Zwielicht

Kein Mann wird wohl je die volle Wahrheit dieser Geschichte erfahren. Frauen werden sie sich vielleicht zuflüstern, wenn sie nach Bällen ihr Haar für die Nacht ordnen und ihre Opferlisten miteinander vergleichen. Ein Mann darf solcher Tätigkeit natürlich nicht beiwohnen, und so kann denn diese Geschichte nur ganz oberflächlich, – unscharf – erzählt werden.

Man soll eine Schwester nie der Schwester gegenüber loben in der Hoffnung, daß die Schmeicheleien das rechte Ohr doch noch erreichen und so für später Wege ebnen. Denn zuallererst sind Schwestern Frauen und dann erst Schwestern. Und man findet schließlich, daß man sich geschadet hat.

Wußte Saumarez das wohl, als er sich entschloß, um die ältere Miß Copleigh zu werben? Saumarez war ein merkwürdiger Mensch. In den Augen der Männer hatte er wenig Vorzüge, aber er war beliebt bei Frauen und besaß genug Dünkel, den Rat des Vizekönigs damit versorgen zu können. Vielleicht wäre auch noch etwas für den Stab des Oberstkommandierenden übriggeblieben. Er stand im Zivildienst. Sehr viele Frauen interessierten sich für Saumarez, vielleicht nur darum, weil sein Benehmen ihnen gegenüber verletzend war. Ein Pony wird den, der es im Anfang seiner Bekanntschaft über die Schnauze schlägt, nicht gerade lieben, aber es wird in der Folge ein tiefes Interesse für alle seine Schritte hegen. Die ältere Miß Copleigh war nett, rundlich, hübsch und liebenswürdig. Die jüngere war weniger hübsch, und, nach Männern zu urteilen, die den eben erwähnten Wink mißachteten, eher abweisend als fesselnd. Beide Mädchen hatten eigentlich die gleiche Figur und in Stimme und Aussehen eine starke Ähnlichkeit, wenn auch niemand nur einen Augenblick im Zweifel sein konnte, welche die Nettere von beiden war.

Saumarez faßte seinen Entschluß, die Ältere zu heiraten, als sie kaum von Behar gekommen waren. Wenigstens glaubten wir alle, daß er es beabsichtige, was auf dasselbe herauskommt. Sie war zweiundzwanzig, und er dreiunddreißig, mit Gehalt und Nebeneinnahmen von monatlich vierzehnhundert Rupien. Die Partie, wie wir sie uns dachten, war also in jeder Hinsicht günstig. Saumarez heißt er, und summarisch ist er, wie jemand einmal von ihm gesagt hat. Nach dem Entwurf seiner Resolution bildete er einen Sonderausschuß, in dem er allein beriet und beschloß, die rechte Stunde abzuwarten. Die Copleighschen Mädchen gingen »paarweise auf die Jagd«, wie wir uns in unserer nicht gerade liebenswürdigen Art ausdrückten. Wir wollten damit sagen, daß man die eine nie ohne die andere zu fassen bekam. Es waren sehr zärtliche Schwestern, aber ihre gegenseitige Anhänglichkeit konnte bisweilen lästig werden. Saumarez hielt sich geschickt zwischen beiden, und nur er selbst hätte sagen können, nach welcher Seite sein Herz neigte, wenn es auch jeder zu erraten glaubte. Er ritt und tanzte viel mit ihnen, aber es gelang ihm doch nie, die eine für ein Weilchen von der andern zu trennen.

Unter Frauen hieß es, daß die beiden Mädchen aus tiefem Mißtrauen gegeneinander so fest zusammenhielten, jede in der Furcht, die andere könne ihr einen Vorsprung abgewinnen. Aber das geht einen Mann nichts an. Saumarez sprach weder dafür noch dagegen. Er war so geschäftsmäßig aufmerksam, wie es ihm seine Arbeit und sein Polospielen irgend erlaubten. Zweifellos hatten beide Mädchen ihn gern.

Als sich die heiße Jahreszeit näherte und Saumarez sich noch immer nicht erklärt hatte, behaupteten die Frauen, daß den Mädchen die Sorge aus den Augen sähe. Sie machten einen abgespannten, bekümmerten und reizbaren Eindruck. Männer sind in diesen Dingen völlig blind, es sei denn, daß sie ihrer Anlage nach mehr Weibliches als Männliches haben. In diesem Fall ist es belanglos, was sie denken und sagen. Ich behaupte, die heißen Apriltage nahmen den Copleighschen Mädchen die Farbe. Man hätte sie zeitiger in die Berge schicken müssen. Niemand, weder Mann noch Frau, ist ein Engel, wenn die Hitze kommt. Die jüngere Schwester wurde bitter, um nicht zu sagen zynisch, und die Liebenswürdigkeit der Älteren wurde fadenscheinig. Sie war allzu erzwungen.

