Einundvierzigste Erzählung


Von der neuartigen, seltsamen Buße, die ein Franziskaner als Beichtvater einem Mägdelein auferlegte.

»In dem Jahre, da Margarete von Österreich im Auftrage ihres Neffen, des Kaisers, nach Cambral kam, um mit Luise von Savoyen, der Mutter des allerchristlichen Königs, über den Frieden zu verhandeln, kam auch in Margaretens Gefolge die Gräfin von Aiguemont dorthin und erfreute sich des Ruhmes, für die schönste Frau Flanderns zu gelten. Diese kehrte nach Beendigung jener Verhandlungen wieder in ihr Schloß zurück, und da nun die Adventszeit nahte, ließ sie ein Franziskanerkloster um Abordnung eines Beichtvaters für sie selbst und ihr Haus ersuchen. Der Abt wählte den würdigsten aus, der nur irgend hierfür in Betracht kommen konnte, maßen sein Kloster von den Familien Aiguemont und Piennes, denen die Gräfin angehörte, mit Wohltaten überhäuft wurde. Und so wurde der angesehenste Prediger jener Brüderschaft entsandt, der auch während der ganzen Adventszeit zur großen Zufriedenheit der Gräfin seines Amtes waltete.

In der Weihnachtsnacht ließ dann die Gräfin den Beichtiger rufen, um das Abendmahl zu nehmen, beichtete ihm in einer wohlverschlossenen Kapelle, auf daß die Beichte um so geheimer vor sich ginge, ließ dann die Ehrendame beichten, und diese schickte hierauf ihre junge Tochter zu jenem wackeren Beichtvater. Als selbige alles gesagt hatte, was sie wußte, und er so hinter ein kleines Geheimnis gekommen war, wandelte ihn die kecke Lust an, ihr eine ungewöhnliche Buße aufzuerlegen, und so sprach er:

›Meine Tochter, deine Sünden sind so schwer, daß ich dir zur Sühne auferlegen muß, meinen Strick auf dem bloßen Leib zu tragen.‹ – Das Mägdelein sagte gehorsam: ›So gebt ihn mir, auf daß ich ihn nach Euerm Geheiß umlege.‹ – ›Nein, meine Tochter,‹ entgegnete jener, ›das genügte nicht, wenn es von deiner Hand geschähe; das müssen meine Hände sein, die dir auch dann Absolution erteilen. Die werden dich das erstemal gürten, und so wirst du alsbald deiner Sünden ledig.‹

Nun begann das Mägdelein zu weinen und erklärte, sie wolle es nicht tun. – ›Wie,‹ rief der Mönch, ›bist du eine Ketzerin, die eine Buße abweist, wie Gott und unsere heilige Mutter, die Kirche, sie vorschreibt?‹ – ›Ich habe gebeichtet,‹ schluchzte das Mägdelein, ›wie die Kirche es befiehlt, und will gern Buße tun, um Absolution zu erhalten. Doch will ich nicht, daß Eure Hände mich berühren, denn sonst werde ich die Buße verweigern.‹ – ›Wenn es so ist,‹ sprach der Beichtvater, ›dann gebe ich dir auch keine Absolution.‹ Alsbald erhob sich das Mägdelein in tiefer Verwirrung, denn es war sehr jung, und so fürchtete es, durch diese Ablehnung eine Sünde begangen zu haben. Als nun nach der Messe die Gräfin das Abendmahl nahm, fragte die Ehrendame, die alsdann an der Reihe war, ihr Töchterlein, ob es bereit sei. Das Mägdelein gestand ihr unter Tränen, daß der Pater ihr die Beichte nicht abgenommen habe. ›Was hast du denn aber dort so lange geweilt?‹ fragte die Mutter. – ›Ich wollte die auferlegte Buße nicht erfüllen,‹ schluchzte das Mädchen, ›und so gab er mir keine Absolution.‹

Nun sprach die Mutter so klug auf sie ein, daß sie bald erfuhr, welch seltsame Buße der treffliche Beichtvater ihr hatte auferlegen wollen. Drob ließ die Mutter sie bei einem andern Mönch beichten, worauf beide das Abendmahl nahmen. Sobald aber die Gräfin von der Kirche zurückkehrte, trug ihr die Ehrendame ihre Klage ob jenes Paters vor. Des war die Gräfin gar betreten, sintemalen sie ihn bisher so wohl beurteilt hatte. Doch konnte ihr Zorn sie auch nicht hindern, über diese neuartige Buße zu lachen, so hielt sie solches nicht ab, den Franziskaner in die Küche schleppen und wohl mit Ruten bestreichen zu lassen, bis er die Wahrheit gestand. Alsdann sandte sie ihn mit gefesselten Händen und Füßen zu seinem Prior zurück und ließ bitten, ihr künftig jemanden zu schicken, der geeigneter sei, Gottes Wort zu verkünden.

Bedenket wohl: wenn die Mönche in einem so hochedlen Hause wie diesem keine Angst haben, ihre Frechheit zu enthüllen – was mögen sie bei armen Leuten tun, wo sie doch vor allem zu tun haben und ihnen alles so leicht gemacht wird. Mir scheint es ein Wunder, daß sie meist ungerupft davonkommen. Doch wandelt eure Entrüstung in Mitleid, meine Damen, und bedenkt, daß der gleiche Teufel, der Mönche verblendet, auch geeigneten Falles Damen nicht verschont.«

»Ich finde, das war ein recht schlimmer Mönch,« entrüstete sich Oisille, »und die äußeren Umstände – Weihnachtsnacht, Kirche und Beichte – erschwerten noch seine Sünde.« – »Meint Ihr,« neckte Hircan, »daß die Franziskaner keine Menschen sind und es sich nicht entschuldigen läßt, maßen er sich doch in tiefer Nacht allein mit einem schönen Mägdelein sah?« – »Er hätte wohl bedenken sollen,« warf Parlamente ein, »daß in jener Nacht die Geburt Jesu Christi gefeiert wurde.« – »Ihr überseht, daß einer Geburt eine Empfängnis vorhergeht,« rief Saffredant. »Immerhin war sein Tun sündhaft, und er hat seine Strafe verdient.« – »Vielleicht wäre es besser gewesen, ihm nur Vorwürfe zu machen, statt die Sache an die große Glocke zu hängen,« meinte Guebron. »Denn hat ein Mönch erst die Scham verloren, dann wird er sich schwerlich bessern. Mit der Scham verliert man meist auch das Gewissen.« – »Dem kann ich nicht beistimmen,« entgegnete Parlamente. »Mir scheint es verdienstlich, solchen Menschen die Maske abzureißen, auf daß wir uns so vor Verführungen unserer Töchter hüten, die oft nicht genügend gewarnt sind. – Doch wem wird nun Hircan das Wort geben?« – »Euch selbst, die Ihr fragt,« sprach der, »maßen kein verständiger Mensch es Euch verweigern wird.«

»Wenn ich dergestalt an der Reihe bin,« hub Parlamente an, »so will ich einen Fall berichten, für den ich persönlich bürgen kann. Wenn die Tugend in einem schwachen Geschöpfe von einem starken und mächtigen Feinde angegriffen wird, so ist ihr Sieg bekanntlich um so preislicher. Denn wenn ein Starker einen Starken überwindet, so ist das nicht weiter verwunderlich. So täte ich der Wahrheit, die ich in so armem Gewande erkannte, daß sie gar unbemerkt blieb, unrecht, wenn ich nicht die Geschichte jenes Mägdeleins erzählte, das also rühmenswerte Taten vollbrachte.«

Zweiundvierzigste Erzählung


Wie ein Mägdelein den hartnäckigen Nachstellungen eines französischen Fürsten widerstand und über ihn obsiegte.

»In einer der größten Städte der Touraine wohnte ein Fürst aus edlem Hause, der dort seit frühester Jugend aufgewachsen war. Von seiner Vollkommenheit, Anmut, Schönheit und Tugend vermag ich nur zu sagen, daß er in dieser Zeit seinesgleichen nicht fand. Mit fünfzehn Jahren begann er sich an Jagden zu ergötzen, doch schöne Frauen erregten seine Aufmerksamkeit noch nicht. Da erblickte er eines Tages in einer Kirche ein Mägdelein, das früher im Schlosse gelebt hatte. Doch war es nach der Mutter Tod gleich seinem Bruder vom Vater nach Poitou gebracht worden. Das Mägdelein hieß Françoise, und eine Halbschwester von ihr war mit dem Vorsteher der fürstlichen Hofkellerei verheiratet. Als der Vater starb, ließ er Françoise all seinen Besitz bei jener Stadt. Dorthin zog sie sich anfangs zurück; da sie aber sechzehn Jahre alt wurde und sich verheiraten wollte, so mochte sie nicht allein dort bleiben und suchte bei der Schaffnerin, ihrer Halbschwester, Unterkunft.

Als nun der junge Fürst sah, wie schön sie trotz ihres dunklen Haares war und wie ihre Anmut so wenig ihrem Stande glich (maßen sie eher einer Edelfrau gleichsah), so schaute er sie lange an. Und er, der bisher nie geliebt hatte, fühlte in seinem Herzen ein ungewohntes Lustgefühl auskeimen, also daß er sich nach ihr erkundigen ließ, als er wieder heimkam. So erfuhr er, daß sie früher oft ins Schloß gekommen war und bei seiner Schwester mit Puppen gespielt hatte. Selbiger rief er sie alsbald wieder ins Gedächtnis zurück und die Schwester ließ das Mägdelein holen, bewirtete es trefflich und bat es, öfters wiederzukommen.

Das tat sie auch, und wenn der Fürst sie bei Festen und Gesellschaften mit Wohlgefallen ansah, so bedachte er, sie recht herzlich zu lieben, und in anbetracht ihrer schlichten Abkunft vermeinte er um so leichter zum Ziele zu gelangen. Da er aber keine Möglichkeit sah, mit ihr ungestört zu reden, so entsandte er einen Edelmann aus seinem Gefolge zu ihr, um für ihn zu sprechen. Sie aber entgegnete in ihrer Klugheit und Gottesfurcht: sie könne nicht glauben, daß ein so schöner und edler Fürst, wie ihr Herr es sei, Freude daran fände, ein so einfaches Mädchen wie sie anzuschauen, zumal es im Schlosse so viele schöne Frauen gäbe, daß er nicht in der Stadt zu suchen brauche. Darum meine sie, der Edelmann sage das aus sich, ohne Auftrag seines Herrn.

Als der Fürst diese Antwort erhielt, flammte ob des Widerstandes seine Liebe um so heller auf. Flugs schrieb er einen Brief und bat sie darin, den Worten jenes Edelmannes Glauben zu schenken. Sie verstand sehr wohl zu lesen und zu schreiben. Doch nachdem sie den Brief durchgelesen hatte, wollte sie trotz der Bitten des Edelmannes keine Antwort schreiben, denn, erklärte sie, einem Mädchen so niederer Abkunft gezieme es nicht, an einen so hohen Fürsten Briefe zu richten. Doch ließ sie ihn bitten, er möge nicht glauben, sie wäre so dumm, zu vermeinen, daß er wirklich in sie verliebt wäre. Sollte er aber annehmen, daß er sich ob ihres einfachen Standes leichtlich an ihr verlustieren könne, so täusche er sich; denn ihr Herz sei so ehrenrein als das der edelsten Prinzessin der Christenheit; sie hielte ihre Tugend und ihr Gewissen für ihren reichsten Schatz auf Erden, und müßte sie auch sterben, so würde sie doch nie ihre Ansicht ändern.

Der Fürst war ob jener Antwort wenig beglückt. Doch da er sie weiter liebte, so sorgte er stets dafür, in der Kirche in ihrer Nähe zu sitzen, und während des Gottesdienstes heftete er dann unentwegt seine Augen auf ihre Schönheit. Als sie dessen inne ward, ging sie in eine andere Kapelle, und da stets, wohin sie sich auch setzte, der Fürst in ihrer nächsten Nähe die Messe anhörte, so wollte sie überhaupt diese Kirche nicht mehr besuchen und begab sich täglich zu der entferntesten, die sie finden konnte.

Wenn es aber Feste im Schlosse gab, dann wollte sie auch nicht mehr daran teilnehmen und schützte gegenüber den dringenden Bitten der Prinzessin Krankheit vor. Als so der Fürst einsah, daß er mit ihr nicht sprechen konnte, wandte er sich an den Schaffner und versprach ihm für seine Mithilfe eine große Belohnung. Darauf ging der gern ein, teils um dem Fürsten gefällig zu sein, teils weil er sich die Belohnung nicht entgehen lassen mochte, und berichtete nun täglich, was das Mägdelein sagte und tat; zumal aber, wie sie nach Möglichkeit versuchte, dem Fürsten aus dem Wege zu gehen.

Mochte diesem nun in dem glühenden Wunsche, sich mit ihr zu vergnügen, solche bequeme List beigefallen sein: kurz und gut, eines Tages begab er sich hoch zu Roß auf den Hauptplatz der Stadt vor das Haus des Kellermeisters, bei dem Françoise wohnte, und erging sich dort in allerlei Reitkünsten, die jene wohl sehen konnte. Plötzlich aber ließ er sich in einen großen Schmutzhaufen abwerfen, und obwohl er recht weich gefallen war, erhob er ein großes Wehgeschrei und bat, ihn in ein Haus zu nehmen, auf daß er die Kleider wechseln könne.

