerte sich nicht um Kleinigkeiten; denn er war faul und vergnügungssüchtig. »Es ist Zeit für alles!« war sein Lieblingswort. Früher waren die Minister an Kuriertagen nicht zugänglich gewesen; er machte diese Gewohnheit lächerlich und brachte es wirklich dahin, daß auch für die Minister ein Tag wie der andere war.

In Poitiers kam ich um sieben Uhr abends an. Ich wollte noch bis Vivonne weiterfahren, aber zwei junge Mädchen rieten mir sehr dringend davon ab.

»Es ist sehr kalt, mein Herr,« sagten sie, »und der Weg ist nicht eben der beste. Sie sind doch kein Kurier. Lassen Sie sich von uns raten und essen Sie hier zu Abend; wir werden Ihnen ein ausgezeichnetes Bett geben, und morgen fahren Sie weiter.«

»Ich bin entschlossen weiterzureisen, meine jungen Damen; aber wenn Sie mir beim Abendessen Gesellschaft leisten wollen, so bleibe ich.«

»Oh, das würde Ihnen zu teuer werden!«

»Durchaus nicht zu teuer. Schnell, entscheiden Sie sich!«

»Nun gut, wir werden mit Ihnen essen.«

»Lassen Sie also drei Gedecke auflegen. In einer Stunde reise ich ab.«

»In einer Stunde! In drei Stunden, mein Herr – denn Papa braucht zwei Stunden, um Ihnen ein gutes Abendessen zurecht zu machen.«

»Nun, dann werde ich überhaupt nicht abreisen, aber Sie müssen mir die ganze Nacht Gesellschaft leisten.«

»Wenn Papa damit einverstanden ist, gern. Wir werden Ihren Wagen in die Remise fahren lassen.«

Die lustigen Mädchen bekamen von ihrem Vater die Erlaubnis und gaben mir ein ganz ausgezeichnetes Abendessen mit köstlichen Weinen. Sie hielten mir bis Mitternacht im Essen wie im Trinken stand; fröhlich und zum Scherzen aufgelegt, überschritten sie doch niemals die Grenze eines erlaubten Spaßes.

Gegen Mitternacht trat der Vater mit lachendem Gesicht ein und fragte mich, ob ich mit dem Abendessen zufrieden gewesen sei.

»Sehr! Und noch vielmehr mit der Gesellschaft Ihrer Töchter, die wirklich reizend sind.«

»Das freut mich. Wenn Sie wieder hier durchreisen, werden sie Ihnen stets Gesellschaft leisten; aber es ist Mitternacht vorbei, und da ist es Zeit, zu Bett zu gehen.«

Ich antwortete nur durch ein bejahendes Nicken; denn meine Seele war noch zu betrübt über Charlottens Tod, um die Reize der Wollust empfinden zu können. Die liebenswürdigen jungen Damen mußten mich sehr zurückhaltend finden. Ich wünschte ihnen eine gute Nachtruhe, und ich glaube, ich würde sie nicht einmal umarmt haben, wenn der Vater mich nicht aufgefordert hätte, ihnen diese Ehre zu erweisen. Aus Eitelkeit legte ich in meine Umarmungen recht viel Feuer. Vielleicht glaubten sie, ich sei von Begierden verzehrt, und es war mir nicht unangenehm, mir dies vorzustellen.

Als ich allein war, dachte ich darüber nach, daß ich ein verlorener Mann wäre, wenn ich nicht Charlotte vergäße. Ich beschloß, mir Mühe zu geben. Ich schlief bis neun Uhr und befahl dann der Magd, die bei mir Feuer machte, Kaffee für drei Personen und die Pferde zu bestellen.

Die beiden hübschen Wirtstöchter frühstückten mit mir, und ich dankte ihnen dafür, daß sie mich zum Bleiben überredet hätten. Ich verlangte die Rechnung, und die älteste sagte mir, die Rechnung sei einfach und rund: einen Louis auf den Kopf. Ich ließ mir nichts merken, daß ich diese Geldschneiderei unverschämt fand, sondern gab ihr mit lachendem Munde die drei Louis und fuhr zufrieden ab.

In Angoulême, wo ich den Hofkoch des Königs von Preußen, Noël, zu sehen hoffte, fand ich nur dessen Vater; er bewirtete mich ausgezeichnet und zeigte mir sein geradezu wunderbares Talent in der Pastetenbäckerei. Die Beredsamkeit des braven Mannes war so heiß wie seine Backöfen. Er wußte mich zu überzeugen, daß er Pasteten, die ich bei ihm bestellen würde, an jede beliebige Adresse in ganz Europa versenden könnte.

»Wie? Nach Venedig, nach London, nach Warschau, nach Petersburg?«

»Sogar nach Konstantinopel, wenn Sie es wünschen. Sie brauchen mir nur die Adressen zu geben und, um sicher zu sein, daß ich Sie nicht betrügen will, bezahlen Sie mir die Rechnung erst, nachdem Sie die Nachricht erhalten haben, daß die Pasteten angekommen sind.«

Ich bezahlte vertrauensvoll im voraus und ließ ihn Pasteten nach Venedig, Warschau und Turin schicken; von allen Orten habe ich Danksagungen erhalten.

Der alte Noël war durch dies Geschäft reich geworden. Er versicherte mir, er schicke viele Pasteten nach Amerika, und mit Ausnahme der durch Schiffbrüche verloren gegangenen seien alle in ausgezeichnetem Zustande angekommen. Seine Pasteten waren meistens mit Truthahn, Rebhuhn oder Hasen gefüllt und mit Trüffeln gewürzt; er machte jedoch auch Gänseleber-, Lerchen- und Wachtelpasteten, je nach der Jahreszeit.

Zwei Tage darauf kam ich in Bordeaux an. Es ist eine herrliche Stadt und nach Paris die erste Frankreichs, was auch die Lyoner sagen mögen, deren Stadt es sicherlich mit Bordeaux nicht aufnehmen kann. Ich verbrachte dort acht Tage, um gut zu essen; denn man lebt in Bordeaux besser als anderswo.

Nachdem ich meine achttausend Franken auf Madrid hatte überschreiben lassen, reiste ich durch die Landes über Mont-de-Marsan und Bayonne nach Saint-Jean-de-Luz, wo ich meine Postkutsche verkaufte, die ich in Paris für meinen schönen Reisewagen eingehandelt hatte. Von dort begab ich mich nach Pampeluna, indem ich die Pyrenäen auf einem Maultier überstieg; ein zweites trug meine Koffer. Das Gebirge erschien mir viel gewaltiger als die Alpen. Vielleicht täuschte ich mich, denn ich befand mich in dem niedrigsten Teil; so viel ist jedoch gewiß, daß die Pyrenäen angenehmer, abwechslungsreicher, malerischer und fruchtbarer sind als die Alpen. In Pampeluna übernahm der Fuhrmann Andrea Capello die Beförderung meiner Person und meines Gepäckes, und wir brachen nach Madrid auf. Die ersten zwanzig Meilen ermüdeten mich nicht, denn die Straße war ebenso schön wie eine französische. Sie war ein Denkmal zu Ehren des Herrn von Gages, der nach dem italienischen Kriege Gouverneur von Navarra gewesen war und, wie man mir versicherte, diese schöne Straße auf seine Kosten hatte bauen lassen. Der berühmte General, der mich vor vierundzwanzig Jahren hatte in Arrest setzen lassen, gelangte auf diese Weise auf die Nachwelt, und nicht nur das, sondern er verdiente es auch. Als großer General hatte er nur blutbefleckte Lorbeeren gewonnen, war er nur Zerstörer gewesen; aber indem er diese schöne Straße bauen ließ, wurde er zu einem Wohltäter des Volkes und erwarb sich dauernden und unzerstörbaren Ruhm.

Ich kann nicht sagen, daß ich nach dem Aufhören dieser schönen Straße eine schlechtere fand, denn ich fand überhaupt keine Straße mehr. Über steile, steinige Hänge ging es bergauf und bergab. Nirgends die geringste Spur, daß schon ein Wagen gefahren war; das ist Alt-Kastilien. Man nimmt nicht an, daß Reisende, die ihre Bequemlichkeit lieben, auf diesem Wege nach Madrid gehen. Ich war denn auch keineswegs verwundert, nur elende Herbergen zu finden, die kaum für die Maultiertreiber gut genug sind, die mit ihren Tieren zusammenschlafen. Senñor Andrea suchte mir sorgfältig die beste Unterkunft aus, die zu haben war, und nachdem er seine Maultiere mit allem Notwendigen versorgt hatte, lief er durch das Dorf, um mir etwas zu essen zu verschaffen. Der Herr der elenden Herberge, wo wir eingekehrt waren, rührte sich nicht; er zeigte mir eine Kammer, wo ich schlafen könnte, einen Kamin, worin ich Feuer machen könnte, wenn ich Lust hätte; aber er kümmerte sich nicht darum, mir das nötige Holz oder Speisen zu beschaffen; das alles ging ihn nichts an.

Elendes Spanien!

Sich zugrunde zu richten, war allerdings schwer; denn er verlangte für meine Unterkunft weniger als man in Frankreich und sogar in Deutschland für ein Nachtlager in einer Scheune nimmt; aber man mußte stets außerdem eine Pezetta por el ruido bezahlen. Eine Pezetta für den Lärm. Die Pezetta hat einen Wert von vier Realen, nach französischem Gelde ungefähr einundzwanzig Sous.

Der gute Mann rauchte nachlässig seinen Sigarito von brasilianischem Tabak in einem zusammengerollten Stückchen Papier und stieß mit würdevoller Miene dicke Rauchwolken aus. Seine Armut war für ihn Reichtum, und seine Nüchternheit machte ihm das Dasein leicht. In ganz Europa versteht man die Kunst, nüchtern zu leben, nicht so gut, wie in den niedrigen Klassen Spaniens. Zwei Unzen weißen Brotes und ein paar geröstete Kastanien oder süße Eicheln, Bellotas genannt, genügen zum Lebensunterhalt eines Spaniers. Sein Stolz ist, sagen zu können, wenn er einen von ihm beherbergten Fremden abreisen sieht: ich habe mir durchaus keine Mühe gegeben, um ihn zu bedienen. Diese Denkungsweise beruht auf großer Faulheit, die mit viel Stolz gemischt ist: man ist ja Kastilianer; man darf sich nicht so weit herablassen, einen gavacho zu bedienen. Mit diesem Namen bezeichnet man in ganz Spanien die Franzosen und dann die Fremden überhaupt. Dies Wort gavacho ist viel schimpflicher als das Wort Hund, womit die Türken uns bezeichnen, und womit auch die Engländer sehr freigebig jeden bedenken, der nicht in den drei Königreichen geboren ist. Es ist selbstverständlich, daß Leute, die durch eine gute Erziehung oder durch Reisen Bildung gewonnen haben, nicht so sprechen oder auch nur denken. Ein Fremder, der gute Empfehlungen hat und sich anständig benimmt, findet vernünftige Leute in Spanien sowohl wie in England und in der Türkei.

Die zweite Nacht schlief ich in Algrada, einem kleinen Ort, den man mit dem Namen einer Stadt schmückt, und der ein wahres Wunder von Häßlichkeit und Traurigkeit ist. Dort wurde die Nonne Maria von Algrada wahnsinnig und schrieb das Leben der heiligen Jungfrau nach dem Diktat der Mutter unseres Heilandes. Man hatte mir ihr Werk zu lesen gegeben, als ich unter den Bleidächern war, und der Leser erinnert sich vielleicht, daß ich durch die Träume der Visionärin beinahe meinen Verstand verloren hätte.

Wir machten täglich zehn spanische Meilen, und diese sind sehr lang. Eines Morgens glaubte ich vor uns ein Dutzend Kapuziner zu sehen, welche langsamer gingen als die Maultiere vor meinem Wagen. Als ich sie jedoch genauer betrachtete, sah ich lauter Frauen von verschiedenem Alter.

»Was ist denn das?« fragte ich den Señor Andrea; »sind denn diese Frauen wahnsinnig?«

»Durchaus nicht. Sie tragen die Kapuzinerkutte aus Frömmigkeit, und ich bin überzeugt, daß keine von ihnen ein Hemd auf dem Leibe hat.«

Daß sie kein Hemd hatten, war weiter nicht wunderbar; denn Hemden sind in Spanien selten; daß aber jemand das Kapuzinerkleid trug in dem Glauben, dadurch dem Schöpfer mehr zu gefallen, dieser Gedanke erschien mir äußerst seltsam.

Am Tore einer Stadt kurz vor Madrid verlangte man von mir meinen Paß. Ich gab ihn und stieg aus. Der Beamte zankte sich mit einem fremden Priester, der nach Madrid reisen wollte, aber keinen Paß für die Hauptstadt hatte. Er zeigte einen Paß, womit er in Bilbao gewesen war; mit diesem war der Beamte jedoch nicht zufrieden. Der Priester war Sizilianer; da man ihn offenbar schikanierte, so erregte er meine Teilnahme, und ich fragte ihn, warum er sich dieser Unannehmlichkeit ausgesetzt hätte. Er antwortete mir, er halte es nicht für notwendig, einen Paß zu haben, um in Spanien zu reisen, wenn man schon einmal im Lande sei.

»Ich will nach Madrid,« fuhr er fort, »wo ich bei einem Granden als Beichtvater eintreten zu können hoffe; ich habe einen Brief für ihn.«

»Zeigen Sie doch diesen Brief; dann wird man Sie ganz sicher passieren lassen.«

»Sie haben recht.«

Der arme Priester nahm aus seiner Brieftasche das Schreiben, das offen war, und reichte es dem Beamten; dieser warf einen Blick auf die Unterschrift und stieß einen Schrei aus, als er den Namen Squillace las.

»Wie, Herr Abbé, Sie gehen nach Madrid mit einer Empfehlung von Squillace, und Sie wagen, den Brief zu zeigen?«

Als die anwesenden Beamten und Polizisten hörten, daß der arme Abbé keine andere Empfehlung hatte als von dem allgemein verhaßten Minister, den man gesteinigt haben würde, wenn nicht der König, der ihn beschützte, ihm zur Flucht verholfen hätte, – da erhoben sie ihre Stöcke und begannen den armen Sizilianer zu prügeln, der natürlich nicht darauf gefaßt war, daß die Empfehlung eines Mannes, auf dessen Fürsprache er vielleicht all seine Hoffnungen gesetzt hatte, ihm einen so traurigen Empfang verschaffen würde. Zum Glück war ich dabei, und es gelang mir, wenn auch nicht ohne Mühe, den armen Abbé zu befreien, den man dann, wahrscheinlich wegen der Prügel, die er erhalten hatte, passieren ließ, obwohl seine Papiere nicht in Ordnung waren. Dieser Squillace wurde von dem König, der ihn liebte, als Botschafter nach Venedig geschickt, wo er in hohem Alter gestorben ist. Er mußte von den Untertanen jedes Fürsten gehaßt werden, der ihn an die Spitze seiner Finanzverwaltung gesetzt hätte; denn er war unbarmherzig in der Eintreibung der Steuern, um die Einnahmen seines Herrn zu vermehren.

Die Zimmertüren in den Herbergen hatten Riegel an der Außenseite, aber innen nur den Drücker. Die erste und zweite Nacht sagte ich nichts, aber am dritten Abend erklärte ich meinem Fuhrmann, ich wolle mir das nicht gefallen lassen.

»Señor Don Jacob, in Spanien muß man es sich gefallen lassen; denn die heilige Inquisition muß stets nachsehen können, was etwa die Fremden in ihren Zimmern machen, und daher dürfen sich diese nicht einschließen können.«

»Aber in was mischt sich denn eure verdammte Inquisition…?«

»Um Gottes willen, sprechen Sie nicht so, Señor Jacob! Wenn man Sie hörte, wären wir verloren.«

»Nun denn: wonach kann denn Ihre heilige Inquisition neugierig sein?«

»Nach allem will sie sehen: ob Sie an Fastentagen Fleisch essen; ob im Zimmer mehrere Personen beiderlei Geschlechts sind; ob die Frauen allein schlafen oder mit Männern, und wenn letzteres der Fall ist, ob die Zusammenschlafenden rechtmäßige Ehepaare sind; wenn sie sich nicht durch Zeugnisse ausweisen können, werden sie ins Gefängnis gebracht. Die heilige Inquisition, Señor Don Jaime, wacht in unserem Lande beständig über unserem Seelenheil.«

Wenn wir unglücklicherweise einem Priester begegneten, der irgendeinem Sterbenden die Wegzehrung brachte, hielt Señor Andrea an und befahl mir in gebieterischem Ton auszusteigen und niederzuknien; ich mußte gehorchen, selbst wenn der Weg kotig war.

Der Hauptgegenstand religiösen Verfolgungseifers waren damals die Hosen mit einem Schlitz. Wer sich erlaubte, solche zu tragen, anstatt nach alter Väter Sitte den anzuknöpfenden Hosenlatz, wurde ins Gefängnis geworfen; die Schneider, die solche Hosen anfertigten, wurden bestraft. Trotzdem wurden sie getragen, und Priester und Mönche schrien sich vergeblich auf der Kanzel heiser, indem sie gegen diese Unanständigkeit wetterten. Man erwartete schon eine Revolution, die die Weltgeschichte um ein neues Kapitel vermehrt hätte, das der Schilderung durch einen Tacitus würdig gewesen wäre, und worüber ganz Europa sich schief gelacht hätte. Zum Glück kam man schließlich doch ohne Blutvergießen zum Ziel. Es wurde eine Verordnung an allen Kirchentüren angeschlagen, worin man erklärte, die Schlitzhosen seien nur dem Henker erlaubt. Dadurch wurde der Mode ein Ende bereitet, denn niemand wollte das Privilegium haben, für einen Henker zu gelten; man rächte sich aber, indem man sagte, die Mönche brauchten doch eigentlich keine Verordnung, um mit den Unterröcken fertig zu werden.

Indem ich so allmählich die Nation kennen lernte, in deren Mitte ich zu leben gedachte, kam ich nach Guadalaxara, dann nach Alcala und endlich nach Madrid.

Guadalaxara, Alcala! Was für Worte! Man hört nur den Vokal a, diesen königlichen Buchstaben.

Die Sprache der Mauren, deren Vaterland Spanien hundert Jahre lang war, hat eine Menge Namen und viele Wörter hinterlassen. Wie jedermann weiß, ist das Arabische reich an A’s, und man hat vielleicht nicht unrecht, wenn man aus diesem Grunde der arabischen Sprache den Vorrang des Alters zuspricht, denn das a ist der leichteste aller Vokale, weil er der natürlichste ist. Man hätte also nach meiner Meinung sehr unrecht, wenn man spanische Namen für barbarisch erklärt: Ala, Achala, Aranda, Almada, Alcala, Armada, Acara, Bacala, Ayapa, Agracaramba, Alava, Alamata, Albadara, Alcantara, Alcaras, Almaras, Alcavala und so viele andere Wörter machen durch ihren vollen Klang das Kastilianische zur reichsten aller modernen Sprachen.

Jedenfalls ist die spanische Sprache eine der schönsten, klangreichsten, kräftigsten und majestätischsten der Welt. Wenn sie so recht ora rotundo gesprochen wird, wirkt sie mit der höchsten poetischen Harmonie. Sie wäre der italienischen an musikalischem Wohllaut gleich, vielleicht sogar überlegen, wenn sie nicht die drei Gutturallaute hätte, die ihr die Lieblichkeit nehmen, so viel auch die Spanier das Gegenteil behaupten: man muß sie reden lassen.

Quisquis amat ranam, ranam putet esse Dianam.
Wer Frösche liebt, behauptet, Diana sei ein Frosch.

Wir zogen durch das Alcala-Tor in Madrid ein. Man durchsuchte meine Sachen, und die Aufmerksamkeit der Beamten richtete sich hauptsächlich auf Bücher. Zu ihrem großen Verdruß fanden sie bei mir nur eine griechische Ilias und einen lateinischen Horaz. Man nahm mir diese Bücher weg, brachte sie mir aber drei Tage später nach der Kreuzstraße in das Kaffeehaus, wo ich Wohnung genommen hatte, obwohl Señor Andrea mich durchaus anderswo unterbringen wollte. Ein braver Mann hatte mir in Bordeaux diese Adresse gegeben.

Eine Zeremonie, die man am Alcala-Tor mit mir vornahm, mißfiel mir ganz über alle Maßen. Einer von dem Zollbeamten bat mich um eine Prise Tabak; ich öffnete meine Dose und hielt sie ihm hin. Anstatt aber die Prise zu nehmen, bemächtigte er sich der Dose mit den Worten: »Señor, dieser Tabak ist in Spanien verflucht.« Es war Pariser Rape; der freche Mensch schüttete den Tabak auf die Straße und gab mir dann meine Dose wieder.

Nirgends verfährt man hinsichtlich dieses unschuldigen Pulvers so strenge wie in Spanien. Trotzdem wird dort mehr als in allen anderen Ländern geschmuggelt, und zwar ganz öffentlich. Die Spione der Steuerpächter, die unter dem besonderen Schutze des Königs stehen, suchen sehr eifrig fremden Tabak zu entdecken, und diejenigen, in deren Dosen welcher gefunden wird, müssen ihn teuer bezahlen. Nur die fremden Gesandten läßt man aus Gefälligkeit eine Ausnahme von dieser Regel bilden. Der König, der jeden Morgen nach dem Aufstehen eine ungeheure Prise in seine ungeheure Nase stopft, verlangt, daß alle Schnupfer seine königliche Tabakfabrik in Flor bringen sollen. Der spanische Tabak ist sehr gut, wenn er rein ist, aber reinen findet man selten, und zur Zeit, von der ich erzähle, hätte man guten Tabak vergeblich gesucht, und wenn man ihn mit Gold hätte aufwiegen wollen. Wie alle Menschen von Natur die Neigung haben, die verbotene Frucht der erlaubten vorzuziehen, so legen die Spanier großen Wert auf den fremden Tabak und machen sich sehr wenig aus ihrem eigenen; die Folge davon ist ein riesiges Schmuggelwesen.

Ich sah mich in einer ziemlich guten Wohnung und litt nur unter dem Mangel an Feuer, denn der Frost war scharf und schneidender als in Paris, obwohl Madrid auf dem vierzigsten Breitengrad liegt. Der Grund ist indessen sehr einfach: Madrid ist die höchstgelegene Stadt Europas. Einerlei, von welchem Ort der Küste man kommt, man steigt unmerklich an, bis man angelangt ist. Außerdem ist die Stadt in der Ferne von hohen Gebirgen umgeben, zum Beispiel vom Guadarama, und in der Nähe ist sie von Hügeln umgürtet; infolgedessen herrscht eine durchdringende Kälte, sobald der Wind von Norden oder auch nur von Osten bläst. Die Luft der Stadt ist für alle Fremden ungesund; sie ist rein und dünn und taugt deshalb nicht für jeden, der ein wenig korpulent ist. Sie ist nur für die Spanier zuträglich, die im allgemeinen mager und dürr sind. Sie sind außerdem so frostig, daß sie sogar in den Hundstagen niemals ohne Hülle ausgehen; diese besteht für wohlhabende Leute in einem großen schwarzen Mantel und für die niedrigen Klassen, besonders die Landbevölkerung, in einem richtigen arabischen Burnus.

Die Männer sind beschränkten Geistes mit einer Menge von Vorurteilen, während die Frauen zwar unwissend, aber im allgemeinen geistreich sind. Beide Geschlechter sind von Begierden und Leidenschaften beseelt, die so lebhaft sind wie die Luft, die sie einatmen, so glühend wie die Sonne, unter der sie leben. Der Spanier haßt jeden Fremden, schon allein deshalb, weil er kein Spanier ist, denn einen anderen Grund für ihren Haß könnten sie nicht angeben. Die Frauen, die ohne Zweifel die Ungerechtigkeit dieses Hasses erkennen, rächen uns, indem sie uns lieben. Doch brauchen sie dabei große Vorsicht, denn der Spanier ist nicht nur von Natur, sondern auch mit Überlegung eifersüchtig. Die geringste Freiheit der Frau, die ihm gehört, tritt seiner Ehre zu nahe. Die Galanterie muss in diesem Lande notwendig geheimnisvoll sein, weil sie streng verboten ist. Die Folgen davon sind geheimnisvolle Ränke und Unruhe der Seelen, die zwischen den von der Religion auferlegten Pflichten und den von ihnen bekämpften Leidenschaften hin und her geworfen werden. Die Männer sind eher häßlich als schön, doch mit zahlreichen Ausnahmen, während die Frauen im allgemeinen hübsch und nicht selten schön sind. Das Blut, das in ihren Adern kocht, macht sie glühend in der Liebe und stets dazu aufgelegt, ihre Hand zu jeder Intrige zu bieten, um die Menschen zu betrügen, die sie umgeben, um jeden ihrer Schritte auszuspionieren. Der Liebhaber, der am willigsten bereit ist, allen Gefahren zu trotzen, ist stets der bevorzugte. Auf den Spaziergängen, in der Kirche, im Theater sprechen sie mit den Augen zu den Männern, nach denen sie begehren; sie beherrschen diese verführerische Sprache in höchster Vollendung. Wenn der Mann, an den diese Sprache sich wendet, den rechten Augenblick zu erkennen und auszunützen weiß, ist er stets sicher, glücklich zu sein, und braucht keinen Widerstand zu erwarten; übersieht er die Gelegenheit oder nützt er sie nicht aus, so wird sie ihm nicht mehr geboten.

Da ich ein warmes Zimmer brauchte, aber keinen Kamin hatte und vom Kohlenbecken Kopfschmerzen bekam, so suchte und fand ich schließlich einen intelligenten Klempner, der nach meinen Angaben einen Ofen aus Eisenblech machte; das Rohr führte durch das Fenster ins Freie und wurde bis zum Dach hinauf geleitet. Der Handwerker war sehr stolz auf sein Erstlingswerk und ließ es mich teuer bezahlen.

In den ersten Tagen, bis mein Ofen fertig war, belehrte man mich, daß ich, um mich zu wärmen, eine Stunde vor Mittag nach der Puerto del Sol, dem Sonnentor, gehen und dort bis zum Mittagessen bleiben müßte. Es ist jedoch kein Tor, sondern ein Platz, den man so nennt, weil die große Wärmespenderin dort ihre Reichtümer verschwendet und allen, die dort spazieren gehen und ihres wohltätigen Einflusses genießen wollen, ihre Wärme schenkt. Ich fand dort eine Menge Menschen, die entweder allein mit schnellen Schritten auf und ab liefen oder im Gespräch mit ihren Freunden langsam hin und her gingen. Dieser Ofen war jedoch nicht nach meinem Geschmack.

Ich brauchte auch einen Bedienten, der französisch sprach, und es kostete mir eine ungeheure Mühe, bis ich schließlich einen fand, dem ich einen hohen Lohn bezahlen mußte, denn er war ein Page, wie man in Madrid sagt. Ich konnte von ihm nicht verlangen, hinten auf meinen Wagen zu steigen oder ein Paket zu tragen oder mir nachts mit einer Laterne oder Fackel zu leuchten. Dieser Page war ein Mann von dreißig Jahren, überaus häßlich; aber für seinen Pagenberuf war seine Häßlichkeit ein Vorzug, der ihn zur Erfüllung seiner Pflichten besonders geeignet machte, denn es war keine Gefahr vorhanden, daß er den Ehemännern Eifersucht einflößte. Eine Frau von höherem Range wagt nicht auszufahren, ohne von einem sogenannten Pagen begleitet zu sein, der sich auf den Vordersitz setzt und natürlich nur eine Art von Spion ist. Ein solcher Schuft ist schwerer zu verführen als die strengste Dueña, die das ihrer Obhut anvertraute junge Mädchen tyrannisiert.

Einen Halunken dieser Art mußte ich also in Ermangelung eines anderen in meinen Dienst nehmen. Wollte Gott, der Spitzbube hätte sich die Beine gebrochen, als er zu mir kam!

Ich überbrachte alle meine Briefe, und zwar zuerst den der Fürstin Lubomirska an den Grafen von Aranda. Dies war der Mann, der an einem Tage Spanien von allen Jesuiten gesäubert hatte. Er war in Madrid mächtiger als der König selber und hatte die Kraft gehabt, die Schlapphüte und langen Mäntel verbieten zu lassen. Er war Vorsitzender des Rates von Kastilien und ging nur in Begleitung eines königlichen Leibgardisten aus, den er stets an seinem Tische essen ließ. Selbstverständlich war er der bestgehaßte Mann in ganz Spanien, aber er schien sich wenig daraus zu machen. Er war ein tiefer Denker und großer Politiker, unverzagt, entschlossen, unbeugsam, ein großer Epikuräer, der aber ausgezeichnet den äußeren Anschein zu wahren wußte. Er tat in seinen vier Wänden alles, was er den anderen verbot, und machte sich nichts daraus, daß man davon sprach.

Er war ziemlich häßlich und schielte unangenehm. Als ich ihn aufsuchte, empfing er mich recht kalt und sagte: »Was wollen Sie denn in Spanien?«

»Ich will mich belehren, indem ich die Sitten einer achtungswerten Nation beobachte, die ich nicht kenne, und ich möchte zur gleichen Zeit aus meinen schwachen Talenten Vorteil ziehen, wenn ich mich der Regierung nützlich machen kann.«

»Um hier gut und ruhig zu leben, bedürfen Sie meiner nicht; denn wenn Sie sich den polizeilichen Vorschriften fügen, wird niemand Sie in Ihrer Ruhe stören. Wenn Sie Ihre Talente auszunützen gedenken, um Ihr Glück zu machen, so wenden Sie sich an den Botschafter Ihrer Republik; er wird Sie vorstellen, und Sie können sich auf diese Weise bekannt machen.«

»Gnädiger Herr, der venetianische Gesandte wird mir nicht schaden, aber er wird mich auch nicht beschützen, denn ich befinde mich in der Ungnade der Staatsinquisitoren. Ich bin sogar sicher, daß er mich nicht empfangen wird.«

»Dann haben Sie bei Hofe nichts zu hoffen; denn der König wird sich zuerst bei ihm nach Ihnen erkundigen, und wenn Ihr Gesandter Sie nicht vorstellt, so rate ich Ihnen, denken Sie hier in Madrid nur daran, sich zu unterhalten.«

Von Aranda begab ich mich zum neapolitanischen Gesandten, der mir dasselbe sagte. Auch der Marques de Mora, einer der liebenswürdigsten aller Spanier, sagte mir dasselbe. Der Herzog von Lossada, Oberhoftruchseß Seiner Katholischen Majestät und deren Günstling, bedauerte sehr, trotz seinem besten Willen augenblicklich nichts tun zu können. Er riet mir, einen Versuch zu machen, indem ich mich in das Haus des venetianischen Gesandten selber einschmuggelte und mir diesen zum Freunde zu machen suchte, trotz meiner Ungnade; denn über diese konnte er hinwegsehen, da er den Grund nicht kannte. Ich beschloß, die Ratschläge des weisen Greises zu befolgen, und schrieb daher einen dringenden Brief an Herrn Dandolo, um mir einen Empfehlungsbrief zu verschaffen, der den Botschafter nötigen würde, mich trotz meinem Handel mit den Inquisitoren bei Hof zu empfehlen. Mein Brief war so geschrieben, daß er von den Inquisitoren gesehen werden konnte, und mußte eine gute Wirkung üben.

Nachdem ich diesen Brief geschrieben hatte, begab ich mich nach dem Palast des venetianischen Gesandten und stellte mich dem Botschaftssekretär Gasparo Sonderini vor. Er war ein geistvoller, kluger und anständiger Mann und wagte trotzdem mir zu sagen, er sei erstaunt, daß ich die Kühnheit besitze, auf die Gesandtschaft zu kommen.

»Ich komme, mein Herr, damit ich mir nicht den Fehler vorzuwerfen brauche, mich nicht vorgestellt zu haben; denn ich habe nichts getan, um glauben zu können, daß ich dessen unwürdig wäre. Ich würde es viel kühner finden, wenn ich in Madrid bliebe, ohne mich vorgestellt zu haben. Jedenfalls wünsche ich mir Glück, diesen Schritt getan zu haben, den ich als eine Pflicht ansehe, zugleich aber bedauere ich, daß der Botschafter, wenn er ebenso denkt wie Sie, für eine Keckheit nehmen wird, was in Wirklichkeit nur eine Handlung der Ehrfurcht ist. Sollte übrigens Seine Exzellenz glauben, mich nicht der Ehre eines Empfanges würdigen zu können, weil zwischen der Inquisition und mir ein ganz besonderer Streithandel besteht, dessen Ursache der Herr Botschafter ebensowenig wissen kann wie ich – so werden Sie es mir nicht übel nehmen, wenn ich mich darüber wundere; denn er ist ja nicht Botschafter der Staatsinquisition, sondern der Republik Venedig, deren Untertan ich immer noch bin; ich fordere ihn wie auch die Staatsinquisition heraus, mir zu sagen, welches Verbrechen ich begangen haben soll, auf Grund dessen man sich das Recht anmaßen könnte, mich meiner Eigenschaft als Venetianer zu berauben. Wenn es meine Pflicht ist, in dem Botschafter das Abbild und den Vertreter meiner hohen Herrschaft zu ehren, so ist es, glaube ich, seine Pflicht, mir seinen Schutz angedeihen zu lassen.«

Soderini wurde ganz rot bei dieser Rede und sagte mir: »Warum schreiben Sie nicht dem Botschafter alles, was Sie mir soeben gesagt haben?«

»Ich konnte es ihm nicht schreiben, bevor ich nicht wußte, ob er mich empfangen würde oder nicht. Jetzt, da ich Anlaß habe, anzunehmen, daß er nicht anders denkt als Sie, jetzt werde ich die Ehre haben, ihm zu schreiben.«

»Ich weiß nicht, ob Seine Exzellenz ebenso denkt wie ich, und trotzdem, was ich Ihnen gesagt habe, kann es wohl sein, daß Sie noch gar nicht wissen, wie ich denke. Auf alle Fälle schreiben Sie ihm; es kann doch sein, daß Sie erhört werden.«

»Ich werde Ihren Rat befolgen, für den ich Ihnen dankbar bin.«

Ich ging nach Hause und schrieb dem Gesandten alles, was ich seinem Sekretär gesagt hatte. Am nächsten Tage meldete man mir den Grafen Manucci. Ich sah einen hübschen jungen Mann mit ziemlich schönem Gesicht, der einen ausgezeichneten Eindruck machte. Er sagte mir, er wohne beim Botschafter; Seine Exzellenz habe meinen Brief gelesen und schicke ihn zu mir, um mir zu sagen, daß er gewisse Gründe habe, um mich nicht offen zu empfangen; er werde jedoch sehr erfreut sein, mich privatim zu sehen, denn er kenne und achte mich.

Dieser junge Manucci sagte mir, er sei Venetianer und kenne mich meinem Rufe nach, denn er habe seine Eltern hundertmal von mir sprechen und mein Unglück bedauern hören. Ich hatte bald heraus, daß der junge Manucci der Sohn jenes Giambatista Manucci war, der die Staatsinquisitoren als Spion bedient hatte, um mich unter die Bleidächer zu bringen, eben jenes Manucci, der sich so geschickt meine Zauberbücher verschafft hatte, die wahrscheinlich das corpus delicti waren, dem ich mein entsetzliches Gefängnisleiden verdankte. Ich hütete mich, ihm etwas von meiner Entdeckung zu sagen, aber ich brauchte nicht daran zu zweifeln, daß ich richtig geraten hatte. Ich kannte seine Mutter, die Tochter eines Kammerherrn vom Hause Loredan, und seinen Vater, der, wie ich in der Geschichte meiner Gefangenschaft erzählt habe, ein armer Edelsteinhändler war.

Ich fragte Manucci, ob man ihn beim Gesandten Graf nenne. Er bejahte diese Frage und sagte, er sei es wirklich auf Grund eines Adelsbriefes, den er vom Kurfürsten von der Pfalz erhalten habe. Als er sah, daß ich seine Herkunft erriet, sprach er offen mit mir, und da er wußte, daß ich den widernatürlichen Geschmack des Herrn von Mocenigo kannte, so sagte er mir lachend, er sei dessen Mignon. »Ich werde für Sie tun,« fügte er hinzu, »was nur in meinen Kräften steht.« Dies war für mich höchst wünschenswert, denn ein solcher Alexis mußte von seinem Corydon alles erlangen, was er wollte. Wir umarmten uns, und er sagte mir beim Abschied, er erwarte mich nachmittags im Botschaftspalast, calle ancha, Breite Straße, um auf seinem Zimmer Kaffee zu trinken; der Botschafter würde gewiß kommen, sobald er ihm sagen ließe, daß ich da wäre.

Ich ging hin; der Botschafter empfing mich sehr freundlich und sprach mir voller Gefühl sein Bedauern aus, daß er es nicht wagen dürfe, mich öffentlich zu empfangen. Er hätte es allerdings können und hätte mich auch bei Hofe vorstellen können, ohne sich bloßzustellen, denn er brauchte von dem summarischen Verfahren der Inquisitoren gegen meine Person nichts zu wissen. Aber er fürchtete, sich Feinde zu machen.

»Ich hoffe«, sagte ich zu ihm, »bald aus Venedig einen Brief zu erhalten, worin Eurer Exzellenz von Seiten der Staatsinquisitoren gesagt werden wird, daß Sie mich unbedenklich vorstellen können.«

»Ich werde mich alsdann beeilen, Sie allen Ministern vorzustellen.«

Dieser Mocenigo ist derselbe, der in Paris durch seinen unglückseligen Hang zur Päderastie eine so traurige Berühmtheit erlangte, denn dieses Laster oder dieser Geschmack ist den Franzosen ein Greuel. Später wurde er vom Rat der Zehn zu siebenjähriger Haft in der Zitadelle von Brescia verurteilt, weil er von Venedig auf seinen Botschafterposten in Wien abreisen wollte, ohne dazu vorher die Erlaubnis des Staatskabinetts erhalten zu haben. Maria Theresia hatte der venetianischen Regierung mitgeteilt, sie werde niemals einwilligen, an ihrem Hofe einen Mann zu empfangen, dessen verruchter Geschmack ihrer ganzen Hauptstadt ein Ärgernis sein werde.

Man war in Venedig in Verlegenheit, Mocenigo zur Vernunft zu bringen; als er aber den Fehler beging, ohne alle Umstände abreisen zu wollen, benutzte man die Gelegenheit, ihn auf die Festung zu verbannen und einen anderen Botschafter zu bestimmen. Dieser Nachfolger hatte denselben obszönen Geschmack wie Mocenigo, aber er machte es mit Hebe und nicht mit Ganymed, wodurch über seine Ausschweifungen ein Schleier von Anstand gebreitet wurde.

Trotz seinem schlechten Ruf als Päderast war Mocenigo in Madrid beliebt. Ich mußte lachen, als auf einem Ball bei einem spanischen Granden der Hausherr mit einer geheimnisvollen Miene mir sagte, der junge Manucci, mit dem er mich gesehen habe, sei die Frau des Botschafters. Er wußte nicht, daß im Gegenteil der Gesandte Manuccis Frau war, und konnte die Sache nicht begreifen. Glückliche Unwissenheit! Übrigens war dieser Geschmack, so pervers er erscheinen mag, die herrschende Leidenschaft mehrerer großer Männer. Im Altertum war er allgemein verbreitet, und diejenigen, die ihm frönten, wurden Hermaphroditen genannt; dieser Name bezeichnete die Vereinigung der beiden Leidenschaften, und nicht etwa die der beiden Geschlechter in einer Person; denn diese letzteren sind nur das Sinnbild.

Ich hatte bereits zwei oder drei Besuche beim Maler Mengs gemacht, der seit sechs Jahren mit einem hohen Gehalt im Dienste Seiner Katholischen Majestät stand, und er hatte mir schöne Diners gegeben, wozu er auch seine anderen Freunde eingeladen hatte. Seine Frau und seine Familie waren in Rom. Er lebte in Madrid allein mit seinem Bedienten in einer sehr schönen Wohnung eines königlichen Hauses und stand in hoher Achtung, weil er mit dem König sprechen konnte, so oft er wollte. Ich machte bei Mengs die Bekanntschaft des Baumeisters Sabattini. Diesen talentvollen Mann hatte der König von Neapel kommen lassen, um den Versuch zu machen, Madrid zu säubern; vor Sabattinis Ankunft war Madrid die schmutzigste und stinkigste Stadt der Welt gewesen. Sabattini ließ unterirdische Abzugsröhren und Abtritte in vierzehntausend Häusern herstellen und war dadurch reich geworden. Er hatte durch Prokuration die Tochter eines anderen Baumeisters, Vanvitelli, geheiratet; sie befand sich in Neapel und hatte ihn niemals gesehen. Sie war in Madrid zur selben Zeit angekommen wie ich. Sie war eine achtzehnjährige Schönheit und hatte die Kühnheit, sobald sie ihren Gemahl gesehen hatte, zu erklären, sie würde niemals darin einwilligen, seine Frau zu werden. Sabattini war allerdings weder jung noch hübsch, aber er war liebenswürdig und von vornehmem Wesen, und das reizende Weib entschloß sich, den bitteren Kelch zu leeren, als er ihr sagte, sie hätte nur die Wahl zwischen ihm und einem Kloster, übrigens brauchte sie ihren Entschluß nicht zu bereuen, denn sie fand in ihrem Gatten einen reichen, zärtlichen und gefälligen Mann, der ihr keinen Wunsch versagte. Ich glühte für sie, aber ich seufzte in aller Stille und betete sie schweigend an; denn abgesehen davon, daß mein Herz noch um Charlotte blutete, begann es mich zu entmutigen, wenn ich sehen mußte, daß die Frauen mir nicht mehr den Empfang bereiteten wie früher.

Um mich zu zerstreuen, ging ich oft ins Theater, das ganz dicht bei meiner Wohnung lag, und besuchte die Maskenbälle, für welche Graf Aranda eigens einen Saal hatte erbauen lassen; man nannte sie Los Scaños del Peral. Die spanische Komödie ist voll von sonderbaren Stellen, indessen mißfiel sie mir nicht. Es wurden religiöse Stücke aufgeführt, die man kurz darauf wieder verbot. Auffällig war mir die Unverschämtheit einer niederträchtigen Polizei, auf deren Anordnung die Logen in einer geradezu unanständigen Form gebaut sind. Statt durch eine Bretterbrüstung die Beine der Männer und die Röcke der Frauen den Blicken des Parketts zu entziehen, läßt man diese Logen vollständig offen, denn die Brüstungen werden nur durch einige kleine Säulen getragen. Vorurteil und Macht der Gewohnheit sind aber so stark, daß ein frommer Herr, der neben mir saß, mit salbungsvoller Miene mir sagte, diese Anordnung sei sehr weise und er wundere sich, daß in Italien die Polizei sie nicht nachahme.

»Weshalb wundern Sie sich darüber?«

»Nun, wenn ein Liebespaar sicher ist, vom Parkett aus nicht gesehen zu werden, kann es unzüchtige Handlungen begehen.«

Ich zuckte die Achseln und antwortete nicht.

In einer großen Loge, der Bühne gerade gegenüber, saßen Los Padres der Inquisition, um sich von der Sittenreinheit der Zuschauer und Schauspieler zu überzeugen. Meine Augen betrachteten gerade diese ehrwürdigen Heuchlergesichter, als plötzlich die Schildwache, die am Eingang zum Parkett stand, mit lauter Stimme ausrief: »Dios«. Auf diesen Ruf warfen alle Zuschauer, Männer wie Frauen, und alle Schauspieler, die auf der Bühne standen, sich auf die Knie und verharrten in dieser Stellung bis man nicht mehr das Glöckchen auf der Straße klingen hörte. Dieses Glöckchen verkündete, daß ein Priester vorbeikam, um irgendeinem Kranken die heilige Wegzehrung zu bringen. Ich hatte die größte Lust, laut herauszulachen, aber ich kannte die spanischen Sitten bereits zu gut, als daß ich mich nicht hätte zurückhalten sollen. Bei den Spaniern besteht die Religion durchaus nur in der Ausübung des äußerlichen Kults. Wenn eine Frau den wollüstigen Wünschen ihres Geliebten nachgibt, bedeckt sie vor allen Dingen mit einem Schleier das Bildnis Christi oder der heiligen Jungfrau, das sich im Zimmer befindet. Sollte jemand über diesen abgeschmackten Brauch lachen, so würde er Gefahr laufen, nicht nur für einen Atheisten zu gelten, sondern sogar von derselben Unglücklichen, die ihm ihre Gunst verkauft hätte, bei der heiligen Inquisition denunziert zu werden.

In Madrid – und vielleicht gilt dies für ganz Spanien – muß ein jeder, der in einem Gasthof sich ein besonderes Zimmer geben läßt, um mit einer Frau zu speisen, darauf gefaßt sein, daß der Aufwärter beständig in diesem Zimmer weilt, um nach dem Essen beschwören zu können, daß dieser Mann und diese Frau weiter nichts getan und nur gegessen und getrunken haben. Trotz allen diesen Vorsichtsmaßregeln herrscht in Madrid die größte Liederlichkeit. Diese ist viel größer als in allen anderen Ländern, weil noch die abscheuliche Heuchelei hinzukommt, die der wahren Frömmigkeit mehr schadet als unverhüllte Unzucht. Männer und Frauen scheinen sich verabredet zu haben, jede Aufsicht überflüssig zu machen. Übrigens ist der Umgang mit den spanischen Weibern nicht ohne Gefahr, denn man hat oft Anlaß, die erlangten Gunstbeweise zu bedauern. Ob dieses daher rührt, daß die Geschlechtskrankheiten unter der Bevölkerung eingewurzelt sind, oder daß es an Sauberkeit mangelt, oder daß durch den Zwang der Umstände die Überwachung der Gesundheit erschwert wird. Dies lasse ich dahingestellt sein.

Der Maskenball entzückte mich. Das erstemal, als ich im Domino hinging, um mir einmal anzusehen, was los wäre, kostete der Spaß mir nur eine Dublone, ungefähr zwölf Franken; aber alle anderen Male kostete er mir vier Dublonen, und das kam so:

Ein Herr von etwa sechzig Jahren, der beim Souper neben mir saß, bemerkte, daß ich Schwierigkeiten hatte, mich mit dem Kellner zu verständigen; er erriet, daß ich ein Fremder sei, und fragte mich, wo ich meine Dame hätte.

»Ich habe keine. Ich bin allein hierher gekommen, um mir dieses entzückende Etablissement anzusehen. Ich bewundere die Freude, die hier herrscht, und die schöne Ordnung, die ich in Madrid nicht zu finden erwartet hatte.«

»Das ist ganz schön und gut; aber um wirklich Genuß zu haben, müssen Sie mit einer Begleiterin kommen, denn Sie sehen mir aus, als wenn Sie Vergnügen am Tanz hätten. Wenn Sie aber allein kommen, so können Sie nicht tanzen; denn jede Dame hat ihren par jo oder Partner, der ihr nicht erlaubt, mit einem anderen zu tanzen als nur mit ihm.«

»In diesem Falle werde ich allein hierher kommen und nicht tanzen; denn als Fremder kenne ich keine Dame, die ich einladen könnte, mit mir den Ball zu besuchen.«

»Gerade in Ihrer Eigenschaft als Fremder können Sie sich leicht die Gesellschaft einer Frau oder eines Mädchen« verschaffen – viel leichter als ein Spanier von Madrid. Seitdem der Graf von Aranda eine neue Lebensweise bei uns eingeführt hat, ist dieser Ball die Leidenschaft aller Frauen unserer Hauptstadt geworden. Sie sehen hier ungefähr zweihundert Tänzerinnen (die Damen, die in den Logen sitzen, rechne ich nicht), und ich glaube mich nicht zu irren, wenn ich behaupte, daß in diesem Augenblick viertausend junge Mädchen zu Hause weinen und seufzen, daß sie nicht einen Liebhaber haben, der sie auf den Ball führen kann; denn, wie Sie vielleicht wissen, ist es Frauen verboten, allein zu kommen. Darum bin ich überzeugt, daß Sie nur Ihren Namen zu nennen und Ihre Wohnung anzugeben brauchen; kein Vater und keine Mutter werden den Mut haben, Ihnen die Gesellschaft Ihrer Tochter zu verweigern, wenn Sie zu ihnen gehen und um die Ehre bitten, das Mädchen auf den Ball führen zu dürfen, hierauf Domino, Maske und Handschuhe senden, sie im Wagen abholen und sie wieder nach dem väterlichen Herde zurückbringen.«

»Und wenn man mir eine abschlägige Antwort gibt?«

»So machen Sie Ihre Verbeugung und gehen. Vater und Mutter werden es bereuen; denn die Tochter wird weinen, krank sein, Krämpfe bekommen, sich ins Bett legen, die elterliche Tyrannei verfluchen und Gott zum Zeugen anrufen, daß sie Sie gar nicht gekannt hat, und daß nichts unschuldiger sein konnte, als Ihre Bitte.«

Was der Herr sagte, war mir neu, aber es klang überzeugend, und mich erfreute die Hoffnung, auf diese Weise zu einem angenehmen Liebesverhältnis kommen zu können. Ich dankte der freundlichen Maske, die sehr gut italienisch sprach, und sagte dem Herrn, ich würde mir seine Belehrung zunutze machen und ihn von dem Ergebnis in Kenntnis setzen.

»Ich werde sehr erfreut sein, von einem günstigen Erfolg zu hören. Sie finden mich jede Ballnacht in der Loge, in die Sie zu führen ich mir gestatten werde, um Sie der Dame vorzustellen, die sich dort befindet, und die Sie in allen folgenden Nächten ebenfalls dort finden werden.«

Tief durchdrungen von Dankbarkeit für soviel Höflichkeit sagte ich ihm meinen Namen und folgte ihm; er führte mich in eine Loge, wo sich zwei Damen und ein älterer Herr befanden. Mein Führer stellte mich als einen ihm bekannten Fremden vor, und die Unterhaltung kam auf den Ball. Ich sprach meine Meinung aus und machte einige launige Bemerkungen, die den Herrschaften gefielen. Eine von den beiden Damen, deren Züge von vergangener Schönheit sprachen, fragte mich in sehr gutem Französisch, welche Tertulias (Gesellschaften) ich besuchte.

»Madame, ich befinde mich erst seit sehr kurzer Zeit in Madrid, und da ich nicht bei Hofe vorgestellt bin, so habe ich durchaus keine Bekanntschaften.«

»Wie! Aber da bedauere ich Sie, kommen Sie zu mir, mein Herr, Sie werden willkommen sein. Ich heiße Pichona, und jedermann wird Ihnen meine Wohnung sagen.«

»Ich werde die Ehre haben, gnädige Frau, Ihnen meine Aufwartung zu machen.«

Gegen Mitternacht bot sich mir ein entzückendes Schauspiel, als zu den Klängen der Musik und mit Händeklatschen die Paare zu dem tollsten Tanz antraten, den man sich denken kann. Es war der berühmte Fandango, den ich zu kennen glaubte, und von dem ich in Wirklichkeit keine Ahnung hatte. Ich hatte ihn bisher nur in Italien und in Frankreich auf der Bühne tanzen sehen, aber die Tanzenden hatten sich wohl gehütet, die Bewegungen zu machen, durch die der Fandango der verführerischste und wollüstigste Tanz der Welt wird. Er läßt sich nicht beschreiben; jedes Paar, Mann und Weib, macht nur drei Schritte und klappert zum Klange der Musik mit den Castagnetten; dabei aber nehmen sie tausend Stellungen ein und machen tausend Bewegungen von einer unvergleichlichen Sinnlichkeit. Die Liebe wird von ihrem Entstehen bis zu ihrem Ende dargestellt, vom ersten Seufzer des Begehrens bis zur Ekstase des Genusses. Es schien mir unmöglich zu sein, daß nach einem solchen Tanze die Tänzerin ihrem Tänzer etwas versagen könnte; denn der Fandango muß alle Sinne zur höchsten Wollust erregen. Der Anblick dieses Bacchanals entzückte mich dermaßen, daß ich laut aufschrie. Der maskierte Kavalier, der mich in die Loge gefühlt hatte, sagte mir: »Um sich vom Fandango einen richtigen Begriff machen zu können, müßten Sie ihn von Gitanas tanzen sehen, und zwar mit Kavalieren, die ebenso tanzen wie die Mädchen.«

»Aber hat denn die Inquisition nichts gegen diesen Tanz einzuwenden?«

Die Pichona antwortete mir an seiner Stelle, der Tanz wäre streng verboten, und man würde ihn nicht zu tanzen wagen, wenn nicht der Graf von Aranda ihn erlaubt hätte.

Man erzählte mir später, der Graf hätte einmal den Einfall gehabt, die Erlaubnis zu widerrufen; da hätten alle Tänzer murrend den Ball verlassen; als aber der Tanz wieder von ihm erlaubt worden wäre, hätten alle unermüdlich sein Lob gesungen.

Am nächsten Tage befahl ich meinem elenden Pagen, mir einen Spanier zu verschaffen, von dem ich den Fandango lernen könnte. Er brachte mir einen Operntänzer, bei dem ich ebenfalls spanischen Unterricht nahm, denn er war zugleich auch Schauspieler und sprach sehr gut. In drei Tagen lehrte der junge Mann mich so gut alle Stellungen des Tanzes, daß sogar nach dem Urteil von Spaniern niemand sich schmeicheln konnte, den Fandango besser zu tanzen als ich.

Ich gedachte den Rat der freundlichen Maske zu befolgen, und als der Tag des nächsten Balles näher rückte, traf ich meine Vorbereitungen. Ich wollte jedoch weder ein gewöhnliches Frauenzimmer noch eine verheiratete Frau, und an ein reiches oder adeliges Fräulein konnte ich vernünftigerweise nicht denken, denn dieses würde mir eine abschlägige Antwort gegeben und mich obendrein noch lächerlich gefunden haben.

Am Antonitage kam ich an der Kirche der Soledad vorbei. Ich trat in der doppelten Absicht ein, die Messe zu hören und mir für den nächsten Tag, am Mittwoch, eine pareja zu verschaffen.

Ich bemerkte ein großes und schönes Mädchen, das mit zerknirschter Miene und gesenkten Blicken aus einem Beichtstuhl herauskam. Ich folgte ihr mit den Augen. Mitten in der Kirche kniete sie nach spanischer Gewohnheit auf der Erde nieder. Nach ihrem wiegenden Gang, ihren schön entwickelten Formen, ihrem kleinen Fuß urteilte ich, sie müsse den Fandango wie eine Gitana tanzen. Ich beschloß daher, wenn möglich mit ihr zum erstenmal bei den Scaños del Peral mitzuwirken. Sie sah weder vornehm noch reich aus, aber sie war offenbar auch nicht eine von jenen Dirnen, die in Madrid so gut wie jedes anständige Mädchen zur Messe gehen; ich beschloß daher, ihr zu folgen, um ihre Wohnung zu erfahren. Als die Messe zu Ende war und der Priester das Abendmahl reichte, sah ich sie aufstehen, bescheiden an den Tisch des Herrn treten und die Kommunion empfangen. Hierauf ging sie wieder auf die Seite, um ihr Gebet zu vollenden. Ich besaß die Geduld, so lange zu warten, bis sie fertig war. Endlich ging sie hinaus, begleitet von einem anderen jungen Mädchen; ich folgte ihr von ferne. An einer Straßenecke verließ ihre Begleiterin sie und trat in ein Haus ein. Meine Schöne kehrte um, ging etwa zwanzig Schritte zurück, bog in eine andere Straße ein und betrat ein einstöckiges Häuschen. Ich konnte mich nicht täuschen; ich merkte mir den Namen der Straße: del Desingaño uud ging dann eine halbe Stunde spazieren, um nicht den Verdacht aufkommen zu lassen, daß ich ihr nachgegangen wäre. Hierauf kam ich wieder. Ich war vollkommen darauf vorbereitet, einen abschlägigen Bescheid zu erhalten und meine Verbeugung zu machen, wie der Kavalier mir gesagt hatte. Ich trat ein, ging die Treppe hinauf und fand eine Klingelschnur neben der einzigen Tür, die zu sehen war. Ich klingelte, und man rief: »Wer ist da?«

»Gente de paz!« rief ich, wie nach dem Brauch des Landes jedermann außer den Gerichtsboten der Inquisition. Die Tür öffnete sich, und ich sah vor mir einen Mann, eine Frau, das fromme junge Mädchen, dem ich gefolgt war, und ein anderes sehr häßliches Mädchen.

Ich sprach allerdings sehr schlecht spanisch, aber doch gut genug, um mich verständigen zu können. Ich zog den Hut und sagte in bescheidenem Tone zum Vater: »Ich bin Ausländer, möchte auf den Ball gehen und habe keine pareja. Ich bin auf gut Glück in Ihr Haus gegangen und möchte Sie um Erlaubnis bitten, Ihre Tochter auf den Ball führen zu dürfen, wenn Sie eine haben. Ich bin ein Ehrenmann und werde sie Ihnen nach dem Ball in demselben Zustande wieder zuführen, wie ich sie von Ihnen erhalten habe.«

»Señor, dies ist meine Tochter; aber ich kenne Sie nicht und weiß nicht, ob sie Lust hat, auf den Ball zu gehen.«

»Wenn Sie es nur erlauben, lieber Vater und liebe Mutter, werde ich mich glücklich schätzen, hingehen zu dürfen.«

»Du kennst also den Herrn?«

»Ich habe ihn nie gesehen, und auch er wird mich schwerlich je gesehen haben.«

»Das ist wahr, Señora.«

Der Mann fragte mich nach meinem Namen und meiner Wohnung und versprach mir zu Mittag eine Antwort, wenn ich bei mir zu Hause äße. Ich entschuldigte mich bei ihm wegen der Freiheit, die ich mir genommen hätte, und bat ihn, mir ganz bestimmt seine Antwort zu überbringen, damit ich mir, wenn er mir seine Tochter nicht gäbe, eine andere pareja auf gut Glück besorgen könnte; meine Bekannten wären lauter reiche Mädchen, die alle bereits ihre Kavaliere hätten. Hierauf entfernte ich mich.

Im Augenblick, wo ich mich zu Tisch setzen wollte, sah ich den guten Mann erscheinen. Ich lud ihn ein, Platz zu nehmen, nachdem ich meinen greulichen Pagen hinausgeschickt hatte. Er sagte mir, seine Tochter nehme die Ehre an, die ich ihr erweisen wollte, aber ihre Mutter werde sie begleiten und, in meinem Wagen schlafend, auf sie warten. Ich antwortete ihm, das könne sie nach ihrem Belieben tun, aber es tue mir leid, daß sie jedenfalls frieren werde.

Er antwortete mir: »Sie wird einen guten Mantel haben.«

Hierauf teilte er mir mit, daß er Schuster sei, worauf ich zu ihm sagte: »Dann möchte ich Sie bitten, mir ein Paar Schuhe anzumessen.«

»Das wage ich nicht, denn ich bin hidalgo – adlig: wenn ich jemandem Maß nähme, wäre ich genötigt, seinen Fuß zu berühren, und das würde mich in meiner Würde herabsetzen. Ich bin Schuhflicker, auf diese Weise vergebe ich meinem Stande nichts.«

»Wollen Sie mir also diese Stiefel ausflicken.«

»Sie sollen wieder so gut wie neu werden, aber es ist viel daran zu machen, wie ich sehe. Es wird Ihnen einen peso duro kosten.«

Ein peso duro ist ungefähr fünf Franken wert. Ich sagte ihm, ich finde den Preis sehr billig; hierauf machte er eine tiefe Verbeugung. Mit mir zu essen, schlug er mit aller Bestimmtheit aus.

Ein Schuhflicker, der die Schuhmacher verachtet, weil sie die Füße ihrer Kunden anrühren! Jedenfalls verachteten sie ihrerseits ihn, weil er nur altes Leder berührte. Unglückselige Eitelkeit! Was für Formen nimmt sie an! Und wer hat nicht die seinige!

Am nächsten Tage schickte ich zu dem adligen Schuhflicker einen Händler mit Dominos, Masken und Handschuhen. Ich selber ging absichtlich nicht hin; ebensowenig schickte ich meinen Pagen, gegen den ich eine natürliche Abneigung hatte, die sich bald als eine sehr richtige Vorahnung erweisen sollte. Nachdem ich mir einen guten viersitzigen Wagen verschafft hatte, begab ich mich mit Einbruch der Nacht in das Haus meiner schönen Frommen. Sie war fix und fertig, und die rosige Farbe, die ihr Gesicht belebte, verriet mir, was in ihrem Herzen vorging. Wir stiegen mit ihrer Mutter, die sich in einen großen Mantel eingewickelt hatte, in den Wagen und fuhren beim Tanzsaal vor, wo wir ausstiegen und die Mutter im Wagen ließen. Als wir allein waren, sagte meine schöne pareja mir, sie heiße Doña Ignazia.

Siebentes Kapitel


Meine Liebschaft mit Dona Ignazia, der Tochter des adligen Schuhflickers. – Meine Gefangenschaft in Buen Retiro und mein Triumph. – Ich werde der venetianischen Botschaft durch einen Staatsinquisitor der Republik empfohlen.

Wir traten in den Saal ein und machten mehrere Mal die Runde in demselben. Doña Ignazia war so freudig erregt, daß ich ihr unwillkürliches Zittern fühlte. Ich deutete mir dieses als eine günstige Vorbedeutung für meine verliebten Absichten. In dem Saal, wo eine Freiheit herrschte, die fast an Zügellosigkeit grenzte, gingen zahlreiche Soldaten mit aufgepflanztem Bajonett umher, um einen jeden, der Lärm machen würde, sofort zu verhaften.