Der Ort, wo sich dies zutrug, war nicht gerade klein, lag aber nicht an der Bahn und war vernachlässigt. Es gab keine Gärten, keine Musik und keine Vergnügungen, die der Rede wert gewesen wären. Man brauchte fast einen Tag, um nach Lahore zum Ball zu fahren. Die Leute waren für jede kleine Unterhaltung dankbar.

Ungefähr Anfang Mai, als es sehr heiß war, kurz vor dem »Auszug« der letzten zwanzig Leute in die Berge, veranstaltete Saumarez ein Mondschein-Picknick zu Pferde. Es sollte bei einem alten, sechs Meilen entfernten Grabmal nahe am Flußbett stattfinden. Man verließ den Ort wie die Arche Noah. Des Staubes wegen mußte man paarweise in viertelstündigem Abstand reiten. Es waren zusammen sechs Paare, die Anstandsdamen mit eingerechnet. Mondschein-Picknicks sind am Ende der Saison, ehe die jungen Mädchen alle in die Berge gehen, von Nutzen. Sie führen Verständigungen herbei und sollten darum von Ballmüttern begünstigt werden, besonders von denen, deren Schützlinge im Reitkleid am vorteilhaftesten aussehen. Ich kannte einmal einen Fall, – aber das ist eine andere Geschichte. Wir nannten dies Picknick das »große Verlobungs-Picknick«, weil wir alle wußten, daß Saumarez der älteren Miß Copleigh einen Antrag machen würde. Und außer dieser Sache gab es noch eine andere, die möglicherweise auch ihren glücklichen Abschluß finden konnte. Die Luft in der Gesellschaft war gewitterschwül und verlangte nach einer Entladung.

Wir trafen uns um zehn Uhr auf dem Exerzierplatz. Die Nacht war entsetzlich heiß. Die Pferde kamen schon beim Schritt in Schweiß. Aber es war doch noch besser als das Stillsitzenmüssen in unseren dunklen Häusern. Beim Aufbruch im Vollmond waren wir vier Paare; eine Gruppe zu dritt, Saumarez mit den Copleighschen Mädchen, und ich. Während ich hinterdrein ritt, überlegte ich mir, mit wem Saumarez wohl nach Hause reiten würde. Alle waren glücklich und zufrieden, aber jeder fühlte die herannahenden Ereignisse. Wir ritten langsam, und es wurde fast Mitternacht, ehe wir das alte Grabmal erreichten. Wir wollten ihm gegenüber in dem verwüsteten Garten an der Zisternenruine essen und trinken. Ich kam etwas später als die andern und sah, ehe ich den Garten betrat, am nördlichen Horizont einen leichten, schwarzbraunen Wolkenstreifen. Allein mir hätte es wohl niemand gedankt, wenn ich ein so gut eingefädeltes Vergnügen wie dies Picknick verdorben hätte. Was hat denn auch schließlich ein Sandsturm mehr oder weniger zu bedeuten? Wir sammelten uns an der Zisterne. Einer hatte ein Banjo, – ein höchst gefühlvolles Instrument, – mitgebracht. Drei oder vier von uns sangen. Man lächle nicht darüber. Unsere Vergnügungen in den entlegenen Orten sind spärlich. Wir plauderten in Gruppen oder alle miteinander, lagen unter den Bäumen, warteten auf das Abendessen und ließen sonnverbrannte Rosen uns ihre Blätter zu Füßen streuen. Das Essen war herrlich, so gut auf Eis gekühlt, wie man es sich nur wünschen kann, und wir ließen uns Zeit.

