Wer sich am meisten für unsre Erlebnisse auf der Insel Uhlenberg interessierte, war »isern Hinrich«, unser Gespiele aus dem Dorfe, der, wenn es seine Zeit zuliess, in unserm Bunde der dritte zu sein pflegte. Da er ein Sohn des Krügers Trilk war, wo Driebenkiel seine Einkäufe gemacht hatte, so waren ihm unsre Abenteuer schon bekannt, allerdings nur in jener Form, die sie in Driebenkiels von Wohlwollen nicht beeinflussten Darstellung angenommen hatten. Mit dem Massstabe von Driebenkiels Entrüstung gemessen, mussten wir ganz ungewöhnlich heldenhafte Thaten vollbracht haben, und da isern Hinrich für das Heldenhafte schwärmte und schon Wilddiebe für Heroen, Strassenräuber aber gar für Halbgötter erachtete, so brannte er darauf, Näheres zu erfahren, zumal auch auf ihn die Geheimnisse des Uhlenberges eine dämonische Anziehungskraft ausübten. Er traf uns, als wir nachdenklich unsern schwer erkrankten Albatros betrachteten, der sich über Nacht so voll Wasser gesogen hatte, dass er nur noch mit den Bordrändern aus dem See hervorschaute. Er ging feierlich auf uns zu, indem er uns nach alt geheiligtem Brauch den rechten Arm steif entgegenstreckte. Wir nahten uns ihm ebenso feierlich und versetzten ihm nacheinander mit spitzem Knöchel der verwendeten Faust einen kräftigen Schlag auf den gespannten Muskel des Oberarmes. Er stiess einen geringschätzigen Kehlton aus: »Fäuhl‘ ick gor nich!« sagte er dann.

Isern Hinrich führte seinen Namen nicht umsonst, und Mucius Scaevola wäre sein verehrtes Vorbild gewesen, wenn er überhaupt jemals was von ihm gehört hätte. Heldenhafte Verachtung körperlicher Schmerzen erschien ihm als eine der erhabensten Eigenschaften des Heroen, ja er ging so weit, zu behaupten, für solche Gefühle bis zu einem gewissen Grade unempfindlich zu sein. Diese Einbildung hat, wie ich glaube, zur Stärkung seines Charakters beigetragen, sonst aber die Folge gehabt, dass er jahrelang eine Existenz ohne blaue Flecke und Schmerzen im Oberarm nicht kannte. Aber was machte das alles, wenn man sich den ehrenvollen Namen »eiserner Heinrich« damit verdiente.

»Na, Driebenkiel hett schön upjug schimpt!« sagte er, scheinbar nicht ganz frei von Neid. »Wat hewwt ji nu man eigentlich blot makt?«

»Ja,« antwortete Adolf, »as wi von ‚t Krewtgriepen na Hus wullen, dor keem ’n Weder up, un dor sünd wi kentert, un ‚ donn hebben Herr Wohland un Driebenkiel uns wedder rut treckt, un nahst hebben wi Herrn Wohland all sin Papegeis sehn, un dei ein kann snacken as ’n Minsch.«

»Un labennige Pfauen un Fasans hett hei ok,« sagte ich, »un allerhand anner Vogels, dei ‚t gor nich gift, dei sünd äwer utstoppt.«

»Un nahst,« fuhr Adolf fort, »hebben wi lütt braden Hahns tau äten kregen und Pannkauken mit Schalee in.«

»Un suren Aal und lütt Fisch in Öl,« sagte ich, der historischen Genauigkeit wegen. Dass wir ins Bett gesteckt worden waren, verschwiegen wir beide als unsrer Ehre zuwider.

»Na, un donn?« fragte isern Hinrich offenbar unbefriedigt.

»Ja, un donn,« sagte Adolf, »donn hebben wi sin utlandschen Eier un Muschels un Stein un Smetterlings beseihn, und donn hett uns Driebenkiel wedder na Hus führt.«

»Mihr nich?« fragte isern Hinrich sehr enttäuscht, »wat hewwt ji denn dahn, dat Driebenkiel so inne Wut up jug wir? As ick em den sösten groten Rum tau n‘ Schilling bröcht harr, dor wir hei all so wiet, dat hei sick verswören dehr, wenn hei jug noch eins up t‘ Water tau faten kriegen dauhn dehr, denn wull hei jug versöpen as junge Rotten. Un denn keem Jochen Nehls. Dei harr sik all’n poor Mal an t‘ Finster vörbischaben un harr sick nich ‚rintrugt, wil dat hei woll wedder kein Geld nich hebben dauhn dehr un Vadder doch nich mihr för em anschrieben will. Dor kreeg Driebenkiel em tau seihn un röp em rin un würr em nu frie hollen und sär: ›Jochen Nehls is min Fründ, dat ’s dei einzigste Kierl in ‚t ganze Dörp, dei sick den Wind hett ümme Näs‘ weihn laten, dei annern sünd all olle Nuschen un nich achtern Aben rutkamen.‹ Un as sei denn beir noch so ’n poor grote Rums achter harren, dor kreeg Driebenkiel dat Singent, un Jochen Nehls musst em helpen. Un gröhlten so gruglich und flögen dorbi uppern Disch und makten so ’n Spitakel, dat Vadder sei giern ‚rutsett‘ harr, man blot hei wagt sick nich an Driebenkiel ‚rau, denn dei hett ’ne furchtbare Kraasch un kann Haufisens mitte Hänn‘ grar bögen. Tauletzt würr Driebenkiel äwer doch na dei Klock kieken un verfihrte siek un sär, hei müss na Hus, un köff sick noch ’ne Pottbuddel vull Akkewiet un tummel denn na ’n See dal un bölkte dortau lurhals dat Leid von den Arbeitsmann, dat dat ganze Dörp rebelisch würr un alle Hunn‘ an tau blaffen füngen.

»Jochen Nehls harr sick äwer tauletzt noch acht Schilling von em leihnt, un dei müss hei jo natürlich ierst versupen. Un wil hei nu werre ganz manierlich wir un jo ok Geld harr, so wull dei Oll em dei acht Schilling lang ruhig sitten laten un sär blot tau mi, dat ik em, wenn dei all wiren, keinen Snaps nich mihr gäben süll, un güng rut na’n Acker. Na, dit pass mi jo, dat ik mit Jochen Nehls allein wir, un ik kreeg em nu för, hei süll mi mal ’n beten von Herrn Wohland verteilen. Na, hei wull jo ierst nich, tauletzt äwer sär hei, wenn ik em ’n Enn‘ von den mojen Prim afsnieden wull, denn‘ min Oll in ‚t Schapp hebben dauhn dehr, denn künn ‚t woll sin, dat hei mi wat vertellen dehr. Na, dat dehr ick jo nu ok, un donn hett Jochen Nehls sin Gorn spennt, dat sär man so stah. Un dat kann ‚k jug man seggen, ji hewwt up ’n Uhlenbarg gor nix seihn, dor weit ick beter mit Bescheid.« Damit streckte er uns gewohnheitsmässig seinen rechten Arm entgegen, wir gaben ihm feierlich und sachgemäss eins drauf, und er zuckte verächtlich die Achsel: »Fäuhl‘ ick gor nich!«

»Wenn du dat Robinsonshus meinst, wat dor sin sall,« sagte ich, »dat hebben wi nich seihn.«