Wir tanzten Menuetts und Kontertänze bis zehn Uhr und gingen dann zum Souper. Wir schwiegen beide: sie, um mich nicht zu ermutigen; ich, weil ich nur sehr wenig spanisch konnte und nicht wußte, was ich ihr sagen sollte. Nach dem Essen ließ ich sie einen Augenblick allein und ging in die Loge, wo ich die Pichona treffen sollte. Da ich jedoch nur unbekannte Masken fand, ging ich wieder zu meiner pareja, und wir ergaben uns wie vorher dem Tanze, bis die Erlaubnis verkündet wurde, den Fandango zu tanzen. Ich trat mit meiner pareja an, die ganz ausgezeichnet tanzte und sehr erstaunt war, daß ein Ausländer ihr so gut sekundierte. Der Tanz hatte uns in Flammen qesetzt. Sobald er beendigt war, führte ich sie nach dem Büfett und ließ ihr alles vorsetzen, was ihren Gaumen reizen konnte. Hierauf fragte ich sie, ob sie mit mir zufrieden sei, und sagte ihr, sie habe mich so verliebt gemacht, daß ich sterben werde, wenn sie nicht ein Mittel fände, mich glücklich zu machen. Zugleich versicherte ich ihr, ich sei der Mann, allen Gefahren zu trotzen.

Sie antwortete mir: »Ich darf nur daran denken, Sie glücklich zu machen, wenn ich selber glücklich werde; ich werde Ihnen morgen schreiben, inwiefern Sie dazu beitragen können, und Sie werden meinen Brief in die Kapuze meines Dominos eingenäht finden.«

»Sie werden mich zu allem bereit finden, schöne Ignazia, wenn ich alles von Ihnen hoffen kann.«

Es war Zeit zum Aufbrechen; wir gingen auf die Straße, fanden meinen Wagen und stiegen ein. Die Mutter erwachte, und der Kutscher fuhr ab. Ich ergriff die Hände des Mädchens, um sie ihr zu küssen. Ohne Zweifel dachte sie jedoch, ich hätte andere Absichten, bemächtigte sich meiner Hände und hielt diese so fest, daß ich wohl vergeblich versucht haben würde, sie zu befreien. In dieser seltsamen Stellung und augenscheinlich ohne Kraftanstrengung begann Doña Ignazia ihrer Mutter zu erzählen, wieviel Vergnügen der Ball ihr bereitet habe. Sie ließ meine Hände erst los, als wir an der Ecke ihrer Straße angekommen waren und die Mutter dem Kutscher zurief, daß er halten solle. Sie wollte nicht vor ihrer eigenen Türe aussteigen, um den Lästerzungen keinen Anlaß zu böser Nachrede zu geben.

Am nächsten Tage ließ ich den Domino wieder abholen. Ich fand darin den Brief, und Doña Ignazia schrieb mir: Don Francisco de Ramos werde sich bei mir melden lassen; er sei ihr Liebhaber, und ich werde von ihm erfahren, auf welche Weise ich sie glücklich machen könne; mein Glück werde die Folge des ihrigen sein.

Dieser Don Francisco ließ nicht lange auf sich warten; denn mein Page meldete ihn mir schon am nächsten Morgen um acht Uhr. Er sagte mir, Doña Ignazia spreche mit ihm jede Nacht von ihrem Fenster aus; sie habe ihm anvertraut, daß sie mit mir und ihrer Mutter auf dem Ball gewesen sei; sie sei überzeugt, daß ich zu ihr eine väterliche Zuneigung gefaßt habe, und habe ihn überredet, sich mir vorzustellen; sie sei gewiß, ich werde ihn wie meinen Sohn behandeln. Infolgedessen habe er den Mut gefaßt, sich mir zu eröffnen und mich um ein Darlehen von hundert Dublonen zu bitten, wodurch er in den Stand gesetzt würde, seine Geliebte noch vor dem Ende des Karnevals zu heiraten. »Ich bin«, fuhr er fort, »bei der Königlichen Münze angestellt, habe jedoch für den Augenblick nur eine schwache Besoldung. Ich hoffe binnen kurzem Beförderung zu erhalten und imstande zu sein, Ignazia glücklich zu machen. Ich habe in Madrid keinen einzigen Freund, denn alle meine Verwandten sind in Toledo; wenn ich eingerichtet bin, werde ich keinen Menschen bei mir sehen als die Eltern meiner Frau und Sie, denn ich weiß, daß Sie sie lieben, wie wenn sie Ihre eigene Tochter wäre.«

Ich antwortete ihm: »Sie lassen mir Gerechtigkeit widerfahren, Don Francisco; ich erwarte jedoch Geld, woran es mir in diesem Augenblick fehlt. Sie können auf meine Verschwiegenheit zählen und werden mir ein Vergnügen bereiten, so oft Sie mich besuchen.«

Der schöne Liebhaber machte mir eine Verbeugung und ging ganz betrübt hinaus. Don Francisco war ein Jüngling von zweiundzwanzig Jahren, häßlich und schlecht gewachsen. Ich lachte über das Abenteuer, denn ich hatte für Ignazia nur eine flüchtige Neigung empfunden und ging aus, um der Pichona meine Aufwartung zu machen. Dies war die Dame, die mich das erstemal, wo ich sie sah, so freundlich eingeladen hatte, sie zu besuchen. Ich hatte mich nach ihr erkundigt und erfahren, daß sie Schauspielerin gewesen war und dem Herzog von Medina-Celi ihr Vermögen verdankte. Der Herzog hatte ihr bei sehr strenger Kälte einen Besuch gemacht und kein Feuer im Kamin gefunden, weil sie kein Geld hatte, sich Kohlen zu kaufen. Er schämte sich, daß er, der unermeßlich Reiche, bei einer so armen Frau gewesen war, und schickte ihr gleich am nächsten Tage ein silbernes Kohlenbecken, das er, statt mit Kohlen, mit hunderttausend Pesos duros in Gold gefüllt hatte, die einen Wert von ungefähr fünfhunderttausend Franken hatten. Seitdem lebte Pichona in sehr behaglichen Verhältnissen und empfing gute Gesellschaft.

Die Pichona nahm mich sehr freundlich auf, aber sie sah traurig aus. Ich sagte ihr: »Da ich nicht das Glück hatte, Sie in der vorigen Ballnacht in Ihrer Loge zu finden, so fürchtete ich, Sie seien unpäßlich, und glaubte, mich nach Ihrer Gesundheit erkundigen zu sollen.«

»Ich war nicht da; denn an demselben Tage starb nach dreitägiger Krankheit der Herzog von Medina-Celi, der einzige Freund, den ich auf der Welt besaß.«

»Ich nehme tiefen Anteil an Ihrem Schmerz, gnädige Frau. War der Herzog alt?«

»Nein, keine sechzig Jahre. Sie haben ihn ja gesehen; man sah ihm sein Alter nicht an.«

»Wo habe ich ihn denn gesehen?«

»Hat er Sie nicht in meine Loge geführt?«

»Wie? Das war er? Er hat mir nicht seinen Namen genannt; ich sah ihn zum ersten Male.«

Dieser Todesfall machte tiefen Eindruck auf mich; mein Leser wird mir verzeihen, daß ich geglaubt habe, er sei ein großes Unglück für mich. Sein ganzes Vermögen erbte sein einziger Sohn, der sehr geizig war, und, wie es ja meistens der Fall ist, einen Sohn hatte, der die besten Anlagen zu einem Verschwender aufwies.

Man hat mir gesagt, das Haus des Herzogs von Medina-Celi habe dreißig Hüte; das will sagen: dreißig spanische Grandenschaften.

Ein junger Mann, der in dem Kaffeehaus verkehrte, das ich niemals besuchte, obwohl ich dort wohnte, trat eines Tages mit recht ungezwungenem Wesen bei mir ein, um mir in einem für mich neuen Lande, das er gründlich zu kennen behauptete, seine Dienste anzubieten.

»Ich bin der Graf Marazzani von Piacenza. Ich bin nicht reich und kam nach Madrid, um hier mein Glück zu versuchen. Ich hoffe, in die Leibwache Seiner Katholischen Majestät aufgenommen zu werden. Seit einem Jahr warte ich darauf und amüsiere mich unterdessen. Ich sah Sie auf dem Ball mit einer Schönheit, die kein Mensch kannte. Ich will nicht wissen, wer es ist; aber wenn Sie die Veränderung lieben, kann ich Sie mit dem Besten bekannt machen, was es in Madrid gibt.«

Wäre ich so vernünftig gewesen, wie ich mit meiner Erfahrung eigentlich hätte sein sollen, so hätte ich den frechen Menschen zur Tür hinausgeworfen oder ihn jedenfalls tüchtig abfallen lassen. Aber ich und vernünftig! Ohne daß ich es selber wußte, begann mein vernünftiger Lebenswandel mir lästig zu werden; eine gräßliche Leere begann mich zu quälen: ich hatte eine nette, kleine Leidenschaft nötig, wie ich bis dahin so viele gehabt hatte. Ohne mir etwas dabei zu denken, nahm ich also den Merkur gut auf und lud ihn ein, mir die Schönheiten zu zeigen, die meiner Aufmerksamkeit würdig wären; jedoch nicht solche, die leicht zu haben wären, und ebensowenig solche, deren Eroberung zu viele Schwierigkeiten machen würde; denn ich wollte mir in Spanien keine lästigen Geschichten auf den Hals ziehen.

»Kommen Sie mit mir auf den Ball«, sagte er mir, »und ich verspreche Ihnen, Sie sollen alle, die Sie interessieren, trotz ihren offiziellen Liebhabern haben.«

Der Ball fand an demselben Abend statt. Ich gab ihm meine Zusage, daß ich mitgehen würde, und als er sich bei mir zum Mittagessen einlud, erfüllte ich seine Bitte. Nach dem Essen sagte er mir, er habe kein Geld, und ich war auch noch so schwach, ihm eine Dublone zu geben. Er war weiter nichts als ein frecher Intrigant; außerdem war er häßlich und hatte nur ein Auge. Ich war die ganze Nacht mit ihm auf dem Ball, und er zeigte mir etwa zwanzig hübsche Frauen, deren Geschichte er mir erzählte. Eine von ihnen erregte mein Interesse, und er versprach mir, mich bei einer Kupplerin mit ihr zusammenzubringen. Er hielt mir Wort, aber es kam mir teuer zu stehen, und das Vergnügen, das er mir verschaffte, war der Ausgabe nicht wert; denn ich fand keinen Gegenstand, der würdig gewesen wäre, mich zu fesseln.

Gegen Ende des Karnevals brachte der Hidalgo Don Diego, Doña Ignazias Vater, mir meine Stiefel und zugleich die Komplimente seiner Frau und seiner Tochter, die immerzu von dem Vergnügen spreche, das sie auf dem Ball gehabt habe und mein zartfühlendes Benehmen gar nicht genug loben könne.

Ich antwortete ihm: »Sie ist ein ebenso ehrbares wie schönes Mädchen; sie verdient ihr Glück zu machen, und wenn ich nicht zu ihr gegangen bin, so geschah dies nur, weil ich ihrem Ruf nicht schaden wollte.«

»Ihr Ruf ist ebenso wie der meinige über alle Verleumdungen erhaben, und, Señor Caballero, ich würde mich geehrt fühlen, wenn Sie die Güte haben wollten, mich zu besuchen.«

Dieses Entgegenkommen stachelte mich an.

»Der Karneval geht seinem Ende zu, und wenn Doña Ignazia Lust hat, noch einmal den Ball zu besuchen, so werde ich sie mit großem Vergnügen hinführen.«

»Holen Sie sich die Antwort selber.«

»Ich verspreche es Ihnen.«

Ich war neugierig, wie meine fromme Spanierin sich benehmen würde, die mich alles nach der Heirat hoffen lassen wollte, und mich für diese Hoffnung hundert Dublonen zahlen zu lassen gedachte. Ich ging noch am gleichen Tage zu ihr und fand sie mit dem Rosenkranz in der Hand bei ihrer Mutter sitzen, während ihr edler Vater alte Stiefel flickte. Ich lachte innerlich darüber, einen Schuhflicker Don nennen zu müssen, der nicht Schuhmacher sein wollte, weil er Hidalgo war. Hidalgo, das bedeutet adlig, kommt von hijo de algo, Sohn von etwas; oft rächt das grobe Volk sich für die Verachtung der Hidalgos, die die Bürgerlichen hijos de nada, Söhne von nichts, nennen, dadurch, daß sie sie hideputa nennen, von hijos de puta, Hurensöhne.

Doña Ignazia stand höflich von der Erde auf, auf der sie mit gekreuzten Beinen saß wie eine Afrikanerin. Dieser Brauch stammt noch von den Mauren. Ich sah in Madrid vornehme Frauen so auf dem Parkett sitzen, besonders auch in den Vorzimmern des Hofes und in dem des Palastes der Prinzessin von Asturien. Die Spanierinnen sitzen auf ihren Beinen in der Kirche, wo es weder Bänke noch Stühle gibt; sie besitzen eine überraschende Geschicklichkeit, aus dieser Stellung in eine kniende oder stehende überzugehen oder umgekehrt.

Doña Ignazia dankte mir für die Ehre, die ich ihr durch meinen Besuch erweise, und sagte mir, ohne mich würde sie niemals den Ball gesehen haben; auch hoffe sie nicht mehr, noch einmal hinzukommen, denn ohne Zweifel werde ich seitdem einen Gegenstand gefunden haben, der meiner Aufmerksamkeit würdiger sei als sie.

»Ich habe keinen gefunden, der würdig wäre, Ihnen vorgezogen zu werden,« antwortete ich ihr, »und wenn Sie noch einmal auf den Ball gehen wollen, werde ich Sie mit größtem Vergnügen hinführen.«

Vater und Mutter waren sehr zufrieden, ihrer geliebten Tochter das Vergnügen verschaffen zu können, und da der Ball an demselben Tage stattfand, so gab ich der Mutter eine Dublone, um sofort einen Domino und eine Maske zu beschaffen. Sie ging, und da auch Don Diego irgendeine Besorgung zu machen hatte, so war ich mit dem Mädchen allein. Ich benutzte die Gelegenheit und sagte ihr, es stehe bei ihr, die volle Herrschaft über mich zu erlangen, denn ich bete sie an; wenn sie jedoch mich seufzen zu lassen gedenke, so werde sie mich nicht wiedersehen.

»Was können Sie von mir wünschen, und was kann ich Ihnen bieten? Ich muß mich doch für meinen künftigen Gatten rein erhalten.«

»Sie müssen sich meiner Liebe ohne jeden Nebengedanken überlassen und können überzeugt sein, daß ich Ihre Unschuld schonen werde.«

Ich machte einen sanften Angriff auf sie, sie verteidigte sich jedoch mit Kraft und mit einer ernsten Miene, die auf mich großen Eindruck machte. Als ich es sah, ließ ich von ihr ab, indem ich ihr versicherte, sie werde mich die ganze Nacht hindurch dienstwillig und ehrerbietig finden, aber weder zärtlich noch verliebt, obgleich dies noch viel besser sein würde.

Ihr Gesicht war scharlachrot geworden; sie antwortete mir, ihre Pflicht nötige sie, ihrem eigenen Wunsche zum Trotz sich meiner Kühnheit zu widersetzen.

Diese Denkweise gefiel mir sehr an einer frommen Spanierin. Es handelte sich nur darum, die feste Idee der Pflicht in ihr zu zerstören; sie würde dann sofort zu allem bereit sein. Zu diesem Zwecke mußte ich sie zum Denken bringen, und ich war sicher, daß sehr bald der Augenblick kommen würde, wo sie mir nicht mehr zu antworten wüßte.

Ich sagte daher zu ihr: »Wenn Ihre Pflicht Sie zwingt, mich, entgegen Ihrem eigenen Wunsche, zurückzustoßen, so ist Ihre Pflicht Ihnen zur Last; und wenn sie Ihnen zur Last ist, so ist sie Ihre Feindin; und wenn sie Ihre Feindin ist, warum verhätscheln Sie sie, warum lassen Sie sie so leicht siegen? Wenn Sie Ihre eigene Freundin wären, würden Sie zu allererst Ihrer unverschämten Feindin die Tür zeigen.«

»Das ist nicht möglich.«

»Im Gegenteil, es ist sehr leicht möglich. Denken Sie an sich selber; schließen Sie die Augen!«

»Ist es so gut?«

»Vortrefflich.«

In demselben Augenblick faßte ich an ihre schwache Stelle; sie stieß mich zurück, doch ziemlich sanft und mit einem weniger ernsten Gesicht. Zugleich sagte sie: »Es steht in Ihrer Macht, mich zu verführen; aber wenn Sie mich lieben, müssen Sie mir diese Schande ersparen.«

»Meine angebetete Ignazia, für ein kluges junges Mädchen ist es nur eine Schande, wenn sie sich einem Manne ergibt, den sie nicht liebt. Ergibt sie sich aber dem, den sie liebt, so erklärt und rechtfertigt die Liebe alles. Wenn Sie mich nicht lieben, verlange ich nichts.«

»Aber was muß ich tun, um Sie zu überzeugen, daß ich Sie aus Liebe gewähren lasse und nicht aus schmachvoller Gefälligkeit?«

»Lassen Sie mich gewähren, und mein Selbstgefühl wird Ihnen beistehen, um mich zu diesem Glauben zu überreden.«

»Geben Sie zu, daß ich Sie zurückweisen muß, da ich dessen nicht sicher sein kann.«

»Das gebe ich zu, aber Sie werden mich traurig und kalt machen.«

»Das würde auch mich traurig machen.«

Durch diese Worte ermutigt, umarmte ich sie; durch einen kühnen Griff meiner Hand erreichte ich viel: ihre Hände ließen mir das Feld frei, und sie teilte meinen Genuß, ohne es zu leugnen. Hiermit war ich vollständig zufrieden, denn für den ersten Anfang konnte ich nicht mehr verlangen. Ich überließ mich einer Heiterkeit, die auch die ihrige erregte.

Die Mutter kam mit dem Domino, den Handschuhen usw. zurück und wollte mir den Rest der Dublone wiedergeben. Ich weigerte mich jedoch, das Geld anzunehmen und entfernte mich mit dem Versprechen, sie wie das erste Mal am Abend mit einem Wagen abzuholen.

Da der erste Schritt einmal getan war, fühlte Doña Ignazia, daß sie sich lächerlich machen würde, wenn sie nicht auf meine Bemerkungen einginge, die sich alle mit der Frage beschäftigten, wie wir uns die Wonne verschaffen könnten, ganze Nächte miteinander zu verbringen. Die glühende Natur der Kastilianerinnen und ihre persönliche Eitelkeit brachten sie zu der Überzeugung, daß sie nur daran denken mußte, mich zu fesseln. Sie fand mich die ganze Nacht hindurch zärtlich, eifrig und zuvorkommend. Beim Souper war ich darauf bedacht, ihr alles vorsetzen zu lassen, was sie gern aß und trank. So zwang ich sie, sich selber Beifall zu zollen, daß sie sich entschlossen hatte, ihren Widerstand aufzugeben. Ich füllte ihre Taschen mit Zuckerwerk und steckte in die meine zwei Flaschen Ratafia; diese gab ich der Mutter, die wir im Wagen eingeschlafen fanden. Doña Ignazia wies einen Quadrupel zurück, den ich ihr schenken wollte; aber sie tat dies ohne Stolz und mit dem Ausdruck zärtlicher Dankbarkeit. Zugleich bat sie mich jedoch, da ich imstande sei, solche Geschenke zu machen, möchte ich den Quadrupel ihrem Liebhaber geben, wenn er mich wieder besuchen würde.

»Gern, aber wie soll ich mich vergewissern, daß mein Anerbieten ihn nicht beleidigen wird?«

»Sagen Sie ihm, es sei eine Abschlagszahlung auf die Summe, um die er Sie gebeten habe; er ist arm. Ich bin überzeugt, er ist jetzt in Verzweiflung, weil er mich nicht am Fenster gesehen hat. Morgen werde ich ihm zum Trost sagen, ich sei mit Ihnen nur auf den Ball gegangen, um meinem Vater einen Gefallen zu tun.«

Doña Ignazias Temperament war eine Mischung von Wollust und Frömmigkeit – eine Mischung, die in Spanien sehr oft vorkommt. Sie tanzte den Fandango mit soviel Hingebung und mit solchem Feuer, daß kein Wort mir hätte verheißen können, was ihre wollüstigen Stellungen mir versprachen. Was für ein Tanz ist der Fandango! Er reißt die Tänzer mit sich fort, versetzt sie in Glut. Trotzdem hat man mir versichern wollen, daß die meisten Tänzer und Tänzerinnen sich gar nichts Schlimmes dabei dächten. Ich habe getan, wie wenn ich das glaubte. Bevor sie ausstieg, bat Ignazia mich, am nächsten Morgen um acht Uhr in der Soledad die Messe zu hören. Ich hatte ihr noch nicht gesagt, daß ich sie dort zum ersten Mal gesehen hatte. Sie bat mich ferner, gegen Abend sie zu besuchen, und sagte mir, sie werde mir einen Brief geben, wenn sie es nicht ermöglichen könne, mit mir allein zusammen zu sein.

Ich schlief bis zum Mittag und wurde von Marazzani geweckt, der sich bei mir zum Essen einlud. Er sagte mir, er habe mich die ganze Nacht mit einer schönen Begleiterin beisammen gesehen und habe vergeblich alle seine Bekannten gefragt, wer sie sei. Ich ertrug geduldig diese sehr unbescheidene Neugier; als er mir jedoch sagte, er würde mir jemanden nachgeschickt haben, wenn er Geld gehabt hätte, da sprach ich zu ihm in einem Ton, daß er ganz blaß wurde. Er beeilte sich, mich um Verzeihung zu bitten, und versprach mir, in Zukunft seine Neugier im Zaum zu halten. Er schlug mir eine galante Zusammenkunft mit der berühmten Spiletta vor, die ihre Huld nicht billig verkaufte; ich wollte jedoch nicht, denn ich war ganz und gar von Doña Ignazia eingenommen, die ich mir als eine sehr würdige Nachfolgerin Charlottens vorstellte.

Ich war vor ihr in der Soledad, und sie bemerkte mich, sowie sie eintrat. Das Mädchen, das sie das erste Mal begleitet hatte, war wieder bei ihr.

Zwei Schritt von mir warf sie sich auf die Knie, aber ohne den Kopf nach mir umzudrehen. Ihre Freundin dagegen sah mich unaufhörlich an; sie war ebenso alt wie Doña Ignazia, aber häßlich. Da ich Don Francisco bemerkte, verließ ich die Kirche vor der Schönen; mein Nebenbuhler folgte mir und machte mir ein etwas bitteres Kompliment darüber, daß ich zum zweiten Male das Glück gehabt hätte, mit seiner Geliebten auf den Ball zu gehen. Er gestand mir, daß er die ganze Nacht auf den Spuren gewesen wäre, und sagte: »Ich wäre mit dem Ball ziemlich zufrieden gewesen, wenn ich nicht Sie beide den Fandango hätte tanzen sehen, denn Sie sahen mir zu sehr wie zwei glückliche Liebende aus.«

Ich fühlte ein Bedürfnis, die Gefühle des armen Teufels zu schonen, und sagte ihm daher mit gütiger Miene, die Liebe leide an Einbildungen, aber ein kluger Mann wie er müsse jeden Zweifel an die Reinheit eines tugendhaften Mädchens wie Doña Ignazia aus seinem Herzen verbannen. Zugleich drückte ich ihm eine goldene Unze in die Hand und bat ihn, diese auf Abschlag anzunehmen. Er nahm sie mit erstaunter und gerührter Miene, nannte mich seinen Vater, seinen Schutzengel und versprach mir ewige Dankbarkeit.

Gegen Abend ging ich zu Don Diego, der mich mit meinem eigenen ausgezeichneten Ratafia bewirtete. Vater, Mutter und Tochter sprachen mir von den großen Verpflichtungen Spaniens gegen den Grafen Aranda. »Es gibt«, sagte Doña Antonia, die Mutter, »für die Gesundheit nichts Besseres als den Ball, und doch war dieses Vergnügen verboten, bevor der große Mann an die Regierung kam. Trotzdem wird er gehaßt, weil er die Väter der Gesellschaft Jesu aus dem Lande gejagt hat und weil er die bis auf den Absatz reichenden Mäntel und die großen Hüte verboten hat. Aber die Armen segnen ihn; denn sie erhalten alles Geld, das der Ball der Scaños del Peral einbringt.«

»Auf diese Weise«, bemerkte der adelige Schuhflicker, »tun alle, die auf diesen Ball gehen, zugleich ein frommes Werk.«

»Ich habe«, sagte Doña Ignazia zu mir, »zwei Cousinen, die an Tugend wahre Engel sind. Ich habe ihnen erzählt, daß ich mit Ihnen auf dem Ball war, den zu besuchen sie nicht die geringste Hoffnung haben, denn sie sind arm. Es würde nur von Ihnen abhängen, sie glücklich zu machen, indem Sie sie am letzten Tage des Karnevals mitnehmen. Ihre Mutter wird sie um so lieber mitgehen lassen, da der Ball mit dem Schlage der zwölften Stunde zu Ende ist, um nicht die Sonntagsruhe des Aschermittwochs zu stören.«

»Ich bin, meine schöne Ignazia, vollkommen bereit, ihnen dieses unschuldige Vergnügen zu erweisen, um so mehr, da dadurch der Señora Doña Antonia die Mühe erspart bleibt, im Wagen auf uns zu warten.«

»Sie sind sehr liebenswürdig; ich müßte Sie jedoch erst mit meiner Tante bekannt machen, die von einer peinlichen Frömmigkeit ist. Wenn sie Sie kennen gelernt hat, bin ich überzeugt, sie wird mir keine abschlägige Antwort geben, wenn ich ihr den Vorschlag mache, denn Sie sehen wie ein sehr verständiger Mann aus. Suchen Sie sie noch heute auf. Sie wohnt in der nächsten Straße gleich im ersten Hause, über dessen Tür ein Schild besagt, daß Spitzen ausgebessert werden. Stecken Sie einige Spitzen in Ihre Tasche und sagen Sie, meine Mutter habe Ihnen ihre Adresse gegeben. Das übrige werde ich selber machen, wenn ich morgen aus der Messe komme. Gegen Mittag kommen Sie bitte hierher, damit wir beraten können, wie wir den letzten Karnevalstag zusammen verbringen.«

Ich machte alles genau nach ihrer Vorschrift, und am anderen Tage konnte Doña Ignazia mir melden, daß alles in Ordnung sei.

Ich sagte hierauf zu ihr: »Ich werde alle Dominos in meiner Wohnung bereit halten, in die Sie durch die Hintertüre gelangen können. Wir werden in meinem Zimmer speisen; hierauf werden wir uns maskieren, um auf den Ball zu gehen, und wenn dieser zu Ende ist, werde ich Sie alle nach Hause bringen. Die älteste werde ich als Mann anziehen; denn sie wird vollkommen wie ein Kavalier aussehen.«

»Ich werde ihr vorher nichts davon sagen, denn sie würde Furcht haben, eine Sünde zu begehen; ist sie aber einmal bei Ihnen, so wird sie alles tun, was Sie wollen.«

Die jüngere der beiden Cousinen war häßlich, sah aber unverkennbar wie ein Weib aus; die ältere dagegen, die auffällig häßlich war, sah aus wie ein Mann in Weiberkleidern. Dieser Gegensatz machte mir Spaß, denn Doña Ignazia war eine vollkommene Schönheit und im höchsten Grade verführerisch, sobald sie ihre fromme Miene ablegte.

Ich sorgte dafür, daß alles Notwendige in der kleinen Kammer neben meinem Zimmer vorhanden war, ohne daß mein abscheulicher Page etwas davon erfuhr. Am Dienstag morgen gab ich ihm einen Peso duro und sagte ihm, er könne den letzten Karnevalstag in voller Freiheit feiern; es genüge mir, wenn er am anderen Mittag wieder da sei.

Nachdem ich ein gutes Mittagessen bestellt und dem Kellner des Kaffeehauses gesagt hatte, daß er mich bedienen sollte, schaffte ich mir Marazzani vom Halse, indem ich ihm eine Dublone gab. So hatte ich alle Vorbereitungen getroffen, mit den beiden Cousinen und der schönen Ignazia, die an diesem Tage meine Frau werden sollte, ein fröhliches Fest zu feiern. Die Partie war neu in ihrer Art: drei Betschwestern, davon zwei ekelhaft häßlich, die dritte höchst appetitlich, schon in meine Absicht eingeweiht und halb gezähmt. Wahrscheinlich ahnte sie, was ihrer als Nachtisch wartete.

Sie kamen um zwölf Uhr, und um ein Uhr setzten wir uns zu Tisch, nachdem ich ihnen die ganze Stunde lang weise, moralische und salbungsvolle Reden gehalten hatte. Ich hatte mich mit ausgezeichnetem Manchaner Wein versehen, der sehr angenehm zu trinken ist, aber die hinterlistige Stärke des Ungarweins besizt. Die jungen Mädchen waren nicht daran gewöhnt, zwei Stunden lang bei Tisch zu sitzen, gute Speisen zu essen, so viel sie Lust hatten, und sich an feinen Weinen zu laben; sie waren nicht gerade betrunken, aber sie glühten und waren von einer Lustigkeit beseelt, deren Reiz sie bis dahin nicht gekannt hatten.

Ich sagte der älteren, die etwa fünfundzwanzig Jahre alt sein mochte, ich würde sie als Mann anziehen.

Entsetzen malte sich auf allen ihren Zügen. Ich war darauf gefaßt gewesen; aber Doña Ignazia sagte ihr, sie sei doch recht glücklich, daß sie das Vergnügen haben könne, und ihre Schwester sagte, das könne doch keine Sünde sein.

»Wenn es eine Sünde wäre,« sagte ich zu ihr, »glauben Sie, daß ich Ihrer tugendhaften Schwester einen solchen Vorschlag machen würde?«

Doña Ignazia, die die Heiligengeschichte auswendig wußte, bestärkte meine Versicherung, indem sie sagte, die glorreiche heilige Marina habe ihr ganzes Leben in Männerkleidung zugebracht; bei dieser gelehrten Bemerkung streckte die große Cousine dann endlich die Waffen.

Ich pries nun in pomphaften Worten ihren Geist und reizte sie dadurch, mich zu überzeugen, daß ich mich nicht täuschte.

»Kommen Sie mit mir,« sagte ich zu ihr, »und Sie, meine Damen, warten Sie hier! Ich möchte mich an Ihrer Überraschung weiden, wenn Sie sie als Mann erscheinen sehen.«

Die häßliche Cousine bezwang sich und folgte mir. Ich breitete die ganze Ausrüstung eines Mannes vor ihr aus, ließ sie ihre Strümpfe ausziehen und dafür weiße Strümpfe und Schuhe anziehen, von denen ich mehrere Paare besorgt hatte. Indem ich mich vor sie hinsetzte, sagte ich ihr, sie würde eine Todsünde begehen, wenn sie mir unanständige Absichten zutraute; denn da ich ihr Vater sein könnte, wäre es unmöglich, daß ich solche Absichten hätte. Sie antwortete mir, sie sei eine gute Christin, aber nicht dumm. Ich band ihr die Strumpfbänder zu und sagte ihr, ich würde niemals geglaubt haben, daß sie ein so schönes Bein und eine so schöne Haut hätte; sie lächelte vor Eitelkeit sehr befriedigt.

Obgleich ich ihre sehr schönen Schenkel sah, errötete sie doch nicht. Ich gab ihr eine von meinen Hosen, die ihr sehr gut paßte, obgleich ich fünf Zoll größer war als sie; aber bei den Frauen ersetzt der Hintere Vorsprung in der Breite, was wir in der Länge mehr haben als sie. Ich hatte mich abgewandt, damit sie die Hose ungestört anziehen könne; hierauf gab ich ihr ein Spitzenhemd, und sie sagte mir, sie sei fertig, bevor sie es am Halse zugeknöpft hatte. Dies übernahm ich natürlich, und es kam mir vor, wie wenn sie mich aus Koketterie zu früh gerufen hätte; denn ihr Busen war prachtvoll, und sie tat durchaus nichts, um mich zu verhindern, ihn zu sehen, als ich ihr die Knöpfe am Halse zumachte, ja, ich weiß nicht, ob sie sich nicht ärgerte, daß ich ihr kein Kompliment darüber machte. Als sie mit ihrem Anzug fertig war, sah ich sie von den Füßen bis zum Kopf an und lobte sie sehr. Ich sagte ihr, nur an einem einzigen Ort könne ein Kenner merken, daß sie ein Weib sei.

»Das tut mir recht leid.«

»Gestatten Sie mir, Ihr Hemd an diesem Ort zurecht zu machen?«

»Ich bitte Sie darum; denn ich habe mich noch niemals als Mann angezogen.«

Ich machte die vorderen Knöpfe wieder auf und ordnete die Spitzen des Hemdes, nicht ohne mir dabei die Freiheiten zu erlauben, die die Lage zuließ. Aber ich machte das so ernst, daß die große Cousine, obwohl sie vor Wollust zitterte, das alles für unumgänglich notwendig halten mußte.

Nachdem ich ihr ihren Domino angezogen und die Maske vorgebunden hatte, stellte ich sie vor, und ihre Schwester und Doña Ignazia machten ihr Komplimente und sagten ihr, die größten Kenner müßten sie für einen Mann halten.

»Nun zu Ihnen«, sagte ich zur jüngeren.

»Geh nur,« sagte die ältere zu ihr; »Don Jaime ist der anständigste Mann in ganz Spanien.«

Ich hatte bei der jüngeren nicht viel zu machen, denn ich brauchte ihr nur den Domino anzuziehen. Da ich aber ihre Cousine recht lange bei mir behalten wollte, veranlaßte ich sie, schöne weiße Strümpfe anzuziehen, ein anderes Halstuch zu nehmen und tausend andere kleine Änderungen zu machen. Als sie fertig war, stellte ich sie den beiden anderen vor; Doña Ignazia bemerkte, daß sie andere Strümpfe und ein anderes Busentuch trug und fragte sie, ob ich mich ebensogut darauf verstände, einer Frau bei ihrer Toilette zu helfen, wie eine Frau in einen Mann umzukleiden.

»Das weiß ich nicht,« antwortete die Cousine ihr; »denn ich habe seiner nicht bedurft, sondern alles selber gemacht.«

Nun kam Don Diegos Tochter an die Reihe. Sobald sie in der Kammer war, machte ich mit ihr, was ich wollte, und sie gab sich mir mit jener Miene hin, die zu sagen scheint: »Ich ergebe mich dir, weil ich nicht länger widerstehen kann.« Da ich ihre Ehre schonen wollte, so hielt ich zu rechter Zeit ein; das zweitemal aber hielt ich sie länger als eine halbe Stunde in meinen Armen, bis sie vor Wollust ganz erschöpft war. Sie war zur Liebe geboren, und die Natur hatte sie mit einem Temperament begabt, das den kräftigsten Angriffen zu widerstehen vermochte. Als der Anstand uns zwang, endlich wieder hineinzugehen, sagte sie zu ihren Cousinen: »Ich dachte, wir würden gar nicht fertig werden; aber ich mußte beinahe den ganzen Domino auftrennen und wieder zusammennähen.«

Ich bewunderte ihre Geistesgegenwart.

Als es Abend wurde, fuhren wir nach dem Ballhaus, wo für diesen Tag der Graf von Aranda den Fandango nach Belieben erlaubt hatte; die Menschenmenge war jedoch so groß, daß es unmöglich war, ihn zu tanzen. Um zehn Uhr speisten wir zu Abend; hierauf gingen wir im Saal auf und ab, bis mit einem Schlage die beiden Orchester schwiegen. Es war Mitternacht, und die heilige Fastenzeit begann; der Karneval war aus.

Dieser plötzliche Übergang von der Ausgelassenheit zur Frommigkeit, vom Heidentum mit seinen Bacchanalien zum Christentum mit seinen Mysterien und seinem ganz philosophischen Symbol hat etwas Abstoßendes, Gezwungenes, Widernatürliches an sich. Um elf Uhr neunundfünfzig Minuten sind die Sinne vor Erregung in einer Weißgluthitze; mit dem Schlage Mitternacht, in einer Minute, sollen die Sinne ruhig, die Leidenschaften abgestorben, die Herzen von Reue und Liebe durchdrungen sein: das ist ein schwieriger Übergang, ein unmöglicher Zustand.

Nachdem ich mit den drei Spanierinnen nach meiner Wohnung gefahren war, um sie dort die Dominos ablegen zu lassen, brachten wir die beiden Cousinen zu ihrer Mutter. Als wir nur noch ein paar Schritte von ihrem Hause entfernt waren, sagte Doña Ignazia zu mir, sie habe das Bedürfnis, noch Kaffee zu trinken. Ich verstand sie sofort und nahm sie wieder mit zu mir, wo ich gewiß war, sie ein paar Stunden lang zu unserer gegenseitigen Befriedigung zu besitzen.

Nachdem ich sie auf mein Zimmer geführt hatte, ließ ich sie einen Augenblick allein, um den Kaffee zu bestellen; aber im Kaffeehaus sah ich plötzlich Don Francisco vor mir, der mich ohne Umstände bat, ihn als dritten zu unserer Gesellschaft zuzulassen, denn er habe Doña Ignazia hinaufgehen sehen. Es gelang mir, meine Enttäuschung und meine Wut zu verhehlen, und ich sagte ihm, es stehe in seinem Belieben, und er könne sicher sein, daß sein unerwarteter Besuch seiner Geliebten das größte Vergnügen machen werde. Ich ging hinauf, er folgte mir, und ich meldete den Eindringling der Schönen, indem ich ihr sagte, sein Besuch zu einer solchen Stunde werde ihr jedenfalls viel Vergnügen machen.

Ich hätte wetten mögen, daß sie sich mindestens ebensogut zu verstellen gewußt hätte wie ich; aber ich würde mich getäuscht haben. In ihrem Verdruß sagte sie ihm grob, sie würde sich gehütet haben, mich um Kaffee zu bitten, wenn sie hätte glauben können, er würde mich belästigen. Das wäre sehr indiskret von ihm, und wenn er weniger schlecht erzogen wäre, so würde er mich nicht zu solcher Stunde gestört haben.

Trotz meinem Ärger glaubte ich den armen Teufel verteidigen zu müssen; denn er machte ein Gesicht wie ein Hund, den man aus der Küche jagt. Ich suchte Doña Ignazia zu beruhigen, indem ich ihr sagte, es sei doch ganz natürlich, daß Don Francisco in der letzten Karnevalsnacht zu dieser Stunde im Kaffeehaus sei; er habe uns nur zufällig gesehen und sei von mir gebeten worden, heraufzukommen, weil ich geglaubt habe, ich werde ihr damit ein Vergnügen machen.

Doña Ignazia erriet meine Absicht und stellte sich, wie wenn sie mir recht gäbe. Sie lud ihn ein, Platz zu nehmen, richtete aber dann kein Wort mehr an ihn und sprach nur mit mir allein von dem Ball, indem sie mir für das Vergnügen dankte, das ich ihr zuliebe ihren Cousinen verschafft hatte.

Nachdem Don Francisco seinen Kaffee getrunken hatte, glaubte er, sich entfernen zu sollen. Ich sagte ihm, ich hoffte ihn zuweilen während der Fastenzeit zu sehen. Aber Doña Ignazia sprach kein Wort zu ihm, sondern begnügte sich mit einem leichten Kopfnicken. Als er fort war, sagte sie mir mit traurigem Gesicht, dieser verdrießliche Zwischenfall beraube sie des Vergnügens, eine Stunde mit mir zu verbringen; denn sie sei überzeugt, daß Don Francisco im Kaffeehause oder an irgendeinem anderen Ort auf sie warte, um ihr nachzuspüren, und wenn sie seine Eifersucht verachte, werde sie sich seiner Rache aussetzen. Sie fuhr fort: »Haben Sie also die Güte, mich nach Hause zu fahren, und wenn Sie mich lieben, so besuchen Sie mich. Der Streich, den der Wahnwitzige mir gespielt hat, soll ihm noch Tränen kosten. Vielleicht werde ich ihn mir überhaupt vom Halse schaffen, denn nur, um mich zu verheiraten, erlaube ich ihm, mir am Fenster den Hof zu machen. Sind Sie überzeugt, daß ich nicht in ihn verliebt bin?«

»Vollkommen, mein schöner Engel! Du hast mich glücklich gemacht, und ich muß mich für geliebt halten, solange ich dich liebe.«

Doña Ignazia gab mir in aller Eile einen neuen Beweis dafür. Hierauf brachte ich sie nach Hause, wo ich ihr versicherte, ich würde nur für sie leben, solange ich mich in Madrid aufhielte.

Am nächsten Tage speiste ich bei Mengs zu Mittag, und den Tag darauf um ein Uhr sprach ein Mann von üblem Aussehen mich auf der Straße an und bat mich, ihm in den Kreuzgang einer Kirche zu folgen, wo er mir etwas sagen würde, was für mich von größtem Interesse sein müßte.

Ich folgte ihm, ohne ein Wort zu sagen, und sobald er sah, daß uns kein Mensch hören konnte, sagte er mir: »Noch heute Nacht wird der Alcalde Messa Ihnen einen Besuch machen, und zwar mit allen seinen Häschern, zu denen ich gehöre. Er weiß, daß Sie verbotene Waffen besitzen, die Sie unter der Matte Ihres Zimmers hinter dem Ofen versteckt haben. Er weiß oder glaubt zu wissen noch mehrere andere Dinge, die ihn berechtigen, sich Ihrer Person zu bemächtigen und Sie nach dem Gefängnis der zur Galerenstrafe bestimmten Verbrecher bringen zu lassen. Ich sage Ihnen dies alles, weil ich Sie für einen ehrenhaften Menschen halte. Verachten Sie meine Warnung nicht, treffen Sie Ihre Maßnahmen und bringen Sie sich an einen sicheren Ort, um diesem Schimpf zu entgehen.«

Da der Umstand der verborgenen Waffen wahr war, so maß ich der Warnung des Mannes Glauben bei und drückte ihm eine Dublone in die Hand. Anstatt zu Doña Ignazia zu gehen, wie es meine Absicht gewesen war, ging ich nach Hause, nahm meine Waffen unter den Mantel und begab mich zu Mengs, nachdem ich im Kaffeehaus Bescheid hinterlassen hatte, man möchte mir meinen Pagen zuschicken, sobald er wieder nach Hause käme. Im Hause des Ritters Mengs war ich in Sicherheit, da es dem König gehörte.

Der Maler war ein braver Mann, aber ehrgeizig, stolz und über alle Maßen mißtrauisch. Er verweigerte mir keineswegs eine Zuflucht für die Nacht, sagte mir jedoch, am nächsten Morgen müßte ich daran denken, mir eine andere Wohnung zu besorgen; denn es wäre unmöglich, daß der Alcalde keine stärkeren Gründe für meine Verhaftung hätte, als den Besitz verbotener Waffen. Er wisse von der ganzen Sache nichts und könne daher für nichts aufkommen. Er gab mir ein Zimmer, und wir speisten allein miteinander und sprachen unaufhörlich über diese Geschichte: ich wiederholte fortwährend, ich hätte mich keines anderen Vergehens schuldig gemacht als des Besitzes verbotener Waffen, worauf er mir erwiderte: unter diesen Umständen hätte ich die ungebetene Warnung des Sbirren verachten müssen, anstatt ihm eine Dublone zu geben; ich hätte ruhig in meinem Zimmer bleiben sollen, statt meine Waffen fortzuschaffen; denn als ein kluger Mann müßte ich doch wissen, daß ein jeder Mensch nach dem Naturrecht in seinem eigenen Zimmer nicht nur Waffen, sondern sogar Kanonen haben dürfte.

Ich antwortete ihm: »Indem ich zu Ihnen ging, wollte ich nur der Unannehmlichkeit ausweichen, eine Nacht im Gefängnis zuzubringen, denn ich bin überzeugt, der Sbirre, dem ich die Dublone gegeben habe, hat mir weiter nichts als die Wahrheit gesagt. Morgen werde ich eine andere Wohnung nehmen; ich gebe zu, daß ich meine Pistolen und meinen Karabiner hätte zu Hause lassen müssen.«

»Sie hätten ebenfalls dort bleiben sollen. Ich glaubte nicht, daß Sie so leicht zu erschrecken wären.«

Während wir uns in dieser Weise stritten, kam mein Wirt und sagte, der Alcalde sei mit dreißig Häschern dagewesen und habe meine Wohnung durchsucht, nachdem er die Tür durch einen Schlosser habe öffnen lassen. Nachdem er überall gesucht, aber nichts gefunden, habe er die Tür wieder schließen und versiegeln lassen. Hierauf sei er gegangen und habe meinen Pagen ins Gefängnis geführt unter der Anschuldigung, daß er mich gewarnt habe; »denn sonst,« so habe er hinzugefügt, »würde der venetianische Herr sich nicht zu Ritter Mengs zurückgezogen haben, wo ich mich seiner Person nicht bemächtigen kann.«

Nach dieser Erzählung gab Mengs zu, daß ich nicht unrecht gehabt hätte, an die mir gemachte Mitteilung zu glauben; er fügte hinzu, ich müßte sofort am nächsten Morgen den Grafen von Aranda aufsuchen und vor allen Dingen die Unschuld meines Pagen betonen.

Als mein Wirt fortgegangen war, stritten wir uns weiter, und da Mengs sich fortwährend für meinen unschuldigen Pagen interessierte, sagte ich ihm schließlich in ungeduldigem Ton: »Mein Page muß ein abgefeimter Schuft sein; denn wenn der Alcalde ihn in Verdacht hat, mich von seinem Besuch in Kenntnis gesetzt zu haben, so ist das ein ganz unwiderleglicher Beweis, daß der Page dasselbe gewußt hat, was der Beamte wußte. Nun frage ich Sie: muß der Diener nicht ein Schurke sein, wenn er von einer derartigen Geschichte hört, und mich nicht davon in Kenntnis setzt? Und weiter frage ich Sie, ob er sie wissen kann, wenn er nicht selber der Anzeiger gewesen ist? Denn schließlich wußte doch nur er allein, wo meine Waffen versteckt waren.«

Als Menges sah, daß er mir nichts mehr antworten konnte, ärgerte er sich, ließ mich allein und ging zu Bett. Ich tat dasselbe und schlief sehr friedlich.

Am anderen Morgen in aller Frühe schickte der große Mengs mir Wäsche und alles, was ich für meine Toilette brauchte. Seine Magd brachte mir Schokolade, und sein Koch fragte mich, ob ich Erlaubnis hätte, Fleischspeisen zu essen. Durch solche Manieren ladet ein Fürst seinen Gast ein, sein Haus nicht mehr zu verlassen; aber ein Privatmann jagt ihn damit fort. Ich ließ ihm für alles danken und nahm weiter nichts an, als die Schokolade und ein Taschentuch.

Mein Wagen hielt vor der Tür, und ich war bei Mengs in seinem Zimmer, um ihm zu danken und ihm zu sagen, daß ich erst wieder zu ihm kommen würde, wenn ich frei wäre. In diesem Augenblick trat ein Offizier ein und fragte den Maler, ob der Chevalier Casanova bei ihm sei.

»Der bin ich, mein Herr.«

»Mein Herr, ich bitte Sie, mir gutwillig in die Wachtstube des Buen Retiro zu folgen, wo Sie als Gefangener bleiben werden. Da das Haus des Herrn Ritters Mengs ein königliches ist, so kann ich keine Gewalt anwenden; aber ich mache Sie darauf aufmerksam, daß binnen weniger als einer Stunde Herr Ritter Mengs den Befehl erhalten wird, Sie aus seinem Hause zu weisen, und dann werden Sie in aufsehenerregender Weise ins Gefängnis gebracht werden, was Ihnen doch nur sehr unangenehm sein kann. Ich rate Ihnen also, mir ruhig zu folgen und mir die Waffen auszuliefern, die Sie ohne Zweifel besitzen.«

»Herr Ritter Mengs kann Ihnen die Waffen übergeben, die ich seit elf Jahren stets bei mir habe und zu meiner Sicherheit auf meinen Reisen mitführe. Ich werde Ihnen folgen, und bitte Sie nur, mir zu gestatten, daß ich vier Briefchcn schreibe, wozu ich nicht einmal eine halbe Stunde nötig habe.«

»Ich kann weder solange warten noch Ihnen erlauben, Briefe zu schreiben; aber es steht in Ihrem Belieben, dies zu tun, sobald Sie im Gefängnis sind.«

»Das genügt. Ich werde mich gehorsam fügen, was ich nicht tun würde, wenn ich in der Lage wäre, Ihnen Gewalt entgegenzusetzen. Ich werde mich Spaniens erinnern, wenn ich im übrigen Europa freie Menschen finde, die etwa Lust haben sollten, in diesem Lande zu reisen wie ich.«

Ich umarmte Mengs, der ein ganz betroffenes Gesicht machte. Hierauf ließ ich meine Waffen in meinen Wagen schaffen und stieg mit dem Hauptmann ein, der wie ein durchaus ehrenwerter Mann aussah.

Er brachte mich nach dem königlichen Palast Buen Retiro. Die königliche Familie hatte ihn aufgegeben, und er diente nur noch als Gefängnis für überführte Verbrecher, während die königlichen Gemächer als Kasernen benutzt wurden. In diesen Palast hatte Philipp der Fünfte sich mit der Königin zurückgezogen, um sich auf das Osterfest vorzubereiten.

Als der Hauptmann mich dem Offizier vom Tagesdienst übergeben hatte, der wie ein richtiger Zuchthauswärter aussah, führte ein Korporal mich in das Innere des Schlosses, in einen großen Saal im Erdgeschoß. Ich fand dort in einem erstickenden Gestank etwa dreißig Gefangene, von denen zehn Soldaten waren. In dem Raume standen zehn oder zwölf sehr breite Betten und einige Bänke, aber keine anderen Sitze und keine Tische. Ich bat einen Soldaten, mir Papier, Feder und Tinte zu besorgen, und gab ihm zu diesem Zweck einen Duro. Lachend nahm er den Taler, ging und kam nicht wieder. Alle, an die ich mich wandte, um mich nach ihm zu erkundigen, lachten mir ins Gesicht.

Am meisten wunderte mich der Anblick meines Pagen und des Grafen Marazzani, der mir auf Italienisch sagte, er befinde sich seit drei Tagen in diesem Gefängnis, habe mir aber nicht geschrieben, weil er ein Vorgefühl gehabt habe, daß er mich bald in seiner Gesellschaft sehen werde.

»Binnen weniger als vierzehn Tagen«, fuhr er fort, »wird man uns von hier unter guter Bedeckung auf irgendeine Festung zur Zwangsarbeit schicken; von dort aus werden wir jedoch unsere Verteidigungsgründe vorbringen können, und dürfen hoffen, in drei oder vier Jahren mit einem Paß Spanien zu verlassen.«

»Ich hoffe, man wird mich nicht verurteilen, bevor man mich gehört hat.«

»Der Alcalde wird morgen kommen; er wird Sie verhören und Ihre Antworten aufschreiben. Das ist alles. Hierauf wird man Sie vielleicht nach Afrika schicken.«

»Hat man Ihnen bereits den Prozeß gemacht?«

»Man hat sich gestern drei Stunden lang mit mit beschäftigt.«

»Wonach hat man Sie gefragt?«

»Wer der Bankier sei, der mir das nötige Geld für meinen Lebensunterhalt gebe. Ich habe geantwortet, daß ich keinen Bankier kenne, daß ich von meinen Freunden borge und darauf warte, in die Leibgarde eingestellt zu werden. Man hat mich gefragt, warum der Gesandte von Parma mich nicht kenne, und ich habe geantwortet, ich habe mich ihm niemals vorgestellt. ›Ohne die Empfehlung Ihres heimatlichen Gesandten‹, hat man mir eingewandt, ›können Sie niemals Leibgardist werden, und das müssen Sie wissen; aber der König wird Ihnen eine Beschäftigung geben, zu der Sie von niemandem empfohlen zu werden brauchen‹. Mit diesen Worten ging der Alcalde hinaus, ohne sich weiter um mich zu bekümmern. Ich sehe voraus, daß man Sie ebenso behandeln wird, wenn nicht der venetianische Gesandte Ihre Freilassung verlangt.«

Ich beherrschte mich, aber ich mußte einen bitteren Speichel hinunterschlucken, obwohl ich eine so harte Behandlung, wie Marazzani sie mir androhte, nicht für wahrscheinlich hielt. Ich setzte mich auf ein Bett, das ich drei Stunden später verließ, als ich mich von jenem scheußlichen Ungeziefer bedeckt sah, das in Spanien unvermeidlich zu sein scheint, und bei dessen bloßem Anblick sich mir das Herz im Leibe umdrehte. Unbeweglich, ohne auch nur ein Wort zu sagen, stand ich da und schluckte das Gift und die Galle hinunter, die ich im Munde fühlte.

Reden hatte keinen Zweck; ich mußte schreiben, und man gab mir nicht die Mittel dazu. Notgedrungen hatte ich den Entschluß gefaßt, die Ereignisse abzuwarten, die etwas früher oder später ja doch eintreten mußten.

Gegen Mittag sagte Marazzani zu mir, ich könne mir etwas zum Essen besorgen lassen, wenn ich einem Soldaten, den er kenne und für dessen Ehrlichkeit er bürge, das nötige Geld gebe.

»Ich habe keine Lust zu essen,« antwortete ich ihm, »und ich gebe kein Geld mehr, bevor ich meinen Taler zurückerhalten habe.«

Er machte Lärm wegen dieser Spitzbüberei, aber man lachte ihn aus. Hierauf sprach mein Page mit ihm, er möge mich doch bitten, ihm etwas Geld für Essen zu geben; denn er habe Hunger und besitze keinen Heller.

»Ich werde ihm nichts geben; denn er ist nicht mehr in meinem Dienste, und wollte Gott, er wäre es nie gewesen!«

Ich sah alle meine Unglücksgenossen schlechte Knoblauchssuppe und erbärmliches Brot essen und Wasser dazu trinken, mit Ausnahme von zwei Priestern und einem Mann, den man Corregidor nannte; diese hatten gutes Essen.

Um vier Uhr brachte ein Bedienter von Mengs mir eine Mahlzeit, die für vier genügt hätte. Er wollte die Speisen dalassen und am Abend wiederkommen, um die Schüsseln zu holen. Ich wollte jedoch in meiner Wut die Reste nicht mit dem Gesindel teilen, das schon um mich herumlungerte, und ließ ihn daher warten. Nachdem ich auf einer schlechten Bank meinen Hunger gestillt hatte, schickte ich den Diener fort, indem ich ihn bat, erst am nächsten Tage um die gleiche Stunde wiederzukommen, da ich nicht zu Abend essen wollte. Der Bediente gehorchte. Marazzani sagte mir in frechem Ton, ich hätte doch wenigstens die Flasche Wein behalten können. Ich antwortete ihm nicht.

Um fünf Uhr hatte ich das Vergnügen, Manucci mit einem Offizier zu sehen. Nachdem er mir sein Bedauern ausgesprochen und ich ihm dafür gedankt hatte, fragte ich den Offizier, ob es mir erlaubt wäre, an die Personen zu schreiben, die mich nur darum an diesem Ort lassen könnten, weil sie nicht wüßten, daß ich hier wäre.

Er antwortete mir: »Es wäre eine Tyrannei, Ihnen das nicht zu erlauben.«

»Wenn dies der Fall ist, ist es dann erlaubt, daß ein Soldat, den man beauftragt, das nötige Schreibzeug zu kaufen, einen Duro nimmt und nicht wiederkommt?«

»Wer ist dieser Soldat?«

Die Wache war abgelöst worden, und wir fragten vergeblich nach dem Mann; niemand kannte ihn.

»Ich verspreche Ihnen, mein Herr,« sagte der Offizier zu mir, »daß Sie Ihr Geld wiederbekommen sollen, und daß der unehrliche Soldat bestraft wird. Unterdessen werden Sie augenblicklich Papier, Tinte, Feder, einen Tisch und Licht erhalten.«

»Und ich«, setzte Manucci hinzu, »verspreche Ihnen, daß um acht Uhr ein Bedienter des Gesandten hier sein wird, um die Briefe, die Sie schreiben wollen, an ihre Adressen zu bestellen.«

Ich zog hierauf drei Taler aus meiner Tasche und sagte zu dem Gesindel, dieses Geld sei für denjenigen, der den Namen des unehrliehen Soldaten angeben werde. Marazzani war der erste, der ihn nannte; zwei oder drei andere wiederholten den Namen, den der Offizier lächelnd in sein Notizbuch schrieb. Er begann mich kennen zu lernen; denn ich gab drei Taler aus, um einen wiederzubekommen, und das sah nicht eben nach Geiz aus.

Manucci sagte mir beiseite, der Gesandte werde sich unter der Hand bemühen, mir Gerechtigkeit zu verschaffen, und er bezweifle nicht, daß diese mir bald werde zuteil werden.

Als die Herren fort waren, begann ich zu schreiben, aber ich mußte dabei eine unglaubliche Geduld aufwenden. Die Halunken lasen jedes Wort, das ich dem Papier anvertraute, und wenn sie etwas nicht verstanden, trieben sie die Frechheit so weit, daß sie mich nach der Bedeutung fragten. Unter dem Vorwande, das Licht zu putzen, löschte man die Kerze aus. Aber ich war unter Galgenvögeln und litt, ohne mich zu beklagen. Ein Soldat wagte mir zu sagen, er werde alle zur Ruhe bringen, wenn ich ihm einen Taler geben wollte; ich antwortete ihm nicht. Trotz dieser Höllenpein brachte ich meine Briefe fertig und versiegelte sie. Es war keine Kunst in diesen Sendschreiben, aber ich hatte in sie das ganze Gift geträufelt, das ich in mir brennen fühlte.

Ich schrieb Mocenigo, es sei seine Pflicht, einen Untertan seiner Regierung zu verteidigen, wenn die Bräuche einer barbarischen Macht ihn ermordeten, um sich seines Eigentums zu bemächtigen. Er könne mir seinen Schutz nicht verweigern, es sei denn, daß er wisse, was ich begangen habe; mein Gewissen sage mir jedoch, daß ich die Gesetze des Landes nicht übertreten habe. Was zwischen mir und der Republik Venedig vorliege, wisse er ebensowenig wie ich; jedenfalls liege kein Verbrechen und kein Vergehen von meiner Seite vor, und ich habe daher Anspruch auf seinen Schutz, schon weil ich Venetianer sei. Diese Eigenschaft könne ich durchaus nicht verlieren, wenn nicht ein entehrendes Urteil gegen mich ergangen sei.

An den gelehrten Don Emanuel de Roda, Minister der Gnade und der Justiz, schrieb ich, ich wende mich an ihn, nicht um eine Gnade zu erlangen, sondern um Gerechtigkeit zu erhalten. »Dienen Sie Gott und Ihrem Herrn, Seiner Katholischen Majestät, indem Sie verhindern, daß der Alcalde Messa einen Venetianer vergewaltigt, der kein Gesetz übertreten hat und nach Spanien in der Zuversicht gekommen ist, daß er sich dort unter ehrlichen Leuten befinden werde, und nicht unter Mördern, die kraft des ihnen anvertrauten Amtes straflos morden dürfen. Der Mann, der Ihnen das schreibt, gnädiger Herr, hat in seiner Tasche eine Börse voll Dublonen. Er ist in einen stinkenden Saal eingesperrt, wo man ihn bereits bestohlen hat, und fürchtet, in dieser Nacht ermordet zu werden.«

Dem Herzog von Lossada schrieb ich, er möge seinem Königlichen Herrn mitteilen, man ermorde ohne sein Wissen, aber in seinem Namen einen Venetianer, der kein Verbrechen begangen und kein Gesetz übertreten habe, und dessen ganze Schuld darin bestehe, reich genug zu sein, um während seines ganzen Aufenthaltes in Spanien keines Menschen zu bedürfen. Ich stellte ihm vor, daß er verpflichtet sei, sofort Seine Katholische Majestät zu bitten, sie möge einen Befehl ergehen lassen, um diesen Mord zu verhindern. Aber der kräftigste von den vier Briefen, die ich schrieb, war der, den ich an den Grafen Aranda richtete. Ihm schrieb ich: Wenn man den Mord an mir begehe, so werde ich vor meinem Tode unbedingt glauben müssen, es geschehe auf seinem Befehl; denn dem Offizier, der mich verhaftet habe, sei mehrere Male von mir gesagt worden, ich sei nach Madrid mit der Empfehlung einer Fürstin gekommen, deren Brief ich ihm persönlich übergeben habe. »Ich habe nichts getan; welche Entschädigung wird man mir geben, nachdem ich aus dieser Hölle, aus diesem verpesteten Loch befreit bin? Nie will man die schlechte Behandlung wieder gut machen, die ich bereits erdulden mußte. Lassen Sie mich entweder sofort in Freiheit setzen oder befehlen Sie Ihren Henkern, mir schnell den Garaus zu machen; denn wenn in barbarischer Willkür Ihr Alcalde sich einfallen lassen sollte, mich auf die Galeren zu schicken, so seien Sie versichert, man wird mich nicht lebend dorthin bringen.«

Nach meiner Gewohnheit behielt ich Abschriften von meinen Briefen; hierauf beförderte ich diese durch den Diener, den der allmächtige Manucci mir pünktlich zur genannten Stunde sandte. Ich verbrachte eine der entsetzlichsten Nächte, die ein Dante als eine der Qualen für seine Verdammten hätte ersinnen können. Alle Betten waren voll, und selbst wenn in ihnen Platz gewesen wäre, so hätte ich mich nicht darauf ausstrecken mögen. Vergeblich verlangte ich Stroh, aber wenn ich auch welches hätte erhalten können, so wäre es mir doch unmöglich gewesen, mich darauf auszustrecken: ich hätte nicht gewußt, wohin ich es legen sollte, da der ganze Fußboden überschwemmt war; denn für die vielen Menschen waren nur zwei oder drei Nachtgeschirre da, und jeder leerte sich am ersten besten Ort aus.

Ich verbrachte die Nacht auf einer schmalen Bank ohne Lehne, indem ich meinen Kopf auf meinen Arm stützte.

Um sieben Uhr in der Frühe kam der gute Manucci zu mir. Damals war er gut, ja, er war für mich gewissermaßen eine zweite Vorsehung. Ich bat ihn, mich mit dem Offizier und ihm in die Wachstube gehen zu lassen, damit ich etwas zu mir nehmen könnte; denn ich fühlte mich erschöpft. Meine Bitte wurde augenblicklich bewilligt. Ich trank Schokolade, und als ich ihm dabei mein Leiden schilderte, standen ihm die Haare zu Berge.