Zwar boten alle das ihre an. Doch äußerte jemand, das Haus des Kellermeisters sei am nächsten und zudem am anständigsten, und so brachte man ihn dorthin. Er fand das Zimmer gar wohl eingerichtet, und alsbald entkleidete er sich bis aufs Hemd, maßen seine sämtlichen Gewänder kotdurchtränkt waren. Dann legte er sich ins Bett, und derweile alle fortgingen um frische Kleidungsstücke zu holen, rief er seine Wirtsleute und fragte sie, wo Françoise sei. Die vermochten sie nur mit Mühe zu finden. Denn kaum hatte das Mägdelein gesehen, daß man den jungen Fürsten in ihr Haus brachte, so hatte es sich im entlegensten Winkel verborgen. Endlich fand ihre Schwester sie dort und bat sie, ohne Furcht mit dem edlen und tugendhaften Prinzen zu sprechen. Sie entgegnete:

›Wie könnt Ihr, teure Schwester, die ich meiner Mutter gleich halte, mir raten, mit einem hohen Herrn zu sprechen, dessen Absichten ich doch, wie Ihr wißt, so genau kenne.‹ Die Schwester aber bestürmte sie und versprach ihr, sie nicht allein zu lassen, so daß sie endlich mit ihr ging. Doch war sie so bleich und entstellt, daß sie wahrlich keine Lüsternheit mehr erwecken konnte. Als sie nun der junge Fürst neben dem Bett sah, nahm er ihre kalte, zitternde Hand und sprach:

›Françoise, haltet Ihr mich für derart wild und grausam, daß Ihr vermeint, ich könnte Frauen mit meinen Blicken verzehren? Warum fürchtet Ihr mich so sehr, da ich doch nur Eure Ehre und Euren Vorteil im Auge habe? Ihr habt mich geflohen, aber das hat Euch nichts genützt, wir Ihr seht. Auf die Gefahr hin, mir den Hals zu brechen, ließ ich mich vom Pferd abwerfen, bloß um das Vergnügen zu erleben, mit Euch plaudern zu können. Da ich nun die Gelegenheit so mühsam erkauft habe, gestattet mir, bitte, zu versuchen, durch meine große Liebe die Eure zu erringen.«

Und nachdem er lange Zeit auf ihre Antwort gewartet hatte und sah, daß ihre Augen voller Tränen standen und ihr Blick zur Erde gerichtet war, zog er sie, so nahe er konnte, an sich, um sie zu umarmen und zu küssen. Sie aber sagte:

»Nein, edler Herr, nein. Was Ihr wünschet, kann nicht geschehen. Denn bin ich auch neben Euch nur ein armseliger Wurm, so möchte ich doch lieber sterben, als für die schönsten Freuden der Welt meine Ehre dahingeben. Schon der Gedanke, jene, die Euch hier eintreten sahen, könnten das mißdeuten, macht mich zittern. Doch da Ihr mir die Ehre antut, mit mir zu sprechen, so gestattet, daß ich Euch antworte, wie die Ehre es mich heißt. Ihr wißt recht wohl, daß eine Kosestunde mit einem Mädchen niederen Standes Euch nur den Stoff abgibt, um von Euern Liebesabenteuern später zu erzählen. Da mich nun Gott nicht zur Prinzessin gemacht hat, die Ihr heiraten könntet, noch mir den Stand verlieh, um Euch Herrin und Freundin zu sein, so erniedrigt mich, bitte, nicht zu jenen armen unglücklichen Geschöpfen. Ich achte und ehre Euch als einen der glücklichsten Fürsten der Christenheit: so bewahret mir Eure Gunst, und mein Lebelang will ich zu Gott um Glück und Heil für Euch flehen. Einen andern Dienst aber kann ich Euch nicht erweisen.«

Als nun der junge Fürst diese sittsame Antwort hörte, mußte er das Mägdelein ob ihrer ehrbaren Gesinnung hochschätzen, obgleich sie doch seinem Wunsch entgegentrat. So suchte er sie glauben zu machen, daß er sie allein ewig lieben würde. Das vermochte er ihr nicht einzureden; doch fand er so viel Freude und Gefallen an ihrem Geplauder, daß er vorgab zu schlafen, als man ihm meldete, die Kleider wären vom Schloß angekommen, und so blieb er im Bett liegen, bis die Stunde kam, wo er zum Abendessen bei seiner hochedlen Mutter sein mußte. Da verließ er das Haus des Kellermeisters und war von der Ehrbarkeit des Mägdeleins tief durchdrungen.

Oft sprach er hierüber in der Folgezeit mit dem Edelmann, der mit ihm zusammen wohnte. Der meinte, vielleicht ließe sich mit Geld mehr erreichen als mit Liebesworten, und riet ihm, dem Mägdelein eine recht große Summe anzubieten. Des Prinzen Geld wurde aber noch von seiner Mutter verwaltet, und so besaß er selbst nur wenig für kleine Ausgaben. Daher lieh er sich überall zusammen, bis er fünfhundert Taler hatte, und schickte damit den Edelmann zu ihr. Sie aber erwiderte angesichts dieses Geschenkes: ›Bitte, sagt Euerm Herrn, daß mein Herz so anständig empfindet, daß es allein seiner Schönheit und Anmut sich ergeben hätte, wenn dies möglich gewesen wäre. Gegen meine Ehre aber kann dies Geld erst recht nichts ausrichten; darum bringt es ihm zurück – lieber will ich weiter in Armut leben, wenn nur die Ehre rein bleibt.‹

Angesichts dieser harten Abweisung vermeinte der Edelmann, vielleicht mit Drohungen etwas zu erreichen. Aber sie lachte ihm ins Gesicht und rief: ›Droht denen mit dem Fürsten, die ihn nicht kennen. Ich weiß, daß er klug und tugendsam ist, daß solche Worte nicht von ihm stammen und daß er sicherlich nicht dafür einstehen wird. Doch wären Eure Drohungen auch wahr, so könnte weder Leiden noch Tod mich in meinem Entschluß erschüttern.‹

Diese Antwort brachte der Edelmann entrüstet heim, und da er den Fürsten unbedingt zum Erfolge führen wollte, riet er ihm allerlei Mittel, um ihr zuzusetzen, maßen es doch eine Schande wäre, solch Mädchen nicht zu gewinnen. Der Prinz aber wollte sich nur zu anständigen Wegen verstehen, zumal er fürchtete, seine Mutter könnte von Gerüchten etwas erfahren, und so unternahm er nichts, bis sein Edelmann ihm einen Weg vorschlug, der so einfach schien, daß er darob mit dem Kellermeister sprach.

Der war bereit, seinem Herrn in jeder Weise zu Diensten zu sein. Daher forderte er eines Tages sein Weib und seine Schwägerin auf, die gelesenen Trauben in seinem Haus unweit des Waldes zu besichtigen. Das sagten beide zu. Und als der Tag kam, ließ er es den Prinzen wissen, und der befahl, heimlich sein Maultier bereitzuhalten, damit er, allein mit dem Edelmann, dorthin eilen könne, sowie es Zeit sei. Doch wollte Gott, daß seine Mutter just an diesem Tag ihren Schreibtisch neu schmückte und herrichtete und ihre Kinder mithelfen ließ. So war der Prinz über die verabredete Zeit hinaus beschäftigt.

Indessen hatte des Kellermeisters Weib auf Geheiß ihres Mannes sich krank gestellt und ihm dies mitgeteilt, als er schon zu Pferd saß und seine Schwägerin hatte hinten aufsitzen lassen. So brachte er diese allein nach jenem Haus. Als aber die vereinbarte Zeit überschritten war, meinte er: »Ich glaube, wir können nun wieder heimkehren.« – »Warum etwa nicht?« fragte Françoise. – »Ich erwartete den Fürsten, der kommen wollte,« entgegnete der Schaffner. Als also die Schwägerin seiner Bosheit inne ward, sagte sie: »Wartet nicht, ich weiß bestimmt, daß er heute nicht kommt.« Und ihr Schwager glaubte ihr und führte sie wieder heim.

Kaum aber war sie zu Hause, so ließ sie ihrem grimmigen Zorn freien Lauf und warf dem Schwager ins Gesicht: er sei ein Satansknecht und täte gar noch mehr, als ihm geheißen würde, maßen sicherlich er und jener Edelmann auf diesen Einfall gekommen seien, nicht aber der junge Fürst. Er aber wolle Geld einstreichen und stachle ihn noch in seinen Torheiten auf, statt ihm ein ehrbarer Diener zu sein. Da sie ihn aber nun in seiner Schlechtigkeit erkannt habe, wolle sie auch fürder nicht mehr in seinem Haus bleiben.

Und alsbald ließ sie ihren Bruder kommen, damit er sie auf ihr Landgut heimbrächte, was auch unverzüglich geschah. – Da nun der Kellermeister seinen Streich mißlungen sah, begab er sich nach dem Schloß, um zu erfahren, warum der Fürst nicht gekommen sei. Doch traf er ihn unterwegs, just wie er auf seinem Maultier mit dem Edelmann angeritten kam. Der Fürst fragte sogleich: ›Ist sie noch da?‹ Und so erzählte der Schaffner, was geschehen war.

Darob war jener sehr betrübt, maßen somit sein letztes und äußerstes Mittel fehlgeschlagen war. Und da er fürder jeden Ausweg abgeschnitten fand, suchte er Françoise in einer Gesellschaft auf, wo sie ihm nicht entweichen konnte, und machte ihr heftige Vorwürfe, daß sie so hart gegen ihn sei und zudem gar noch ihren Schwager verlassen wolle. Doch sie entgegnete, ihr Schwager sei ihr ein zu gefährlicher Schutz, und er sei wohl seinem Schaffner sehr zugetan, maßen dieser ihm nicht nur Leib und Eigen, sondern gar Seele und Gewissen hingäbe.

Da erkannte der Fürst, daß alles vergebens war. So entschloß er sich, ihr fürder nicht mehr nachzustellen, und bewahrte ihr sein Lebelang seine Achtung. Einer seiner Diener wollte später das Mägdelein ob ihrer Ehrbarkeit heiraten; das aber verlangte vor allem die Zustimmung des Prinzen, dem es trotz allem herzlich zugetan war. So ließ Françoise bei ihm anfragen, und so wurde mit seiner Billigung diese Ehe geschlossen, in der sie bis an ihr Ende ehrengeachtet lebte. Der Fürst aber überhauste sie mit Wohltaten und Gunstbezeigungen.

Was läßt sich da noch sagen, meine Damen? Könnten wir so niedrig denken, daß unsere Diener uns übertreffen? Lasset uns diesem Beispiele folgen und uns selbst besiegen. Das ist der preislichste Sieg, den wir erringen können!«

»Ich finde die Tugend dieses Mägdeleins nicht so groß,« erklärte Hircan. »Vielleicht liebte sie einen andern und mißachtete darob den ganzen Adel.« Sogleich erwiderte Parlamente, daß jene augenscheinlich nie einem andern geneigt gewesen sei, den sie über alles, aber nicht mehr denn ihre Ehre liebte. – »Solche Vorstellungen lasset fallen,« rief Saffredant, »und macht Euch zunächst klar, wie die Frauen zu dem Begriff ›Ehre‹ gekommen sind. Als die Bosheit der Menschen noch nicht so groß war da war die Liebe schlicht und stark und Heuchelei kannte man nicht. Als aber Arglist, Geiz und sündhaftes Verlangen in die Menschenherzen einzogen, da vertrieben sie Gott und die Liebe und setzten an ihre Stelle Eigenliebe, Heuchelei und Trug. Da nun die Damen, denen die Liebe fehlte, inne wurden, wie verhaßt den Männern Heuchelei war, so gaben sie ihr den Namen ›Ehre‹, die sie nun vorschieben, wenn sie keine Liebe fühlen. Und daraus machten sie ein so grausames Gesetz, darob jetzt selbst die Frauen, die wahrhaft lieben, ihr Gefühl verbergen und aus der Tugend ein Laster machen müssen!«

»Immerhin findet man,« entgegnete Dagoucin, »daß geheime Liebe die preislichste ist.« – »Geheim!« spottete Simontault, »geheim für schlechte Beobachter, klar aber zum mindesten für die zwei, um die es sich handelt.« – »Keineswegs,« widersprach jener. »Ich meine es so: die liebende Frau möchte ihre Gefühle lieber von einem Dritten erkannt wissen als von dem Geliebten, und diesen liebt sie um so stärker, je weniger sie es zeigt.« – »Wie dem auch sein mag,« schnitt Longarine ab, man muß die Tugend achten; doch scheint mir jener Fürst noch löblicher zu sein, da er trotz seiner Liebe und Macht sich gegen die Grundsätze ehrenhafter Freundschaft nicht verstoßen wollte. Denn wer Übles tun kann und nicht tut, der ist wahrhaft zu preisen.« – »Dabei fällt mir die Geschichte einer Dame ein, die mehr die Augen der Menschen scheute denn Gott, Ehre und Liebe.« – »So bitte ich Euch,« sprach Parlamente, »erzählet uns das. Und dazu erteile ich Euch das Wort.« Alsbald hub jener also an:

»In Rücksicht auf die Familie will ich den Namen der Dame ändern und sie Camilla nennen. Diese also sagte oft, daß jede, die einzig mit Gott zu tun habe, glücklich sei, sofern sie nur ihre Ehre vor den Menschen ohne Makel und rein erhielte. Doch werdet ihr sehen, meine Damen, daß trotz ihrer Klugheit und Heuchelei am Ende ihr Geheimnis enthüllt wurde. Und so vernehmet denn diese Geschichte, die bis auf die Namen der vollen Wahrheit entspricht.«

Dreiundvierzigste Erzählung


Die Heuchelei einer Hofdame scheitert an dem Übermaße ihrer so wohl verheimlichten Liebe.