»Robinsonshus!« wiederholte isern Hinrich mit unbeschreiblicher, fast erhabener Verachtung. »Weit ‚t ji denn nich, dat Herr Wohland Seeröwer wäst is? As Jochen Nehls noch Matros‘ wir un up dei Bianka dörch den Magelhanschen Sund na Panama seilen dehr, dor is up dat Schipp ein Matros‘ wäst, so ’n griesen ollen Kierl mit ’ne breire Noar äwern Dätz, as harren sei em mal eins den ganzen Kopp vonein klöwt. As sei nu in Valparaiso Haben binnen kernen un tosamen an Land gahn wiren, un dei oll Matros‘ dat söste Glas Krock tau Bost harr, dor is hei updäut un hett em vertellt, dat hei früher bi den groten Seeröwer Wohland, binennt ›Der Schrecken der Südsee‹, an Burd von den ›Dod un Düwel‹ wäst is. Dat Schipp is ’n Snellsegler wäst, ganz gnäterswart anmalt un mit Dod un Düwel anne Galjon un up dei swarte Flagg ’n witten Dodenkopp mit twei gekrüzte Knakens. Un kein Parduhn hett Herr Wohland nich gäben, denn blot dei Doden seggen nix na, un dei nich bi’t Entern all dot makt sünd, dei hebben nahst anne Raa bammeln möst. Un dei Kaptainsköpp hett hei all afsnieden un insolten und rökern laten un hett sick dor ’ne Sammlung von anleggt. Un dat hett hei sick sett‘, wenn hei hunnert Kaptainsköpp tausamen hebben dauhn dehr, denn wull hei sin Geschäft upgäben un sin Geld läben. Dor is nu äwer up dat letzte Schipp, dat hei utröwert hett, ’ne wunnerschöne Gräwin wäst, dei hett hei gruglich giern lieden mücht un hett ehr nich dot maken laten un hett ehr friegen wullt. Sei äwer hett dat Seeröwergeschäft kein’n Spass makt un hett em blot nehmen wullt, wenn hei gliek mit ehr an Land treken un Gautsbesitter warden wull, so as Gräwinnen dat gewennt sünd. Dat is em jo un suer ankamen, wil dat hei ierst nägenunnägentig Kaptainsköpp tausamen harr un em blot noch einen an dat Hunnert fehlen dauhn dehr. Aewer sei hett seggt, sei wull leiwer tau Water an gähn, als noch einen Ogenblick länger as nörich up dat Schipp vull bläudige Mürers blieben, un wenn Herr Wohland ok seggt hett, sei süll sick doch man blot nich so hebben, sei is dor doch bi blähen. Ja, dor hett Herr Wohland denn dacht: ›Nägenunägentig is ok ’ne gaude Tall, un up den einen lumpigen Kopp sall mi dat ok nich ankamen, un is mit sin Schipp an Land gahn un hett sin Mannschaft af lohnt, un dor sünd allein up den ollen Matrosen sin Deil eindusendsöbenhunnertuneiunsösstig spansche Dubluns kamen, wo ein von teihn Daler gellt. Dor kann ’n sick denken, wat dei Kapitain sülfst för ’n gruglichen Hümpel Geld för sick rappst hett. Dat Schipp hett hei dei Mannschaft laten, un dei ierste Stüermann hett mit dei annern dat Geschäft wire bidräben. Dei oll Matros‘ hett äwer naug von hatt und hett dacht, so ’n Barg Geld künn hei sin Läwlang nich lütt kriegen. Aewer in twei Johr hett hei all allens werre verswubst hatt un hett werre as Matros‘ führen müsst. Herr Wohland äwer hett sick ’ne Insel inne Atlantsche See köfft un sin Gräwin friegt un dor ganz moi mit ehr läwt. Un tauletzt sünd sei mit ehr Dochter hierher treckt, dat weit’t ji jo. Aewer wat ji nich weit’t, un wat ji nich tau seihn krägen hewwt, un wat dat feinst up den ganzen Uhlenbarg is, dat is dei grote unnerirsche Saal, wo’n ierst säben iserbeslagene Dören upsluten möt, wenn ’n dor rin will. Dei steht ganz vull isern Kisten mit Dubluns un spansche Dalers und gollen Bäkers und gollen Schalen as ’n Waschfatt grot. Un dor is ok dei Galjon von den ›Dod un Düwel‹ un dei Flagg mit den Dodenkopp, un an de Wänn‘ dor hängt dat ganz vull Säbels un Enterhakens un Metzers un Handspaken, all noch vull Blaud, un Muskedonners un Duwwelpistols und Dunnerbüssen un anner Scheittüg. Un baben löppt ’n Burt ganz ‚rüm, dor stahn all dei nägenunägentig rökerten Kaptainsköpp, weck mit swarte, weck mit brune, weck mit rode, weck mit gäle un ok weck mit witte Hoor. Trofäen seggen dei Seeröwers dortau up spansch.«

Wir brachen zu isern Hinrichs grenzenlosem Erstaunen in ein gewaltiges Gelächter aus, was ihn sofort in heftigen Zorn versetzte.

»Wat lacht ji? Dummheit lacht! Ji hewwt woll lang kein bläudig Snut hatt?« rief er und machte sich fertig zum Angriff. Da aber der Ausdruck unsrer Heiterkeit trotzdem kein Ende fand und wir unbeirrt weiterlachten, so lähmte dies schliesslich seine Thatkraft, und er stand da mit geballten Fäusten und gegen die Brust gekrümmten Armen »wie ein gemalter Wüterich« und starrte uns ratlos an.

Adolf bezwang sich zuerst: »Dor hett di Jochen Nehls äwer schön dei Hut vull lagen«, sagte er.

»Dor sünd jo dei oll Münchhausen un Krischan Wehnk‘ in Hamborg un Peter Lurenz in Rostock nix gegen!« rief ich.

Dass sich unsre höhere Bildung so einmütig gegen ihn wandte, machte offenbar Eindruck auf isern Hinrich, er wurde ganz kleinlaut und sagte: »Un ick heww Jochen Nehls doch, as sin acht Schilling all wiren, noch tweimal inschenkt, dat hei man noch mihr vertellen süll, un wenn dat dei Oll markt harr, dann harr ick ok tau un tau väl Schacht kragen. Un hei hett flucht up Dübelhal, dat hei noch väl düllere Geschichten von Herrn Wohland weiten dauhn dehr, un ick harr em jewoll noch eins inschenkt, wenn hei tauletzt nich dat Stamern un dat Hickuppen kragen harr. Un denn mit eins föll hei mi pardautz ünnern Disch und slöp in. As Vadder in keem, hett hei em an dei Schullern nahmen un ick an dei Bein un hebben em rut släpt na’n Mess. ›Dor liggt hei weik,‹ sär de Oll. As ick ’s abends in ’n Schummern noch mal na em kieken dehr, dor wir hei weg.«

Da es isern Hinrich so gänzlich misslungen war, uns mit den Geheimnissen des Uhlenberges zu imponieren, und er sich dazu heimlich von der Gartenarbeit, zu der er eigentlich kommandiert war, entfernt hatte, so schlug ihm jetzt plötzlich das Gewissen, und nach eiliger Erfüllung der gewohnten Zeremonien nahm er seine Holzpantoffeln in die Hand und entfloh schleunigst und schnellbeinig zu den vernachlässigten Fluren seiner engeren Heimat.

In andrer Weise interessierte sich Onkel Philipp Simonis für unsre Abenteuer auf dem Uhlenberge. Der war ein entfernter Vetter meines Vaters und damals ein Mann von etwa fünfundfünfzig Jahren. Er hatte Theologie und Philologie studiert und war dann später als Hofmeister eines reichen jungen Grafen nochmals mit diesem auf die Universität gezogen und später auf Reisen mit ihm weit in der Welt herumgekommen. Der zu allem brauchbare Mann hatte später auf längere Zeit einen sehr gut dotierten Vertrauensposten als Sekretär des jungen Grafen eingenommen und sich im Laufe der Zeit durch Sparsamkeit ein kleines Vermögen erworben. Als er fünfundvierzig Jahre alt war, verlor er durch den Tod seines früheren Zöglings diesen Posten und kam auf einige Zeit, bis sich eine neue Stellung für ihn gefunden hätte, zu seinem Vetter in Steinhusen zu Besuch. An diesem Orte gefiel es ihm wohl, und er wurde bald mit so viel Fäden an ihn geknüpft, dass er dort hängen blieb. Es lag dort am Seeufer ein Häuschen mit einem vernachlässigten, ziemlich grossen Garten, das ein alter Sonderling bewohnt hatte, der vor kurzem gestorben war. Seine Erben, denen das kleine Anwesen eine Last war, wollten es möglichst bald verkaufen. Die Lage dieses Hauses und des Gartens, der von einer klaren Quelle durchrieselt wurde, am terrassenförmig aufsteigenden Seeufer gefiel ihm ausserordentlich, denn alles, was er dort fand, entsprach den Träumen, die er über einen Ruhesitz für seine alten Tage seit lange gehegt hatte. Die Gelegenheit war günstig, der Preis lächerlich gering, und schliesslich kam es ihm geradezu wie ein Unrecht vor, wenn er nicht zugriffe. Er konnte sich hier einstweilen einrichten und in Ruhe abwarten, was sich im Laufe der Zeit für eine Stellung darbieten würde. Im Notfall konnte er das Grundstück ja, und vielleicht sogar mit Vorteil, wieder verkaufen.