Manucci sagte mir, meine Briefe könnten erst im Laufe des Tages bestellt werden, und fügte lachend hinzu, der von mir an den Gesandten geschriebene sei grausam. Ich zeigte ihm hierauf die Abschrift der drei anderen, und der unerfahrene junge Mann sagte mir, man erlange durch Freundlichkeit leichter etwas. Er wußte nicht, daß es Lagen gibt, in denen es einem Menschen unmöglich ist, nicht mit Gift und Galle zu schreiben. Er sagte mir im Geheimen, der Botschafter speise an demselben Tage bei Aranda und habe ihm versprochen, unter vier Augen mit dem Minister zu meinen Gunsten zu sprechen; er befürchte jedoch, mein Brief werde den stolzen Spanier gegen mich aufbringen.

»Ich bitte Sie nur um die einzige Gnade, dem Herrn Gesandten nicht zu sagen, daß Sie von diesem Briefe Kenntnis hatten.«

Er versprach es mir.

Nach seinem Fortgehen sah ich mich wieder unter dem Gesindel und tat, wie wenn ich die Unverschämtheiten nicht hörte, mit denen man mich wegen meines hochmütigen Benehmens verhöhnte. Eine Stunde darauf sah ich Doña Ignazia und ihren Vater erscheinen; sie traten mit dem wackeren Hauptmann ein, der mir so viele Freude gemacht hatte. Dieser Besuch schnitt mir in die Seele, aber ich mußte ihn von der guten Seite auffassen und dankbar dafür sein; denn es lagen darin von Seiten des braven Mannes Seelengröße, Tugend und Menschlichkeit und von Seiten der schönen Frommen eine wirkliche Liebe und Ergebenheit.

Mit traurigem Gesicht und in schlechtem Spanisch schilderte ich ihnen, wie tief ich die Ehre zu empfinden wüßte, die sie mir antäten. Doña Ignazia sprach kein Wort; das war das einzige Mittel, um zu verhindern, daß ihre Tränen hervorbrachen; Don Diego aber bot seine ganze Beredsamkeit auf, um mir begreiflich zu machen, daß er mich niemals aufgesucht hätte, wenn er nicht die feste Überzeugung hätte, daß man sich irrte oder daß es sich um eine jener schrecklichen Verleumdungen handelte, durch die die Richter für ein paar Tage getäuscht werden könnten. Er zog daraus den Schluß, daß ich bald wieder frei sein, und daß man mir eine dem erlittenen Schimpf angemessene Genugtuung geben werde.

»Ich hoffe es,« antwortete ich ihm, »denn ich bin von meiner Unschuld durchdrungen.«

Der brave Mann rührte mich tief, als er bei der Abschiedsumarmung mir eine Geldrolle in die Hand drückte und mir ins Ohr sagte, sie enthalte zwölf Quadrupel, die ich ihm wiedergeben würde, wenn ich könnte.

Es waren mehr als tausend Franken. Mir standen die Haare zu Berge. Ich drückte ihm herzlich die Hand und sagte ihm ins Ohr, ich hätte in meiner Tasche fünfzig Quadrupel, die ich ihm nicht zu zeigen wagte, weil ich mich vor dem Gesindel fürchtete. Er steckte seine Rolle weinend wieder in die Tasche und entfernte sich mit Ignazia, nachdem ich ihm versprochen hatte, ihn sofort nach meiner Freilassung zu besuchen.

Der wackere Mann hatte seinen Namen nicht genannt, und da er sehr gut gekleidet war, so hielt man ihn für einen Herrn von Bedeutung. Derartige Charaktere sind in Spanien nicht selten, wo ein exaltierter Heroismus allgemein ist; aber die Extreme berühren sich.

Mittags kam der Bediente des Ritters Mengs mit einer Mahlzeit, die noch feiner, aber weniger reichlich war, als am Tage vorher. Dies war gerade, was ich wollte. Ich aß in seiner Gegenwart, und er entfernte sich wie am Tage vorher mit meinen besten Empfehlungen an seinen Herrn.

Um ein Uhr kam ein Mann und befahl mir, ihm zu folgen. Er führte mich in ein kleines Zimmer, wo ich meinen Karabiner und meine Pistolen sah. Der Alcalde Messa saß mit zwei Sbirren an einem mit Aktenheften bedeckten Tisch. Er befahl mir, mich zu setzen und alle seine Fragen genau zu beantworten, da meine Fragen aufgeschrieben würden. 2UH »Ich verstehe nur unvollkommen spanisch und werde nur schriftlich in italienischer, französischer oder lateinischer Sprache antworten.«

Diese Antwort, die ich in festem und zuversichtlichem Ton gab, setzte ihn in Erstaunen. Er sprach eine volle Stunde lang auf mich ein. Ich verstand alles, was er mir sagte, aber er empfing von mir immer nur dieselbe Antwort: »Ich verstehe nicht, was Sie mir sagen. Beschaffen Sie einen Richter, der eine von den mir bekannten Sprachen versteht, dann werde ich antworten; aber ich werde meine Antworten nicht diktieren, sondern sie niederschreiben.«

Der Alcalde geriet in Zorn, aber ich machte mir nichts aus seinem Toben.

Schließlich gab er mir eine Feder und sagte mir, ich möchte in italienischer Sprache aufschreiben, wie ich hieße, was ich wäre und was ich in Spanien wollte. Diesen Wunsch konnte ich ihm nicht abschlagen, aber ich beschränkte mich darauf, folgendes zu schreiben:

»Ich bin Giacomo Casanova, Untertan der Republik Venedig, Gelehrter, Ritter vom Goldenen Sporn. Ich besitze genügende Mittel und reise zu meinem Vergnügen. Mich kennen der venetianische Gesandte, Graf Aranda, Fürst della Cattolica, Marques Mora und Herzog von Lossada. Ich habe in keiner Beziehung Gesetze Seiner Katholischen Majestät übertreten, und werde trotzdem vergewaltigt und unter Missetäter und Diebe gesetzt. Dies widerfährt mir von Beamten, die viel härter behandelt zu werden verdienten als ich. Da ich nichts gegen die Gesetze getan habe, so muß Seine Katholische Majestät wissen, daß ihr gegen mich kein anderes Recht zusteht, als daß sie mir befehlen kann, ihre Staaten zu verlassen. Diesem Befehl würde ich gehorchen, sobald ich ihn erhielte. Meine Waffen, die ich hier sehe, habe ich seit elf Jahren auf meinen Reisen bei mir; ich führe sie nur, um mich gegen Straßenräuber zu verteidigen. Man hat sie am Alcalator in meinem Wagen gesehen und hat sie nicht beschlagnahmt; das ist der Beweis, daß der Besitz dieser Waffen jetzt nur ein Vormund ist, um mich zu vergewaltigen.«

Nachdem ich diese Zeilen niedergeschrieben hatte, reichte ich das Papier dem Alcalden. Er ließ jemanden rufen, der ihm meine Worte genau übersetzte. Als er sie hörte, sprang er auf, sah mich wütend an und schrie: »Valga me Dios. Sie sollen es verspüren, daß Sie diese unverschämten Worte geschrieben haben!«

Mit dieser Drohung, die eines Inquisitors würdig war, lief er wütend hinaus; zugleich befahl er, mich wieder an denselben Ort zu führen.

Um acht Uhr kam Manucci und sagte mir, Graf von Aranda habe den Gesandten zuerst gefragt, ob er mich kenne; Herr Mocenigo habe ihm hierauf die allerbeste Auskunft gegeben und ihm zuletzt versichert, es tue ihm leid, daß er mir bei einer Beschimpfung, die man mir angetan habe, nicht unmittelbar nützlich sein könne, weil ich bei den Staatsinquisitoren der Republik in Ungnade sei.

Hierauf habe Graf Aranda ihm geantwortet: »Allerdings hat man ihm einen großen Schimpf angetan, aber dieser ist doch nicht derart, daß ein kluger Mann darüber den Kopf verlieren dürfte. Ich würde nichts davon erfahren haben, wenn er mir nicht einen rasenden Brief geschrieben hätte; in derselben Tonart hat er an Don Emanuel de Roda und an den Herzog von Lossada geschrieben. Casanova hat recht, aber so schreibt man nicht.«

»Wenn er wirklich gesagt hat, daß ich recht habe, so ist ja meine Sache in Ordnung.«

»Das hat er gesagt. Darauf können Sie sich verlassen.«

»Wenn er es gesagt hat, so kann er nicht ermangeln, mir Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Was meinen Stil anlangt, so hat eben jeder den seinen. Ich bin wütend und habe wie ein Rasender geschrieben, weil man mich unwürdig behandelt hat. Sehen Sie dieses Zimmer, mein lieber Manucci: ich habe kein Bett; der Boden ist mit Unrat überstreut, und ich kann mich nicht auf die Erde legen; ich werde die zweite Nacht auf dieser Bank ohne Lehne verbringen, wo ich keine Stunde Ruhe finden kann. Scheint es Ihnen möglich, daß ich in einem solchen Zustande nicht Lust bekomme, die Herzen aller der Henkersknechte zu essen, die mich hier gefangen halten? Wenn ich nicht morgen aus dieser Hölle herauskomme, nehme ich mir das Leben oder werde wahnsinnig.«

Manucci begriff, daß ich ganz natürlicherweise in einem Zustande ungeheurer Erregung sein mußte. Er versprach mir, am nächsten Morgen in aller Frühe wiederzukommen und riet mir, für Geld mir ein Bett zu verschaffen. Ich konnte jedoch seinem Rat nicht folgen, weil ich halsstarrig war, wie Leute, die durch Ungerechtigkeit leiden, es gewöhnlich sind. Außerdem hatte ich Angst vor dem Ungeziefer und fürchtete für meine Börse und für die Kleinodien, die ich bei mir hatte.

Ich verbrachte eine zweite Nacht, die noch entsetzlicher war als die erste. Alle Augenblicke unterlag ich dem Schlummer und fuhr plötzlich wieder auf, wenn ich von meinem schmalen Bett herunterfallen wollte oder wenn mein Arm unter dem Gewicht meines Kopfes von einem Krampf ergriffen wurde; denn ich hatte kein anderes Kopfkissen als meinen Arm.

Manucci kam vor acht Uhr wieder, und ich sah ihn bei meinem Anblick erbleichen. Er war in einem Wagen gekommen und brachte gute Schokolade mit, die ich mit Vergnügen trank, und die mir ein bißchen Mut und Kraft wiedergab. Als ich eben damit fertig war, öffnete sich die Türe, ein höherer Offizier trat mit zwei anderen ein und rief: »Herr von Casanova!«

Ich trat vor und nannte meinen Namen.

»Herr Chevalier,« sagte der Oberst zu mir, »Seine Exzellenz der Graf von Aranda hält vor der Tür. Er bedauert außerordentlich das Unglück, das Ihnen widerfahren ist. Er hat es gestern durch den Brief erfahren, den Sie ihm geschrieben haben, und wenn Sie ihm früher geschrieben hätten, würde Ihre Haft weniger lange gedauert haben.«

»Es war meine Absicht, Herr Oberst. Aber ein Soldat ….«

Und nun erzählte ich ihm die Geschichte von dem spitzbübischen Soldaten.

Der Oberst erkundigte sich nach dem Namen des Mannes, ließ dann dessen Hauptmann kommen und erteilte diesem in meiner Gegenwart einen derben Verweis. Hierauf befahl er ihm, mir selber meinen Taler wiederzugeben, den ich lachend annahm, und den Soldaten kommen zu lassen, um ihm in meiner Gegenwart Stockprügel geben zu lassen.

Der Offizier, der als Abgesandter des mächtigen Aranda kam, war der Graf Roya, Oberst des Regiments, das im Schloß Buen Retiro lag. Ich erzählte ihm ausführlich die Vorgänge bei meiner Verhaftung und schilderte ihm alle Qualen, die ich an diesem verpesteten und schmachvollen Ort erduldet hätte. Ich sagte ihm: »Wenn ich nicht im Laufe des Tages meine Freiheit, meine Waffen und meine Ehre wiedererlange, so werde ich entweder wahnsinnig oder ich töte mich; denn, Herr Oberst, ein Mensch hat das Bedürfnis, sich wenigstens einmal am Tage auszustrecken, und ich habe mich weder auf ein Bett, noch auf die Erde legen können. Wären Sie einen Augenblick früher gekommen, so hätten sie den ekelhaften Unflat gesehen, der den Boden überschwemmte, und den Rest davon sehen Sie noch.«

Der brave Mann erschrak über die Aufgeregtheit, mit der ich zu ihm sprach. Ich bemerkte es und fuhr fort:

»Beruhigen Sie sich, Herr Oberst, wenn ein gerechter Zorn mich wütend macht! In ruhigem Zustande bin ich ganz anders; aber Sie mit Ihrem richtigen Ehrgefühl müssen begreifen, welche Wirkungen eine Behandlung hervorbringen muß, wie sie mir widerfährt.«

Manucci sagte ihm auf Spanisch, von welcher Laune ich in meinem gewöhnlichen Zustande wäre. Der Oberst bedauerte mich, seufzte und sagte: »Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß Sie im Laufe des Tages das Gefängnis verlassen, daß Sie Ihre Waffen wieder erhalten und daß Sie in Ihrem eigenen Bette schlafen werden. Hierauf, Herr Chevalier, werden Sie sich zu Seiner Exzellenz dem gnädigen Herrn Grafen von Aranda begeben, um ihm ihren Dank abzustatten; denn er ist eigens Ihretwegen hierher gekommen und hat mir befohlen, Ihnen zu sagen, daß Sie erst nachmittags nach Hause kommen können; Seine Exzellenz will, daß Sie volle Genugtuung erhalten, damit Sie Ihre Ruhe wieder erlangen und diesen Schimpf vergessen – wenn es überhaupt ein Schimpf ist; denn durch ein gerichtliches Verfahren können nur Schuldige entehrt werden. Der Alcalde Messa ist durch den Schuft getäuscht worden, der bei Ihnen im Dienst war.«

»Da steht er! Ich erbitte von Ihnen die Gnade, ihn von hier fortzuschaffen, da man ihn ja als Ungeheuer erkannt hat; denn es wäre wohl möglich, daß ich in meiner Entrüstung ihn erwürgte.«

»Sofort.«

Der Oberst ging hinaus, und zwei Minuten darauf traten zwei Soldaten herein und führten den Halunken fort; ich habe ihn niemals wiedergesehen, und es lag mir nichts daran, zu erfahren, was aus dem Elenden geworden war.

Der Oberst bat mich, in die Wachtstube zu kommen und Zeuge zu sein, wie der diebische Soldat seine Stockprügel erhielte. Manucci befand sich an meiner Seite. Ich sah den Grafen Aranda, der von einer großen Anzahl Offiziere umgeben war, und an seiner Seite einen Offizier von der Leibgarde des Königs hatte; er ging etwa vierzig Schritte vor mir auf und ab.

Diese ganze Geschichte nahm ein paar Stunden in Anspruch. Bevor er mich verließ, bat der Oberst mich, mit Mengs bei ihm zu speisen, sobald er diesen einladen werde.

In mein schmutziges Gefängnis zurückgekehrt, fand ich dort eine saubere Sitzgelegenheit. Es war eine Art von langem Lehnstuhl. Ein Unteroffizier sagte mir, man habe ihn für mich gebracht. Ich streckte mich sofort darauf aus und Manucci verließ mich, nachdem er mich mehrere Male umarmt hatte. Ich war von seiner aufrichtigen Freundschaft überzeugt und bin noch immer traurig, wenn ich daran denke, daß ich mit einer in meinem Alter unentschuldbaren Unbesonnenheit ein Unrecht habe gegen ihn begehen können – ein Unrecht, das er mir niemals verziehen hat. Nichtsdestoweniger glaube ich, daß meine Leser der Meinung sein werden, der Beleidigte habe die Rache zu weit getrieben.

Nach der Szene, die sich soeben abgespielt hatte, war das elende Gezücht, das mich umgab, ganz verblüfft, und Marazzani kam an mein Kanapee heran, um sich mir zu empfehlen. Ich dachte nicht daran, mich als hohen Herrn aufzuspielen, sondern sagte ihm, in Spanien müsse ein Fremder sich glücklich schätzen, wenn es ihm gelinge, selber fertig zu werden.

Mein Mittagessen wurde mir wie gewöhnlich gebracht, und um drei Uhr kam der Alcalde Messa und sagte mir, ich möchte ihm folgen; er sei getäuscht worden und habe Befehl erhalten mich in meine Wohnung zurückzuführen, wo ich, wie er hoffe, alles finden werde, was ich zurückgelassen habe. Zugleich zeigte er mir meine Waffen, die einer seiner Leute nach meiner Wohnung zurückzubringen beauftragt war. Der wachhabende Offizier gab mir meinen Degen zurück; der Alcalde in schwarzem Mantel trat an meine linke Seite und führte mich, von dreißig Häschern begleitet, nach meiner Wohnung, Er nahm die Siegel ab, der Wirt öffnete die Tür, ich trat in mein Zimmer ein und sagte dem Alcalden, alles sei in Ordnung.

»Wenn Sie nicht in Ihrem Dienst einen niederträchtigen Verräter gehabt hätten, den ich auf den Galeeren in Afrika verfaulen lassen werde, Herr Chevalier, so wäre es Ihnen nie in den Sinn gekommen, zu glauben, daß die Diener Seiner Katholischen Majestät Mörder seien.«

»Herr Alcalde, dasselbe habe ich im Zorn vier Ministern geschrieben. Damals dachte ich, was ich schrieb, und glaubte, was ich dachte; jetzt glaube ich es nicht mehr. Vergessen wir alles! Aber geben Sie zu, daß Sie mich auf die Galeeren geschickt haben würden, hätte ich nicht zu schreiben gewußt.«

»Das ist leider recht wohl möglich.«

Ich brauche nicht zu sagen, daß ich mich schleunigst vom Kopf bis zu den Füßen umkleidete. Als ich zum Ausgehen fertig war, veranlaßten mich Pflichtgefühl und Dankbarkeit viel mehr noch als die Liebe, meinen ersten Besuch dem edlen und großmütigen Schuhflicker zu widmen. Der wackere Mann war sehr glücklich mich wiederzusehen und ebenso stolz darauf, daß er den Irrtum der Behörden erraten hatte. Doña Ignazia war halb toll vor Freude; denn sie war vielleicht ihrer Sache nicht ganz so sicher gewesen wie ihr Vater, der, als er erfuhr, welche Genugtuung man mir gegeben hatte, mir sagte, ein Grande von Spanien könnte nicht mehr verlangen. Ich bat die guten Leute, mit mir irgendwo an einem dritten Ort zu essen, sobald ich es ihnen mitteilen würde, und sie versprachen es mir voller Freude.

Das Gefühl hatte sich eingemischt, und ich war in Doña Ignazia viel mehr verliebt, als ich es früher gewesen war.

Von Don Diego begab ich mich zu Mengs, der als Kenner der spanischen Verhältnisse alles eher erwartet hätte, als mich zu sehen. Als er die Ereignisse des letzten Tages und meinen Triumph erfuhr, machte er mir die größten Komplimente. Er trug Hofkleidung, was bei ihm sehr selten vorkam, und als ich ihn nach dem Grunde fragte, sagte er mir, er sei ausgefahren gewesen, um bei Don Emanuel de Roda ein Wort für mich einzulegen, habe ihn aber nicht sprechen können. Ich umarmte ihn und dankte ihm für seine freundliche Absicht. Er übergab mir einen Brief, den er soeben aus Venedig erhalten hatte. Ich beeilte mich, ihn zu öffnen; er war von Herrn Dandolo und enthielt einen anderen Brief für Herrn von Mocenigo. Herr Dandolo schrieb mir: »Wenn der Herr Gesandte diesen Brief gelesen hat, wird er nicht mehr den Staatsinquisitoren zu mißfallen fürchten, indem er Sie in aller Form vorstellt; denn der Briefschreiber empfiehlt Sie ihm von Seiten der drei Staatsinquisitoren.«

Als Mengs dies hörte, sagte er mir, es hänge jetzt nur von mir ab, in Spanien mein Glück zu machen, indem ich mich gut aufführe, besonders da in diesem Augenblick alle Minister gewissermaßen gezwungen seien, mich das mir angetane Unrecht vergessen zu machen. »Ich rate Ihnen, dem Gesandten den Brief augenblicklich zu überbringen. Nehmen Sie meinen Wagen; denn nach einer sechzigstündigen Folterung können Sie sich natürlich kaum aufrecht erhalten.«

Da ich der Ruhe bedürftig war, so sagte ich ihm, ich würde nicht zum Abendessen zurückkommen; doch verpflichtete ich mich für den nächsten Tag zum Mittagessen. Den Gesandten traf ich nicht an; ich hinterließ daher meinen Brief Manucci. Sobald ich zu Hause war, ging ich zu Bett und schlief zwölf Stunden lang fest und tief.

Manucci kam bei guter Zeit und sagte mir mit freudestrahlendem Gesicht: »Herr Girolamo Zulian schreibt dem Gesandten im Auftrage des Herrn da Mula, er könne Sie überall vorstellen; denn was das Tribunal etwa gegen Sie haben könne, berühre Ihre Ehre nicht. Der Gesandte gedenkt, Sie nächste Woche bei Hofe vorzustellen, und er wünscht, daß Sie heute in zahlreicher Gesellschaft bei ihm speisen.«

»Ich habe mich bei Mengs verpflichtet.«

»Das macht nichts; ich werde ihn sofort einladen, und wenn er ablehnt, so brauchen Sie auch nicht zu ihm zu kommen; denn Sie begreifen, welch wunderbaren Eindruck es machen wird, wenn Sie am Tage nach Ihrem Triumph beim Gesandten sind.«

»Da haben Sie recht. Gehen Sie zu Mengs; ich werde der freundlichen Einladung des Gesandten Folge leisten.«

Achtes Kapitel


Campomanes. – Olavids. – Die Sierra Morna. – Aranjuez. – Mengs. – Marques Grimaldi. – Toledo. – Senora Pelliccia. – Rückkehr nach Madrid zum Vater der Doña Ignazia.

Bei den hauptsächlichsten Wechselfällen meines Lebens haben besondere Umstände immer so zusammengewirkt, daß mein armer Geist ein bißchen abergläubisch geworden ist; ich demütige mich, wenn ich mich in mein Inneres versenke und mich gezwungen sehe, die Wahrheit anzuerkennen. Aber was kann ich dagegen machen? Das Glück spielt mit dem Menschen, der sich der Laune der blinden Göttin überläßt, wie ein Kind eine Elfenbeinkugel aufs Geratewohl über ein Billard laufen läßt und herzlich lacht, wenn sie von ungefähr in den Beutel fällt; dies ist natürlich. Aber nicht natürlich ist es nach meiner Meinung, wenn das Glück mit dem Menschen verfährt wie ein geschickter Spieler mit der Billardkugel: er berechnet Schnelligkeit, Rückstoß, Entfernung und eine Menge von Dingen, die die große Menge mittelmäßiger Spieler auf einem Billard überhaupt nicht sieht. Es ist daher nach meiner Meinung nicht natürlich, wenn ich der Glücksgöttin die Ehre erweise, sie für eine gelehrte Mathematikerin zu halten, oder wenn ich annehme, daß dieses Wesen den physikalischen Gesetzen unterworfen ist, die für die ganze Natur gelten. Obgleich mein Verstand mir das sagt, erstaunen mich meine Beobachtungen.

Dieses Glück, von dem ich als gleichbedeutend mit dem Zufall gering denken muß, erscheint in der ehrwürdigen Gestalt einer Gottheit bei allen wichtigen Ereignissen meines Lebens. Es schien stets ein boshaftes Vergnügen darin zu finden, mir zu beweisen, daß es nicht blind ist, was man auch sagen möge. Es hat mich nur immer in die Tiefe gestürzt, um mich zu einer Höhe zu erheben, die meinem Sturz entsprach, und es hat mich anscheinend immer nur recht hoch steigen lassen, um mich ebenso tief in den Abgrund zu stürzen. Wie es scheint, hat das Glück stets nur darum eine unbeschränkte Herrschaft über mich ausgeübt, um mich zu überzeugen, daß es weiß, was es will, und daß es nach seinem eigenen Belieben verfahren kann. Um diesen Zweck zu erreichen, hat die Glücksgöttin stets die geeigneten Mittel angewandt, um mich zum Handeln zu bringen, einerlei ob ich es gern oder ungern tat, und um mir fühlbar zu machen, daß mein Wille durchaus nicht frei, sondern im Gegenteil nur ein Werkzeug sei, dessen sie sich nur bediente, um mit mir zu machen, was sie wollte.

Ich konnte nicht hoffen, in Spanien etwas ohne die Hilfe meines heimatlichen Vertreters zu erreichen, und dieser hätte ohne den Brief, den ich ihm übergeben ließ, niemals etwas für mich zu tun gewagt. Dieser Brief nun wäre wahrscheinlich so ziemlich ohne Wirkung geblieben, wenn er nicht gerade in dem Augenblick meiner Haftentlassung gekommen wäre, die wegen der von Graf Aranda mir gegebenen glänzenden Genugtuung das Tagesgespräch geworden war.

Als der Gesandte diesen Brief erhielt, tat es ihm leid, nicht mit seinem amtlichen Einfluß für mich eingetreten zu sein und nichts für mich getan zu haben; indessen gab er die Hoffnung noch nicht auf, das Publikum werde glauben, daß der Graf von Aranda nur infolge seines Einschreitens so gegen mich verfahren sei. Sein Günstling, Graf Manucci, hatte mich in seinem Auftrage zum Essen eingeladen, und infolgedessen hatte Manucci den Einfall, den großen Maler ebenfalls zu Tische zu bitten. Diese Einladung schmeichelte ganz außerordentlich der Eitelkeit eines Mannes, bei dem ich eine Zuflucht gesucht hatte, aber vergeblich. Diese Einladung besaß in seinen Augen den Anschein einer Handlung der Dankbarkeit und entschädigte ihn für die Kränkung, die er hatte empfinden müssen, als er sah, wie ich aus seinem Hause weggeführt wurde. Er schrieb mir sofort, er werde mich mit seinem Wagen abholen.

Ich ging zum Grafen Aranda, der mich eine Viertelstunde warten ließ und dann mit einer Handvoll von Papieren herauskam und lachenden Mundes zu mir sagte: »Die Geschichte ist in Ordnung; sehen Sie hier Ihre vier Briefe, die ich Ihnen wiedergebe, damit Sie sie noch einmal durchlesen.«

»Warum, gnädiger Herr, muß ich sie noch einmal durchlesen? Dieses Schriftstück da ist die Erklärung, die ich dem Alcalden abgegeben habe.«

»Ich weiß es, lesen Sie sie noch einmal, und Sie werden einsehen, daß man nicht so schreiben darf, und wenn man noch so sehr recht hat.«

»Ich bitte Sie um Verzeihung, gnädiger Herr; ein Mensch, der, wie ich es war, entschlossen ist, sich zu töten, muß so schreiben. Ich glaubte, es sei alles auf Befehl Eurer Exzellenz geschehen.«

»Sie kannten mich nicht. Sie werden jetzt zu Don Emanuel de Roda gehen, um ihm Ihren Dank abzustatten; er will Sie durchaus kennen lernen. Außerdem werden Sie mir ein Vergnügen machen, wenn Sie an einem der nächsten Tage, falls Sie nichts anderes zu tun haben, zum Alcalden gehen – nicht, um ihm Ihre Entschuldigungen auszusprechen, denn das haben Sie nicht nötig, sondern nur, um ihm eine Höflichkeit zu erweisen und dadurch die Beleidigungen in Vergessenheit zu bringen, die Sie in Ihrem Schriftstück ihm gesagt haben. Wenn Sie diese Geschichte der Fürstin Lubomirska mitteilen, so sagen Sie ihr, bitte, daß ich eingegriffen habe, sobald ich davon erfuhr.«

Vom Grafen Aranda ging ich zum Oberst Roya, um auch diesem einen Besuch zu machen. Er sagte mir, ich hätte sehr übel daran getan, dem Premierminister zu sagen, daß ich zufrieden gestellt wäre.

»Was konnte ich beanspruchen?«

»Alles: Absetzung des Alcalden und fünfzigtausend Duros als Entschädigung für die Qualen, die man Sie an jenem abscheulichen Orte hat erdulden lassen. Sie sind in einem Lande, wo man laut sprechen kann, ausgenommen der Inquisition gegenüber.«

Der Oberst, jetzt General, ist einer der liebenswürdigsten Spanier, die ich gekannt habe.

Ich ging nach Hause, und bald darauf kam Mengs und holte mich ab. Der Gesandte empfing mich mit großer Auszeichnung und Herzlichkeit; er spendete dem Ritter Mengs die größten Lobsprüche, weil er mich in seinem Hause aufgenommen und versucht habe, mich vor einem Unglück zu schützen, das wohl auch einen herzhaften Mann zur Verzweiflung bringen könne. Bei Tische erzählte ich ausführlich alle meine Leiden in Buen Retiro und mein Gespräch mit dem Grafen Aranda, der mir meine Briefe zurückgegeben hatte. Man begehrte jene Briefe zu lesen, und jeder sprach seine Meinung darüber aus. Die Gäste waren: der französische Konsul Abbé Bigliardi, Don Rodriguez Campomanes und der berühmte Don Pablo d’Olavides. Bei dem Meinungsaustausch über meine Briefe verurteilte der Gesandte sie, indem er sie als wild bezeichnete. Campomanes dagegen lobte sie und sagte, sie enthielten durchaus keine Beleidigung und wären genau so, wie sie sein müßten, um den Leser, wäre dieser auch König, zu zwingen, mir sofort Gerechtigkeit zu verschaffen.

Olavides und Bigliardi stimmten ein. Mengs unterstützte die Meinung des Gesandten und lud mich ein, bei ihm zu wohnen, damit ich nicht mehr den Verleumdungen der Spione ausgesetzt sei, von denen es in Madrid wimmle. Ich nahm seine Einladung erst an, nachdem ich mich lange hatte bitten lassen, und besonders nachdem der Gesandte mir gesagt hatte, ich sei dem Ritter Mengs diese Genugtuung schuldig für die mittelbare Beleidigung, die ihm angetan worden sei.

Ich war sehr erfreut, Campomanes und Olavides kennen zu lernen; denn beide waren geistvolle Männer von einer Art, die in Spanien sehr selten ist. Sie waren zwar nicht Gelehrte im eigentlichen Sinne des Wortes, aber sie waren über religiöse Vorurteile erhaben, denn sie scheuten sich nicht nur nicht, sich öffentlich darüber lustig zu machen, sondern arbeiteten ganz offen an deren Zerstörung. Campomanes hatte dem Grafen Aranda das ganze Material gegen die Jesuiten geliefert. Das Publikum machte mit einer Art von heiterer Teilnahme die Bemerkung, daß Aranda, Campomanes und der Jesuitengeneral alle drei schielten. Auf meine Frage, warum er die Jesuiten hasse, antwortete Campomanes: »Ich hasse alle religiösen Orden als schädliche Schmarotzer, und wenn es nur auf mich ankäme, würde ich sie alle von der pyrenäischen Halbinsel und von der ganzen Welt vertilgen.«

Er hatte viele Schriften gegen die Tote Hand verfaßt, und da er mit dem venetianischen Gesandten sehr befreundet war, hatte Herr von Mocenigo ihm alles mitgeteilt, was der Senat gegen die Mönche getan hatte. Er hätte dieser Mitteilungen nicht bedurft, wenn er einfach alles gelesen hätte, was unser Fra Paolo Sarpi über diesen Gegenstand geschrieben hat. Campomanes war ein scharfsichtiger, tätiger und mutiger Mann; er war Fiskal des Hohen Rates von Kastilien, dessen Vorsitzender Aranda war, und galt allgemein für einen rechtschaffenen Mann, der stets nur im Interesse des Staates handelte. Darum war er von den Staatsmännern geliebt und geachtet, aber die Mönche und die Frömmler haßten ihn, und die Inquisition hatte ohne Zweifel seinen Untergang geschworen. Man sagte überall ganz laut, Campomanes werde in den Kerkern der Heiligen Hermandad umkommen, wenn er nicht in zwei bis drei Jahren Bischof sei. Diese Weissagung traf nur zum Teil ein: er wurde wirklich vier Jahre später in die Gefängnisse der Inquisition gesperrt, aber er erlangte nach drei Jahren seine Freiheit wieder, nachdem er widerrufen hatte. Das Krebsgeschwür, das Spanien verzehrt, ist immer noch vorhanden. Sein Freund Olavides wurde noch härter behandelt, und Aranda selber hätte dem blutdürstigen Ungeheuer nicht entgehen können, wenn er nicht als vernünftiger Mann von durchdringendem Verstande den Pariser Botschafterposten für sich erbeten hätte. Diesen bewilligte der König ihm von Herzen gern, weil ihm dadurch die Notwendigkeit erspart blieb, den Grafen der Wut der Mönche auszuliefern.

Karl der Dritte, der im Wahnsinn starb, wie alle Könige, die zugleich ehrenhafte Männer sind, sterben müssen, hatte Dinge vollbracht, die denen, die ihn kannten, unglaublich erschienen; denn er war eigensinnig wie ein Maulesel, schwach wie ein Weib, materiell wie ein Holländer, bigott und fest entschlossen, eher zu sterben, als seine Seele mit der allerkleinsten Todsünde zu beflecken.

Ein jeder wird begreifen, daß ein solcher Mann der Sklave seines Beichtvaters sein mußte.

Zu jener Zeit, von der ich erzählte, beschäftigte das Kabinett von Madrid sich mit einem schönen Unternehmen. Man hatte aus verschiedenen deutschen Kantonen der Schweiz tausend Familien ins Land gezogen, um eine Kolonie in der schönen, aber verödeten Gegend der Sierra Morena zu gründen. Ganz Europa kennt diese Gegend durch die Abenteuer des Don Quijote in dem Cervantesschen Meisterwerk. Die Natur schien sich darin gefallen zu haben, ihre schönsten Gaben über diese Landschaft auszuschütten: ein köstliches Klima, fruchtbarer Boden, reichliches und sehr reines Wasser und endlich die günstigste Lage zwischen Andalusien und Granada; und trotzdem war diese große, schöne Landschaft verödet.

Um diesem unerfreulichen und beinahe unerklärlichen Zustande abzuhelfen, hatte der König beschlossen, geschickten und fleißigen Kolonisten auf eine gewisse Anzahl Jahre den vollen Ertrag der Erde zum Geschenk zu machen. Infolgedessen hatte er Schweizer ins Land gerufen und ihnen die Reise bezahlt. Die Schweizer kamen, und die spanische Regierung beeilte sich, sie unterzubringen und sie vor allen Dingen einer guten weltlichen und geistlichen Polizei zu unterwerfen. Olavides, der ein kluger Mann und einigermaßen belesen war, betrieb diese Angelegenheit. Er verhandelte mit den Ministern, um unter der neuen Bevölkerung gute Ordnung zu schaffen; sie brauchte Beamte für eine gute und schnelle Rechtspflege, Priester, einen Gouverneur und die nötigen Handwerker, um Häuser und Kirchen zu bauen, besonders aber einen Zirkus für die Stiergefechte, die für gute, einfache Schweizer vollkommen überflüssig sind; einem Spanier jedoch ist es ganz unbegreiflich, wie man diese entbehren kann.

In seinen Eingaben hatte Don Pablo Olavides sehr vernünftigerweise gesagt, wenn die Kolonie gedeihen solle, so müsse man jede Art von Mönchen völlig fernhalten. Er hatte die besten Gründe dafür beigebracht, aber selbst wenn er die Richtigkeit seiner Behauptung mathematisch bewiesen hätte, so wäre nichts weiter nötig gewesen, um ihm den Haß aller Mönche und Mönchsfreunde von ganz Spanien zuzuziehen, vor allen Dingen den des dummen Bischofs, zu dessen Sprengel die neue Kolonie gehörte. Die Weltpriester sagten, Olavides habe recht; aber die Mönche schrien, es sei eine Gottlosigkeit, und da die Inquisition in erster Linie mönchisch ist, so begannen bereits die Verfolgungen.

Auf dieses Thema kam unsere Unterhaltung beim Essen. Nachdem ich schweigend die Gründe und Gegengründe angehört hatte, sagte ich so bescheiden wie möglich, in wenigen Jahren werde aus mehreren physikalischen und moralischen Gründen die mit so großen Kosten eingerichtete Kolonie wie ein leichter Rauch sich verflüchtigen. Der Hauptgrund, den ich vorbrachte, war der, daß der Schweizer sich von allen anderen Nationen unterscheidet. Ich sagte ungefähr folgendes: »Der Schweizer ist eine Pflanze, die sofort entartet und abstirbt, wenn sie in ein anderes Erdreich versetzt wird. Die Schweizer sind ein Volk, das allgemein in hohem Grade dem Heimweh unterworfen ist. Wenn diese Krankheit bei einem Menschen auftritt, ist das einzige Heilmittel, daß er nach dem Dorf, der Hütte, dem See zurückkehrt, wo er geboren ist. Sonst geht er zugrunde und stirbt. Ich glaube, es wäre gut, die Schweizer Kolonie mit einer Kolonie von Spaniern zu verbinden, damit sie sich durch Heiraten vermischen; man dürfte ihnen, wenigstens in der ersten Zeit, nur schweizerische Richter und Priester geben. Vor allen Dingen aber müßte man ihnen zusichern, daß sie in Gewissensfragen außerhalb der Inquisition stehen; denn die Schweizer Bauern haben in Liebesangelegenheiten ganz eigentümliche Gesetze und Gebräuche, von denen sie ihrer Natur nach niemals lassen können, die aber die geistliche Denkungsart in Spanien niemals billigen würde. Der geringste Zwang in dieser Hinsicht würde sehr schnell ein allgemeines Heimweh hervorrufen.«

Meine Bemerkungen, die Olavides anfangs nur für einen Scherz gehalten hatte, leuchteten ihm schließlich doch ein, und er begriff, daß ich wohl recht haben könnte. Er bat mich, meine Gedanken über diesen Gegenstand aufzuschreiben und meine Ansichten nur ihm allein mitzuteilen. Ich versprach es ihm, und Mengs setzte den Tag fest, an dem er mit mir zusammen bei ihm speisen könnte.

Am nächsten Tage ließ ich mein kleines Gepäck zu Mengs bringen, und sobald ich mich bei dem berühmten Maler eingerichtet hatte, begann ich an einer Denkschrift über die Kolonien zu arbeiten, indem ich den Gegenstand vom ärztlichen und philosophischen Standpunkt aus behandelte.

Ich stellte mich dem Don Emanuel de Roda vor, der, was in Spanien sehr selten vorkommt, ein Gelehrter war. Er liebte lateinische Poesie und fand Geschmack an der italienischen, gab jedoch der spanischen den Vorzug, was man an einem Kinde Kastiliens sehr natürlich finden wird. Er empfing mich außerordentlich freundlich, bat mich ihn oft zu besuchen und sprach mir wegen meiner ungerechten Verhaftung sein tiefstes Bedauern aus.

Der Herzog von Lossada wünschte mir Glück dazu, daß der venetianische Gesandte überall mein Lob singe. Er ermutigte mich, an eine Verwertung meiner Talente zu denken, indem ich mich der Regierung für einen geeigneten Posten anböte. Er versprach mir zur Erreichung dieses Zweckes seinen besten Beistand.

Der Fürst della Cattolica lud mich mit dem venetianischen Gesandten zusammen zum Mittagessen. So machte ich denn im Verlauf von drei Wochen eine Menge schöner Bekanntschaften; ich wohnte bei Mengs und speiste oft bei Herrn von Mocenigo. Ich dachte ernstlich daran, mich in Spanien anstellen zu lassen, denn da ich aus Lissabon keinen Brief erhielt, so wagte ich nicht auf gut Glück dorthin zu gehen. Da Pauline mir nicht mehr schrieb, gab es für mich kein Mittel, zu erfahren, was aus ihr geworden war.

Ich verbrachte meine Abende oft bei einer spanischen Dame, namens Sabattini, bei der eine Tertulia stattfand, das will sagen: eine Versammlung. Diese bestand zum größten Teil aus Gelehrten von kläglicher Art. Ferner ging ich zum Herzog von Medina-Sidonia, einem weisen und vernünftigen gelehrten Herrn; ich war ihm durch einen Kammerdiener des Königs, dessen Bekanntschaft Mengs mir verschafft hatte, einen gewissen Don Domingo Varnier, vorgestellt worden. Auch ging ich sehr oft zu Doña Ignazia; da es aber nicht möglich war, mit ihr allein zu sein, so langweilte ich mich. Wenn ich einmal einen günstigen Augenblick traf, um ihr zu sagen, sie solle doch irgendeine Lustpartie mit ihren beiden Cousinen ausdenken, antwortete sie mir, sie wünsche das ebensosehr wie ich, aber während der Fastenzeit müsse sie jeden Gedanken solcher Art weit fortweisen; denn die heilige Woche nahe heran, und da Gott für uns gestorben sei, so müßten wir an Buße und nicht an irdische Lust denken. Nach Ostern könnten wir vielleicht daran denken. Dies ist die Sinnesart aller jungen Betschwestern in Spanien.

Vierzehn Tage vor Ostern verließ der König Madrid, um mit seinem ganzen Hof nach Aranjuez zu gehen. Herr von Mocenigo lud mich ein, mitzukommen und bei ihm zu wohnen; er werde dort leicht eine Gelegenheit finden, mich vorzustellen. Wie man sich denken kann, hatte ich seine Einladung angenommen; aber am Tage vor der Abreise, während ich mit Mengs in seinem Wagen fuhr, um einen Besuch zu machen, ergriff mich plötzlich ein Fieber mit so heftigem Schüttelfrost, daß ich mit dem Kopf gegen eines von den Kutschfenstern schlug und das Glas zerbrach. Mengs bekam einen Schreck und ließ sofort umkehren; man brachte mich zu Bett, und vier Stunden darauf brach ein sehr reichlicher Schweiß aus, der durch zwei Matratzen und den Strohsack drang und den ganzen Fußboden unter meinem Bett überschwemmte. Dieses Schwitzen dauerte zehn bis zwölf Stunden. Achtundvierzig Stunden darauf hörte das Fieber auf, aber eine außerordentliche Schwäche fesselte mich noch acht Tage ans Bett, und ich konnte erst am Sonnabend vor Ostern mich nach Aranjuez begeben. Ich wurde von dem Gesandten sehr gut aufgenommen und untergebracht; aber in derselben Nacht wurde ein Geschwür, das ich bereits während des Tages gespürt hatte, so groß wie ein Ei, und es war mir unmöglich, aufzustehen und in die Messe zu gehen. In fünf Tagen wurde dieses Geschwür so groß wie eine gewöhnliche Melone. Der Gesandte und Manucci waren ganz erschrocken, als sie es sahen, und der Leibarzt des Königs, ein Franzose, erklärte, er habe so etwas noch nie gesehen. Ich selber war vollkommen ruhig; denn da ich keine Schmerzen hatte und die ganze Masse weich war, so erriet ich, daß es nur eine Ansammlung von Lymphe war, die sich in diesen Körperteil ergossen hatte; es war nur eine Ergänzung zu meinem letzten außerordentlich starken Schwitzen. Ich beschrieb dem Arzt mein letztes Kranksein und bat ihn, das Geschwür zu öffnen. Er tat dies. Aus dieser Öffnung ergoß sich einen Tag lang eine unglaubliche Menge Eiter. Am fünften Tage war die Wunde beinahe geschlossen, aber vor Schwäche konnte ich das Bett nicht verlassen.

In dieser Lage befand ich mich, als ich durch einen besonderen Boten ein Schreiben von Mengs erhielt; er übergab mir den Brief, der in diesem Augenblick vor mir liegt und den ich wörtlich abschreibe:

Gestern ließ der Pfarrer meiner Gemeinde an der Tür der Pfarrkirche die Namen der in seinem Bezirke wohnenden Personen anschlagen, die nicht an Gott glauben und das Osterfest nicht gefeiert haben. Unter diesen Namen steht auch der Ihrige, mit allen Buchstaben ausgeschrieben, und ich mußte mir eine unangenehme Bemerkung von besagtem Pfarrer gefallen lassen, der mir voller Bitterkeit den Vorwurf machte, daß ich Ketzern eine Zuflucht gewährte. Ich wußte nicht, was ich ihm antworten sollte, denn sicherlich konnten Sie einen Tag länger in Madrid bleiben und Ihre Christenpflicht erfüllen, wäre es auch nur gewesen, um die Rücksichten zu erfüllen, die Sie mir schuldig sind. Meine Verpflichtung gegen meinen königlichen Herrn, die Sorge um meinen guten Ruf und das Bedürfnis, in Zukunft ruhig sein zu können, nötigen mich, Ihnen mitzuteilen, duß mein Haus nicht mehr das Ihrige ist. Wenn Sie nach Madrid zurückkommen, mögen Sie wohnen, wo Sie wollen; meine Bedienten werden Ihre Sachen den Leuten übergeben, die Sie mit der Abholung beauftragen.

Ich bin usw.
Antonio Raffael Mengs.

Dieser grobe, unverschämte und ungerechte Brief – denn ich hatte bei Mengs einen musterhaften Lebenswandel geführt –, dieser Brief, sage ich, machte auf mich einen solchen Eindruck, daß Mengs ihn nicht ungestraft an mich geschrieben haben würde, wäre ich nicht sieben starke Meilen von ihm entfernt und außerordentlich schwach gewesen. Ich sagte dem Boten, er könne gehen. Er erwiderte mir, er habe Befehl, auf meine Antwort zu warten. Ich knüllte den Brief zusammen, warf ihn dem Manne ins Gesicht und rief: »Berichte deinem elenden Auftraggeber, was ich soeben getan habe, und sage ihm in meinem Namen, dies sei die Antwort, die ein derartiger Brief verdiene.«

Der unschuldige Bote war ganz verdutzt und ging hinaus, ohne ein Wort zu sagen.

Der Zorn gab mir Kräfte; ohne eine Minute zu verlieren, kleidete ich mich an und begab mich in einer Sänfte nach der Kirche von Aranjuez, wo ein Franziskaner mir die Beichte abnahm, und am nächsten Morgen um sechs Uhr früh empfing ich das heilige Abendmahl.

Mein Beichtvater war so gefällig, mir eine Bescheinigung zu schreiben, daß ich vom Augenblick meiner Ankunft an hätte das Bett hüten müssen und daß ich trotz meiner großen Schwäche mich in die Kirche hätte tragen lassen. Dort hätte ich ihm gebeichtet und von ihm das heilige Abendmahl erhalten; somit hätte ich als guter Christ mein Osterfest gefeiert. Hierauf nannte er mir den Pfarrer, der meinen Namen an seine Kirchentür angeschlagen hatte.

Ich ging in die Wohnung des Gesandten zurück und schrieb dem unduldsamen Pfarrer, die Bescheinigung, die ich ihm übersende, werde ihm begreiflich machen, warum ich nicht mein Osterfest gefeiert habe. Ich hoffe, er werde sich nun von meiner Rechtgläubigkeit überzeugt haben, und sich beeilen, meinen Namen von der Schandliste zu streichen. Zum Schluß bat ich ihn, den beiliegenden Brief dem Ritter Mengs zu überbringen.

Dem Maler schrieb ich: »Ich erkenne an, daß ich die Beschimpfung verdient habe, die Sie mir soeben angetan haben, indem Sie mich aus Ihrem Hause weisen; ich habe den sehr großen Fehler begangen, Ihrer Bitte nachzugeben und Ihnen die Ehre zu erweisen, bei Ihnen Wohnung zu nehmen. Aber als Christ, der soeben das Osterfest gefeiert hat, verzeihe ich Ihnen Ihr rohes Betragen und empfehle Ihnen nur, sich einen Vers zu merken, den alle anständigen Leute kennen, der Ihnen aber ohne Zweifel unbekannt ist:

Turpius ejictur quam non admittitur hospes.«

Nachdem ich meine Briefe abgefertigt hatte, erzählte ich das Abenteuer dem Gesandten. Er antwortete mir: »Das wundert mich gar nicht. Mengs steht nur wegen seines Talentes in Achtung; ganz Madrid kennt ihn als einen verrückten Menschen von sehr gewöhnlicher Gesinnung.«

In der Tat hatte der ehrgeizige Mann nur aus Eitelkeit mich aufgefordert, bei ihm zu wohnen. Die ganze Stadt sollte es wissen in einem Augenblick, wo man überall von der glänzenden Genugtuung sprach, die ich auf Befehl des Grafen Aranda erhalten hatte, und man sollte glauben, diese Genugtuung sei mir, wenigstens zum Teil, aus Rücksicht auf ihn gewährt worden. Er hatte tatsachlich in seinem Stolz gesagt, ich hätte fordern sollen, daß der Alcalde Messa mich nicht nach meiner Wohnung, sondern nach seinem Hause zurückbrächte, da er mir in seinem Hause die Verhaftung hätte ankündigen lassen.

Mengs war ruhmsüchtig und ehrgeizig, ein großer Arbeiter, aber eifersüchtig und Feind aller zeitgenössischen Maler, die etwas konnten. Er hatte unrecht; denn obwohl er in Farbengebung und Zeichnung ein großer Künstler war, fehlte es ihm an Erfindungsgabe, und diese ist eine wesentliche Eigenschaft des Malers sowohl wie des Dichters.

Eines Tages sagte ich ihm: »Wie jeder große Dichter ein Maler sein muß, so muß jeder große Maler ein Dichter sein.« Hierüber wurde er ernstlich böse, weil er, übrigens mit Unrecht, glaubte, ich wolle ihm seinen Fehler vorwerfen. Diesen gestand er zwar sich selber nicht ein, aber er fühlte ihn doch.

Er war sehr unwissend und wollte trotzdem für gelehrt gelten; er opferte dem Bacchus und Komus und wollte doch für nüchtern gelten. Er war wollüstig, jähzornig, eifersüchtig und geizig und machte trotzdem Anspruch darauf, im Rufe eines tugendhaften Menschen zu stehen. Da er ein großer Arbeiter war, so aß er für gewöhnlich nicht zu Mittag; denn nach dem Essen konnte er nichts mehr machen, weil er sich gewöhnlich bis zur Sinnlosigkeit betrank. Wenn er auswärts speiste, trank er nur Wasser, um sich nicht bloßzustellen. Er sprach vier Sprachen, aber schlecht, und konnte nicht einmal seine Muttersprache richtig schreiben. Trotzdem behauptete er, auch auf diesem Gebiete wie auf allen anderen vollkommen zu sein. Als sein Tischgenosse interessierte ich mich aufrichtig für ihn, aber schon etliche Tage vor meiner Abreise nach Aranjuez wurde er gegen mich verschnupft, weil ich zufällig seine Schwächen erkannte, und weil er sich meine Zurechtweisungen gefallen lassen mußte. Der Flegel war entrüstet, weil er wesentlichen Anlaß hatte, mir dankbar zu sein. Ich hatte ihn eines Tages verhindert, ein Schreiben an den König abzuschicken, das ihn lächerlich gemacht haben würde. Diese Eingabe mußte dem König selber vor Augen kommen, und Mengs hatte sie unterzeichnet el mas inclito, womit er sagen wollte: Ihr demütigster Diener. Ich machte ihn darauf aufmerksam, daß el mas inclito: der Erlauchteste, Edelste, Erhabenste bedeutet, und nicht der demütigste Diener; dieses heißt auf spanisch: el mas humilde. Der stolze Ignorant wurde zornig, sagte mir, es wäre unrecht von mir, zu glauben, daß ich besser Spanisch könnte als er, und war in Verzweiflung, als das Wörterbuch ihm nachwies, daß er unrecht hatte.

Ein anderes Mal glaubte ich ihn verhindern zu müssen, einen bösen Fehler zu begehen, indem er eine ausführliche Kritik gegen jemand veröffentlichte, der behauptet hatte, wir besäßen auf der Welt kein Denkmal aus der Zeit vor der Sündflut. Mengs glaubte den Verfasser zu zerschmettern, indem er vorbrachte, man sehe die Überreste des Turms zu Babel; eine doppelte Dummheit; denn man sieht diese angeblichen Überreste nicht, und selbst wenn man sie sähe, so stammt doch dieser eigentümliche Turm aus der Zeit nach der Sündflut.

Über alle Maßen jähzornig, schlug Mengs zuweilen seine Kinder beinahe zu Krüppeln. Mehr als einmal entriß ich seinen Händen seinen armen Sohn, den der rohe Mensch mit seinen Zähnen zerreißen zu wollen schien. Er rühmte sich, daß sein Vater, ein schlechter Maler in Böhmen, ihn mit dem Stock in der Hand erzogen habe. Er behauptete, dadurch sei er ein großer Maler geworden, und hatte beschlossen, dasselbe System anzuwenden, um seine Kinder zu zwingen, ebenfalls etwas zu werden.

Er war tief gekränkt, wenn er einen Brief erhielt, dessen Adresse nicht seinen Titel Ritter und seinen Namen: Raffael trug. Eines Tages erlaubte ich mir, ihm zu sagen, man sehe diese Dinge als Kleinigkeiten an, und ich sei durchaus nicht beleidigt gewesen, daß die Briefe, die er mir nach Madrid und Florenz geschrieben habe, nicht meinen Rittertitel getragen hätten, obgleich ich die Ehre hätte, mit demselben Orden geschmückt zu sein wie er. Er antwortete mir nicht, und daran tat er gut. Der Grund, weshalb er die Weglassung seiner Taufnamen als eine Beleidigung ansah, war halbverrückt. Er sagte in aller Einfalt, da er Antonio wie Correggio und Raffael wie Raffael von Urbino hieße, so könnten diejenigen, die diese beiden Vornamen fortließen, das nur in der Absicht tun, zu leugnen, daß die Eigenschaften dieser beiden glänzenden Maler in ihm allein vereinigt seien.

Eines Tages wagte ich ihm zu sagen, als ich eines seiner Gemälde betrachtete, die Hand einer Figur sei mißraten, denn der vierte Finger sei weniger lang als der Zeigefinger. Er antwortete ärgerlich, das müßte so sein, und zum Beweis zeigte er mir seine Hand. Lachend zeigte ich ihm die meine, indem ich ihm sagte, ich sei überzeugt, daß meine Hand so geformt sei wie die aller Abkömmlinge Adams.

»Von wem behaupten Sie denn, daß ich abstamme?«

»Das weiß ich nicht. Aber ganz gewiß gehören Sie nicht zu meiner Art.«

»Im Gegenteil, Sie gehören nicht zu der meinigen, überhaupt nicht zur menschlichen Rasse; denn alle wohlgebildeten Hände von Männern und Frauen sind wie die meinigen und nicht wie die Ihrigen.«

»Ich wette hundert Dublonen, daß Sie unrecht haben.«

Er sprang auf, warf Pinsel und Palette auf die Erde, läutete seinen Bedienten und sagte zu mir: »Wir werden sehen, wir werden sehen!«

Seine Leute kamen, er sah ihre Hände an, untersuchte sie ganz genau und fand, daß der Zeigefinger kürzer ist als der Ringfinger. Zum ersten Male sah ich ihn lachen und hörte ihn einem Streit durch ein Scherzwort ein Ende machen. Er sagte nämlich: »Ich bin entzückt, daß ich mich rühmen kann, wenigstens in etwas einzig zu sein.«

Mit Vergnügen teile ich hier eine sehr vernünftige Bemerkung mit, welche Mengs eines Tages zu mir machte. Er hatte eine Magdalena gemalt, die wirklich von überraschender Schönheit war. Seit etwa zehn Tagen sagte er mir jeden Morgen: »Heute Abend wird das Bild fertig sein!«

Eines Tages sagte ich ihm, er habe sich am Tage vorher getäuscht, indem er mir gesagt habe, das Bild werde am Abend fertig sein.

»Nein!« antwortete er mir: »denn neunundneunzig von hundert Kennern könnten es für vollendet halten; mir aber liegt am Urteil des hundertsten, und mit dessen Augen sehe ich das Bild an. Es gibt überhaupt auf der ganzen Welt nur relativ fertige Bilder, und diese Magdalena wird erst fertig sein, wenn ich nicht mehr an ihr arbeite, und selbst dann wird sie nur relativ fertig sein; denn sicherlich würde das Bild fertiger sein, wenn ich einen Tag länger daran arbeiten würde. In eurem Petrarca ist kein einziges Sonett, das wirklich vollendet wäre. Auf dieser Welt ist nichts vollkommen, was aus der Hand oder dem Geiste des Menschen hervorgeht, es müßte denn etwa eine mathematische Berechnung sein.«

Ich umarmte ihn vor Freude über seine treffliche Bemerkung. Weniger groß war meine Freude an einem anderen Tage, als er mir sagte: »Ich wünschte, ich wäre Raffael von Urdino gewesen. Das war ein großer Maler!«

»Ganz gewiß; aber wie können Sie sagen: Sie wünschen gewesen zu sein? Dieser Wunsch ist gegen die Natur; denn wenn Sie Raffael gewesen wären, so wären Sie nicht mehr; Sie können nicht im Ernst reden, wenn Sie sich nicht etwa vorstellen, Sie genössen die Glorie des Paradieses; wenn das der Fall ist, so schweige ich.«

»Ganz und gar nicht! Ich möchte Raffael gewesen sein, ganz einerlei, ob ich heute körperlich oder seelisch vorhanden bin.«

»Das ist Unsinn. Denken Sie doch darüber nach! Wenn Sie nicht Ihren Verstand verloren haben, können Sie einen solchen Wunsch nicht hegen.«

Er wurde zornig und sagte mir eine Menge Beleidigungen, über die ich nur lachte.

Ein andermal verglich er die Arbeit des Dichters, der eine Tragödie dichtet, mit der eines Malers, der ein Gemälde entwirft, worauf die ganze Tragödie in eine einzige Handlung zusammengefaßt ist.

Nachdem ich eine Menge Unterschiede besprochen hatte, schloß ich mit den Worten: »Der tragische Dichter muß alle Kräfte seines Geistes aufbieten, damit die kleinsten Einzelheiten zueinander stimmen, während der Maler, der sich nur um eine Oberfläche zu bekümmern habe, seine Farben auftragen und dabei mit anwesenden Freunden sich unterhalten kann. Das beweist, daß ein Gemälde sowohl durch die Handfertigkeit des Künstlers wie durch seinen Geist entsteht, während in einer guten Tragödie alles ein Werk des Genies ist. Dies beweist schlagend die Minderwertigkeit des Malers dem Dichter gegenüber. Finden Sie mir einen Dichter, der bei seinem Koch sein Abendessen bestellen kann, während er mit dem Dichten einer Tragödie oder mit der Abfassung epischer Verse beschäftigt ist.«

Wenn Mengs sich besiegt und überführt fühlte, gab er doch durchaus nicht zu, daß er unrecht hatte, sondern wurde grob und behauptete, ich hätte ihn beleidigt. Trotzdem wird dieser Mann, der schon im Alter von fünfzig Jahren starb, als Philosoph, großer Stoiker, Gelehrter und Musterbild aller Tugenden auf die Nachwelt kommen, und zwar dank der Lebensbeschreibung, die einer der Anbeter seines Talentes in Groß-Quartformat mit sehr schönen Typen hat drucken lassen, und die er dem König von Spanien gewidmet hat. Diese Lebensbeschreibung, die richtigen Lobeshymnen eines Höflings, ist weiter nichts als ein Lügengewebe. Mengs war nur ein großer Maler, und als solcher verdiente er allerdings auf die Nachwelt zu kommen, hätte er auch weiter nichts hervorgebracht als das herrliche Gemälde, das den Hochaltar der königlichen Kapelle in Dresden schmückt; allerdings hat er die Ideen zu diesem Meisterwerk aus der wunderbaren Schöpfung des Fürsten aller Maler, der Raffaelschen Transfiguration, entnommen.

Ich werde noch von Mengs sprechen, da wir ihm in zwei oder drei Jahren noch einmal in Rom begegnen.

Meiner Schwäche wegen hütete ich noch das Zimmer, als Manucci zu mir kam und mir den Vorschlag machte, ihn nach Toledo zu begleiten. »Der Gesandte,« sagte er zu mir, »muß dem diplomatischen Korps ein großes Galaessen geben, woran ich nicht teilnehmen kann, da ich nicht angestellt bin; mein Fehlen wird jedoch nicht auffallen, wenn man weiß, daß ich mit Ihnen auf der Reise bin. In fünf oder sechs Tagen sind wir wieder zurück.«

Es war mir sehr angenehm, Toledo zu sehen, und da wir in einem bequemen Wagen reisen sollten, so nahm ich an. Wir fuhren am anderen Morgen ab und kamen abends in der berühmten Stadt an. Bei den Toren dieser Hauptstadt von Neu-Kastilien, die auf einer Anhöhe liegt, befinden sich die Reste einer Naumachie. Der Tajo, der, wie man versichert, Gold mit sich führt, umfließt die Stadt von zwei Seiten. Wir fanden für spanische Verhältnisse eine recht gute Unterkunft und gingen am Morgen mit einem Fremdenführer aus, der uns in den Alcazar führte. Das ist der Louvre von Toledo, ein großer Palast, wo einstmals die maurischen Könige wohnten. Hierauf gingen wir in den Dom, ein sehenswertes Kunstdenkmal wegen der Reichtümer, die er enthält. Ich sah das Tabernakel, worin am Fronleichnamstage das heilige Sakrament herumgetragen wird. Es ist von Silber und so schwer, daß dreißig kräftige Männer nötig sind, um es zu tragen. Der Erzbischof von Toledo hat ein Jahreseinkommen von dreihunderttausend Duros, und seine Geistlichkeit hat jährlich vierhunderttausend, mehr als zwei Millionen Franken! Ein Domherr, der mir die Gefäße mit den Reliquien zeigte, sagte mir, in dem einen derselben befänden sich die dreißig Silberlinge, die Judas für den Verkauf unseres Heilandes erhalten hätte. Als ich ihn bat, mir diese Silberlinge zu zeigen, warf er mir grimmige Blicke zu und sagte mir, der König selber würde nicht wagen, eine solche Neugier an den Tag zu legen.

