Geleitwort des Herausgebers

Statt seine » Römische Geschichte«, die von den Anfängen Roms bis zum Siege Cäsars führt, durch das unübersichtliche Dickicht der oft verfälschten Kaisergeschichte chronologisch weiterzuführen, reizte es Mommsen, ein abschließendes Kulturbild der spätantiken Welt in einer zusammenfassenden historischen Übersicht über die im Laufe der Jahrhunderte gewonnenen Provinzen und Grenzgebiete zu geben, so daß uns eine Überschau über den gewaltigen Umkreis geboten wird: er suchte die Geschichte des » Imperium Romanum« positiv abzurunden und durch einen » Orbis pictus« der » Länder und Leute von Cäsar bis Diocletian« – zugleich in einer Umreißung der Romanisierung der Italien wie ein Kranz umschließenden römischen Annexionen – einer häufig unrichtigen und unbilligen Beurteilung der römischen Kaiserzeit ein abschließend notwendiges Gegengewicht zu schaffen.

Mommsen stellt in den Mittelpunkt seiner Darstellung den historio-geographischen Gegensatz zwischen Rom – als Vormacht des Westens – und dem nachalexandrinischen hellenisierten Osten.

Bis in die kleinsten Details der Lokalforschung zeichnet er die vielfarbigen Physiognomien all der überwundenen und mehr oder weniger romanisierten Völkerschaften und Stämme: vornehmlich der Iberer, Kelten, Germanen, Illyrier, Daker, Thraker, Hellenen, Parther, Syrer, Juden und Ägypter sowie der weiteren Nordafrikaner. Mit Bewunderung folgen wir seiner kundigen Führung und staunen über die einzigartige Verschmelzungsorganisation dieser vielseitigen Umwelt.

Mommsens Darstellung des »Imperium Romanum« beginnt im Norden mit den Donauländern, geht über die Alpenscheide nach Germanien und dem Rhein (Drusus und Tiberius, Varus 1 und Arminius und Germanicus), schildert dann Hispanien sowie die Romanisierung Galliens, das Verhältnis der römischen und der durch Arminius freigebliebenen Germanen, den Bataverkrieg unter Claudius Civilis und die Schaffung des Limes, sowie die ständigen Germanenkämpfe der späteren Kaiser, die Unterwerfung Britanniens durch Claudius, dessen vielfach verzeichnete Erscheinung ein Neffe Rankes, Robert von Ranke-Graves, in seinem Buche »Ich Claudius« gerechter gezeichnet hat, die Besiegung Illyricums und Dalmatiens, die Begründung der Provinz Thrakien, die Dakerkriege Domitians und Trajans, den Markomannenkrieg Marc Aurels, die Gotenkriege des Decius und Claudius (Gothicus), ferner das griechische Europa unter römischer Verwaltung, Thessalien, Makedonien, Thrakien, das Reich von Pontos, die Gewinnung des Bosporus, die kleinasiatischen Provinzen, den griechischen Archipelagos, die Euphratgrenze und das Partherreich, Parthoindien, die Partherkriege, die Sicherung des Ostens, die Entstehung des Sassanidenreiches in Persien, den Untergang von Palmyra, die weiteren Perserkriege der Kaiser bis Diocletian, die Provinz Syrien, das Eindringen des Christentums, das jüdische Reich, die Provinz Arabien, Judäa unter Herodes und den Herodianern, den jüdischen Krieg unter Vespasian und Titus, die späteren Judenaufstände, schließlich Ägypten und den alexandrinischen Hellenismus, Äthiopien und Abessinien und die Provinz Afrika und Numidien, die Gätulerkriege und die Mauren. Ein grandioses Panorama! Die Essenz dieser gewaltigen Außenkolonisation Roms ergibt sich in der Mommsenschen Darstellung dieser vor ihm noch ungeschriebenen Provinzialgeschichte der Kaiserzeit.

Mommsen, der im Gegensatz zu dem »Idealisten« Ranke ein – bei aller künstlerischer Dämonie – sehr real eingestellter Historiker war, hat es vermieden, an seine Darstellung eine geschichtsphilosophische Summa anzuhängen, weswegen wir die unser Blickfeld bis zu Justinian und der germanischen Umgestaltung erweiternde und uns in das »Reich der Ideen« erhebende Zusammenfassung Rankes über die »Weltgeschichte des römischen Imperiums« abschließend folgen lassen; aber Mommsen hat einmal betont, daß Griechenland – seiner Lage nach – nach dem Osten schaue, Rom und Italien nach dem Westen: Griechenlands Weltmission war es, den Orient zu hellenisieren, Roms Aufgabe, den Okzident unter Zuhilfenahme des griechischen Kulturerbes zu romanisieren. Man kann nicht sagen, daß das hellenische Element das stärkere war, wenn es auch im ganzen Osten die geistige Vormacht blieb und auch die Starrheit des römischen Wesens gemildert und gelockert hat.

Gewiß erkannte Mommsen die finale Unzulänglichkeit des Imperium Romanum sehr wohl. Er warnte als Greis vor einer Pax Romana, die aus dem Recht des Stärkeren ihre letzten Konsequenzen zog: »Denn, wenn also eine Nation bereichert wird, so vergeht eben die göttliche Welt mit ihrer glänzenden Mannigfaltigkeit, und wohl tritt ein Frieden ein, aber der Frieden des Grabes.«

Roms antike Sendung war, das Bollwerk Europas gegen den Osten zu sein, und die Fixierung des römischen Rechts.

Wie sagt Grabbes Faust (in seinem »Don Juan und Faust«):

»… Und als Dein Schwert nun alles
Dir errungen, fielst Du auch mit allem wieder
in Nacht und Barbarei. – Aus dieser quoll
ein neues Blut, ein neues Licht hervor …
Der Klang nur von zerissnen Geistesfesseln,
die Du um halb Europa wandest, ist
geblieben – Frankreichs, Spaniens, Italiens Sprachen.«

Kurt L. Walter-Schomburg.

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  1. Edm. Meyer macht in seinen »Untersuchungen über die Schlacht im Teutoburger Walde« (Berlin 1893) nicht unbeachtliche Einwendungen gegen die Auffassung Mommsens.