Von dem Augenblicke an aber, da er dies Haus erworben hatte, gewann er eine so merkwürdige Fertigkeit, die Schattenseiten und Nachteile der Stellungen, die sich ihm darboten, aufzuspüren, dass er sich nie zu entschliessen vermochte, eine davon anzunehmen, und sich alle Verhandlungen zerschlugen. Zu Ostern hatte er Haus und Garten übernommen, und mit Feuereifer begann er alles nach seinen eignen Ideen umzugestalten, mit einer Gründlichkeit, als gedenke er für alle Zeit sich dort einzurichten. Bäume wurden geschlagen, Mistbeete angelegt und ein kleines Gewächshaus gebaut, und stets lag er mit dem Gutsinspektor in Fehde, um Arbeiter und Frauen aus dem Dorfe zu bekommen, die in dem Garten mächtig gruben und karrten und pflanzten und ihn um und um wühlten. Wagenladungen von Sträuchern, Bäumen und Pflanzen kamen von einem berühmten Gärtner aus der Hauptstadt, und eines Tages langten auch seine Möbel und seine stattliche Bibliothek an, die er seit seiner Studentenzeit gesammelt hatte. Alles wurde mit Behagen eingeräumt und aufgestellt. Auch am Hause hatte er stets etwas zu ändern und zu bessern, es roch dort stets nach Maurerkalk, Terpentin und Tapetenkleister, und für den einen Winter, den er vorläufig dort zubringen wollte, liess er sich in seinem Studierzimmer einen neuen Berliner Ofen setzen von besonders schönen, schimmernd weissen Kacheln. Es ging damals die Sage, er habe stets ein Stückchen einer solchen Kachel bei sich, und wo er nur bei Besuchen in der Umgegend einen weissen Ofen sehe, hielte er vergleichend heimlich sein Kachelpröbchen dagegen und schmunzle sehr, wenn es schöner und weisser sei als jene. Als der Herbst ins Land gekommen war, konnte man Haus und Garten kaum wieder erkennen. So um Weihnachten herum kam Onkel Simonis eine ganz glanzvolle Idee. Was konnten nicht alles für wunderbare Anlagen entstehen, wenn man die Quelle, die plätschernd und rieselnd mit ziemlich starkem Gefäll den Garten am Grunde eines tiefen Einschnittes durchfloss, wenn man diese Quelle abfing, und sie zur Bildung von kleinen Teichen und allerlei freundlichen Wasserkünsten veranlasste? Verlockende Träume von Forellenzucht und plätschernden Wasserfällen umgaukelten ihn; ein imaginärer Springbrunnen stieg auf und spielte mit einer goldenen Kugel, die gar lieblich in der Sonne blitzte. Wie schade, dass ihm dieser entzückende Einfall erst jetzt kam, wo er mit der Ausführung noch ein ganzes Vierteljahr warten musste. Aber zum Pläne machen, Ueberlegen und Vorbereiten war diese Zeit gut zu verwenden, und manche Stunde stand er in tiefem Sinnen am Rande des kleinen Rinnsals, das schwarz durch den weissen Schnee dahinging, und baute im Geiste. Um diese Zeit geschah etwas, das die schöne Ruhe seines Gemütes gewaltig aufstörte und das Gleichgewicht seines Geistes mächtig ins Schwanken brachte. Es wurde ihm durch Vermittlung guter Freunde eine sehr vorteilhafte Stellung angeboten, wie sie für seine Fähigkeiten nicht besser gefunden und ausgedacht werden konnte. Nun erst wurde er gewahr, wie sehr er schon an seinem neuen kleinen Besitztum hing, denn dieses Anerbieten, das ihm früher eine Freude und ein Stolz gewesen wäre, erfüllte ihn mit Sorge. Er geriet in grosse Unruhe und rannte, um sie zu dämpfen und ungestört über diesen Fall nachzudenken, um den ganzen See herum, was einen scharfen Marsch von etwa neun Stunden bedeutete. Zudem machte er weder seinem Vetter noch sonst jemand eine Andeutung von diesem Anerbieten, wahrscheinlich in der stillen Furcht, man möchte ihm zureden, es anzunehmen. Auf dem langen Marsche durch den kalten, sonnigen Wintertag über die dünne, frischgefallene Schneedecke hatte er einen glänzenden Einfall, nach dem er sofort handelte.

Onkel Simonis stellte zu den an und für sich schon günstigen Bedingungen noch einige neue auf, von denen er meinte, dass sie unmöglich angenommen werden könnten, und schmunzelnd über seine vermeintliche Schlauheit sandte er die Antwort auf das günstige Anerbieten ab. Das Unerwartete aber geschah. Fast mit wendender Post kam ein Brief zurück, in dem man alle seine Bedingungen annahm, und ein wahrhaft glänzender Kontrakt war beigelegt, den er nur zu unterschreiben brauchte. Onkel Simonis war tief unglücklich. Nun sass er in seiner eignen Falle und spähte vergeblich nach einem Auswege. Ganz hintersinnig ging er in seinem Garten herum und betrachtete die vielen Obstbäume von edeln Sorten, die er im Frühjahr und Herbst gepflanzt hatte, und blickte nach den Stellen, wo Rosen und Wein, Pfirsiche und Aprikosen warm eingebettet oder mit Fichtenzweigen verhängt dem schönen Frühling entgegenträumten. Auf alles dies, dessen weitere Entwicklung zu beobachten er die warme Jahreszeit kaum erwarten konnte, sollte er nun verzichten, und es sollte in die Hände eines andern fallen, der es vielleicht gar nicht achtete und verkommen liess. Und Forellenteiche und Wasserfälle, und Springbrunnen, die mit goldenen Kugeln spielten, wo blieben die? Er seufzte tief. Und die grosse Steingruppe, die er geplant hatte für Gebirgspflanzen und all das Zierliche und Hübsche, das in der eignen Heimat wächst, sollte die auch nur ein Traumbild ohne Erfüllung sein? Er sah ja nicht den Garten, wie er jetzt war, er sah ihn auch nicht, wie er im nächsten Frühling sein würde, nein, er sah ihn in der Vollendung einer späteren Zeit, als ein Füllhorn herrlicher Blumen und überquellend von köstlichen Früchten. Er sah ihn im Frühling, bedeckt mit weissem und rosigem Schnee, er sah ihn in der Blumen- und Rosenpracht des beginnenden Sommers, er sah ihn schwer beladen von den Früchten des Herbstes, und er empfand mit voller Macht den Zauber, den der Besitz des eignen Bodens, den man selbst bebaut, auszuüben vermag. Warum sollte er sich noch für andre plagen? Er hatte es ja gar nicht nötig und nach seinen geringen Bedürfnissen mehr als reichlich zu leben. Aber man würde ihn tadeln, dass er sich in der Blüte seiner Kraft einem unthätigen Rentnerleben hingäbe. Unthätig – das war eigentlich ein Unsinn. Noch nie hatte er so viel Arbeit gehabt, als seit er diesen Garten besass, und in jedem Jahre würde es mehr werden, das sah er schon voraus. Und ausserdem würde sich andre Arbeit für ihn genug dazu finden, so viel kannte er sich.