Wie man sich denken kann, beeilte ich mich, ihm meine eifrigsten Entschuldigungen auszusprechen; ich bat ihn, er möchte doch die unwissende Neugier eines Fremden nicht übel nehmen. Dies schien ihn zu beruhigen.

In Spanien sind die Priester Betrüger, auf die man noch mehr Rücksicht nehmen muß als in anderen Ländern.

Am nächsten Tage besahen wir die physikalische und naturgeschichtliche Sammlung. An dieser war nichts Wunderbares, aber man konnte doch wenigstens lachen, ohne daß man den Zorn eines Mönches oder die Klauen der Inquisition zu befürchten brauchte. Der Mann, der uns die Sehenswürdigkeiten zeigte, machte uns besonders auf einen ausgestopften Drachen aufmerksam und sagte: »Dies beweist, meine Herren, daß der Drache kein Fabeltier ist.« Er sagte uns jedoch nicht, ob der Drache aus den Händen der Natur hervorgegangen sei oder ob die Kunst damit etwas zu schaffen habe. Hierauf zeigte er uns den Basilisken, ein würdiges Gegenstück zum Drachen und den unsichtbaren dreißig Silberlingen des Judas. Der Blick dieses angeblichen Basilisken tötete uns nicht, sondern machte uns lachen. Endlich zeigte uns der freundliche Señor, wahrscheinlich, um uns eine Probe von der Ausdehnung seiner Kenntnisse zu geben, was? – das Schurzfell eines Freimaurermeisters, indem er uns versicherte, der Herr, der dieses Schurzfell dem Museum geschenkt habe, sei persönlich in der Loge gewesen. »Und dies beweist,« setzte er mit wichtiger Miene hinzu, »daß diejenigen sich sehr täuschen, welche behaupten, diese Sekte existiere nicht.«

Die Reise kräftigte meine Gesundheit, so daß ich nach meiner Rückkehr nach Aranjuez allen Ministern meine Aufwartung machen konnte. Der venetianische Gesandte stellte mich dem Marques Grimaldi vor, mit dem ich mehrere Besprechungen über die Kolonie in der Sierra Morena hatte. Es stand mit dieser Kolonie schlecht. Ich reichte ihm meinen Plan ein, worin ich nachwies, daß die Kolonie aus Spaniern gebildet werden müßte.

»Allerdings,« sagte er, »aber Spanien ist überall schwach bevölkert, und nach Ihrem Plan müßten wir eine Gegend berauben, um eine andere zu bereichern.«

»Durchaus nicht; denn zehn Einwohner, die in Asturien Hungers sterben, würden in der Kolonie fünfzig Kinder hervorbringen. Diese fünfzig würden zweihundert hervorbringen und so fort.«

Mein Plan wurde einer Kommission übergeben, und Marques Grimaldi versicherte mir: wenn der Plan angenommen würde, sollte ich zum Gouverneur der Kolonie ernannt werden.

Eine italienische Opera buffa entzückte zu jener Zeit den ganzen Hof, mit Ausnahme des Königs, denn dieser empfand gar keinen Geschmack an Musik. Der König sah aus wie ein Hammel, und auch seine Organe schienen zum Teil mit denen dieses Tieres übereinzustimmen, dem jede Empfindung für Harmonie der Töne abgeht. Man lausche einer Herde von hundert Hammeln und man wird hundert verschiedene Halbtöne hören. Karl der Dritte liebte nur die Jagd; wir werden sehen, warum.

Ein italienischer Kapellmeister, den Herr von Mocenigo beschützte, wollte gerne ein neues Drama in Musik setzen; er schmeichelte sich mit der Hoffnung, daß er allgemeinen Beifall verdienen und durch diese Oper sein Glück machen werde. Da die Zeit zu kurz war, um nach Italien zu schreiben, so erbot ich mich auf der Stelle ein Drama zu dichten; ich wurde beim Wort genommen, und am nächsten Tage übergab ich ihm den ersten Akt. Der Maestro setzte ihn in vier Tagen in Musik, und der venetianische Gesandte lud alle Minister ein, der Probe dieses Aktes in dem großen Saale seines Palastes beizuwohnen. Die beiden andern Akte waren auch bereits geschrieben; man fand die Musik köstlich, und in vierzehn Tagen wurde die ganze Oper aufgeführt. Der Kapellmeister empfing schöne Geschenke; von mir aber nahm man an, daß ich über einem Dichter stehe, der für Geld arbeite; mein Lohn bestand daher in Beifall – wahrer Hofmünze. Übrigens war es für mich in meiner Lage Lobes genug, daß der Gesandte entzückt war, mich unter seinen Hausgenossen zu sehen, und daß ich von den Ministern als ein Mann gefeiert wurde, der imstande war, zu den Vergnügungen des Hofes beizutragen.

Die Abfassung dieser Oper hatte mich genötigt, die Bekanntschaft der Künstlerinnen zu machen. Die erste war eine Römerin, namens Pelliccia; sie war weder schön noch häßlich, schielte ein wenig und besaß ein mittelmäßiges Talent. Sie hatte eine jüngere Schwester, die wirklich hübsch, um nicht zu sagen schön war. Trotzdem interessierte die junge keinen Menschen, und die ältere liebten alle, die mit ihr sprachen.

Ihr Gesicht hatte den Vorzug schielender Augen: einen rührenden sanften Blick; ihr Lächeln war fein und bescheiden, ihr Benehmen gewandt und edel, ohne Anmaßung; alle Welt liebte sie. Ihr Gatte war ein schlechter Maler, ein ziemlich häßlicher Biedermann, der mehr den Eindruck ihres Bedienten als den ihres Gemahls machte. Er war ihr sehr treu ergeben, und sie belohnte ihn dafür durch ein rücksichtsvolles Benehmen. Sie flößte mir keine Liebe ein, wohl aber eine aufrichtige Freundschaft. Ich besuchte sie jeden Tag und dichtete ihr Verse zu römischen Melodien, die sie mit großer Anmut sang. Sie war mir, wie ich ihr, in Freundschaft treu ergeben.

Eines Tages bei der Probe eines Aktes der Oper, zu der ich den Text geschrieben hatte, sprach ich mit ihr über die großen Herren, die sich eingefunden hatten, um die neue Musik zu hören. Der Operndirektor, namens Marescalchi, hatte mit dem Gouverneur von Valencia die Abmachung getroffen, daß er den ganzen September mit seiner Truppe dort zubringen solle, um auf einem eigens dazu erbauten kleinen Theater komische Opern aufzuführen. Man hatte in Valencia noch niemals eine italienische Oper gesehen, und Marescalchi hoffte dort Geld zu verdienen. Die Pelliccia wünschte von irgendeinem großen Herrn vom Hofe einen Empfehlungsbrief für Valencia zu erhalten, und da sie niemanden kannte, so fragte sie mich, ob sie den venetianischen Gesandten bitten könnte, sich für sie zu interessieren und irgend jemanden um einen Brief zu ersuchen.

»Ich will Ihnen einen Rat geben: Bitten Sie selber den Herzog von Arcos um diesen Brief.«

»Wer ist das?«

»Der Kavalier, der dort, zwanzig Schritte von uns entfernt, steht und Sie ansieht.«

»Aber wie darf ich das wagen?«

»Er ist ein großer Herr, und ich will darauf wetten, er hat die allergrößte Lust, Ihnen gefällig zu sein. Gehen Sie augenblicklich zu ihm und bitten Sie ihn um diese Gnade; ich bin fest überzeugt, er wird glücklich sein, sie Ihnen zu gewähren.«

»Dazu habe ich nicht den Mut. Stellen Sie mich vor.«

»Nein, damit würde ich alles verderben; er darf nicht einmal ahnen, daß ich Ihnen den Rat gegeben habe. Ich werde Sie jetzt verlassen; eine Minute darauf treten Sie an ihn heran und tragen ihm Ihr Anliegen vor.«

Ich ging nach dem Orchester, und als ich einen Augenblick darauf den Kopf umwandte, sah ich, wie der Herzog auf die Sängerin zuging.

»Die Sache ist in Ordnung«, sagte ich bei mir selber.

Nach der Probe sagte die Pelliccia mir, sie werde den Brief am Tage der ersten Opernaufführung erhalten.

Der Herzog hielt Wort; er übergab ihr einen versiegelten Brief an einen Kaufmann Don Diego Valencia.

Da sie erst im September nach Valencia gehen sollte, so war noch Zeit, denn wir befanden uns erst im Mai. Wir werden daher erst später erfahren, was der Brief enthielt.

In Aranjuez verkehrte ich viel mit dem Kammerdiener des Königs, Don Domingo Varnier, mit einem anderen Kammerdiener des Prinzen von Asturien, der jetzt den Thron einnimmt, und mit einer Kammerfrau der Prinzessin, heutigen Königin. Diese angebetete Prinzessin hatte die Macht besessen, eine Menge ebenso törichter wie lästiger Etikettenvorschriften zu unterdrücken und den ernsten und schweren Ton des Hofes in eine sanfte Liebenswürdigkeit zu verwandeln. Mit großem Vergnügen sah ich Seine Katholische Majestät jeden Tag um elf Uhr zu Mittag essen, wie es im siebzehnten Jahrhundert in Paris die Schuster taten; er aß jeden Tag dasselbe, ging jeden Tag zur selben Stunde auf die Jagd und kam abends todmüde mit seinem Bruder zurück.

Der König war sehr häßlich, aber alles ist verhältnismäßig; denn er war schön im Vergleich zu seinem Bruder, der eine wahre Vogelscheuche war. Dieser Bruder reiste niemals ohne ein Bild der heiligen Jungfrau, das Mengs ihm gemalt hatte. Es war ein Gemälde von zwei Fuß Höhe und dreieinhalb Fuß Breite. Die Jungfrau saß auf dem Grase; ihre Füße waren nackt und ihre Beine nach maurischer Art gekreuzt und bis zu den Waden entblößt. Es war ein wollüstiges Bild, das die Seele durch die Vermittlung der Sinne entflammte. Der Infant war in dieses Bild verliebt, aber er hielt die verbrecherischsten aller wollüstigen Gefühle für Frömmigkeit; es war unmöglich, daß er beim Betrachten dieses Bildes nicht vor fleischlicher Begier glühte, die lebendige Wirklichkeit in seinen Armen zu halten. Hiervon hatte jedoch der Infant keine Ahnung; er war entzückt, in die Mutter des Heilandes verliebt zu sein. So sind übrigens die Spanier im allgemeinen alle. Wenn ein Bild sie interessieren soll, muß es sich an ihre Sinne wenden, und sie legen alles nur zugunsten der Leidenschaft aus, die sie beherrscht.

Bevor ich nach Aranjuez ging, sah ich in Madrid das Bild einer Madonna, die ihren Sohn an der Brust hielt. Es war das Altargemälde einer Kapelle in der Hieronymus-Straße. Die Kapelle war den ganzen Tag voll von Frauen, die dorthin gingen, um die Mutter des Gottessohnes anzubeten. Ihre Gestalt hatte weiter nichts Interessantes als den wundervollen Busen, woran das Kind hing.

Die Almosen, die diesem Heiligtum zuflossen, waren so reichlich, daß man im Laufe von anderthalb Jahrhunderten – solange Zeit hatte das Bild seine Anziehungskraft auf die Menge geübt – eine große Anzahl silberner Lampen und Leuchter und andere Gefäße von vergoldetem Silber und sogar von Gold angeschafft hatte. Vor der Tür der Kapelle fand man stets mehrere herrschaftliche Kutschen, und eine Schildwache stand dort, um die Ordnung aufrecht zu erhalten und Streitigkeiten zwischen den Kutschern der vielen sich kreuzenden Wagen zu verhindern; denn kein Kavalier fuhr an diesem heiligen Ort vorbei, ohne den Wagen anhalten zu lassen und, wenn auch nur im Vorübergehen, der Jungfrau zu huldigen und den beata ubera, quae lactaverunt aeterni patris filium – die seligen Brüste, die des ewigen Gottes Sohn genährt haben.

Wenn man den Menschen kennt, wird man sich über diese Frömmigkeit nicht verwundern.

Als ich wieder in Madrid war, wollte ich dem Abbate Pico einen Besuch machen; ich befahl meinem Kutscher, nicht durch die Straße der Kapelle zu fahren, damit er keinen Aufenthalt durch die vielen Wagen hätte.

»Oh, Señor,« antwortete er mir, »seit einiger Zeit führt nur noch selten ein Wagen bei der Kapelle vor; ich kann ganz bequem durchkommen.«

Er fuhr weiter und bei der vormals so besuchten Kapelle vorbei; es war kein Mensch da.

Als ich vor dem Hause des Abbates, den ich besuchen wollte, aus dem Wagen stieg, fragte ich den Kutscher nach der Ursache dieser Veränderung.

»Oh, Señor! Die Menschen werden jeden Tag schlechter.«

Dieser Grund erschien mir kindisch, und als ich mit dem Abbate, einem geistvollen und ehrwürdigen Greise, eine Tasse Schokolade getrunken hatte, fragte ich ihn, warum jene Kapelle nicht mehr in Gunst stehe.

Er lachte laut auf und sagte: »Verzeihen Sie mir, mein Lieber, wenn ich Ihnen dies nicht zu sagen wage. Gehen Sie selber hin, und Ihre Neugier wird befriedigt werden.«

Meine Neugier wurde durch diese Worte lebhaft erregt, und ich ging sofort hin.

Beim Anblick des heiligen Bildes wußte ich sofort alles: der Busen war unter einem Tuch verschwunden. Das herrliche Gemälde war verdorben; die berückende Zauberei war verschwunden. Man sah nicht einmal mehr die Rundung der Brust; das Kind streckte den Hals aus, ohne etwas zu finden, und die Kopfhaltung der Jungfrau war nicht mehr natürlich, weil sie nicht mehr den Zweck hatte, die Bewegung der Lippen ihres Säuglings zu verfolgen.

Dieses Unglück war gegen Ende des Karnevals des Jahres 1768 geschehen. Der alte Kaplan war gestorben; der Vandale, der ihm nachfolgte, fand den herrlichen Busen skandalös, und so verschwand denn jeder Reiz des Bildes.

Der Priester hatte vielleicht recht als Dummkopf, aber er hatte unrecht als Christ und Spanier. Übrigens ist es wahrscheinlich, daß die beträchtliche Verminderung der Almosen ihn recht bald seinen Vandalismus hat bedauern lassen.

Mein Interesse für diesen Vorfall und meine unersättliche Neugier, die Menschen zum Sprechen zu bringen und auf diese Weise zu studieren, veranlaßte mich zu einem Besuch bei diesem Busenzerstörer, der nach meiner Vorstellung alt und dumm sein mußte.

Ich ging also eines Morgens zu ihm; anstatt mich jedoch einem Greise gegenüber zu finden, sah ich einen dreißigjährigen schönen Mann von lebhaftem und zuvorkommendem Wesen, der mir mit dem besten Anstande, obwohl er mich doch nicht kannte, eine Tasse Schokolade anbot. Ich lehnte diese ab, wie jeder Fremde es tun muß; denn abgesehen davon, daß die Schokolade im allgemeinen schlecht ist, wird sie einem überall und zu allen Stunden angeboten, und man würde ersticken, wenn man sie jedesmal annähme.

Ohne meine Zeit mit einer langen Vorrede zu verlieren, sagte ich ihm, als großer Freund der Malerei empfände ich einen tiefen Schmerz, daß er ein herrliches Gemälde hätte verderben lassen.

»Das mag sein,« antwortete er; »aber gerade seine künstlerische Schönheit machte es in meinen Augen unwürdig, ein Weib darzustellen, dessen Anblick zur Frömmigkeit anregen, die Seele erheben und reinigen muß, nicht aber die Sinne mit fleischlichen Begierden erfüllen darf. Mögen alle Gemälde zugrunde gehen, wenn sie alle zusammen die unschuldige Ursache der geringsten Sünde sein können.«

»Wer hat Ihnen diese Verstümmlung erlaubt? In Venedig hätte die Staatsinquisition, sogar Herr Barbarigo selber, obgleich er Theologe und sehr fromm ist, Sie unter die Bleidächer bringen lassen; denn die Liebe zur Paradieseswonne darf nicht den schönen Künsten schaden, und ich bin überzeugt, der Evangelist Sankt Lukas, der, wie Sie wissen müssen, Maler war und das Bildnis der Mutter unseres Heilandes mit nur drei Farben gemalt hat – er spricht jetzt gegen Sie zur heiligen Jungfrau, deren schönstes Bild Sie verstümmelt haben.«

»Mein Herr, ich bedurfte der Erlaubnis keines Menschen. Ich muß jeden Tag vor diesem Altar die Messe lesen, und ich schäme mich nicht, Ihnen zu sagen, daß ich nicht mehr imstande war, Gott zu opfern. Sie sind ein Mann und ein Christ; Sie werden meine Schwäche entschuldigen. Die wollüstige Erscheinung brachte meine Phantasie in Verwirrung.«

»Wer zwang Sie, das Bild anzusehen?«

»Ich sah es nicht an, aber der Feind Gottes zeigte es mir, ohne daß ich es wollte.«

»Warum haben Sie sich nicht verstümmelt, wie Origines es tat? Glauben Sie mir, Ihre Geschlechtsteile, die zu schwach sind, weil sie allem Anschein nach zu stark sind, haben nicht den Wert des von Ihnen zerstörten Gemäldes.«

»Mein Herr, Sie beleidigen mich!«

»Das ist nicht möglich; denn das ist nicht meine Absicht.«

Der junge Priester führte mich mit solchem Ungestüm an die Tür, daß ich sein Haus mit der Überzeugung verließ, er würde mittels der Inquisition irgendeine spanische Rache gegen mich anspinnen. Ich wußte, daß es ihm leicht sein würde, sich meinen Namen zu verschaffen, und da ich Scherereien dieser Art fürchtete, so beschloß ich, ihm zuvorzukommen.

Diese Befürchtung und dieser Entschluß wurden durch ein Ereignis hervorgerufen, das ich hier als Episode erzählen will.

Einige Tage vorher hatte ich einen Franzosen, namens Ségur, kennen gelernt, der erst ganz vor kurzem nach dreijähriger Haft aus dem Gefängnisse der Inquisition entlassen worden war. Er hatte in seinem Saal einen Brunnen, bestehend aus einem Marmorbecken, in das ein nacktes Kind nach der Art des Brüsseler Manneken-Pis das Wasser strömen ließ, nämlich aus seinem kleinen Gliede. Herr Ségur hatte die Gewohnheit, sich an diesem Brunnen zu waschen. Das Kind konnte nach Belieben einen Amor oder einen kleinen Jesus vorstellen; aber der Bildhauer hatte die Phantasie gehabt, seinen Kopf mit einer Art von Glorienschein zu schmücken; infolgedessen machte der Fanatismus daraus das Kind Gottes. Der arme Ségur wurde der Gottlosigkeit angeklagt, und die Inquisition fand es sündhaft, daß er zum Waschen ein Wasser benützte, das man als den Urin Christi ansehen konnte.

Ich fühlte mich zum mindesten ebenso schuldig wie Ségur, und da ich mich nicht der Gefahr einer gleichen Strafe aussetzen wollte, so begab ich mich zum Großinquisitor und berichtete dem Bischof Wort für Wort das Gespräch, das ich mit dem bildzerstörenden Kaplan gehabt hatte. Zum Schluß bat ich ihn um Verzeihung für den Fall, daß der Priester sich etwa beleidigt fühlen sollte, und versicherte Seiner Gnaden, ich wäre ein guter Christ und durchaus rechtgläubig.

Ich hätte niemals erwartet, in Madrid einen Großinquisitor zu finden, der ein geistreicher Mann und trotz seinem häßlichen Gesicht ein liebenswürdiger Mensch war; aber ich hatte mich geirrt; denn der würdige Prälat lachte nur zu meiner Erzählung. Ich hatte bei ihm beichten wollen, aber dies hatte er abgelehnt.

»Der Kaplan«, sagte er zu mir, »ist selber schuldig und ist unfähig, seinen Beruf auszuüben; denn indem er die anderen für ebenso schwach hält wie sich selber, hat er der Religion einen wirklichen Schaden zugefügt. Trotzdem, mein lieber Sohn, haben Sie unrecht daran getan, ihn zu reizen.«

Da ich ihm meinen Namen hatte sagen müssen, las er mir, immer mit lachendem Gesicht, eine andere Anschuldigung vor, die von einem Augenzeugen des Vorfalles bei ihm eingereicht worden war. Er warf mir mit Sanftmut vor, den Beichtvater des Herzogs von Medina-Sidonia, einen Franziskaner, als Ignoranten behandelt zu haben, weil er mir nicht hatte zugeben wollen, daß ein Priester die Messe zum zweitenmal lesen müßte, selbst wenn er inzwischen gegessen haben sollte, falls an einem Feiertag sein König die Messe nicht gehört hätte und beföhle, sie noch einmal zu lesen.

»Sie hatten recht«, sagte der liebenswürdige Bischof zu mir; »trotzdem aber durften Sie ihn nicht ins Gesicht einen Ignoranten schelten, denn man darf nicht jede Wahrheit sagen. In Zukunft vermeiden Sie jeden müßigen Streit über religiöse Dinge, sowohl was das Dogma wie die Disziplin betrifft. Damit Sie bei Ihrem Abschied von Spanien einen richtigen Begriff von der Inquisition mit sich fortnehmen, so will ich Ihnen sagen, daß der Pfarrer, der Sie auf die Liste der Exkommunizierten gesetzt hat, einen derben Verweis erhalten hat; denn er hätte Sie vorher väterlich warnen und vor allen Dingen sich erkundigen müssen, ob Sie krank wären; wir wissen, daß dies wirklich der Fall war.«

Hierauf beugte ich vor ihm eine Knie zur Erde, küßte ihm die Hand und entfernte mich sehr zufrieden.

Doch zurück nach Aranjuez! Sobald ich erfuhr, daß der Gesandte mich in Madrid nicht bei sich unterbringen konnte, wo ich zu verweilen gedachte, um die Ergebnisse meiner Arbeiten über die Kolonie abzuwarten, schrieb ich meinem guten Freunde, dem Schuhflicker Don Diego, ich brauchte ein gut möbliertes Zimmer, ein gutes Bett, eine Kammer und einen ehrlichen Bedienten, der auf meinen Wagen hinten aufsteigen wollte. Ich gab ihm an, wieviel ich monatlich ausgeben wollte, und schrieb ihm, daß ich Aranjuez verlassen würde, sobald er mir mitteilte, daß alles von mir Gewünschte bereit wäre.

Der Plan der Besiedelung der Sierra Morena nahm meine Zeit sehr in Anspruch, denn ich schrieb über die Polizeiverwaltung, auf die es vor allen Dingen ankam, um die Kolonie zur Blüte zu bringen. Meine Schriftstücke gefielen dem Minister Grimaldi und schmeichelten Herrn von Mocenigo; dieser hoffte: wenn es mir gelänge, zum Gouverneur der Kolonie ernannt zu werden, so würde dadurch der Ruhm seiner Gesandtschaft erhöht und sein diplomatischer Einfluß gestärkt werden.

Meine Arbeiten hielten mich jedoch nicht ab, mich gut zu unterhalten und vor allen Dingen die Herren vom Hofe zu besuchen, die mich über die besonderen Charaktereigenschaften der verschiedenen Mitglieder der königlichen Familie am besten unterrichten konnten. Don Varnier, ein kluger, offener und wahrheitsliebender Mann, war in dieser Beziehung eine reiche Mine, die ich mit Vorteil ausbeutete.

Eines Tages fragte ich ihn, ob es wahr sei, daß der König den Minister Squillace nur deshalb begünstigt habe, weil er früher dessen Frau geliebt habe.

»Das ist eine Verleumdung«, antwortete Varnier, »und sie ist aus der unruhigen Phantasie von Leuten entstanden, die für wahrnehmen, was kaum wahrscheinlich ist. Wenn der Beiname des Keuschen einem König der Wahrheit gemäß und nicht aus Schmeichelei beigelegt werden soll, so verdient Karl der Dritte ihn vielleicht mehr, als bis jetzt irgend ein König ihn verdient hat. In seinem ganzen Leben hat er sich nicht ein einziges Mal einem anderen Weibe genähert als der verstorbenen Königin, und zwar nicht so sehr wegen seiner Verpflichtung zur ehelichen Treue wie aus Christenpflicht. Er meidet die Sünde aus Furcht, seine Seele zu beflecken, und weil er die Schande vermeiden will, dem Beichtvater seine Schwäche gestehen zu müssen. Er ist stark, sogar robust und erfreut sich einer eisernen Gesundheit, und da er niemals eine Krankheit, wäre es auch nur das geringste Fieber, gehabt hat und mit einem sehr spanischen Temperament begabt ist, so ist kein einziger Tag seiner Ehe vergangen, ohne daß er der Königin die eheliche Pflicht erwies, ausgenommen wenn ihre Gesundheit die Fürstin zwang, ihn um Schonung zu bitten. Dann mattete sich der keusche Gemahl auf der Jagd ab, um seine Glut zu löschen, und kasteite sich, indem er sich erregender oder allzu nahrhafter Speisen enthielt. Stellen Sie sich vor, wie verzweifelt der Mann war, als er plötzlich Witwer war; denn er war entschlossen, tausendmal lieber zu sterben, als sich zu der Demütigung gezwungen zu sehen, eine Geliebte zu nehmen. Seine einzige Zuflucht war die Jagd und ein solches Arbeitsprogramm für jede Stunde des Tages, daß ihm keine Zeit übrig blieb, an Weiber zu denken. Dies war eine sehr schwierige Sache, denn er findet weder am Lesen noch am Schreiben irgendwelchen Gefallen; die Musik ist für ihn nur ein Geräusch, das das Ohr betäubt, und jede Unterhaltung ist ihm zum Ekel, sobald sie ein wenig munter wird. Er tat nun folgendes und wird es bis zu seinem Tode tun: um sieben Uhr kleidet er sich an und begibt sich dann in ein Zimmer, wo er frisiert wird. Um acht Uhr betet er; hierauf hört er die Messe, und nach dem Gottesdienst nimmt er seine Schokolade und eine ungeheure Prise Tabak, die er in seine große Nase stopft und einige Minuten darin behält. Es ist die einzige, die er den ganzen Tag über nimmt. Von neun Uhr an arbeitet er mit seinen Ministern bis elf. Dann kommt das Mittagessen, das nur dreiviertel Stunden dauert, da er stets allein speist. Hierauf macht er der Prinzessin von Asturien einen kurzen Besuch; mit dem Schlage zwölf steigt er in seinen Wagen und fährt zur Jagd. Um sieben Uhr ißt er einen Bissen, wo er sich gerade befindet, und um acht Uhr kommt er so müde zurück, daß er oft einschläft, bevor er in seinem Bett liegt. Auf diese Weise hält er seine sinnlichen Bedürfnisse nieder.«

»Er ist ein armer Mann, ein freiwilliger Märtyrer an sich selber.«

»Er hat daran gedacht, sich wieder zu verheiraten, aber Adelaide von Frankreich bekam Furcht, als sie sein Bild sah, und wies ihn ab. Dies kränkte ihn, und er verzichtete auf eine zweite Heirat. Wehe dem, der ihm vorschlagen würde, eine Geliebte zu nehmen!«

Wir sprachen hierauf noch weiter vom Charakter des Königs, und Don Domingo sagte mir, die Minister hatten recht, daß sie den Herrscher unzugänglich machten; denn wenn es durch Überraschung irgend jemandem gelänge, sich dem König zu nahen und ihn um irgendeine Gnade zu bitten, so machte er es sich zur Ehrensache, niemals eine abschlägige Antwort zu geben, weil er der Meinung wäre, daß er nur so sich als König betätigte.

»Er ist also nicht hartherzig, wie man von ihm glaubt?«

»Nein, Könige stehen selten in dem Ruf, den sie verdienen. Die Fürsten, zu denen man am leichtesten Zugang findet, sind notwendigerweise am wenigsten freigebig; denn sie werden fortwährend mit lästigen Gesuchen bestürmt, und wenn sie ein neues Gesicht sehen, so ist ihr erster Gedanke, das abzuschlagen, was man von ihnen verlangen wird.«

»Aber wenn Karl der Dritte nicht zugänglich ist, so braucht er ja offenbar keine Bitte zu gewähren noch abzuschlagen.«

»Man findet ihn allein auf der Jagd, und dann ist er gewöhnlich guter Laune. Sein Hauptfehler ist seine Halsstarrigkeit, denn wenn er einmal etwas will, so will er es durchaus, und Unmöglichkeiten gibt es für ihn nicht. Vor seinem Bruder, dem Infanten, hat er die größte Hochachtung; er kann ihm nichts abschlagen, obgleich er doch stets der Herr bleiben will. Man glaubt, er werde ihm die Erlaubnis bewilligen, eine Gewissensehe einzugehen, obgleich der König illegitime Kinder nicht liebt. Er fürchtet aber, der Infant werde verdammt sein, weil er bereits drei uneheliche Kinder hat.«

In Aranjuez befanden sich eine unglaubliche Menge Leute, die die Minister verfolgten, um von ihnen Stellen zu erlangen. »Alle diese Leute«, sagte Don Domingo zu mir, »gehen wieder nach Hause, wenn der König zurückreist, und kein einziger hat etwas erlangt.«

»Sie verlangen also Unmögliches?«

»Sie verlangen gar nichts. ›Was wünschen Sie?‹ sagt ein Minister zu ihnen.

›Was nach der Meinung Eurer Exzellenz für mich passen kann,‹

›Aber was können Sie denn?‹

›Das weiß ich nicht. Eure Exzellenz kann mein Talent prüfen und mir dann das Amt geben, das ich am besten auszufüllen vermag.‹

›Gehen Sie; ich habe keine Zeit.‹«

Aber so ist es überall. Karl der Dritte ist im Wahnsinn gestorben; die Königin von Portugal ist wahnsinnig; der König von England ist es gewesen, und manche behaupten, er sei nicht geheilt. Man möchte sagen, es sei unter den Königen eine Epidemie ausgebrochen, und das wäre kein Wunder, denn die Könige, die ihre Pflicht tun wollen, haben zu viel zu tun.

Ich verabschiedete mich von Herrn von Mocenigo drei Tage, bevor er selber abreiste, und umarmte voll Zärtlichkeit Manucci, der mir während meines ganzen Aufenthaltes unaufhörlich Beweise seiner Freundschaft gab. Ich gestehe dies zu meiner eigenen Schande und hoffe, man wird dieses Geständnis als mildernden Umstand für das Unrecht ansehen, das ich gegen ihn begangen habe.

Mein Schuhflicker Don Diego hatte mir geschrieben, für die Summe, die ich ausgeben wollte, bekäme ich auch noch eine biskayische Magd, die mir gute Mahlzeiten bereiten würde, so oft ich Lust hätte. Er hatte mir auch die Adresse meiner Wohnung geschickt, die in der Alcalastraße lag. Ich reiste von Aranjuez am Morgen ab und kam am Nachmittag in Madrid an.

In meiner Wohnung fand ich meine Biskayerin, die französisch sprach. Ich hatte ein sehr hübsches Zimmer mit einer schönen Kammer und ein zweites sehr sauberes Zimmer, worin ich einen Freund aufnehmen konnte, denn es war mit einem guten Bett versehen. Ich ließ mein Gepäck heraufschaffen und sah bei dieser Gelegenheit meinen Lakaien, dessen Gesichtsausdruck mir gefiel.

Da ich neugierig auf die Geschicklichkeit meiner Köchin war, so befahl ich ihr, ein gutes Abendessen für mich allein herzurichten, und wollte ihr Geld dazu geben. Sie antwortete mir aber: »Ich habe Geld, mein Herr, und werde Ihnen morgen meine Rechnung geben.«

Nachdem ich mir die Sachen von Mengs hatte abholen lassen, lenkte ich meine Schritte nach Doña Ignazias Wohnung, um dem Vater meine volle Zufriedenheit auszusprechen. Ich kam an und fand das Haus leer. Erstaunt darüber, daß er mich nicht von seinem Umzuge benachrichtigt hatte, ging ich nach Hause; nachdem ich dort meine Sachen geordnet hatte, fragte ich meinen Bedienten Filippo, wo denn Don Diego jetzt wohne.

»Das ist sehr weit, Herr; ich werde Sie morgen hinführen.«

»Wo wohnt mein Wirt?«

»Über Ihnen, Herr; aber Sie können sicher sein, daß man niemals den geringsten Lärm machen wird.«

»Ich wünsche ihn zu sehen.«

»Er ist ausgegangen und wird erst um zehn Uhr nach Hause kommen.«

Ich gab Filippo bis zum Abendessen Urlaub, und um neun Uhr meldete er mir, daß im Nebenzimmer aufgetragen sei. Hungrig stand ich auf und sah zu meiner großen Überraschung einen kleinen Tisch, der mit einer geschmackvollen Sauberkeit gedeckt war, wie man sie in Spanien selten trifft. Es tat mir leid, daß ich nicht Don Diego bei mir hatte, um ihm zu sagen, wie sehr ich zufrieden sei. Ich setzte mich zu Tisch, und nun kam mein würdiger Schuhflicker mir geradezu wie ein Held vor, denn meine Biskayerin konnte es mit dem ersten cordon bleu Frankreichs aufnehmen. Ich hatte fünf Schüsseln und dazu las Criadillas, die ich leidenschaftlich liebte; alles war ausgezeichnet, tadellos. Obgleich ich meine Wohnung ziemlich teuer bezahlte, schien es mir doch unmöglich zu sein, noch obendrein eine so ausgezeichnete Köchin zu haben.

Als ich mit dem Abendessen so ziemlich fertig war, sagte Filippo mir, mein neuer Wirt sei nach Hause gekommen, und wenn ich es erlaube, werde er mir guten Abend wünschen.

»Er möge eintreten; er wird mir angenehm sein.«

Die Türe öffnete sich; ich sah Don Diego und seine reizende Tochter. Er hatte das Haus eigens gemietet, um mich beherbergen zu können!

Sechsundzwanzigstes Kapitel


Abenteuer in Triest. – Ich leiste dem Tribunal des Staatsinquisitoren in Venedig neue Dienste. – Reise nach Görz und Rückkehr nach Triest. – Ich sehe Irena wieder. – Sie ist Schauspielerin geworden und sehr geschickt in allen Glücksspielen.

Die Triester Damen bekamen Lust, ihre Talente in der französischen Komödie zu versuchen, und erwählten mich zum Direktor und Oberregisseur. Ich erhielt den Auftrag, nicht nur die Stücke auszuwählen, sondern auch die Mitwirkenden beiderlei Geschlechts zu bestimmen und die Rollen zu verteilen. Diese Aufgabe machte mir unendliche Mühe und verschaffte mir durchaus nicht das Vergnügen, das ich mir versprochen hatte.

Da alle meine Schauspielerinnen völlige Neulinge waren, so mußte ich sie geradezu abrichten und täglich von einer zur anderen laufen, um mit ihnen die Rollen durchzugehen, die sie auswendig zu lernen hatten. Dies wollte leider niemals gelingen, da sie alle aus Mangel an Übung ein sehr widerspenstiges Gedächtnis hatten. Wenn in Italien eine Revolution notwendig ist, so ist dies auf dem Gebiete der Erziehung und besonders auf dem des weiblichen Unterrichtes der Fall. Abgesehen von einigen Ausnahmen, begnügen sich die besten Familien damit, ihre Töchter einige Jahre lang in ein Kloster einzuschließen, bis sie einem Gatten in die Arme gelegt werden, den sie oftmals am Tage vor der Hochzeit zum ersten Male sehen, den sie niemals kennen gelernt haben und der ihnen nicht selten ihr ganzes Leben lang gleichgültig bleibt. Die Folge ist, daß beide Teile sich durch das Cicisbeowesen schadlos halten. Man kann daher, ohne sich zu täuschen, ruhig behaupten, daß in Italien in der sogenannten guten Gesellschaft die Ehen völlig konventionell sind; der muß ein sehr kluger Edelmann sein, der von sich sagen kann: ich heiße ebenso wie mein Vater.

Was können nun auch in einem Kloster, besonders in den Klöstern unseres schönen Italiens, die Mädchen lernen? Einige fromme Übungen, wenig Religion, viel Intrigen und Heuchelei; perverse Sitten, oft große Ausschweifungen, kokettes Benehmen; ein bißchen Lesen und Schreiben, allerlei zwecklose hübsche Handarbeiten, und höchstens ein bißchen Musik und Zeichnen; gar keine Weltgeschichte, gar keine Geographie und ebensowenig Mythologie; fast gar kein Rechnen und nichts von dem, was eine gute Gattin und Mutter ausmacht.

Fremde Sprachen sind völlig ausgeschlossen, und sollte man wirklich daran denken, so würde die Weichheit unserer schönen italienischen Sprache das Erlernen einer fremden außerordentlich schwierig machen, um so schwieriger, da die Gewohnheit des dolce far niente jedes fleißige Studium hindert.

Ich habe diese Wahrheiten hier niedergeschrieben, sozusagen um mein Gewissen zu beruhigen und trotz meinem Nationalstolz. Ich weiß wohl, daß meine schönen Landsmänninnen den Stein auf mich werfen werden, wenn mich jemals einige von ihnen lesen und verstehen; aber was wird mir ihr Zorn ausmachen? Ich werde dann nicht mehr da sein; denn wenn meine Erinnerungen das Licht der Welt erblicken, werde ich es nicht mehr sehen. Außerdem weiß ich ja nur zu gut, daß ich ihnen nicht mehr gefallen kann. Doch wieder zu unserem Theater zurück!

Da es mir nicht gelingen wollte, meinen Schauspielerinnen ihre Rollen einzutrichtern, so entschloß ich mich dazu, ihr Souffleur zu werden, und erfuhr am eigenen Leibe, was für ein undankbares Geschäft dies ist.

Ein Souffleur muß arbeiten wie ein Galerensträfling; die Schauspieler erkennen niemals die Verpflichtungen an, die sie gegen ihn haben, und geben ihm die Schuld an allen Fehlern, die sie machen.

Ein Arzt in Spanien befindet sich ungefähr in derselben Lage wie ein Souffleur: wenn sein Kranker gesund wird, geschieht dies dank dem Schutze dieses oder jenes Heiligen, und wenn er stirbt, so ist das immer nur die Wirkung der ihm verschriebenen Heilmittel.

Eine schöne Negerin, die Dienerin der hübschesten meiner Schauspielerinnen, der ich die größte Aufmerksamkeit erwies, sagte mir eines Tages etwas, was ich nie vergessen werde:

»Ich weiß nicht, wie Sie in meine Herrin so verliebt sein können; die ist ja weiß wie der Teufel.«

»Haben Sie denn niemals einen Weißen geliebt?« fragte ich sie.

»O doch,« antwortete die Mohrin, »aber das geschah nur, weil ich keinen Neger hatte, dem ich sicherlich den Vorzug gegeben haben würde.«

Einige Zeit darauf ergab die Negerin sich mir, denn sie hatte mich neugierig gemacht. Bei dieser Gelegenheit erkannte ich die Unrichtigkeit des Sprichwortes: Sublata lucerna nullum discrimen inter feminas – denn selbst sublata lucerna muß man merken, ob die Frau schwarz oder weiß ist.

Es ist nach meiner Meinung nicht zweifelhaft, daß die Neger eine von der unsrigen völlig verschiedene Säugetiergattung sind. Abgesehen von der Farbe besteht der Unterschied, daß eine erfahrene Afrikanerin es in ihrem Belieben hat, bei der Begattung zu empfangen oder nicht, und nicht nur dies, sondern daß sie sogar nach ihrem Belieben ein männliches oder ein weibliches Kind empfangen kann. Wenn meine Leser mir diese Behauptung nicht glauben wollen, so haben sie recht; denn wenn wir nach unserer eigenen Natur urteilen, ist die Sache unglaublich; aber man würde nicht mehr ungläubig sein, wenn ich die Theorie dieser melanthropogenesischen Wissenschaft der Negerinnen auseinandersetzte.

Der Oberkämmerer des Kaisers, Graf Rosenberg, der später Fürst wurde und vor einem Jahr gestorben ist, kam zu seinem Vergnügen nach Triest; in seiner Begleitung befand sich der Abbate Casti, dessen Bekanntschaft ich gerne machen wollte, weil er einige sehr ruchlose kleine Gedichte verfaßt hatte.

Meine Erwartung wurde nicht erfüllt; denn anstatt eines geistreichen Menschen fand ich in diesem Abbate nur einen unwissenden, sehr unverschämten Frechling, der kein anderes Verdienst hatte als eine sehr große Gewandtheit im Verseschmieden.

Graf Rosenberg hatte ihn mitgenommen, weil er ihm als Possenreißer und als Kuppler sehr gute Dienste leistete; diese beiden Berufe paßten sehr gut zu seinem niedrigen Charakter, aber sehr wenig zu seinem geistigen Stande. Damals hatte ihm die Syphilis noch nicht das Zungenzäpfchen zerfressen.

Ich habe gehört, daß dieser schamlose Wüstling, dieser unwissende und unzüchtige Reimschmied zum kaiserlichen Hofdichter ernannt worden ist. Wie schändet dieser Nachfolger das Gedächtnis des großen Metastasio, der kein einziges Laster hatte, alle Tugenden besaß und mit den schönsten Kenntnissen geziert war!

Was Castis Dichtkunst betrifft, so hat er keine edle Sprache und versteht nichts vom Theater. Diese Behauptung findet sich bestätigt durch zwei oder drei komische Opern, die er verfaßt hat, und in denen man nur platte Narrenspäße in wirrem Durcheinander findet. Eins von diesen Stücken wimmelte von Verleumdungen gegen den König Theodor wie gegen die Republik Venedig, die er durch die kläglichste Lüge lächerlich zu machen suchte.

In einem anderen Stück, das er die Grotte des Trophonus betitelte, hat Casti sich zum Gespött aller wissenschaftlich gebildeten Leute gemacht, indem er ganz zwecklos eine barocke Gelehrsamkeit zur Schau trägt, die weder zur Komik des Stückes noch zum Gang der Handlung etwas beiträgt.

Die französische Komödie wurde im Hause des Barons von Königsbrunn aufgeführt, dessen reizende Gemahlin, eine geborene Gräfin Almis, die ersten Rollen spielte. Unter den vornehmen Leuten, die nach Triest kamen, um sich an der Komödie zu ergötzen, lernte ich auch einen Grafen Torriano kennen, der mich zu überreden wußte, den Herbst mit ihm auf seinem Landhause, sechs Miglien von Görz, zu verbringen. Wäre ich der Stimme meines Genius gefolgt, so wäre ich nicht hingegangen.

Der Graf war noch nicht dreißig Jahre alt und unverheiratet. Er war nicht hübsch von Gesicht, doch konnte man ihn auch nicht häßlich nennen, obgleich er eine Galgenphysiognomie hatte, auf welcher man folgende Charakterzüge las: Grausamkeit, Hinterlist, Verräterei, Stolz, rohe Sinnlichkeit, Haß und Eifersucht. Diese fürchterliche Mischung ließ mich glauben, daß ich mich täuschte und daß die Ware besser wäre als das Aushängeschild. Eine sehr liebenswürdige Einladung schien seinem unangenehmen Gesichtsausdruck nicht zu entsprechen.

Bevor ich mich durch ein Versprechen band, erkundigte ich mich nach ihm und hörte überall nur Gutes. Man sagte mir nur, er liebe das schöne Geschlecht und werde fürchterlich, wenn es einen Schimpf zu rächen gelte, den ihm irgendein Mensch angetan habe. Diese Eigenschaften schienen mir jedoch eines Edelmannes durchaus nicht unwürdig zu sein, und ich gab ihm daher mein Versprechen. Er sagte mir, er würde mich am 1. September in Görz erwarten, und am folgenden Tage würden wir nach Spessa fahren; so hieß sein Landgut.

Infolge meiner Verabredung mit dem Grafen Torriano verabschiedete ich mich für ein paar Monate von allen meinen Bekannten, besonders dem Grafen Wagensperg, der damals ernstlich an einer Krankheit litt, die man leicht durch Quecksilber heilt, wenn dieses von geschickter Hand angewandt wird, während es dem Kranken den Tod bringt, wenn er mit Pfuschern zu tun hat. Der arme Graf hatte dieses Unglück, denn er starb einen Monat nach meiner Abreise.

Ich fuhr also am Morgen von Triest ab, aß in Proseco zu Mittag, kam bei guter Zeit in Görz an und stieg vor dem Hause des Grafen Luigi Torriano ab. Er war nicht zu Hause, aber man ließ mich mein kleines Gepäck ablegen, als ich sagte, daß der Graf mich eingeladen habe. Hierauf ging ich zum Grafen Torres, bei dem ich bis zum Abendessen blieb. Am Abend ging ich wieder nach dem Hause des Grafen Torriano. Man sagte mir, er sei aufs Land gefahren und werde erst am nächsten Tage zurückkommen. Einstweilen habe man meine Sachen in den Gasthof zur Post gebracht, wo ein Abendessen und ein Zimmer für mich bestellt sei. Sehr erstaunt begab ich mich in den Gasthof, wo ich ein schlechtes Essen und ein schlechtes Zimmer fand. Ich machte mir jedoch nichts daraus; ich nahm an, daß der Graf mich nicht in seinem Hause hatte unterbringen können, und fand es nur unrecht von ihm, daß er mich nicht vorher benachrichtigt hatte. Ich konnte nicht ahnen, daß ein Edelmann, der sein eigenes Haus hat, einem Freunde, den er einladet, kein Zimmer geben kann.

Am nächsten Morgen besuchte Graf Torriano mich, dankte mir für meine Pünktlichkeit, beglückwünschte sich selber zu dem Vergnügen, das meine Gesellschaft auf seinem Landgut Spessa ihm bereiten werde, und sagte mir, es täte ihm sehr leid, daß wir erst nach zwei Tagen abreisen könnten, weil am nächsten Tage der Gerichtshof das Urteil in einem Prozeß fällen würde, den er mit einem spitzbübischen alten Pächter hätte. Dieser wäre sein Schuldner und wollte nicht nur nicht zahlen, sondern hätte sogar außerdem noch Ansprüche erhoben.

»Nun gut!« antwortete ich ihm; »ich werde die Reden der Advokaten anhören, das wird für mich ein wahres Vergnügen sein.«

Gleich darauf ging er, nicht nur ohne mich zu fragen, wo ich zu Mittag äße, sondern auch ohne mich nur um Entschuldigung zu bitten, daß er mich nicht in seinem Hause habe aufnehmen können.

Ich war sehr eigentümlich berührt und kam auf alle möglichen Vermutungen; schließlich dachte ich mir, er habe es mir vielleicht übel genommen, daß ich bei ihm abgestiegen sei, ohne ihn vorher zu benachrichtigen.

Ei, mein lieber Casanova, sagte ich zu mir selber, vielleicht hast du dich geirrt. Menschenkenntnis ist ein unergründlicher Abgrund. Ich glaubte den Menschen zur Genüge studiert zu haben, um ihn zu kennen, aber meine Erfahrung ist unzureichend. Ich muß noch weiter studieren; es ist ja noch nicht alles verloren. In Wirklichkeit hat der Graf mich ja auf sein Landgut eingeladen, und, genau genommen, hat der gute Mann keine Verpflichtungen gegen mich, da wir in der Stadt sind. Nur Geduld; wir werden ja sehen, vielleicht hat er mir aus einem gewissen Zartgefühl nichts gesagt. Es würde mir sehr leid tun, wenn ich etwa nach seiner Meinung den Fehler begangen hätte, mich nicht bei ihm entschuldigt zu haben, obgleich 707 ich nach meiner Auffassung und nach dem allgemeinen Brauch mich durchaus nicht verfehlt habe.

Ich aß allein zu Mittag und verbrachte den Nachmittag damit, Besuche zu machen. Am Abend speiste ich beim Grafen Torres und erwähnte im Gespräch, daß ich mir am nächsten Morgen das Vergnügen machen wollte, die Beredsamkeit der Görzer Advokaten zu hören.

»Ich werde ebenfalls dort sein,« sagte der Graf; »denn ich bin sehr neugierig, das Gesicht zu sehen, das Torriano machen wird, wenn der Bauer gewinnt. Ich kenne die Geschichte, und jedermann weiß, daß Torriano nicht verlieren kann, wenn nicht das von ihm eingereichte Buch, auf Grund dessen der Bauer als sein Schuldner erscheint, gefälscht ist. Der Bauer seinerseits muß gewinnen, wenn nicht die Quittungen des Grafen Torriano zum größten Teil gefälscht sind. Der Bauer hat bereits in erster und zweiter Instanz verloren, aber er hat stets appelliert und die Kosten bezahlt; dabei ist zu bemerken, daß er arm ist. Wenn er morgen verliert, ist er nicht nur zugrunde gerichtet, sondern wird auch zu den Galeren verurteilt werden; aber wenn er gewinnt, so beklage ich Torriano, denn dann würde er die Galere verdienen, und mit ihm sein Advokat, der sie schon viele Male verdient hat.«

Da ich wußte, daß Graf Torres für ein Lästermaul galt, machten seine Bemerkungen keinen Eindruck auf mich, sie vermehrten jedoch meine Neugier. Ich war daher am nächsten Morgen einer der ersten im Gerichtssaal. Ich sah die Richter, die beiden streitenden Parteien und ihre Rechtsbeistände. Der Anwalt des Bauern war ein alter Mann mit rechtschaffener Miene, der des Grafen dagegen sah aus wie ein frecher Spitzbube. Der Graf saß neben ihm mit verächtlichem Gesicht; sein stolzes Lächeln schien sagen zu wollen, es sei nur eine Laune von ihm, wenn er sich allergnädigst mit einem elenden Kerl einlasse, über den er schon zweimal den Sieg errungen habe.

Der Bauer hatte seine Frau, einen Sohn und zwei schöne Töchter bei sich, die alle Prozesse der Welt hätten gewinnen sollen; er sah bescheiden aus und benahm sich ruhig und mit der Zuversicht, die ein gutes Gewissen verleiht.

Ich wunderte mich, daß diese biedere Familie zweimal hatte verlieren können; sie flößte mir eine solche, von jedem Hintergedanken freie Teilnahme ein, daß ihre Sache mir unanfechtbar erschien.

Die braven Leute waren schlecht gekleidet, und wie sie so mit niedergeschlagenen Augen bescheiden dasaßen, sah man ihnen an, daß sie Opfer der Bedrückung waren.

Jeder Anwalt durfte zwei Stunden sprechen.

Der ehrenwerte Anwalt des Bauern sprach nur ungefähr dreißig Minuten. Er legte den Richtern das Quittungsbuch vor, das die Unterschriften des Grafen bis zu dem Tage trug, wo er den Bauern aus seinem Dienst entlassen hatte, weil er als verständiger Mensch und Vater seinen Töchtern nicht hatte erlauben wollen, zum Herrn zu gehen. Mit der größten Ruhe und ohne jede Übertreibung erläuterte er hierauf das Buch, das der Graf eingereicht hatte und wonach der Pächter dessen Schuldner geworden sein sollte, ferner bewies er die Unrichtigkeit der Behauptung, daß die angeblichen Quittungen seines Klienten gefälscht wären. Er wies außerdem Unrichtigkeiten und Ungenauigkeiten auf allen Seiten nach und erklärte schließlich, daß sein Klient in der Lage wäre, der Justiz die beiden vom Grafen bezahlten Fälscher namhaft zu machen, deren Dokumente der Graf den Richtern vorzulegen wagte, um eine ehrenhafte Familie zugrunde zu richten, deren einziges Vergehen ihre Armut wäre. Zum Schluß verlangte er Vergütung der bereits erwachsenen und noch erwachsenden Auslagen und einen angemessenen Schadenersatz für den Zeitverlust und für die Schädigung des guten Leumundes seines ehrenhaften Klienten.

Der Anwalt meines lieben Grafen würde länger als zwei Stunden geredet haben, wenn der Richter ihm nicht das Wort entzogen hätte. Er erlaubte sich alle erdenklichen Beschimpfungen des Anwalts, der Sachverständigen und des Pächters, dem er mehrere Male zurief, er würde ihn auf die Galeren bringen und kein Mensch würde mit seinem Schicksal Mitleid haben.

Während dieser langen Debatten würde ich mich sehr gelangweilt haben, wenn ich das Unglück gehabt hätte, blind zu sein. Dank meinen guten Augen aber hatte ich das Vergnügen, die Gesichter beobachten zu können. Mein lieber Gastgeber, ein Tartüff von unerschütterlicher Frechheit, behielt seine unerschrockene und lachende Miene.

Nach Beendigung der Advokatenreden gingen wir alle in einen anstoßenden Saal, um dort auf die Ausfertigung des Urteils zu warten.

Der Pächter und seine Familie standen vereinsamt und traurig in einer Ecke; kein Freund nahte sich ihnen, um ihnen ein Wort des Trostes zu sagen. Graf Torriano dagegen war von einem Dutzend Leuten umringt, die ihm um die Wette in die Ohren bliesen, sein Prozeß stände so schön, daß er ihn nicht verlieren könnte; sollte aber dieser ungeheuerliche Fall dennoch eintreten, so müßte er bezahlen und den Bauern zwingen, das Verbrechen der Fälschung nachzuweisen.

Ich hörte alle diese Bemerkungen in tiefem Schweigen an, denn ich fühlte viel mehr innerliche Teilnahme für den Pächter, der mir ein ehrlicher Mann zu sein schien, als für meinen Gastgeber, den ich stark im Verdacht hatte, ein Windbeutel zu sein. Natürlich hütete ich mich, ein Wort davon verlauten zu lassen.

Graf Torres fragte mich mit seiner unverbesserlichen Unvorsichtigkeit, was ich von der Sache hielte. Ich antwortete ihm leise: »Selbst wenn der Graf recht hätte, sollte er wegen der niederträchtigen Rede seines Anwalts den Prozeß verlieren; der Advokat verdiente, daß man ihm die Ohren abschnitte oder ihn sechs Monate lang jeden Tag an den Pranger stellte.«

»Und der Klient verdiente dasselbe!« sagte Torres ziemlich laut; doch hatte zum Glück niemand gehört, was ich gesagt hatte.

Nachdem wir eine Stunde gewartet hatten, trat der Gerichtsschreiber mit zwei Papieren ein; das eine gab er dem Anwalt des Pächters, das andere dem des Grafen Torriano. Der Graf las es, lachte laut auf und las es uns vor.

Das Gericht verurteilte ihn, die Forderungen des Pächters anzuerkennen, alle Kosten zu bezahlen und ihm als Schadenersatz einen Jahreslohn auszuzahlen; dem Bauern blieb das Recht vorbehalten, wegen anderer Beschwerden, die er etwa noch vorzubringen gedächte, ad minimum zu appellieren.

Der Anwalt machte ein trauriges Gesicht, aber Torriano tröstete ihn, indem er ihm sechs Zechinen gab. Hierauf entfernten alle Anwesenden sich.

Ich blieb mit dem Verurteilten allein und fragte ihn, ob er in Wien Berufung einlegen würde.

»Meine Berufung wird anderer Art sein,« antwortete er mir. Ich hielt es nicht für angebracht, ihn zu fragen, was diese Worte zu bedeuten hätten.

Am nächsten Vormittag fuhren wir von Görz ab. Als der Wirt mir meine Rechnung brachte, sagte er mir, er habe vom Grafen Auftrag erhalten, nicht auf seiner Forderung zu bestehen, falls ich etwa nicht bezahlen wolle; alsdann werde er selber bezahlen.

Ich fand dies sonderbar, aber ich lachte nur darüber. Immerhin gaben die drei oder vier Pröbchen, die ich von seinem Charakter erhalten hatte, mir eine Ahnung, daß ich sechs Wochen bei einem gefährlichen Sonderling zu verbringen hätte.

Eine Fahrt von weniger als zwei Stunden brachte uns nach Spessa. Ich erblickte auf einer kleinen Anhöhe ein großes Haus, das sich in architektonischer Beziehung nicht besonders auszeichnete. Wir begaben uns in seine Gemächer, die weder besonders gut noch besonders schlecht ausgestattet waren; nachdem er mir hierauf alle anderen Zimmer gezeigt hatte, führte er mich in die für mich bestimmte Wohnung: es war ein Zimmer im Erdgeschoß, schlecht möbliert, mit dumpfer Luft und wenig Licht.

»Dies«, sagte er zu mir, »ist das Lieblingszimmer meines seligen Vaters, der wie Sie ein großer Freund des Studierens war. Sie können sicher sein, daß Sie hier eine unumschränkte Freiheit genießen werden, denn Sie werden hier keinen Menschen sehen.«

Wir aßen sehr spät zu Mittag, und infolgedessen gab es an diesem Tage kein Abendessen. Ich fand das Essen leidlich, ebenso den Wein, und die Gesellschaft eines Priesters, der ihm als Verwalter diente und vertragsgemäß an seinem Tische essen mußte, wenn er sich in Spessa aufhielt, erschien mir nicht unangenehm; dagegen ärgerte es mich, daß der Graf, der selber sehr schnell aß, mir, allerdings mit lachendem Munde, zu sagen wagte, ich äße zu langsam.

Als wir vom Tische aufstanden, sagte er zu mir, er hätte viel zu tun, und wir würden uns am nächsten Tage wiedersehen.

Ich ging auf mein Zimmer, um meine Sachen auszupacken und meine Papiere in Ordnung zu bringen. Ich arbeitete damals am zweiten Bande meines Werkes über die polnischen Unruhen.

Als es dämmerig wurde, verließ ich mein Zimmer, um Licht zu verlangen. Ein Bedienter brachte mir ein einziges Talglicht. Dies fand ich unanständig, denn ich konnte Kerzen oder doch wenigstens eine Lampe beanspruchen. Ich hielt jedoch meine Entrüstung zurück und begnügte mich damit, den Bedienten zu fragen, ob einer von ihnen mit meiner Bedienung beauftragt sei.

»Gnädiger Herr,« antwortete er, »unser Herr hat uns in bezug auf Sie keinen Auftrag gegeben; aber es versteht sich von selbst, daß wir Ihnen zu Diensten sind, so oft Sie uns rufen.«

Das wäre eine sehr unangenehme Sache gewesen; um irgend jemanden zu finden, hätte ich durch Haus und Hof laufen, vielleicht sogar auf die Straße gehen müssen; denn eine Klingel war nicht vorhanden.

»Und wer wird mein Zimmer machen?« fragte ich ihn.

»Das wird die Magd besorgen «

»Sie hat also einen Schlüssel zum Zimmer?«

»Den braucht sie nicht, denn Ihre Türe hat kein Schloß; Sie können sich jedoch nachts einschließen, indem Sie den Riegel vorschieben.«

Ich wußte nicht, ob ich mich ärgern oder lachen sollte; jedenfalls konnte die Sache so nicht weiter gehen. Ich hatte so viel Selbstbeherrschung, nichts zu sagen, und lachte nur vor mich hin.

Als der Lakai fort war, machte ich mich wieder an meine Arbeit; aber nach einer halben Stunde hatte ich das kleine Unglück, daß mir das Talglicht ausging, als ich es schneuzen wollte. Ich konnte in der Dunkelheit nicht hinausgehen, da ich im Hause nicht genügend Bescheid wußte; es blieb mir nichts anderes übrig, als im Finsteren zu Bett zu gehen.

Das Fluchen war mir näher als das Lachen, aber zum Glück war das Bett gut, und da ich dies nicht erwartet hatte, so beruhigte es mich ein wenig, und ich schlief ausgezeichnet.

Da am anderen Morgen niemand zu mir kam, schloß ich meine Papiere ein und ging in Schlafrock und Nachtmütze zu meinem Amphitryon hinüber, um ihm guten Tag zu sagen. Sein zweiter Lakai, der das Amt eines Kammerdieners versah, war gerade dabei, ihn zu frisieren. Ich sagte ihm, ich hätte gut geschlafen und käme zu ihm, um mit ihm zusammen zu frühstücken. Er antwortete mir ziemlich höflich, er frühstücke niemals und bitte mich, seinetwegen mir nicht die Umstände zu machen, ihn morgens aufzusuchen; denn er sei immer mit seinen Bauern beschäftigt, und dies seien lauter Spitzbuben. Da ich die Gewohnheit habe, zu frühstücken, so werde er es dem Koch sagen lassen, daß er mir Kaffee machen solle, wann ich es wünsche.

»Sie haben wohl auch die Güte, dem Bedienten zu befehlen, daß er mir ein bißchen die Haare macht, nachdem er Sie bedient hat.«

»Ich wundere mich, daß Sie keinen Bedienten mitgebracht haben!«

»Ich hatte keine Ahnung, daß es Ihnen unbequem sein könnte, wenn ich in einem Dorfe, wo es keinen Friseur gibt, den Kamm Ihres Bedienten in Anspruch nehme. Wenn ich daran gedacht hätte, würde ich mir einen Bedienten besorgt haben.«

»Oh, mir wird das nicht unbequem sein, wohl aber Ihnen; denn Sie werden oft ungeduldig werden, weil Sie auf ihn werden warten müssen.«

»Ich werde gern warten. Was ich notwendig brauche, ist ein Schloß an meiner Zimmertür; denn ich habe Papiere, für die ich verantwortlich bin, und ich kann diese nicht jedesmal, wenn ich hinausgehen muß, in meinen Koffer schließen.«

»Bei mir ist alles sicher.«

»Das nehme ich an; aber Sie begreifen, daß es lächerlich wäre, wenn ich Sie für einen Brief verantwortlich machen müßte, der mir vielleicht abhanden käme. Dies könnte für mich ein sehr unangenehmer Verlust sein, aber ich würde Ihnen nichts davon zu sagen wagen.«

Er antwortete mir nicht gleich; nach fünf Minuten aber sagte er seinem Lakaien, der ihn frisierte, er solle dem Priester sagen, daß er an meiner Zimmertür ein Schloß anbringen ließe, und mir den Schlüssel übergeben.