»In einem wundervollen Schlosse wohnte eine Prinzessin von mächtigem Einfluß, zu deren Hofstaat eine äußerst hochfahrende Dame mit Namen Camilla gehörte. Die besaß einen so gewaltigen Einfluß auf ihre Herrin, daß selbige nichts ohne ihren Rat unternahm und sie für die klügste und tugendhafteste Frau ihrer Zeit hielt. Besagte Camilla nun verfolgte jede Liebestorheit mit so ingrimmigem Eifer, daß sie jede Hofdame, in die sich ein Edelmann etwan verliebte, alsbald bitterlich ausscholt und gar ihrer Herrin über sie das Schlimmste berichtete. Oft erreichte sie dadurch, daß solch arme Dame dann auch von der Prinzessin hart getadelt wurde, und so ward Camilla von allen gefürchtet und gehaßt. Sie selbst aber sprach nie mit einem Manne, höchstens ganz laut und von oben herab, also daß man vermutete, sie sei eine Todfeindin jeder Liebe.

Das stimmte aber keineswegs. Denn es gehörte zu dem Gefolge ein Edelmann, in den sie bis zur Sinnlosigkeit verliebt war. Doch stand ihr der klangvolle Ruf ihrer Sittsamkeit höher, und so verleugnete sie ihre Liebe. Als nun aber diese Leidenschaft schon ein gutes Jahr getobt hatte, ohne in Worten oder Blicken sich irgendwie entladen zu haben, da ward ihre Glut so verzehrend, daß Camilla nach einem Heilmittel ausschaute und zu dem Entschluß kam, ihr Begehren derart zu stillen, daß nur Gott allein ihr ins Herz zu blicken vermochte, und kein Mensch es erführe, der etwa darüber plaudern könnte.

Als sie nun nach diesem Entschluß eines Tages in dem Gemach ihrer Herrin weilte und auf die Terrasse hinausblickte, sah sie den Geliebten draußen lustwandeln. Lange heftete sie ihr Auge auf ihn, bis die niedersinkende Dunkelheit ihn verhüllte. Da rief sie flugs einen ihrer jungen Pagen, wies auf den Edelmann und sagte: »Siehst du wohl jenen Herrn in karmoisinfarbenem Wamse und dem mit Luchsfell verbrämten Mantel? Geh hin zu ihm und bestelle, einer seiner Freunde wolle ihn im Gartenhäuschen sprechen.« Sodann begab sie sich durch die Kleiderkammer ihrer Herrin nach jenem Gartenhaus, nachdem sie ihre Haube über die Stirn gezogen und die Maske vorgenommen hatte.

Kaum war der Edelmann eingetreten, so verschloß sie die beiden einzigen Türen, umarmte und küßte ihn voll Leidenschaft, ohne die Maske abzunehmen, und sagte so leise sie konnte: »Lange schon drängte mich die glühende Liebe zu Euch, einen Ort und eine Gelegenheit zu finden, da ich Euch sehen könnte. Aus Sorge um meine Ehre mußte ich meine Zuneigung verhehlen; doch nun habe ich die Furcht im Vertrauen auf Eure Ehrbarkeit überwunden. So versprecht mir nun, falls Ihr mich lieben wollt, niemals zu Jemandem davon zu sprechen noch auch je zu erkunden, wer ich bin. Denn ich will Euch eine huldvolle und treue Freundin sein und nie einen andern lieben als Euch allein. Doch will ich lieber sterben, als Euch wissen lassen, wer ich bin.‹

Der Edelmann versprach ihr das alles und machte es ihr damit leicht, gleiches mit gleichem zu vergelten, nämlich ihm alles zu gewähren, das er nur wünschen konnte. Es war Winter und etwa fünf oder sechs Uhr abends. Daher konnte er nichts von ihr sehen. Doch da er ihre Kleider betastete, merkte er, daß sie aus Sammet waren, den damals nur Damen aus angesehener und edler Familie trugen; ihre Untergewänder aber bestanden, soweit er es fühlen konnte, aus feinem Linnen, das gar sauber und wohl geschmückt war.

Bot er nun seinerseits alles auf, um sie nach Kräften zu beglücken, so ließ auch sie es weder an Leidenschaft noch an Entgegenkommen fehlen, also daß der Edelmann erkannte, daß sie keine Jungfrau mehr war. Alsdann wollte sie schleunigst wieder zurückkehren, woher sie gekommen war. Aber der Edelmann sagte: ›Ich weiß das Glück zu schätzen, das Ihr mir ohne mein Zutun zuteil werden ließet. Aber ich wäre noch mehr beglückt, wenn Ihr mir eine Bitte erfülltet. Hochentzückt ob der Gunst, die Ihr mir erwieset, bitte ich Euch, zu sagen, ob ich auf ähnliche Freuden fürder hoffen darf und wie dies geschehen könnte. Denn maßen ich Euch nicht kenne, weiß ich auch nicht, wie ich weiter dafür sorgen kann.«

»Darum kümmert Euch nur nicht,« entgegnete die Dame, »sondern seid sicher, daß ich Euch alltäglich vor dem Abendessen unsrer Herrin rufen lasse. Seid nur immer zur gleichen Zeit auf der Terrasse. Kommet stets allein und gedenket Eures Versprechens. Hört Ihr aber, daß es zum Essen geht, so könnt Ihr Euch zurückziehen oder in das Zimmer der Herrin kommen. Vor allem jedoch versuchet niemals zu erfahren, wer ich bin, denn alsdann wäre unsere Freundschaft zu Ende.«

Dann gingen beide, ein jeglicher seines Wegs. Und so setzten sie lange Zeit dies Leben fort, ohne daß der Edelmann wußte, wer sie war. Das quälte ihn auf die Dauer, und er begann darüber nachzugrübeln. Er konnte sich nämlich gar nicht denken, daß eine Frau, die liebt, nicht auch gesehen sein wollte, und so fürchtete er schier, es sei ein böser Geist; denn er hatte einen dummen Pfaffen sagen hören: wer des Teufels Angesicht erblickt habe, könne nie mehr geliebt werden. Ob dieses Zweifels entschloß er sich festzustellen, wer ihn so mit Gunst überhäufe.

Als sie ihn daher wieder einmal rufen ließ, nahm er ein Stück Kreide mit und derweile er sie umarmte machte er damit auf ihrem Rücken ein Kreuz, das sie nicht bemerken konnte. Kaum aber war sie fort, so begab er sich eiligst in das Gemach seiner Herrin und blieb unweit der Tür stehen, um alle Damen, die hereintraten, rücklings besehen zu können. So sah er unter anderen auch Camilla eintreten, die sich wieder so hochfahrend zeigte, daß er schier fürchtete, sie gleich den andern anzublicken, und sicher war, daß sie es jedenfalls nicht sein könne. Aber als sie ihm den Rücken wendete, gewahrte er das weiße Kreuz. Darob war er so verblüfft, daß er fast seinen Augen nicht traute. Je mehr er aber ihre Gestalt verglich mit der, die er so oft in den Armen hielt, je mehr er ihr Gesicht betrachtete, dessen Formen er durch Betasten wohl im Gedächtnis hatte, – desto mehr ward er sich klar, daß sie es ohne Zweifel war. Da ward er über die Maßen froh, daß eine Dame, die in dem Geruche stand, so viele Edelleute abgewiesen zu haben, just ihm ihre Gunst zuteil werden ließ.

Amor aber, der die Ruhe nicht liebt, stachelte ihn mit Verheißungen und kühnen Hoffnungen und flößte ihm den Gedanken ein, ihr seine Liebe zu erklären, auf daß hierdurch die ihrige noch wüchse. Als daher eines Tages die Prinzessin im Garten lustwandelte und er so Camilla allein einen Parkweg entlangschreiten sah, trat er an sie heran und sprach, als hätte er sie nie anderwärts gesehen: ›Schon seit langer Zeit, edle Frau, trage ich eine Neigung in meinem Herzen, die ich nur nicht enthüllte, um Euch nicht zu mißfallen. Doch kann ich die Qual fürder nicht tragen, ohne zu sterben, denn gewißlich hat Euch nie ein Mann gleich mir geliebt.‹

Die Dame aber ließ ihn gar nicht erst weiterreden, sondern sagte in grimmem Zorne: ›Habt Ihr je gehört, daß ich Diener oder Freunde hatte? Sicherlich nicht! So bin ich ganz starr, woher Ihr die Keckheit nehmt, mit mir, einer so tugendsamen Frau wie ich bin, also zu sprechen. Ihr seid doch lange genug im Hause, um zu wissen, daß ich nur meinen Gatten liebe. Darum hütet Euch, weiter solche Reden zu führen.‹

Ob dieser Verstellung hub der Edelmann an zu lachen und rief: ›Nicht allezeit seid Ihr also unerbittlich, Gnädigste. Warum übt Ihr vor mir solche Verstellung? Zieht Ihr eine vollkommene Freundschaft nicht diesem unvollkommenen Zustand vor?‹ Camilla entgegnete: ›Ich pflege mit Euch weder vollkommene noch unvollkommene Freundschaften. Und wenn Ihr nicht alsbald mit diesen Reden aufhört, werde ich Euch so hassen, daß Ihr es bereuen könntet.‹

Der Edelmann aber hielt stand und fragte: ›Und wo bleibt unser Gekose in den Stunden, da ich Euch nicht sehen darf? Warum beraubt Ihr mich am Tage, da ich Euch sehen kann, des Anblickes Eurer Huld, Schönheit und Anmut?‹ Da schlug die Dame ein großes Kreuz und rief: ›Wahrlich, entweder habt Ihr den Verstand verloren oder Ihr seid der größte Lügner dieser Erde. Denn nie habe ich Euch je herzlicher empfangen als heute, und ich verstehe nicht, was Ihr damit sagen wollt.«

Der Edelmann vermeinte, sie durch Einzelheiten niederzudrücken, und beschrieb nun, wie er sie immer gesehen und endlich an dem Kreidekreuz erkannt habe. Da geriet sie vor Wut schier außer sich und nannte ihn einen ganz schlechten Kerl und einen Lügenbold, der seine Verleumdungen noch bereuen würde. Zwar wollte er sie darob in Anbetracht ihres Einflusses bei ihrer Herrin besänftigen, aber alles war vergebens. Sie ließ ihn stehen und lief wütend zu der Prinzessin. Die schickte alsbald alle andern fort, um mit ihr zu reden, und fragte sie, worüber sie so zornig sei, und stracks berichtete ihr Camilla die Worte des Edelmannes und verdrehte dabei die Wahrheit so, daß noch am gleichen Abend die Prinzessin dem Ärmsten sagen ließ, er möge unverweilt das Schloß verlassen, ohne weiter mit jemandem zu sprechen, und in seinem Haus bleiben, bis sie ihn wieder rufen ließe. Das tat er eiligst, um nicht noch Schlimmeres zu erleben. Und solange Camilla bei ihrer Herrin lebte, durfte er in das Schloß nicht zurückkehren und erhielt auch nie wieder eine Nachricht von der Frau, die ihm so richtig angekündigt hatte: er würde sie verlieren, wenn er zu erfahren suche, wer sie sei.

So könnt ihr sehen, meine Damen, wie diese Frau, die ihr Gewissen dem äußeren Schein hintanstellte, auch ihren guten Ruf verlor, denn heute kennt jeder die Geschichte, die sie vor ihrem Mann und selbst ihrem Freund verbergen wollte. Und so wurde sie allen lächerlich, ohne sich selbst mit der Einfalt ihrer Liebe entschuldigen zu können; ja, sie ist doppelt schuldig, da sie sich mit dem Mäntelchen der Ehrbarkeit verhüllte und sich anders zeigen wollte als sie war. Und Gott, der alle Verstellung aufdeckt, wird sie doppelt strafen!«

»Mir scheint,« rief Parlamente, »daß die, so ihrer Lustbegier zum Opfer fallen, den Namen »Frau« nicht mehr verdienen. Sie gleichen den Männern, deren Rücksichtslosigkeit und Lüsternheit gar noch ihre Ehre erhöhen. Ein Mann, der seinen Feind tötet, um eine Beleidigung zu rächen, gilt nur als desto trefflicherer Kamerad. Und das noch mehr, wenn er ein Dutzend Frauen neben der seinen liebt. Frauenehre ist auf anderem Untergrund aufgebaut: auf Sanftmut, Geduld und Keuschheit.« – »Ihr meint bei vernünftigen Frauen,« warf Hircan ein. – »Andere mag ich nicht kennen,« entgegnete Parlamente. – »Wenn es keine Törinnen gäbe,« spottete Nomerfide, »wie schnell würden dann jene Männer alle Hoffnung fahren lassen, die so gern mit trügenden Worten weibliche Einfalt umgarnen möchten.« – »Ach bitte, erzählet uns etwas hierüber,»« rief Guebron. »Ich will Euch das Wort erteilen.« Und Nomerfide hub alsbald an:

»So will ich Euch eine Geschichte erzählen zum Lobe eines liebenden Mannes, gleichwie die Eure eine liebestolle Frau verächtlich machte.«

Vierundvierzigste Erzählung


Wie zwei Liebende durch ihre List sich ihrer Liebe wohl erfreuen, so daß endlich alles glücklich endet.

Zu Paris lebten zwei Männer mittleren Standes: der eine war ein Verwaltungsbeamter, der andere ein Seidenwarenhändler. Beide waren von altersher gute Freunde und besuchten sich gar oft und sonder Umstände. So kam auch Jakob, der Sohn des Beamten, oft in das Haus des Kaufmanns, zumal er ein recht gesitteter Jüngling war. Doch hatte er es auf Françoise, die Tochter jenes Händlers abgesehen, und er wußte sich so wohl mit ihr zu stellen, daß er bald erkannte, wie herzlich sie seine Gefühle erwiderte.