Am nächsten Tage wanderte er noch einmal um den See, aber diesmal nach der andern Richtung, und umgab ihn zum zweiten Male mit einem Kreise bohrender Gedanken. Dann beschlief er sich die Angelegenheit noch eine Nacht, und am nächsten Morgen schickte er den Kontrakt zurück mit der Mitteilung, er könne wegen Übernahme einer Obstplantage die angebotene Stelle zu seinem grossen Bedauern nicht annehmen. Nach Beseitigung dieser Last fühlte er sich so leicht, dass er, als er durch seinen Garten ging und alles mit verdoppelter Liebe betrachtete, gleichsam mit federndem Schritt vom Boden emporschnellte und sein gutmütiges Antlitz mit seinem Glanz die Wintersonne beschämte. So war es gekommen, dass Herr Philipp Simonis in Steinhusen hängen blieb, zum nicht geringen Vorteile dieses Ortes, denn im Laufe der Zeit stellte es sich heraus, dass dieser Mann ein wahres Füllhorn nützlicher Fähigkeiten und vergnüglicher Künste in sich trug, davon fast jeder Dorfbewohner seinen Vorteil zog. Was Herr Gutsbesitzer Martens schier am höchsten an ihm schätzte, war der Umstand, dass durch ihn und mit meinem Vater stets ein Whist mit dem Strohmann am Orte zusammenzubringen war, damals noch das gewöhnliche Spiel der Landleute, denn der alles verschlingende Skat hatte seinen Siegeslauf noch nicht bis in solche fernen Erdenwinkel ausgedehnt, ebensowenig wie das alleinseligmachende Bier. Da die Reblaus noch nicht erfunden und das Land nicht im Zollverein war, so bildete ein trefflicher und billiger französischer Rot- oder Weisswein das tägliche Getränk verständiger Männer. Und auch das gefiel Herrn Martens, dass, wenn bei besonderen Gelegenheiten eine Extraflasche aus dem Keller geholt wurde, er sie leeren konnte mit einem Kenner, der seine Studien gemacht hatte an Ort und Stelle, wo der Wein gebaut wurde.

Meinem Vater that es wohl, einen Mann von gelehrter Bildung am Orte zu haben, der vielerlei erlebt, gesehen und gelesen hatte, mit dem er sich über Wissenschaft, Kunst und Litteratur unterhalten konnte, Gegenstände, die dem Gutsherrn so ziemlich »Dampf« waren, und mit dem er das nicht zu unterschätzende Vergnügen genoss, zuweilen eine kleine, fröhliche Meinungsverschiedenheit ausfechten zu können.

Die Frauen dieser beiden Männer nun gar wussten ihn wohl zu schätzen. Ein so unerschöpflicher Ratgeber und Tausendkünstler war ihnen noch niemals vorgekommen. Er setzte für sie ein Fleckwasser zusammen, dem keinerlei Art Schmutz auch nur einen Augenblick widerstehen konnte, er braute einen Wundbalsam aus vielerlei wirksamen Stoffen nach einem alten ungarischen Rezept, das auf höchst geheimnisvolle Weise an seine Familie gekommen war, von welchem Balsam die Sage ging, man könne Arme und Beine damit wieder anheilen. Schlüge man einem Huhn einen Nagel durch den Kopf, zöge ihn wieder heraus und gösse einen Tropfen dieses Balsams auf die Wunde, so sei es gesund wie zuvor und ginge sofort hin und lege ein Ei. Jedenfalls war es ein Vergnügen, sich einmal recht tüchtig in den Finger zu schneiden, weil man dadurch Gelegenheit bekam, die zauberhaften Wirkungen dieses Balsams zu beobachten.

Er verstand es, Wein zu bereiten aus Stachel- und Johannisbeeren, und stellte die köstlichsten Liqueure her, scharfe männliche, von grosser Kraft, und zarte weibliche, die zusammengesetzt zu sein schienen aus Blumenduft und süssem Feuer. Den Tintenverbrauch des Dorfes in dem es allerdings, mit Ausnahme meines Vaters, nicht gerade ausschweifte, hatte Onkel Philipp monopolisiert, und kein Pfennig ging je für diese wichtige Kulturflüssigkeit an die Kaufleute in der Stadt. In jedem Winter kochte er einen stattlichen Glasballon voll herrlicher blauschwarzer Gallustinte, und es that seinem Herzen wohl, davon jedem, der sie begehrte, gegen den Selbstkostenpreis oder weniger mitzuteilen. Er besass allerlei lexikalische Werke mit Rezepten jeglicher Art, und wenn jemand wissen wollte, wie die ungebräuchlichsten Gerichte zubereitet würden, von ihm konnte er es erfahren. Er kittete jeglichstes Geschirr von Glas, Porzellan oder Steingut, dass es nie wieder zerbrach, wenigstens nicht an der gekitteten Stelle. In seiner Bibliothek stand Wieglebs »natürliche Magie«, jenes wunderliche Werk, dessen zwanzig starke Bände gefüllt sind mit der Beschreibung von physikalischen und chemischen Spielereien, seltsamen Rezepten, Taschenspieler- Rechen- und Kartenkunststücken, Gesellschaftsspielen und dergleichen. Daraus belehrte er sich über alle möglichen Künste und Zaubereien und hatte sich zu einem Taschenspieler ausgebildet, der in der ganzen Gegend berühmt war und sowohl mit als ohne Apparat das Staunen der Zuschauer erregte. Familienfeste verherrlichte er durch selbstangefertigtes Feuerwerk, und wenn die Jugend tanzte, sass er am Klavier und spielte unermüdlich altertümliche Tänze oder das damals fast noch moderne: »Herr Schmidt, Herr Schmidt, was kriegt die Lina mit?« oder allerhand putzige, kleine Murkis, von denen man aber sagte, dass sich besser nach ihnen tanzen liesse als nach irgend welcher andern Musik.

Die Wonne der Kinder aber war sein Kasperletheater, dessen Puppen er selber geschnitzt und gemalt und angezogen hatte, und die mir noch heute als Muster ihrer Art vor Augen stehen. Vielleicht würde ich anders über sie urteilen, wenn ich sie wiedersehen könnte, damals aber erschien mir die freche Lustigkeit des Hanswurstes unübertrefflich und die zahnlose Hinfälligkeit des alten Mannes mit der raten Nase und dem weissen Barte aus Kaninchenfell rührend und ergreifend. Welch erhabene Strenge drückte sich in dem Antlitz des Gerichtsdieners aus, und was für stiere, grosse runde Augen der Gerechtigkeit hatte er! Eine prachtvollere Hexe als die ältere Dame, die Kaspers Frau oder des Teufels Grossmutter darzustellen hatte, konnte ich mir nicht vorstellen, und der Liebreiz einer jungen Dame mit gelben Haaren und wasserblauen Augen war meiner Ansicht nach wohl geeignet, alle Herzen zu entzünden. Wundervoll scheusslich war der Teufel, der, schwarz mit gelben Augen, stets eine Musterprobe seiner langen feuerroten Zunge hervorhängen liess. Bei diesem Teufelskopf hatte Onkel Philipp sich selber übertroffen, denn diese Zunge liess sich anderthalb Fuss weit herausziehen und schnappte von selber wieder zurück, wenn man sie losliess. Was der Hanswurst in geeigneten Augenblicken hiermit für dramatische Effekte zu erzielen vermochte, kann man sich vorstellen. Über alle Begriffe prachtvoll graulich aber war der nur mit einem langen Hemde bekleidete Tod mit seinen leeren schwarzen Augenhöhlen und dem grinsenden Kiefernmaul voll schneeweisser Zähne. Ich höre es noch heute deutlich, wie der Hanswurst, der natürlich weder Tod noch Teufel fürchtet, zu ihm sagt:

»Wo sühst du denn aus? Du hast ja gar nichts an!«

Worauf der Tod ein paarmal feierlich hin und her wackelt und mit tiefer Grabesstimme psalmodierend antwortet:

»Die Toten brauchen keine Kli-kla-kleider.«

Hanswurst aber, ruchlos und respektlos wie immer, äfft ihm in ganz hoher Stimmlage nach:

»Na, da brauchen Sie auch keinen Schni-schna-schneider!«

Onkel Philipp war früher einmal bei günstiger Gelegenheit dem berühmten Puppenspieler Strauschild so lange nachgegangen, bis er alle seine Stücke auswendig gelernt hatte. Diese bildeten die Grundlage seines Dramenschatzes, den er aber durch Stücke eigener Erfindung zu vermehren stets bestrebt war. Denn auch die Muse hatte seine Stirn geküsst, und keine goldene, silberne oder grüne Hochzeit im Bekanntenkreise oder sonst ein bemerkenswertes Familienfest war denkbar, ohne die Mitwirkung seiner stets bereiten Dichterleier.

