Kleine Unglücksfälle, die mich nötigten, Venedig zu verlassen. – Erlebnisse in Mailand und Manua.

Am zweiten Ostertag besuchte uns Carlo mit seiner reizenden Frau, die mir in jeder Beziehung eine andere Person schien als Cristina. Allein das rührte von ihrer gepuderten Frisur her, die nicht die Ebenholzschwärze ihrer köstlichen Haare aufwog, und von ihrer Damenkleidung, die viel weniger anziehend war, als die einer reichen Bäuerin. Das Glück stand auf ihren Gesichtern geschrieben. Carlo machte mir zarte Vorwürfe, daß ich sie nicht ein einziges Mal besucht hätte, und um mein augenscheinliches Unrecht gutzumachen, besuchte ich sie am zweiten Tage darauf mit Herrn Dandolo. Carlo sagte mir, seine Frau werde von seiner Tante vergöttert und sei die beste Freundin seiner Schwester. Sie sei sanft, gefällig, teilnahmsvoll und habe ein sehr einschmeichelndes Wesen. Das machte mir das größte Vergnügen und beinahe ein ebenso großes empfand ich, als ich sah, daß Cristina sich mit der venezianischen Mundart vollkommen vertraut zu machen begann.

Wir fanden Carlo nicht zu Hause, Cristina war mit ihren beiden Verwandten allein. Wir wurden ausgezeichnet aufgenommen und als das Gespräch darauf kam, lobte die Tante ihre Fortschritte im Schreiben und forderte sie auf, mir ihr Heft zu zeigen. Wir gingen in das benachbarte Zimmer, wo sie mir sagte, daß sie glücklich sei und daß sie jeden Tag engelhafte Eigenschaften an ihrem Gatten entdecke. Er hatte ihr ohne den geringsten Zug von Argwohn oder Mißtrauen gesagt, er wisse, daß wir zwei Tage zusammen verbracht hätten, und er habe der wohlmeinenden Person ins Gesicht gelacht, die ihm diese dienstfertige Mitteilung gemacht habe, um ihr Glück zu trüben.

Carlo hatte alle Tugenden und die edlen Eigenschaften eines ehrenwerten und ausgezeichneten Menschen. Sechsundzwanzig Jahre nach seiner Heirat mußte ich mich an seine Börse wenden, und ich fand ihn als meinen wahren Freund. Ich habe niemals sein Haus besucht, und er wußte mein Zartgefühl zu schätzen. Einige Monate vor meiner Abreise von Venedig ist er gestorben; er hinterließ seine Witwe in guten Verhältnissen und drei wohlerzogene Söhne, die alle gut angestellt waren und vielleicht noch bei ihrer Mutter leben.

Im Monat Juni ging ich nach Pabua zum Jahrmarkt und befreundete mich dort mit einem jungen Mann meines Alters, der unter dem berühmten Professor Succi Mathematik studierte. Er hieß Tognolo, aber er änderte diesen übelklingenden Namen in Fabris. Er ist derselbe, der als Graf von Fabris und Generalleutnant Josephs des Zweiten in Siebenbürgen starb, wo er für diesen Herrscher kommandierte. Dieser Mann, der sein Glück seinen Tugenden verdankte, würde vielleicht in der Dunkelheit gestorben sein, wenn er seinen Namen Tognolo beibehalten hätte, der ein ganz bäurischer Name ist. Er stammte aus Oderzo, einem großen Flecken im venezianischen Friaul. Er hatte einen Bruder, der Abbate, ein geistreicher Mann und großer Spieler war und der, da er die Welt kannte, den Namen Fabris angenommen hatte, worauf auch der andere Bruder sich so nennen mußte, um ihn nicht Lügen zu strafen. Bald darauf kaufte er ein Lehen mit einem Grafentitel, wurde venezianischer Nobile und hörte auf, ein Bauer zu sein. Wenn er seinen Namen Tognolo beibehalten hätte, so würde ihm dieser Name Schaden bereitet haben, denn er hätte ihn niemals aussprechen können, ohne sich an das zu erinnern, was man nach dem verächtlichen Vorurteil eine niedrige Herkunft nennt. Die bevorrechtigte Klasse will in strafbarem Irrtum nicht glauben, daß in einem Bauer Größe und Genie sein könnten. Die Zeit wird zweifellos kommen, wo die Gesellschaft aufgeklärter und vernünftiger sein und erkennen wird, daß in allen Ständen edle Gefühle, Ehre und Heldentum sich ebenso leicht finden können, wie in einer Klasse, deren Blut nicht immer frei von dem Makel der Mesalliance ist.