Inzwischen aber wurde das Heerlager der Provence gegen den Einmarsch Karls von Österreich aufgeboten, und Jakob mußte seiner Pflicht gemäß mit ins Feld rücken. Schon gleich zu Anbeginn dieses Feldzuges segnete sein Vater das Zeitliche, und diese Nachricht betrübte den Sohn doppelt, maßen ihn neben der Trauer auch die Sorge bedrückte, wie er die Geliebte nun künftig so oft wie bisher sehen könne. Und während mit der Zeit die Trauer nachließ, wuchs diese Sorge. Denn solch Todesfall ist recht natürlich, zumal die Eltern vor den Kindern zu sterben pflegen. Die Liebe aber drängt zum Leben, zur Erzeugung der Nachkommenschaft, die uns derart unsterblich macht, und deshalb wächst die sinnliche Begier stetig.

Als daher Jakob nach Paris zurückkehrte, hatte er nur den einen tröstenden Gedanken, wieder den regelmäßigen Verkehr bei dem Kaufmann in die Wege zu leiten und unter der Maske reiner Freundschaft dessen teuerstes Wertobjekt zu erwerben. Françoise nun war während seiner Abwesenheit viel umworben worden, da sie klug, schön und zudem längst heiratsfähig war, derweile es dem Vater damit gar nicht eilte, weil er entweder geizig war oder seine einzige Tochter besonders gut verheiraten wollte. Darob gab es vielerlei Klatsch bei jenen Leuten, die es auf jeden, vornehmlich aber auf schöne Frauen und Mädchen abgesehen haben, und der Vater stellte sich dieserthalben auch keineswegs taub oder blind. Er wollte nicht den Vätern gleichen, die ihre Töchter zu lästerlichem Tun drängen, statt sie darob zu rügen, und so hielt er Françoise kurz und erlaubte selbst den Freiern nicht, mit ihr in Abwesenheit der Mutter zu plaudern, ja nicht einmal, sie öfter und lange zu sehen.

Das ging dem guten Jakob hart an, und es wollte ihm gar nicht anders in den Kopf, als daß hinter dieser Strenge ein besonderer Grund stecken müsse. So war er von Liebe und Eifersucht zerfressen, bis er sich endlich entschloß, alles zu wagen, um der Sache auf den Grund zu kommen. Um nun vorerst festzustellen, ob sie noch die gleiche Zuneigung zu ihm hege, richtete er es so ein, daß er neben ihr die Messe hörte. Und da konnte er leichtlich auf ihrem Gesichte lesen, daß sie nicht minder über dies Wiedersehen erfreut war als er. Da er weiterhin wußte, daß die Mutter nicht so unnachsichtig war wie der Vater, so paßte er sie beim Kirchgang ab, begrüßte sie kecklich, als wäre es der reine Zufall, und tauschte einige höfliche, unverfängliche Worte mit ihnen aus. Doch ging er darin nicht weiter, sondern tat all dies nur, um seinem Vorhaben näher zu kommen.

Als dann ein Jahr seit dem Todesfall verstrichen war und er die Trauer ablegte, entschloß er sich, gemäß dem Brauche seiner Ahnen, schmuck aufzutreten. Als er diese Absicht seiner Mutter unterbreitete, pflichtete diese ihm bei; denn sie hätte ihn gern gut verheiratet gesehen, gleichwie ihre Tochter es war, zumal sie weiter keine Kinder hatte. Obendrein war sie Hofdame, und darum sah sie den Himmel voller Geigen angesichts so vieler Jünglinge, die gar trefflich ihren Weg machten und sich zum mindesten ihrer Vorfahren würdig zeigten. Als nun die Frage besprochen wurde, wo er sich ausstaffieren solle, meinte die Mutter: ›Ich meine, du solltest zu unserm Gevatter Peter gehen‹ (das war Françoises Vater); ›der ist unser lieber Freund und wird uns nicht betrügen.‹

Damit kratzte sie ihn just, wo es ihn juckte. Doch ließ er sich nichts merken und meinte: ›Wir sollten kaufen, wo wir es am wohlfeilsten erhalten. Immerhin habe ich im Angedenken an meinen seligen Vater nichts dagegen, uns zunächst dorthin zu wenden.«

Dergestalt setzten sie einen Morgen fest und begaben sich selbander zu Herrn Peter, der sie liebenswürdigst empfing. Lange wählten sie dann zwischen den vielen ausgebreiteten Stoffen und suchten das Gewünschte heraus; aber sie wurden nicht handelseinig, wenigstens wußte es Jakob so zu stellen, maßen er die Mutter seiner Freundin nicht zu sehen bekam. So gingen sie schließlich fort, um sich anderweitig umzusehen. Aber Jakob fand nirgends sonst etwas Passendes und darum kehrten sie einiges später wieder dorthin zurück.

Diesmal war die Frau des Herrn Peter anwesend und bewillkommnete sie freundlich; doch war sie noch steifer als ihr Mann, so daß Jakob schließlich sagte: »Ach, wie seid Ihr hart, werte Frau. Nun wir unsern Vater verloren haben, wollt Ihr uns nicht mehr kennen!« Und dabei zerdrückte er eine vorgebliche Zähre in seinem Auge, gleich als ob er in Gedanken an seinen Vater Tränen vergösse. Und die Wittib ging gutgläubig auf diese Stimmung ein und sagte ihrerseits: »Wahrlich, seit seinem Tode ist unser Verkehr eingeschlafen, als kennten wir uns gar nicht. So wenig erbarmt man sich armer Witwen.«

Darob tauschten sie alsbald zärtliche Worte und versprachen, sich fortan recht oft zu besuchen. Derweile kamen andere Käufer, die der Händler in den hinteren Laden führte. Und da nun der Jüngling den Augenblick für günstig hielt, sprach er zu seiner Mutter: »Ich sah die Damen so oft an Feiertagen die heiligen Stätten unserer Gegend, zumal die Klöster, besuchen. Wie wäre es, wenn sie bisweilen geruhen würden, bei uns einen kleinen Imbiß zu nehmen und uns also mit der Freude ihres Besuches zu beehren.«

Die Kaufmannsfrau argwöhnte auch nichts Böses und und sagte flugs, schon seit zwei Wochen wolle sie jene Gegend besuchen, und wenn am künftigen Sonntag das Wetter schön sei, so würde sie sicherlich dorthin gehen und alsdann nicht versäumen, bei der Wittib vorzusprechen. Alsbals nach dieser Verabredung einigten sie sich auch über den Kaufpreis, maßen man sich doch nicht um ein paar Batzen solche Gelegenheit entgehen lassen wird, und dann gingen die beiden mit ihren Einkäufen davon.

Nun aber die Sache eingefädelt war, erkannte Jakob, daß er allein nicht zum Ziele kommen könne, und so zog er seinen Freund Olivier ins Vertrauen, mit dem er alles so wohl besprach, daß nur noch die Ausführung fehlte. Wirklich kam am folgenden Sonntag die Kaufmannsfrau mit ihrer Tochter auf dem Rückweg vom Kloster zu der Wittib und fand daselbst noch eine Nachbarin, die mit dieser in einem Gartenhäuschen saß, und die verheiratete Tochter der Wittib, so mit Jakob und Olivier lustwandelte. Als jener seine Freundin erblickte, nahm er sich zusammen, um seine Fassung nicht zu verlieren. Vielmehr ging er voll Selbstbeherrschung der Mutter und Tochter entgegen, und alsbald kam es wie immer, daß sich das Alter zusammenfand und die drei bejahrten Damen sich auf eine Bank setzten und dem Garten den Rücken zukehrten.

Derweile lustwandelte das Liebespaar im Park, bis es zu den zwei anderen kam. Bei denen plauderten sie eine Weile zärtlich, setzten dann ihren Gang fort und nunmehr klagte der Jüngling Françoise sein Leid. Das Mägdelein vermochte ihm seine Bitten weder abzuschlagen noch zu erfüllen, und daraus entnahm jener, daß ihr die Sache recht zu Herzen ging. Vorsichtshalber kamen sie des öfteren bei den alten Damen vorbei, also daß selbige keinen Argwohn fassen konnten, sprachen alsdann von alltäglichen Dingen oder tollten wie Kinder im Garten umher. Solchergestalt waren die Damen bald ohne Acht auf sie, und nunmehr, nach etwa einer halben Stunde, gab Jakob seinem Freunde Olivier ein Zeichen, und der spielte seine Rolle bei jener Schwester so wohl, daß sie nicht bemerkte, wie das Liebespaar eine Wiese betrat, die mit Kirschbäumen bestanden und von Rosenhecken und Büschen wohl umschlossen war.

Dort traten die beiden ein, als wollten sie Beeren pflücken; aber man erntete andere Früchte. Statt die grünen Zweige herunterzureißen, riß er des Mägdeleins roten Rock herunter, also daß jene Röte ihr eher zu Kopf stieg, als sie gewahr wurde, daß es ihr unten daran mangelte. So war sie völlig überrascht, und er hatte die gar reife Frucht so flink gepflückt, daß es Olivier schier nicht geglaubt hätte, wenn er nicht gesehen hätte, daß das Mägdelein danach verschämten Angesichts die Augen senkte und er so seiner Sache sicher wurde. Denn bisher trug sie den Kopf gar hoch und fürchtete nicht, daß das Geäder ihres Auges einen bläulichen Schein haben könnte4. Jakob aber, der ihrer Scham gewahr wurde, wußte sie durch Vorhaltungen und Zusprache wieder zu beruhigen. Trotzdem vergingen zwei oder drei Rundgänge im Park nicht ohne ein gutes Teil Tränen und Klagen, und wohl etliche Male seufzte sie: »Wehe, liebet Ihr mich nur dafür? Mein Gott, wenn ich das gewußt hätte. Was soll ich nun tun?! Jetzt bin ich sür mein ganzes Leben verloren. Wie werdet mich fürder noch achten können? Sicherlich werdet mich künftig aus dem Sinn schlagen, wenn Ihr zu jenen gehört, die nicht Liebe, sondern Lust wünschen. Wehe, warum bin ich nicht gestorben, bevor mir solche Schande angetan wurde!« Und während dieser Klagen vergoß sie weidlich Tränen.

Indes tröstete sie Jakob mit Versprechungen und Liebesschwüren so wohl, daß sie kaum drei weitere Rundgänge beendet hatten, als er nochmals seinem Freunde Olivier ein Zeichen machte und mit seiner Liebsten auf einem anderen Weg zur Wiese strebte. Und trotz ihres Kummers erntete das Mägdelein im grünen Gras noch weit größere Freuden als das erstemal. Darob war es alsbald so beglückt, daß es mit ihm sogleich besprach, welcherart sie fortan öfter und ungestörter miteinander kosen könnten, bis ihr Vater seine Einwilligung gegeben habe. Hierzu war ihnen eine junge Nachbarin des Herrn Peter sehr behilflich, obgleich sie mit dem Jüngling nicht verwandt und nur mit dem Mägdelein befreundet war. Und solchermaßen setzten sie (soviel ich gehört habe, ganz unauffällig) dies Leben fort, bis sich ihre Ehe vollzog, die ihm viel Geld brachte, maßen Françoise das einzige Kind dieses reichen Kaufmannes war. Allerdings mußte Jakob bis zum Tode des alten Herrn sehr eingeschränkt leben, denn der Herr Peter war sehr sparsam und vermeinte immer, die eine Hand müsse festhalten, was die andere ausgäbe.

Dieser Liebesbund hatte also wohl begonnen, einen schönen Fortgang genommen und ein gutes Ende gefunden. Zwar verachten die Männer gemeinhin ein Mägdelein oder eine Frau, die freigebig das hergab, so jene am eifrigsten wünschen. Dieser Jüngling aber war von aufrichtiger Liebe erfüllt, hatte bei seiner Freundin alles gefunden, was man bei der Frau erwartet, die man heiraten will, wußte, daß sie klug und wohlgeboren war, und war sich klar, daß er ihr einen Fehltritt, an dem er selbst schuld war, nicht zum Vorwurf machen konnte. Und darum finde ich ihn recht lobenswert.« »Vielmehr sollte man beide tadeln,« widersprach Oisille, »und den dritten dazu, der solche Notzucht deckte!« – »Nennt Ihr das Notzucht, wenn zwei einverstanden sind? Gibt es denn überhaupt bessere Ehen als die, so aus derartigen Liebesbünden hervorgingen? Darum sagt auch das Sprichwort: »Ehen werden im Himmel geschlossen.« Das kann man von Zwangsehen und Geldheiraten nicht sagen, die von der Zustimmung der Eltern abhängen.«

»Sagt, was Ihr wollt,« wehrte Oisille ab. »Wir können des Gehorsams gegen die Eltern, oder in deren Ermangelung des Rates der Verwandtschaft nicht entbehren. Könnten jeder und jede nach Belieben heiraten – wieviel unglückliche Ehen gäbe es dann! Vermeint Ihr, so ein Jüngling oder ein Mägdelein von zwölf bis fünfzehn Jahren weiß, was ihr nottut? Schaut zu, wie Ehen verlaufen: mindestens ebensoviel Liebesheiraten gehen in die Brüche, weil die Voraussetzungen schlecht waren, als Zwangsehen. Denn die ahnungslosen Jünglinge bleiben an der ersten besten hängen ohne nachzudenken, und erkennen später erst die kleinen, dann die großen Fehler. Bei Zwangsehen dagegen gibt das Urteil Erfahrener den Ausschlag, die Betroffenen erhalten ein Glück, das sie anfangs nicht beurteilen können, später aber schätzen lernen und um so nachdrücklicher genießen.«

»Recht schön, edle Frau,« meinte Hircan. »Aber jenes Mägdelein war alt genug und wußte, daß ihr Vater aus Angst ums liebe Geld ihre Jungfrauenschaft lieber verschimmeln ließ. Zu allem kam die kurzentschlossene Handlungsweise ihres Freiers, der ihr keine Zeit zum Widerspruch ließ. Vielleicht gar hatte ihr unzufriedenes Gesicht nach jener Überraschung nur den Grund, daß sie noch nicht recht beurteilen konnte, ob solch Vorgang schmackhaft sei oder nicht. Darum ließ sie sich auch gar nicht sehr nötigen, einen zweiten Versuch zu machen.« – »Ich kann nur das eine löblich finden,« entgegnete Longarine, »daß nämlich der Jüngling das Mägdelein später nicht verließ, wie die verdorbene Jugend der Gegenwart das zu tun liebt. Darüber will ich gern das erste Vergehen entschuldigen, das im Grunde einen Gewaltakt gegen das Mägdelein und einen Vertrauensbruch gegenüber ihrer Mutter bedeutete.«

»Nicht das eine, noch das andere!« rief Dagoucin. „Nach jeder Seite hin lag Einwilligung vor, seitens der Mütter, die es nicht verhinderten, ebensowohl als seitens des Mägdeleins, das sich recht wohl dabei befand. Zudem hat sie sich nie darüber beklagt.« – »Sicherlich war ihre Mutter eine rechte Einfalt,« klagte Parlamente, »maßen sie die Tochter so ohne Nachdenken auf die Schlachtbank führte.« – »Sagt lieber ins Ehebett,« erwiderte Simontault, »sintemalen diese Einfalt dem Mägdelein nicht mindere Freuden einbrachte als in einem andern Fall einer Frau, die sich allzuleicht von ihrem Mann betrügen ließ.« – »Wenn Ihr hierüber eine Geschichte wißt,« sagte Nomerfide, »so erteile ich Euch das Wort.«

»Recht wohl,« hub jener an; »nur versprecht mir, nicht zu weinen. Wer da meint, die Frauen seien listiger als die Männer, dürfte schwerlich mit einem so beweiskräftigen Exempel dienen können als ich, der ich zugleich eines Gatten Klugheit und seines Weibes gutmütige Einfalt zeigen will.«

  1. Ehemals glaubte man die Jungfräulichkeit an gewissen äußeren Zeichen erkennen zu können; solchermaßen nahm man an, daß eine bestimmte Ader im Auge der Jungfrauen rot, in dem der Verheirateten blau aussähe. (Anmerkung des Übersetzers.)

