Die drei Musketiere

Mulvaney, Ortheris und Learoyd sind Gemeine in der zweiten Kompanie eines Linienregimentes und meine persönlichen Freunde. Sicher weiß ich es nicht, aber ich glaube, die drei zusammen sind die schlimmsten Leute im Regiment, wenn es lustige Spitzbübereien gilt.

Sie erzählten mir, als wir neulich in Umballa im Wartesaal saßen, folgende Geschichte. Ich stiftete das nötige Bier, und die Geschichte war schon sechs Liter wert.

Wer kennt Lord Benira Trig nicht! Er ist erstens Herzog oder Graf oder sonst etwas »Zivilistisches«, zweitens ein Peer und drittens ein Globetrotter. In allen drei Eigenschaften verdient er, wie Ortheris sagt, »noch lange keine Achtung«. Er ist ziemlich drei Monate hier gewesen, um für ein Buch über »Unsere Impedimenta in Indien« Material zu sammeln. Ein Kosak im Frack hätte nicht ungelegener kommen können.

Sein Hauptfehler war es, daß er überall die Garnisonen zur Musterung ausrücken ließ, denn er war, glaube ich, ein ganz Radikaler. Nach der Parade pflegte er mit dem Oberstkommandierenden zu tafeln und sich vor dem ganzen Offizierstisch ihm gegenüber in beleidigender Weise über den Zustand der Truppen zu äußern. Das war nun einmal so Beniras Art.

Einmal jedoch hat er die Sache übertrieben. Er kam an einem Dienstag ins Quartier von Helanthami. Am Mittwoch wollte er in den Basaren Einkäufe machen und »äußerte den Wunsch«, am Donnerstag die Truppen zu besichtigen. An – einem Donnerstag! Am Ruhetag! Da er ein Lord war, konnte der Kommandant ihm seinen Wunsch nicht gut abschlagen. Die Leutnants hielten im Kasino eine Protestversammlung und überhäuften den Oberst mit Kosenamen.

»Aber, was die wahre Demonstration war, die haben wir in der Kaserne gemacht,« sagte Mulvaney, »wir drei nicht zuletzt.«

Mulvaney schwang sich aufs Büfett, machte sich’s beim Bier bequem und fuhr fort: »Als es am meisten krachte, und die ganze zweite Kompanie diesen Kerl, den Trig, auf dem Übungsplatz um die Ecke bringen wollte, da hält hier der Learoyd seinen Helm hin und sagt: was hast du noch gesagt?«

»Gesagt hab‘ ich,« ergänzte Learoyd, »Geld her! Wir wollen sammeln, Kinder. Ich wette, daß die Parade abgesagt wird, und wenn sie’s nicht wird, dann sollt ihr euer Geld wieder haben. Weiter habe ich nichts gesagt, aber die Kompanie weiß, was es heißt, wenn ich was sage. Als ein hübsches Stück Geld beisammen war, ging ich weg. Ich mußte mir die Geschichte überlegen. Mulvaney und Ortheris gingen mit.«

»Was ausgefressen wird, wird auch zu dritt ausgefressen!« erklärte Mulvaney.

Ortheris unterbrach ihn: »Lesen Sie die Zeitung?«

»Manchmal«, sagte ich.

»Na, wir lesen sie, und wir haben so einen richtigen Überfall in Szene gesetzt, so ’ne richtige, na sagen wir, – Verführung.«

»Ent–führung, du Stadtfrack!« sagte Mulvaney.

»Ent– oder Verführung, das ist doch ganz schnuppe. Die Hauptsache ist, daß wir Mister Benira aus dem Wege haben wollten. Der sollte am Donnerstag was Besseres zu tun kriegen als Parade halten. Ich sagte, wir wollen mal sehen, ob das Geschäft nicht noch was abwirft.«

»Kriegsrat haben wir gehalten, wie wir bei der Artilleriekaserne vorbei sind«, fuhr Mulvaney fort. »Ich war der Vorsitzende, Learoyd Finanzminister, und hier der Kleine –« »Der reinste Bismarck! Wenn’s geglückt ist, ist’s mein Verdienst.«

»Ach, das Stück von ’nem Menschen, der Benira, hat sich ganz alleine reingelegt«, sagte Mulvaney. »Weiß Gott, wir hatten nicht die blasse Ahnung, wie wir’s andrehen sollten. Er machte Besorgungen im Basar, zu Fuß Gott sei Dank. Es war schon schummrig, und wir, wir paßten auf, wie das Männchen in die Läden rein und wieder raus huppte. Geredet hat er, aber verstanden hat ihn keiner. Und dann schiebt er so mit seinen Paketen und seinem spitzen kleinen Bauch zu uns ran und sagt so recht großartig: »Na, liebe Kinder, habt ihr nicht den Wagen vom Herrn Oberst gesehen?« »Wagen«, sagte Learoyd. »Wagen gibt’s hier nicht, hier haben wir bloß Ekkas.« »Was ist denn das?« fragte da Trig. Learoyd zeigt ihm nun eine in der Straße, und Trig meinte: »Wie prachtvoll orientalisch. Ich werde in einer Ekka fahren.« Na, nu wußt‘ ich, daß es der Regimentsheilige gut mit uns meinte. Ich kriege also ’ne Ekka zu fassen und sage zu dem Satan von Kutscher: »Du, schwarzes Vieh, hier kommt gleich ein Sahib für deine Ekka. Er will mal rasch zu den Padsahi-Sümpfen! (Sie waren bloß zwanzig Meilen weit weg.) Er will Schnepfen schießen, verstehst du? Fahr zu, als wenn’s in die Hölle geht, verstanden? Reden brauchst du nicht mit dem Sahib. Der versteht dich doch nicht! Wenn er was brüllt, dann brüll du nur Hüh! Erst fährst du mir vorsichtig, nachher haust du drauf los, was das Zeug hält. Je mehr du haust, um so zufriedener ist der Sahib, verstehst du? Da hast du ’ne Rupie von mir.«

