Waldesrauschen

In einer warmen Sommernacht schlief ein Mädchen im Wald, sie hatte den Kopf über den rechten Arm auf ihr Tamburin gelegt und das Gesicht gegen den Tau mit der Schürze bedeckt, ein Pferd weidete daneben, weiterhin lag ein junger Bursch, der wendete sich manchmal und redete unverständlich im Schlaf. Zwischen den Bäumen aber flog das erste halbe Morgenlicht schon schräg über den luftigen Rasen, ein paar Rehe, die in der Nacht mit den Pferden geweidet, schlüpften raschelnd durch die Dämmerung tiefer in den Wald zurück, sonst war noch alles still.

Auf einmal ertönte ein gellender Wachtelschlag, das Mädchen hob sich rasch, daß die Glöckchen am Tamburin klangen. Es war der Vater, der mit seinem Pfeifchen die Schlafenden weckte. Er stand schon in voller Reisetracht: knappe, blaue Beinkleider mit rotem Paß und eine grüne ungersche Jacke mit gelben Schnüren und blinkenden Knöpfchen nachlässig über die Schulter geworfen, ein ehemaliger Soldat, der nun als Puppenspieler und starker Mann mit den Kindern durchs Land zog.

«Horch», sagte er, «da krähen Hähne in weiter Fernen nach jener Seite hin, die Luft kommt von drüben, da muß ein Dorf sein, der Wald liegt hoch, besteig einmal den Tannenbaum, Seppi, und sieh dich um.» Der Bub reckte und dehnte sich mit beiden Armen in die ungewisse Luft und schüttelte die Locken aus der Stirn, dann kletterte er schnell in den höchsten Wipfel hinauf. Nach einem Weilchen rief er herab: «Da unten ist noch alles nachtkühl und still, es liegt alles durcheinander im tiefen Grund, da haben sie wieder ein Dorf verbrannt.» – «Ja, ja», versetzte der Vater, «der große Schnitter Krieg mäht uns tapfer voran, man hört seine Sense bei Tag und bei Nacht klingen durchs Land, wir geringen Leut haben die Nachlese auf den Stoppeln. Siehst du sonst nichts?» – «In der Ferne ein schönes Schloß überm Wald, die Fenster glitzern herüber.» – «Raucht der Schornstein?» – «Ja, kerzengerad aus den Wipfeln.» – «Gut», versetzte der Vater, «so komm nur wieder herunter, da wollen wir hin.» – Aber im Herabsteigen zögernd, rief der Bursch noch einmal: «Ach, aber da drüben, da liegt das ganze Tal schon im Sonnenschein, jetzt blitzen drunten Hellebarden aus den Kornfeldern, Landsknechte ziehn nach dem Walde zu, wie schön sie singen!» – «Da ist der Siglhupfer dabei!» sagte das Mädchen freudig. – Der Vater blickte rasch nach ihr herüber, man wußt niemals recht, ob er lächelte oder heimlich schnappen und beißen wollte, so scharf blitzten manchmal seine Zähne unter dem langen, gewichsten Schnurrbart hervor. «Rauch und Wind!» sagte er, «wer weiß, wo der Siglhupfer schon zerhauen im Graben liegt.» – Das Mädchen aber lachte: «Ihr sprecht immer so barsch, er denkt doch an mich, er ist ein Soldat von Fortüne und kommt wohl wieder, eh wirs denken, als Offizier zu Pferde mit hohen Federn auf dem Hut.»

Währenddes hatte sie ein Stück von einem zerschlagenen Spiegel vor sich an den Baum gelehnt, setzte sich davor ins Gras und flocht ihr langes schwarzes Haar auf zigeunerisch in zierliche Zöpfchen, dabei biß sie von Zeit zu Zeit in eine Wecke und streute einzelne Krümchen über den Rasen für die Vögel, die ihr neugierig aus dem Laube zusahen. Der Vater und Seppi aber zäumten und packten schon das Saumroß, unverdrossen bald einen König-, bald einen Judenbart zurückschiebend, die, in schmählicher Gleichheit durcheinandergeworfen, aus dem löcherigen Puppensack herausdrängten. Dann hauchte der Vater ein paarmal auf ein großes schwarzes Pflaster, das er über das linke Auge und Backe legte, damit er martialischer aussäh und die Leute sich vor ihm fürchteten. Und als endlich alles reisefertig war, schwang er die Tochter in den Sattel, Seppi mußte vorausgehen, er aber führte das Pferd über die Wurzeln und Steine vorsichtig hinter sich am Zügel, und droben auf ihrem luftigen Sitze, das Tamburin neben sich gehängt, baumelte das Mädchen vergnügt mit den Füßchen und freute sich über ihre neuen roten Halbstiefel; manchmal streifte ihr ein Zweig Stirn und Wange, daß sie wie eine Blume ganz voll Tauperlen hing. Da stimmte Seppi vorne lustig an:

Der Wald, der Wald, daß Gott ihn grün erhalt,
Gibt gut Quartier und nimmt doch nichts dafür!