Indem der neue Graf seinen Ursprung in Vergessenheit brachte, war er übrigens zu verständig, um ihn selbst zu vergessen, und bei allen von ihm unterzeichneten Urkunden ist sein Familienname immer neben seinem angenommenen Namen gestanden. Sein Bruder bot ihm zwei Wege an, die er für sein Fortkommen in der Welt einschlagen sollte, und ließ ihm die Wahl zwischen diesen beiden. Der eine wie der andere forderte eine Ausgabe von tausend Zechinen, aber der Abbé hielt diese Summe bereit. Es handelte sich für meinen Freund um die Wahl zwischen dem Schwert des Mars und dem Vogel der Minerva. Der Abbate war überzeugt, für seinen Bruder eine Kompanie in der Armee Seiner Kaiserlichen apostolischen Majestät kaufen oder ihm einen Lehrstuhl an der Universität Padua verschaffen zu können, denn Geld macht alles. Aber mein Freund, mit einem rechtschaffenen Sinn begabt und voll edler Gefühle, wußte, daß er sowohl in dem einen wie in dem anderen Fall Kenntnisse brauchte, um auf ehrenvolle Weise seine Laufbahn zu verfolgen, und studierte, bevor er eine Entscheidung traf, mit Erfolg die mathematischen Wissenschaften. Er entschied sich für die Laufbahn der Waffen, wie Achilles, der das Schwert der Spindel vorzog. Auch bezahlte er, wie der Sohn des Peleus, mit seinem Leben; allerdings starb er weniger jung als der Besieger Hektors und nicht an einem Pfeilschuß, sondern an der Pest, die er in dem unglücklichen Land erwarb, in dem das sorglose Europa den Türken erlaubt, sie fortzupflanzen.

Das vornehme Wesen, die edlen Gefühle, die Kenntnisse und die Tugenden von Fabris würden unter dem Namen Tognolo lächerlich geworden sein, denn so groß ist die Macht des Vorurteils, besonders bei denen, die sich nur auf einen dummen Hochmut stützen können, daß ein übelklingender Name in der dümmsten aller Welten seinen Träger herabwürdigt. Ich glaube, wer einen übelklingenden Namen trägt oder einen solchen, der an unanständige oder lächerliche Gedanken anklingt, sollte ihn ändern, wenn er auf Ehren, Beachtung und auf eine glückliche Laufbahn in Kunst und Wissenschaft Anspruch macht. Vernünftigerweise sollte ihm niemand dieses Recht bestreiten können, vorausgesetzt, daß der Name, den er annimmt, niemandem sonst gehört. Das Alphabet ist allgemeines Eigentum, und jeder ist frei, sich desselben zu bedienen, um ein Wort zu bilden und sich damit zu benennen. Aber er muß den Namen selber verfaßt haben. Voltaire würde trotz seinem Genie mit seinem Namen Arouet vielleicht nicht auf die Nachwelt gekommen sein, und besonders bei einem Volke, wo Zweideutigkeit und Lächerlichkeit stets in erster Reihe stehen. Wie hätte man in einem Schriftsteller, der à rouer (zu rädern) war, einen großen Mann finden können? Und würde d´Alembert seinen hohen Glanz und seine Berühmtheit erreicht haben, wenn er sich begnügt hätte, Herr Le Rond oder der Runde zu sein? Welches Aufsehen würde Metastasio unter seinem wahren Namen Trapasso gemacht haben? Welchen Eindruck würde Melanchthon mit seinem Namen Schwarzerde hervorgerufen haben? Würde er es gewagt haben, als Moralphilosoph und als Reformator der Eucharistie und so vieler anderer heiliger Dinge zu sprechen? Und hätte Herr von Beauharnais nicht die einen zum Lachen und die anderen zum Erröten gebracht, wenn er feinen Namen Beauvit beibehalten hätte, selbst wenn der erst seiner alten Familie der Wirklichkeit dieses Namens sein Glück verdankt hätte? Würden die Bourbeur (die Kotigen) auf dem Throne eine so schöne Figur gemacht haben wie die Bourbons? Die Coraglio würden sicher den Namen wechseln, wenn sie sich in Portugal niederlassen würden. Der König Poniatowski hätte, denke ich, den Namen Augustus, den er bei seiner Thronbesteigung angenommen hatte, ablegen sollen, als er auf die Königswürde verzichtete. Nur die Coleoni von Bergamo würden in Verlegenheit sein, wenn sie ihren Namen ändern sollten, denn sie wären gleichzeitig verpflichtet, das Zeichen ihres Wappens zu ändern, da sie auf dem Schild ihrer alten Familie die Hoden führen, und müßten dadurch den Ruhm des Helden Bartolomeo, ihres Ahnherrn, zerstören!