Ich will hier nicht aufzählen, was Onkel Philipp sonst noch alles konnte und leistete, denn dazu würde ich noch viele Seiten brauchen, nur eines muss ich noch erwähnen, weil dies für meinen Freund Adolf Martens und mich, wenn auch nicht gerade erfreulich, so doch von besonderer Wichtigkeit war. Als wir dem Abcbuch und der Rechenfibel des Dorfschulmeisters entwachsen waren, entsann sich Onkel Philipp selbstverständlich seines früheren Berufes und übernahm unsern Unterricht, indem er uns alltäglich von acht bis zwölf Uhr in die Geheimnisse der höheren Wissenschaften einzuführen versuchte.

Wir machten bei ihm die Bekanntschaft des alten Zumpt, der seine hohe dichterische Begabung leider, anstatt die Liebe, den Wein, das Wandern, den Mond, die Ewigkeit und das Meer zu besingen, auf den trockenen Stoff der lateinischen Formenlehre und Syntax verwendet hat, welchen letzteren Wissenschaftszweig wir Sündentaxe zu nennen pflegten, da sie gewissermassen eine Taxe aller unsrer reichlichen Sünden gegen den heiligen Geist der lateinischen Sprache enthielt. Dass Onkel Philipp sich um diese Zeit, um einem tief gefühlten Bedürfnis abzuhelfen, auf die Fabrikation einer genügenden Menge von ganz ausgezeichneter roter Tinte verlegte, sei nur nebenher bemerkt. Wir wurden eingeführt in die, leider durch so unendlich viele Jahreszahlen wehrsam gemachte, Geschichte, und noch heute hege ich eine tiefe Dankbarkeit gegen Karl den Grossen, der die Liebenswürdigkeit gehabt hat, sich im Jahre achthundert zum Kaiser krönen zu lassen, weil das so leicht zu behalten geht. Die Daten aller jener Tage zu wissen, an denen sich all die Jahrhunderte hindurch die Menschheit gegenseitig und massenhaft umgebracht hat, mag für den, der sie inne hat, ein erhebendes Gefühl sein, wir meinten aber dies leichten Herzens entbehren zu können, und jedenfalls hatte für uns die Kenntnis des Zeitpunktes, wann die Haselnüsse auf dem Rosenwerder reif wurden, ein höheres und, wie man es nennt, aktuelleres Interesse.

Wohl dem, der die deutsche Sprache mit der Muttermilch einsaugt und sich nicht mit ihrer verzwickten Deklination und Konjugation und dem hakigen Dorngestrüpp ihrer persönlichen Fürwörter so zu plagen braucht wie ein Ausländer, wie das in neuerer Zeit Mark Twain so lustig dargestellt hat. Diese Stunden verstand Onkel Philipp uns ganz besonders schmackhaft zu machen durch geschickt ausgewählte Lesestücke und Gedichte, die unserm Verständnis angemessen waren. Auch als wir später kleine Aufsätze schrieben, wusste er uns Aufgaben zu stellen, die mit unsern einfachen Mitteln zu beherrschen waren und uns deshalb Vergnügen machten. Die zu lernenden Gedichte durften wir uns selber wählen, und dass wir keines aussuchten, das über unser Verständnis ging, kann man sich wohl denken. Dass der Kanadier dabei nicht fehlte, – der Europens übertünchte Höflichkeit nicht kannte und sich so lecker von Hummer, Lachs und frischem Bärenschinken ernährte, so wie der Mann, der die Pfeife von rotem Thon mit goldnem Reifchen lieber hatte als sein Bein, darf wohl angenommen werden. Wir lasen bei ihm eine Prosadarstellung der homerischen Gedichte und waren beide unbedingt auf Seiten der Trojaner, und um Hektors schmähliches Ende habe ich manche heimliche Thräne geweint. Achilles hassten wir beide, und hätten wir damals diesen Ausdruck schon gekannt, so würden wir ihn ein ekliges Rauhbein genannt haben. Die tapferen und vertrauensvollen Trojaner wurden schliesslich doch nur durch die Pfiffigkeit des hinterlistigen Odysseus besiegt, welcher alte Herumtreiber dann zehn Jahre brauchte, um die lumpigen einhundertzwanzig geographischen Meilen Seeweg nach Ithaka zurückzulegen, weil er sich unterwegs allerwärts festkneipte und höchst merkwürdige Abenteuer mit Damen hatte. Und dann liess er, ehe er all die Freier abschlachtete wie eine Hammelherde, ihnen vorher die Waffen wegnehmen, damit sie sich nicht wehren konnten, was wir sehr wenig heldenmässig fanden, und was ihm ähnlich sah. Siegfried oder der Spielmann Volker, ja selbst der grimme Hagen hätten so was nicht gemacht. Amüsant waren die Abenteuer des Odysseus ja, besonders das mit Polyphem, aber leiden mochten wir ihn nicht. Um diese Zeit nannten wir einmal Hanne Bernitt, der die Schweine des Dorfes hütete, einen »göttlichen Sauhirten«. Seine Bildung reichte aber wohl nicht weit genug, um das Schmeichelhafte dieser Anrede zu erkennen, sondern er vermutete offenbar blutigen Hohn darunter, denn er schlug mit der Peitsche nach uns, warf uns mit Erdkluten und nannte uns »infamtige Snäsels!«

Am besten gefiel uns aber der Geographieunterricht, wie ihn Onkel Philipp zu erteilen und anregend zu machen verstand. Hatte er doch ein so grosses Stück der so weitläufigen Geographie mit eignen Augen besichtigt und war in fast allen Ländern Europas, ja sogar in Nordafrika und Kleinasien gewesen, was damals ungeheuer viel mehr bedeutete als jetzt, wo die Weltumbummler nach Hunderttausenden zählen und man schon einen der wenigen unentdeckten Landstriche »durchquert« haben muss, um als Reisender Beachtung zu finden.

Damals waren so weitgereiste Leute wie Onkel Philipp noch sehr selten, und das kleine Steinhusen konnte es sich zur Ehre anrechnen, einen solchen unter seinen wenigen Einwohnern aufzuweisen. Wie angenehm wurde nicht der »kleine Daniel« illustriert und ergänzt, wenn Onkel Philipp bei der Besprechung des Vesuvs aus seinem Raritätenschranke ein Stück Lava herbeiholte, in das in seiner Gegenwart vom Führer eine alte römische Kupfermünze eingeschmolzen worden war, und er dazu sagte: »Diese Lava hab‘ ich noch lebendig gesehen.« Oder wenn er eine kleine Bronzelampe aus Pompeji vorzeigte, die wie eine Theekanne aussah, und dazu die Meinung äusserte, vielleicht hätte beim Lichte dieser Lampe ein alter römischer Schriftsteller etwas geschrieben, das wir jetzt übersetzen müssten. Wir waren allerdings der Meinung, die alten Römer hätten ihre uns so lästig fallende Schriftstellerei lieber unterlassen sollen, jedoch betrachteten wir das grünliche, vom Alter umwitterte Gerät mit Ehrfurcht. Noch viel älter aber waren die steinernen Käfer und Püppchen, die aus einer wirklichen Pyramide stammen sollten, und ein Stück von einer Papyrusrolle, mit wunderlichen Figürchen bemalt, das Onkel Philipp wie ein Heiligtum verehrte und für einen Schatz hielt. Ganz aus neuer Zeit wieder waren die schönen Glasperlen aus Murano, die bei Gelegenheit Venedigs zum Vorschein kamen, und eine Tuchnadel aus Florenz mit einer Rose, die aus winzigen kleinen Steinen auf schwarzem Grunde eingelegt war. Aus Konstantinopel stammte eine schöne bunte Wasserpfeife mit langem rotem Schlauch, und es war ein vortrefflicher Spass, als Onkel Philipp sich mit gekreuzten Beinen auf ein Kissen setzte und uns etwas auf türkisch vorrauchte, wobei er sich ganz blau im Gesichte sog und ihm wegen der Tücke dieser zusammengesetzten Qualmmaschine plötzlich ein ungeheurer Strahl Rauch in die unrechte Kehle fuhr, so dass er sich fast die Seele aus dem Leibe husten musste. Als er endlich wieder zu Atem und Besinnung kam, meinte er: »Die Türken müssen wohl einen ganz andern Sogg haben als unsereiner, denn die greifen sich dabei gar nicht an.«