Der Kutscher hatte gemerkt, daß irgend was los war. Er grinste und sagte: ich fahren verflucht schnell! – Was ich für Angst hatte, daß der Wagen käme, ehe ich unsern süßen, kleinen Benira mit Gottes Hilfe bugsiert hatte. Er packte sein Dreckzeug in die Ekka und kugelte nach wie’n Meerschweinchen. Meinen Sie, er hätte uns ein Glas Bier geben lassen? Dafür, daß wir ihm den Weg gezeigt hatten? Na, sage ich zu den andern, der ist weg, nach den Sümpfen.«

Und nun erzählte Ortheris weiter.

»In dem Moment kommt gerade der kleine Bhuldoo, was der Junge von einem der Sais bei der Artillerie ist. In London war er ein großartiger Zeitungsjunge geworden, denn scharf ist er und nie zu faul. Natürlich hatte er gesehen, wie wir Mister Benira aufgepackt hatten. ›Was haben Sie denn da eben gemacht, Sahibs?‹ sagt er. Learoyd nimmt ihn beim Ohr und sagt:

›Gesagt hab ich,‹ fuhr Learoyd fort, ›junger Mann, der Mann da will am Donnerstag die Kanonen raus haben, Donnerstag, verstehst du? Dann mußt du auch ran! Also nimm dir ein Pony und hau drauf los, und fahr‘ den Kerl in die Sümpfe. Mach, daß du hinter der Ekka herkommst und sag dem Kutscher, daß du fahren willst. Der Sahib kann kein Indisch, er ist ein bißchen – verstehst du? Karr‘ die Ekka in den Sumpf, laß den Sahib sitzen, und mach, daß du nach Haus kommst. Hier hast du ’ne Rupie.‹«

Das nächste sagten Mulvaney und Ortheris abwechselnd. Man möge den Sprecher selbst herausfinden.

»Das war so ein richtiger kleiner Teufel, der Bhuldoo, und er zwinkert mit den Augen und sagt kaum was und ist fort. – Wir wollen doch mal sehen, ob man da nicht noch Geld rausschlagen kann, sage ich. – Na, und ich möchte erst mal wissen, wie die Sache abläuft. – Also gehen wir doch raus nach den Sümpfen und retten den Kleinen vor dem mörderischen Bhuldoo! – Natürlich, wie auf dem Theater. – Also sind wir im Laufschritt raus zu den Sümpfen. Aber da hören wir schon ein Getrappel hinter uns, und da war’s, weiß Gott, der kleine Bhuldoo mit ’ner ganzen Räuberbande, drei Stück, die – na, so ein bißchen echt mußte die Sache doch aussehen, – haste was kannste drauf los ritten. Und wir rannten, und die rannten, und wir platzten fast vor Lachen. Da kamen wir an den Sumpf und hörten dumpfe Klagetöne durch die Abendlüfte säuseln.« (Ortheris machte das Bier poetisch.) Das Duett begann von neuem. Mulvaney hob an.

»Wir hörten den Räuber Bhuldoo den Kutscher anschreien, einen von den jungen Teufelskerlen mit einem Knüppel auf das Ekkaverdeck schlagen und Benira Trig Mord und Totschlag brüllen. – Bhuldoo reißt den Kutscher vom Bock, packt die Zügel und fährt wie verrückt in den Sumpf. Der Kutscher kommt nun zu uns ran und sagt: ›Der Sahib ist halb tot vor Angst. Was ist denn das für eine Teufelssache?‹« – »Nur Ruhe,« sagen wir, »nimm hier das Pony und komm mit uns. Der Sahib ist angefallen, und nun müssen wir ihn befreien.« »Angefallen?« sagte der Kutscher, »Unsinn, das ist doch Bhuldoo.« »Zum Henker mit Bhuldoo,« geben wir zur Antwort, »es ist ein verdammter, wilder Heide aus dem Gebirge. Achte sind’s, die den Sahib angefallen haben, verstehst du! Merk dir’s, hier hast da ’ne Rupie dafür.« – Und da sehen wir auch schon die Ekka umkippen und ins Wasser platschen, und hören den Benira um Vergebung seiner Sünden flehen. Und Bhuldoo und seine Freunde sind auch im Wasser und prügeln sich.«

Hier zogen sich die drei Musketiere hinter ihre Biergläser zurück.