Wählend er hierüber nachdachte, bemerkte ich auf seinem Nachttisch eine Kerze mit der Lichtputzschere und einem Buch. Ich näherte mich dem Tischchen und fragte ihn, wie es die Höflichkeit verlangte, ob ich mir einmal das Buch ansehen dürfte, das ihm einen guten Schlaf verschaffte. Er antwortete mir höflich, er bitte mich, das Buch nicht anzurühren. Schnell trat ich zurück und sagte mit einem Lächeln, ich wäre überzeugt, daß es ein Gebetbuch wäre, aber ich verspräche ihm, meinen Verdacht keinem Menschen mitzuteilen.

»Sie haben es erraten«, antwortete er mir lachend.

Ich verließ ihn, indem ich ihn höflich bat, mir seinen Bedienten und eine Tasse Kaffee, Schokolade oder auch Fleischbrühe zu schicken.

Ich ärgerte mich über eine Behandlung, wie sie mir noch nie widerfahren war, und besonders darüber, daß man mir ein elendes Talglicht gab, während er Wachskerzen brannte. Unter ernsten Gedanken ging ich in meine dumpfe Kammer zurück. Ich hatte die beste Lust, unverzüglich wieder abzureisen; denn obgleich ich nur etwa fünfzig Dukaten besaß, war mein Herz doch noch ebenso stolz wie zu jenen Zeiten, da ich reich war. Diesen Gedanken verwarf ich jedoch wieder; denn ich wollte mich nicht ins Unrecht setzen, indem ich ihm eine tödliche Beleidigung antat.

Da das abscheuliche Talglicht die Hauptursache meines Ärgers war, so beschloß ich, den Lakaien zu fragen, ob er nicht den Auftrag erhalten habe, mir Kerzen zu bringen. Diese Frage war notwendig, denn es konnte möglicherweise ein Versehen oder eine Spitzbüberei von Seiten des Lakaien vorliegen.

Eine Stunde später kam er und brachte mir eine Tasse Kaffee, fertig eingeschenkt und nach seinem Geschmack oder dem des Kochs gezuckert. Ein solches Getränk konnte ich nicht anrühren, weil es mich anekelte, und ich ließ es stehen, indem ich mit einem Auslachen – denn ich mußte entweder lachen oder ihm den Kaffee in das Gesicht gießen – zu ihm sagte, auf diese Art serviere man keinen Kaffee.

Ich wollte mich zum Frisieren hinsetzen, aber ich konnte nicht länger an mich halten und fragte ihn, warum er mir ein elendes Talglicht an Stelle von zwei Kerzen gebracht habe.

»Gnädiger Herr,« antwortete der ehrliche Diener mir bescheiden, »ich habe Ihnen nur bringen können, was der Priester mir gegeben hat, der alles unter Verschluß hält: ich habe eine einzige Kerze für meinen Herrn und ein Talglicht für Sie erhalten.«

Es tat mir leid, den armen Teufel gekränkt zu haben. Ich antwortete ihm nicht; da ich mir aber dachte, daß der Priester vielleicht mit seiner Sparsamkeit dem Grafen einen Gefallen tun wollte oder zu seinem eigenen Nutzen knauserte, so beschloß ich, ihn am selben Tage noch zu fragen, um zu wissen, woran ich wäre.

Sobald ich angekleidet war, ging ich an die frische Luft, um meine verdrießliche Laune zu vertreiben. Unterwegs begegnete ich dem geistlichen Faktotum. Er war beim Schlosser gewesen und sagte mir, es sei kein Schloß vorrätig, und er werde daher an meiner Tür ein Hängeschloß anbringen lassen, dessen Schlüssel ich an mich nehmen könne.

»Wenn ich die Tür nur schließen kann, kommt es mir auf das Wie nicht an.«

Ich kehrte mit ihm um, um bei der Anbringung des Vorhängeschlosses zugegen zu sein. Während der Schlosser hämmerte, fragte ich den Priester, warum er mir ein Talglicht und nicht eine oder zwei Kerzen geschickt habe.

»Das würde ich, mein Herr, ohne ausdrücklichen Befehl des Grafen niemals gewagt haben.«

»Aber ist denn das nicht selbstverständlich?«

»Überall sonst, ja; hier aber ist überhaupt nichts selbstverständlich. Ich kaufe allerdings die Kerzen, und er bezahlt sie mir; ein Irrtum ist ausgeschlossen, denn die Kerze steht auf der Rechnung, so oft er eine braucht.«

»Sie können also mir, Herr Abbate, ein Pfund Kerzen zu dem Preise ablassen, den Sie selber dafür bezahlen?«

»Den Gefallen will ich Ihnen gerne tun; indessen werde ich nicht umhin können, es dem Grafen zu sagen. Denn Sie begreifen…«

»Ja, ich begreife alles; aber ich mache mir nichts daraus.«

Nachdem ich ihm den Preis von einem Pfund Kerzen übergeben hatte, setzte ich meinen Spaziergang fort. Vorher hatte der Abbate selber mir gesagt, daß um ein Uhr zu Mittag gegessen werde. Ich kam pünktlich um halb ein Uhr nach Hause; aber man kann sich denken, daß ich überrascht war, als man mir sagte, der Graf sitze seit einer halben Stunde bei Tisch.

Da ich mir nicht erklären konnte, was alle diese Ungezogenheiten zu bedeuten hätten, so unterdrückte ich meinen Ärger und sagte dem Grafen, als ich in das Speisezimmer eintrat, der Abbate habe mir mitgeteilt, daß um ein Uhr gegessen werde.

»Für gewöhnlich ist das richtig,« antwortete der Graf; »heute wollte ich aber Besuche bei Nachbarn machen, um Sie vorzustellen, und deshalb habe ich schon um zwölf Uhr zu Mittag gegessen. Sie haben aber trotzdem noch Zeit genug, zu speisen.«

Hierauf befahl er, die bereits abgetragenen Schüsseln wieder auf den Tisch zu setzen.

Ich antwortete ihm nicht. Indem ich eine gute Laune zur Schau trug, von der ich in Wirklichkeit durchaus nichts verspürte, aß ich von den Gerichten, die noch auf dem Tische standen, und wies die wieder hereingebrachten Schüsseln zurück. Vergeblich forderte er mich auf, mir von der Suppe, dem Rindfleisch und den Vorgerichten zu nehmen. Ich beharrte bei meiner Weigerung und sagte ihm, dies sei meine selbstauferlegte Strafe dafür, daß ich den Fehler begangen habe, bei einem großen Herrn zu spät zu Tisch zu kommen.

Meine schlechte Laune verbergend fuhr ich mit ihm aus, um mit ihm Besuche zu machen. Zunächst fuhr er zu dem eine halbe Meile von seinem Schloß wohnenden Baron del Mestre, der das ganze Jahr auf dem Lande wohnte, eine zahlreiche Familie hatte und ein gastfreies Haus hielt, wo alles fröhlich und liebenswürdig war.

Der Graf verbrachte bei dieser Familie den ganzen Nachmittag, indem er die anderen beabsichtigten Besuche auf einen anderen Tag verschob. Am Abend fuhren wir nach Spessa zurück, wo der Priester wenige Augenblicke nach unserem Eintreffen mir das Geld zurückgab, das ich ihm für das Pfund Kerzen bezahlt hatte. Zugleich sagte er mir, der Graf habe vergessen, ihm zu sagen, daß ich wie er selber behandelt werden solle.

So war denn der Fehler immerhin wieder gut gemacht, und ich tat, wie wenn ich die Ausrede für bare Münze nähme.

Es wurde ein sehr reichliches Abendessen aufgetragen, wie wenn wir nicht zu Mittag gegessen hätten.

Ich aß für vier, während der Graf beinahe nichts anrührte. Ich konnte mich nicht enthalten, ihm zu sagen, er sei ein geistreicher Mensch.

Der Lakai, der mich in mein Zimmer fühlte, fragte mich, zu welcher Stunde ich mein Frühstück beföhle. Ich gab ihm meinen Auftrag, er war pünktlich, und diesmal war der Kaffee in einer Kanne und der Zucker für sich.

Der andere Lakai kam und frisierte mich, die Magd brachte mein Zimmer in Ordnung. Alles hatte sich geändert. Ich glaubte, dem Grafen Lebensart beigebracht zu haben, und dachte bei mir selbst, ich würde in Spessa keinen Verdruß mehr haben; aber ich hatte, wie man sehen wird, die Rechnung ohne den Wirt gemacht.

Drei oder vier Tage darauf kam der Priester eines Morgens zu mir und fragte mich, zu welcher Stunde ich zu Mittag zu essen wünsche. Zugleich sagte er mir, ich würde allein und auf meinem Zimmer speisen.

»Warum allein und auf meinem Zimmer?«

»Weil der Graf gestern nach dem Abendessen allein nach Görz gefahren ist. Er hat mir gesagt, er wisse nicht, wann er wiederkommen werde, und hat mir befohlen, Ihnen die Mahlzeiten in Ihrem Zimmer auftragen zu lassen.«

»Schön. Ich werde um ein Uhr essen.«

Gewiß erkennt niemand bereitwilliger als ich den natürlichen Grundsatz der persönlichen Freiheit an; aber mir schien, das einfachste Anstandsgefühl hätte meinem ländlichen Amphitryon gebieten müssen, mir zu sagen, daß er nach Görz fahre. Er blieb dort acht Tage, und ich wäre während dieser Zeit vor Langeweile gestorben, wenn ich nicht jeden Tag einige Stunden bei dem Baron del Mestre verbracht hätte, denn ich hatte in Spessa keine Gesellschaft, da der Abbate ein unwissender Bauer von kriechender Höflichkeit war, und es waren keine hübschen Landmädchen da, um mir die Zeit mit einer kleinen Tändelei zu vertreiben. Es kam mir unmöglich vor, noch vier Wochen in dieser traurigen Verbannung zu verbringen.

Als der Graf wieder da war, sprach ich mich ihm gegenüber ganz offen aus. »Ich bin nach Spessa gekommen,« sagte ich, »um Ihnen Gesellschaft zu leisten und mich selber zu unterhalten; da ich sehe, daß meine Gesellschaft Ihnen überflüssig, vielleicht sogar lästig ist, so bitte ich Sie, mich nach Görz zu bringen, sobald Sie wieder dorthin fahren, und mich dort zu lassen; denn ich gestatte mir, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß ich ebenso wie Sie die Gesellschaft liebe, und daß ich durchaus keine Lust habe, mich bei Ihnen zu Tode zu langweilen.«

Er versicherte mir, es werde nicht wieder vorkommen, und sagte mir, er sei nur deshalb so über Hals und Kopf abgereist, weil er eine Schauspielerin habe besuchen müssen, in die er verliebt sei. Sie sei zum großen Verdruß des Direktors der komischen Oper von Triest, der sie angehöre, eigens seinetwegen nach Görz gekommen. Außerdem habe er sich diese acht Tage zunutze gemacht, um einen Heiratsvertrag mit der Tochter eines venezianischen Grundbesitzers zu unterzeichnen, die er im nächsten Karneval heiraten wolle. Alle diese Gründe und besonders der Ton, worin er sie vorbrachte, veranlaßten mich, noch länger bei dem sonderbaren Kauz zu bleiben.

Das ganze Vermögen des Grafen bestand in Weingärten, die einen ausgezeichneten weißen Wein trugen und ihm jährlich ungefähr tausend Zechinen einbrachten; da aber der Narr das Doppelte ausgab, so richtete er sich zu Grunde, überzeugt, daß alle Bauern ihn bestöhlen, streifte er überall umher, ging in ihre Hütten hinein und verprügelte, wenn er ein paar Trauben fand, mit seinem Rohrstock die armen Leute, die nicht leugnen konnten, sie in seinen Weinbergen gepflückt zu haben. Vergeblich warfen sie sich auf die Knie und flehten um Gnade; er prügelte sie unbarmherzig durch.

Ich war bereits mehrere Male, sehr gegen meinen Geschmack, bei diesen willkürlichen und grausamen Abstrafungen zugegen gewesen; eines Tages aber mußte ich Zeuge sein, wie er von zwei Bauern zahlreiche Hiebe mit Besenstielen erhielt. Anfangs hatte er ihnen die übliche Züchtigung verabreicht; als er aber selber tüchtig verdroschen wurde, ergriff er sehr vernünftigerweise die Flucht.

Hinterher machte er mir die größten Vorwürfe, daß ich der Prügelei einfach zugesehen hätte.

Ich setzte ihm in aller Ruhe auseinander, daß ich mich nicht hätte einmischen können: Erstens wäre er der Angreifer und daher im Unrecht gewesen; zweitens verstände ich nicht mich mit Knüppeln zu prügeln, besonders nicht gegen Bauern, die darin viel besser geübt wären als ich und die mich hätten niederschlagen können, ohne daß ich auch nur ein Recht gehabt hätte, mich zu beklagen.

Meine Gründe befriedigten ihn sehr wenig, und in seiner Wut über eine große Beule, die er an der Stirn empfangen hatte, wagte er es, mir zu sagen, ich sei ein ganz erbärmlicher Feigling, der das Gesetz nicht kenne, wonach man einen Freund verteidigen oder mit ihm sterben müsse.

So beleidigend diese Bemerkungen waren, antwortete ich darauf doch nur mit einem verächtlichen Blick, dessen Bedeutung er verstehen mußte.

Bald wußte das ganze Dorf um das unangenehme Abenteuer des gnädigen Herrn, und ein jeder hatte im geheimen sein helles Vergnügen daran; denn der Herr Graf genoß den eigentümlichen Vorzug, von jedermann gefürchtet und von keinem geliebt zu werden. Die beiden Bauern hatten sich nach Verübung ihrer Missetat aus dem Staube gemacht. Bald darauf aber erfuhr man, daß Seine Gnaden beschlossen hätten, in Zukunft bei ihren häuslichen Besuchen stets ihre Pistolen mitzunehmen. Da geriet die ganze Gemeinde in Aufregung; man hielt eine Versammlung ab und sandte ihm zwei Redner zu, die ihm erklärten, die ganze Bauernschaft würde binnen einer Woche auswandern, wenn er nicht feierlich verspräche, in Zukunft weder allein noch in Begleitung in ihre bescheidenen Hütten einzudringen, um sie zu beunruhigen.

Ich bewunderte in der einfachen Beredsamkeit der trotzigen Bauern eine philosophische Vernunft, die ich erhaben fand. »Wir haben«, sagten die guten Dörfler zu ihm, »das Recht, eine Traube von dem Weinstock zu pflücken, der keine einzige hervorbringen würde, wenn wir ihn nicht mit unserem Schweiß begössen, genau so gut, wie Ihr Koch das Recht hat, von den für Sie zubereiteten Speisen zu kosten, bevor er sie auf Ihren Tisch setzen läßt.«

Die Drohung, gerade im Augenblick der Weinlese auszuwandern, schüchterte den rohen Menschen ein, und er gab das verlangte Versprechen. Die Abgeordneten entfernten sich freudestrahlend, weil sie ihn zur Vernunft gebracht hatten.

Am nächsten Sonntag gingen wir in die Kapelle, um die Messe zu hören; wir fanden aber den Priester vor dem Altar, wie er bereits die letzten Worte des Credo sprach. Ich sah in den Blicken des Grafen eine rasende Wut auflodern. Nach der Messe führte er mich in die Sakristei und bereitete mir dort das ruchloseste und roheste Schauspiel: er ging auf den armen Priester los, sagte ihm mehrere Schimpfwörter und gab ihm vier oder fünf Stockhiebe, obgleich er noch das Meßgewand trug.

Der Priester konnte sich nicht anders rächen, als daß er ihm ins Gesicht spie und um Hilfe rief.

Mehrere Leute eilten herbei, und wir gingen hinaus.

Ich war empört und sagte ihm: »Der Priester wird unfehlbar nach Udine gehen und Ihnen gewiß eine sehr unangenehme Suppe einbrocken. Suchen Sie ihn daran zu verhindern, nötigenfalls mit Gewalt; aber sehen Sie lieber zu, daß Sie ihn besänftigen!«

Ohne Zweifel hatte der Graf Angst; denn er rief seine Bedienten und befahl ihnen, den Priester mit Güte oder Gewalt vorzuführen. Sein Befehl wurde ausgeführt.

Der Priester schäumte vor Wut, überhäufte ihn mit den stärksten Schmähworten, nannte ihn einen Gottlosen, aus der Kirche Verstoßenen, dessen Atem ein Pesthauch wäre, und schwor zum Schluß, weder er noch ein anderer Priester würden jemals wieder in seiner Kapelle, die er durch eine Gotteslästerung besudelt hätte, die Messe lesen, und der Erzbischof würde das Verbrechen, das er an seiner Person begangen hätte, zu rächen wissen.

Der Graf ließ ihn ausreden, ohne ihn zu unterbrechen, erlaubte ihm jedoch nicht, sich zu entfernen, sondern zwang ihn, sich mit ihm zu Tisch zu setzen, und der unwürdige Pfaffe ließ sich nicht nur herbei, von seinen Speisen zu essen, sondern ließ sich obendrein noch von ihm betrunken machen. Diese niedrige Gefräßigkeit führte den Frieden herbei: der Abbate vergaß alles, damit sein Unrecht vergessen würde.

Einige Tage darauf kamen gegen Mittag zwei Kapuziner zum Grafen, um ihm einen Besuch zu machen. Da er sah, daß sie nicht von selber gingen, sie aber auch nicht dazu auffordern mochte, ließ er das Essen auftragen, ohne für sie decken zu lassen. Als sie sahen, daß sie nicht eingeladen wurden, sagte der Keckste von beiden zum Grafen, sie hätten noch nicht zu Mittag gegessen. Ohne ihm zu antworten, ließ der Graf ihm einen Teller voll Reis vorsetzen. Der Kapuziner wies diesen zurück und sagte, er sei würdig, sich nicht nur an seinen Tisch, sondern sogar an den eines Monarchen zu setzen. Der Graf war bei guter Laune und zum Lachen aufgelegt; er antwortete ihm, die Kapuziner nennten sich von Ordens wegen Indigni; folglich sei er überhaupt nicht würdig; außerdem untersage ihr Gelübde der Demut ihnen jegliche Anmaßung.

Der Kapuziner verteidigte sich schlecht, und da der Graf recht hatte, glaubte ich ihm beitreten zu müssen. Ich sagte dem Kapuziner, er müsse sich schämen, seine Ordensregeln zu verletzen, indem er die Todsünde des Stolzes begehe.

Als der Kapuziner mir mit Beleidigungen antwortete, befahl der Graf, ihm eine Schere zu bringen, um den schmutzigen Betrügern den Bart abzuschneiden.

Sowie sie diese furchtbare Drohung hörten, ergriffen die beiden bocksbärtigen Kuttenträger die Flucht, und wir lachten hinter ihnen her. Wären die Ausschreitungen des Grafen alle von dieser Art, das heißt mehr oder minder geschmackvolle Späße gewesen, so hätte ich sie ihm gerne verziehen; aber so harmlos waren sie ganz und gar nicht.

Im Magen dieses Unglücklichen entwickelte sich kein Speisesaft, sondern eine ätzendes Gift; dadurch wurde er in den Stunden der Verdauung grausam, ungerecht, gewalttätig und blutdürstig. Sein Hunger war eine Raserei; er aß, wie ein Tiger schlingt. Als eines Tages jeder von uns beiden auf seinem Teller eine saftige Schnepfe vor sich hatte, konnte ich mich nicht enthalten, diese mit der Freude eines Feinschmeckers zu loben. Er nahm die seinige in die Hand, zerriß sie, wie etwa ein halbverhungerter Falke es getan haben würde, und sagte mir in ernstem Ton, er bitte mich, ruhig zu essen, mich nach meinem Gefallen daran zu erfreuen, aber zu schweigen, denn es ärgere ihn, wenn ich die Speisen lobte, die mir gefielen.

Ich hatte Lust, zu lachen und zugleich ihm eine Flasche an den Kopf zu werfen, was ich zwanzig Jahre früher sehr wahrscheinlich getan haben würde. Ich tat jedoch weder das eine noch das andere, sondern schwieg; denn ich fühlte, daß ich entweder den Grobian verlassen oder mich seiner Laune fügen müßte.

Drei Monate später sagte mir die kleine Costa, jene Triester Schauspielerin, die er damals besucht hatte, als er plötzlich nach Görz gefahren war: »Bevor ich den Grafen Torriano kannte, hätte ich niemals geglaubt, daß es auf der Welt einen Menschen von solchem Charakter geben könnte. Obgleich seine Männlichkeit sehr kräftig entwickelt ist, macht es ihm unendliche Mühe, bei der Vollziehung des Beischlafs zu der Krisis zu gelangen, die das Werk krönt, und wenn die Arme, die er durch die lange Reizung in eine unglaubliche Wollust versetzt, so unglücklich ist, ihre Ekstase nicht verbergen zu können, läuft sie Gefahr, von diesem wilden Menschen erdrosselt zu werden; so eifersüchtig ist er auf das Glück eines anderen. Ich bedaure herzlich das Schicksal der Unglücklichen, die man ihm zur Gemahlin bestimmt.«

Ein eigentümliches Abenteuer machte meinen Beziehungen zu diesem giftigen Tier ein Ende: In der Langeweile und dem Müßiggang dieses unglückseligen Spessa, wo ich keinerlei Vergnügungen hatte, entdeckte ich eine sehr hübsche und sehr liebenswürdige arme Witwe. Ich machte ihr kleine Geschenke, und nachdem ich einige leichte Gunstbezeigungen von ihr erhalten hatte, überredete ich sie, die Nacht in meinem Zimmer zuzubringen. Sie kam um Mitternacht, um von keinem Menschen gesehen zu werden, und entfernte sich im ersten Morgengrauen durch eine kleine Tür, die auf die Straße hinausging.

Seit etwa acht Tagen hatte ich diesen angenehmen Zeitvertreib; wir betrieben unseren Verkehr in aller Ruhe, denn wir nahmen an, daß kein Mensch etwas davon wüßte. Eines schönen Morgens verließ meine gute Freundin meine Arme, kleidete sich an und weckte mich dann, damit ich wie gewöhnlich die kleine Tür hinter ihr schließen könnte. Kaum hatte ich die Tür wieder zugemacht, so hörte ich sie schreien. Schnell riß ich die Tür auf und sah den greulichen Torriani, der mit der einen Hand ihren Rock festhielt und mit der anderen sie mittels seines Rohrstockes verprügelte. Dies sehen und mich auf ihn stürzen, war das Werk einer Sekunde. Wir fielen zu Boden, er unten, ich oben; die arme Witwe lief davon.

Ich hatte nur meinen Schlafrock an und war also in dieser Beziehung im Nachteil; denn bekanntlich hat der zivilisierte Mensch nur die Hälfte seiner Kräfte, wenn er nackt ist. Indessen hielt ich mit der einen Hand seinen Stock fest und drückte ihm mit der anderen die Kehle zusammen; er dagegen suchte mit der rechten Hand seinen Stock los zu bekommen und hielt mit der linken meine Haare gepackt. Er ließ erst los, als ihm die Zunge weit aus dem Munde hervorstand und er dem Ersticken nahe war.

Als ich mich frei fühlte, sprang ich schnell auf, entriß ihm den Stock und führte nach seinem Kopf einen kräftigen Hieb, den er zu seinem Glück teilweise mit seinen beiden Händen parierte.

Da ich ihm nur den einen Schlag gab, stand er auf, ergriff die Flucht und begann Steine aufzuheben; ich wartete jedoch seine Würfe nicht ab, sondern ging in mein Zimmer zurück und schloß mich ein, ohne zu wissen, ob wir gesehen worden waren oder nicht. Ganz außer Atem warf ich mich auf mein Bett; ich bedauerte, daß meine Hand nicht stark genug gewesen war, diesen Räuber zu erdrosseln, von dem ich glaubte, daß er mich ermorden würde.

Als ich mich ein wenig erholt hatte, stand ich auf, untersuchte meine Pistolen und versicherte mich, daß ich mich im Notfalle auf sie verlassen konnte. Ich zog mich an, steckte die Pistolen in meine Taschen und ging aus, um mir bei irgend einem Bauern einen Karren zu besorgen, der mich nach Görz bringen könnte. Ohne es zu wissen, schlug ich einen Weg ein, der mich hinter dem Hause meiner armen Witwe vorbeiführte; ich trat bei ihr ein und fand sie traurig, aber ruhig. Sie tröstete mich, indem sie mir sagte, sie habe nur einige Schläge auf die Schultern erhalten und geringe Schmerzen ausgestanden. Es tat ihr nur leid, daß der Vorfall bekannt werden mußte; denn zwei Bauern hatten gesehen, wie der Graf sie schlug, und dieselben Leute und die Witwe hatten unser Handgemenge gesehen.

Ich schenkte ihr zwei Zechinen und bat sie, mich in Görz aufzusuchen, wo ich ein paar Wochen zuzubringen gedachte. Ferner bat ich sie, mir zu sagen, bei welchem Bauern ich einen Wagen finden konnte; denn ich wollte so früh wie möglich abfahren.

Ihre Schwester erbot sich, mich nach einem Pachthof zu führen, wo ich finden würde, was ich brauchte. Sie sagte mir unterwegs, Torriani habe ihre Schwester schon bei Lebzeiten ihres Mannes gehaßt, weil sie von ihm nichts habe wissen wollen.

Auf dem Pachthof, zu dem sie mich führte, fand ich ein gutes Wägelchen, und der Bauer versprach mir, daß wir zum Mittagessen in Görz sein sollten. Ich gab ihm einen halben Taler Angeld und ging nach Haus, indem ich ihm sagte, ich würde ihn erwarten. In das Haus des Grafen zurückgekehrt, beeilte ich mich meine Sachen zu packen. Ich war kaum fertig, als der Wagen ankam.

Ich wollte gerade meine Sachen hinausbringen, als ein Diener erschien und mir sagte, der Graf lasse mich bitten, einen Augenblick bei ihm vorzusprechen.

Ich schrieb ihm auf französisch, daß wir nach dem, was zwischen uns vorgefallen wäre, uns nur noch außerhalb seines Hauses sehen könnten.

Eine Minute darauf trat er bei mir ein, schloß die Türe hinter sich zu und sagte: »Da Sie nicht zu mir kommen wollen, komme ich zu Ihnen, um mit Ihnen zu sprechen.«

»Was haben Sie mir zu sagen?«

»Indem Sie auf solche Weise von mir fortgehen, entehren Sie mich; ich werde Sie daher nicht abreisen lassen.«

»Alle Wetter, mein Herr, ich bin neugierig, wie Sie es anfangen werden, mich daran zu verhindern. Denn es ist ausgeschlossen, daß Sie mich überreden, freiwillig hier zu bleiben.«

»Ich werde Sie verhindern, allein abzufahren; denn die Ehre verlangt, daß wir zusammen fahren.«

»Vortrefflich! Ich glaube, Sie zu verstehen. Holen Sie also Ihren Degen oder Ihre Pistolen, und wir werden sofort, mit gleichen Waffen versehen, abfahren. Wie Sie sehen, ist in meinem Wagen Platz für zwei.«

»Nein, Sie müssen in meinem bequemen Wagen fahren, und zwar erst, nachdem Sie mit mir zu Mittag gespeist haben.«

»Sie irren sich, man würde mich für verrückt halten, wenn ich mit Ihnen speisen wollte; unsere häßliche Geschichte ist ja im ganzen Dorf bekannt und wird morgen in Görz das Stadtgespräch sein.«

»Wenn Sie nicht mit mir speisen wollen, werde ich hier mit Ihnen speisen; was man darüber sagt, ist mir einerlei. Wir werden nach Tisch abfahren. Schicken Sie Ihr Wägelchen fort, damit es keinen Skandal gibt; denn ich wiederhole Ihnen: Sie werden nicht abfahren.«

Ich mußte nachgeben und meinen Wagen fortschicken.

Der unglückselige Graf blieb bis zum Mittag bei mir; um mich zu überzeugen, daß ich im Unrecht wäre, sagte er mir, ich wäre nicht berechtigt, ihn zu verhindern, auf der Straße eine Bäuerin zu prügeln, auf die ich schließlich nicht die geringsten Ansprüche zu machen hätte.

Lachend antwortete ich ihm: »Ich bin neugierig, zu vernehmen, mit welchem Recht Sie einen freien Menschen auf der Straße schlagen dürfen, und was Sie dagegen haben können, daß diese unabhängige Person einen Verteidiger in einem Manne findet, dessen Herz sie nahe steht, wie es hier der Fall ist. Wie haben Sie sich einbilden können, daß ich die Frau von Ihnen mißhandeln lassen würde, ein schwaches und liebenswürdiges Geschöpf, das gerade in jenem Augenblicke meine Arme verlassen hatte, und das Sie schon aus diesem Grunde hätten respektieren sollen? Wenn Sie ein Mann sind, so sagen Sie mir: wäre ich nicht ein Feigling oder ein Ungeheuer, wie Sie, gewesen, wenn ich einem solchen barbarischen Vorgang gleichgültig zugesehen hätte, und würden Sie es nicht an meiner Stelle ebenso gemacht haben wie ich, ohne sich um Vernunftgründe zu kümmern, selbst wenn der Angreifer ein großer Fürst gewesen wäre?«

Der Unselige vermochte nur mit leeren Ausflüchten zu antworten; ich wies seine Sophismen zurück, indem ich ihm schonungslos die Wahrheit sagte. Da das Eis nun einmal gebrochen war, konnte er von meiner Seite keinerlei Schonung erwarten.

Kurz bevor wir uns zu Tisch setzten, sagte er mir, diese Geschichte könnte dem, der den anderen tötete, keine Ehre machen; er würde sich aber nur auf Leben und Tod schlagen.

»In bezug auf die Ehre«, antwortete ich lachend, »teile ich durchaus nicht Ihre Meinung; übrigens steht es ja in Ihrer Macht, sich keiner Gefahr auszusetzen; denn nach der Lektion, die ich Ihnen gegeben habe und zu meinem großen Bedauern Ihnen geben mußte, habe ich allen Anlaß, befriedigt zu sein. Bei einem Zweikampf auf Leben und Tod hoffe ich, Sie trotz Ihrer Wut unter den Lebenden zu lassen: ich werde mich bemühen, Sie für lange Zeit kampfunfähig zu machen und Ihnen dadurch Muße zu geben, über Ihre Vergangenheit und Zukunft nachzudenken. Sollte dagegen das Schicksal Sie begünstigen oder Ihre Geschicklichkeit größer sein als die meinige, so steht es in Ihrem Belieben, zu tun, was Ihnen gut dünkt.«

»Wir werden allein in ein Gehölz gehen, und ich werde meinem Kutscher befehlen, Sie nach dem Ort zu fahren, den Sie angeben, wenn Sie allein zum Wagen zurückkehren; denn ich nehme keinen Bedienten mit.«

»Gut; diese Anordnungen sind mir recht. Aber wollen Sie sich auf Degen oder auf Pistolen schlagen?«

»Der Degen muß uns genügen.«

»In diesem Falle verspreche ich Ihnen, meine Pistolen im Wagen zu lassen, wenn wir aussteigen.«

Es brachte mich etwas außer Fassung, den brutalen Menschen plötzlich höflich und vernünftig geworden zu sehen, während nach meiner Erwartung der Gedanke an einen bevorstehenden Zweikampf ihn hätte unruhig machen müssen; denn es dünkte mir unmöglich, daß ein Mann von diesem Charakter tapfer sein könnte. Da ich selber vollkommen kaltblütig war, fühlte ich mich sicher, daß ich ihn beim ersten Stoß mit meiner Prim, die mich noch niemals im Stich gelassen, kampfunfähig machen und daß ich ihn durch einen Stich ins Knie lähmen würde, wenn er den Kampf fortsetzen wollte. Ich wäre dann auf das venezianische Gebiet geflüchtet, das ich leicht wieder hätte verlassen können, da ich nicht bekannt war. Ich sah jedoch voraus, daß es nicht dazu kommen, sondern daß dieses Duell in Rauch aufgehen würde, wie so viele andere, wenn der eine von den beiden Gegnern ein Feigling ist; und dafür hielt ich den Grafen.

Wir fuhren ab, nachdem wir eine ausgezeichnete Mahlzeit eingenommen hatten, während welcher ich sehr lustig war. Der Graf hatte nichts bei sich, mein geringes Gepäck dagegen war an seinen Wagen geschnallt.

Ich hatte vor den Augen des Grafen meine Pistolen entladen, und er hatte mir gezeigt, daß er keine bei sich hatte.

Ich hatte ihn seinem Kutscher befehlen hören, die Straße nach Görz zu fahren, aber ich erwartete jeden Augenblick, daß er ihn nach rechts oder links abbiegen lassen würde, damit wir in einem der Wälder unseren Handel zum Austrag brächten.

Wie man sich denken kann, enthielt ich mich während der Fahrt jeder Frage; es kam mir nicht zu, eine solche zu stellen.

Endlich jedoch wußte ich Bescheid: wir kamen in Görz an, und ich lachte laut auf, als der Graf dem Kutscher befahl, nach dem Gasthof zur Post zu fahren.

Dort sagte er zu mir: »Sie haben recht gehabt; wir müssen Freunde bleiben. Geben wir uns gegenseitig das Versprechen, mit keinem Menschen über diese Geschichte zu sprechen und nur darüber zu lachen, wenn etwa jemand sie erzählen sollte und dabei die Tatsachen entstellte.«

Ich versprach es ihm; wir gaben uns die Hand, und alles war erledigt.

Am nächsten Tage nahm ich eine Wohnung in einer sehr ruhigen Straße, um meinen zweiten Band über die polnischen Unruhen zu beendigen. Obwohl ich fleißig arbeitete, genoß ich doch auch mein Leben. So angenehm es in Görz war, mußte ich mich doch entschließen, nach Triest zurückzukehren, um dort meine Begnadigung durch die Staatsinquisition abzuwarten. Wenn ich in Görz blieb, konnte ich schwerlich Gelegenheit finden, meinen Eifer für ihren Dienst an den Tag zu legen; außerdem wurde ich ja nicht von ihnen bezahlt, um mich einem angenehmen Müßiggang zu ergeben.

Ich verweilte daher in Görz nur bis zum Ende des Jahres 1774 und fand während meines fünfmonatlichen Aufenthaltes alle Annehmlichkeiten, die ich mir wünschen konnte.

Mein Handel, den ich mit dem Grafen Tornani in Spessa gehabt hatte, war in der ganzen Stadt bekannt. In den ersten Tagen fragte man mich überall darnach; als man aber sah, daß ich nur darüber lachte und den Vorfall für eine Kleinigkeit ohne jede Bedeutung ansah, sprach man mit mir nicht mehr darüber. Torriani selber trug am meisten dazu bei, die Sache in Vergessenheit zu bringen, indem er mir auf das angelegentlichste seine Freundschaft bezeigte, so oft er mir begegnete. Da ich ihn jedoch als einen gefährlichen Menschen kannte, dem man besser aus dem Wege ging, so entschuldigte ich mich wohlweislich, so oft er mich zum Mittag- oder Abendessen einlud.

Während des Karnevals heiratete er die junge Edeldame, von der ich bereits sprach; er machte sie unglücklich, so lange er lebte! Zum Glück für sie starb er nach dreizehn oder vierzehn Jahren in Wahnsinn und Armut.

Während meines Aufenthaltes erfreute mich der Umgang mit dem Grafen Carl Coronini, von dem ich bereits gesprochen zu haben glaube. Der liebenswürdige Mann starb vier Jahre später. Einen Monat vor seinem Ende schickte er mir sein Testament in achtfüßigen italienischen Versen. Ich bewahre dieses Gedicht noch jetzt als ein Muster seines philosophischen Geistes und seiner fröhlichen Seele. Dieses komische Testament ist voll feinen Witzes. Wenn er geahnt hätte, daß ihm der Tod so nahe bevorstand, würde das Gedicht wohl nicht eine so joviale Färbung getragen haben; denn es dünkt mir unmöglich, daß die Aussicht auf sofortige oder baldige Vernichtung zu Fröhlichkeit und Scherz anregen kann, es müßte denn einer nicht bei richtigem Verstande sein.

Während ich in Görz war, ließ Herr Richard Lorrain sich dort nieder. Er war ein Junggeselle von ungefähr vierzig Jahren, der nach treuen Diensten in der Wiener Finanzverwaltung sich mit einer sehr guten Pension in den Ruhestand zurückgezogen hatte. Er war ein schöner, geistvoller Mann, der den Ton der guten Gesellschaft beherrschte, einige literarische Kenntnisse besaß und durchaus anspruchslos war. Er wurde daher in den besten Häusern von Görz mit großer Freude empfangen. Ich machte seine Bekanntschaft im Hause des Grafen Torres, in dessen Haus ihn der Geist der jungen Komtesse zog, die er einige Zeit darauf heiratete.

Zu Anfang des Oktobermonats war nach dem Brauch meines erlauchten Vaterlandes der neue Rat der Zehn in Wirksamkeit getreten; infolgedessen wurden von den Staatsinquisitoren die drei abgelöst, die während der vorhergehenden zwölf Monate regiert hatten.

Meine Beschützer, der Prokurator Morosini, der Senator Zaguri und mein treuer Freund Dandolo schrieben mir: wenn sie meine Begnadigung nicht im Laufe der nächsten zwölf Monate durchsetzen könnten, hätten sie keine Hoffnung, sie jemals zu erreichen; denn abgesehen davon, daß die neuen Inquisitoren besonders tugendhafte Männer wären, fügte es auch der Zufall, daß sie meine Gönner mit ihrer besonderen Freundschaft beehrten. Der erste, der Inquisitor Sagrelo, war innig befreundet mit dem Prokurator Morosini; der zweite, Herr Grimani, war der Freund meines lieben Dandolo, und Herr Zaguri schrieb mir, er hätte Einfluß auf den dritten, der nach dem Gesetz einer von den sechszehn Räten sein mußte, die den Rat der Zehn bilden.

Es ist vielleicht nicht allgemein bekannt, daß der sogenannte Rat der Zehn in Wirklichkeit aus siebzehn Mitgliedern bestand, da der Doge an den Beratungen teilnehmen durfte, so oft es ihm gut schien.

Ich kehrte nach Triest mit dem festen Entschlusse zurück, nichts zu verabsäumen, um das despotische Tribunal gut zu bedienen und von seiner Gerechtigkeit die Begnadigung zu erlangen, auf die ich wohl Anspruch hatte, nachdem ich neunzehn Jahre lang ganz Europa als Verbannter durchzogen hatte.

Ich war damals neunundvierzig Jahre alt und glaubte nichts mehr von Fortuna erhoffen zu dürfen; denn sie ist eine ebenso flatterhafte wie launische Göttin, die nur die Jugend liebt und begünstigt und das reife Alter, besonders aber das traurige Greisenalter, zu verabscheuen scheint.

Ich war der Meinung, daß ich in Venedig glücklich müßte leben können, ohne der Gunst der blinden Göttin zu bedürfen.

Ich rechnete darauf, von meinen Talenten leben zu können, und keinem Unglück mehr ausgesetzt zu sein, da ich über eine große Erfahrung verfügte und an keiner der Eitelkeiten mehr krankte, die mich vielleicht in den Abgrund hätten stürzen können.

Mir schien auch, die Inquisitoren müßten sich verpflichtet fühlen, mir in der Stadt Venedig irgendein Amt zuzuweisen, von dessen Erträgnissen ich gemächlich würde leben können, da ich allein stand, keine Familie hatte und bereit war, mich mit dem Notwendigen zu begnügen und auf das Überflüssige gerne zu verzichten.

Ich schrieb an der Geschichte der polnischen Unruhen; der erste Band war bereits gedruckt; ich arbeitete an dem zweiten und hatte genügend Stoff, um dem Publikum die ganze Geschichte in sieben Bänden darzubieten. Nach der Vollendung dieses Werkes gedachte ich eine Übersetzung der homerischen Ilias in Stanzen zu veröffentlichen, und ich zweifle nicht, daß es mir leicht fallen würde, nach der Ilias noch andere Werke zu veröffentlichen.

Kurzum, ich sah keine Gefahr, in einer Stadt Not leiden zu müssen, wo tausend Hilfsquellen flössen, von denen eine Menge Leute, die anderswo hätten betteln müssen, in aller Gemächlichkeit lebten.

Ich verließ also Görz am letzten Tage des Jahres 1773 und nahm am ersten Januar 1774 im Albergo Grande am Marktplatz von Triest Wohnung.

Ich wurde über alle Maßen herzlich empfangen. Baron Pittoni, der venezianische Konsul, alle Räte, die Kaufleute, die Damen, sämtliche Mitglieder des Kasinos bezeigten mir auf das lebhafteste ihre Freundschaft und ihre Freude, mich wieder zu sehen. In ihrer Mitte verbrachte ich den Karneval heiter und in bester Gesundheit, ohne daß meine literarischen Arbeiten darunter litten; denn schon zu Beginn der Fasten veröffentlichte ich den zweiten Band meiner Geschichte der polnischen Wirren.

Was mich in Triest am meisten interessierte, war die zweite Schauspielerin der Truppe, die dort spielte. Die Künstlerin war keine andere, als Irena, die Tochter des angeblichen Grafen Rinaldi, dessen meine Leser sich wohl noch erinnern werden. Ich hatte sie in Mailand geliebt und in Genua, ihres Vaters wegen, nichts mit ihr zu tun haben wollen; ich war ihr in Avignon nützlich gewesen, wo ich ihr, meiner Marcolina zuliebe, aus der Verlegenheit geholfen hatte. Elf Jahre waren verflossen, ohne daß ich ein Wort von ihr gehört hatte.

Ich war sehr überrascht von ihrem Anblick und ich gestehe, daß dieses Wiederfinden mir mehr Schmerz als Freude verursachte. Denn da sie noch schön war, so sah ich voraus, daß sie mir noch gefallen würde. Zugleich aber begriff ich, daß ich auf meiner Hut sein müßte, da ich nicht imstande sein würde, ihr nützlich zu sein. Trotzdem glaubte ich nicht umhin zu können, ihr einen Besuch zu machen; auch war ich sehr neugierig, ihre Erlebnisse zu hören. Ich begab mich daher am nächsten Tage kurz vor Mittag zu ihr. Sie empfing mich mit einem Ausruf der Freude und sagte mir, sie habe mich im Parkett bemerkt und sei überzeugt gewesen, daß ich sie besuchen werde.

Sie stellte mir ihren Mann vor, der die komischen Bedientenrollen spielte, sowie ihre Tochter, die neun Jahre alt war und Begabung für den Tanz hatte.

Ihre Geschichte war nicht lang, denn Frauen wissen nach Bedürfnis abzukürzen. In demselben Jahre, wo ich sie in Avignon gesehen hatte, war sie mit ihrem Vater nach Turin gegangen. Dort hatte sie sich in den Mann verliebt, den sie mir vorgestellt hatte; sie hatte ihre Eltern verlassen, um ihn zu heiraten, und war Schauspielerin geworden, um in allem das Los ihres Gatten zu teilen.

»Ich weiß,« sagte sie mir, »daß mein Vater gestorben ist; aber ich weiß nicht, was aus meiner Mutter geworden ist.«

Nach mancherlei Bemerkungen aller Art sagte sie mir: »Ich bin meinem Gemahl treu, mache mich jedoch nicht dadurch lächerlich, daß ich einen Liebhaber verzweifeln lasse, wenn es sich lohnt, ihn zu erhören. Hier habe ich niemanden, und mein einziges Vergnügen besteht darin, abends einige Freunde zum Essen bei mir zu sehen; die Ausgaben dafür drücken mich nicht, denn ich gewinne genug, indem ich eine kleine Pharaobank halte.«

»Sie werden mich heute Abend nach der Vorstellung sehen,« sagte ich beim Abschied; »in Triest ist das Spiel verboten, aber da die Bank klein ist, werde ich mich, wie die anderen, mit niedrigen Einsätzen am Spiel beteiligen.«

Ich kam pünktlich und speiste bei ihr mit einer Gesellschaft von leichtsinnigen jungen Kaufleuten, die alle in sie verliebt waren.

Nach dem Essen legte sie eine kleine Bank auf. Ich war sehr überrascht, als ich deutlich sah, daß sie sehr geschickt die Volte schlug, und zwar immer im richtigen Augenblick. Es kam mir komisch vor, als ich sie ihr Talent sogar gegen mich ausüben sah, doch sagte ich nichts und entfernte mich mit den anderen, nachdem ich ein paar Gulden verloren hatte.

Es war eine Kleinigkeit, aber die Sache ärgerte mich doch, denn ich wollte nicht, daß Irena mich für dumm halten sollte.

Ich suchte sie daher am nächsten Vormittage bei der Probe im Theater auf und machte ihr ein Kompliment über ihre Geschicklichkeit. Sie tat anfangs, als wenn sie mich nicht verstände; als ich ihr aber sagte, worum es sich handelte, hatte sie die Frechheit, mir zu sagen, ich irrte mich.

Hierüber ärgerte ich mich, drehte ihr den Rücken zu und sagte: »Sie werden bereuen, daß Sie dies nicht zugeben.«

Da lachte sie und sagte: »Nun also, mein lieber Freund, ich gebe es zu, und wenn Sie mir sagen wollen, wieviel Sie verloren haben, will ich Ihnen das Geld wiedergeben; wenn es Ihnen angenehm ist, bin ich sogar bereit, Sie an meinem kleinen Spiel zu beteiligen, ohne daß außer meinem Mann irgendein Mensch etwas davon erfährt.«

»Ich will weder das eine noch das andere, Irena; ich werde nicht einmal mehr zum Spiel kommen. Aber ich warne Sie davor, einen Ihrer Freunde zu sehr zu prellen; denn man würde es erfahren, und eine harte Buße würde Sie treffen, da die Glücksspiele streng verboten sind.«

»Ich weiß es und halte daher niemals unbare Sätze; übrigens haben alle diese jungen Leute mir Verschwiegenheit gelobt.«

»Ich werde nicht mehr bei Ihnen zu Abend speisen, aber Sie werden mir ein Vergnügen machen, wenn Sie zu mir zum Frühstück kommen, so oft Sie Zeit haben.«

Einige Tage darauf kam sie mit ihrer Tochter, die mir sehr gefiel und nichts dagegen hatte, daß ich sie liebkoste. Seitdem kam sie noch mehrere Male wieder. Eines Tages traf sie bei mir den Baron Pittoni, der nicht weniger als ich Geschmack an kleinen Mädchen fand; er wurde neugierig auf Irenas Tochter und bat die Mutter, ihm zuweilen dieselbe Ehre zu erweisen wie mir.

Ich redete ihr zu, das Anerbieten nicht zurückzuweisen, und der Baron verliebte sich in das kleine Mädchen. Dies war für Irena ein Glück; denn gegen Ende des Karnevals wurde sie angeschuldigt, verbotene Glücksspiele zu dulden, und der Baron würde unter anderen Umständen nach der Strenge der Polizeivorschriften gegen sie verfahren sein; da er aber ihr Freund geworden war, so warnte er sie zur rechten Zeit.

Man konnte die Buße nicht von ihr einziehen, denn als die Polizeibeamten in ihre Wohnung kamen, fanden sie dort niemanden.

Irena verließ Triest zu Anfang der Fastenzeit mit der Truppe, der sie angehörte. Drei Jahre später fand ich sie in Padua mit ihrer Tochter wieder, die ein reizendes Mädchen geworden war und mit der ich das zärtlichste Verhältnis erneuerte.

Ende

Erster Anhang zum sechsten Bande


Giovachino Costa

Ueber Casanovas Zusammentreffen mit seinem früheren Kammerdiener Costa, der ihm für Hundertfünfzigtausend Franken Wert an Diamanten und anderen Kostbarkeiten unterschlagen hatte, die ihm von Frau von Urfé mitgegeben worden waren, erzählt Lorenzo da Ponte in seinen Erinnerungen folgendes:

Ich ging von Venedig fort und hörte länger als drei Jahre nichts mehr von Casanova. Endlich traf ich ihn in Wien, wo ich damals wohnte, auf dem Graben. Casanova hielt sich mehrere Jahre in Wien auf; aber was er dort machte, wovon er lebte, das kann kein Mensch sagen. Ich unterhielt mich ziemlich oft mit ihm; mein Haus und meine Börse standen stets zu seiner Verfügung. Wenngleich ich weder seine Grundsätze noch seine Aufführung billigen konnte, so hatte ich ihn doch gerne; ja, ich legte sogar großen Wert auf seine Lehren und Ratschläge, die wirklich nicht mit Gold aufzuwiegen waren; ich habe zwar nur wenig Gebrauch davon gemacht, aber sie hätten mir ganz außerordentlich nützlich sein können.

Als ich eines Tages mit Casanova auf dem Graben spazieren ging, sah ich ihn plötzlich die Stirn runzeln, mit den Zähnen knirschen, die Hände zum Himmel emporheben und sich auf einen Menschen stürzen, den er zu kennen schien. Dabei rief er laut: »Assassino! t’ho colto! – Räuber, hab ich dich endlich!«

Da sich infolge seines seltsamen Benehmens und seines Geschreis eine Menge Leute angesammelt hatten, so näherte ich mich ihm, nicht ohne einige Furcht; endlich faßte ich mir jedoch Mut, ergriff Casanovas Hand und zog ihn fast mit Gewalt aus dem Getümmel heraus. Hierauf erzählte er mir, fast wie ein Besessener tobend, die Geschichte von der alten Dame und sagte mir, der Mensch sei Giovachino Costa, der ihn damals betrogen habe. Dieser Giovachino war durch seinen lasterhaften Lebenswandel so weit heruntergekommen, daß er wieder in Dienst hatte gehen müssen; er war damals Kammerdiener bei einem Wiener großen Herrn (dem Grafen von Hardegg) und machte auch Verse, so gut oder schlecht er es eben konnte. Er war auch einer von denen, die mich mit ihren Epigrammen beehrt hatten, als Joseph II. mich zu seinem

Theaterdichter zu machen geruhte. Er ging in ein Kaffeehaus hinein und schrieb dort, während ich meinen Spaziergang mit Casanova fortsetzte, folgende Verse, die er ihm durch einen kleinen Jungen zuschickte:

Casanova non far strepito,
Tu rubasti, ed anch’io furbai;
Tu maestro, ed io discepolo
L’arte tua bene imparai.
Desti pan, ti io focaccia;
Sara meglio che tu taccia.

Casanova, mach keinen Lärm!
Du hast gestohlen, und auch ich hab betrogen:
Du warst der Meister, ich der Schüler,
Deine Kunst hab ich gut gelernt.
Du gabst mir Brot, ich gab dir Kuchen:
Besser ist’s, du schweigst fein still.

Diese Verse hatten eine gute Wirkung; nach einem kurzen Schweigen fing Casanova an zu lachen und sagte mir leise ins Ohr: »Il birbante ha regione – der Schuft hat recht!« Er trat in das Kaffeehaus ein und winkte Costa zu, er möchte herauskommen. Sie gingen miteinander den Graben entlang, wie wenn gar nichts vorgefallen wäre, und trennten sich schließlich, indem sie sich mehrere Male ganz freundschaftlich die Hand schüttelten. Casanova kam wieder zu mir und zeigte mir an seinem Finger einen Ring mit einem Cameo, der durch einen sonderbaren Zufall Merkur, den Schutzgott der Diebe, darstellte. Dieses Kleinod war der letzte Rest von Costas großer Beute; es paßte vorzüglich zum Charakter der beiden wiederversöhnten Freunde.

Zweiter Anhang zum sechsten Bande


Die beiden fehlenden Kapitel

Bekanntlich fehlten im Zwölften Band der edition originale die Kapitel IV und V (in meiner Ausgabe Kap.XX und XXI dieses Bandes). Schon der Herausgeber der éd. orig. sprach die Vermutung aus, daß Casanova selber die beiden Kapitel von dem anderen Manuskript abgetrennt habe, wahrscheinlich um sie zu überarbeiten oder aus einem ähnlichen Grunde. Diese Vermutung hat sich als richtig erwiesen: Die beiden Kapitel befanden sich in Dux bei C.s anderen Papieren, die bekanntlich schon seit Jahrzehnten geordnet sind. Ja, noch mehr: seit zwanzig Jahren befand sich eine Abschrift der beiden Kapitel in Paris in den Händen des Herrn Octave Uzanne! Da dieser seither eine ganze Anzahl Casanoviana von geringerer Bedeutung veröffentlichte, so ist es wirklich verwunderlich, daß er mit der Bekanntgabe dieser bedeutungsvollen Kapitel bis zum Jahre 1906 gezögert hat. Sie sind im August- und Septemberheft der von Uzanne herausgegebenen Zeitschrift L’Ermitage veröffentlicht.

Mit der den Franzosen eigenen Fixigkeit in der Fabrikation und Ergänzung von Memoiren war natürlich die Lücke schon in ziemlich frühen französischen und belgischen Ausgaben der Mémoires ausgefüllt worden. Diese Fälschungen waren auch in einige der schlechten deutschen Ausgaben übergegangen. Selbstverständlich ist es völlig aus der Luft gegriffenes, dummes Zeug.

Warum Casanova diese Kapitel wieder an sich genommen hatte, darüber kann man natürlich nur Vermutungen aufstellen. Vielleicht hatte einer seiner Freunde, die die Mémoires erwiesenermaßen gelesen haben (Fürst de Ligne, Graf Salmour u. a.) ihn darauf aufmerksam gemacht, daß die Geschichte von dem abermaligen Lotteriegewinn auf Nr. 27 denn doch sehr sonderbar erscheint. Daß übrigens ein Werk von einem derartigen Umfang, besonders in den nebensächlichen Geschichten, die gewissermaßen Arabesken sind, eine Menge Dichtung enthält, ist wohl selbstverständlich. Die innere Wahrhaftigkeit des Ganzen wird dadurch nicht im geringsten in Frage gestellt.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich doch einmal besonders darauf hinweisen, daß ein volles Drittel, nämlich die Bände V und VI, meiner Ausgabe für Deutschland sozusagen etwas ganz Neues ist. Buhl, von dem man bisher, ohne eine genauere Vergleichung anzustellen, angenommen hatte, daß ihm die édition originale als Vorlage gedient habe und daß daher seine Ausgabe, abgesehen von einigen geringfügigen Kürzungen, vollständig sei, hat nach der sechsbändigen Rosezschen Ausgabe übersetzt. Daß diese sich als édition originale, la seule complète ausgiebt, muß man wirklich als eine ganz erstaunliche Frechheit bezeichnen. Denn von dem, was die letzten vier Bände meiner Ausgabe bringen, fehlt mindestens ein Drittel, 600 bis 700 Druckseiten (so z. B. die ganze, menschlich doch gewiß äußerst interessante Episode seines Bruders des Abbate, der Venezianerin Marcolina usw.). Und schlimmer noch: in dem, was gebracht wird, ist Casanovas Schilderung oft geradezu auf den Kopf gestellt.

Auch die (vor der éd. orig.) erschienene Bearbeitung des Herrn von Schütz erwies sich mir bei weiterem Vorschreiten meiner Arbeit als ein ganz erbärmliches Machwerk. Entweder hat von Schütz die französische Sprache nur in sehr geringem Maße beherrscht – und dann durfte er eine solche Aufgabe nicht übernehmen – oder er hat bewußt gefälscht.

Es ist nur zu bedauern, daß die Buhlsche wie die Schützsche Ausgabe in Deutschland immerhin noch ziemlich verbreitet sind und sich einer gewissen Wertschätzung erfreuen. Aus ihnen kann man von Casanova unmöglich den richtigen Begriff bekommen.

Drittes Kapitel


Ich komme mit Maton in Dresden an. – Sie macht mir ein Geschenk. – Leipzig. – Die Castelbajac. – Graf Schwerin. – Rückkehr nach Dresden und Abreise von dort. – Prag. – Ankunft in Wien. – Hinterhalt Pocchinis.

Als ich mich in meinem Wagen allein sah und neben mir ein schönes Mädchen hatte, das gleichsam aus den Wolken gefallen war, stellte ich mir vor, ich wäre der sehr ehrenwerte Diener des Schicksals. Nur ihr Schutzgeist konnte sie in meine Arme geführt haben; denn ich fühlte mich herzlich bereit, für sie alles Gute zu tun, was in meiner Macht läge. Aber wem verdankte ich sie? Meinem guten oder meinem bösen Geist? Ich warf diese Frage auf, überließ es aber natürlich der Zeit, mir die Antwort darauf zu geben. Ich lebte eben so dahin, ohne meine Gewohnheiten zu ändern und absichtlich nicht daran denkend, daß ich anfing, nicht mehr ein junger Mann zu sein, und daß ich auf Liebe auf den ersten Blick, die mir so oft zuteil geworden war, nicht mehr rechnen konnte.

Ich wußte natürlich, daß meine neue Begleiterin, wenn sie nicht ganz dumm war, sich mit mir nur in der festen Absicht eingelassen haben konnte, gegen mich ohne Schranken gefällig zu sein; aber das genügte mir nicht. Wie der Leser weiß, litt ich an der fixen Idee, geliebt sein zu wollen. Dies war für mich die Vorbedingung des Glückes, alles übrige war nur flüchtiger Genuß. Da ich nun seit Zaïra nur Genüsse dieser Art gehabt hatte, so arbeitete meine Phantasie bereits an einem Liebesverhältnis in allerschönster Form.

Ich erfuhr bald, daß meine Begleiterin Maton hieß; dies war ihr Familienname, und ich war nicht neugierig, den Namen des oder der Heiligen zu wissen, in deren Schutz ihre Patin sie bei der Taufe gestellt hatte. Ich fragte sie, ob sie ebensogut Französisch schreibe, wie sie es spreche, und sie zeigte mir einen selbstgeschriebenen Brief. Das gab mir die Gewißheit, daß sie eine sorgfältige Erziehung erhalten hatte, und ich gestehe, daß dies mir Vergnügen machte, denn ich glaube, dieser Umstand erhöhte in meinen Augen den Wert meiner neuen Eroberung, wenn ich mir auch nicht Rechenschaft darüber ablegte. Sie sagte mir, sie sei aus Breslau fortgegangen, ohne von irgendeinem Menschen Abschied zu nehmen, ja sie habe nicht einmal ihrer Tante und ihrer Cousine mitgeteilt, daß sie vielleicht nicht wiederkommen werde.

»Und Ihre Sachen?«

»Meine Sachen! Die lohnten nicht einmal die Mühe des Einpackens. Meine ganze Habe ist dieses Paket; es enthält weiter nichts als ein Hemd, ein paar Strümpfe, einige Taschentücher, ein paar Bänder und dergleichen.«

»Was wird Ihr Liebhaber sagen?«

»Ich möchte wohl, daß er etwas sagen könnte; aber ich habe leider keinen.«

»Das erscheint kaum glaublich.«

»Ich habe zwei Liebhaber gehabt. Der erste war ein Schuft: er verführte mich, indem er sich meine Unerfahrenheit zunutze machte, und verließ mich, als ich ihm nichts Neues mehr bieten konnte; der zweite war ein anständiger Mensch, aber er war ein armer Leutnant ohne Hoffnung auf Beförderung. Er hat mich nicht verlassen, aber er wurde in ein anderes Regiment nach Stettin versetzt, und seitdem …«

»Seitdem?«

»Wir waren zu arm, um uns zu schreiben, und so mußten wir in aller Stille unser Schicksal tragen.«

Diese Geschichte kam mir ganz natürlich vor, und ich begriff, daß Maton offenbar nur mit mir gegangen war, um ihr Glück oder wenigstens etwas Besseres zu suchen, als was sie bis dahin gehabt hatte; dies zu finden, konnte nicht schwer sein.

Sie war fünfundzwanzig Jahre alt, und da sie Breslau niemals verlassen hatte, so mußte sie neugierig sein, wie die übrige Welt aussähe, und es mußte ihr eine Freude sein, mit Dresden zu beginnen. Ich verhehlte mir nicht, daß ich eine Dummheit begangen hatte, indem ich mir eine solche Bürde auflud; denn dieses Mädchen mußte mir viel Geld kosten. Trotzdem schien mir, daß ich entschuldbar wäre: denn indem ich den Vorschlag machte, mit mir zu kommen, war hundert gegen eins zu wetten, daß sie mein Anerbieten nicht annehmen würde. Um alle lästigen Gedanken zu verjagen, wünschte ich mir Glück, daß ich wieder einmal im vollen Besitz eines hübschen Mädchens wäre, dessen ganzes Verdienst ich bald kennen lernen mußte. Ich beschloß, während der Reise nichts gegen sie zu unternehmen, weil ich sehen wollte, ob ihre moralischen Eigenschaften, unabhängig von ihren körperlichen Formen, mich in sie verliebt machen würden. Als es dunkel wurde, hielt ich bei einem Posthause an, das mir den Eindruck machte, als ob ich dort gut aufgehoben sein würde. Maton, die halbtot vor Hunger war, aber nicht gewagt hatte, mir etwas davon zu sagen, aß mit einem Appetit, der mir Vergnügen machte; da sie aber nicht an Weintrinken gewöhnt war, so wäre sie bei Tisch eingeschlafen, wenn ich sie nicht gebeten hätte, sich zu Bett zu legen. Sie tat dies, indem sie mich tausendmal um Entschuldigung bat und mir versicherte, so etwas würde nicht wieder vorkommen. Lachend und ihr Mut einsprechend, blieb ich am Tisch sitzen, ohne mich auch nur umzudrehen und zu sehen, ob sie sich angekleidet oder nackt zu Bett legte. Einige Augenblicke später ging ich ebenfalls zu Bett, und um fünf Uhr war ich wieder auf den Beinen, um die Pferde und den Kaffee zu bestellen. Maton lag in tiefem Schlaf; sie hatte sich vollständig bekleidet zu Bett gelegt und schwitzte dicke Tropfen. Ich weckte sie und sagte ihr, ein anderes Mal sollte sie es sich bequem machen, wenn sie sich zu Bett legte; denn in den unbequemen Kleidern und unter der Hitze könnte ihre Gesundheit leiden.

Kaum hatte sie die Augen aufgeschlagen, so stand sie auf und ging hinaus, ohne Zweifel, um sich zu waschen; frisch und sauber kam sie wieder herein, wünschte mir guten Morgen und fragte mich, ob ich sie umarmen wolle.

»Mit großem Vergnügen!« antwortete ich.