In der warmen Jahreszeit bei gutem Wetter hatten wir den Unterricht in einer grossen schattigen Lindenlaube, und waren wir dann mit schriftlichen Arbeiten oder dem Lernen von Aufgaben beschäftigt, was, da wir Hausarbeiten nicht zu machen hatten, immer einen grossen Teil der täglichen vier Stunden ausfüllte, so hatte Onkel Philipp die beste Gelegenheit, in seinem Garten zum Rechten zu sehen, eine scharfe Polizei über das Ungeziefer auszuüben und zu säen, zu pflanzen, zu hacken und zu begiessen. Zuweilen sah er sich dann nach uns um, entweder erloschenen Eifer anzufeuern, Gelerntes zu verhören oder strenges Gericht zu halten über unsre grausamen Misshandlungen der toten wie der lebendigen Sprachen. Und über uns in der Lindenlaube sang ein Buchfink sein Lied oder zwitscherte eine Zaungrasmücke ihre zierliche krause Weise. Hummeln und Bienen summten eilfertig vorüber, die Schwebefliegen standen in der warmen Luft, und spielende Schmetterlinge schwankten draussen im Sonnenschein. Einmal kam ein schönes Pfauenauge, vielleicht angezogen durch die Weisse des Papiers, hineingegaukelt in die Laube und setzte sich auf den alten Zumpt, der aufgeschlagen dalag, gerade auf die schöne Regel:

Viele Wörter sind auf is
Masculini generis.

Offenbar hatte er sich ganz etwas anderes von dem alten Zumpt vorgestellt und irgend einen verborgenen Honig in ihm vermutet, denn wie es uns schien, war seine Enttäuschung unbeschreiblich. Mit wahrem Entsetzen hob er sich eiligst davon und floh, so weit er konnte. Sehnsüchtig und verständnisvoll schauten wir ihm nach.

Kurz nach unserm Abenteuer auf dem Uhlenberge waren die grossen Ferien zu Ende, und wir trotteten eines Morgens, mit stummer Ergebung in ein unvermeidliches Schicksal, mit unsern Büchern zu dem gewohnten Unterricht. Wir trafen Onkel Philipp, wie er auf der Bank am Rheinfall sass und seine Morgenpfeife rauchte. Die letzte Wandlung, die nämlich die von ihm so sehr geliebte Quelle durchzumachen gehabt hatte, war, dass sie den Rhein darstellen musste, vom Ursprung bis zur Mündung. Dies war zurzeit der grösste Stolz seines Gartens. An der höchsten Stelle, wo das Wässerchen in das Grundstück eintrat, wurde es zunächst durch ein gemauertes Sammelbassin aufgefangen, dessen Inhalt bei festlichen Gelegenheiten den Springbrunnen zu speisen hatte. Für gewöhnlich aber lief das Wasser an drei Stellen über den Rand dieses durch Felsblöcke und Steintrümmer verkleideten Gemäuers und trat als Vorder-, Mittel- und Hinterrhein in eine grossartige Alpenlandschaft ein, deren höchste Gipfel sich mindestens sechs Fuss hoch über die umliegende Ebene erhoben. Dass in den Thälern und an den Hängen dieses Gebirges nur Alpenpflanzen, wie Edelweiss, Enzian, Alpenglöckchen, Alpenrosen, Alpenveilchen, Edelraute und dergleichen wuchsen, ist selbstverständlich. Hatten sich nun die drei fadendünnen Gerinnsel zum wirklichen Rhein vereinigt, so trat dieser sehr bald in den stattlichen und langgestreckten Bodensee ein. Es zuckte uns oft sehr in den Beinen, diesen prächtigen See zu überspringen, und nur die Ueberlegung hielt uns von dieser hasenfüssigen That zurück, dass Onkel Philipp das als eine schwere Kränkung empfunden haben würde. Gab es ihm doch schon immer einen Stich durch das Herz, wenn man diesen Rheinstrom anderswo als auf den eigens dazu angelegten Brücken zu überschreiten wagte. Im Bodensee lebte eine Anzahl sehr stattlicher Goldfische, denn die Forellenzucht hatte sich leider als zu schwierig erwiesen. Nicht sehr weit hinter ihm war dann natürlich der Rheinfall, wo der stattliche Strom anderthalb Fuss breit über einen glatten Stein schäumend in einen kochenden und wirbelnden, mindestens drei Fuss tiefen Abgrund stürzte. An ganz stillen Tagen konnte ein sehr scharfes Ohr den Donner dieses Falles fast durch den ganzen Garten vernehmen. Dort hatte Onkel Philipp ein Bänkchen und einen Tisch, und wenn ihn einmal die Lust ankam, Betrachtungen anzustellen über die Ewigkeit, über die Vergänglichkeit alles Irdischen oder die Erhabenheit des Weltalls, so fand er, dass dergleichen hier am besten zu erledigen ging, während er aus einem echt türkischen Tschibuk gelben gelockten Tabak dazu rauchte. In ruhigerem Laufe zog dann hinter dem Falle der Rhein dahin, vorüber am Schwarzwald, Odenwald, Taunus, Hundsrück und so weiter, bis er langsam und träge Holland, eine blumige Wiese am Ufer des Sees, in mehreren Armen durchkroch, um endlich in die Nordsee zu münden. Dass die kleineren Gebirge an seinen Ufern mit den Pflanzen des Mittelgebirges bis hinunter zur Ebene bestanden waren, versteht sich wiederum von selbst. Diese ganze sinnreiche Anlage hatte aber einen Uebelstand, der Onkel Philipp manchen Kummer bereitete. Wurde bei besonderen festlichen Gelegenheiten der Springbrunnen losgelassen, und hatte dieser nur eine kurze Weile mit seiner goldenen Kugel gespielt, so machte der vermehrte Wasserverbrauch, dass der Vorder-, der Mittel- und der Hinterrhein alsbald versiegten, so dass die Speisung des Bodensees aufhörte und dieser den Rheinfall nicht mehr zu versorgen vermochte. Nach einer Viertelstunde war dann der ganze Rhein bis auf ein paar kleine Tümpelchen weggelaufen, und der Rheinfall tropfte nur noch ein wenig, als weine er über seine eigene Unzulänglichkeit. Die Erhabenheit des Wasserfalles und die Lieblichkeit des Springbrunnens schlossen sich aus, beide zusammen konnte man nicht geniessen.

Als Onkel Philipp uns von seinem Simulierplatz am Wasserfall aus bemerkte, stand er auf und ging mit uns in die Lindenlaube, wo eine Flasche und ein Fässchen mit köstlicher Gallustinte und einige Bücher schon auf uns warteten. Aber anstatt sich mit uns sofort in den Strudel der Wissenschaften zu stürzen, liess er es heute sachte angehen und examinierte uns noch ein wenig über unsere Erlebnisse auf dem Uhlenberge. »Habt ihr die Orchideen nicht gesehen, so habt ihr nichts gesehen«, sagte er im Laufe dieses Gespräches und wiederholte, wie in tiefem Sinnen, als ob er all diese Herrlichkeiten im Geiste schaue: »habt ihr gar nichts gesehen, gar nichts gesehen. Wisst ihr, was Orchideen sind, wisst ihr?«

»Orchis maculata!« rief ich.