Und das Mädchen antwortete sogleich:

Zum grünen Wald wir Herberg halten,
Denn Hoffart ist nicht unser Ziel,
Im Wirtshaus, wo wir nicht bezahlten,
Es war der Ehre gar zu viel,
Der Wirt, er wollt uns gar nicht lassen,
Sie ließen Kanne und Kartenspiel,
Die ganze Stadt war in den Gassen,
Und von den Bänken mit Gebraus
Stürzt die Schule heraus,
Wuchs der Haufe von Haus zu Haus,
Schwenkt die Mützen und jubelt und wogt
Der Hatschier, die Stadtwacht, der Bettelvogt,
Wie wenn ein Prinz zieht auf die Freit,
Gab alles, alles uns fürstlich Geleit.
Wir aber schlugen den Markt hinab
Uns durch die Leut mit dem Wanderstab
Und hoch mit dem Tamburin, daß es schallt –

Und der Puppenspieler und Seppi fielen jubelnd ein:

Zum Wald, zum Wald, zum schönen grünen Wald!

Das Mädchen sang wieder:

Und da nun alle schlafen gingen,
Der Wald steckt seine Irrlicht an,
Die Frösche tapfer Ständchen bringen,
Die Fledermaus schwirrt leis voran,
Und in dem Fluß auf feuchtem Steine
Gähnt laut der alte Wassermann,
Strählt sich den Bart im Mondenscheine
Und frägt ein Irrlicht, wer wir sind?
Das aber duckt sich geschwind,
Denn über ihn weg im Wind
Durch die Wipfel der wilde Jäger geht,
Und auf dem alten Turm sich dreht
Und kräht der Wetterhahn uns nach:
Ob wir nicht einkehrn unter sein Dach?
O Gockel, verfallen ist ja dein Haus,
Es sieht die Eule zum Fenster heraus,
Und aus allen Toren rauschet der Wald,
Der Wald, der Wald, der schöne grüne Wald!
Und wenn wir müd einst, sehn wir blinken
Eine goldne Stadt still überm Land,
Am Tor Sankt Peter schon tut winken:
«Nur hier herein, Herr Musikant!»
Die Engel von den Zinnen fragen,
Und wie sie uns erst recht erkannt,
Sie gleich die silbernen Pauken schlagen,
Sankt Peter selbst die Becken schwenkt,
Und voll Geigen hängt
Der Himmel, Cäcilia an zu streichen fängt,
Dazwischen hoch vivat! daß es prasselt und pufft,
Werfen die andern vom Wall in die Luft
Sternschnuppen, Kometen,
Gar prächtige Raketen,
Versengen Sankt Peter den Bart, daß er lacht,
Und wir ziehen heim, schöner Wald, gute Nacht!

Und zum Chor machte der Puppenspieler mit dem Munde prasselnd das Feuerwerk nach, und Seppi schmetterte mit einem Pfeifchen wie eine Nachtigall, und die Tochter schwang ihr Tamburin schwirrend dazwischen; so zogen sie wie eine Bauernhochzeit durch den Wald in den aufblitzenden Morgen hinunter, als zögen sie schon ins Himmelreich hinein.

Als sie aber am Rand des Waldes zu sein vermeinten, fing jenseits der Wiese schon wieder ein andrer an, die Heiden waren ohne Weg, die Bäche ohne Steg, manchmal ward ihnen, wie wenn sie Hunde bellen hörten aus der Ferne und Stimmen gehn im Grund, das Schloß aber, wohin sie zielten, stand bald drüben, bald dort, immer neue Schluchten dazwischen, als wollt es sie foppen. Und so war es fast schon wieder Abend geworden, als sie endlich, aus einem verworrenen Gebüsch tretend, auf einmal die Burg ganz nahe vor sich sahen.

Sie schauten sich erst nach allen Seiten um, eine Allee von wilden Kastanien führte nach dem Tor, man konnte bis in den gepflasterten Hof und im Hofe einen Brunnen und Galerien rings an dem alten Hause sehen, es rührte sich aber nichts darin. «Ich weiß nicht, Denkeli», sagte der Puppenspieler nach einem Weilchen zur Tochter, «das kommt mir doch kurios vor mit dem Schloß, das hängt ja alles so liederlich, die Sparren vom Dach und die Laden aus den Fenstern, als wär auch schon der Kriegsbesen darübergefahren.» – Indem schlug die Uhr vom Turme langsam durch die große Einsamkeit. «Da muß aber doch jemand wohnen, der die Uhr aufzieht», sagte Denkeli. – «Das tun die Toten bei Nacht in solchen Schlössern», erwiderte der Vater verdrießlich.