Ich hatte gefühlt, wie die Luft heißer und heißer wurde, aber die anderen schienen es erst zu merken, als der Mond plötzlich verlosch und ein brennendheißer Wind die Orangenbäume peitschte, daß sie aufrauschten wie das Meer. Ehe wir wußten, wie uns geschah, war der Sandsturm über uns, und alles eine einzige brausende, wirbelnde Finsternis. Der Eßtisch wurde buchstäblich in die Zisterne hinabgeblasen. Wir hatten Furcht, in der Nähe des alten Grabbaus zu bleiben, weil der Sturm ihn hätte umstürzen können. Darum tasteten wir uns zu den Orangenbäumen, wo die Pferde angebunden waren, um zu warten bis der Sturm sich gelegt hätte. Dann verlor sich auch der letzte Lichtschimmer, und man konnte nicht die Hand vor den Augen sehen. Die Luft war schwer von Staub und Sand aus dem Flußbett, der in Stiefel und Taschen drang, uns den Nacken hinabrieselte und Brauen und Bart bedeckte. Es war einer der schlimmsten Sandstürme des ganzen Jahres. Wir standen eng zusammengedrängt dicht bei den zitternden Pferden; der Donner krachte über uns, und die Blitze schossen wie Wasserstrahlen aus einem Schlauch nach allen Richtungen. Solange die Pferde sich nicht losrissen, war keine Gefahr. Ich stand geduckt mit dem Rücken gegen den Wind, mit der Hand vorm Mund und hörte, wie die Bäume sich peitschten. Erst als es blitzte, konnte ich sehen, wer bei mir stand, und entdeckte Saumarez mit der älteren Miß Copleigh dicht neben mir, und vor mir mein Pferd. Die ältere Miß Copleigh erkannte ich an ihrem Hutschleier, den die jüngere nicht trug. Die ganze Elektrizität der Luft war mir in die Glieder gefahren, und ich zitterte und zuckte von Kopf bis zu Fuß, ganz wie ein Maishalm vorm Regen. Es war ein herrlicher Sturm. Der Wind schien die Erde emporzuheben und in großen Klumpen vor sich her zu schleudern, und aus dem Boden quoll eine Glut wie am Tage des Jüngsten Gerichtes. Nach der ersten halben Stunde besänftigte sich der Sturm ein wenig, und ich hörte dicht vor meinem Ohr eine leise Stimme, – wie die Stimme einer vom Wind getriebenen, verlorenen Seele, – still verzweifelt vor sich hin sagen: »Ach, mein Gott, mein Gott.« Dann taumelte die jüngere Miß Copleigh mir in die Arme und rief: »Wo ist mein Pferd! Ich will nach Hause, ich muß nach Hause! Bringen Sie mich nach Hause!«

Ich glaubte, Blitzen und Finsternis ängstigten sie, und darum sagte ich ihr, es sei keine Gefahr, und sie müsse warten, bis der Sturm vorüber sei. Aber sie antwortete nur: »Nein, darum nicht! Darum nicht! Ich muß nach Hause! Bitte, bringen Sie mich doch von hier fort!«

Ich sagte ihr wieder, sie dürfe nicht gehen, ehe es hell sei; dann fühlte ich nur noch, wie sie mich im Vorübergehen streifte. Es war zu dunkel, um sehen zu können, wohin sie ging. Im nächsten Augenblick zerriß ein gewaltiger Blitz den ganzen Himmel, als wäre das Ende der Welt gekommen, und alle Frauen schrien auf.