»Epipactis rubiginosa!« rief Adolf, offenbar stolz, dass er den krausen lateinischen Ausdruck bei der Hand hatte.

Onkel Philipp lachte und rief: »Jeja, jeja, das sind einheimische Orchideen, kleine, kümmerliche Dinger, wachsen hier in der Gegend auf der Reuterwiese und auf dem Rugahner Sandberg und in den Hasenhören. Aber Herr Wohland hat tropische Orchideen, tropische! Sind Wunderblumen wie aus ›Tausend und einer Nacht‹, Wunderblumen! Sehen aus wie riesige Schmetterlinge oder bunte Kolibris, und manche sind geformt wie aus gefärbtem durchsichtigem Wachs und sehen ganz unmöglich aus, dass man sagt, es ist nicht wahr, wenn man sie sieht, die Blumen sind gelogen. Prachtvoll, sag‘ ich euch, ganz ungemein prachtvoll, übernatürlich prachtvoll. Hab‘ sie gesehen in England, Hamburg und Berlin, aber in England waren die schönsten. Kommt dem Engländer auf ’ne Handvoll Guineen nicht an, wenn er dafür haben kann, was andre Leute nicht haben, kommt ihm nicht darauf an. Bezahlt Reisende, die ihm solche unmöglichen Dinger sammeln müssen im unbekannten Urwald zwischen Giftschlangen und Kopfabschneidern – Giftschlangen und Kopfabschneidern sag‘ ich!«

Hier wurde er durch ein kleines Dorfmädchen unterbrochen, das den Gartensteig herunterkam in einer eilfertigen, geschäftsmässigen Weise, dass man gleich sah, wie es ganz unter der Hypnose eines ihm gewordenen Auftrages stand. Es trat an den Tisch heran, schoss, scheinbar von einem innern Schnappwerk getrieben, zu einem Knicks zusammen, hob die ängstlich zusammengeballte kleine Faust auf den Tisch, liess ein warmes Kupferstück herausfallen und sagte: »För ’n Dreiling (eineinhalb Pfennig) Dint!«

»Hest denn ok ’ne Buddel, lütt Diern?« fragte Onkel Philipp.

»’n Köppken heww ick,« sagte das Kind und brachte eine henkellose Tasse mit einem Riss zum Vorschein. Während er nun ein wenig von der schwarzen Flüssigkeit in dieses sonderbare Gefäss goss, fragte er: »Kannst du denn all schrieben?«

Die Kleine, die sich unterdes aus dem Zeigefinger fortwährend Mut gesogen hatte, nahm diesen aus dem Munde und antwortete, sichtlich verwundert über die Unwissenheit dieses Mannes in den bekanntesten Dingen: »Ick kam doch ierst tau Micheel bi ’n Köster. Un dei Dint is doch för uns‘ Trina. Dei will doch an ehrn Brüjam schrieben.«

»Szü, szü, wo nüdlich«, sagte Onkel Philipp, »wahnt denn ehr Brüjam in ’n anner Dörp?«

‹Wat dei Mann ok all nich weit!‹ dachte offenbar die Kleine, ehe sie antwortete: »Hei deint doch bi de Dreiguners in Lurwigslust. Un hett ’n blagen Rock an mit ’n roden Kragen un blanke Knöp, un ’n groten Säbel hett hei ganz von Sülver un sonne feine Stäwels, un wenn hei geiht, denn klingelt dat.«

»Nu, szü mal an!« sagte Onkel Philipp, »denn is dat woll Krischan Kiwitt? Na, denn segg man jug Trina, wenn sei an em schriwwt, denn sall sei em von mi grüssen; hürst woll, lütt Diern? Un nu gah ok schön langsam mit dei Dint, und schurr di nix von up dei Schört, un fall nich äwern Süll.«

Die Kleine bedankte sich und machte wieder einen Knicks, aber vorsichtig, dem kostbaren Inhalt ihrer Tasse entsprechend, und ging dann fort, einen Fuss dicht vor den andern setzend und die Augen andächtig auf die schwarze Flüssigkeit gerichtet, als trüge sie den heiligen Gral. Es dauerte über eine Minute, ehe sie aus der Sicht kam, und Onkel Philipp sah ihr wohlwollend nach, denn es schmeichelte ihm stets, wenn man von seiner Tinte begehrte.

Wir hofften auf einige weitere Mitteilungen über das Leben eines Orchideensammlers, das wir uns in reizvoller Weise mit Giftschlangen- und Kopfabschneiderabenteuern durchflochten dachten, allein diese Hoffnung schlug fehl, denn durch den Tintenhandel schien Onkel Philipp an den eigentlichen Zweck dieser Stunden erinnert worden zu sein und steuerte ohne Gnade auf den Cornelius Nepos los. Bald radebrechten wir mit höchst mässigem Interesse an der Sache unser Latein, wie vor uns schon ungezählte Millionen junger unglücklicher Opfer des Humanismus. Wenn der alte Cornelius Nepos in seinem, wie ich denke, behaglichen Jenseits erfahren könnte, welches Leid und welche Langweile er über die geplagte Jugend späterer Jahrhunderte gebracht hat, und wieviel Stunden, die zu Lust und Freude hätten geschaffen sein können, er gleich Gummi zu unendlicher Länge gedehnt hat, wieviel »Jagdhiebe« seinethalben schon niedergesaust sind auf jugendliche Schultern, würde er dann wohl noch wünschen, seine Vitae geschrieben zu haben? Ich nehme zu seiner Ehre an – nein.

Und doch, sollte dieser alte Heide ganz unzugänglich sein jenem unchristlichen, aber sprichwörtlich süssen Gefühle, das man Rache nennt? Würde es ihn nicht am Ende doch freuen und ihm einen diebischen Spass machen, dass er den Nachkommen jenes Volkes, das einst die Macht des Römischen Reiches brach und vernichtete, noch nach Jahrhunderten und durch Jahrhunderte das Leben verbitterte, seine Träume vergiftete und seine blühende Jugend mit Vokabeln ängstigte? Eine wohl aufzuwerfende Frage.

Aber auch diese vier Stunden, die im Gegensatz zu den vergangenen vergnüglichen Ferienwochen sich zu unendlicher Länge dehnten, gingen endlich vorüber, und als wir vergnügt davonrannten, trafen wir isern Hinrich, der vor der Gartenthür auf uns wartete. Nach den feierlich vollzogenen Begrüssungsformalitäten sagte er: »Up ’n Uhlenbarg is dat dull hergahn. Wat gawt ji mi, wenn ick jug dat vertell?«

Isern Hinrich war merkantilisch veranlagt und »schuterte« gern mit uns, wobei wir meist den kürzeren zogen. Auch hatte er, wie man sieht, bereits begriffen, dass es auch Waren geistiger Natur giebt, und dass die Kenntnis von Neuigkeiten sich fruktifizieren lässt. Obwohl uns nun Nachrichten vom Uhlenberge sehr interessierten, so fingierten wir doch, in der Hoffnung, den Preis zu drücken, einen gänzlichen Mangel an Neugier und boten ihm zunächst jeder einen »Backs« dafür.

»Makt kein Spijök!« sagte er, »von Driebenkiel ganz wat Dulls! Acht Appels von den groten Sommerschiebenboom in ’n Pastergoren, dorför dauh ‚k ‚t.«

»Wir handelten bis auf sechs herunter, wobei isern Hinrich sich aber Aussuchen bedang, gingen dann hin und schüttelten den mächtigen Baum, der in diesem Jahr ungemein reich trug, so dass wir mit aller Mühe und Aufopferung seine uns gänzlich überlassenen Früchte noch nicht hatten bewältigen können. Die Sommerscheiben waren überreif und schon ein wenig »glarig«, das heisst durchscheinend, und mit Behagen sammelte sich isern Hinrich die sechs grössten und schönsten heraus. Wir setzten uns auf eine benachbarte Bank, und während wir von Zeit zu Zeit kräftig in die Apfel bissen, begann isern Hinrich zu erzählen.