Gegen das Ende des Herbstes stellte mich mein Freund Fabris einer Familie vor, die so recht geschaffen war, Herz und Geist zu erquicken. Sie wohnte auf dem Lande in der Gegend von Zero. Es wurde gespielt, geliebelt, und man bemüht sich, gegenseitig sich Streiche zu spielen. Diese waren manchmal sehr derb; aber die Tapferkeit erforderte, über nichts böse zu werden, über alles zu lachen, denn wer keinen Scherz verstand, galt für einen Dummkopf.

Man ließ Betten zusammenfallen, ließ Gespenster erscheinen, man gab den jungen Damen harntreibende Pillen oder Zuckerplätzchen und zuweilen solche, von denen Blähungen erzeugt wurden, die man nicht zurückhalten konnte. Diese Scherze gingen manchmal ein bißchen weit, aber so war nun einmal der Geist der Gesellschaft: es sollte durchaus gelacht werden. Ich war im Handeln wie im Dulden nicht weniger tapfer als die anderen. Aber schließlich spielte man mir einen nichtswürdigen Streich, und dieser gab mir einen anderen ein, dessen schlimme Folgen der Manie, die alle Welt ergriffen hatte, ein Ende machten.

Wir machten gewöhnlich einen Spaziergaug zu einem Pachtgut, das auf dem gewöhnlichen Wege eine halbe Meile entfernt lag. Man kürzte den Weg aber um die Hälfte ab, wenn man auf einem schmalen Brett einen tiefen und kotigen Graben überschritt, und diesen Weg schlug ich immer ein trotz der Furcht unserer Schönen, die vor Angst zitterten, obwohl ich ihnen immer vorausging und ihnen von drüben die Hand reichte. Eines schönen Tages, als ich zuerst hinübergehe, um den Damen Mut zu machen, weicht das Brett ungefähr in der Mitte plötzlich unter mir, und ich liege in dem Graben, in einem stinkenden Kot eingehüllt, der mir bis zum Kinn geht, und trotz der Wut, die ich im Grunde des Herzens spüre, muß ich nach üblichem Brauch in die allgemeine Heiterkeit einstimmen, die indessen nur einen Augenblick dauerte, denn der Streich war abscheulich, und die ganze Gesellschaft erklärte ihn dafür. Man rief Bauern herbei, die mich mit großer Mühe und in einem kläglichen Aufzug herauszogen. Ein ganz neues Modell, mit Flittern gestickt, meine Spitzen, meine Strümpfe, mit einem Wort, alles war verdorben. Dessenungeachtet lachte ich stärker als die anderen, obgleich ich innerlich daran dachte, mich so grausam wie nur möglich zu rächen. Um den Urheber dieses schlechten Streiches kennenzulernen, brauchte ich nur zu schweigen und mich ruhig und gleichgültig zu zeigen. Es war ersichtlich, daß das Brett durchgesägt worden war. Man schaffte mich nach Hause und lieh mir ein Kleid, ein Hemd, überhaupt alles, denn, da ich diesmal nur auf vierundzwanzig Stunden anwesend war, so hatte ich nichts bei mir. Am nächsten Tag begab ich mich in die Stadt, und am Abend fand ich mich wieder bei der lustigen Gesellschaft ein. Fabris, der nicht weniger erzürnt war als ich, sagte mir, der Urheber des hinterlistigen Streiches müsse wohl sein Unrecht fühlen, denn er habe sich nicht entdeckt. Eine Zechine, die ich einer Bäuerin versprach, wenn sie mir sagen könnte, von wem das Brett durchgesägt worden wäre, enthüllte mir alles. Sie sagte mir, das Brett habe ein junger Mann durchgesägt, den sie mir nannte. Ich suchte ihn auf, und das Versprechen einer zweiten Zechine, noch mehr aber meine Drohungen veranlassten ihn zu gestehen, daß er von einem Herrn Demetrio dafür bezahlt worden wäre, einem griechischen Gewürzhändler im Alter von fünfundvierzig bis fünfzig Jahren, gut und liebenswürdig, dem ich keinen anderen Streich gespielt hatte, als daß ich ihm eine zierliche kleine Zofe weggeschnappt hatte, in die er verliebt war.