Unmittelbar darauf fühlte ich die Hand eines Mannes auf meiner Schulter und hörte Saumarez mir etwas ins Ohr brüllen. Das Rauschen der Bäume und das Heulen des Windes ließen mich seine Worte nicht gleich verstehen, aber schließlich hörte ich ihn sagen: »Ich habe um die Falsche angehalten! Was soll ich tun?« Einen Grund, mich ins Vertrauen zu ziehen, hatte Saumarez nicht. Ich war nie sein Freund und bin es auch jetzt nicht. Aber ich glaube, keiner von uns beiden war in jenem Augenblick bei Besinnung. Er zitterte vor Aufregung, und ich fühlte mich so seltsam erregt, als liefe mir ein elektrischer Strom durch alle Glieder. Da mir nichts Besseres einfiel, sagte ich: »Sie Narr, wie können Sie auch in einem Sandsturm anhalten!« Aber ich sah ein, daß das den Fehler nicht gut machte. Dann schrie er: »Wo ist Edith, Edith Copleigh?« Edith war die jüngere Schwester. Ich antwortete überrascht: »Was wollen Sie denn von der?« Es ist kaum zu glauben, aber während der folgenden zwei Minuten schrien wir uns an wie Wahnsinnige. Er beteuerte, daß er von jeher um die jüngere Schwester habe anhalten wollen, und ich erklärte ihm, bis ich heiser war, daß er sich geirrt haben müsse. Auch das ist dadurch zu erklären, daß wir beide nicht bei Besinnung waren. Das Ganze erschien mir wie ein böser Traum, vom Stampfen der Pferde in der Dunkelheit bis zu Saumarez‘ Wort, daß er von Anfang an nur Edith Copleigh geliebt habe. Er umklammerte noch immer meine Schulter und flehte mich an, ich solle ihm sagen, wo Edith Copleigh sei, als der Sturm wieder aussetzte, eine Helle eintrat, und wir die Sandwolke in die Ebene vor uns hinauswirbeln sahen. Da wußten wir, daß das Schlimmste vorüber war. Der Mond stand tief; es herrschte ein mattes Zwielicht, wie es eine Stunde vor der wirklichen Morgendämmerung einzutreten pflegt. Aber der Schimmer war nur ganz schwach, und die schwarzbraune Wolke brüllte dahin wie ein Stier. Ich dachte daran, wo wohl Edith Copleigh wäre, und während ich noch nachdachte, sah ich dreierlei zugleich: einmal Maud Copleighs lächelndes Gesicht aus der Dunkelheit auftauchen und sich Saumarez nähern, der neben mir stand. Sie flüsterte: »George« und hängte sich ihm in den Arm, der meine Schulter nicht gepackt hielt. Und ich sah auf ihrem Gesicht jenen Ausdruck, der nur ein-, zweimal im Leben einer Frau erscheint, wenn sie vollkommen glücklich ist, wenn der Himmel im strahlenden Glanz voller Geigen hängt, und wenn ihr die ganze Welt in lichte Wolken zerfließt, weil sie liebt und wieder geliebt wird. Und zugleich sah ich Saumarez‘ Gesicht, wie er Maud Copleighs Stimme hörte, und sah außerdem ein graues Leinenkleid fünfzig Schritt weit von den Orangenbäumen sich aufs Pferd heben.

Es muß wohl die Folge meiner Überreizung gewesen sein, daß ich mich so schnell in Dinge mischte, die mich nichts angingen. Saumarez wollte dem Kleide nach, aber ich drängte ihn zurück und sagte: »Sie bleiben hier. Klären Sie die Geschichte auf. Ich werde sie zurückholen.« Und ich stürzte zu meinem Pferde. Mich beherrschte die völlig unnötige Vorstellung, daß alles ordnungsgemäß und schicklich vor sich gehen, und daß vor allem Saumarez erst den glücklichen Ausdruck Maud Copleighs auslöschen müsse. Wahrend ich meinem Pferd das Zaumzeug überwarf, dachte ich daran, wie er das wohl zuwege bringen würde.

Ich galoppierte hinter Edith Copleigh her und nahm mir vor, sie unter irgendeinem Vorwand gemächlich zurückzubringen. Aber sobald sie mich bemerkte, ließ sie ihr Pferd in noch schärferen Galopp fallen, und ich sah mich zu einer ernstlichen Verfolgung genötigt. Sie rief mir drei- oder viermal zurück: »Lassen Sie mich! Ich will nach Hause! Lassen Sie doch!« Aber meine Pflicht war, erst mit ihr zu unterhandeln, wenn ich sie eingeholt hatte. Der Ritt stimmte gut zu dem ganzen wüsten Traum. Der Boden war sehr schlecht, und von Zeit zu Zeit jagten wir durch wirbelnde, würgende Staubgespenster, Nachzügler des flüchtigen Sturmes. Es wehte ein brennend heißer Wind, der einen üblen Geruch wie aus dumpfigen Ziegelöfen mit sich führte. Und durch das Zwielicht zwischen den Staubgespenstern auf der weiten, öden Ebene schimmerte das graue Reitkleid auf dem grauen Pferde. Sie hielt anfangs auf die Stadt zu. Dann wendete sie nach dem Flusse und ritt durch ein Lager verbrannten Dschungelgrases, über das man nicht einmal hätte Schweine treiben mögen. Bei kühler Überlegung wäre es mir nicht im Traum eingefallen, nachts über solches Land zu reiten. Aber beim Zucken der Blitze und bei dem Höllengeruch schien es ganz richtig und natürlich. Ich ritt und schrie, und sie beugte sich vornüber und peitschte ihr Pferd vorwärts. Und der Sturm hielt Nachernte, packte uns und stieß uns vorwärts wie Fetzen Papier.