Siebenunddreßigste Erzählung


Wie weise es ein Weib verstund, ihren Mann einem tollen Liebeswahn zu entreißen, der ihn quälte.

»Auf einer großen Besitzung in Frankreich lebte eine Frau, deren Namen ich nicht nennen will. Sie war tugendsam und weise, von allen geliebt und geehrt, und so vertraute ihr Mann ihr all seine Angelegenheiten an, die ob ihrer klugen Verwaltung sein Haus bald zu einem der reichsten und prächtigsten in ganz Anjou und der Touraine entwickelten.

Nachdem sie lange Zeit mit ihrem Mann so gelebt und ihn mit einer Reihe schöner Kinder beschenkt hatte, begann ihr Glück zu verblassen, maßen ihr Gatte wohl diese ehrenhafte Ruhe unerträglich fand, anderweitig Zerstreuung suchte und alsbald die Gewohnheit bekam sich vom Bett zu erheben, sowie sein Weib eingeschlafen war, und erst gegen Morgen zurückzukehren. Das mißfiel der Frau gar sehr. Sie ward gewaltig eifersüchtig (ohne es sich aber merken zu lassen) und vernachlässigte ihren Hausstand, sich selbst und ihre Familie, maßen ihr die Frucht ihrer Mühen, die Liebe ihres Mannes, verloren gegangen war. Um seiner Liebe willen hätte sie keine Arbeit gescheut. Nun aber ließ sie alles gehen wie es ging, und bald machten sich die Folgen bemerkbar. Auf der einen Seite verschwendete der Mann das Geld, auf der andern kümmerte sie sich um nichts mehr, und so wurde die Lage bald so verwickelt, daß man den Hochwald abschlug und die Güter mit Schulden belastete.

Einer ihrer Verwandten, der die Ursache kannte, machte sie auf ihren Fehler aufmerksam und erklärte ihr: wenn sie auch nur um ihres Gatten willen ihren Hausstand liebe, so dürfte sie diesen doch um ihrer armen Kinder willen nicht vernachlässigen. So nahm sie aus Mitleid mit diesen ihre Arbeit wieder auf und versuchte obendrein, mit allen Mitteln ihres Mannes Liebe wieder zu erringen.

Und schon tags darauf gab sie wohl acht, wann er sich von seinem Bett erhob. Alsbald stand auch sie auf, nahm ihren Nachtkittel um, ließ das Bett machen und erwartete unter Gebeten die Rückkehr ihres Mannes. Als der wieder in ihr Zimmer trat, ging sie ihm entgegen, küßte ihn und reichte ihm ein Waschbecken, damit er sich die Hände wüsche. Er entgegnete erstaunt ob dieser Neuerung, er käme vom Abtritt, und so läge kein besonderer Grund vor, sich zu waschen. Darauf entgegnete sie, wenn es auch nichts Besonderes wäre, so sei es doch angemessen, wenn er sich die Hände wüsche, nachdem er an einem schmutzigen Ort geweilt habe. Dergestalt wollte sie ihm sein häßliches Leben vor Augen führen und verächtlich machen.

Er aber änderte sich nicht und so setzte die Dame diese Art ein Jahr lang fort. Als sie nun just sah, daß ihr Mittel nichts half, geschah es eines Tages, daß ihr Mann länger verweilte als er es sonst zu tun pflegte. Während sie seiner harrte, ergriff sie der Wunsch, ihn zu suchen, und als sie so von Zimmer zu Zimmer ging, fand sie ihn in einer entlegenen Kleiderkammer neben der häßlichsten, gemeinsten und schmutzigsten Magd des Hauses eingeschlafen liegen. Da bedachte sie, ihn wohl davon zu heilen, daß er seine tugendsame Frau um solcher dreckiger Vettel willen hinterging. Flugs nahm sie Stroh und steckte es inmitten der Stube an. Und als sie inne ward, daß der Qualm ihren Mann eher ersticken denn erwecken würde, packte sie ihn beim Arm und schrie: ›Feuer! Feuer!‹

Daß ihr Mann vor Scham schier verzweifelte, als er wahrnahm, daß sein ehrbares Weib ihn bei solcher Schlumpe gefunden hatte, ist wohl nicht wundersam. Die Frau aber sprach:

›Ein Jahr lang suchte ich Euch geduldig auf den rechten Weg zu bringen und Euch durch jene Waschung zu zeigen, wie sehr Ihr einer inneren Reinigung bedürfet. Wenn Ihr Euch nun aber nicht bessert, weiß ich nicht, ob ich Euch ein zweites Mal solcher Gefahr entreißen würde wie eben jetzt. Bedenket immerhin, welche Verzweiflung die Liebe auslösen kann. Hätte ich nicht Gott vor Augen gehabt, so hätte ich nie soviel Geduld finden können.‹

Alsbald versprach ihr Mann, voll Freude, daß er so leichten Kaufes davonkam, ihr nie wieder Grund zu Klagen geben zu wollen. Dem traute die Dame und jagte mit ihres Mannes Zustimmung alle fort, die ihr im Hause nicht paßten. Und fortan lebten sie in herzlichem Einvernehmen, das schier nach dem vergangenen Unheil noch gewachsen und mehr gefestigt schien.

Sollte nun Gott euch je solchen Mann bescheren, meine Damen, so verzweifelt nicht, bis ihr alle Mittel erprobt habt, um ihn zu bessern. Denn ein Weib sollte sich schier glücklicher schätzen, den Mann erst durch Geduld erworben zu haben, als wenn sie ihn durch Zufall und von Haus aus gleich viel vollkommener erhielte.«

»Ich könnte nicht so langmütig sein,« erklärte Parlamente. »Das mag tugendhaft sein, aber ein derartiger Schimpf führt zur Entfremdung, zur Verachtung und damit zum Ende aller Liebe. Was man liebt, will man auch hochschätzen.« – »Eine ungeduldige Frau kann aber ihren Mann zur Wut reizen,« meinte Emarsuitte. – »nd was hätte denn jener Ehemann tun können?« fragte Parlamente. – »Er hätte sie«, entgegnete jene, »tüchtig durchprügeln, ins Mägdebett verweisen und seine Liebste ins Ehebett nehmen können.« – »Ich glaube nicht,« überlegte Parlamente, »daß einer ehrenhaften Frau solch zornige Mißhandlung nähergehen könnte als jene Mißachtung. Darum verstehe ich auch recht gut, daß sie nur um ihrer Kinder willen versuchte, ihn wieder auf den rechten Weg zu bringen.«

»Findet ihr es denn so geduldig, daß sie Feuer ansteckte?« fragte Nomerside. – »O ja,« versicherte Longarine, »und sie beging nur einen Fehler, indem sie ihn aufweckte. Ich hätte ihn getötet und alsdann mich selbst, denn solche Rache und mein Tod danach scheint mir erfreulicher als ein Leben neben einem Mann, der mich entehrt.« – »Freilich,« spottete Hircan, »ihr liebt die Manner nur um euretwillen. Sind sie gut, so ist alles recht, begehen sie aber nur einen kleinen Fehler, dann wird das Kind mit dem Bad ausgeschüttet. So wollt ihr allezeit die Herrinnen spielen: meinetwegen, wenn nur alle Ehemänner dem zustimmen würden.« – »Wenn kein Teil Mißbrauch treibt, ist die Ehe doch eine wunderschöne Einrichtung,« rief Oisille. »Aber lassen wir nun den Streit und sehen wir, wem Dagoucin seine Stimme gibt.« – »Ich gebe sie Longarine,« sprach der.

»Das freut mich sehr,« entgegnete Longarine. »Denn ich weiß eine Geschichte, die zu der Euren paßt. Ich will euch eine Frau vorführen, die weit lobenswerter handelte als die eben beschriebene. Sie ist um so achtenswerter, als sie in einer Stadt lebte, wo doch ansonsten die Tugend nicht so blüht wie auf dem Lande.«

Achtunddreißigste Erzählung


Bemerkenswerte Milde einer Frau aus Tours gegen ihren mißratenen Mann.

»Zu Tours lebte eine schöne, ehrengeachtete Bürgersfrau, die ob ihrer Tugenden von ihrem Mann nicht nur geliebt, sondern gar gefürchtet wurde. Mochte der sich nun langweilen, wie es so manchen schwachen Seelen geht, denen das tägliche Brot nicht behagt, kurz und gut, er verliebte sich in eine Pächtersfrau und verließ nun oft seine Heimatsstadt, um sich auf jenem seinem Gutshofe allemal zwei bis drei Tage aufzuhalten. Kehrte er dann zurück, so war er dermaßen auf dem Hund, daß sein armes Weib Mühe hatte, ihn wieder auf die Beine zu bekommen. Kaum aber konnte er japsen, so kehrte er unfehlbar zu jenem Gutshofe zurück, wo er über seine Liebesfreuden seine körperlichen Leiden vergaß.

Da ihn nun sein Weib immer in solch elendem Zustande von dort zurückkehren sah und um sein Leben und seine Gesundheit besorgt war, so begab es sich eines Tages selbst dorthin. Dort fand es die Pächtersfrau, in die der Mann verliebt war, und dieser klagte es ohne Zorn, vielmehr mit gar freundlichem Gesicht: sie wisse wohl, ihr Mann käme oft hierher zu ihr; doch behandle sie ihn sicher schlecht, denn er kehre allemal in einem jämmerlichen Zustande heim. Das leugnete die Pächterin denn auch nicht, teils um der lieben Wahrheit willen, teils aus Ergebenheit zu ihrer Herrin; und sie erhielt so die Verzeihung dieser Dame.

Doch ließ sich nun selbige das Zimmer und Bett zeigen, darin ihr Mann zu schlafen pflegte, fand es kalt, schmutzig und schlecht eingerichtet und ward darob von Mitleid erfüllt. Flugs ließ sie ein gutes Bett mit Laken, Kissen und Decken herbeischaffen, so wie ihr Mann das liebte; ließ ferner die Stube neu tapezieren und schmücken, gab gutes Tischzeug und Geschirr für Essen und Trinken, zudem ein Fäßchen Wein, Süßigkeiten und Eingemachtes, und bat schließlich die Pächterin, ihren Mann nicht wieder in so kläglicher Verfassung heimzulassen.

Bald kam auch der Ehemann wieder auf den Gutshof, wie es so seine Gewohnheit war, und erstaunte baß, als er die ärmliche Stube so schön hergerichtet fand. Aber seine Augen wurden immer größer, als die Pachtfrau ihm in einem silbernen Becher zu trinken brachte, und er fragte sie schließlich, woher all dieser Reichtum käme. Da gestand ihm das arme Weib unter Tränen, daß seine Frau sich seiner schlechten Behandlung hier erbarmt hätte und darum die Stube eingerichtet und ihr seine Gesundheit ans Herz gelegt hätte.

Als er nun inne ward, wie gütig seine Frau ihm alles Böse mit Wohltaten vergalt, da sah er sein schweres Unrecht ein, gab der Pächterin ein Schmerzensgeld und hieß sie künftighin in Ehren zu leben. Sodann kehrte er zu seinem Weibe zurück, beichtete seine Schuld und gestand, daß er ohne solch große Milde und Güte ihrerseits nie von diesem Leben gelassen hätte. Und fortan lebte er friedlich mit ihr und ließ die Vergangenheit vergessen sein.