Hierauf bat ich sie, sich mit dem Frühstück zu beeilen, weil ich am selben Abend in Dresden anzukommen wünschte. Das gelang mir jedoch nicht, denn es wurde eine Ausbesserung am Wagen notwendig, wodurch ich fünf Stunden verlor, und so mußte ich unterwegs noch einmal übernachten. Maton legte sich ausgekleidet zu Bett; ich besaß jedoch die Standhaftigkeit, sie nicht anzusehen.

In Dresden angekommen, stieg ich im Hotel de Saxe ab und nahm für mich den ganzen ersten Stock. Meine Mutter war auf dem Lande; ich fuhr zu ihr hinaus, und die liebe gute Frau war überglücklich, mich zu sehen, besonders meinen Arm in der Binde, denn das sah sehr malerisch aus. Hierauf besuchte ich meinen Bruder Giovanni und dessen Frau, die Römerin Teresa Roland, die ich bereits vor ihm gekannt hatte, und die mich mit großer Freude empfing. Ferner besuchte ich meine Schwester, die Frau von Peter August. Hierauf ging ich mit meinem Bruder zum Starosten Grafen von Brühl, um ihn und seiner Gemahlin, der Tochter des Wojwoden von Kiew, meine Aufwartung zu machen. Sie war entzückt, Neuigkeiten von ihrer Familie zu hören. Ich wurde überall sehr gefeiert und mußte überall die Geschichte meines Duells erzählen. Übrigens will ich gestehen, daß ich mich nicht bitten ließ; denn ich war eitel darauf.

Zu jener Zeit tagten gerade die Stände in Dresden; während der Minderjährigkeit des Kurfürsten Friedrich August war dessen ältester Oheim, Prinz Xaver, Regent des Landes.

Am selben Abend ging ich in die Italienische Oper, wo eine Pharaobank gehalten wurde. Ich spielte vorsichtig, denn mein ganzer Reichtum bestand in achthundert Dukaten.

Als ich nach Hause kam, setzte man uns ein gutes Abendessen vor, und Maton gefiel mir durch ihren Appetit und ihre Liebenswürdigkeit. Als wir mit dem Essen fertig waren, fragte ich sie zärtlich, ob sie mein Bett teilen wollte, und sie antwortete mir im herzlichsten Ton, sie sei ohne jeden Rückhalt mein. Als wir nach einer wollüstigen Nacht aufstanden, waren wir die besten Freunde von der Welt.

Ich verbrachte den ganzen Vormittag damit, für sie zu bestellen, was sie zu ihrer Toilette brauchte, und das war nicht weniger als alles, denn sie hatte tatsächlich nichts. Ich hatte viele Besuche, und alle wünschten, daß ich sie Maton vorstellte. Ich hielt diese jedoch in ihrem Zimmer eingeschlossen und antwortete immer nur, das Mädchen sei meine Haushälterin und nicht meine Frau, und ich könne daher nicht die Ehre haben, sie ihnen vorzustellen. Demgemäß hatte ich ihr auch Befehl gegeben, niemanden einzulassen, wenn ich nicht zu Hause wäre. Sie arbeitete in ihrem Zimmer an der Wäsche, die ich ihr gekauft hatte, und half der Näherin, die ich für sie angenommen hatte. Da ich sie jedoch nicht zur Sklavin machen wollte, so fuhr ich manchmal in der reizenden Umgegend von Dresden mit ihr spazieren; bei solchen Gelegenheiten konnte sie nach ihrem Belieben mit allen meinen Bekannten sprechen, denen wir begegneten.

Diese Zurückhaltung meinerseits dauerte die ganzen vierzehn Tage, die das Mädchen bei mir blieb, und begann allmählich alle jungen Offiziere von Dresden zu reizen, besonders den Grafen Bellegarde, der nicht gewöhnt war, von einer Schönen, die er nach seinem Geschmack fand, abgewiesen zu werden, wenn er sich um sie bewarb. Jung, schön, freigebig, kühn, ja zuweilen sogar frech, kam er eines Tages in mein Zimmer, als ich mich gerade zu Tisch setzte, und lud sich bei mir zum Essen ein. Ich konnte weder seine Bitte abschlagen, noch Maton hinausschickcn. Während des ganzen Essens neckte er sie durch Scherze und Witze nach Soldatenart, ohne jedoch auch nur im geringsten die Grenzen der Höflichkeit zu überschreiten. Maton benahm sich sehr gut; sie spielte weder die Zimperliche, noch verletzte sie den Respekt, den sie mir und sich selber schuldete.

Da ich die Gewohnheit hatte, nach Tisch Siesta zu halten, bat ich eine halbe Stunde, nachdem wir uns erhoben hatten, den Grafen ohne alle Umstände, sich zu entfernen. Er fragte mich lachend, ob das Fräulein ebenfalls Siesta halte, und ich sagte ihm, es wäre unsere Gewohnheit, sie gemeinsam zu halten, so oft wir Lust dazu bekämen, was an diesem Tage wahrscheinlich der Fall sein würde. Hierauf nahm er seinen Hut und Degen und lud mich mit Maton für den nächsten Tag zum Mittagessen ein. Ich antwortete ihm: »Ich gehe mit ihr nirgendswohin, aber es steht Ihnen frei, jeden Tag bei mir zu essen, was eben gerade auf dem Tisch steht, und Sie können sicher sein, uns stets beisammen zu finden.«

Auf diese ablehnende Antwort wußte er nichts zu sagen und verabschiedete sich, wenn auch nicht ärgerlich, so doch jedenfalls sehr kühl.

Da meine Mutter von ihrem Landaufenthalt zurückgekommen war, suchte ich sie am nächsten Tage auf; sie wohnte im dritten Stock eines Hauses nicht weit von meinem Gasthof, und vom Fenster aus sah ich den Erker der von mir eingenommenen Wohnung. Indes ich zufällig an das Fenster trat und ohne jede Absicht nach meinem Gasthof hinübersah, bemerkte ich Maton im Erker; sie stand am Fenster desselben, arbeitete an ihrer Wäsche und unterhielt sich mit Herrn von Bellegarde, der am Fenster eines Zimmers neben dem Erkerzimmer stand. Dieses Zimmer gehörte ebenfalls zum Gasthof und stieß unmittelbar an meine Wohnung an, gehörte aber nicht zu derselben.

Diese Entdeckung belustigte mich; ich kannte das Terrain und hatte keine Angst, gegen meinen Willen zum Hahnrei gemacht zu werden. Ich wünschte indessen keineswegs, daß der schöne Graf sich einen Einbruch in mein Gebiet erlaubte; ich war eifersüchtig, aber mit dem Verstande, nicht mit dem Herzen.

Ich kam zum Mittagessen nach Hause. Da ich sicher war, daß man mich nicht gesehen hatte, so war ich sehr heiter, und Maton war es ebenfalls. Ich brachte das Gespräch auf Bellegarde und sagte: »Ich glaube, er ist in Sie verliebt.«

»Er ist ein Mädchenjäger, wie alle Offiziere, und ich glaube nicht, daß er in mich mehr verliebt ist als in irgendeine andere.«

»Wie? Ist er denn nicht heute Morgen hier gewesen, um mir einen Besuch zu machen?«

»Nein, und wenn er gekommen wäre, so hätte die Kleine ihm die Türe geöffnet und ihm gesagt, Sie seien nicht zu Hause.«

»Aber hast du ihn nicht unter meinem Fenster auf und ab gehen sehen, als die Wachtparade abgehalten wurde?«

»Nein.«

Mehr brauchte ich nicht zu wissen: sie waren miteinander im Einverständnis. Maton log, und wenn ich nicht einschritt, war ich in vierundzwanzig Stunden angeführt. Natürlich hätte ich in meinem Alter über einen solchen Verrat mich nicht wundern sollen; aber mein Geist oder vielmehr mein Selbstgefühl hatte sich noch nicht mit dieser Möglichkeit vertraut gemacht.

Ich verbarg meine Gefühle, blieb bei guter Laune und schäkerte nach dem Mittagessen einige Augenblicke mit ihr. Hierauf ging ich ins Theater, und nachdem ich ziemlich glücklich gespielt hatte, begab ich mich während des zweiten Aktes nach Hause; es war noch hell. Der Kellner stand vor der Türe; ich fragte ihn, ob im ersten Stock noch andere Zimmer außer den von mir bewohnten wären.

»Noch zwei nach der Straße hinaus.«

»Sagt Eurem Herrn, ich nehme sie.«

»Sie sind seit gestern Abend bestellt.«

»Von wem?«

»Von einem Schweizer Offizier, der heute abend mit zahlreicher Gesellschaft darin speisen will.«

Um keinen Verdacht zu erregen, sagte ich nichts mehr. Ich hatte mich bereits überzeugt, daß es sehr leicht war, von Bellegardes Zimmer in den Erker zu steigen. Außerdem führte von diesem Zimmer eine Verbindungstür in das Zimmer, worin die Schöne mit dem Dienstmädchen schlief, wenn ich keine Lust hatte, sie bei mir zu haben. Diese Tür war auf unserer Seite mit einem Riegel verschlossen. Sobald aber Maton sich im Einverständnis befand, war dies ein trauriges Sicherheitsmittel.

Leise ging ich nach oben und fand Maton im Erker sitzen, wo sie die frische Luft genoß. Nach einigen Vorreden sagte ich ihr, daß ich die Zimmer tauschen wollte: »Du nimmst das meinige, und ich ziehe in dieses, wo ich zuweilen ein bißchen lesen oder die Vorübergehenden beobachten kann.«

Sie fand meinen Gedanken sehr glücklich und sagte, mein Vorschlag sei ihr um so angenehmer, da wir beide denselben Genuß haben würden, wenn ich ihr erlauben wollte, in dem Erkerzimmer zu arbeiten, so oft ich ausgegangen wäre. An dieser Antwort erkannte ich, daß Maton ebenso schlau war wie ich selber. Ich war überzeugt, daß sie mich betrog oder daß sie mich früher oder später unfehlbar betrügen würde. Und von diesem Augenblick an liebte ich sie nicht mehr.

Ich ließ sofort die Sachen umstellen; hierauf aßen wir fröhlich zu Abend, scherzten und lachten, so daß trotz ihrer Schlauheit und ihrer Erfahrung – die sie ohne Zweifel besaß – Maton nichts merkte.

In meinem neuen Zimmer allein geblieben, hörte ich bald die Stimmen Vellegardes und seiner lustigen Kumpane. Ich setzte mich in den Erker, aber die Vorhänge des Nebenzimmers waren zugezogen, was mir wahrscheinlich beweisen sollte, daß kein Einverständnis stattfinde. Ich ließ mich dadurch nicht täuschen und erfuhr denn auch richtig, daß Jupiter von Merkur benachrichtigt worden war, Amphitryon habe das Zimmer gewechselt.

Am nächsten Tage zwang mich ein starkes Kopfweh, woran ich sonst niemals litt, den ganzen Tag im Hause zu verbringen. Ich ließ mir die Ader schlagen, und meine gute Mutter, die mir Gesellschaft leisten wollte, speiste mit Maton. Meine Mutter hatte eine Schwäche für das Mädchen; sie hatte mich oft gebeten, sie ihr zuzuschicken, um ihr Gesellschaft zu leisten, ich war jedoch so vernünftig gewesen, dazu nicht meine Zustimmung zu geben. Da ich mich am zweiten Tage auch nicht besser befand, so nahm ich Medizin ein; aber schon am Abend sah ich mit Schrecken, daß eine scheußliche Krankheit mich befallen hatte. Diese war ein Geschenk von Maton, denn seit Lemberg hatte ich mit keiner anderen Verkehr gehabt. Ich verbrachte die Nacht in heftigem Zorn. Bei Tagesanbruch stand ich auf, trat in ihr Zimmer, deckte sie plötzlich auf und hatte den ekelhaftesten Anblick, den man sich denken kann. Die Elende gestand mir, sie sei seit sechs Monaten krank; sie habe jedoch gehofft, daß sie mir ihr Leiden nicht mitteilen werde, denn sie habe sich stets sorgfältig gewaschen, so oft sie vorausgesehen habe, daß ich mir mit ihr zu tun machen werde.

»Unglückliche! Du hast mich vergiftet. Aber davon darf kein Mensch etwas wissen; denn es ist meine eigene schwere Schuld, und ich schäme mich, daß ich es gar nicht sagen kann. Steh auf; du sollst sehen, wie gut ich bin.«

Sie stand auf, und ich ließ alle Kleider und Wäsche, womit ich sie versehen hatte, in einen Koffer packen. Hierauf befahl ich meinem Bedienten, in einen anderen Gasthof zu gehen und ein kleines Zimmerchen für sie zu mieten. Dieses war bald gefunden. Der Bediente meldete es mir, ich sagte ihm, er solle im Vorzimmer meine Befehle erwarten, und bedeutete Maton, sie habe sich sofort in ihre neue Wohnung zu begeben, denn ich wolle nichts mehr mit ihr zu tun haben. Ich gab ihr fünfzig Taler, worüber ich mir eine ausführliche Quittung schreiben ließ. Es war darin der Grund angeführt, weshalb ich sie fortschickte, und sie erklärte ausdrücklich, daß sie unter keinen Vorwänden irgendwelche Ansprüche erheben könnte. Diese Bedingungen waren natürlich sehr demütigend, und sie wünschte sie gemildert zu sehen; doch unterwarf sie sich ihnen, als ich ihr sagte, ich sei entschlossen, sie ohne einen Heller und so bloß, wie sie zu mir gekommen sei, auf die Straße zu setzen.

»Was soll ich hier in Dresden machen, wo ich keinen Menschen kenne?«

»Wenn Sie nach Breslau zurückkehren wollen, von wo ich Sie unglücklicherweise mitgenommen habe, so will ich Ihnen die Reisekosten bezahlen.«

Da sie nichts antwortete, so schickte ich sie mit ihren Sachen nach ihrem neuen Zimmer. Sie warf sich in der Hoffnung, mich zu rühren, vor mir auf die Knie, aber ich drehte ihr den Rücken zu.

Ich handelte so, ohne das geringste Mitleid zu empfinden; denn was das Mädchen mir angetan hatte oder antun wollte, zeigte mir, daß sie ein Ungeheuer war, das mir auf diese oder jene Art das Leben gekostet haben würde.

Am nächsten Tage verließ ich den Gasthof und mietete auf sechs Monate das möblierte erste Stockwerk des Hauses, worin meine Mutter wohnte. Zugleich traf ich meine Maßregeln, um meinen Körper von dem Gift zu befreien, das die niederträchtige Schlesierin eingeflößt hatte. Ein jeder, der mich sah, fragte mich, was ich mit meiner Haushälterin gemacht hätte; ich antwortete stets, ich bedürfte ihre Dienste nicht mehr und hätte sie daher entlassen, ohne mich weiter um sie zu bekümmern.

Acht Tage darauf sagte mein Bruder Giovanni mir, der Graf von Bellegarde und fünf oder sechs von seinen Freunden befänden sich in ärztlicher Behandlung. So gut hatte Maton sie in diesen paar Tagen behandelt.

»Sie tun mir leid, aber sie haben selber Schuld«, antwortete ich ihm. »Warum haben sie sich der Gefahr ausgesetzt?«

»Ein Mädchen, das mit dir nach Dresden gekommen ist!«

»Und das ich fortgejagt habe. Es genügt mir, daß es ihnen nicht gelungen ist, sie kennen zu lernen, solange sie noch bei mir war. Sage den Herren, sie haben unrecht, wenn sie sich über mich beklagen, und noch mehr unrecht, wenn sie ihre Schande offenbaren. Sie mögen sich dies zur Lehre dienen lassen und sollen versuchen, in aller Stille wieder gesund zu werden. Sonst werden alle vernünftigen Leute sie auslachen. Bist du nicht auch meiner Ansicht?«

»Diese Geschichte macht dir keine Ehre.«

»Das weiß ich wohl; deshalb brüste ich mich auch nicht damit, und ich bin nicht dumm genug, sie über alle Dächer zu schreien. Deine jungen Herren müssen rechte Windbeutel sein; denn sie hätten sich doch denken können, daß ich starke Gründe haben müßte, das Mädchen so plötzlich fortzuschicken; und deshalb hätten sie auf ihrer Hut sein müssen. Sie verdienen den Schaden, den sie ihnen zugefügt hat, und ich wünsche nur, daß sie sich die Lehre zu Herzen nehmen.«

»Sie sind ganz erstaunt, daß du dich so wohl befindest.«

»Du kannst sie trösten und ihnen sagen, daß sie mich ebenso schlecht behandelt hat wie sie, daß ich aber nichts davon sage, weil mir nichts daran liegt, für einen Dummkopf zu gelten.«

Mein guter Giovanni, der sich selber der Dummheit überführt sah, sagte kein Wort mehr und ging.

Ich unterwarf mich einer strengen Kur und hatte das Glück, Mitte August mich vollkommen gesund zu sehen.

Um diese Zeit kam die Fürstin Lubomirska, die Schwester des Fürsten Adam Czartoryski, nach Dresden und wohnte beim Grafen Brühl. Ich hatte die Ehre, ihr meine Aufwartung zu machen, und erfuhr aus ihrem Munde, daß ihr königlicher Vetter so schwach gewesen war, sich von der Verleumdung täuschen zu lassen. Ich sagte zu ihr: ich sei der Meinung Ariostos, daß die Tugenden nur unter dem Schleier der Standhaftigkeit achtungswert sind. »Sie haben wohl bemerkt, Fürstin, daß es dem König, als ich zum letzten Male bei Ihnen mit ihm zusammen speiste, beliebte, so zu tun, wie wenn er mich nicht sähe. Ich beklage den Herrscher, der unter solchen Umständen der Achtung des Philosophen unwürdig wird. Eure Hoheit gehen jetzt nach Wien und werden nächstes Jahr nach Paris gehen; Sie werden mich dort sehen und können dann Ihrem Vetter, dem König, schreiben, daß Sie mich dort nicht gesehen haben würden, wenn man mich wirklich in effigie gehenkt hätte.«

Da die Leipziger September-Messe sehr schön war, so fuhr ich dorthin, um zu meiner Kräftigung recht viele Lerchen zu essen, die mit Recht sehr berühmt sind. Da ich in Dresden mit weiser Zurückhaltung gespielt hatte, obwohl ich immer nur gesetzt hatte, so hatte ich einige hundert Dukaten gewonnen, so daß ich mit einem Kreditbrief von dreitausend sächsischen Talern auf den Bankier Hofmann nach Leipzig abreiste. Dieser machte mich mit einem achtzigjährigen, sehr geistreichen Herrn bekannt, dem Direktor aller Bergwerke des Kurfürstentums. Von diesem ehrenwerten Greis erfuhr ich einen Umstand, der allerdings von geringer Bedeutung, dennoch aber sehr bemerkenswert ist, weil kein Russe ihn kennt: daß nämlich die Kaiserin Katharina die Zweite, die von ganz Rußland und von allen, die sie gesehen haben, für brünett gehalten wurde, ja deren Haare sogar sehr schwarz waren, eigentlich blond war. Der Direktor, der sie von ihrem siebenten bis zum zehnten Jahre täglich in Stettin gesehen hatte, erzählte mir, man habe damals begonnen, die junge Prinzessin mit Bleikämmen zu strählen und die Haare mit einer Salbe einzureiben, wodurch sie schwarz geworden wären. Dies tat man, weil Katharina bereits in ihrem zehnten Jahre zur künftigen Gattin des Herzogs von Holstein, des späteren unglücklichen Zaren, Peters des Dritten, bestimmt war. Da die Russen im allgemeinen blond sind, so bot der Hof alles auf, die Herrscherfamilie schwarzhaarig zu machen. Ich bezweifle jedoch, daß dies gelingen wird, es sei denn durch die natürliche Mischung der Rassen.

In Leipzig hatte ich ein Abenteuer, dessen ich mich stets mit Vergnügen erinnere. Die Prinzessin von Arenberg, die von Wien eingetroffen war und in demselben Gasthof wohnte wie ich, hatte die Laune, die Messe zu besuchen, ohne erkannt zu werden. Da sie ein großes Gefolge bei sich hatte, ließ sie sich durch eine ihrer Kammerfrauen vertreten und mischte sich unter die Personen, die die falsche Prinzessin begleiteten. Meine Leser werden vermutlich wissen, daß die Prinzessin sehr hübsch war, daß sie viel Geist besaß und daß sie den verstorbenen Kaiser Franz den Ersten mit ihrer Huld beglückt hatte.

Ich hatte von dieser Maskerade Kenntnis erhalten und verließ den Gasthof gleichzeitig mit ihr. Als nun die falsche Prinzessin vor einem Laden stehen blieb, um die ausgelegten Schmucksachen zu besehen, trat ich an die angebliche Zofe heran, die mich nicht kannte, und fragte sie ohne alle Umstände, wie man eben mit einem Kammermädchen spricht, ob es wahr sei, daß die Dame – damit zeigte ich auf diese – die berühmte Prinzessin von Arenberg sei.

»Natürlich ist sie es.«

»Ich kann es kaum glauben: denn sie ist nicht hübsch, außerdem hat sie nicht die Haltung und das Benehmen einer Prinzessin.«

»Offenbar verstehen Sie sich nicht auf Prinzessinnen.«

»Daran wäre jedenfalls nicht schuld, daß ich keine gesehen habe; um Ihnen aber zu beweisen, daß ich mich auf Prinzessinnen verstehe, so will ich Ihnen sagen, daß Sie eigentlich die Prinzessin sein müßten, denn ich würde gern hundert Dukaten geben, um die Nacht mit Ihnen zu verbringen.«

»Hundert Dukaten! Sie wären schön angeführt, wenn ich Sie beim Wort nähme.«

»Versuchen Sie es. Ich wohne in demselben Gasthof wie Sie, und wenn Sie es möglich machen, daß wir zusammenkommen, will ich das Geschenk im voraus geben, jedoch nur wenn ich sicher bin, daß ich Sie bekomme; denn ich liebe es nicht, angeführt zu werden.«

»Schön. Sagen Sie nichts und versuchen Sie, vor oder nach dem Abendessen mit mir zu sprechen. Wenn Sie den Mut haben, ein bißchen zu riskieren, so werden wir die Nacht miteinander verbringen.«

»Wie heißen Sie?«

»Caroline.«

Ich war vollkommen überzeugt, daß aus der Sache nichts werden würde, aber es machte mir Spaß, die Prinzessin belustigt und ihr zu verstehen gegeben zu haben, daß sie mir gefiele. Ich beschloß daher, die so glücklich begonnene Rolle des Unwissenden weiter zu spielen. Um die Zeit des Abendessens begann ich vor den Gemächern der Prinzessin herumzustrolchen. Nachdem ich drei- oder viermal vor dem Zimmer stehen geblieben war, worin sich die Kammerfrauen aufhielten, kam eine von ihnen heraus und fragte mich, ob ich etwas suchte.

»Ich wünsche eine von Ihren Kolleginnen zn sehen, mit der ich das Vergnügen hatte, mich einen Augenblick auf der Straße zu unterhalten.«

»Jedenfalls Caroline?«

»Ja.«

»Sie bedient die Prinzessin bei Tisch, aber in einer halben Stunde wird sie herauskommen.«

Ich verbrachte diese halbe Stunde in meinem Zimmer und kam dann wieder. Bald kam dasselbe Mädchen, mit der ich bereits gesprochen hatte, wieder heraus und sagte mir, ich möchte in eine Kammer eintreten, die sie mir zeigte; Caroline würde sofort zu mir kommen.

Die Kammer war dunkel, klein und unbequem; ich trat ein, und nach kurzer Zeit erschien eine Frau. Ich war fest überzeugt, daß es diesmal die wirkliche Caroline war, aber ich spielte meine Rolle weiter.

Kaum war sie eingetreten, so ergriff sie meine Hand und sagte mir, ich möchte nur bleiben, sie würde zu mir kommen, sobald ihre Herrin zu Bett gegangen wäre.

»Und ohne Licht?«

»Ei ja, allerdings! Ohne Licht – denn die Leute von Hause gehen fortwährend hin und her; sie würden merken, daß jemand in der Kammer ist, und das will ich nicht.«

»Aber, reizende Caroline, ohne Licht habe ich keine Seele. Außerdem ist dieser Ort nicht geeignet, um fünf oder sechs Stunden zu verbringen. Ich will Ihnen etwas sagen: das erste Zimmer im oberen Stock ist das meine. Ich werde allein sein, und ich schwöre Ihnen, es wird niemand zu mir kommen! Kommen Sie herauf, und Sie machen mich glücklich. Die hundert Dukaten habe ich hier!«

»Das ist unmöglich. Nicht um eine Million würde ich es wagen, nach oben zu gehen.«

»Um so schlimmer für Sie; denn nicht um anderthalb Millionen würde ich in diesem Loch bleiben, wo nur ein Stuhl ist. Leben Sie wohl, schöne Caroline!«

»Warten Sie doch, lassen Sie mich zuerst hinausgehen!«

Das schlaue Zöfchen lief schnell hinaus, ich war aber ebenso schlau wie sie und ergriff ihren Rock, so daß sie die Tür nicht hinter sich schließen konnte. Wir gingen also miteinander hinaus, ich brachte sie bis an ihre Tür und sagte dort zu ihr: »Leben Sie wohl, Caroline. Die Falle war nicht ganz richtig aufgestellt!«

Im höchsten Grade befriedigt von diesem Maskenscherz legte ich mich zu Bett. Offenbar wollte man mich die Nacht in einem Loch verbringen lassen, um mich dafür zu bestrafen, daß ich es gewagt hatte, der Geliebten eines Kaisers hundert Dukaten anzubieten. Ohne Zweifel biß sich die Prinzessin auf die Lippen, weil ihr Streich ihr mißlungen war.

Am nächsten Mittag trat in dem Augenblick, wo ich um ein Paar Spitzenmanschetten handelte, die Prinzessin von Arenberg in den Laden ein. In ihrer Begleitung war der Graf von Zinzendorf, den ich vor zwölf Jahren in Paris bei der Cavamacchie gekannt hatte. Als ich mich zurückzog, um der Prinzessin Platz zu machen, erkannte der Graf mich, redete mich an und fragte mich, ob ich den Casanova kenne, der vor sechs Monaten das Duell gehabt habe.

»Ach, Herr Graf, das bin ich selber; ich trage infolge davon noch meinen Arm in der Binde.«

»Ich mache Ihnen mein Kompliment dazu, mein Lieber; die Geschichte dieses Duells muß jedenfalls sehr interessant sein.«

Hierauf stellte der Graf mich der Prinzessin vor und fragte sie, ob sie von meinem Zweikampf gehört habe.

»Ja, ich habe durch die Zeitungen davon erfahren. Also der Herr hier ist der Held dieser Geschichte! Ich bin entzückt, Ihre Bekanntschaft zu machen.«

Diese Worte sprach die Prinzessin sehr wohlwollend und zugleich mit der Ruhe vollendeter Verstellung, die man nur bei Hofe richtig lernt. Sie tat, wie wenn sie mich gar nicht kenne, und ich ahmte natürlich ihre Zurückhaltung nach.

Als ich nach Tisch dem Grafen meinen Besuch machte, bat er mich, mit ihm einen Augenblick bei der Prinzessin einzutreten; diese werde sehr erfreut sein, aus meinem eigenen Munde die Erzählung meines seltsamen Abenteuers zu vernehmen. Ich folgte ihm mit großem Vergnügen. Die Prinzessin hörte meiner Erzählung sehr aufmerksam zu und blieb immer Prinzessin; ihre Kammerzofen sahen mich nicht an. Den Tag darauf reiste sie ab, und mein Abenteuer hatte keine weiteren Folgen.

Gegen Ende der Messe empfing ich zu meiner großen Überraschung den Besuch der schönen Castelbajac. Sie erschien in dem Augenblick, wo ich mich allein zu Tisch setzen wollte, um so recht mit Genuß ein Dutzend schöner Lerchen zu verspeisen und mich hierauf zu Bett zu legen.

»Wie, Madame? Sie hier?«

»Leider ja, zu meinem großen Unglück! Ich bin seit drei Wochen hier; ich habe Sie zwanzigmal gesehen, und wir sind Ihnen immer ausgewichen.«

»Wir? Wer?«

»Schwerin.«

»Er ist hier?«

»Im Gefängnis. Wegen eines falschen Wechsels, den er diskontiert hat; und ich weiß nicht, was man mit dem Unglücklichen machen wird. Er hätte fliehen sollen, aber er will, wie es scheint, durchaus sich hängen lassen.«

»Und Sie haben mit ihm die ganze Zeit verbracht, seitdem Sie England verließen? Das ist drei Jahre her.«

»Ganz recht, überall hat er gestohlen, gegaunert, betrogen und dann die Flucht ergriffen. Auf der ganzen Welt ist keine so unglückliche Frau wie ich.«

»Wieviel beträgt der falsche Wechsel?«

»Dreihundert Taler. Vergessen Sie alles, Herr Casanova; tun Sie ein heroisches Werk, retten Sie den Unglücklichen vor dem Galgen oder dem Zuchthaus und mich vor dem Tode; denn ich werde mich töten.«

»Meinetwegen mag man ihn hängen, Madame; denn er hat versucht, mich mit seinen falschen Banknoten an den Galgen zu bringen. Aber ich gestehe Ihnen, um Sie tut es mir leid. Darum lade ich Sie ein, übermorgen mit mir nach Dresden zu fahren, und verspreche Ihnen dreihundert Taler, sobald die Justiz über diesen Spitzbuben die verdiente Strafe ausgesprochen hat. Ich begreife nicht, daß eine Frau wie Sie sich hat in einen Mann verlieben können, der weder hübsch noch geistreich ist, der weder Talent noch Vermögen hat; denn alles, was er hat, ist sein Name Schwerin.«

»Ach, ich muß Ihnen leider zu meiner Schande gestehen, daß ich ihn niemals geliebt habe. Seitdem der andere Spitzbube Castelbajac – dessen Frau ich, nebenbei bemerkt, niemals gewesen bin – ihn mit mir bekannt machte, habe ich nur gezwungen mit ihm gelebt; aber seine Tränen und seine Verzweiflung haben mich oft gerührt. Hätte das Schicksal mir einen ehrenwerten Mann zugeführt, mit dem ich mich durch die Bande des Gesetzes hätte vereinigen können – ich hätte mich von Herzen gern von diesem Unglücklichen losgesagt, der früher oder später noch die Ursache meines Todes sein wird.«

»Wo wohnen Sie?«

»Augenblicklich nirgends; denn man hat mich auf die Straße gesetzt, nachdem man mir alle meine Sachen abgenommen hat. Haben Sie Mitleid mit mir!«

Mit diesen Worten warf die Unglückselige sich unter strömenden Tränen vor mir auf die Knie. Ich war tief gerührt. Der Kellner des Gasthofs stand dabei und sah ganz verblüfft diesem Auftritt zu, da ich ihm noch nicht gesagt hatte, daß er hinausgehen sollte. Die Frau war unfraglich eine der größten Schönheiten Frankreichs; sie mochte etwa sechsundzwanzig Jahre alt sein. Sie war die Frau eines Apothekers in Montpellier und hatte das Unglück gehabt, sich von Castelbajac verführen zu lassen. In London hatte sie keinen Eindruck auf mich gemacht, weil ich damals von einem anderen Gegenstand zu sehr in Anspruch genommen war, aber sie besaß alles, was ein Weib sich nur wünschen kann, um zu gefallen.

Ich hob sie auf, indem ich ihr sagte, ich sei sehr geneigt, ihr zu helfen, müßte sie aber bitten, sich zu beruhigen und sogar mit mir zu Abend zu speisen. Der Kellner brachte, ohne daß ich ihm etwas gesagt hatte, sofort ein zweites Bett in mein Zimmer, worüber ich herzlich lachen mußte.

Die arme Frau aß trotz ihrem Kummer mit großem Appetit; sie erinnerte mich an die Witwe von Ephesus. Nachdem sie tüchtig gegessen hatte, stellte ich sie vor die Wahl, daß ich nichts für sie tun und sie in Leipzig ihrem Schicksal überlassen, oder daß ich versuchen würde, alle ihre Sachen herauszubekommen, und daß ich sie mit mir nach Dresden nehmen, ihr alles Notwendige beschaffen und hundert Dukaten in Gold geben würde, sobald ich gewiß wäre, daß sie sie nicht dem Elenden schenkte, der sie in eine so jämmerliche Lage gebracht hätte.

Sie brauchte nicht lange nachzudenken, um ihren Entschluß zu fassen, und sagte zu mir: »Wenn ich in Leipzig bleibe, so sehe ich keine Möglichkeit, dem unglückseligen Wechselfälscher nützlich zu werden. Außerdem könnte ich selber keine vierundzwanzig Stunden mehr leben, denn ich habe keinen Heller. Ich müßte entweder betteln oder mich prostituieren, und weder zu dem einen noch zu dem anderen kann ich mich entschließen. Wenn Sie mir die hundert Dukaten in diesem Augenblick gäben und ich mittels dieser Summe den Unglücklichen aus dem Gefängnis befreite, so wäre ich noch ebenso tief im Unglück und wüßte nicht, wie ich von hier fortkommen oder wohin ich gehen sollte. Ich nehme also Ihr großmütiges Anerbieten an, und Sie können auf meine Dankbarkeit zählen.«

Ich umarmte sie und versprach ihr, die von ihrem Wirt mit Beschlag belegten Sachen frei zu machen; hierauf lud ich sie ein, sich zu Bett zu legen; denn sie bedurfte der Ruhe.

»Ich sehe voraus,« sagte sie zu mir, »daß Sie, weil Sie Gefallen an mir finden oder auch nur aus Höflichkeit, sich mir nähern und Gunstbezeigungen von mir verlangen werden, die ich herzlich gern aus Liebe und aus Dankbarkeit Ihnen gewähren würde; aber es wäre ein übler Lohn für Ihre Großmut, wenn ich Ihnen nicht sofort mitteilen wollte, in welcher beschämenden Lage ich mich befinde. Hier, sehen Sie meine Wäsche – in diesen Zustand hat mich der Elende versetzt. Darum kann ich ihn auch ohne Bedauern verlassen, obwohl er selber mir immer noch leid tut.«

Ich dachte an die Krankheit, von der ich kaum genesen war, und schlug mir vor den Kopf, denn ich sah, daß ich mich sehr leicht von neuem hatte vergiften können. Die Handlungsweise der Frau fand ich edel und zartfühlend; ich dankte ihr daher und gab ihr die Versicherung, daß ich ihr meine Dankbarkeit noch beweisen würde.

Die schöne Französin hatte trotz ihrem Fehltritt tiefe Gefühle und ein ausgezeichnetes Herz; gerade dieses war ein schlechtes Geschenk, das die Natur ihr gemacht hatte, denn diesem guten Herzen verdankte sie ihr ganzes Unglück.

Gleich am nächsten Tage fand ich einen ehrlichen Makler, dem ich die Angelegenheit in allen Einzelheiten mitteilte; er übernahm es, den Wirt zu veranlassen, daß er gegen eine vernünftige Entschädigung der Frau Castelbajac ihre Sachen herausgäbe. Mit sechzig sächsischen Talern wurde die Sache abgemacht, und schon am Nachmittag sah die arme Frau sich wieder im Besitze aller ihrer Sachen, die sie niemals herauszubekommen geglaubt hatte. Sie war ganz und gar von Dankbarkeit durchdrungen und beklagte den unglücklichen Zustand, der sie hinderte, mir Beweise davon zu geben.

Dies entspricht der Natur: eine gefühlvolle Frau glaubt einem Manne, der ihr Wohltaten erwiesen hat, nichts Besseres antun zu können, als daß sie sich rückhaltlos ihm hingibt. Ich glaube, ein Mann denkt anders, und der Grund davon ist sehr einfach: der Mann ist geschaffen, um zu geben, das Weib aber, um zu empfangen.

Am nächsten Tage, kurz vor unserer Abreise, kam der Makler und sagte uns, der von Schwerin betrogene Bankier habe einen besonderen Boten nach Berlin gesandt, um den Gesandten zu fragen, ob der König von Preußen etwas dagegen habe, daß man mit aller Strenge des Gesetzes gegen den Grafen Schwerin verfahre.

Als die Castelbaiac das hörte, rief sie: »Das ist der Schlag, den der Unglückliche am meisten befürchtete! Es ist um ihn geschehen. Der König wird seine Schulden bezahlen, aber Schwerin wird sein Leben in Spandau beschließen. Warum war er nicht schon vor vier Jahren dort!«

Glücklich und dankbar reiste sie mit mir ab; in Dresden war man sehr überrascht, als ich mit dieser neuen Begleiterin erschien. Sie hatte nicht, wie Maton, das Aussehen einer Dirne, sondern konnte sich in der Gesellschaft sehen lassen, beherrschte den guten Ton und hatte ein bescheidenes und doch imponierendes Auftreten. Ich stellte sie als Gräfin Blasin meiner Mutter und meinen Verwandten vor, und ließ sie in meinem schönsten Zimmer wohnen. Ich ließ den Wundarzt rufen, der mich behandelt hatte, und nahm ihm einen Eid ab, daß er niemals über den Zustand der Gräfin sprechen, sondern sagen werde, er komme nach wie vor meinetwegen. Ich nahm sie mit ins Theater und an andere öffentliche Orte und machte mir eine Freude daraus, sie als eine Person von ausgezeichneter Herkunft auftreten zu lassen. Eine nicht zu scharfe, aber pünktlich befolgte Kur gab ihr in kurzer Zeit ihre Gesundheit wieder. Gegen Ende November befand sie sich so wohl, daß sie imstande zu sein glaubte, mich glücklich zu machen.

Die Vermählung wurde in aller Heimlichkeit vollzogen und war sehr süß. Als Hochzeitsgeschenk erhielt ich am Tage darauf die Nachricht, der König von Preußen habe Schwerins Schuld bezahlt, und der Taugenichts sei unter guter Bedeckung nach Berlin gebracht worden. Wenn er nicht gestorben ist, befindet er sich noch in Spandau.

Die Zeit war also gekommen, wo ich der Schönen, in die ich mich wirklich verliebt hatte, die hundert Dukaten zahlen mußte. Daß ich sie liebte, war kein Wunder, denn sie war sanft, schön und anständig. Ich sagte ihr ganz offen, daß ich meiner Interessen wegen nach Portugal gehen müsse, daß ich aber nicht in Begleitung einer schönen Frau dorthin gehen könne, ohne das Glück in Frage zu stellen, das ich dort zu finden erwarte. Außerdem würden meine Mittel mir nicht erlauben, die Kosten einer so langen Reise für zwei Personen zu bestreiten.

Die Castelbajac hatte zu viele Beweise meiner Liebe empfangen, um glauben zu können, daß ich ihrer überdrüssig wäre und mich ihrer zu entledigen wünschte, um mit einer anderen zusammen zu leben. Sie sagte nur freundschaftlich, sie schulde mir alles, und ich sei ihr nichts schuldig; wenn ich aber meinen Wohltaten die Krone aufsetzen wolle, so möge ich ihr die Mittel geben, nach Montpellier zurückzukehren. »Ich habe dort Verwandte,« sagte sie zu mir, »die mich gut aufnehmen werden, und ich hoffe, zu meinem Gatten zurückkehren zu können. Ich bin das verlorene Kind; ich werde in ihm den guten Vater finden.«

Ich gab ihr mein Wort, daß ich ihr die Mittel verschaffen würde, in ihre Heimat zurückzukehren.

Etwa Mitte Dezember verließ ich Dresden mit Madame Blasin. Ich hatte nur noch vierhundert Dukaten zu meiner Verfügung, weil das Glück mir an der Pharaobank den Rücken gekehrt und weil die Leipziger Reise mit allen ihren Folgen mir dreihundert Dukaten gekostet hatte. Hiervon sagte ich jedoch meiner Schönen nichts, sondern dachte nur daran, ihr meine Liebe auf jede mögliche Art zu beweisen.

Wir machten in Prag einen kurzen Aufenthalt und kamen in Wien am ersten Weihnachtsfeiertage an. Wir stiegen im »Roten Ochsen« ab; Frau Gräfin Blasin, die sich in eine Modistin verwandelt hatte, wohnte in dem einen Zimmer und ich in dem anderen, so daß wir getrennt gelten konnten, dabei aber doch in inniger Vertraulichkeit vereint blieben.

Gleich am nächsten Morgen, als wir miteinander Kaffee tranken, traten zwei Menschen bei ihr ein und richteten in grobem Tone die Frage an sie:

»Wer sind Sie, Madame?«

»Ich heiße Blasin.«

»Wer ist dieser Herr?«

»Fragen Sie ihn selber.«

»Was machen Sie in Wien?«

»Ich trinke Milchkaffee, wie Sie sehen.«

»Wenn der Herr nicht Ihr Gatte ist, werden Sie binnen vierundzwanzig Stunden abreisen.«

»Der Herr ist nicht mein Gatte, sondern nur mein Freund, und ich werde abreisen, wann es mir gefällt, es sei denn, daß man mich mit Gewalt fortschafft.«

»Gut. Wir wissen, mein Herr, daß Sie ein Zimmer für sich haben. Aber das ist einerlei.«

Einer von den beiden Polizisten ging in mein Zimmer; ich folgte ihm und fragte: »Was wollen Sie hier?«

»Nur Ihr Bett ansehen. Wie ich bemerke, haben Sie nicht darin geschlafen. Das genügt.«

»Zum Teufel nochmal, was geht Sie das an? Wer kann denn nur solch ein abscheuliches Spürsystem erlauben?«

Er antwortete nicht, sondern begab sich wieder in das Zimmer der Blasin. Die beiden Büttel wiederholten nochmals den Befehl, binnen vierundzwanzig Stunden abzureisen, und entfernten sich.

Ich sagte zu meiner Begleiterin: »Kleiden Sie sich an und berichten Sie den ganzen Vorfall dem französischen Gesandten. Sagen Sie, Sie seien Fräulein Blasin, Modistin, und warten hier nur auf eine Gelegenheit, um sich nach Straßburg und von dort nach Montpellier zu begeben.«

Während sie sich ankleidete, ließ ich einen Wagen und einen Lohndiener kommen. Madame Blasin kam nach einer Stunde wieder und sagte mir, der Gesandte habe ihr versichert, sie könne ruhig bleiben und brauche nicht früher abzureisen als bis es ihr passe. Triumphierend fuhr ich mit ihr nach der Messe; da aber das Wetter schlecht war, so fuhren wir gleich nachher nach Hause und brachten den ganzen Tag damit zu, vor einem guten Feuer bei gutem Essen und Trinken es uns wohl sein zu lassen.

Um acht Uhr abends kam der Wirt und sagte sehr höflich zu ihr, er habe Befehl erhalten, ihr ein Zimmer anzuweisen, das nicht an das meinige anstoße, und er sei gezwungen, zu gehorchen.

»Ich bin bereit, das Zimmer zu wechseln!« rief Madame Blasin lachend.

»Muß Madame auch allein speisen?« fragte ich den Wirt.

»Einen diesbezüglichen Befehl habe ich nicht erhalten.«

»In diesem Falle gedenke ich mit Madame zu soupieren, und ich werde Ihnen sehr verbunden sein, wenn Sie für ein recht gutes Essen sorgen.«

»Sie werden zufriedengestellt werden, mein Herr.«

Trotz der schikanösesten Polizei, die die bigotteste Tyrannei hat ersinnen können, verbrachten wir in innigster Vertraulichkeit die vier Tage und Nächte, die die reizende Frau sich noch in Wien aufhielt. Als sie abreiste, wollte ich sie zur Annahme von fünfzig Louis bewegen; sie nahm aber nur dreißig, da sie sich ausgerechnet hatte, daß sie bei der Ankunft in Montpellier noch Gold in ihrer Börse haben würde. Wir schieden tiefgerührt voneinander, und sie schrieb mir von Straßburg aus. Bei meiner Durchreise durch Montpellier werden wir sie wiederfinden.

Am Neujahrstage 1767 nahm ich eine Wohnung bei einem gewissen Herrn Schröder und übergab meinen Empfehlungsbrief an Frau von Salmor, Oberhofmeisterin der Erzherzogin Marianne, und an Frau von Starhemberg. Hierauf machte ich Besuch bei dem älteren Casalbigi, der unter dem Fürsten Kaunitz für das Ministerium arbeitete.

Dieser Casalbigi, dessen ganzer Körper von Beulen bedeckt war, arbeitete stets in seinem Bett, das er fast niemals verließ, und der Minister ging beinahe jeden Tag zu ihm.

Ich war oft bei Metastasio und ging jeden Tag ins Theater, wo Vestris tanzte, den der junge Kaiser von Paris hatte kommen lassen. Am 7. oder 8. Januar sah ich die Kaiserin-Mutter ganz in Schwarz gekleidet ins Theater kommen. Sie wurde mit allgemeinem Händeklatschen empfangen, denn es war das erstemal, daß sie sich seit dem Tode ihres kaiserlichen Gemahls in der Öffentlichkeit zeigte. Ich fand in Wien den Grafen de la Perouse, der bei der Kaiserin die Rückerstattung einer halben Million Gulden betrieb, welche Kaiser Karl der Sechste seinem Vater geschuldet hatte. Durch seine Vermittlung machte ich die Bekanntschaft eines gewissen Las Casas, eines geistvollen und, was selten vorkommt, vorurteilsfreien Spaniers. Bei dem Grafen fand ich ferner den Venetianer Uccelli, mit dem ich im Kollegium San Cipriano auf Murano zusammen gewesen war; er war in Wien als Gesandtschaftssekretär bei dem Botschafter Polo Renieri, der in jenen Tagen starb. Der Botschafter, ein geistreicher und gebildeter Mann, schätzte mich, konnte mich jedoch wegen meines Handels mit den Staatsinquisitoren nicht empfangen. In jenen Tagen kam mein Freund Campioni in Wien an; er war von Warschau über Krakau gereist. Ich nahm ihn mit großem Vergnügen in meine Wohnung auf. Er hatte ein Engagement in London, konnte jedoch ein paar Monate mit mir verbringen, worüber ich hocherfreut war.

Prinz Karl von Kurland war im Sommer einen Monat in Venedig gewesen, wo Herr von Bragadino und meine anderen Freunde, an die ich ihn empfohlen hatte, ihn mit der größten Auszeichnung empfangen hatten. Hierauf hatte er zwei Monate in Wien zugebracht, war aber vierzehn Tage vor meiner Ankunft nach Venedig zurückgereist, wo damals der vor zwei Jahren verstorbene Herzog von Württemberg großes Aufsehen machte. Er hielt sich unter seinem fürstlichen Namen dort auf und gab ungeheuere Summen aus. Prinz Karl schrieb mir sehr dankbare Briefe; er erklärte, er habe niemals liebenswürdigere und zuvorkommendere Menschen getroffen als meine drei Freunde, und ich könne meinerseits bis zum Tode auf ihn rechnen.

Ich lebte in Wien sehr ruhig und in guter Gesundheit. Unaufhörlich dachte ich an meine Reise nach Portugal, die ich im nächsten Frühjahr antreten wollte. Ich sah weder gute noch schlechte Gesellschaft, ging regelmäßig ins Theater und speiste oft bei Casalbigi, der sich mit seinem Atheismus brüstete und in unverschämter Weise auf Metastasio lästerte, der ihn verachtete. Casalbigi wußte dies, aber er lachte darüber; er war ein großer politischer Rechenkünstler und die rechte Hand des Fürsten Kaunitz.

Als ich eines Tages nach Tisch mit meinem lieben Campioni plauderte, sah ich ein sehr hübsches kleines Mädchen von zwölf bis dreizehn Jahren bei mir eintreten. Ihr Benehmen war ein Gemisch von Keckheit und Schüchternheit; sie blieb in einiger Entfernung vor uns stehen und machte mir eine tiefe Verbeugung. Ich fragte sie nach ihrem Begehr, und sie antwortete mir in lateinischen Versen, ihre Mutter sei im Vorzimmer und werde hereinkommen, wenn ich es wünsche. Ich antwortete ihr in lateinischer Prosa, es liege mir nichts daran, ihre Mutter zu sehen, und sagte ihr ganz offen den Grund dafür. Sie antwortete mir mit vier anderen lateinischen Versen; da diese jedoch nicht paßten, so sah ich, daß sie die Verse auswendig hersagte, ohne zu wissen, was sie bedeuteten. Sie sagte mir, immer in Versen, ihre Mutter müsse hereinkommen, denn man werde sie ins Gefängnis stecken, wenn die Keuschheitskommissäre Verdacht schöpfen könnten, daß sie mit mir allein wäre, und daß ich mich mit ihr belustigte. Dieser letztere Ausdruck war ohne jede Umschreibung mit dem ganzen Kynismus der lateinischen Sprache und im Stile Pirons angewandt. Ich mußte laut lachen und bekam Lust, ihr in ihrer Muttersprache zu erklären, was sie mir gesagt hatte. Die kleine Spitzbübin erzählte mir, sie sei Venetianerin. Das versetzte mich in eine behagliche Laune, und ich ließ mich dazu fortreißen, ihr zu sagen, die Polizeispione könnten sie nicht im Verdacht haben, daß sie das von ihr Erwähnte täte, denn sie wäre noch zu jung. Die Kleine dachte einen Augenblick über diesen Einwand nach und rezitierte dann einige Verse aus den Priapeen, worin es heißt, daß herbe Früchte den Gaumen mehr reizen als reife. Mehr war nicht nötig, um mich ganz und gar in Feuer zu setzen. Campioni merkte, daß er überflüssig war, und ging in sein Zimmer.

Ich zog sie sanft an mich und fragte sie, ob ihr Vater in Wien sei. Sie bejahte diese Frage, ohne sich gegen meine Liebkosungen zu sträuben, und begann erotische Verse zu zitieren. Ich fand das köstlich und gab ihr zwei Dukaten. Hierauf entließ ich sie; bevor sie jedoch ging, sprach sie mir, wiederum in Versen, ihren Dank aus und gab mir einen Zettel, worauf, außer einer Adresse in deutscher Sprache, vier lateinische Verse standen, deren Sinn etwa der war, daß ich in ihr nach meinem Belieben Hebe oder Ganymed finden würde.

Trotz aller Verruchtheit konnte ich nicht umhin, den erfinderischen Geist ihres Vaters zu bewundern, der auf diese Weise auf Kosten seiner Tochter zu leben wußte. Die Kleine war sehr hübsch, aber hübsche Mädchen sind in Wien so gewöhnlich, daß sie trotz aller Schönheit in Armut und Elend bleiben. Seine Tochter war durch diese Scharlatankünste eine überraschende Neuheit geworden; allerdings war vorauszusehen, daß er in Wien nicht weit damit kommen würde.

Am nächsten Abend gab mir mein böser Geist den Wunsch ein, zu Fuß in die Wohnung des Mädchens zu gehen. Trotz meinen zweiundvierzig Jahren, trotz meiner großen Lebenserfahrung beging ich die Unvorsichtigkeit, allein nach dem mir angegebenen Hause zu suchen. Die Kleine hatte mich vom Fenster aus bemerkt; sie erriet, daß ich ihre Wohnung suchte, und zeigte mir die Haustür. Ich trat ein, ging eine Treppe hinauf und fühlte beim Anblick des niederträchtigen Diebes Pocchini mein Blut eiskalt durch die Adern strömen. Eine falsche Scham hielt mich ab, sofort wieder umzukehren; dies hätte ausgesehen, wie wenn ich ihn fürchtete, und daran dachte ich nicht einmal. Ich sah in demselben Zimmer seine angebliche Frau Catina, zwei slawonische Räuber und den Lockvogel. Alle Lust zum Lachen war mir vergangen; aber ich verbarg meine Gefühle so gut ich konnte, fest entschlossen, nach fünf Minuten wieder zu gehen.

Pocchini fluchte und schwor. Er warf mir die Härte vor, womit ich ihn in England behandelt hätte, und erklärte schließlich, jetzt sei für ihn die Zeit gekommen, sich zu rächen, und mein Leben sei in seiner Hand. Einer von den beiden Slawoniern nahm das Wort und sagte, wir müßten Frieden schließen. Er ließ mich Platz nehmen, öffnete eine Flasche Wein und verlangte, daß wir miteinander anstießen. Ich mußte gute Miene zum bösen Spiel machen; da ich jedoch nicht trank, schrie Pocchini wütend, ich tränke nur deshalb nicht, weil ich die Flasche nicht bezahlen wollte.

»Sie irren sich,« sagte ich; »ich bin bereit, sie zu bezahlen.«

Ich steckte die Hand in die Tasche, um einen Dukaten herauszuholen, ohne die Börse zu ziehen; aber der Slawonier sagte, ich könnte sie unbesorgt hervorholen, denn ich wäre bei ehrlichen Leuten. Abermals veranlaßte falsche Scham mich, nachzugeben; da es mir einige Mühe machte, mit der rechten Hand die Börse zu öffnen, während ich die linke in der Binde trug, nahm der Slawonier mir die Börse aus der Hand. In demselben Augenblick entriß Pocchini sie ihm und rief, das Geld gehöre ihm als Ersatz für einen Teil des Schadens, den ich ihm verursacht hätte.

Da ich sah, daß dies eine abgekartete Sache war, so sagte ich lächelnd, dies stehe in seinem Belieben, und stand auf, um mich zu entfernen. Der Slawonier verlangte nun aber, wir sollten uns umarmen, und als ich ihm antwortete, das sei nicht notwendig, zogen er und sein Kamerad wütend ihre Säbel. Ich hielt mich für verloren. Ich beeilte mich, sie zu umarmen, und war sehr erstaunt, daß sie mich gehen ließen.

Den Tod im Herzen ging ich nach Hause und da ich nicht wußte, was ich tun sollte, so legte ich mich zu Bett.

Dreiundzwanzigstes Kapitel


Die Kurfürstin-Witwe von Sachsen und Farinello. – Die Slopitz. – Nina. – Die Hebamme. – Die Soavi. – Abbate Bolini. – Die Viscioletta. – Der Wagen. – Trauriges Vergnügen einer Rache. – Severini geht nach Neapel. – Meine Abreise. – Marchese Mosca in Pesaro.

Wer mit satirisch-komischen Schriften einen Stolzen angreift, ist fast immer des Triumphes sicher, denn er wird stets die Lacher auf seiner Seite haben.

Ich fragte in meinem Dialog, ob ein Maréchal de camp sich ganz einfach Maréchal nennen kann oder ein Oberstleutnant Oberst?

Ich fragte, ob man einen Mann für vernünftig halten könne, der seinem Geburtsadel Titel vorziehe, die er mit klingendem Gold gekauft habe?

Der Marchese glaubte, sich über meinen Dialog hinwegsetzen zu können, und damit hatte die Angelegenheit ein Ende. Aber seit dieser Zeit nannte ihn die ganze Stadt nur noch: Herr General. Er hatte über der Tür seines Palazzo das Wappen der königlichen Republik Polen anbringen lassen; zur großen Erheiterung des polnischen Gesandten in Berlin, Grafen Miszynski, der zu jener Zeit von den Bädern in Pisa zurückkehrte und über Bologna fuhr.

Ich erzählte dem edlen Polen meinen kleinen Streit mit dem verrückten Herrn und überredete ihn, in seinem Palazzo eine Visitenkarte mit Titel und Würden abzugeben. Der Gesandte hoffte einen Spaß zu erleben und folgte meinem Rate; Albergati erwiderte den Besuch, aber auf der Karte, die er zurückließ, war der Generalstitel verschwunden.

Die Kurfürstin-Witwe von Sachsen kam nach Bologna, und ich beeilte mich, ihr meine Aufwartung zu machen. Die Fürstin kam nur, um den berühmten Kastraten Farinello zu besuchen, der den Hof von Madrid verlassen hatte, um in Ruhe und Reichtum in Bologna zu leben. Er gab der Kurfürstin ein prachtvolles Frühstück und sang eine von ihm selbst komponierte Arie zu eigenhändiger Klavierbegleitung. Die Kurfürstin, eine begeisterte Musikfreundin, umarmte den Kastraten und rief: »Jetzt kann ich ruhig sterben!«

Farinello, genannt Ritter Don Carlo Broschi, hatte sozusagen in Spanien regiert. Die Königin Elisabeth von Parma, Philipps des Fünften Gemahlin, hatte Kabalen angezettelt, wodurch Broschi genötigt wurde, den Hof zu verlassen, nachdem Encenade in Ungnade gefallen war. Beim Anblick eines Bildes der Königin, die von Amigoni in ganzer Figur dargestellt war, sprach die Kurfürstin einige Worte zu ihrem Lobe und erwähnte dabei eines Vorfalles, der sich unter der Herrschaft Ferdinands des Sechsten zugetragen hatte.

Der herrliche Sänger brach in Tränen aus, die er vergeblich zurückzuhalten suchte, und sagte, die Königin Barbara sei ebenso gut, wie Elisabeth von Parma böse gewesen sei.

Broschi mochte etwa siebzig Jahre alt gewesen sein, als ich ihn in Bologna sah. Er war sehr reich, erfreute sich einer guten Gesundheit und war trotzdem unglücklich, da er nichts zu tun hatte und sich stets unter Tränen nach seinem geliebten Spanien sehnte.

Der Ehrgeiz ist eine viel größere Leidenschaft als der Geiz.

Farinello war übrigens auch aus einem anderen Grunde unglücklich, der, wie man mir gesagt hat, die Ursache seines Todes wurde:

Er hatte einen Neffen, der einmal alle seine Reichtümer erben sollte. Er verheiratete diesen mit einem adeligen Fräulein aus Toskana und fühlte sich glücklich, in der Hoffnung daß dank seinem großen Vermögen sein Geschlecht einer adeligen Familie entsprießen würde, wenn auch erst in der zweiten Generation. Aber anstatt ihn glücklich zu machen, wurde diese Heirat ihm lediglich zur Qual; denn trotz seinem Alter und seiner Impotenz verliebte er sich unglücklicherweise in seine Nichte und war eifersüchtig auf seinen Neffen. Um sein Mißgeschick voll zu machen, war er dem Gegenstand seiner Wünsche ekelhaft; denn seine Nichte konnte nicht begreifen, wie ein altes Tier seiner Art hoffen konnte, einem Gatten vorgezogen zu werden, den sie liebte, und der doch ein wirklicher Mann war.

In seinem Zorn gegen die junge Frau hatte Farinello seinen Neffen auf Reisen geschickt, und da er von ihr nicht die geringste Gefälligkeit erlangen konnte, so tyrannisierte er sie und ließ sie nicht eine Minute aus den Augen.

Wenn ein Combabus eine Frau liebt, die ihn verachtet, so wird er zum Tiger.

Lord Lincoln kam mit einer Empfehlung an den Kardinal-Legaten nach Bologna, und der Prälat gab ihm ein Diner, zu dem auch ich die Ehre hatte, eingeladen zu werden. Er hatte das Vergnügen, sich zu überzeugen, daß ich noch niemals mit dem Engländer zusammengewesen war, daß also der Großherzog eine himmelschreiende Ungerechtigkeit begangen hatte, indem er mich ausweisen ließ.

Bei dieser Angelegenheit erfuhr ich aus dem Munde des Lords, wie man ihn in die Falle gelockt hatte; aber er sagte durchaus nicht, daß man ihn betrogen hätte.

Ein Engländer ist zu stolz, um einzugestehen, daß man ihn hat betrügen können.

Er versicherte mir, daß er aus eigenem Antriebe zu spielen aufgehört habe.

Der junge Lord starb drei oder vier Jahre später in London an den Folgen seiner Ausschweifungen.

In Bologna sah ich damals auch den Engländer Acton mit der schönen Slopitz, der Schwester der reizenden Callimene. Sie hatte von Acton zwei Kinder, die so schön waren wie Raffaelsche Engel.

Ich sprach mit ihr von ihrer Schwester, und an der Begeisterung, womit ich sie pries, merkte sie, daß ich sie geliebt hatte. Sie sagte mir, sie werde während des Karnevals 1775 in Florenz sein; ich habe sie erst im Jahre 1776 in Venedig gesehen und werde noch Gelegenheit haben, von ihr zu sprechen.

Die Nina, die verhängnisvolle Nina Bergonci, die dem Grafen Ricla den Kopf verdreht hatte und an allem Unglück schuld war, das mir in Bologna widerfahren war – Nina befand sich seit Beginn der Fastenzeit in Bologna und bewohnte ein schönes Haus, das sie gemietet hatte. Sie hatte einen unbegrenzten Kreditbrief bei einem Bankier, besaß Equipagen und zahlreiche Dienerschaft und behauptete, vom Generalkapitän Kataloniens schwanger zu sein. Daraufhin verlangte sie von den guten Bolognesen dieselben Ehren, die man etwa einer regierenden Fürstin erwiesen hätte, welche ihre Niederkunft dort abzuwarten gedächte. Sie war ganz besonders an den Kardinal-Legaten empfohlen, und dieser besuchte sie oft in tiefstem Inkognito.

Als die Zeit ihrer Niederkunft sich näherte, kam ein Vertrauensmann des Grafen Ricla, ein gewisser Don Martino mit einer Vollmacht des verrückten Spaniers, den die Spitzbübin seit so langer Zeit betrog, nach Bologna. Er hatte Auftrag, das Kind taufen zu lassen, und es als natürliches Kind des Grafen Ricla anzuerkennen.

Nina renommierte mit ihrer Schwangerschaft, zeigte sich im Theater und auf der Promenade mit einem ungeheuer dicken Leib und ließ sich rechts und links von den vornehmsten Bolognesern den Arm reichen. Diese machten ihr heldenmütig den Hof, und sie sagte ihnen oft, sie würde sie jederzeit empfangen, aber sie müßten auf ihrer Hut sein, denn sie könnte nicht dafür bürgen, daß Graf Ricla in seiner unduldsamen Eifersucht sie nicht durch einen Dolchstoß aus der Welt schaffen ließe. Sie erzählte ihnen in schamloser Weise, wie es mir in Barcelona ergangen wäre.

Sie wußte nicht, daß ich damals in Bologna war und war sehr überrascht, als Graf Zini, der mich kannte, ihr sagte, daß ich mich in derselben Stadt aufhielte.

Graf Zini begegnete mir eines Nachts auf der Promenade der Montagnola, redete mich an und fragte mich, ob die Geschichte von Barcelona, wie Nina sie erzählte, wahr wäre.