Darüber waren sie an ein altes Gittertor gekommen und blickten durch die ehemals vergoldeten Stäbe in den Schloßgarten hinein. Da lag alles einsam und schattigkühl, Regen, Wind und Sonnenschein waren, wie es schien, schon lange die Gärtner gewesen, die hatten einen steinernen Neptun aufs Trockne gesetzt und ihm eine hohe grüne Mütze von Ginster bis über die Augen gezogen, wilder Wein, Efeu und Brombeer kletterten von allen Seiten an ihm heran, eine Menge Sperlinge tummelte sich lärmend in seinem Bart, er konnt sich mit seinem Dreizack vor dem Gesindel gar nicht mehr erwehren. Und wie er so sein Regiment verloren, reckten und dehnten sich auch die künstlich verschnittenen Laubwände und Baumfiguren aus ihrer langen Verzauberung phantastisch mit seltsamen Fühlhörnern, Kamelhälsen und Drachenflügeln in die neue Freiheit hinaus, und mitten unter ihnen auf dem Dach eines halbverfallenen Lusthauses saß melancholisch ein Pfau noch aus der vorigen Pracht und rief der untergehenden Sonne nach, als hätte sie ihn hier in der Wildnis vergessen. Auf einmal aber tat es einen leuchtenden Blitz durchs Grün, eine wunderschöne Dame erschien tiefer im Garten, durch die stillen Gänge nach dem Schlosse zu wandelnd, ganz allein in prächtigem Gewande, ihr langes Haar wallte ihr wie ein goldener Mantel über die Schultern, die Abendsonne blitzte noch einmal leuchtend über das kostbare Geschmeide auf Stirn und Gürtel. Denkeli blickte sie scheu, doch unverwandt an, sie dachte an die vorigen Reden des Vaters, es war ihr, als ginge die Zauberin dieser Wildnis vorüber. Die Dame aber bemerkte die Wanderer nicht, sie sah ein paarmal zurück nach ihrer taftenen Schleppe, die schlängelnd hinter ihr herrauschte, und verlor sich dann wieder zwischen den Bäumen.

Jetzt hörten sie zu ihrem Erstaunen plötzlich auch Stimmen am Schloß, sie gingen eilig hin und bemerkten nach langem Umherirren endlich einen Balkon zwischen den Wipfeln, der nach dem Walde herausging. Dort sahen sie einige Herren an dem steinernen Geländer stehen, die Dame aus dem Garten schien auch bei ihnen zu sein; aber sie konnten nichts deutlich erkennen, denn die Linde, die in voller Blüte stand, reichte bis an den Balkon, und die Abendsonne funkelte blendend dazwischen. Der Puppenspieler war auf alle Glücksfälle vorbereitet, er zog schnell seine Orgelpfeife, die er vor den Mund band, und eine Geige hervor, Seppi einen Triangel und Denkeli ihr Tamburin, und so stellten sie sich unter die Bäume und brachten gleich den Herrschaften ein Ständchen. Denkeli sah dabei öfters scharf hinauf; auf einmal ließ sie, mitten in dem Geschwirre abbrechend, Arm und Tamburin sinken, sie hatte in größter Verwirrung in dem einen Kavalier droben den Siglhupfer erkannt, sie sah, wie er galant und scharmant sich neigte und beugte und mit der Dame parlierte, sie konnt es gar nicht begreifen. Der Vater stieß sie ein paarmal mit dem Ellbogen an, sie sollte zu singen anfangen, aber sie warf das Köpfchen trotzig empor und wollte durchaus nicht, und dem Vater mochte sie die Ursach nicht sagen, denn er lachte sie immer aus mit ihrer Liebschaft. Während dem Hinundherwinken aber kam auch schon eine Kammerjungfer schnell aus dem Schloß herunter und brachte ihnen einen Krug Wein und jedem einen Rosenobel sauber in Papier gewickelt mit der Botschaft, ihre Herrschaft sei heute gar nicht wohl und zu müde, um die Musik anzuhören, auch sei im ganzen Hause kein Unterkommen für sie zur Nacht.

«Seht Ihr, sie mögen meinen Gesang ja nicht», sagte Denkeli zum Vater; sie dachte bei sich, Siglhupfer habe sie erkannt und wolle sie nur los sein, weil er sich ihrer schäme vor der vornehmen Dame.

Der Puppenspieler zuckte, ohne zu antworten, ein paarmal zornig mit den buschigen Augenbrauen, trank aber doch auf die Gesundheit der Dame und reichte drauf den Krug der Tochter, die ihn mit der Hand von sich stieß. So stritten sie heimlich untereinander, der Vater zankte noch immer über Denkelis Eigensinn, dann packte er heftig seine Instrumente zusammen, um weiterzuziehn, sie wußten nicht wohin in der fremden Gegend. Über ihnen aber stimmten die Bienen im Wipfel, und hinter den Blüten droben plauderten und lachten die Herrschaften in der schönen Abendkühle und machten sich lustig über die Bettelmusikanten, Denkeli erkannte Siglhupfers Stimme darunter recht gut, das schnitt ihr durch die Seele! Manchmal sah sie auch seinen Federhut und die Locken und den Schmuck der Dame durch die Zweige schimmern, es war ihr alles wie ein Traum. Im Weggehn fragte sie die Jungfer noch: «Wer ist denn der junge Herr da droben?»

«Ei, Ihr kommt wohl von weit her?» erwiderte diese, «das ist ja der Herr Rittmeister von Klarinett, der Bräutigam des gnädigen Fräuleins.»