Glaubt mir, meine Damen, es gibt nur wenig Männer, die sich nicht auf die Dauer mit Geduld und Liebe von der Frau zurückgewinnen lassen. Die müßten härter denn Steine sein, maßen diese doch von dem weichen, schwachen Wasser mit der Zeit gehöhlt werden.«

»Die Frau hatte kein Herz, noch gar Blut in den Adern!« rief Parlamente aus. – »Was wollt Ihr?« erwiderte Longarine, »sie befolgte Gottes Gebot, Böses mit Gutem zu vergelten.« – »Vielleicht war sie in einen Pfaffen verliebt und wollte ihren Mann öfter auf dem Gut sehen,« spottete Hircan. – »Wie boshaft ihr alle seid,« entsetzte sich Oisille, »wie kann man jede gute Handlung so mißdeuten!« – »Ich finde, er hatte vielmehr Grund zu seinem Weib zurückzukehren, als er fror, denn später, als es ihm dort gut ging,« erklärte Simontault.

»Ihr scheint nicht so zu denken wie jener reiche Pariser,« lächelte Saffredant, »der neben seinem Weibe im Bett erfroren wäre, wenn nur ein Tüchlein gefehlt hätte. Aber zu der Magd ging er im dicksten Winter barfuß und ohne Mütze, ohne sich je zu erkälten, obgleich jene schrecklich häßlich war und sein Weib bildschön.« – »Wißt Ihr nicht,« fragte Guebron, »daß Gott die Toren, Verliebten und Trunkenen immer schützt? Vielleicht war jener alles auf einmal. Doch um nun zum Schluß zu kommen, wem gibt Longarine ihre Stimme?« – »Ich gebe sie Saffredant.« Alsbald hub dieser an:

»Ich hoffe auch zu erweisen, daß Gott die Verliebten keineswegs schützt. Zudem, mag auch ein Laster gleichermaßen bei Mann und Weib zu finden sein, eine Frau findet viel feinere und knifflichere Listen als ein Mann, und dafür sollt ihr nun ein Beispiel hören.«

Zweiunddreißigste Erzählung


Wie ein Ehemann sein ehebrecherisches Weib härter als mit dem Tode bestraft.

König Karl, der achte seines Namens, entsandte einen Edelmann Bernage, von Civrai, unweit Amboise, nach Deutschland. Selbiger reiste Tag und Nacht, um möglichst schnell vorwärtszukommen, und gelangte so eines Abends spät zu einem Schlosse, wo er um Unterkunft bat. Das wurde ihm nur zögernd zugestanden. Maßen nun aber der Schloßherr vernahm, daß jener im Dienste eines so angesehenen Herrschers stand, suchte er ihn auf, bat ihn ob der Hartnäckigkeit seiner Dienstleute um Verzeihung und entschuldigte sich damit, daß er wegen der Mißgunst etlicher Verwandten seines Weibes sein Haus so wohl verschlossen halten müsse. Nun enthüllte ihm Bernage seinen Auftrag und sogleich bot ihm jener an, ihm bei seinem König nach Möglichkeit behilflich zu sein. Sodann nahm er ihn in seine Gemächer, brachte ihn trefflich unter und bewirtete ihn aufs beste.

Als nun die Stunde des Nachtessens nahte, führte er ihn in einen Saal, der rings mit Teppichen behängt war, und kaum wurde das Fleisch aufgetragen, da erblickte der Bote ein unbeschreiblich schönes Weib, das hinter einem Vorhang hervortrat. Nur war ihr Haupthaar geschoren und sie selbst nach deutscher Sitte ganz schwarz gekleidet. Sie setzte sich, nachdem sich alle die Hände gewaschen hatten, an das Ende des Tisches und sprach mit niemandem, noch auch redete jemand sie an. Der Herr von Bernage bewunderte oft ihre unvergleichliche Schönheit; doch schien ihr Gesicht bleich zu sein und ihr Wesen von tiefer Trauer überschattet. Nachdem sie ein wenig gegessen hatte, bat sie um etwas zu trinken. Alsbald brachte ihr der Diener ein seltsames Trinkgefaß: einen Totenkopf, dessen Öffnungen mit Silber verschlossen waren. Daraus trank die Frau zwei oder drei Schluck. Und nachdem sie ihr Mahl beendet und ihre Hände gewaschen hatte machte sie vor dem Schloßherrn eine tiefe Verbeugung und entschwand wieder hinter dem Vorhang, ohne mit jemandem ein Wort gesprochen zu haben.

Der Edelmann war über diesen seltsamen Anblick so erschüttert, daß er in trauriges Nachdenken versank. Der Schloßherr bemerkte das und so sagte er: ›Ich sehe, Ihr seid über diesen Zwischenfall baß erstaunt. Da ich Euch nun aber als einen so ehrenwerten Mann kennen gelernt habe, will ich Euch die Erklärung geben, damit Ihr nicht meint, ich sei ohne Grund so grausam.

Diese Dame ist mein Weib, das ich über alle Maßen geliebt habe, und auch sie zeigte mir so viel Zuneigung, daß ich zehntausendmal für ihre Bequemlichkeit mein Leben aufs Spiel gesetzt hätte, zumal ich sie gegen den Willen ihrer Eltern geheiratet hatte. So lebten wir lange Zeit in Glück und Freuden. Als ich aber einst in einer Ehrensache eine Reise machen mußte, vergaß sie ihre Tugend und Liebe zu mir und vergaffte sich in einen jungen Edelmann, den ich bei mir aufgezogen hatte.

Das vermeinte ich nach meiner Rückkehr zu bemerken, doch ob meiner großen Liebe mißtraute ich ihr nicht, bis mir ein Zufall die Augen öffnete. Nun wandelte sich meine Liebe in wütende Verzweiflung. Ich umspähte sie, und so tat ich eines Tages, als verließe ich das Haus, und verbarg mich in ihrem Zimmer, wo sie heute noch wohnt. Kaum glaubte sie mich fort, so begab sie sich in ihr Gemach und ließ den Jüngling rufen. Der trat mit einer Ungezwungenheit zu ihr, wie nur ich es mir hätte erlauben dürfen. Als ich aber sah, daß er sich neben ihr aufs Bett legen wollte, sprang ich hervor, packte ihn und stach ihn tot.

Da mir nun die Missetat meines Weibes zu schwer erschien, als daß ihr Tod sie hinreichend hätte sühnen können, so verhängte ich eine Strafe über sie, die mir weit härter erschien: also sperrte ich sie in das Gemach, in dem sie sich ihrer sündigen Lust hingegeben hatte, und gab ihr den so lieben Gefährten ihrer Schande zur Gesellschaft – denn ich hing in einen Schrank die Gebeine ihres Herzliebsten hin gleich kostbaren Wertstücken. Auf daß sie aber seiner auch beim Essen und Trinken nie vergesse, ließ ich ihr bei Tisch den Schädel jenes Buben anstatt eines Bechers vor mir darreichen, so daß sie ihren Todfeind, mich selbst, lebend, jenen aber zugleich tot erblickt, den sie mir vorgezogen hatte. Im übrigen wird sie gleich mir gehalten, außer daß sie geschoren ist, denn der Haarschmuck geziemt einer Ehebrecherin nicht, noch der Schleier einem schamlosen Weib. So zeigt sie augenscheinlich, daß sie Ehre, Keuschheit und Schamgefühl verloren hat. Und nun, wenn Ihr geruhen wollt, werde Ich Euch zu ihr führen.‹

Damit war Bernage einverstanden. So stiegen sie hinunter in ein sehr schönes Gemach, wo die Frau einsam vor dem Kaminfeuer saß. Der Schloßherr zog einen Vorhang zur Seite, und so konnte man die Gebeine des Getöteten erblicken. Bernage hätte gern mit der Frau gesprochen, doch wagte er es aus Scheu vor dem Ehemann nicht. Der bemerkte es und sagte: ›Wollt Ihr etwas mit ihr reden, so überzeugt Euch, wie gefällig sie sprechen kann.‹

Alsbald hub Bernage an: ›Edle Frau, wenn Eure Geduld Euern Qualen gleicht, so muß ich Euch für das glücklichste Weib der Erde halten.‹ Und jene entgegnete mit einer Träne im Auge und unbeschreiblicher Demut: ›O Herr, meine Schuld ist so groß, daß alle Leiden, die der Herr dieses Schlosses (ich wage nicht, ihn meinen Gemahl zu nennen) über mich verhängt, klein sein werden im Verhältnis zu der Reue über meinen Frevel.‹

Damit begann sie bitterlich zu weinen. Der Schloßherr nahm den Edelmann beim Arm und führte ihn hinaus. Und am Tage darauf setzte dieser seine Reise fort. Doch als er von dem Schloßherrn Abschied nahm, sprach er zu ihm: ›Meine Zuneigung zu Euch, und die ehrenvolle herzliche Aufnahme, die Ihr mir zuteil werden ließet, zwingen mich, Euch zu sagen, daß Ihr angesichts der großen Reue Eures Weibes mit ihm Erbarmen haben solltet. Zudem seid Ihr jung und habt keine Kinder. Wie wäre es schade, wenn ein Haus wie das Eure an Erben fiele, die Euch nicht wohl wollen.‹

Der Schloßherr, der eigentlich entschlossen war, nie wieder mit seinem Weibe zu reden, dachte über diese Worte des Herrn Bernage lange nach. Und schließlich sah er ein, daß jener die Wahrheit sagte, und versprach ihm, Nachsicht zu üben, wenn sie in ihrer Demut beharre. So reiste Bernage von dannen, erledigte seinen Auftrag, und als er daheim dem König von allem berichtete und so auch jene Frau erwähnte, entsandte der König den Hofmaler Johann von Paris dorthin, um ihre Schönheit lebend festzuhalten. Das geschah unter Einwilligung des Ehemannes. Und dieser erbarmte sich dann auch nach langer Buße seines Weibes und zeugte mit ihm eine stattliche Zahl schöner Kinder.

Ich aber glaube, meine Damen, wenn alle Frauen, denen gleiches begegnete, aus solchen Gefäßen trinken müßten, dann würden gar viele goldene Becher in Totenschädel verwandelt werden. So behüte uns Gott, der die Strauchelnden stützt.«

»Ich finde diese Strafe ganz richtig,« meinte Emarsuitte, »denn so läßt sich jedes Verbrechen sühnen, nach dem Tode aber nicht mehr.« – »Vermeint Ihr wirklich solche Schande wieder gutmachen zu können?« rief Longarine. – »Freilich,« entgegnete Emarsuitte. »Genießt denn Magdalena heute nicht schier mehr Bewunderung als ihre jungfräuliche Schwester?« – »Mir scheint, ob ihrer Liebe zu Christus und ihrer Reue wird sie gepriesen,« sprach Longarine, »doch behält sie den Namen einer Sünderin.« – »Mir dünkt am wichtigsten, daß Gott und mein Mann mir verzeihen,« versicherte Emarsuitte. – »Ich wundere mich nur,« überlegte Dagoucin, »daß jene Frau nicht vor Kummer starb.« – »Wie könnt Ihr nur noch an die Liebe und die Reue von Frauen glauben,« entrüstete sich Simontault. »Ich begnüge mich mit der Liebe, die ich in mir selbst fühle; aber wenn es mir gelänge, geliebt zu werden, so würde ich schier vor Zufriedenheit sterben!« – »Hütet Euch also davor wie vor der Pest!« meinte Guebron. »Und nun möchte ich wissen, wem Frau Oisille das Wort erteilt.« – »Ich gebe es Simontault,« sprach diese, »denn er verschont niemanden.«

»So sagt doch gleich, ich bin eine Lästerzunge,« entgegnete der. »Sicher würdet ihr alle keine unserer Geschichten glauben, wenn sie nicht so zuverlässig belegt wären. Doch selbst Wunder werden mißbraucht. Und dafür will ich einen Vorfall erzählen, der die Klugheit eines Fürsten preist und einen schändlichen Geistlichen gebührend brandmarkt.«

Dreiunddreißigste Erzählung


Von den Greueln eines blutschänderischen Priesters, der seine Schwester schwängert und sie dann als Heilige hinstellt, und von seiner wohlverdienten Strafe.

»Als der Graf Karl von Angoulême, der Vater des Königs Franz des Ersten, – ein gar gottesfürchtiger Fürst – , zu Cognac weilte, wurde ihm erzählt: in einem nahen Dorfe, Cherves, gäbe es eine Jungfrau, die in bewunderungswürdiger Sittenstrenge lebe. Trotzdem sei sie schwanger und verheimliche das keineswegs, sondern verkünde vielmehr dem Volke, sie habe nie einen Mann erkannt, also daß sie sich ihren Zustand nur durch die Einwirkung des Heiligen Geistes erklären könne. Tatsächlich glaubte ihr das Volk ohne Zögern und pries sie als eine zweite Jungfrau Maria, maßen sie jeder von Kind auf kannte und wohl wußte, wie tugendhaft und weltabgewandt sie allezeit gelebt hatte. Sie fastete öfter noch als die Kirche es vorschrieb und versäumte nicht den kleinsten Gottesdienste; so war alle Welt ob ihres Lebenswandels erbaut und jeglicher kam, um dies Wunder zu schauen, und war beglückt, wenn er ihr Gewand berühren durfte.

Ihr Bruder, der Pfarrer jener Gemeinde, war ein schon bejahrter Mann von gleichermaßen strengem Lebenswandel. Auch er ward von den Ortsbewohnern hochgeehrt und schier als ein Heiliger betrachtet. Der verfuhr gar streng mit dem Mägdelein und sperrte es in einem Hause ein. Aber das Volk war damit unzufrieden, und der Lärm, den es darob erhob, drang, wie gesagt, endlich auch zu den Ohren des Grafen. Alsbald entschloß sich dieser, den Mißbrauch, der mit des Volkes Glauben getrieben wurde, zu beseitigen und entsandte seinen Kanzler und einen Almosenier, um die Wahrheit zu ergründen.