Ich weiß nicht, wie weit wir ritten; aber das Stampfen der Pferdehufe, das Brüllen des Sturmes, die Jagd des matten, blutigroten Mondes durch gelbe Nebel schien eine Ewigkeit gedauert zu haben. Ich war buchstäblich in Schweiß gebadet, vom Helm bis zu den Gamaschen, als der Graue vor mir strauchelte, wieder auf die Beine kam und stocklahm stillstand. Auch mein Tier war völlig erschöpft. Edith Copleigh war in einem traurigen Zustand, ohne Hut, von Staub überzogen, und weinte bitterlich. »Können Sie mich nicht in Ruhe lassen?« sagte sie. »Ich wollte doch nur nach Hause! Lassen Sie mich doch, bitte!«

»Miß Copleigh, Sie müssen mit mir zurück. Saumarez hat Ihnen etwas zu sagen.«

Ich hatte mich höchst einfältig ausgedrückt, aber ich kannte Miß Copleigh kaum und konnte ihr nicht in ein paar Worten sagen, was mir Saumarez gesagt hatte, wenn ich auch zum Schaden meines Pferdes Vorsehung spielen sollte. Saumarez würde es selbst besser können, glaubte ich. Alle ihre Vorwände, daß sie müde sei und nach Hause müsse, fielen zusammen. Ihr Schluchzen warf sie im Sattel hin und her; ihr schwarzes Haar flatterte im Wind. Ich wiederhole nicht, was sie gesagt hat, denn sie war völlig fassungslos.

Das war also die gefühllose Miß Copleigh! Und da stand ich, ihr fast wildfremd, und suchte ihr klarzumachen, daß Saumarez sie liebe und sie zurückkommen müsse, um es ihn selbst sagen zu hören. Ich glaube, es gelang mir, sie zu verständigen, denn sie riß den Grauen zusammen und ließ ihn, so gut es ging, den Weg zum Grabbau zurückhinken. Und der Sturm donnerte vorwärts nach Umballa. Die ersten großen lauen Regentropfen fielen. Ich erfuhr, daß sie dicht neben Saumarez gestanden habe, als er sich ihrer Schwester erklärte, und daß sie heimgewollt habe, um sich in Ruhe, – wie es sich für ein englisches Mädchen schickt, – auszuweinen. Sie betupfte im Weiterreiten unablässig ihre Augen mit dem Taschentuch und plapperte mir, um sich in ihrer Erregung zu erleichtern, alles vor. Es war vollständig unnatürlich und schien doch in jenem Augenblick ganz selbstverständlich. Die ganze Welt bestand nur aus den beiden Copleighschen Mädchen, Saumarez und mir. Wir waren alle eingeschlossen von Blitzen und Finsternis, und die Leitung dieser irregeleiteten Welt lag in meiner Hand.

Als wir in der düsteren Totenstille nach dem Sturme zum Grabbau zurückkamen, brach die Dämmerung an. Noch war niemand gegangen. Alle warteten auf unsere Rückkehr, Saumarez vor allem. Er war blaß und verhärmt. Als Miß Copleigh und ich heranhinkten, kam er uns entgegen, hob sie vom Pferde und küßte sie vor der ganzen Gesellschaft. Es war wie auf dem Theater, und diese Ähnlichkeit wurde noch erhöht, als die verstaubten, gespensterhaften Männer und Frauen unter den Orangenbäumen wie im Theater Beifall klatschten zu Saumarez‘ Wahl. Nie in meinem Leben habe ich etwas so wenig Englisches erlebt.

Schließlich sagte Saumarez, wir müßten nach Hause, oder der ganze Ort würde uns suchen kommen, und »ob ich wohl so freundlich sein wollte, mit Maud Copleigh heimzureiten?« »Mit dem größten Vergnügen«, erwiderte ich.

So bildeten wir denn sechs Paare und zogen nach Hause, immer zwei und zwei. Saumarez ging neben Edith Copleigh her, die sein Pferd ritt.

Die Luft war wieder rein, und ganz allmählich, als die Sonne aufging, fühlte ich, daß wir uns in ganz gewöhnliche Männer und Frauen zurückverwandelten, und daß das »große Verlobungs-Picknick« eigentlich etwas ganz Fremdartiges, Unirdisches gewesen war, etwas, was sich nie wieder ereignen würde. Es war mit dem Sandsturm, dem elektrischen Summen der Luft verschwunden.

Ich war müde und zerschlagen und schämte mich eigentlich, als ich nach Hause kam und nach einem Bad ins Bett ging.

Es gibt noch eine andere Lesart dieser Geschichte, die von Frauen stammt. Aber die wird wohl niemals niedergeschrieben werden, – – es sei denn, daß Maud Copleigh einmal Lust dazu verspürt.