»Nun, und was geschah nun?« fragte ich.

»Ja, was nun geschah?« antwortete Mulvaney und wischte sich den Mund. »Sollen vielleicht drei so tapfere Soldatenkerle wie wir den Stolz des Herrenhauses überfallen und ersaufen lassen? Niemals. Wir stellten uns also in Reih und Glied und machten Sturm auf den Feind. Zehn Minuten lang, das sage ich Ihnen, konnten wir unser eigenes Wort nicht verstehen. Das Getrommel auf dem Verdeck und Benira und die Bande radauten um die Wette. Die Stöcke pfiffen nur so rum um die Ekka. Ortheris paukte mit seinen Fäusten aufs Verdeck und Learoyd schrie: ›Nehmt euch bloß vor ihren Messern in acht.‹ Und ich schlug rechts und links um mich und trieb ganze Regimenter Heidenvolk nur so in die Flucht. Kreuz Maria und Joseph, es war ärger als Ahmid Kheyl und Maywind zusammen. Nach einer Weile flieht Bhuldoo und die ganze Gesellschaft. Haben Sie schon einmal einen richtig lebendigen Lord seine Adligkeit einen halben Meter tief im Sumpfwasser verstecken sehen? Weiß Gott, er sah aus wie so’n bibbernder Wasserschlauch. Na, und es dauerte auch ganz hübsch lange, bis wir unserm Freund Benira klar gemacht hatten, daß er noch lebte. Aber noch länger hat’s gedauert, bis wir die Ekka aus dem Dreck kriegten. Und schließlich kam auch der Kutscher wieder ran und schwor, er hätte mitgeholfen, den Feind zu vertreiben. Benira war vor Angst ganz krank. Wir brachten ihn ganz gemütlich ins Quartier zurück, damit die Nässe recht hübsch durchsickern konnte. Und sie ist gesickert! Dem Regimentsheiligen alle Ehre, sie hat dem Lord Benira das Mark aus den Knochen gesogen.«

Da sagte Ortheris langsam mit unermeßlichem Stolz: »Er sagt zu uns: ›Ihr seid meine edlen Retter,‹ sagt er. ›Stolz kann die englische Armee auf euch sein,‹ sagt er. Und dann beschreibt er uns die furchtbare Räuberbande, die ihn angefallen hat. Vierzig Mann wären es gewesen, sagt er, die Übermacht hätte ihn überwältigt. Na, das stimmt. Aber nicht einen Augenblick hätte er seine Geistesgegenwart verloren, sagt er. Und das stimmt auch. Dem Kutscher gab er fünf Rupien für seinen edlen Beistand. Und nach uns würde er sehen, wenn er mit dem Obersten gesprochen hätte. Denn’s Regiment kann auf uns stolz sein, sagt er.«

»Na, wir drei,« sagte Mulvaney mit engelreinem Lächeln, »wir drei haben schon mehr als einmal Bob Bahadurs ganz be-son-de-re Aufmerksamkeit in Anspruch genommen. Aber er ist wirklich ein anständiger kleiner Herr, unser Oberst Bob. Ortheris, mein Sohn, nun fahr‘ du fort!«

»Wir bringen ihn also zum Oberst ins Haus, elend genug, und laufen rüber in die Kaserne und sagen, daß wir Benira vom blutigen Tode errettet hätten, und daß Donnerstag wahrscheinlich keine Parade wäre. – Na, und zehn Minuten drauf kommen drei Briefe, für jeden von uns einer. Weiß Gott, der alte Schafskopp schickt uns jedem ein Goldstück. Am Donnerstag lag er im Krankenhaus, um sich von seinem blutigen Zusammenstoß mit der Heidenbande zu erholen. Und die ganze zweite Kompanie soff sich auf sein Wohl unter’n Tisch. Aber der Oberst sagte, als er von unsrer Tapferkeit hörte: ›Irgendwo ist hier doch ’ne Spitzbüberei im Gang gewesen,‹ sagt er, ›ich kann man bloß euch drei nicht überführen.‹«

»Meine spezielle Ansicht ist,« sagte Mulvaney, kletterte vom Büfett herunter und drehte sein Glas um, »sie würden uns auch nicht überführt haben, wenn sie’s gekonnt hätten. Denn Parade am Donnerstag verstößt erstens gegen die Natur, zweitens gegen’s Reglement und nicht zuletzt gegen Terence Mulvaney seinen Willen.«

»Schön, mein Sohn,« sagte Learoyd, »aber, junger Mann, was wollen Sie denn mit dem Notizbuch?«

»Laß ihn nur,« sagte Mulvaney, »nächsten Monat um die Zeit sind wir schon auf dem Schiff; der Herr will uns ja bloß unsterblich machen. Aber behalten Sie’s bei sich, bis wir meinem Freunde Bob Bahadur aus der Schußweite sind.«

Und ich bin Mulvaney gehorsam gewesen.