Diese beiden hochehrenwerten Männer begaben sich also an Ort und Stelle und zogen unter der Hand Erkundigungen ein. Als sie sich auch an den Pfarrer wandten, zeigte sich dieser ob der ganzen Sache recht unwillig und bat sie, einem Verhör beizuwohnen, das er am Tage darauf anzustellen vorhabe. So geschah es. Der Pfarrer las am andern Morgen die Messe, der seine Schwester kniend beiwohnte, obgleich sie schon gewaltig entstaltet war. Und als er nun am Ende des Gottesdienstes den »Leib des Herrn« nahm, sprach er vor allen zu seiner Schwester also: »Unselige, sieh hier den Leib des Herrn, der für dich litt und starb, und künde nun, ob du wahrhaft Jungfrau bist, wie du mir allezeit versichert hast!‘

Sie sagte ohne Scheu und Zagen: »Ja.« »Wie dann«, fuhr jener fort, »willst du erklären, daß du schwanger und Jungfrau zugleich bist?« Sie entgegnete: »Ich kann es mir nur durch die Empfängnis des Heiligen Geistes erklären, der über mich nach seinem Gefallen bestimmen mag; doch nimmer vermag ich meine Jungfrauenschaft zu leugnen, maßen ich nie nach einer Ehe trachtete.«

Alsbald hub der Pfarrer an:

»So reiche ich dir nunmehr den köstlichen Leib Jesu Christi. Nimm ihn und sei in Ewigkeit verflucht, wenn es anders ist als du gesagt hast. Diese Herren, so vom Herrn Grafen entsandt wurden, sollen Zeugen sein.« Und das Mägdelein, das kaum dreizehn Jahre alt war, schwur folgenden Eid: »So nehme ich vor euch, ihr Herren, und vor dir, mein Bruder, den Leib Jesu Christi und will in Ewigkeit verdammt sein, wenn je ein andrer Mann mich berührt hat denn mein Bruder.« Und mit diesen Worten empfing sie den Leib des Herrn.

Die Boten des Grafen gingen ob jenes Anblickes ganz verwirrt von dannen und vermeinten, hinter solchem Eid könne sich kein Trug bergen. Solchermaßen statteten sie auch dem Grafen Bericht ab und wollten ihn zu gleichem Zutrauen überreden. Jener aber war klug. Er dachte eine Weile nach, ließ sich noch einmal den Eid wiederholen, erwog ihn sorglich und sprach alsdann: »Sie erklärte, nie habe ein anderer Mann sie berührt denn ihr Bruder. In der Tat glaube ich auch, daß jenes Kind von dem Bruder stammt, der unter solch schlimmem Truge seine Schändlichkeit verbergen will. Wir aber glauben, daß Christus bereits auf Erden war und also ein anderer nicht zu erwarten ist. Darum gehet hin und werfet den Pfarrer ins Gefängnis. Sicherlich wird er alsdann die Wahrheit gestehen.«

Sein Befehl wurde ausgeführt, trotzdem die Bevölkerung ob des vermeintlichen Unrechts, das man dem heiligen Mann antat, gewaltigen Lärm erhob. Kaum saß aber der Pfarrer im Kerker, da gestand er alsbald seine Schändlichkeit ein. Denn er hatte seiner Schwester all ihre Worte eingelernt, auf daß sie so das Leben verhülle, das er mit ihr führte, und sie also nicht nur eine Entschuldigung fänden, sondern noch gar einen Sinn durchblicken ließen, auf Grund dessen sie von aller Welt hoch geehrt würden. Als man ihm aber vorwarf, lästerlicherweise den Leib des Herrn durch diesen Eid mißbraucht zu haben, da versicherte er, so etwas habe er nicht gewagt, sondern ein ungesegnetes Brot verwendet.

Alles dies ward dem Grafen von Angoulême berichtet, und der befahl, der Gerechtigkeit Genüge zu tun. Also wartete man, bis das Mägdelein mit dem Kinde, einem schönen Sohne, niedergekommen war, und alsdann wurden Bruder und Schwester verbrannt. Und das ganze Volk war tief erschüttert, als es inne ward, welche Scheußlichkeit sich unter dem Mantel der Heiligkeit verborgen hatte und welch widerliches Laster unter dem Glanze eines löblichen Lebens verhüllt war.

So ließ sich der Glaube des getreuen Grafen nicht durch äußere Zeichen und Wunder betören, maßen er sicher war, daß ein Heiland, der da spricht ›Es ist vollbracht‹, keines Nachfolgers bedarf.«

»Einst hörte ich sagen,« meinte Hircan, »daß alle Menschen doppelt gestraft werden, die ihre Grausamkeit und Drangsalierung mit einem Auftrag des Königs zu decken suchen. Das gleiche gilt von den Heuchlern. Eine Weile haben sie Glück; aber wenn Gott seinen Mantel von ihnen nimmt und also ihr Tun enthüllt, dann wirkt ihre niedrige Gemeinheit um so widerlicher, als sie sich hinter so erhabener Hülle verborgen hatte.« – »Mir scheint,« erklärte Nomerfide, »die Toren (sofern man sie nicht tötet) leben länger als die Weisen, wohl weil sie alles frei heraus tun, was ihnen beifällt. Unterdrückte Laster vergiften das Herz.« – Aber Parlamente entgegnete: »Wie schön wäre es, wenn unsere Seele so von Tugend durchdrungen wäre, daß wir sie offen zeigen könnten.« – »Das wird erst sein,« betrübte sich Hircan, »wenn wir kein Fleisch mehr über dem Gebein tragen. Doch laßt uns nun wissen, Simontault, wem Ihr das Wort erteilt.« – »Ich gebe es Nomerfide,« sprach dieser. »Maßen sie ein vergnügliches Herz besitzt, wird sie uns sicher nichts Trauriges bescheren.«

»Wenn ihr den Wunsch habt, zu lachen,« hub Nomerfide an, »so kann ich euch gern Gelegenheit dazu geben. Und auf daß ihr wohl erkennen möget, wie ein mißverstandenes Wort durch Angst und Unkenntnis oft Unheil anrichten kann, will ich euch berichten, wie es zween armen Franziskanern von Niort erging, die einen Metzger mißverstanden und darob schier aus Furcht starben.«

Vierunddreißigste Erzählung


Wie zwei Franziskaner ob übergroßer Neubegier vor Entsetzen schier verstarben.

»Das Dorf Grip zwischen Niort und Fors gehört dem Herrn von Fors. Dorthin kamen einst von Niort her spät abends zwei Mönche und fanden bei einem Metzger Unterkunft. Maßen nun zwischen ihrer Stube und der ihres Wirtes nur eine schlechtgefügte Bretterwand war, so überkam sie die Lust, zu erlauschen, was jener mit seinem Weib im Bett sprach. Alsbald legten sie ihre Ohren just dort an die Wand, wo das Kopfende des Bettes war, und vernahmen, wie der Metzger in vertrautem Gespräch über sein Hauswesen sagte:

›Meine Liebe, morgen müssen wir früh aufstehen und unsere Franziskaner in Augenschein nehmen. Einer davon ist weidlich fett; den wollen wir schlachten und einsalzen, auf daß wir ein gut Geschäft damit machen.‹ Er meinte seine Schweine. Aber die Frater bezogen diesen Entschluß auf sich und harrten voll schrecklichen Bangens auf das Morgengrauen.

Tatsächlich war einer von ihnen feist, der andere mager. Der Feiste wollte alsbald seinem Gefährten beichten, denn er vermeinte, der Metzger habe alle Gottesfurcht verloren und könne gleichermaßen wie einen Ochsen wohl jegliches lebende Wesen abschlachten. Und da sie nun in ihrem Zimmer gut eingesperrt waren und nur durch ihres Wirtes Stube hinaus konnten, so waren sie ihres Todes gewiß und empfahlen ihre Seelen Gott.

Der jüngere aber war noch nicht so furchtgebannt wie der andere und schlug ihm vor, man sollte versuchen aus dem Fenster zu entweichen. Schlimmeres als der Tod könnte ihnen so auch nicht begegnen. Der Feiste stimmte zu und jener öffnete das Fenster. Als er nun sah, daß es nicht hoch über der Erde war, sprang er leichtfüßig hinab und floh, ohne seinen Gefährten zu erwarten.

Der versuchte auch sein Glück. Aber er plumpste, statt zu springen, so gar schwerfallig zur Erde nieder, daß er sich am Bein verletzte. Maßen er sich nun also verlassen sah und inne ward, daß er seinem Gefährten nicht folgen konnte, blickte er nach einem Unterschlupf aus und gewahrte endlich einen Schweinestall, zu dem er sich denn auch mühsam hinschleppte. Als er aber dessen Tür öffnete, entwischten zwei große Schweine, an deren Stelle sich der Mönch in dem Stall verkroch, worauf er die Tür hinter sich verschloß. Denn er hoffte, er würde auf sein Geschrei Hilfe finden, wenn er Leute vorbeikommen hörte.

Als nun der Morgen dämmerte, schärfte der Metzger seine zwei großen Schlachtmesser und hieß seinem Weib, ihm beim Schlachten der fetten Schweine zu helfen. Und als er zu dem Schweinestall kam, öffnete er die Tür und rief: ›Kommt nur heraus, ihr Herren Franziskaner, heute will ich fette Blutwurst von euch machen!‹ Der Mönch, der auf seinem Bein nicht auftreten konnte, kroch auf allen Vieren aus dem Stall und rief jammernd um Gnade. Wenn er nun aber vor Angst bebte, so taten das der Metzger und sein Weib nicht minder, denn sie vermeinten, der heilige Franziskus sei auf sie ergrimmt, weil sie ein Tier ›Franziskaner‹ hießen. So warfen sie sich flugs vor dem armen Frater auf die Knie und baten den heiligen Franziskus und den ganzen Orden um Vergebung. Und nun flehte also auf der einen Seite der Mönch um Erbarmen, auf der anderen der Metzger, und schier eine Viertelstunde lang begriff keiner, was vorlag.

Endlich ward der wackere Pater inne, daß der Metzger ihm nichts zuleide tun wollte, und erzählte ihm nun, weshalb er sich in diesem Stall verkrochen habe. Alsbald wandelte sich da die Verzweiflung seines Wirtes in ein groß Gelächter, in das nur der Pater nicht einstimmen mochte, maßen ihm sein Bein so wehe tat. Aber der Metzger führte ihn wieder ins Haus und verband ihn sorglich.

Sein Gefährte aber, der ihn in der Not verlassen hatte, lief die ganze Nacht hindurch, bis er gegen Morgen zu dem Schloß des Herrn von Fors kam. Dort führte er ob des Metzgers Klage, sintemalen er ihn im Verdacht hatte, seinen Gefährten getötet zu haben, da dieser nicht nachgekommen sei. Der Herr von Fors entsandte unverweilt Leute nach Grip, um die Wahrheit zu erkunden, und so stellte sich heraus, daß ein Grund für Tränen nicht vorlag. Der Schloßherr aber berichtete flugs die ganze Geschichte seiner geliebten Herrin, der Frau Herzogin von Angoulême, der Mutter Franz‘ des Ersten.

Der Fall erweist, daß es nie gut ist, den unbefugten Lauscher zu spielen und so andere mißzuverstehen.«

»Habe ich nicht gesagt,« rief Simontault, »Nomerfide wird uns zum Lachen bringen.« – »Wie ganz anders waren doch die Weisen alter Zeiten als wir,« meinte Guebron, »sie empfanden weder Freude noch Trauer. Zum mindesten bargen sie beides in ihrem Herzen und ließen es sich nicht merken. Denn sie hielten es für eine große Tugend, sich selbst und ihre Leidenschaften zu besiegen.« – »Eine schlechte Leidenschaft besiegen, scheint mir auch löblich,« erklärte Saffredant. »Eine natürliche zu bekämpfen scheint mir aber zwecklos, maßen sie keinen Schaden tut.« – »Mir scheint, nicht alle Philosophen waren weise,« sprach Saffredant. »Manche besaßen ihre Tugend nur dem Anscheine nach.« – »Gewiß,« versicherte Guebron, »denn als zum Beispiel Diogenes des Plato Bett mit Füßen trat, um solch wollüstigem Luxus und der Sinnenfreude jenes Mannes seine Verachtung zu zeigen, da erwiderte Plato, Diogenes täte dies aus Eigendünkel.« – »Um die Wahrheit zu sagen,« – entgegnete Parlamente, »so können wir ohne ein gut Teil Stolz uns gar nicht überwinden. Und je mehr unsere innere Sündhaftigkeit von dem Mantel äußerer Tugenden verhüllt ist, um so schwerer ist ihr beizukommen.«

»Dann sind wir Männer dem Heile weit näher,« rief Hircan, »denn wir verbergen die Früchte unserer Sündhaftigkeit nicht und können so leichter zu deren Wurzel gelangen. Ihr aber schafft so viel äußerliche, wohlgefällige Werke, daß die Wurzel der Hoffahrt euch unter diesem schönen Schutze ganz unbemerkt bleibt.« – »Seht einmal, wo wir hineingeraten sind,« spottete Simontault. »Von einer großen Torheit kamen wir auf philosophische und theologische Betrachtungen. Überlaßt solchen Streit weisen Männern, die mehr damit anzufangen wissen. Und nun wollen wir hören, wem Nomerside ihr Wort weitergibt.« – »Ich gebe es Hircan,« sprach diese, »und empfehle ihm an, die Ehre der Damen hochzuhalten.«

»Das kommt wie gerufen,« meinte Hircan, »denn die Geschichte, die ich im Sinne habe, dürfte euch gefallen, meine Damen. Ich will euch erweisen, daß Mann wie Weib von Natur zum Laster neigt und nur mit Gottes Hilfe davor bewahrt werden kann. Und um etwas euren kecken Mut zu dämpfen, den ihr zu entfalten pflegt, wenn jemand eure Ehre angreift, will ich euch folgenden höchst wahrhaften Vorfall berichten.«

Fünfunddreißigste Erzählung


Wie gar wohlweislich ein Mann seinem Weibe die Liebe zu einem Franziskaner austreibt.