Da ich keine Lust hatte, den Grafen Zini ins Vertrauen zu ziehen, so sagte ich ihm, die Erzählung der Nina, die ich gar nicht kenne, sei ein Märchen, das sie ohne Zweifel nur vorgebracht habe, um zu sehen, ob er den Mut haben würde, ihr einen großen Beweis seiner Liebe zu geben und sein Leben einer großen Gefahr auszusetzen. Dem Kardinal gegenüber verhielt ich mich anders: als er mir diese Geschichte erzählte, die er von der hinterlistigen Nina selbst gehört hatte, gestand ich ihm alles, was in Barcelona vorgefallen war. Seine Eminenz war sehr erstaunt, als ich ihm alle Ausschweifungen des schamlosen Weibes schilderte und ihm sagte, daß sie die Tochter ihrer Schwester und ihres Großvaters sei.

»Ich wette,« sagte ich zu ihm, »diese schamlose Nina ist so wenig schwanger wie Eure Eminenz.«

»O! Das wäre aber doch ein bißchen zu stark!« versetzte der Legat, laut auflachend, »warum wollen Sie sie denn nicht für schwanger halten? Es wäre doch nichts natürlicher; denn sie ist ein famoses Weib. Es ist wohl möglich, daß sie nicht von Ricla schwanger ist; aber schwanger ist sie, und zwar steht sie vor ihrer Niederkunft. Es kann gar nicht anders sein; denn, zum Donnerwetter, sie muß ja doch ein Kind kriegen!«

»Ja, wenn sie schwanger ist.«

»Aber ich sehe nicht, welche Notwendigkeit für sie vorliegt, sich schwanger zu stellen.«

»Keine andere, gnädiger Herr, als der Wunsch, sich berühmt zu machen, indem sie den Grafen Ricla bloßstellt, der ein Muster von Gerechtigkeit und Tugend war, bevor er diese Messalina kennen lernte. Wenn Eure Eminenz den abscheulichen Charakter der Nina kennten, würden Sie alles ganz einfach finden.«

»Nun, wir werden ja sehen.«

»Allerdings.«

Acht Tage nach diesem Gespräch, hörte ich eines Morgens gegen elf Uhr einen lauten Lärm auf der Straße. Ich sah zum Fenster hinaus und erblickte eine bis zum Gürtel herunter nackte Frau, die auf einem Esel festgebunden war und vom Henker mit Ruten gepeitscht wurde. Sie war von vielen Sbirren umringt, und es folgten ihr alle Birichini von Bologna und freuten sich mit unendlichem Gebrüll des schönen Festes. Severini, der im selben Augenblick bei mir eintrat, sagte mir, die so schlecht behandelte unglückliche Frau sei die berühmteste Hebamme von Bologna; die Exekution finde auf Befehl des Kardinals statt; den Grund wisse man noch nicht, werde ihn aber bald erfahren.

»Eine solche Strafe«, sagte ich zu ihm, »kann nur wegen irgendeines großen Verbrechens stattfinden.«

»Ganz gewiß. Es ist dieselbe Hebamme, die vorgestern die Nina entbunden hat.«

»Wie? Nina ist wirklich entbunden?«

»Ja, aber von einem toten Kinde.«

»Aha! Ich verstehe.«

Am nächsten Morgen erfuhr die ganze Stadt folgendes:

Eine arme Frau war zum Erzbischof gekommen und hatte sich bitterlich beklagt, daß die Hebamme Teresa sie verführt habe. Sie habe ihr zwanzig Zechinen versprochen, wenn sie ihr einen schönen Knaben überlassen wolle, den sie vor vierzehn Tagen zur Welt gebracht habe. Sie hatte die versprochene Summe nicht erhalten, und voller Verzweiflung, an dem Tode ihres Kindes schuld zu sein, verlangte sie Gerechtigkeit und erbot sich zu beweisen, daß das tote Kind, das die Nina geboren haben sollte, dasselbe wäre, das sie der niederträchtigen Teresa anvertraut hätte.

Der Erzbischof befahl seinem Kanzler, im größten Geheimnis den Tatbestand festzustellen, und ließ die Verbrecherin nach summarischem Urteil sofort bestrafen gemäß der lex Valeria, quae punire permittit deinde scribere.

Acht Tage nach diesem Skandal reiste Don Martino nach Barcelona zurück; die schamlose Nina ließ sich die ganze Sache nicht anfechten: sie ließ ihre Bedienten doppelt so große Kokarden tragen und machte bekannt, daß Spanien sie für die verleumderische Beleidigung rächen werde, die der Kardinal-Erzbischof ihr angetan habe. Sie blieb noch sechs Wochen in Bologna, angeblich krank, um ihre Rolle als Kindsbetterin durchzuführen. Der Kardinal-Legat schämte sich, daß er eine solche schamlose Vettel hatte begünstigen können, und ergriff im geheimen alle erforderlichen Maßnahmen, um sie zur Abreise zu zwingen.

Graf Ricla wurde bis zum letzten Augenblick von seiner Leidenschaft beherrscht; er setzte der Nina ein beträchtliches Jahrgeld aus, unter der Bedingung, daß sie sich niemals wieder in Barcelona sehen ließe.

Einige Monate später wurde er zum Kriegsminister ernannt; er starb aber schon nach einem Jahre.

Nina überlebte ihn nur um ein Jahr; sie starb an den Folgen ihrer Ausschweifungen im tiefsten Elend.

Ihre Mutter und Schwester, die ich später in Venedig traf, erzählte mir die Geschichte der beiden letzten Lebensjahre ihrer Tochter; diese Geschichte ist jedoch so traurig und ekelhaft, daß ich mich für verpflichtet halte, meine künftigen Leser damit zu verschonen.

Der schrecklichen Hebamme fehlte es übrigens nicht an Beschützern.

Es erschien eine Flugschrift, deren Verfasser ebensowenig wie ihr Drucker entdeckt werden konnte; in dieser wurde behauptet, der Kardinal-Erzbischof verdiene Strafe, weil er eine Bürgerin unter Verletzung aller Formen des Kriminalprozesses zur schimpflichsten Strafe verurteilt habe. Infolgedessen sei die Frau, selbst wenn man ihre Schuld zugeben wolle, ungerecht verurteilt worden; sie könne in Rom Berufung einlegen und vom Erzbischof eine sehr bedeutende Entschädigung verlangen.

Der Prälat fühlte die volle Berechtigung der in dieser Schrift gegen ihn erhobenen Beschwerden; aber er ließ eine Erklärung in Umlauf setzen, worin er sagte: die Hebamme, die er nur mit Rutenstreichen hätte bestrafen lassen, würde vom Gericht dreimal zum Galgen verurteilt worden sein; ihn hätte jedoch die Rücksicht auf die Ehre dreier erlauchter Bologneser Familien davon abgehalten, ihre Verbrechen bekannt werden zu lassen, die durch ein vollständiges Gerichtsverfahren mit aller Bestimmtheit festgestellt worden wären; die Akten darüber befänden sich in seiner Kanzlei.

Es handelte sich um gewaltsame Abtreibungen, an denen die schuldigen Mütter gestorben waren. Lebende Kinder waren totgeborenen untergeschoben; ein Knabe war für ein Mädchen untergeschoben und befand sich jetzt sehr ungerechterweise im Besitz des gesamten Familienvermögens.

Diese Erklärung brachte alle Beschützer der niederträchtigen Hebamme zum Schweigen; denn mehrere junge Herren, deren Mütter von ihr entbunden worden waren, fürchteten Geheimnisse zu entdecken, die sie in eine peinliche Lage gebracht haben würden.

Ich sah in Bologna die Tänzerin Marcucci, die kurze Zeit nach meiner Abreise aus Spanien ebenfalls ausgewiesen worden war, und zwar aus demselben Grunde wie die Pelliccia. Diese hatte sich in Rom niedergelassen. Die Marcucci begab sich nach ihrer Vaterstadt Lucca, um dort fortan in Reichtum zu leben.

Ich hatte die Tänzerin Soavi von Bologna in Parma gekannt, als ich dort mit meiner Henriette glücklich lebte: später in Paris, wo sie Tänzerin bei der Oper war, und von einem vornehmen Russen unterhalten wurde; und schließlich in Venedig, wo sie die Geliebte des Herrn von Marcello war. Während ich mich in Bologna aufhielt, ließ sie sich dort mit ihrer elfjährigen Tochter nieder, die sie von Herrn von Marygny hatte. Diese Tochter, Adelaida genannt, war von seltener Schönheit und besaß alle Reize und Talente, die bei einer glücklichen Anlage die sorgfältigste Erziehung zu entfalten vermag.

In Bologna fand die Soavi ihren Mann vor, den sie seit fünfzehn Jahren nicht gesehen hatte.

»Sieh!« sagte sie zu ihm, indem sie ihm ihre Tochter zuführte; »ich schenke dir diesen Schatz.«

»Sie ist ein hübsches Mädchen, liebe Frau; aber was soll ich mit ihr anfangen? Sie gehört mir ja nicht.«

»Sie gehört dir; denn ich schenke sie dir. Sie hat sechstausend Franken Rente, und ich bin ihre Kassiererin bis zu dem Tage, wo ich sie mit einem guten Tänzer verheiraten werde; denn ich wünsche, daß sie den Charaktertanz lernt und daß die Welt sie auf der Bühne sieht. An Sonn- und Feiertagen wirst du mit ihr spazieren gehen.«

»Und wenn man mich fragt, wer sie ist?«

»Dann sagst du, sie sei deine Tochter, und du seiest dessen gewiß, denn deine Frau habe sie dir geschenkt.«

»Das alles verstehe ich nicht.«

»Das kommt davon, mein lieber Freund, daß du ein großer Ignorant bist, weil du niemals auf Reisen warst.«

Ich war bei diesem eigentümlichen Zwiegespräch zugegen und mußte herzlich darüber lachen, wie ich noch jetzt beim Niederschreiben darüber gelacht habe.

Ich war von diesem wirklich köstlichen Juwel ganz entzückt und bot der Mutter an, die Talente des schönen Kindes zu vermehren; aber die Soavi antwortete mir lächelnd: »Fuchs, du hast in deinem Leben zu viel Hühnchen verspeist, als daß ich dir dieses anvertrauen möchte; ich müßte befürchten, daß du die Talente meines Kindes zu früh entwickeltest.«

»Das war nicht meine Absicht; aber du hast recht.«

Adelaida wurde von ganz Bologna wie ein Wunder angestaunt.

Ein Jahr nach meiner Abreise kam der Graf Dubarry, der Schwager der berüchtigten Geliebten Ludwig des Fünfzehnten, auf der Durchreise nach Bologna. Er verliebte sich so leidenschaftlich in Adelaida, daß ihre Mutter sie aus der Stadt entfernte, weil sie befürchtete, daß er sie entführen würde.

Dubarry bot ihr hunderttausend Franken; sie schlug sie aus.

Fünf Jahre später sah ich Adelaida in Venedig auf der Bühne wieder. Als ich sie aufsuchte, um ihr mein Kompliment zu machen, benutzte das reizende Mädchen einen unbewachten Augenblick, um mir zu sagen: »Meine Mutter, die mich zur Welt gebracht hat, will mich auch aus der Welt schaffen; denn ich fühle, daß das Tanzen mich tötet.«

Diese schöne Blume welkte wirklich dahin. Adelaida übte nur sieben Jahre lang den anstrengenden Beruf aus, den sie auf Verlangen ihrer Mutter hatte ergreifen müssen.

Die Soavi war nicht so vorsichtig gewesen, die Jahresrente von sechstausend Franken, die der Vater ausgesetzt hatte, nicht nur auf Adelaida, sondern auch auf sich selber übertragen zu lassen. Mit dem Tode ihrer Tochter verlor sie alles; sie starb in bitterer Armut, nachdem sie sich im Golde gewälzt hatte. Leider bin ich nicht berechtigt, ihr Vorwürfe zu machen.

Ich sah in Bologna den berüchtigten Afflisio, der aus dem kaiserlichen Dienst ausgestoßen worden war. Er war Theaterdirektor geworden. Von Stufe zu Stufe sinkend beging er, fünf oder sechs Jahre später, Fälschungen, die ihn auf die Galeren brachten. Dort ist er gestorben. «

Meine besondere Teilnahme erregte in Bologna ein Mann, der einer hohen Familie entstammte und als Erbe großen Reichtums geboren war. Es war der Graf Filomarino. Er befand sich im tiefsten Elend und war infolge von Geschlechtskrankheiten an allen Gliedern gelähmt. Ich besuchte ihn ziemlich oft, um ihm ein paar Geldstücke zuzustecken und das menschliche Herz zu studieren, indem ich seine boshafte Zunge, das einzige Glied, das die Pest verschont hatte, ihre Bemerkungen machen ließ.

Der Mann war ein Schurke und ein Verleumder. Er war wütend, daß er nicht imstande war, nach Neapel zu gehen und seine Verwandten umzubringen. Diese waren sehr ehrenwerte Leute, aber in seinen Augen Ungeheuer.

Die Tänzerin Sabbattini kehrte nach Bologna zurück; sie war reich genug, um auf ihren Lorbeeren ausruhen zu können, und gab all ihr Hab und Gut einem Professor der Anatomie, der sie heiratete. Ich fand bei ihr ihre Schwester, die weder talentvoll noch reich, aber sehr angenehm war.

Bei ihr lernte ich einen Abbate kennen, dessen schönes Gesicht die Aufmerksamkeit dieser Schwester gefesselt hatte; er war ein Muster von Bescheidenheit und schien ihre Liebe nur aus Dankbarkeit zu erwidern.

Als ich irgendeine Bemerkung an diesen bescheidenen Adonis richtete, antwortete er mir sehr verständig, aber in jenem Tone des Zweifels, der immer einen guten Eindruck macht.

Da wir uns zusammen entfernten, gingen wir ein Stück Weges miteinander. Im Laufe des Gespräches erzählten wir uns gegenseitig, woher wir stammten und was uns in Bologna interessierte. Beim Abschied versprachen wir uns, uns wiederzusehen.

Dieser Abbate, der vierundzwanzig oder fünfundzwanzig Jahre alt war, hatte noch nicht die Priesterweihe empfangen; er war der einzige Sohn einer adligen Familie in Novara, die unglücklicherweise nicht reich war.

Da er nur ein schmales Einkommen hatte, so lebte er bequemer in Bologna als in Novara, wo die Lebensmittel teurer sind. Außerdem langweilte ihn dort alles, seine Verwandten waren ihm lästig, und es herrschte dort eine allgemeine Unwissenheit.

Der Abbate von Bollini, so hieß er, war von ruhigem Geist, er liebte den Frieden und die Freiheit; alles andere interessierte ihn nur in sehr bescheidenem Maße. Er liebte die wissenschaftlich Gebildeten mehr als die Wissenschaften selber und machte keinen Anspruch darauf, für einen Mann von Geist zu gelten. Es genügte ihm, daß er nicht dumm war und daß die Gelehrten, mit denen er zuweilen zusammenkam, ihn nicht für unwissend hielten; denn er besaß die Gabe des Zuhörens.

Bollini war nicht nur der Verhältnisse wegen, sondern auch seiner Naturanlage nach ein Mann von mäßigen Gewohnheiten. Er suchte keinen Ruhm darin, Freigeist zu sein; denn er sprach niemals über Religion; er war infolge seiner Erziehung ein guter Christ, aber er nahm keinen Anstoß an einem freien Wort. Da er gutmütig war, so war er nicht eben zur Kritik geneigt, die ja fast immer boshaft ist; er lobte selten und tadelte niemals.

In bezug auf die Weiber war er fast völlig gleichgültig; er vermied die Häßlichen und Langweiligen, ließ aber solche, die er hübsch fand, nicht lange schmachten, wenn sie sich in ihn verliebten. Er war aber mehr aus Dankbarkeit gefällig, niemals aus Liebe; denn er war so veranlagt, daß nach seiner Meinung die Frauen das Glück des Lebens eher verminderten als vermehrten.

Diese Charakteranlage interessierte mich ganz besonders an dem jungen Manne.

Wir verkehrten ungefähr seit drei Wochen miteinander, als wir eines Tages uns über seine Ansichten über das schönere Geschlecht unterhielten. Ich nahm mir die Freiheit, ihn zu fragen, wie er diese mit seinem Verhältnis zu Fräulein Brigida Sabbattini vereinbaren könne.

Er speiste jeden Abend bei mir, und sie kam jeden Morgen zu ihm, um mit ihm zu frühstücken. Wenn ich ihn besuchte, fand ich entweder das Fräulein schon bei ihm, oder sie kam jedenfalls sehr bald. Sie war stets zufrieden und anständig, aber man merkte ihr ihre Liebe an jedem Blick, an jeder Bewegung an; dagegen entdeckte ich bei dem Abbate nur Gefälligkeit und eine gewisse Verlegenheit, die sich trotz aller seiner Höflichkeit nicht verbergen ließ. Brigida war zwar noch recht hübsch, aber mindestens zehn Jahre älter als der Abbate. Sie behandelte mich mit großer Zuvorkommenheit; sie wollte mich nicht in sie verliebt machen, wohl aber mich überzeugen, daß der Abbate glücklich war, wenn er ihr Herz besaß, und daß sie der Erwiderung würdig war.

Als ich eines Tages mit dem Freimut, den eine Flasche guten Weines einem teilnehmenden Freunde gegenüber einflößt, beim Nachtisch Bollini nach der Art seines Verhältnisses zu Brigida fragte, da lächelte, seufzte, errötete er, schlug die Augen nieder und sagte mir, dieses Verhältnis sei das Unglück seines Lebens.

»Das Unglück Ihres Lebens? Läßt sie Sie etwa vergebens schmachten? Dann müssen Sie sie verlassen, damit Sie Ihr Glück wiederfinden.«

»Ich kann nicht vergeblich schmachten, denn ich bin nicht in sie verliebt. Sie aber ist in mich verliebt, gibt mir alle Beweise davon und bedroht meine Freiheit.«

»Wieso?«

»Sie verlangt, daß ich sie heirate. Aus Schwäche und aus Mitleid habe ich es ihr versprochen, und nun drängt sie mich.«

»Das glaube ich; so machen es alle alten Mädchen.«

»Jeden Abend gibt es Bitten, Tränen, Verzweiflungsszenen. Sie fordert mich auf, ihr mein Versprechen zu halten, und beschuldigt mich, sie zu betrügen. Sie werden begreifen, wie bitter meine Laqe ist.«

»Sind Sie ihr gegenüber Verpflichtungen eingegangen?«

»Keine. Sie hat mich sozusagen genotzüchtigt; denn sie kam mir aufs äußerste entgegen. Sie besitzt kein Vermögen, denn sie hat nur, was ihre Schwester ihr von heute auf morgen gibt; und sobald sie verheiratet wäre, würde sie ihr nichts mehr geben.«

»Haben Sie ihr ein Kind gemacht?«

»Davor habe ich mich wohl gehütet, und eben darüber ist sie empört; sie nennt meine Vorsichtsmaßregeln einen Verrat, den sie verabscheut.«

»Sie gedenken sie aber doch wohl früher oder später zu heiraten?«

»Ich fühle, daß ich mich dazu werde niemals entschließen können. Ebensogut könnte ich mich aufhängen. Durch diese Heirat würde ich mindestens viermal so arm werden, als ich jetzt bin, und ich würde mich höchst lächerlich machen, wenn ich eine Gattin von ihrem Alter nach Novara brächte – eine Gattin, die zwar anständig, aber weder adlig noch reich ist; in Novara aber verlangt man wenigstens Reichtum, wenn schon keine vornehme Abkunft vorhanden ist.«

»Als vernünftiger Mann und noch mehr als ehrlicher Mann müssen Sie mit ihr brechen, und zwar lieber heute als morgen.«

»Ich fühle es, aber was soll ich tun? Mir fehlt die moralische Kraft dazu. Wenn ich heute Abend nicht zu ihr zum Essen ginge, würde sie unfehlbar zu mir kommen, um zu sehen, was ich mache. Sie werden begreifen, daß ich nicht meine Tür vor ihr verschließen und daß ich sie nicht hinauswerfen kann.«

»Das sehe ich ein; aber Sie werden ebenfalls begreifen, daß Sie nicht in einem solchen Zustande von Aufregung leben können. Sie müssen einen Entschluß fassen und dieses Liebesverhältnis lösen, wie Alexander den gordischen Knoten zerhieb.«

»Ich habe nicht sein Schwert.«

»Ich werde es Ihnen leihen.«

»Wieso?«

»Hören Sie zu: Sie müssen, ohne ihr etwas davon zu sagen, sich nach einer anderen Stadt begeben. Sie wird doch nicht so verrückt sein, Sie von dort zurückholen zu wollen!«

»Dies wäre das beste Mittel; aber die Flucht ist außerordentlich schwierig.«

»Schwierig? Sie scherzen. Sie brauchen mir nur zu versprechen, alles zu tun, was ich Ihnen sagen werde, und ich werde dafür sorgen, daß Sie in aller Bequemlichkeit abreisen können. Sie wird Ihre Abreise erst erfahren, wenn Sie nicht zum Abendessen kommen und sie sich infolgedessen erkundigt, was Sie zurückgehalten hat.«

»Ich werde alles tun, was Sie mir sagen, Sie leisten mir einen Dienst, den ich niemals vergessen werde. Aber der Schmerz wird sie wahnsinnig machen.«

»Vor allen Dingen verbiete ich Ihnen, an ihren Schmerz zu denken. Sie haben weiter nichts zu tun als an nichts zu denken und mir die Sorge für alles zu überlassen. Wollen Sie morgen abreisen?«

»Morgen?«

»Ja! Haben Sie Schulden?«

»Nein.«

»Wollen Sie Geld?«

»Auch nicht; ich habe zur Genüge. Aber der Gedanke, daß ich morgen abreisen soll, kommt mir komisch vor. Ich brauche mindestens drei Tage.«

»Wozu?«

»Ich erwarte übermorgen Briefe, und ich muß meinen Verwandten schreiben, wo ich mich befinde.«

»Ich werde Ihre Briefe in Empfang nehmen und sie Ihnen an den Ort nachsenden, wohin Sie gehen.«

»Und wohin wird das sein?«

»Das werde ich Ihnen im Augenblick Ihrer Abreise sagen. Vertrauen Sie sich nur an. Ich werde Sie nach einer Stadt schicken, wo Sie sich wohlbefinden werden. Sie brauchen weiter nichts zu tun, als daß Sie Ihren Koffer Ihrem Wirt hinterlassen und ihm befehlen, daß er ihn nur an mich ausliefern soll.«

»Es soll so geschehen. Sie wollen also, daß ich ohne meinen Koffer abreise?«

»Ja. Meinetwegen bleiben Sie noch drei Tage hier, aber kommen Sie jeden Tag zu mir zum Mittagessen. Vor allen Dingen hüten Sie sich, irgendeinem Menschen zu sagen, daß Sie abreisen.«

»Ich werde mich selbstverständlich sehr in acht nehmen.«

Der junge Mann strahlte vor Freude. Ich umarmte ihn und dankte ihm dafür, daß er mir sein Geheimnis mitgeteilt hatte und daß er mir solches Vertrauen bezeigte.

Ich war ganz stolz darauf, solch ein gutes Werk tun zu können, und lachte bereits vorher über den Zorn, womit die arme Brigida nach der Flucht ihres Liebhabers gegen mich losziehen würde. Ich schrieb dem guten Herrn Dandolo, daß in fünf oder sechs Tagen ein junger Abbate aus Novara mit einem Brief von mir sich bei ihm vorstellen würde, und bat ihn, ihm so billig wie möglich ein Zimmer und eine anständige Pension zu besorgen, weil der junge Edelmann, der einen tadellosen Lebenswandel führe, leider nicht reich sei. Hierauf schrieb ich den Brief, den der Abbate überbringen sollte.

Am nächsten Tage sagte Bollini mir, Brigida habe gar keine Ahnung von seiner Absicht; denn in seiner Freude über die bevorstehende Befreiung sei er sehr gut aufgelegt gewesen und habe sie in der mit ihr verbrachten Nacht nach ihrer Herzenslust befriedigt; sie glaube daher, er sei jetzt in sie ebenso verliebt wie sie in ihn. Zwar habe sie seine ganze Wäsche in Verwahrung, er hoffe jedoch unter irgendeinem Vorwande einen guten Teil derselben herausbekommen zu können, und den Rest wolle er gerne opfern.

Am festgesetzten Tage kam er zur festgesetzten Stunde zu mir; eine große Reisetasche enthielt die Sachen, deren er während der fünf oder sechs Tage bis zum Eintreffen seines Koffers bedurfte. Ich fuhr mit ihm in der Post nach Modena, wo wir in bester Freundschaft miteinander zu Mittag aßen; hierauf gab ich ihm meinen Brief für Herrn Dandolo und sagte ihm, ich würde seinen Koffer gleich am nächsten Tage an dessen Adresse nachschicken.

Er war sehr angenehm überrascht, als er erfuhr, daß er in Venedig wohnen sollte, das er schon seit langer Zeit kennen zu lernen wünschte, und als ich ihm versicherte, der Edelmann, an den ich ihn empfehle, würde dafür sorgen, daß er in Venedig ebenso billig lebte wie in Bologna.

Nachdem ich ihn nach Finale hatte abreisen sehen, fuhr ich nach Bologna zurück; ich ließ seinen Koffer abholen und sandte ihm diesen gleich am nächsten Tage.

Wie ich erwartet hatte, erschien am nächsten Tage die arme Verlassene ganz in Tränen aufgelöst in meiner Wohnung. Ich hielt mich für verpflichtet, ihr mein Mitleid zu bezeigen, und es wäre grausam gewesen, wenn ich mich hätte stellen wollen, als ob die Ursache ihrer Verzweiflung mir unbekannt wäre. Ich hielt ihr in aller Güte eine ernstliche Strafpredigt und suchte ihr begreiflich zu machen, daß ich allerdings sie selber nur beklagen könne, daß ich aber meinen Freund nicht im Stich lassen und daß ich nicht zusehen dürfe, wie er sich zugrunde richte, indem er sie heirate; denn wenn er diesen tollen Streich beginge, so würde er sich in das entsetzlichste Elend stürzen, und sie selber nach sich ziehen.

Das arme Mädchen warf sich unter strömenden Tränen mir zu Füßen und flehte mich an, ich möchte doch ihren lieben Abbate zurückkommen lassen; sie versprach mir bei allen Heiligen, sie würde niemals wieder ein Wort vom Heiraten zu ihm sagen. Um sie zu beruhigen, sagte ich ihr, ich würde mein möglichstes tun, um ihn dazu zu veranlassen.

Sie wollte wissen, wohin er gegangen sei, und ich sagte ihr, er sei in Venedig, was sie natürlich nicht glaubte. Es gibt Fälle, wo ein geschickter Mensch die Wahrheit sagen muß, um irre zu führen; gegen eine solche Lüge kann die strengste Moral nichts einzuwenden haben.

Siebenundzwanzig Monate später sah ich Bollini in meiner Heimat. Ich werde von ihm sprechen, wenn wir so weit sind.

Wenige Tage nach der Abreise dieses Freundes machte ich die Bekanntschaft der schönen Viscioletta; ich wurde so verliebt in sie, daß ich mich entschließen mußte, den Genuß mit schönem klingendem Golde zu bezahlen, da ich nicht lange schmachten wollte. Die Zeit, wo ich Frauen in mich verliebt gemacht hatte, war vorüber; ich mußte entweder auf sie verzichten oder mir ihre Gefälligkeit erkaufen. Damals zwang die Natur mich, diesen letzteren Entschluß zu ergreifen, den ich aus Liebe zum Leben heute zurückweisen würde, selbst wenn ich dieses Mittel anwenden könnte.

Der traurige Sieg, den ich davontrug, nötigt mich am Schlusse meiner Lebenslaufbahn meinen Nachfolgern alles zu verzeihen und über diejenigen zu lachen, die mich um Rat fraqen, denn ich weiß im voraus, daß die meisten ihn nicht befolgen würden. Gerade weil ich dies weiß, gebe ich meinen Rat mit größerem Vergnügen, als wenn ich sicher wäre, daß man ihn befolgen würde; denn der Mensch ist ein Tier, das nur durch eigene Erfahrung klug werden kann, und Erfahrung gewinnt man für gewöhnlich nur dadurch, daß man im sogenannten Leben schmerzhafte Stöße und Püffe davonträgt. Weil dies nun einmal so sein muß, wird die Menschheit stets in Unordnung und Unwissenheit dahinleben; denn die Weisen bilden eine unendlich kleine Minderheit.

Die Viscioletta, die ich jeden Tag besuchte, machte mich mit dem Mitglied des Vierzigerrats Doria bekannt, der für ein wenig verrückt galt. Sie behandelte mich wie die Florentiner Witwe; aber diese verlangte von mir Gefühle der Ehrfurcht, die ich mir der Viscioletta gegenüber ersparte; denn schließlich war sie doch nur eine gewerbsmäßige Kurtisane, wenn sie sich auch Künstlerin nannte.

Seit drei Wochen schmeichelte ich um sie herum, ohne in meinen Belagerungsarbeiten große Fortschritte zu machen; denn ich wurde lachend zurückgewiesen, wenn ich kleinere Angriffe versuchte.

Der Vizelegat, Monsignore Buoncompagni, war ihr geheimer Liebhaber; zwar wußte es die ganze Stadt; aber in Italien schließt eine solche Öffentlichkeit nicht aus, daß nach außen hin das Geheimnis gewahrt bleibt. Er konnte ihr seines geistlichen Charakters wegen nicht öffentlich den Hof machen, aber die Spitzbübin machte mir kein Geheimnis daraus.

Da ich Geld brauchte und lieber meinen Wagen hergeben wollte als andere Gegenstände, an denen mein Herz hing, so bot ich ihn zum Preise von dreihundertundfünfzig römischen Talern zum Verkauf aus. Der Wagen war schön und bequem und war diesen Preis wert. Der Besitzer der Remise kam zu mir und sagte mir, der Vizelegat biete dreihundert Taler dafür. Es machte mir ein wahres Vergnügen, den Prälaten, der mein glücklicher Nebenbuhler war, ein wenig zu ärgern. Ich antwortete: es sei nicht meine Gewohnheit, zu feilschen, ich habe meinen Preis genannt und werde nichts davon ablassen.

Gegen Mittag ging ich nach der Remise, um einmal nachzusehen, ob der Wagen in gutem Zustande sei. Ich fand dort den Vizelegaten, der mich kannte, weil wir uns beim Kardinallegaten getroffen hatten; es konnte ihm nicht unbekannt sein, daß ich in seinem Gehege jagte. Er sagte mir in wenig höflichem Ton, mein Wagen sei nicht mehr als dreihundert Taler wert; er verstehe das besser als ich, ich müsse die Gelegenheit benützen, den Wagen herzugeben, denn er sei zu schön für mich.

Es gelang mir, mich zu beherrschen und mich über seinen Ton und seine Worte hinwegzusetzen; ich sagte ihm stolz und kurz, ich lasse nichts ab, drehte ihm den Rücken und ließ ihn stehen.

Am nächsten Tage schrieb die Viscioletta mir: wenn ich dem Vizelegaten meinen Wagen zu dem angebotenen Preise gäbe, würde ich ihr ein großes Vergnügen machen, denn sie sei überzeugt, daß er ihn ihr schenken werde. Ich antwortete ihr, ich würde sie im Laufe des Nachmittags besuchen, und es hinge von ihr ab, mich zu allem zu bestimmen, was sie wünschte. Nach einer kurzen, aber ziemlich lebhaften Unterhaltung überließ sie sich meinem Willen, und ich schrieb ihr ein Briefchen, worin ich erklärte, daß ich ihr den Wagen zu dem vom Vizelegaten gebotenen Preise ließe. Schon am nächsten Tage war sie im Besitz des erwarteten Geschenkes; ich hatte meine dreihundert römische Taler und die Genugtuung, daß der unhöfliche Prälat mit gutem Grunde annehmen konnte, ich hätte mich für seinen dummen Stolz zu rächen gewußt.

Um diese Zeit herum gelang es Severini, eine vorteilhafte Stellung in einer vornehmen neapolitanischen Familie als Hofmeister des jungen Sohnes zu erhalten; er verließ Bologna, sobald er das Reisegeld erhalten hatte, und ich dachte ebenfalls daran, die Stadt zu verlassen.

Herr Zaguri, der seit meinem Abenteuer mit dem Marchese Albergati einen sehr interessanten Briefwechsel mit mir unterhalten hatte, faßte den Plan, mir zur Rückkehr in die Heimat zu verhelfen; hierbei unterstützte ihn Herr Dandolo, dessen sehnlichster Wunsch dies war. Zaguri schrieb mir: um meine Begnadigung zu erlangen, müsse ich mich so nahe wie möglich an der venetianischen Grenze aufhalten, damit die Staatsinquisitoren imstande seien, sich von meiner guten Aufführung zu überzeugen. Der Bruder der Herzogin von Fiano, Herr Zuliani, der mich gern wieder in Venedig sehen wollte, unterstützte Zaguris Ratschläge und versprach mir, seinen ganzen Einfluß aufzubieten, um ein glückliches Gelingen herbeizuführen.

Da ich mir also ein anderes Asyl suchen mußte, das nahe an der Grenze der Republik liegen sollte, so entschied ich mich für Triest, denn ich hatte weder für Mantua noch für Ferrara eine große Vorliebe. Außerdem schrieb Herr Zaguri mir, er habe in Triest einen guten Freund, an welchen er mich empfehlen werde. Da ich nicht zu Lande reisen konnte, ohne das venetianische Gebiet zu berühren, so beschloß ich, mich nach Ancona zu begeben, von wo jeden Tag Schiffe nach Triest segeln. Da ich über Pesaro reisen mußte, bat ich meinen treuen Beschützer um einen Empfehlungsbrief an den ausgezeichneten Gelehrten Marchese Mosca, den ich gerne kennen lernen wollte. Er machte gerade damals viel von sich reden, da er eine Abhandlung über das Almosen veröffentlicht hatte, die vom römischen Hof auf den Index gesetzt worden war. Marchese Mosca war ein gelehrter und frommer Mann; er huldigte der Lehrmeinung des heiligen Augustinus, die, auf ihre äußersten Konsequenzen getrieben, die der sogenannten Jansenisten ist.

Ich verließ Bologna mit Bedauern, denn ich hatte dort acht köstliche Monate verbracht. Ich besaß eine ausgezeichnete Ausrüstung und kam am zweiten Tage meiner Reise bei bester Gesundheit in Pesaro an.

Ich ließ dem Marchese meinen Brief zustellen, über den er hocherfreut war; er suchte mich noch am selben Tage auf und sagte mir, sein Haus werde mir stets offen stehen, und er werde mich seiner Gemahlin übergeben, um mich mit dem ganzen Adel der Stadt bekannt zu machen und mir alle Sehenswürdigkeiten zu zeigen. Er endigte seinen kurzen Besuch mit der Bitte, am nächsten Tage im Kreise seiner Familie zu speisen. Er fügte hinzu, ich würde der einzige Fremde sein; wenn ich ihm am Vormittage einen Besuch in seiner Bibliothek machen wollte, so würden wir beide dort eine ausgezeichnete Schokolade trinken.

Ich kam der Einladung nach und hatte das Vergnügen, eine ungeheure Sammlung von Scholiasten zu sehen, die bis ins zwölfte Jahrhundert Erläuterungen zu allen lateinischen Dichtern, selbst zu solchen vor der Zeit des Ennius geschrieben hatten. Er hatte alle Erzeugnisse in seinem Hause und auf seine Kosten in vier großen Foliobänden drucken lassen. Die Ausgabe war genau und richtig, aber sie war nicht schön. Ich wagte ihm dies zu sagen, und er gab es zu.

Er hatte durch den Verzicht auf Schönheit eine Ausgabe von hunderttausend Franken erspart, aber ihm war dadurch ein Gewinn von dreihunderttausend entgangen.

Er schenkte mir ein Exemplar und schickte mir dieses in meinen Gasthof zugleich mit einem anderen ungeheuren Foliobande, betitelt Marmora Pesaurentina; ich hatte keine Zeit, diesen genauer zu prüfen; aber ich hätte daraus alles lernen können, was sich auf die Stadt Pesaro bezieht.

Bei Tische hatte ich große Freude an der Marchesa, in der ich eine ausgezeichnete Dame erkannte; sie hatte drei Töchter und zwei Söhne; alle waren hübsch und gut erzogen.

Die Marchesa Mosca besaß in höchstem Grade, was man Weltgewandtheit nennt, während ihr Gatte nur für Literatur Sinn hatte. Aus dieser verschiedenen Geschmacksrichtung entstand zuweilen ein Mißklang, der dem Glücke ihrer Ehe schadete; ein Fremder bemerkte jedoch nichts davon, und wenn man es mir nicht gesagt hätte, wäre ich gar nicht auf den Gedanken gekommen.

Vor fünfzig Jahren sagte ein weiser Mann zu mir: alle Familien haben in ihrem Innern etwas, das ihren Frieden stört. Die Klugheit derer, die an der Spitze der Familie stehen, hat dafür zu sorgen, daß dieses Elend nicht öffentlich wird; denn man muß es vermeiden, Anlaß zu boshaften Kommentaren zu geben und sich vom Publikum auspfeifen zu lassen, das stets unwissend und übelwollend ist. Das Sprichwort drückt diese Weisheit in dem Rate aus: Man soll seine schmutzige Wäsche nicht vor anderen Leuten waschen.

Frau von Mosca-Barzi widmete sich während den fünf Tagen, die ich in Pesaro verbrachte, ausschließlich mir. Sie fuhr mit mir in ihrer Kutsche nach allen ihren Landhäusern und stellte mich abends in den Gesellschaften dem ganzen Adel der Stadt vor.

Marchese Mosca mochte damals etwa fünfzig Jahre alt sein. Kalt von Natur, hatte er keine andere Leidenschaft als für das Studium, und seine Sitten waren rein. Er hatte eine Akademie gegründet, deren Vorsitz er sich selber vorbehalten hatte. Sein Wahrzeichen war eine Fliege in Anspielung auf seinen Namen Mosca oder Musca, mit. den Worten: de me ce; dies sollte heißen: wenn man von Musca das c wegnehme, so bleibe Musa.

Der ausgezeichnete Mensch hatte nur einen einzigen Fehler, den die Mönche als seine schönste Eigenschaft betrachteten: er war religiös bis zum Übermaß, und diese übertriebene Religiosität mußte ihn so weit führen, daß er nicht mehr das Rechte zu erkennen wußte.

Aber ist es weniger schlimm, wenn man über das Ziel hinausschießt, als wenn man es nicht erreicht? Diese Frage werde ich mir niemals zu entscheiden erlauben. Horaz hat gesagt: Nulla est mihi religio, aber er beginnt eine Ode mit einer Verdammung der Philosophie, die ihn von der Anbetung der Götter zurückhalte.

Jedes Zuviel ist von Übel.

Ich verließ Pesaro, ganz entzückt von der schönen Gesellschaft, die ich dort kennen gelernt hatte, und mit großem Bedauern, daß ich den Bruder des Marchese, von dem man allgemein mit Bewunderung sprach, nicht getroffen hatte.

Vierundzwanzigstes Kapitel


Ich nehme als Reisegefährten einen Juden von Ancona, namens Mardochai, der mich überredet, in seinem Hause Wohnung zu nehmen. – Ich verliebe mich in seine Tochter Lia. – Nach einem sechswöchentlichen Aufenthalt fahre ich nach Triest.

Erst in meinen Mußestunden während meines Aufenthalts in Ancona untersuchte ich Moscas Sammlung lateinischer Dichter; ich fand in ihnen weder die Priapeen, noch die Fescenninen, noch verschiedene andere Fragmente, die in mehreren Bibliotheken handschriftlich vorhanden sind.

Die Sammlung des Marchese war ohne Zweifel ein Zeugnis seiner Liebe zur Literatur; aber sie sprach nicht für seine Gelehrsamkeit, denn er selber hatte keine einzige Zeile dazu geschrieben, sondern sich darauf beschränkt, jedes Stück in strenger chronologischer Reihenfolge mitzuteilen. Ich hätte gerne kritische Anmerkungen, Glossen, erklärende Bemerkungen gehabt, denn dies sind eben die Dinge, die einer derartigen Sammlung Wert verleihen, aber von alledem fand ich nichts. Außerdem zeichnete die Ausgabe sich weder durch schöne Typen noch durch einen breiten Rand aus; das Papier war sehr gewöhnlich und der Druck unkorrekt. Dies sind Fehler, die man mit Recht durchaus nicht entschuldigt; besonders nicht in einem großen Werke, das sonst seiner Anlage nach klassisch gewesen wäre. Das Werk oder die Kompilation des Marchese Mosca fand daher denn auch keinen Beifall, und da er nicht reich war, so veranlaßten seine Ausgaben für dieses Unternehmen oftmals Mißhelligkeiten in seiner Ehe.

Ich las seine Abhandlung über das Almosen, und diese, sowie noch mehr seine Verteidigungsschrift zu derselben, gaben mir einen richtigen Begriff von der Literaturkenntnis, der Geistesrichtung und der Urteilsweise des Marchese. Es war leicht zu erkennen, daß alles von ihm Geschriebene in Rom mißfallen haben mußte, und daß er diese Klippe hätte vermeiden können, wenn er ein gesundes Urteil gehabt hätte. Der Marchese hatte allerdings recht; aber auf dem Gebiet der Theologie hat man nur recht, wenn Rom ja sagt; dieses Ja wird aber nur zugunsten derer ausgesprochen, die sich im Sinne der im Laufe der Zeit eingerissenen Mißbräuche erklären. Marchese Mosca war buchstabengläubig und sprach sich oft gegen den heiligen Augustinus aus, obwohl er stark jansenistisch angehaucht war.

Er leugnete zum Beispiel, daß man durch das Almosen die Strafe seiner Sünden abwenden könnte, und erkannte als verdienstlich nur ein solches Almosen an, wobei man buchstäblich die Vorschrift des Evangeliums befolgte: Laß deine Rechte nicht wissen, was deine Linke tut.

Er behauptete mit einem Wort: es sei eine Sünde, Almosen zu geben, wenn man es nicht ganz im stillen tue; denn sonst sei es unmöglich, daß sich keine Eitelkeit einmische.

Man hätte ihm einwenden können, daß das Almosen, abgesehen von dem positiven Vorteil für den Empfänger, sein moralisches Verdienst durch die Absicht des Gebers erhält; denn es kann sehr wohl vorkommen, daß ein ehrenwerter Mensch an öffentlichem Orte einem Unglücklichen ein Geldstück in die Hand drückt, ohne sich darum zu bekümmern, ob seine Handlung Zeugen hat oder nicht, sondern nur in der Absicht, Elend zu lindern, oder sogar in dem Wunsche, sich ein Verdienst vor Gott zu erwerben.

Da ich nach Triest wollte, so hätte ich die Adria überqueren sollen, indem ich mich in Pesaro auf einer Tartane einschiffte, die am selben Tage absegelte und die mich bei dem herrschenden günstigen Winde in zwölf Stunden ans Ziel gebracht haben würde. Natürlich hätte ich diesen Weg einschlagen sollen; denn, abgesehen davon, daß ich in Ancona nichts zu tun hatte, machte ich einen Umweg von hundert Miglien; aber ich hatte gesagt, ich würde nach Ancona gehen, und schon aus diesem Grunde hielt ich mich für verpflichtet, wirklich hinzugehen. Ich habe stets eine gute Beimischung von Aberglauben gehabt, und es ist mir heute klar, daß dieser einen ganz bedeutenden Einfluß auf die Wechselfälle meines seltsamen Lebenslaufes gehabt hat.

Ich begreife vollkommen, was der sogenannte Dämon des Sokrates war, der ihn selten antrieb, etwas Bestimmtes zu tun, ihn aber oft davon zurückhielt, einen Entschluß zu fassen. Ich habe mir daher wohl einbilden können, daß ich einen ähnlichen Genius hätte; aber ich war überzeugt, daß dieser Genius oder Dämon nur gut sein und nur mein Bestes wünschen könnte; darum nahm ich jedesmal meine Zuflucht zu ihm, wenn ich nicht wußte, wie ich mich entscheiden sollte. So oft eine geheime Stimme mir sagte, ich sollte mich eines Schrittes enthalten, wozu ich mich geneigt fühlte, tat ich, was mein Genius wollte, ohne ihn nach dem Grunde zu fragen.

Diese innere Stimme konnte nur eine Eingebung meines Dämons sein. Hundertmal in meinem Leben habe ich dies mit Dank angenommen, und oft habe ich mich innerlich darüber beklagt, daß er mich nur selten antrieb, etwas zu tun, wogegen meine Vernunft sprach. Meinem Dämon folgend, sah ich mich oft in der Lage, mir Glück zu wünschen, daß ich mich über meine Vernunft hinweggesetzt hatte. Diese Erkenntnis war jedoch für mich nicht demütigend, und sie hat mich niemals davon abgehalten, von meiner Vernunft nach besten Kräften Gebrauch zu machen.

In Sinigaglia, drei Poststationen vor Ancona, kam mein Fuhrmann zu mir, als ich mich gerade zu Bett legen wollte, und fragte mich, ob ich ihm gestatten wolle, einen Juden, der ebenfalls nach Ancona reise, in der Kalesche mitzunehmen.

In der ersten Aufwallung sagte ich ihm ärgerlich, ich wolle keinen Reisegefährten, und am allerwenigsten einen Juden.

Der Fuhrmann ging hinaus, aber ein unerklärliches Etwas rief mir zu: Du mußt diesen armen Israeliten mitnehmen! Trotz meinem Widerwillen, der mich veranlaßt hatte, zuerst nein zu sagen, rief ich den Fuhrmann zurück und sagte ihm, ich wolle den Mann mitnehmen.

»In diesem Falle, Signore, müssen Sie sich aber entschließen, früher abzufahren; denn morgen ist Freitag, und wie Sie wissen, darf ein Jude Freitags nur bis Sonnenuntergang reisen.«

»Ich werde nicht eine Minute früher abfahren als sonst, denn ich will mir um einen Menschen von dieser Rasse keine Unbequemlichkeiten machen; aber es steht Ihnen frei, Ihre Pferde schneller laufen zu lassen, denn Sie haben ja den Nutzen davon.«

Der Fuhrmann antwortete nicht und ging hinaus. Als wir am anderen Morgen im Wagen saßen, fragte mich mein Jude, der recht gut aussah, warum ich die Juden nicht liebte?

»Weil ihr auf Befehl eurer Religion die Feinde aller anderen Völker, besonders aber der Christen seid, und weil ihr ein verdienstliches Werk zu vollbringen glaubt, wenn ihr uns betrügen könnt. Ihr seht uns nicht als Brüder an. Ihr treibt den Wucher bis zum äußersten, wenn wir uns in der Zwangslage befinden, von euch Geld leihen zu müssen. Mit einem Wort: Ihr haßt uns, und darum liebe ich euch nicht.«

»Mein Herr, Sie befinden sich im Irrtum. Kommen Sie heute Abend mit mir in unsere Synagoge, und Sie werden uns alle im Chor für alle Christen beten hören, und zu allererst für unseren Landesherrn, den Papst.«

Ich mußte unwillkürlich laut auflachen und sagte: »Das ist wahr, aber das Gebet besteht durchaus nicht in einfachen Worten: das Herz muß beten, nicht der Mund. Wenn Sie mir nicht zugeben, daß die Juden in einem Lande, wo sie die Herren wären, nicht für die Christen beten würden, so werfe ich Sie aus dem Wagen!«

Natürlich erließ ich ihm die Antwort, aber um ihn vollends stumm zu machen, zitierte ich auf Hebräisch Stellen aus dem Alten Testament, worin den Juden befohlen wird, bei jeder sich bietenden Gelegenheit allen Nichtjuden, die sie jeden Tag in ihren Gebeten verfluchen, soviel wie möglich zu schaden.

Der arme Mann saß da mit geschlossenem Munde und sagte kein Wort mehr. Als wir an der Haltestelle angekommen waren, wo zu Mittag gegessen werden sollte, lud ich ihn ein, sich mit mir zu Tisch zu setzen; er antwortete mir jedoch, seine Religion verbiete es ihm, und er werde daher nichts anderes essen als Eier, Obst und Gänseleberwurst; letztere habe er bei sich. Er war so abergläubisch, daß er nur Wasser trank, weil er nicht sicher war, daß der Wein rein war.

»Sie dummer Mensch,« sagte ich zu ihm; »können Sie denn jemals sicher sein, daß der Wein rein ist, wenn Sie ihn nicht selber machen? Sie bauen ja doch aber keinen Wein!«

Als wir weiterfuhren, sagte er mir: wenn ich bei ihm wohnen und mich mit den Speisen begnügen wolle, die Gott nicht verboten habe, so werde er mir besseres und reicheres Essen geben, als ich es im Gasthof finden könne; ich werde bei ihm billiger aufgehoben sein und ein schönes Zimmer mit Aussicht auf das Meer ganz für mich allein haben.

»Sie vermieten also an Christen?«

»Ich vermiete an keinen Menschen; aber ich werde eine Ausnahme machen, um Sie von Ihrem Irrtum zu überzeugen. Sie zahlen mir nur sechs Paoli täglich und erhalten dafür gutes Mittag- und Abendessen, ohne den Wein.«

»Aber Sie müssen mir alle Fische zubereiten lassen, die ich gerne habe, und auf die ich vielleicht Lust bekomme. Selbstverständlich werde ich diese besonders bezahlen, wie auch den Wein.«

»Gern. Ich habe eine christliche Köchin, übrigens bekümmert auch meine Frau sich stets um die Küche.«

»Sie werden mir jeden Tag Gänseleber vorsetzen, aber unter der Bedingung, daß Sie in meiner Gegenwart mit davon essen.«

»Ich weiß, was Sie sich denken; indessen Ihre Wünsche sollen erfüllt werden.«

Ich stieg also wirklich bei diesem Juden ab. Ich fand die Sache höchst sonderbar, aber ich sagte mir, daß ich ja am nächsten Tage ausziehen könnte, wenn ich mich bei ihm nicht wohl fühlte.

Seine Frau und seine Kinder erwarteten ihn bereits und empfingen ihn mit großer Freude, um den Sabbat zu feiern. An diesem, dem Herrn gewidmeten Tage, ist jede Arbeit untersagt, und ich bemerkte mit Vergnügen etwas Festliches in ihren Gesichtern und in ihren Kleidern und eine gewisse fröhliche Sauberkeit im ganzen Hause.

Man empfing mich wie einen Bruder, und ich ging auf ihren Ton ein, so gut ich konnte.

Mardochai zeigte mir zwei Zimmer und bat mich, von diesen dasjenige auszuwählen, das mir am besten gefiele. Da ich beide nach meinem Geschmack fand, so sagte ich ihm, ich würde alle beide nehmen und dafür einen Paolo täglich mehr bezahlen. Er war damit sehr zufrieden. Nachdem Mardochai seiner Frau in kurzen Worten alles erklärt hatte, befahl sie ihrer christlichen Magd, mich zu bedienen und mir ein Abendessen zurecht zu machen.

Nachdem ich mein Gepäck in mein Schlafzimmer hatte bringen lassen, machte ich mir ein Vergnügen daraus, mit Mardochai in die Synagoge zu gehen. Seitdem er mein Wirt geworden war, schien er mir ein ganz anderer Mann geworden zu sein.

Während ihres kurzen Gottesdienstes kümmerten die Israeliten sich um mich so wenig wie um mehrere andere Christen, die sich in ihrem Tempel befanden. Die Juden gehen in die Synagoge, um zu beten, und dies finde ich sehr lobenswert von ihnen; es wäre zu wünschen, wenn die Christen es ebenso machten, und wenn die Kirche nicht für mehr als einen ein Ort wäre, wo man Zerstreuung sucht, ja manchmal sogar Liebeshändel anknüpft.

Von der Synagoge ging ich allein nach der Börse; ich überließ mich meinen Gedanken, die immer traurig sind, wenn sie sich auf eine vergangene glückliche Zeit beziehen, auf deren Wiederkehr ich nicht hoffen darf.

In dieser Stadt Ancona hatte ich zum ersten Male begonnen, im großen Stil mein Leben zu genießen, und wenn ich bedachte, daß seitdem fast dreißig Jahre vergangen waren, so fühlte ich mich wie betäubt. Im Leben eines Menschen sind dreißig Jahre ein ungeheurer Zeitraum; trotzdem fühlte ich mich noch jung, obgleich mein fünfzigstes Lebensjahr bereits vor der Tür stand.

Welcher Unterschied, wenn ich meinen körperlichen und seelischen Zustand jener ersten Jugend mit meinem gegenwärtigen Dasein verglich! Es wurde mir schwer, in mir denselben Menschen zu erkennen. So glücklich ich mich damals gefühlt hatte, so unglücklich kam ich mir jetzt vor: vor meinen Blicken schimmerte nicht mehr die schöne Aussicht auf eine glückliche Zukunft; meine Phantasie zeigte mir nicht mehr das Leben in den glänzendsten Farben.

Ich mußte mir gegen meinen eigenen Willen eingestehen, daß ich meine Zeit verloren und mein Leben vergeudet hatte. Die zwanzig Jahre, die ich vielleicht noch vor mir hatte und auf die ich rechnen zu können glaubte, boten mir nur noch eine nebelhafte Aussicht, in der selbst meine Hoffnung kein erquickendes Grün entdecken konnte: alles erschien mir traurig und öde.

Ich war volle siebenundvierzig Jahre alt, und ich sah, wie das Glück vor dieser hohen Zahl sich davon machte. Dies war genug, um mich traurig zu machen; denn ohne die Gunst der blinden Göttin kann kein Mensch hienieden glücklich sein, wenigstens konnte ich es nicht, denn mir waren meine lebenslangen Gewohnheiten zur zweiten Natur geworden.

Alle meine Anstrengungen galten damals der Rückkehr in mein Vaterland, von dem ich so lange verbannt gewesen war. Mir war, wie wenn ich keine anderen Wünsche hätte, als umzukehren und alles, was ich bis dahin an Gutem und Bösem gemacht hatte, wieder von mir abzutun. Alles brachte mir zum Bewußtsein, daß es sich für mich nur noch darum handelte, einen unvermeidlichen Abstieg, dessen unverrückbares Ziel der Tod ist, so wenig unangenehm wie möglich zu machen.

Ein Mensch, der sein Leben in den Freuden und Genüssen dieser Welt verbracht hat, macht solche Betrachtungen nur auf dem Abstieg. Unmöglich können sie in der Blüte ihrer Jugend entstehen, denn diese braucht nichts vorauszusehen, sie beschäftigt sich nur mit der Gegenwart, deren immer rosenroter Horizont das Leben glücklich macht, jedenfalls die Vorstellung eines Glückes unterhält. Der Jüngling lacht den Philosophen aus, der ihm sagt, daß hinter diesem entzückenden Horizont Alter, Armut und Reue seiner warten – Reue, die immer zu spät kommt, und endlich der Tod, dessen Name allein genügen würde, um Abscheu und Furcht einzuflößen.

Solche Betrachtungen stellte ich vor sechsundzwanzig Jahren an; und nun, mein lieber Leser, male dir die Gedanken aus, die mich heute quälen, wo ich einsam, verachtet, impotent und arm bin. Diese Gedanken würden mich ins Grab bringen, wenn ich nicht alle meine Kraft aufböte, die grausame Zeit zu töten, die sie in meinem Geiste ausheckt – in meinem Geiste, der noch jung ist wie mein Herz; ich weiß nicht, ob ich sagen soll, daß sie glücklicherweise oder unglücklicherweise jung sind, denn sie stehen nicht mehr im Einklang mit meinen körperlichen Kräften. Was nützen Wünsche, wenn man nicht mehr die Mittel hat, sie zu befriedigen? Ich schreibe, um die Langweile zu töten, und ich freue mich, daß ich an dieser Beschäftigung Gefallen finde. Was macht es mir aus, wenn mein Urteil falsch ist? Mir genügt es, überzeugt zu sein, daß ich mich damit unterhalte:

Malo scriptor delirans inersque videri,
Dum mea delectent mala me vel denique fallunt,
Quam sapere….

Als ich nach Hause kam, fand ich Mardochai im Kreise seiner zahlreichen Familie bei Tisch sitzen. Diese bestand aus elf oder zwölf Personen, unter denen sich auch seine neunzigjährige und noch sehr rüstige Mutter befand. Ich bemerkte noch einen anderen Juden von mittlerem Alter; er war der Gatte der älteren Tochter, die mir nicht hübsch vorkam. Die jüngere dagegen, die mit einem Juden von Pesaro verlobt war, den sie niemals gesehen hatte, fesselte meine ganze Aufmerksamkeit. Ich sagte ihr: wenn sie ihren künftigen Gatten niemals gesehen hätte, könnte sie nicht in ihn verliebt sein. Sie antwortete mir darauf in sehr ernstem Tone, man brauche durchaus nicht verliebt zu sein, um sich zu verheiraten. Die Alte lobte höchlichst den klugen Sinn ihrer Enkelin, und die Mutter bemerkte, sie sei erst nach ihrem ersten Kindbett in ihren Gatten verliebt geworden.

Ich will die hübsche Jüdin Lia nennen, da ich meine Gründe habe, um sie nicht mit ihrem wirklichen Namen zu bezeichnen.

Während die Familie aß, setzte ich mich neben Lia und gab mir die größte Mühe, ihr allerlei Angenehmes zu sagen, um sie zum Lachen zu bringen; aber es war verlorene Mühe, denn sie würdigte mich nicht einmal eines Blickes.

Ich fand für mich selber ein auserlesenes Abendessen, dem ich alle Ehre antat, und nachher ein vorzügliches Bett.

Am anderen Morgen kam mein Wirt zu mir herein und sagte mir, ich könne der Magd meine Wäsche geben; Lia werde sie mir besorgen.

Ich sagte ihm, ich hätte das Abendessen von Fastenspeisen sehr gut gefunden; da ich jedoch vom Papst die Erlaubnis erhalten hätte, alle Tage Fleisch oder Fisch zu essen, so bäte ich ihn, die Gänseleber nicht zu vergessen.

»Sie werden morgen welche erhalten; aber in meiner Familie ißt nur Lia sie.«

»Dann wird also Lia mit mir essen. Sagen Sie ihr, bitte, daß ich sie mit sehr reinem Zypernwein bewirten werde.«

Ich hatte keinen solchen Wein, aber ich bestellte ihn noch am selben Morgen beim venetianischen Konsul, dem ich den Brief des Herrn Dandolo überbrachte.

Der Konsul war ein Venetianer von altem Schrot und Korn. Er hatte von mir sprechen hören und zeigte sich sehr erfreut, meine Bekanntschaft zu machen. Er sah aus wie ein richtiger Pantalon der Komödie und war lustig und welterfahren, ein Leckermaul und großer Esser. Er gab mir für mein Geld reinen Scopolowein und alten Muskateller von Zypern; aber er erhob ein lautes Geschrei, als ich ihm sagte, daß ich bei Mardochai wohnte und durch welchen Zufall dies gekommen wäre.

»Er ist reich,« sagte der Konsul, »aber ein großer Wucherer, und wenn Sie Geld nötig haben, wird er Ihnen übel mitspielen.«

»Ich sehe nicht, wie ich in den Fall kommen könnte, von ihm Geld nötig zu haben.«

Nachdem ich ihm noch gesagt hatte, daß ich noch am Ende des Monats und nur mit einem guten Schiff absegeln würde, ging ich zum Mittagessen, mit dem ich sehr zufrieden war.

Ich hatte meine Wäsche der Magd gegeben. Am nächsten Morgen sah ich Lia eintreten, die sich erkundigte, wie ich meine Spitzen von ihr gewaschen zu haben wünschte.

Als Lia mit ihren achtzehn Jahren so plötzlich vor mir erschien, ohne Busentuch, in einem einfachen, sehr niedrigen Mieder, das ihre herrlichen Brüste sehen ließ, geriet ich in eine lebhafte Erregung, die sie bemerkt haben würde, wenn sie mich angesehen hätte.

Nachdem ich mich etwas beruhigt hatte, sagte ich ihr, ich überließe alles ihr; sie möchte meine ganze Wäsche besorgen und überzeugt sein, daß es mir auf billige Preise nicht ankäme.

»Dann werde ich sie also ganz allein besorgen, wenn Sie keine Eile haben.«

»Es steht in Ihrer Macht, mich in Ihrem Hause so lange bleiben zu lassen, wie Sie wollen«, sagte ich zu ihr; sie schien jedoch diese Erklärung gar nicht zu beachten.

»Ich bin mit allem zufrieden,« fuhr ich fort, »ausgenommen mit der Schokolade; diese liebe ich gut geschlagen und recht schaumig.«

»Ich werde sie selber zubereiten, damit Sie zufrieden sind.«

»In diesem Fall, liebenswürdige Lia, werde ich Ihnen eine doppelte Portion geben, und wir werden sie zusammen trinken.«

»Ich liebe Schokolade nicht.«

»Das tut mir leid, aber Sie essen doch gerne Gänseleber?«

»Sehr! Heute werde ich welche mit Ihnen essen, wie mein Vater mir gesagt hat.«

»Das macht mir viel Vergnügen.«

»Sie fürchten ohne Zweifel, vergiftet zu werden.«

»Im Gegenteil! Ich fürchte es nicht nur nicht, sondern ich wünsche, daß wir zusammen sterben.«

Die Spitzbübin tat, wie wenn sie nichts verstände, entfernte sich und ließ mich voller Begierden zurück. Die schöne Jüdin hatte meine Sinne zu heller Glut entfacht, und ich fühlte, daß ich entweder mich schleunigst ihrer noch am selben Tage bemächtigen oder daß ich ihrem Vater sagen müßte, er möchte sie nicht mehr in mein Zimmer schicken.

Von meiner Turiner Jüdin wußte ich, wie die Angehörigen ihrer Religion in Liebessachen denken.

Nach meiner Meinung mußte Lia noch schöner und weniger schwierig zu erobern sein als die Turinerin; denn das galante Leben von Ancona konnte gewiß nicht mit dem von Turin verglichen werden.

So denkt ein Wüstling; aber seine Meinungen sind nicht unfehlbar.