»Driebenkiel wir gistern werre hier«, sagte er. »Herr Wohland hett em schasst un aflohnt, hei hett sin Greld kragen bet Micheel.«

Die Pause unsrer Verwunderung benutzte er, einen ungeheuren Apfel zu essen, während er mit dem zweitgrössten liebäugelte.

»Ja«, fuhr isern Hinrich fort, »gistern Namiddag kümmt Driebenkiel mit eins bi uns an tau stahn, lett sick ’n groten Akkewiet gäben un seggt tau mi: ›Jung, ick gäw di ok ’n Schilling‹, seggt hei, gah mal hen un segg Jochen Nehls, hei süll mal ’n beten ‚rümkamen un ’n Sluck mit mi drinken.‹ Ick jo nu ok hen un drap Jochen Nehls bi ‚t Maddick graben, wil dat hei s‘ abens rutführn wull tau ’n Angeln. As ick em dat nu segg, lett hei allens liggen un stahn un kümmt gliek mit mi, denn wo ‚t wat tau supen gift, is hei fix bi dei Hand. Na, dor hett em Driebenkiel jo nu allens verteilt, un ick seet achterm Aben un dehr, as wenn ick gor nich dor wir, un heww allens hürt. Driebenkiel, dei allerhand kann, ’n beten muern, ’n beten dischern, ’n beten gärtnerieren un wat dat süss noch gift, dei hett vor drei Wochen mal in ’n Winkeller tau dauhn hatt, wil dat Herr Wohland ’n poor niege Winburten von em maken laten dauhn dehr. Hei wir süss nich för Win, sär Driebenkiel, hei wir em tau suer un harr kein Kraasch; ’n düchtigen Rum wir em leiwer. Dor harr nu äwer in ein Eck von den Keller so ’n Hümpel von vierkantige Buddels lägen, ganz vull Stow un Spennwäben, dei harren em so anners ankäken, as wenn dor mäglich woll Snapps in sin dauhn dehr. Dor hett hei sich ein von ünner dei Jack knöpt un mit rup nahmen, un abens nah Disch hett hei ehr upmakt un dorvon drunken. Un dor is dat doch Win wäst. ›Junge di!‹ sär Driebenkiel tau Jochen Nehls, ›nu kreeg ick ierst tau weiten, wat Win is. Dei güng mi dei Gördel dal as idel säut Füer un leep mi dörch ‚t ganze Liew bet in dei Knäwel un bet in dei Tehn. Un wat för ’ne vergnäugte Duhniteh geew dat; as ick dei Buddel utharr, dacht ick, ick hürt dei Engel in ’n Himmel singen.‹ Na, den annern Dag hett sick Driebenkiel so ein bi ein noch fiew von dei Buddels mit rup nahmen, un sei in ‚t Hauschuer ünner dei Hubelspön verstäken. Un dei hett hei denn na un na so sachten utlutscht. Un hebben em ganz gefehrlich na mihr smekt, äwer dat oll grote Kunstslott hett nu all werre for den Keller bammelt, un hei hett dor nich bikamen künnt. Na, dat wir jewoll ok all ganz gaud gahn, meint Driebenkiel, wenn dei infamtigen, wittsnutigen Karnalljen von Bengels – dor meint hei jug mit – donn nich dat in ‚t Water fallen kragen harren. Dor is nahst Herr Wohland in ’n Keller gähn un hett ein von dei vierkantigen Buddels ruphalt, wil dat hei dei sakermentschen Krätendinger, dei gälen Snäsels – dor meint er jug mit – mit den Win ’n beten werre upwarmen wull. As wenn Kamellenthee nich gaud naug wir för sonne kalwerigen Dämelacks, dei achter dei Uhren noch nich drög sünd – dor meint hei jug mit. As Herr Wohland nu den Win halt hett, is em dat all so vorkamen, as wenn dor wen bi wäst wir un as Driebenkiel jug na Hus führt hett, dor hett hei natellt, un söss Buddels hebben fehlt. Donn hett hei nasöcht in Driebenkiel sin Kamer un in ‚t Hauschuer un dor hett hei achter dei Hubelspön dei söss lerrigen Buddels funnen un is in ’ne gruglige Wut kamen. As nu Driebenkiel so ’n bäten duhn na Hus kamen dauhn dehr und Herr Wohland em dat mit den Win up ’n Kopp tauseggen dauhn dehr, dor hett hei ierst noch leigen wullt un upbegehrt. Dor hett em Herr Wohland äwer dei söss leddigen Buddels wiest, un dor is ‚t ut wäst. Herr Wohland hett em so ankäken, dat Driebenkiel sick vor em grast hett, un hei hett sin poor Plünnen gliek tausamenpacken müsst, und den annern Dag hett hei ut ’n Hus‘ müsst. Hei hett hürt, wo Mamsell Kallmorgen tau Stina seggt hett: ›Warum nimmt er aber auch von den Herrn sein Inselwein, wo er sich so mit hat, un was ein Heiligtum for ihn is? Um sechs Buddel von seinen gewöhnlichen Schatoh da hätt‘ er gar keine Wirtschaft gemacht. Un nahst sär Driebenkiel: ›Un dat ganze Mallühr kümmt doch man blot von dei däsigen Snappenlickers von Jungs her‹ – dor meint hei jug mit –, ›un krieg‘ ick dei mal tau faten, denn will ick sei so mit dei Snuten tausamen stöten, dat sei den Mand för ’n Bodderfatt anseihn sälen.‹«

Es war bemerkenswert, zu hören wie isern Hinrich die reichlichen und saftigen gegen uns gerichteten Injurien in gehobenem Tone vorbrachte, sozusagen zweimal unterstrichen und mit dem Behagen eines Feinschmeckers, der köstliche Austern schlürft. Dann fuhr er fort: »Un donn füng Driebenkiel an tau snacken von Herrn Wohland sin’n Giez, dat hei von söss Buddel Win so ’n Upheben maken dauhn dehr, un füng an tau swögen von sin väles Geld, un wenn hei, Driebenkiel, dat hebben dehr, denn süll dat ’n annern Swung kriegen. Un tauletzt kreegen sei dat mit dat Tuscheln un Flustern, dat ick nix mihr verstahn künn, blot wennigmal so ein Wurt von ’n ›Wandschapp ünner dat Bild‹ un ›Diamanten un Rubins‹, un von ein ’n ›Jubelierer ut Hamborg‹ un ›hunnertdusend Daler‹ un ’n ›Johannitermln‹ un ›Geldhalen ut Hamborg‹ un donn müsst em Jochen Nehls dei Hand gäben un wat swören, wat ick nich verstahn künn, und donn füng Driebenkiel so liesing an tau tuscheln, dat ick nix mihr hüren künn blot as ick mal so sachting um dei Eck von den Aben schulen dauhn dehr, dor seeg ick, dat Jochen Nehls sin Gesicht ganz witt wir, un dat hei utseeg, as wenn hei sick gräsen dehr. Driebenkiel tusche äwer ümmer wiere, bet min Oll inkeem un mi na ’n Goren schicken dehr. Nahst, as ick werre rinkamen dauhn dehr, wiren sei beir‘ all weg.«

Damit war isern Hinrichs Bericht zu Ende, und da er in den häufigen Pausen, die er zur Erhöhung der Spannung machte, nicht müssig gewesen war, hatten auch die Sommerscheiben ihren Beruf erfüllt. Wir drückten unsre Zufriedenheit über diese wertvollen Nachrichten dadurch aus, dass wir ihm nachträglich seine ursprüngliche Forderung bewilligten und ihm aus freien Stücken zwei prachtvolle Äpfel nachlieferten, worüber er nicht geringe Befriedigung empfand.

Wir trennten uns, indem wir die Hoffnung aussprachen, dass es Driebenkiel niemals gelingen möge, uns durch seine angedrohten Experimente die Ähnlichkeit des Mondes mit einem Butterfass einleuchtend zu machen.