»Zu Pampeluna lebte ein ehrengeachtetes schönes und tugendsames Weib, das ob seiner Keuschheit und Frömmigkeit nicht seinesgleichen hatte und seines geliebten Mannes volles Vertrauen genoß. Die Dame war in den Dreißigern, wo Frauen bereits den Ruhm der Schönheit gegen den der Frömmigkeit zu vertauschen beginnen, besuchte daher unermüdlich alle Gottesdienste und suchte auch ihren Mann und ihre Kinder dazu zu zu überreden.

Am ersten Fastensonntag nun hörte sie die Predigt eines Franziskanermönches, der ob seines strengen Lebenswandels gleich einem Heiligen geschätzt wurde und bleich und mager geworden war. Doch war er trotzdem unvergleichlich schön geblieben. Demutsvoll lauschte die Dame seiner Rede; ihre Augen wichen nicht von seinem verehrlichen Antlitz, und Ohren und Seele waren weit geöffnet. So drang die Milde seiner Worte ihr bis ins Herz, seine Schönheit aber prägte sich so tief in ihre Seele, daß sie wie verzückt wurde.

Nach der Predigt gab sie sorglich acht, wo der Mönch die Messe las, und wohnte derselben bei; sie nahm die geweihte Asche aus seinen Händen, die weiß und schön waren gleich den ihren, doch blickte sie mehr darauf, denn auf die Asche und vermeinte wahrscheinlich, daß eine so rein geistige Liebe ihrem Gewissen nichts anhaben könne. – Fortan besuchte sie tagtäglich seine Predigten und nahm auch ihren Mann stets dazu mit, und beide waren so voll Lobes über den Mönch, daß selbst bei Tisch und sonsten von nichts anderem mehr die Rede war.

Aber unter solchem geistlichen Deckmantel entflammte diese höchst fleischliche Liebe die arme Dame um so leichter, als sie sich davon hatte überrumpeln lassen und ihrer Leidenschaft erst inne ward, als sie deren berauschendes Glück schon verspürte. Das Schlimme war nur, daß der Urheber ihrer Liebesqualen nicht das geringste davon ahnte.

Bald schob die Dame alles Zagen beiseite, einem so weisen Mann ihre Torheit zu enthüllen und einem solchen Tugendhelden ihre lästerliche Niedrigkeit gewahr werden zu lassen, und so schrieb sie, anfangs allerdings recht verhüllt, an den Mönch über ihre Gefühle zu ihm, gab einem kleinen Pagen diesen Brief und hieß ihn, was er damit tun solle. Vor allem aber befahl sie ihm an, zu sorgen, daß ihr Mann ihn nicht zu den Franziskanern gehen sähe.

Der Page suchte den kürzesten Weg und kam so just in die Straße, wo der Ehemann in einem Laden saß. Der sah ihn vorbeigehen und trat zur Tür, um festzustellen, wo er hinwolle. Als der Page das merkte, barg er sich verlegen in einem Hause. Sein Herr durchschaute das, folgte ihm, packte ihn beim Arme und fragte ihn, wohin er ginge. Als der Page mit toderschrockenem Gesicht Entschuldigungen stammelte, drohte ihm der Edelmann mit Schlägen, so daß der arme Page endlich rief: ›Ach Herr, wenn ich es Euch sage, wird mich die Frau töten.‹

Nun argwöhnte der Edelmann irgendeinen Liebesandel dahinter und versicherte daher dem Pagen, ihn reich zu belohnen, wenn er die Wahrheit rede, andernfalls aber ihn für immer einzusperren. Der Knabe zog ersteres vor, und so erzählte er die Geschichte und zeigte den Brief seiner Herrin an den Mönch. Das alles schmerzte den Edelmann sehr, doch verhehlte er seinen Zorn; und um nun seinem Weibe auf die Schliche zu kommen, schrieb er eine Antwort, gleich als ob der Prediger ihr für ihren guten Willen dankte und sie seines Entgegenkommens versicherte.

Der Page versprach, alles nach der Anordnung seines Herrn auszuführen, und brachte also der Dame den untergeschobenen Brief; über den war sie so außer sich vor Freude, daß ihr Mann es ihrem Gesicht anmerkte. Und in der Tat ward sie in dieser Fastenzeit blühender und frischer, als sie es beim Karneval gewesen war. So kam die Karwoche, ohne daß sie abließ, brieflich dem Mönche ihre tolle Liebe zu gestehen, und der Ehemann sandte ihr weiter entsprechende Antworten.

Doch nach Ostern schrieb er ihr, er bäte sie, ihn wissen zu lassen, wie er sie im geheimen sehen könne. Alsbald redete sie ihrem Mann zu, seine Güter außer der Stadt zu besuchen. Das tat er anscheinend, doch verbarg er sich im Hause eines Freundes. Inzwischen schrieb sein Weib an den Pater, nun sei die Zeit gekommen, um sie zu sehen, denn ihr Mann sei fortgereist. Da nun aber der Edelmann seines Weibes Herz bis auf den Grund prüfen wollte, ging er zu dem Mönch und bat ihn um Gottes willen um seine Kutte. Der erwiderte, die Regel verbiete so etwas und er könne sie nicht für eine Maskerade hergeben. Der Edelmann versicherte ihm aber, hier handle es sich um sein Wohl und Heil, und da der Franziskaner ihn als einen ehrengeachteten, frommen Mann kannte, lieh er sie ihm endlich, worauf jener sich das Gesicht bis auf die Augen mit der Kapuze verdeckte, zudem einen falschen Bart und eine falsche Nase vornahm, also daß er dem Pater ähnlich sah, und Korksohlen in die Sandalen legte, bis er auch seine Größe erreichte.

In diesem Gewande trat er abends in das Gemach seines Weibes, das demütig des Mönches harrte. Und die Törin wartete gar nicht, bis er zu ihr nahe kam, sondern stürzte wie sinnlos auf ihn zu und wollte ihn küssen. Er aber senkte – aus Angst, erkannt zu werden – den Kopf, schlug das Kreuz, tat, als ob er vor ihr flüchtete, und rief fortwährend: ›Versuchungen! Versuchungen!‹

Die Dame entgegnete: ›Wehe, mein Vater, Ihr habt gar recht. Denn keine Versuchung ist stärker als die der Liebe. Doch versprachet Ihr mir Heilung. So erbarmt Euch nun meiner, da wir Zeit und Gelegenheit haben.‹ Und wieder versuchte sie ihn zu küssen, und wieder wich ihr er nach allen Seiten aus, schlug große Kreuze und rief immerzu: ›Versuchungen! Versuchungen!‹ Als er aber merkte, daß sie ihm zu nahe auf den Leib rückte, holte er aus der Kutte einen derben Stock hervor und verprügelte sie derart, daß ihr die Versuchung verging. Und dann verließ er sie unerkannt, brachte dem Pater flugs seine Kutte zurück und versicherte ihm, daß sie ihm Glück gebracht habe.

Da er nun tags darauf heimkehrte, als käme er von seinen Gütern, fand er sein Weib im Bett und erkundigte sich darob, als wenn er ihr Leiden nicht kennte. Sie erwiderte, sie habe sich erkältet und könne weder Arme noch Beine regen. Der Ehemann konnte sich das Lachen schier nicht verkneifen, stellte sich aber sehr betrübt, und, wie um sie zu erfreuen, kündigte er ihr an, er habe zum Abendessen den heiligen Kanzelredner geladen. Unverweilt entgegnete sie: ›Gott behüte Euch, solche Leute zu Gaste zu laden, denn sie bringen überall, wohin sie kommen, Unheil.‹ – ›Wieso, meine Liebe?‹ fragte jener, ›du priesest ihn doch immer so sehr, und mir wenigstens scheint: wenn es je einen Heiligen gab, so ist dieser einer.‹

Die Dame widersprach: ›Zum Predigen und in der Kirche sind sie recht gut, aber daheim sind es Teufel. Bitte, laßt ihn mich nicht sehen. Denn so, wie es mir eben geht, würde ich sicher sterben.‹ – ›Wie du willst,‹ meinte der Mann, ›ich jedenfalls werde ihn bewirten.‹ – ›Tu das meinetwegen, aber laß mich beiseite,‹ rief sie, »denn ich hasse diese Menschen gleichwie den Satan.‹ –

Nachdem der Ehemann den Franziskaner bewirtet hatte, sagte er zu ihm: ›Ich glaube, Gott schätzt Euch also hoch, daß er Euch sicher keinen Wunsch versagen wird. Darum bitte ich Euch, erbarmt Euch meines armen Weibes, das seit acht Tagen von einem bösen Geist besessen ist, also daß sie alle Welt kratzt und beißt. Weder Kreuz noch Weihwasser kann ihr helfen. Doch scheint mir, wenn Ihr die Hand auf sie legen wolltet, so würdet Ihr den Teufel austreiben. Tut mir also bitte den Gefallen.« Der wackere Pater erwiderte: »Mein Sohn, wer glaubt, kann alles erreichen. Glaubet Ihr fest daran, daß Gottes Güte alles gewähren kann, wenn man auf seine Huld bauet?« – »Das glaube ich fest!« – »So überzeugt Euch und laßt uns nun, im Glauben fest, dorthin gehen, um dem brüllenden Leu zu widerstehen und ihm die Beute zu entreißen, die Gott durch das Blut Jesu Christi gebührt.«

Alsbald führte der Edelmann den Pater zu seinem Weib, das auf einem niederen Bett lag. Die Dame ward betroffen, da sie jenen erblickte, denn sie vermeinte, es sei der gleiche, der sie geschlagen hatte, und darob ergrimmte sie gar gewaltig. Doch sintemalen ihr Mann dabeistund, senkte sie die Augen und schwieg. Und der Edelmann sprach: »Solange ich da bin, setzt ihr der Teufel nicht zu. Sobald ich aber fort bin, spritzet Weihwasser auf sie, dann werdet Ihr sogleich den bösen Geist sein Wesen treiben sehen.« Und damit ließ er jenen mit seinem Weib allein, aber blieb hinter der Tür stehen, um ihr Gehabe anzuschauen.

Kaum sah sich die Frau mit dem Pater allein, da schrie sie wie eine Tobsüchtige und nannte ihn »Bösewicht, Schmutzian, Mörder und Betrüger«. Der Franziskaner war nun sicher, daß sie besessen sei, und wollte ihren Kopf ergreifen, um darauf Gebete zu sprechen. Da kratzte und biß sie ihn derart, daß er genötigt wurde, zurückzuweichen. Und so spritzte er von weitem männiglich Weihwasser auf sie und sprach herrliche Beschwörungen und Gebete.

Als nun der Mann inne ward, daß jener seine Pflicht genügend erfüllt hatte, kam er wieder herein und dankte ihm dafür, daß er sich so viel Mühe gegeben hatte. Und kaum war er in der Stube, da ließ sein Weib die Schimpfworte und Flüche und küßte aus Angst vor dem Gatten demütig das Kruzifix. Der heilige Mann aber, der sie also tobend gesehen hatte, glaubte fest und sicher, daß auf sein Gebet hin der Herr Christus den Teufel verjagt habe, und so ging er froh davon und pries Gott ob seiner Wundertat.

Und da der Ehemann seine Frau für ihre tolle Leidenschaft wohl gezüchtigt sah, wollte er ihr auch nicht weiter erklären, wie er vorgegangen sei. Er begnügte sich damit, durch seine Klugheit ihren Sinn bekehrt zu haben, also daß sie den Gegenstand ihrer geheimen Leidenschaft nun in den Tod haßte und ihre Torheit verabscheute. Fürder ließ sie denn auch ihre übertriebene Frömmigkeit und widmete sich mehr und besser denn je ihrem Mann und Ihrem Hausstand.

Hieraus, meine Damen, könnt ihr die ruhige Einsicht eines Mannes und die Schwäche einer sonst hochgeachteten Frau erkennen, also daß ihr, wenn ihr in jenen Spiegel schauet, sicherlich lieber auf Gottes Schutz als eure eignen Kräfte vertrauen werdet.«

Alsbald sagte Parlamente: »Ich freue mich, daß Ihr unter die Prediger gegangen seid, Hircan; hoffentlich bleibt Ihr dabei und haltet allen Frauen solche Reden.« – »Stets, wenn Ihr zuhören wollt, werde ich also sprechen,« entgegnete der. – »Also wenn Ihr fort seid, spricht er anders,« neckte Simontault. – »Mag er tun was er will,« schnitt Parlamente ab. »Ich hoffe vor allem, daß diese Geschichte denen von Nutzen ist, die da vermeinen, geistige Liebe sei ungefährlich. Sie ist gefährlicher als jede andere. Denn die Liebe hat schneller ein Herz ergriffen, als man es selbst merkt, und wer auf Gott darin bauen will, hat es am Ende doch mit dem Teufel zu tun. Ich meinesteils werde stets wünschen, daß jede Frau sich mit ihrem Gatten genügen lasse, so wie ich es tue.« – Darob fühlte sich Emarsuitte getroffen, wechselte die Farbe und erwiderte: »Entweder meint Ihr, jede habe ein so hartes Herz wie Ihr, oder aber Ihr haltet Euch für viel vollkommener als die andern.« – »Wir wollen nicht streiten,« lenkte Parlamente ein. »Laßt uns lieber hören, wem Hicean seine Stimme gibt.« – »Ich gebe sie Emarsuitte,« rief Hirean, »um sie mit meinem Weibe auszusöhnen.«

»Wenn ich somit an der Reihe bin,« hub diese an, »so will ich weder Mann noch Weib verschonen, um alle Gegensätze auszugleichen. Und da ihr euch nicht dazu verstehen könnt, die Tugend und den Wert der Männer zuzugeben, so will ich diesen Gegenstand in meiner Geschichte behandeln.«