Man setzte mir ein nach jüdischer Art, aber ausgezeichnet zubereitetes Mittagessen vor; Lia brachte mir selber eine herrliche Gänseleber herein und setzte sich mir gegenüber. Ihr schöner Busen war jetzt mit einem Musselintuch verhüllt.

Die Leber war vorzüglich; wir befeuchteten sie reichlich mit Scopolo, den Lia noch besser fand als die Leber.

Als die Leber verzehrt war, stand Lia auf, um sich zu entfernen. Dem widersetzte ich mich jedoch, denn wir hatten bisher nur das halbe Mittagessen gehabt.

»Ich werde bleiben,« sagte sie zu mir; »aber ich fürchte, mein Vater wird es übel nehmen.«

»Gut. Ruft Euren Herrn!« befahl ich der Magd, die in diesem Augenblick eintrat; »ich habe ihm ein Wörtchen zu sagen.«

»Mein lieber Mardochai, der Appetit Ihrer Tochter verdoppelt den meinen, und Sie tun mir einen Gefallen, wenn Sie ihr erlauben, mit mir zu speisen, so oft wir Gänseleber haben.«

»Ich finde nicht meine Rechnung dabei, wenn meine Tochter Ihren Appetit verdoppelt; aber wenn Sie doppelt bezahlen wollen, habe ich nichts dagegen, daß sie Ihnen Gesellschaft leistet.«

»Dies gefällt mir sehr. Ich nehme Ihren Vorschlag an: Sie erhalten also täglich einen Testone mehr.«

Um ihm meine Zufriedenheit zu erkennen zu geben, schenkte ich ihm einen Fiasco Scopolo, von dem Lia ihm versicherte, daß er sehr rein wäre.

Wir speisten also zusammen. Bald versetzte der Wein sie in Heiterkeit. Der Scopolo ist wegen seines Teergeschmackes sehr harntreibend und zur Liebe reizend. Ich sagte ihr, ihre Augen entflammten mich und sie müßte mir erlauben, sie ihr zu küssen.

»Meine Pflicht verbietet mir. Ihnen dies zu erlauben. Keinen Kuß, keine Berührung! Lassen Sie uns zusammen essen und trinken. Mein Vergnügen wird dem Ihrigen gleich kommen.«

»Sie sind grausam.«

»Ich hänge von meinem Vater ab und habe selber gar nichts zu sagen.«

»Muß ich Ihren Vater bitten, Ihnen zu erlauben, daß Sie gefällig sein dürfen?«

»Das wäre, wie mir scheint, nicht anständig. Es könnte wohl sein, daß mein Vater sich beleidigt fände und mir nicht mehr erlaubte, zu Ihnen zu gehen.«

»Und wenn er Ihnen nun sagte, daß Sie in diesen Kleinigkeiten es nicht so genau nehmen dürften?«

»Dann würde ich nicht auf ihn hören, sondern fortfahren, meine Pflicht zu tun.«

Diese deutliche Erklärung machte mir begreiflich, daß Lia nicht leicht zu haben sein würde. Wenn ich auf meiner Absicht verharrte, konnte ich in einen Liebeshandel hineingeraten, den ich vielleicht nicht zu Ende geführt haben würde; dies würde mich dann vielleicht geärgert haben. Ferner bedachte ich, daß ich in Gefahr geriet, meine Hauptangelegenheit zu vernachlässigen; diese erlaubte mir durchaus nicht einen langen Aufenthalt in Ancona.

Alle diese Gedanken schossen mir in einer Sekunde durch den Kopf. Ich sagte Lia kein Wort mehr von Liebe. Als der Nachtisch aufgetragen war, schenkte ich der schönen Jüdin Zyper-Muskateller ein, den sie für den köstlichsten Nektar erklärte, welchen sie in ihrem Leben getrunken hätte.

Da ich sie von dem Getränk erhitzt sah, so schien es mir unmöglich zu sein, daß Venus nicht ebenso viele Macht über ihre Sinne ausübte wie Bacchus; aber ihr Kopf war stark: ihr Blut geriet in Flammen, doch ihre Vernunft blieb kalt.

Trotzdem veranlaßte nach dem Kaffee ihre Lustigkeit mich, ihre Hand zu ergreifen, um sie ihr zu küssen. Unmöglich! Ihre Weigerung war jedoch derart, daß sie mir nicht mißfallen konnte; denn sie sagte zu mir: »Für die Ehre ist das zu viel und für die Liebe zu wenig.«

Diese witzige Bemerkung machte mir um so mehr Vergnügen, da sie mir zeigte, daß Lia nicht mehr unerfahren war.

Ich verschob die Ausführung meines Planes auf den nächsten Tag und sagte ihr, ich würde beim venetianischen Konsul zu Abend essen; man möchte also nichts für mich zurecht machen.

Der Konsul hatte mir gesagt, er äße nicht zu Mittag, ich würde ihm jedoch ein großes Vergnügen machen, so oft ich zu ihm käme, um mit ihm zu Abend zu essen.

Es war Mitternacht, als ich nach Hause kam. Alles im Hause schlief schon, mit Ausnahme der Magd, die auf mich wartete. Ich gab ihr eine solche Belohnung, daß sie jedenfalls wünschte, ich möchte alle Abende so spät nach Hause kommen.

Da ich etwas über Lias Lebenswandel zu hören wünschte, so brachte ich die Magd darauf zu sprechen; sie sagte jedoch nur Gutes von ihr. Nach ihrer Schilderung war Lia ein gutes Mädchen, das immer fleißig arbeitete, von der ganzen Familie geliebt wurde und niemals einen Liebhaber erhört hatte. Wenn Lia sie bezahlt hätte, hätte die Magd nicht mehr zu ihrem Lobe sagen können.

Am Morgen brachte Lia mir meine Schokolade und setzte sich auf mein Bett; sie sagte mir, wir hätten eine ausgezeichnete Leber; und da sie nicht zu Abend gegessen hätte, so würde sie mit großem Appetit zu Mittag speisen.

»Und warum, meine Liebe, haben Sie nicht zu Abend gegessen?«

»Daran ist ohne Zweifel Ihr ausgezeichneter Zyperwein schuld; mein Vater ist ganz verrückt darnach.«

»Er hat ihn also gut gefunden? Das freut mich sehr; wir werden ihm einschenken!«

Lia saß vor mir in demselben Anzug wie am Tage vorher, und die beiden halbnackten Halbkugeln ihres Busens brachten mich zur Verzweiflung.

»Sie wissen wohl nicht,« sagte ich zu ihr, »daß Sie einen herrlichen Busen haben?«

»Aber alle jungen Mädchen haben doch ebensolchen Busen wie ich!«

»Können Sie sich nicht vorstellen, daß ich beim Anblick desselben ein außerordentliches Vergnügen empfinde?«

»Wenn dies der Fall ist, freue ich mich sehr; denn ich habe mir keinen Vorwurf zu machen, wenn ich Sie dieses Vergnügen genießen lasse, übrigens verhüllt ein Mädchen ihren Busen so wenig wie ihr Gesicht, außer wenn sie in großer Gesellschaft ist.«

Während sie so mit mir sprach, betrachtete die Spitzbübin ein von einem Pfeil durchbohrtes und mit kleinen Brillanten besetztes goldenes Herz, das den Busenstreifen meines Hemdes zusammenhielt.

»Finden Sie das Herzchen hübsch?« fragte ich sie.

»Reizend! Ist es echt?«

»Gewiß, und dies ermutigt mich, es Ihnen anzubieten.«

Mit diesen Worten löste ich die Nadel, aber sie sagte mir freundlich, sie danke mir; ein Mädchen, das nichts geben wolle, dürfe auch nichts annehmen.

»Nehmen Sie es an! Ich schwöre Ihnen, niemals auch nur den kleinsten Gunstbeweis von Ihnen zu verlangen.«

»Aber ich würde mich als Ihre Schuldnerin fühlen; ich werde daher niemals etwas annehmen.«

Ich sah, daß nichts zu machen war, oder daß ich zuviel hätte aufstellen müssen, um etwas zu erreichen; im einen wie im anderen Fall war es das beste, mich mit der Tatsache abzufinden.

Ich dachte nicht an einen tätlichen Angriff, der sie hätte erzürnen oder veranlassen können, mich auszulachen. Dies hätte mich erniedrigt, oder ohne jeden Zweck noch mehr verliebt gemacht. Hätte sie sich beleidigt gefühlt, so wäre sie nicht mehr gekommen, und ich hätte mich darüber nicht beklagen können.

Ich entschloß mich also, meine gierigen Blicke zu meistern und sie nicht mehr mit verliebten Bemerkungen zu unterhalten.

Wir speisten sehr fröhlich zu Mittag. Man setzte mir Muscheln vor, die nach der mosaischen Glaubensvorschrift verboten sind. In Gegenwart der Magd forderte ich sie auf, mit mir davon zu essen, sie wies jedoch meine Einladung mit Abscheu zurück; sobald das Madchen hinausgegangen war, nahm sie aus eigenem Antrieb von den Muscheln und aß dieselben mit einer überraschenden Begierde, indem sie mir versicherte, es wäre das erste Mal in ihrem Leben, daß sie diesen Genuß kostete.

Dieses Mädchen, sagte ich zu mir selber, dieses Mädchen, diese Lia, die die Vorschriften ihrer Religion so unbedenklich übertritt, die über alles das Vergnügen liebt und mir gar nicht zu verhehlen sucht, mit welcher Wonne sie sich demselben hingibt – diese Lia will mich glauben machen, sie sei unempfindlich gegen die Wonne der Liebe oder könne sich darüber hinwegsetzen, wie über eine Bagatelle? Das ist nicht möglich. Sie liebt mich nicht oder sie liebt mich nur, um sich einen Spaß zu machen, indem sie meine Liebe entflammt. Sie muß Hilfsmiittel haben, um ihr Temperament zu beschwichtigen, das ich für sehr wollüstig halte. Ich will einmal sehen, ob ich nicht heute Abend mit Hilfe meines ausgezeichneten Muskatellers zum Ziele kommen kann.

Am Abend entschuldigte sie sich jedoch und lehnte sowohl Essen wie Trinken ab, indem sie sagte, dies verhindere sie, zu schlafen.

Am anderen Morgen brachte sie mir meine Schokolade, aber sie hatte ihre schöne Brust mit einem weißen Halstuch bedeckt. Wie gewöhnlich setzte sie sich auf mein Bett. Es fiel mir nicht ein, zu dem abgedroschenen Mittel zu greifen und mich zu stellen, wie wenn ich nichts bemerkte; ich sagte ihr vielmehr, sie sei nur darum mit bedeckter Brust gekommen, weil ich ihr gesagt habe, ich sähe sie mit Vergnügen.

Sie antwortete mir mit liebenswürdiger Nachlässigkeit, daran habe sie nicht gedacht; sie habe nur deshalb ein Tuch umgebunden, weil sie keine Zeit gehabt habe, ihr Mieder anzuziehen.

»Darin haben Sie recht getan,« sagte ich lachend, »denn vielleicht hätte ich Ihren Busen nicht so schön gefunden, wenn ich ihn ganz gesehen hätte.«

Sie antwortete nicht, und ich trank meine Schokolade aus.

Mir fielen die galanten Bilder und Zeichnungen ein, die ich in meiner Kassette hatte. Ich bat Lia, mir diese zu geben, und sagte ihr, ich wollte ihr Abbildungen von den schönsten Busen der Welt zeigen.

»Das wird mich nicht interessieren,« sagte sie; trotzdem gab sie mir meine Kassette und setzte sich wieder auf mein Bett.

Ich nahm eine Abbildung von einem nackten Weibe, das auf dem Rücken liegend, sich selber eine Illusion erregte, bedeckte sie mit meinem Taschentuch bis zum Unterleib und zeigte ihr das Bild, ohne es aus der Hand zu geben.

»Aber das ist ja ein Busen wie alle anderen; Sie können ruhig Ihr Schnupftuch wegnehmen.«

»Meinetwegen, nehmen Sie es, mir ist so etwas ekelhaft!«

»Es ist gut gemalt,« sagte sie laut auflachend; »aber das ist nichts Neues für mich.«

»Wie? Das ist nichts Neues für Sie?«

»Nein, natürlich nicht; das machen ja alle jungen Mädchen, bevor sie heiraten.«

»Sie also auch?«

»So oft ich Lust dazu bekomme.«

»Machen Sie es doch jetzt!«

»Ein wohlerzogenes Mädchen tut das nur im verborgenen.«

»Und was machen Sie nachher?«

»Wenn es im Bett geschieht, schlafe ich ein.«

»Meine liebe Lia, Ihre Aufrichtigkeit entzückt mich und bringt mich zugleich außer mir. Sie sind zu klug, als daß Sie dies nicht wissen sollten. Seien Sie also gut und gefällig, oder kommen Sie nicht mehr zu mir.«

»Sie sind also sehr schwach?«

»Ja, weil ich stark bin.«

»In Zukunft werden wir uns also nur noch beim Mittagessen sehen. Aber zeigen Sie mir doch noch einige andere Zeichnungen.«

»Ich habe Kupferstiche, die Ihnen nicht gefallen werden.«

»Zeigen Sie sie nur her.«

Ich gab ihr die Sammlung der Figuren zum Aretin und bewunderte, mit welcher ruhigen aber aufmerksamen Miene sie sie prüfte, von einer zur anderen ging und solche, die sie bereits angesehen hatte, noch einmal betrachtete.

»Finden Sie das interessant?« fragte ich sie.

»Sehr! Die Zeichnungen sind sehr natürlich. Aber ein anständiges Mädchen darf diese Bilder nicht zu lange ansehen; denn Sie begreifen wohl, daß diese wollüstigen Stellungen sie in große Aufregung versetzen.«

»Ich glaube es, schöne Lia, und empfinde es wie Sie. Sehen Sie!«

Sie lächelte, stand auf und ging mit dem Buch nach dem Fenster, um es dort weiter zu betrachten. Sie drehte mir den Rücken zu und kümmerte sich nicht um mein Rufen.

Nachdem ich mich wie ein armer Schüler beruhigt hatte, kleidete ich mich an. Ich schämte mich beinahe. Da der Friseur kam, ging Lia hinaus, indem sie mir sagte, sie würde mir mein Buch beim Mittagessen wiedergeben.

Ich zitterte vor Freude, denn ich glaubte, nun würde ich sie, wenn nicht am gleichen Tage, spätestens am anderen Morgen besitzen. Der erste Schritt war getan; aber ich war noch weit vom Ziel.

Wir aßen gut und tranken noch besser. Nach dem Essen zog Lia das Buch aus der Tasche und brachte mich ganz in Feuer, indem sie Erklärungen von mir verlangte; leider verhinderte sie aber durch die Drohung, daß sie sonst gehen würde, die praktische Vorführung, die meine Glossen belebt haben würde, und die ich wahrscheinlich noch nötiger hatte als sie.

Ärgerlich nahm ich ihr schließlich das Buch weg und ging spazieren.

Ich rechnete auf die Stunde des Schokoladenfrühstücks; als aber die grausame Jüdin am Morgen kam, sagte sie mir, sie bedürfe einiger Erklärungen; wenn ich ihr jedoch ein Vergnügen machen wollte, so sollte ich ihr diese nur an Hand der Abbildungen geben und alles Lebendige aus dem Spiel lassen.

»Gern; aber nur unter der Bedingung, daß Sie mir alle Fragen beantworten, die Ihr Geschlecht betreffen.«

»Ich verspreche es Ihnen, aber ebenfalls nur unter einer Bedingung: daß unsere Bemerkungen sich nur auf das beziehen, was wir auf den Bildern sehen werden.«

Unser Anschauungsunterricht dauerte zwei Stunden. Während desselben verfluchte ich hundertmal den Aretino und meinen verrückten Gedanken, sie neugierig darauf zu machen; denn das unbarmherzige Frauenzimmer drohte mir, sie würde fortgehen, so oft ich auch nur den bescheidensten Versuch machte. Wahre Folterqualen aber bereitete sie mir mit dem, was sie mir über ihr Geschlecht sagte. Ich stellte mich unwissend und veranlaßte sie dadurch zu den schlüpfrigsten Schilderungen. Die äußeren und inneren Bewegungen, die sich bei der Ausübung der Begattungsakte, die wir im Bilde vor Augen hatten, vollziehen mußten, beschrieb sie mir so lebhaft, daß es mir unmöglich schien, die Theorie allein könnte ihr so richtige Begriffe beigebracht haben. Was mich vollends verführte, war, daß kein Schleier von Scham das helle Licht ihrer Wissenschaft umhüllte. Sie philosophierte über diese Gegenstände viel natürlicher und viel gelehrter als die Genfer Hedwig. Ihr Geist befand sich mit ihrem Körper so wohl im Einklang, daß sich eine vollkommene Harmonie hieraus ergab. Ich hätte ihr gern alles gegeben, was ich besaß, um ihren wunderbaren Talenten Gelegenheit zu geben, sich beim großen Werk zu entfalten. Sie schwor mir, sie wisse nichts aus der Praxis, und ich fand sie glaubwürdig, als sie mir anvertraute, daß sie sich nach der Heirat sehnte, um endlich zu erfahren, was an ihren Ahnungen richtig wäre. Sie wurde traurig oder tat wenigstens so, als ich mich erkühnte, ihr zu sagen: der Gatte, den ihr Vater für sie ausgesucht hätte, wäre vielleicht von der Natur so schlecht ausgestattet, daß er ihr die Gattenpflicht nicht mehr als einmal in der Woche erweisen könnte.

»Wie?« sagte sie mit beunruhigter Miene; »die Männer sind also nicht alle untereinander gleich, wie die Frauen es sind?«

»Was verstehen Sie unter ›gleich‹?«

»Können Sie denn nicht jeden Tag und in jedem Augenblick verliebt sein, wie sie jeden Tag essen, trinken und schlafen müssen?«

»Nein, meine liebe Lia; die Männer, die jeden Tag verliebt sein können, sind selten.«

Da ich jeden Tag so fürchterlich erregt wurde, so ärgerte ich mich, daß es in ganz Ancona kein anständiges Haus gab, wo ein anständiger Mann sich für sein Geld sicheren Genuß verschaffen konnte. Ich zitterte, denn ich sah, daß ich mich allen Ernstes in Lia verliebte; trotzdem sagte ich dem Konsul jeden Tag, ich hätte es mit der Abreise nicht eilig. Ich erging mich in Betrachtungen wie ein Seladon von zwanzig Jahren. Ich sah in Lia das tugendhafteste aller Mädchen, weil sie mit ihrer glühenden Leidenschaft und mit ihrer theoretischen Kenntnis vom Verkehr der beiden Geschlechter trotzdem ihre Kenntnisse nicht vervollständigen wollte.

Ich sah in ihr ein Musterbild der Tugend: Alles an ihr war Wahrheit, sie wußte nichts von Heuchelei und Betrug. Sie befriedigte ihre Begierden nur an sich selber und versagte sich die Genüsse, die durch ihr Gesetz verboten waren; trotz dem Feuer, das sie verzehrte, blieb sie diesem Gesetz treu. Es stand in ihrer Macht, sofort glücklich zu werden; sie aber leistete stundenlang Widerstand, obwohl sie mit einem von Liebe glühenden Manne unter vier Augen war. Sie führte dem Feuer, das in ihr loderte, neuen Brennstoff zu und war stark genug, um nichts zu erlauben, was sie hätte erleichtern können. O, die tugendhafte Lia! Jeden Tag setzte sie sich der Niederlage aus und verhinderte diese durch das einfache Mittel, daß sie niemals den ersten Schritt tat.

Nichts sehen lassen, nichts anrühren lassen! Das war ihr Schild und Schirm.

Man wird sehen, worauf alle diese Tugend hinauslief, die mein aufgeregter Geist ihr beilegte.

Nach neun oder zehn Tagen begann ich gegen Lia heftig zu werden, allerdings nicht in Tätlichkeiten, sondern nur in Worten. Sie war traurig, gab zu, daß ich recht hätte, sagte mir, sie wüßte nicht, was sie antworten sollte, und schloß mit der Bemerkung, daß ich wohl daran tun würde, wenn ich ihr verböte, am Morgen zu mir zu kommen. Beim Mittagessen liefen wir nach ihrer Meinung keine Gefahr.

Ich entschloß mich, sie zu bitten, zwar nach wie vor zu kommen, aber mit verhüllter Brust und ohne über Liebe und dergleichen zu sprechen.

»Recht gern!« rief die Spitzbübin; »aber,« setzte sie lachend hinzu, »ich werde nicht die erste sein, die die Bedingungen bricht.«

Ich wollte dies ebensowenig; denn drei Tage darauf sagte ich, des Leidens müde, dem Konsul, ich würde mit der ersten Gelegenheit absegeln; mein Entschluß war vollkommen aufrichtig; ich glaubte Lia zu kennen, und ihre Lustigkeit raubte mir den Appetit. So sollte ich also auch auf mein zweites Glück verzichten, nämlich das Essen, ohne Aussicht zu haben, das erste Glück, die Liebe, zu genießen.

Da meine dem Konsul gegenüber abgegebene Willensäußerung mich gewissermaßen band, ging ich ruhig zu Bett. Gegen meine sonstige Gewohnheit verspürte ich gegen zwei Uhr morgens das Bedürfnis, der Göttin Cloacina ein Opfer zu bringen, und verließ ohne Licht mein Zimmer, da ich mich im Hause auch so zurecht finden konnte. Der Tempel befand sich im Erdgeschoß. Da ich niemand stören wollte, ging ich in sehr leichten Pantoffeln hinunter und machte nicht das geringste Geräusch.

Als ich wieder hinaufging, sah ich auf dem ersten Treppenabsatz durch eine schmale Ritze einen Lichtschimmer aus einer kleinen Kammer dringen, die, wie ich wußte, nicht bewohnt war.

Ich legte mein Auge an die Türspalte, ohne im geringsten daran zu denken, daß Lia zu solcher Stunde in der Kammer sein könnte. Man denke sich meine Überraschung, als mein Auge auf ein Bett fiel und Lia, völlig nackt, in Gesellschaft eines ebenfalls nackten jungen Mannes bemerkte, mit welchem sie eifrig beschäftigt war, die Stellungen des Aretino auszuführen. Sie sprachen dabei im Flüsterton und gaben mir alle vier oder fünf Minuten das Schauspiel einer neuen Gruppe.

Bei diesen verschiedenen Stellungen konnte ich alle Schönheiten Lias sehen, und dieses Vergnügen milderte die Wut, die mir der Gedanke verursachte, daß ich eine abgefeimte Dirne für ein tugendhaftes Mädchen hatte halten können.

Es war nicht schwer, zu bemerken, daß sie jedesmal, wenn sie sich der Krisis näherten, innehielten und das Werk mit Hilfe ihrer Hände vollendeten.

Bei der Gruppe des arbre droit, die nach meiner Meinung die wollüstigste aller Stellungen ist, die das unzüchtige Genie Aretinos hat ersinnen können, betrug Lia sich wie eine richtige Lesbierin; denn während der Jüngling ihre geile Wut entflammte, bemächtigte sie sich seines Gliedes, nahm es ganz in den Mund und magnetisierte es, bis die Opfergabe dargebracht war. Da ich sie nicht ausspucken sah, so konnte ich nicht daran zweifeln, daß sie sich mit dem Nektar meines glücklichen Nebenbuhlers genährt hatte. Der Adonis zeigte ihr hierauf sein geschwächtes Werkzeug; sie aber machte ein halb glückliches, halb trauriges Gesicht und schien den Tod ihrer Hoffnungen zu beklagen. Bald darauf bemühte sie sich von neuem, ihn ins Leben zurückzurufen; aber der Kerl sah auf seine Uhr, stieß Lia von sich und zog sein Hemd an.

Lia war offenbar außer sich. Sie suchte ihn durch die wollüstige Stellung einer schönen Venus zu verführen, deckte sich aber endlich wieder zu, nachdem sie ihm einige Worte gesagt hatte, die mir Vorwürfe zu sein schienen.

Als ich sah, daß die beiden beinahe angekleidet waren, ging ich leise auf mein Zimmer und sah aus einem Fenster heraus, von wo aus ich die Haustüre erblicken konnte.

Ich stand kaum einige Minuten auf der Lauer, als ich den glücklichen Liebhaber das Haus verlassen sah.

Ich ging wieder zu Bett. Ich hätte mich freuen sollen, daß mir meine Täuschung benommen war; dies war jedoch nicht der Fall, sondern ich war entrüstet und fühlte mich gedemütigt.

Mit dem Glauben an Lias Tugend war es nun natürlich vorbei; ich sah in ihr nur noch eine schamlose Prostituierte, die ich haßte.

Ich schlief endlich mit der Absicht ein, ihr am nächsten Morgen die schlüpfrige Szene zu beschreiben, die ich zufällig mit angesehen hatte, und sie dann aus dem Zimmer zu jagen.

Aber die Entschlüsse, die man im Zorn oder auch nur in einem Augenblick des Verdrusses faßt, halten meistens einem Schlaf von einigen Stunden nicht stand.

Als ich Lia lustig und liebenswürdig mit meiner Schokolade eintreten sah, gab ich meinem Gesicht ebenfalls einen freundlichen Ausdruck und beschrieb ihr mit großer Ruhe ihre nächtlichen Arbeiten oder vielmehr die letzte Stunde ihrer Orgie, im besonderen die Gruppe des arbre droit und das Verschlucken des Saftes. Zum Schluß sprach ich meine Hoffnung aus, daß sie mir in der nächsten Nacht dasselbe bewilligen werde, nicht nur um meine Liebe zu belohnen, sondern auch um sich meine Verschwiegenheit zu sichern.

Sie antwortete mir mit furchtloser Miene: »Hoffen Sie von mir keine Gefälligkeit! Ich liebe Sie nicht. Wenn Sie aus Rachsucht mein Geheimnis verraten wollen, so mögen Sie es tun. Ich bin überzeugt, Sie sind einer solchen schlechten Handlung nicht fähig.«

Mit diesen Worten drehte sie mir den Rücken zu und ging hinaus. über den eigentümlichen Charakter des Mädchens nachdenkend, mußte ich mir selber gestehen, daß sie recht hatte. Ich fühlte, daß ich wirklich einen häßlichen Streich begehen würde, wenn ich sie verriete; aber ich war weit entfernt davon, einen solchen zu begehen, und dachte bereits nicht mehr daran.

Sie hatte mich mit den vier Worten »Ich liebe Sie nicht« zur Vernunft gebracht. Hierauf ließ sich nichts erwidern. Wenn sie mich nicht liebte, hatte sie keine Verpflichtungen gegen mich, und ich konnte keine Ansprüche machen.

Im Gegenteil, mir schien, daß sie Grund hatte, sich über mich zu beklagen; denn welches Recht hatte ich, hinter ihr her zu spionieren? Noch weniger Recht hatte ich, sie zu beleidigen, indem ich Dinge enthüllte, die ich nur durch eine indiskrete und gar nicht zu entschuldigende Neugier hatte erfahren können. Ich konnte sie nicht beschuldigen, daß sie mich betrogen hätte. Worüber konnte ich mich also beklagen? Sie hatte über ihren Leib verfügt; aber gehörte ihr Leib nicht ihr? Und würde ich sie tadelnswert gefunden haben, wenn ich mich an der Stelle des vorgezogenen Liebhabers befunden hätte? Wenn ich alles mit gerechtem Urteil erwog, mußte ich schweigen.

Ich zog mich in aller Eile an und ging nach der Börse, wo ich erfuhr, daß am selben Tage eine Peote nach Fiume abging.

Fiume liegt am anderen Ufer des Meerbusens Ancona gegenüber. Von Fiume nach Triest sind zu Lande nur vierzig Miglien, ungefähr dreizehn französische Wegstunden; ich beschloß, auf diesem Wege nach meinem Bestimmungsort zu reisen.

Ich ging nach dem Hafen hinunter; besah mir die Peote und sprach mit dem Schiffer. Er sagte mir, wir würden mit dem Winde segeln und am anderen Morgen bereits im Angesicht der jenseitigen Küste sein.

Ich belegte für mich den besten Platz, machte dem Konsul einen Abschiedsbesuch, bezahlte Mardochai seine Rechnung und packte meine Koffer.

Als Lia von ihrem Vater hörte, daß ich am selben Tage absegelte, sagte sie mir, es sei ihr unmöglich, mir meine Wäsche, Spitzen und seidenen Strümpfe noch im Laufe des Tages abzuliefern; sie könnte jedoch am nächsten Tage alles fertig haben.

»Ihr Vater«, sagte ich mit der ruhigsten Miene, »kann alle diese Sachen dem venetianischen Konsul geben, der so freundlich sein wird, sie mir nach Triest zu schicken.«

Im Augenblick, wo ich mich zu Tisch setzte, kam der Schiffer mit einem Matrosen, um meine Sachen abzuholen. Ich gab ihm meinen Koffer, der bereits fertig war, und sagte ihm, das übrige würde ich mit an Bord bringen, sobald er absegeln wollte.

»Signore, ich denke eine Stunde vor Dunkelwerden in See zu stechen.«

»Ich werde bereit sein.«

Als Mardochai erfuhr, daß ich nach Fiume führe, bat er mich, eine kleine Kiste und einen Brief, den er noch schreiben würde, an einen Freund zu bestellen.

»Ich bin sehr erfreut, Ihnen diesen kleinen Dienst leisten zu können.«

Bei Tische setzte Lia sich zu mir, wie wenn gar nichts los wäre. Sie unterhielt sich mit mir wie sonst und fragte mich, ob ich dies gut fände oder ob jenes nach meinem Geschmack sei; meine einsilbigen Antworten brachten sie nicht im geringsten aus der Fassung, aber ihre Blicke wichen beständig meinen Augen aus.

Ich bildete mir ein, sie wünschte, daß ich ihr freies Benehmen für Geisteskraft, für philosophische Festigkeit, für ein edles Vertrauen halten sollte; ich sah jedoch in diesem allem weiter nichts als eine unerschütterliche Frechheit.

In diesem Augenblick empfand ich nur Haß gegen sie; denn sie hatte mich betrogen, indem sie mich entflammte, und sie hatte mich beleidigt, indem sie mir mit dürren Worten sagte, daß sie mich nicht liebte; ich verachtete sie, weil sie mir allem Anschein nach zu verstehen geben wollte, daß ich sie darum achten müsse, weil sie nicht errötete.

Vielleicht rechnete sie auf meine Dankbarkeit dafür, daß sie mir gesagt hatte, sie hielte mich nicht für fähig, ihrem Vater zu verraten, was ich gesehen hätte.

Sie begriff nicht, daß ich ihr für dieses Vertrauen zu keinem Dank verpflichtet war.

Nachdem sie ein Glas Scopolo geschlürft hatte, sagte sie mir, es seien von diesem Wein und von dem Muskateller noch etliche Flaschen vorhanden.

»Ich schenke sie Ihnen; Sie können sie benützen, um sich auf Ihre nächtlichen Arbeiten vorzubereiten.«

Sie erwiderte lächelnd, ich hätte umsonst einen Anblick gehabt, für den ich gewiß gerne mehrere Goldstücke bezahlt hätte, und ihr selber hätte die Sache so viel Vergnügen gemacht, daß sie mir diesen Anblick gern noch einmal verschafft hätte, wenn ich nicht so schnell abreiste.

Diese Frechheit ärgerte mich so, daß ich Lust bekam, ihr die vor mir stehende Karaffe an den Kopf zu werfen. Offenbar merkte sie meine Absicht, als ich nach der Flasche griff. Aber sie sah mir so ruhig und mutig ins Gesicht, daß ich nicht imstande war, diese schändliche Handlung zu begehen. Ich sagte ihr daher nur, sie sei die schamloseste Spitzbübin, die mir jemals begegnet sei, und goß mir hierauf mein Glas voll, wie wenn ich die Flasche nur zu diesem Zwecke ergriffen hätte.

Ich stand auf und ging in mein anderes Zimmer, denn ich konnte es nicht mehr aushalten; trotzdem kam sie eine halbe Stunde darauf mir nach, um mit mir Kaffee zu trinken.

Diese Beharrlichkeit schien mir im höchsten Grade beleidigend; ich beruhigte mich jedoch bei dem Gedanken, daß sie sich durch dieses Benehmen wahrscheinlich rächen wolle. Allerdings hatte sie sich ja eigentlich bereits genug gerächt, indem sie mir sagte, daß sie mich nicht liebte und indem sie mir dies bewies.

»Ich will Ihnen packen helfen,« sagte sie zu mir.

»Und ich,« antwortete ich ihr kalt, »ich bitte Sie, mich in Ruhe zu zu lassen.« Zugleich nahm ich ihren Arm, führte sie hinaus und machte die Tür hinter ihr zu.

Wir hatten beide recht. Lia hatte mich betrogen und gedemütigt, und darum hatte ich ein Recht, sie zu verabscheuen, denn ich hatte sie als falsch, heuchlerisch, lügenhaft und höchst unzüchtig erfunden; sie hatte ein Recht, mich zu hassen, und ich glaube, es wäre ihr nicht unangenehm gewesen, wenn ich irgendein Verbrechen an ihr begangen hätte; denn dann hätte ich sicherlich meine Entdeckungen bereuen müssen.

Niemals habe ich mich in größerer Aufregung befunden.

Gegen Abend holten zwei Matrosen meine übrigen Sachen ab; ich dankte meinem Wirte und sagte Lia mit gleichgültiger Miene, sie möchte meine Wäsche in Wachsleinwand packen und ihrem Vater übergeben. Dieser hatte sich mit der Kiste, die ich für ihn bestellen sollte, bereits nach der Peote begeben.

Wir segelten mit gutem Winde ab, und ich glaubte, ich würde Lia niemals wiedersehen. Wie man sehen wird, hat das Schicksal anders bestimmt.

Wir hatten einen kräftigen Wind im Rücken und machten zwanzig Miglien, ohne eine andere Bewegung des Schiffes, als ein Schaukeln von vorn nach hinten, was durchaus nicht unangenehm ist. Plötzlich trat eine völlige Windstille ein, und wir blieben auf dem Fleck, wo wir waren.

Solche plötzlichen Veränderungen des Windes sind auf dem Adriatischen Meere nichts Seltenes, besonders in jener Gegend, wo wir uns befanden.

Diese Windstille dauerte nur kurze Zeit, ein starker West-Nord- West wühlte hohe Wogen auf, und das Meer wurde so unruhig, daß unsere kleine, fast unbeladene Peote auf eine fürchterliche Art und Weise, die mich sehr krank machte, auf den Wellen zu tanzen begann.

Gegen Mitternacht war der Wind völlig umgeschlagen und blies uns so stark entgegen, daß wir uns in der größten Gefahr befanden. Der Schiffer sagte mir: wenn wir nicht kentern wollten, könnte er nichts anderes tun, als mit dem Winde nach Ancona zurücksegeln, denn wir könnten es nicht wagen, auf einen der istrischen Häfen zuzuhalten.

In weniger als drei Stunden waren wir glücklich wieder im Hafen von Ancona. Der wachthabende Hafenbeamte erkannte uns und war so gefällig, mich an Land gehen zu lassen.

Während ich dem Beamten meinen Dank aussprach, daß er mir erlaubte, mich in einem guten Bett auszuruhen, bemächtigten sich die Matrosen meines Gepäcks und brachten es, ohne mich zu fragen, zu Mardochai.

Dies war mir unangenehm, denn ich wollte ein Wiedersehen mit Lia vermeiden und hatte die Absicht gehabt, im nächsten besten Gasthof abzusteigen.

Indessen, es war nun einmal geschehen.

Mein Jude stand auf und sprach mir seine große Freude aus, daß er das Glück hätte, mich wiederzusehen. Es war drei Uhr vorbei: ich war sehr krank und wünschte mich unverzüglich zu Bett zu legen. Ich sagte ihm, ich würde spät aufstehen und wünschte allein und im Bett zu essen, sobald ich rufen würde; ich bäte um ein gewöhnliches Mittagessen ohne Gänseleber.

Obgleich ich mich wie gerädert fühlte, schlief ich zehn Stunden in einem Zuge; aber als ich aufwachte, verspürte ich einen gesunden Appetit und klingelte.

Die Magd kam herein und sagte mir, sie werde die Ehre haben und mich bedienen, weil Lia seit dem vorigen Tage mit heftigem Kopfweh zu Bett liege.

Ich antwortete ihr nicht, aber dankte in meinem Herzen der Vorsehung, daß mir der Anblick der gefährlichen Dirne erspart blieb. Ich fand das Mittagessen zu wenig reichlich, und da ich mich nach dem Essen viel besser fühlte, so sagte ich der Köchin, sie sollte mir ein gutes Abendessen zurecht machen.

Das Wetter war fürchterlich.

Der venetianische Konsul hörte, daß ich wieder zurückgekehrt wäre, und als er mich nicht in seinem Hause sah, vermutete er, daß der Sturm mich krank gemacht hätte, und brachte zwei Stunden bei mir zu. Er versicherte mir, das schlechte Wetter werde mindestens acht Tage dauern. Diese Mitteilung war mir im höchsten Grade unangenehm, teils Lias wegen, die ich unmöglich während eines so langen Zeitraumes vermeiden konnte, teils aber auch, weil ich kein Geld mehr hatte. Glücklicherweise besaß ich Wertgegenstände, und dieser zweite Punkt beunruhigte mich daher weniger.

Ich fürchtete, Lia würde zum Abendessen kommen. Da sie jedoch nicht erschien, so glaubte ich, sie würde überhaupt nicht mehr kommen. Dafür war ich ihr dankbar, denn ich hielt ihre Krankheit nur für vorgeschützt, um ein Wiedersehen mit mir zu vermeiden. Ich fühlte mich infolgedessen viel weniger zornig auf sie; meine Vermutungen hatten jedoch keine innere Berechtigung.

Am anderen Morgen kam sie, wie gewöhnlich, und verlangte von mir Schokolade, um mein Frühstück zurecht zu machen; ihr Gesicht trug jedoch nicht mehr den Ausdruck von Zufriedenheit und Ruhe, der ihr so natürlich stand, oder den sie so gut zu heucheln wußte.

»Ich werde Kaffee trinken, mein Fräulein, und da ich keine Gänseleber mehr zu essen wünsche, so werde ich allein speisen. Sie können daher Ihrem Vater sagen, daß ich ihm nur sieben Paoli für den Tag bezahlen werde. Außerdem werde ich von jetzt an nur noch Orvietowein trinken.«

»Sie haben noch vier Flaschen Scopolo- und Zypernwein.«

»Ich nehme niemals wieder, was ich einmal gegeben habe; diese Flaschen gehören Ihnen. Sie tun mir einen Gefallen, wenn Sie sich entfernen und wenn Sie so wenig wie möglich in mein Zimmer kommen. Denn Ihre Gefühle und Ihre Bemerkungen sind darnach angetan, die Geduld eines Sokrates zu erschöpfen, und ich bin kein Sokrates. Außerdem empört Ihr Anblick mich. Ihr Äußeres hat nicht mehr die Macht, meine Augen zu blenden, und Ihr schöner Leib vermag nicht, mir den Gedanken fern zu halten, daß er die Seele eines Ungeheuers umschließt. Seien Sie überzeugt, daß die Matrosen mein Gepäck ohne meine Einwilligung hierher gebracht haben; sonst hätten Sie mich niemals wieder in Ihrem Hause gesehen, wo ich eine Todesangst ausstehe, daß man mich vergiften wird.«

Lia ging hinaus, ohne mir zu antworten, und ich fühlte mich überzeugt, daß sie nach meiner wenig schmeichelhaften Ansprache sich hüten würde, wieder vor mir zu erscheinen.

Die Erfahrung hatte mich gelehrt, daß Mädchen von Lias Charakter nicht selten sind. Ich hatte solche in Spaa, in Genua, in London und sogar in Venedig gekannt; aber diese Israelitin übertraf alles, was ich bis dahin in dieser Art kennen gelernt hatte.

Es war Samstag. Mardochai fragte mich nach seiner Rückkehr von der Synagoge mit lachendem Gesicht, warum ich denn seine Tochter gekränkt hätte; sie hätte ihm geschworen, sie hätte mir durchaus keinen Anlaß gegeben, mich über sie zu beklagen.

»Ich habe sie durchaus nicht gekränkt, mein lieber Mardochai; wenigstens ist dies durchaus nicht meine Absicht gewesen. Aber ich muß Diät halten und habe ihr daher gesagt, daß ich keine Gänseleber mehr wünsche; die Folge davon ist, daß ich allein essen und täglich drei Paoli sparen kann.«

»Lia ist bereit, mir diese drei Paoli aus ihrer Tasche zu bezahlen; sie will mit Ihnen speisen, um Ihnen zu beweisen, daß Sie keine Furcht zu haben brauchen, bei uns vergiftet zu werden. Sie hat mir nämlich gesagt, daß Sie dies befürchten.«

»Das war ein Scherz, den Sie natürlich nicht ernst nehmen dürfen; ich weiß sehr wohl, daß ich im Hause eines ehrlichen Mannes bin. Aber Ihre Tochter ist dumm, weil sie zu klug ist. Sie braucht keine drei Paoli zu bezahlen, denn ich habe es nicht nötig, dieses Geld zu sparen. Um Ihnen dies zu beweisen, werde ich sechs bezahlen, aber unter der Bedingung, daß Sie ebenfalls mit mir essen. Lias Anerbieten, drei Paoli für mich zu bezahlen, ist eine Unverschämtheit. Mit einem Wort, mein Lieber: entweder esse ich allein und bezahle Ihnen täglich sieben Paoli, oder ich bezahle dreizehn und esse mit Vater und Tochter. Das ist mein letztes Wort.«

Der gute Mardochai entfernte sich mit der Bemerkung, er habe nicht den Mut, mich allein essen zu lassen.

Zum Mittagessen stand ich auf. Ich sprach bei Tisch nur mit Mardochai, sah Lia nicht an und lachte nicht ein einziges Mal über die witzigen Bemerkungen, die sie von Zeit zu Zeit losließ, um meine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Ich trank nur Orvietowein.

Beim Nachtisch füllte Lia mein Glas mit Scopolowein und sagte mir, wenn ich diesen nicht tränke, würde sie ihn auch nicht mehr trinken.

Ohne sie anzusehen, antwortete ich ihr: wenn sie vernünftig wäre, würde sie stets nur Wasser trinken, und ich wolle nichts aus ihrer Hand empfangen.

Mardochai, der den Wein liebte, lachte, sagte, ich hätte recht, und trank für drei.

Da das Wetter schlecht war, brachte ich den Rest des Tages mit Schreiben zu; nachdem ich zu Abend gegessen hatte, wobei mich die Magd bediente, legte ich mich zu Bett und schlief ein.

Ich lag im ersten Schlummer, als ich von einem kleinen Geräusch geweckt wurde.

»Wer ist da?« rief ich.

»Ich«, sagte Lia leise; »ich will Sie nicht beunruhigen, sondern möchte mich nur eine halbe Stunde mit Ihnen unterhalten, um mich zu rechtfertigen.«

Mit diesen Worten legte sie sich neben mich, aber auf die Bettdecke.

Dieser unerwartete Besuch, der so wenig zu dem Charakter des eigentümlichen Mädchens zu passen schien, freute mich; denn da ich nur Gefühle der Rache gegen sie hegte, fühlte ich mich sicher, daß ich nicht den Listen erliegen würde, die sie vielleicht aufbieten würde, um einen Sieg davon zu tragen, den sie gewiß nur erstrebte, um sich für meine Kälte zu rächen. Weit entfernt, sie schroff zurückzuweisen, sagte ich ihr ziemlich freundlich, ich hielte sie für gerechtfertigt und bäte sie, sich zu entfernen, da ich der Ruhe bedürftig wäre.

»Ich werde mich erst entfernen, wenn Sie mich angehört haben.«

»So sprechen Sie denn; ich höre.«

Hierauf begann sie eine Rede, die eine gute Stunde dauerte, und die ich nicht ein einziges Mal unterbrach.

War es nun die Kunst ihrer Beredsamkeit oder war es Macht des Gefühls, das sie mit einer herrlichen Stimme zum Ausdruck brachte – genug, ihre Rede machte Eindruck auf mich. Zunächst gestand sie all ihr Unrecht ein; dann aber sagte sie, in meinem Alter und mit meiner Erfahrung müßte ich einem achtzehnjährigen jungen Mädchen verzeihen, daß es, von einem glühenden Temperament und von einer unwiderstehlichen Neigung zu den Freuden der Liebe fortgerissen, nicht imstande gewesen wäre, auf die Stimme der Vernunft zu hören. Dieser verhängnisvollen Schwäche müßte ich alles verzeihen, sogar ein Verbrechen; denn selbst wenn sie sich eines solchen schuldig machen sollte, so geschähe es nur, weil sie sich selber nicht in der Gewalt hätte.

»Ich schwöre Ihnen, daß ich Sie liebe!« rief sie. »Ich würde Ihnen dieses auf die unzweideutigste Weise bewiesen haben, wenn ich nicht unglücklicherweise in einen jungen Christen verliebt wäre, eben jenen, den Sie bei mir gesehen haben; er ist ein armer Schlucker, ein Wüstling, liebt mich nicht und läßt sich von mir bezahlen. Trotz meiner Liebe und meiner glühenden Leidenschaft habe ich ihm niemals bewilligt, was ein Mädchen nur einmal verlieren kann. Seit sechs Monaten hatte ich ihn nicht gesehen, und Sie sind schuld daran, daß ich ihn in jener Nacht kommen ließ; denn Sie hatten mit Ihren Bildern und Ihren Likörweinen meinen Leib in Flammen gesetzt.«

Der Schluß dieser ganzen Verteidigungsrede lief darauf hinaus, daß ich ihr ihren Seelenfrieden wiedergeben müßte, indem ich ihr während der leider nur zu wenigen Tage, die ich noch bei ihr bleiben würde, meine ganze Neigung wieder schenkte.

Als sie ausgeredet hatte, gestattete ich mir nicht den geringsten Einwurf. Ich tat, wie wenn ich überzeugt wäre, versicherte ihr, daß ich anerkennen müßte, unrecht getan zu haben, indem ich ihr die geilen Bilder zum Aretino gezeigt hätte, und sagte, es täte mir sehr leid, daß sie das Unglück hätte, ihrem Temperament nicht widerstehen zu können. Ich schloß mit dem Versprechen, daß sie in meiner Haltung keine Spur von Groll mehr bemerken würde.

Da diese meine Erklärung nicht auf das hinauslief, was die Spitzbübin wünschte, fuhr sie fort, von der Schwäche des Fleisches zu sprechen oder von der Macht des Selbstgefühls, das gar oft der zärtlichsten Neigung Hindernisse in den Weg lege und ein Herz zwinge, gegen seine eigenen teuersten Interessen zu handeln usw. Sie wollte mich überzeugen, daß sie mich liebte und daß sie sich mir nur deshalb vorenthalten hätte, um meine Liebe stärker zu machen und meine Achtung zu gewinnen. Ich sollte überzeugt sein, daß ihre Natur sie gezwungen hätte, so zu handeln, und daß es nicht ihre Schuld wäre, wenn sie mir nicht alles bewilligt hätte.

Wie viel hätte ich ihr antworten können! Wie leicht hätte ich ihre Gründe widerlegen können! Ich hätte ihr sagen können, daß ich sie gerade wegen ihrer abscheulichen Naturanlage hassen müsse; aber ich hütete mich wohl, dies zu tun. Ich wollte sie nicht zur Verzweiflung bringen. Ich sah wohl, worauf sie hinaus wollte, und es galt nun, ihren vorauszusehenden Angriff abzuwarten, um sie durch dessen Zurückweisung auf das tiefste zu demütigen. Dieser Angriff, den ich so nahe geglaubt hatte, kam jedoch nicht. Sie machte nicht die geringste Bewegung mit ihren Händen und kam mir nicht ein einziges Mal mit ihrem Gesicht zu nahe.

Ohne Zweifel wurde sie endlich des Kampfes müde, den sie seit zwei Stunden mit sich selber zu führen hatte. Wider mein Erwarten ging sie plötzlich hinaus, indem sie mir gute Nacht wünschte.

Als sie fort war, wünschte ich mir Glück, daß ihre Verführungsversuche nicht über Worte hinausgegangen waren; denn sie hatte mich in einen solchen Zustand versetzt, daß ein körperlicher Angriff ihr vielleicht einen vollständigen Sieg verschafft hätte, obwohl wir im Dunkeln waren. Gerade ein sehr starker Mann ist in solchen Fällen außerordentlich schwach.

Ich darf nicht vergessen, zu erwähnen, daß ich ihr, bevor sie ging, versprechen mußte, mir von ihr wie früher meine Schokolade machen zu lassen.

Am anderen Morgen kam sie in aller Frühe, um eine Tafel Schokolade zu holen. Sie war äußerst mangelhaft bekleidet und ging auf den Fußspitzen, wie wenn sie mich aufzuwecken befürchtete. Sie hätte aber bloß einen Blick nach meinem Bett zu werfen brauchen, um zu sehen, daß ich nicht schlief.

Ich sah also, daß sie immer noch ebenso falsch und listig war, und nahm mir von neuem ganz fest vor, ihr in keiner Weise entgegenzukommen.

Als sie mir meine Schokolade brachte, sah ich zwei Tassen auf dem Anrichtebrett und sagte: »Es ist also nicht wahr, daß Sie die Schokolade nicht lieben?«

»Ich halte mich für verpflichtet, Ihnen jede Furcht der Vergiftung zu benehmen.«

Sehr bezeichnend fand ich es auch, daß sie ein Kleid angezogen hatte und den Busen bedeckt trug, während sie eine halbe Stunde vorher in Hemd und Unterrock mit völlig nackter Brust gekommen war.

Je mehr ich aber sah, daß sie mich durch ihre Reize ködern wollte, desto fester wurde mein Entschluß, sie durch Gleichgültigkeit zu demütigen.

Wenn ich nicht siegte, so war dies für mich eine große Schande, und bei dem Gedanken daran verspürte ich einen eisig kalten Schauder.

Trotz meinen festen Vorsätzen begann Lia mich beim Mittagessen von neuem zu verführen; denn sie ließ gegen meinen Befehl eine schöne Gänseleber auftragen und sagte, diese sei für sie allein, und wenn sie dadurch vergiftet würde, so wollte sie mit Vergnügen sterben. Mardochai konnte der Versuchung des leckeren Gerichtes nicht widerstehen und sagte, er wolle ebenfalls sterben, hierauf langte er ganz gehörig zu.

Ich mußte gegen meinen Willen lachen und rief: »Dann wollen wir alle drei sterben!«

»Ihre Entschlüsse«, sagte Lia, »sind nicht stark genug, um der Verführung standzuhalten.«

Diese Bemerkung ärgerte mich, und ich antwortete ihr: wenn sie sich zu viele Blößen gäbe, so wäre das sehr geistreich, aber weniger klug; sie würde sehen, daß ich stark genug sein würde, um standhaft zu bleiben.

Ein feines Lächeln kräuselte ihre Lippen.

»Versuchen Sie es nur,« rief ich, »mich dazu zu bringen, daß ich Scopolo oder Muskateller trinke. Ich hätte allerdings diese Weine getrunken, wenn Sie mir nicht die Schwäche meiner Entschlüsse vorgeworfen hätten. Ich werde Sie überzeugen, daß diese unerschütterlich sind.«

»Wer immer standhaft bleibt, ist allerdings stark,« sagte Lia; »liebenswürdig aber ist der Mensch, der sich oft besiegen zu lassen weiß.«

»Das will ich zugeben, aber Sie werden begreifen, daß ein liebenswürdiges Mädchen einem Manne niemals die Schwächen vorhält, zu denen sie selber ihn veranlaßt.«

Ich rief die Magd und schickte sie zum venetianischen Konsul, um mir Scopolo und Muskateller zu holen. Lia war außer sich vor Freude, aber sie ärgerte mich abermals, indem sie vor Begeisterung ausrief: »Ich gebe mit Freuden zu, daß Sie der liebenswürdigste aller Männer sind.«

Mardochai, der nichts von dem Sinn unserer Worte begriff, aß und trank lachend und war sehr zufrieden.

Am Nachmittag ging ich trotz dem scheußlichen Wetter in ein Kaffeehaus. Indem ich an Lia dachte, hielt ich es für sicher, daß sie gleich in der nächsten Nacht den Angriff erneuern würde und daß dieser, ihrem Charakter entsprechend, noch stärker sein würde als in der vorhergehenden Nacht. Ich wollte nicht unterliegen, aber ich fürchtete, daß meine Manneskraft mich schwach machen würde, und beschloß, diese zu schwächen, wenn ich ein einigermaßen erträgliches Frauenzimmer finden könnte, um bei dieser den Überschuß meiner Kraft los zu werden.

Zu diesem Zwecke ließ ich mich von einem Griechen, der mir einige Tage vorher ein Haus gezeigt hatte, das mir nur Ekel verursacht hatte, nach einem anderen Hause führen, wo eine geschmacklos herausgeputzte, über und über geschminkte Griechin mir einen solchen Widerwillen einflößte, daß ich beim ersten Anblick davonlief.

Ich ärgerte mich, daß in einer Stadt wie Ancona ein einigermaßen zartfühlender Mensch nicht für sein gutes Geld ein so gebieterisches Bedürfnis befriedigen konnte, aber es blieb mir nichts anderes übrig, als nach Hause zu gehen. Nachdem ich allein, wie immer, zu Abend gegessen hatte, schloß ich meine Tür zu, was ich bis dahin nur zweimal getan hatte, und begann mich auszuziehen.

Diese Vorsicht war jedoch zwecklos.

Wenige Augenblicke später klopfte Lia an meine Tür unter dem Verwande, daß ich vergessen hätte, ihr die Schokolade zu geben.

Ich öffnete und gab ihr die Schokolade; hierauf bat sie mich, meine Türe offen zu lassen: »Ich habe Ihnen Wichtiges zu sagen, und es wird das letzte Mal sein.«

»Sie können mir jetzt sagen, was Sie von mir wünschen.«

»Nein, es ist ein bißchen lang, was ich Ihnen zu sagen habe und, ich kann erst kommen, wenn alle Leute im Hause eingeschlafen sind. Aber sie haben nichts zu befürchten, denn Sie wissen sich ja zu beherrschen. Sie können sich ruhig zu Bett legen, da ich Ihnen ja nicht mehr gefährlich bin.«

»Nein, gefährlich sind Sie ganz gewiß nicht, und um Ihnen dies zu beweisen, werde ich meine Türe offen lassen.«

Ich war fester denn je entschlossen, alle ihre Listen zuschanden zu machen; deshalb ließ ich meine Kerzen brennen, denn wenn ich sie ausgelöscht hätte, so hätte sie vielleicht glauben können, daß ich mich vor ihr fürchtete, und das wollte ich nicht, übrigens mußte bei Licht mein Triumph und ihre Niederlage um so vollkommener sein. Ich legte mich zu Bett.

Um elf Uhr kündigte ein leises Geräusch mir an, daß der Augenblick des Kampfes da war. Ich sah Lia eintreten. Sie war nur mit ihrem Hemd und einem dünnen Unterröckchen bekleidet. Leise schob sie den Riegel vor die Tür, und als ich sie fragte: »Nun? Was wollen Sie mir denn sagen?« kam sie in das Bettgäßchen, ließ Unterrock und Hemd fallen, hob meine Decke auf und legte sich, wie eine Venus, die eben aus dem Bade kommt, an meine Seite.

Ich war zu überrascht und zu aufgeregt, um sie zurückstoßen zu können.

Lia, ihrer Sache sicher, sprach keinen Ton, warf sich auf mich, drückte mich gegen ihren Busen und preßte ihren Mund auf meine Lippen. Augenblicklich waren alle meine Kräfte gelähmt mit Ausnahme gerade jener, die ich hatte schlummern lassen wollen.

In einem kurzen Augenblick, den ihre heißen Liebkosungen mir zum Nachdenken frei ließen, erkannte ich, daß ich ein anmaßender Tor war, daß Lia sehr klug war und daß sie die menschliche Natur unendlich besser kannte als ich.

Sofort wurden meine Liebkosungen ebenso stürmisch wie die ihrigen; ich verschlang mit meinen Küssen ihre beiden Halbkugeln von Alabaster und Rosen und verhauchte mein Leben am Eingang zum Heiligtum der Liebe, das ich zu meiner großen Überraschung unverletzt fand. Ich war überzeugt, daß ich das Schloß nur mit Gewalt sprengen konnte.

Nach einem kurzen Schweigen sagte ich zu ihr: »Teure Lia, du zwingst mich, dich anzubeten; aber wie hast du nur verlangen können, daß ich dich hassen sollte? Wäre es möglich, daß du dich nur in meine Arme geworfen hättest, um mich zu demütigen, um einen nichtigen und flüchtigen Sieg zu erlangen? Wenn du dies gedacht hast, so verzeihe ich dir, aber du hast unrecht; der Genuß, glaube mir, ist tausendmal köstlicher als das Vergnügen, das deine Rache dir vielleicht machen kann.«

»Nein, mein Freund, ich bin hier nicht, um zu triumphieren, um mich zu rächen, um einen Sieg zu erringen, dessen ich mich schämen müßte; ich bin hier nur, um mich dir ganz und gar hinzugeben, um dich zu meinem Sieger und zu meinem unumschränkten Gebieter zu machen. Um mir dies zu beweisen, mache mich, bitte, ganz glücklich!! Sprenge die Schranke, die ich bis zu diesem Augenblick trotz ihrer Schwäche und meiner Glut unversehrt erhalten habe; und wenn du trotz dem Opfer, das ich dir bringe, noch an der Aufrichtigkeit meiner Zärtlichkeit zweifelst, so muß ich in dir den boshaftesten aller Menschen sehen.«

Niemals hatte ich eine so kräftige und zugleich so wollüstige Sprache gehört. Ich ging ans Werk. Sanft wie ein Lamm half sie mir nach besten Kräften. Ich sprengte das Schloß und konnte auf Lias schönem Gesicht eine seltsame Mischung von heftigem Schmerz und vollständiger Wollust beobachten. Ich fühlte, wie in der ersten Ekstase ihr ganzer Leib von Lust und Wonne zitterte.

Der Genuß, der mir zuteil wurde, erschien mir völlig neu. Ich fühlte mich wieder kräftig wie vor zwanzig Jahren, aber ich besaß das verständige Zartgefühl meines Alters und beschloß daher, meinem Genuß erst dann den Höhepunkt erreichen zu lassen, wenn ich es durchaus nicht länger zurückhalten könnte. So sparte ich meine Kräfte, indem ich Lia schonte, die ich bis morgens drei Uhr an mich gepreßt hielt. Als ich sie losließ, war sie von Wollust überströmt und völlig erschöpft, und auch ich konnte nicht mehr.

Sie verließ mich voller Dankbarkeit und nahm die vom Opferblut besprengten Bettücher mit. Ich aber schlief in einem Zuge bis zu Mittag.

Als ich sie bei meinem Erwachen mit dem süßen Ausdruck befriedigter Liebe auf dem Gesicht vor mir erscheinen sah, betrübte mich der Gedanke an meine baldige Abreise; ich sprach ihr meine Gefühle aus, und sie bat mich, meine Abreise so lange wie möglich hinauszuschieben. Ich sagte ihr, wir würden das während der nächsten Nacht in Ordnung bringen.

Hierauf hatten wir ein köstliches Mittagessen. Seitdem Mardochai mein Tischgenosse geworden war, setzte er seinen Stolz darein, mir zu zeigen, daß er nicht geizig war.

Ich verbrachte den Nachmittag beim Konsul und verabredete mit ihm, daß ich auf einem neapolitanischen Kriegsschiff segeln sollte, das nach Beendigung der Quarantäne nach Triest fahren mußte.

Diese Abmachung nötigte mich, noch einen vollen Monat in Ancona zu bleiben, und ich segnete den Sturm, der mich wider meinen Willen in den Hafen zurückgeführt hatte.

Ich gab dem Konsul die goldene Tabaksdose, die ich vom Kurfürsten von Köln erhalten hatte, jedoch ohne das Porträt, denn dieses wollte ich behalten. Drei Tage darauf gab er mir ungefähr vierzig goldene Zechinen dafür. Das war alles, was ich brauchte.

Mein Aufenthalt in dieser Stadt kostete mir sehr viel Geld in Anbetracht meiner damaligen Mittel. Als ich jedoch Mardochai sagte, daß ich noch einen Monat bei ihm bleiben werde, erklärte er mir mit aller Bestimmtheit, er wolle mir nicht mehr zur Last fallen. Wie man sich denken kann, bestand ich nicht darauf. So blieb mir also nur noch Lia.

Ich habe immer geglaubt – vielleicht allerdings mit Unrecht – daß es dem Juden nicht unbekannt war, daß seine Tochter mir ihre Huld schenkte.

In dieser Hinsicht find die Juden im allgemeinen nicht heikel; denn da die Frucht, die ein solches Verhältnis vielleicht trägt, unter allen Umständen israelitisch bleibt, so sind sie der Meinung, daß sie einen Christen betrügen, wenn sie ihn gewähren lassen.

Ich wollte meine teure Lia nicht in die Lage bringen, daß sie unsere Vereinigung bereuen müßte.

Wie dankbar, wie zärtlich war sie, als ich ihr sagte, daß ich noch einen ganzen Monat bei ihr bleiben würde! Wie segnete sie das schlechte Wetter, das mich verhindert hatte, nach Fiume zu kommen!

Wir schliefen alle Nächte beieinander, sogar in jenen Nächten, während welcher Moses bei Strafe des Fluches den Frauen verboten hat, sich der Liebe hinzugeben.

Ich schenkte dem reizenden Mädchen das kleine goldene Herz, das unsere ersten Gespräche über Liebe veranlaßt hatte; es mochte etwa zehn Zechinen wert sein; sie weigerte sich jedoch, irgendeine Belohnung dafür anzunehmen, daß sie mir sechs Wochen lang meine Wäsche besorgt hatte. Außerdem nötigte sie mich, herrliche indische Taschentücher von ihr zum Geschenk anzunehmen. Sechs Jahre später habe ich diese reizende Frau in Pesaro wiedergesehen; ich werde davon sprechen, wenn wir so weit sind.

Am 14. November fuhr ich von Ancona ab und am 15. befand ich mich in Triest im Albergo Grande.