Zufrieden mit meiner Entdeckung, zerbrach ich mir den Kopf, welchen Streich ich ihm wohl spielen könnte. Damit aber meine Rache vollständig wäre, mußte mein Streich stärker sein als der, den er mir gespielt hatte. Meine Erfindungskraft ließ mich im Stich und zeigte mir nichts Befriedigendes. Ein Begräbnis zog mich aus der Verlegenheit.

Mit einem Jagdmesser bewaffnet begab ich mich ganz allein, kurz nach Mitternacht, auf den Friedhof, schaufelte den Toten aus, den man an demselben Tage begraben hatte, und schnitt nicht ohne Mühe ihm den Arm bei der Schulter ab. Nachdem ich den Leichnam wieder eingescharrt hatte, kehrte ich mit dem Arm des Toten in mein Zimmer zurück. Am nächsten Tage speiste ich mit der ganzen Gesellschaft zu Abend und begab mich darauf in mein Zimmer, wie wenn ich schlafen gehen wollte. Aber bald verließ ich es wieder, mit meinem Arm bewaffnet, schlich mich in das Zimmer des Griechen ein und verbarg mich unter seinem Bett. Eine Viertelstunde später tritt mein Mann ein, kleidet sich aus, löscht sein Licht aus und legt sich nieder. Ich warte, bis er anfängt einzuschlafen. Hierauf ziehe ich vom Bettende her nach und nach die Decke herab, so daß er bis zu den Hüften entblößt liegt.

Er begann zu lachen und sagte: »Wer Sie auch seien, gehen Sie und lassen Sie mich schlafen; ich glaube an keine Geister.«

Mit diesen Worten zog er die Decke wieder an sich und suchte wieder einzuschlafen. Ich wartete fünf oder sechs Minuten und begann ihn wieder zu entblößen. Allein, als er seine Decke wieder hinaufziehen wollte, indem er mir wiederholte, daß er keine Geister fürchtete, setzte ich ihm Widerstand entgegen. Er richtete sich auf, um die Hand fassen zu können, die die Decke hielt, aber ich richtete es so ein, daß er die Totenhand fand. Im Glauben, den Mann oder die Frau, die ihn neckte, zu halten, zog er lachend an ihr, ich aber hielt den Arm während einiger Augenblicke fest. Als ich ihn plötzlich losließ, fiel der Grieche auf seine Polster zurück und sprach kein Wort.

Da mein Stück ausgespielt war, ging ich leise davon, kehrte in mein Zimmer zurück und legte mich nieder.

Ich schlief tief, als plötzlich ein lautes Hin- und Herlaufen mich zeitig am Morgen weckte. Da ich den Grund nicht begriff, erhob ich mich, und die Frau des Hauses, der ich zuerst begegnete, sagte mir, was ich getan hätte, wäre zu stark.

»Was habe ich denn getan?«

»Herr Demetrio liegt im Sterben.«

»Habe ich ihn denn getötet?«

Sie ging fort, ohne mir zu antworten. Ich kleidete mich ein wenig erschrocken an, war aber auf alle Fälle entschlossen, den Unwissenden zu spielen. Ich ging in das Zimmer des Griechen. Dort fand ich das ganze Haus, und alle blickten mich mit Entsetzen an; man machte mir die heftigsten Vorwürfe. Ich beteuerte meine Unschuld, aber jeder lachte mir ins Gesicht. Der Erzpriester und der Meßner, die man geholt hatte, und die den Arm, der noch da war, nicht eingraben wollten, sagten mir, ich hätte ein großes Verbrechen begangen.

»Ich bin erstaunt, Hochwürden,« sagte ich zu dem Erzpriester, »über das vermessene Urteil, das man sich auf meine Rechnung zu fällen erlaubt, ohne durch irgendeinen Beweis dazu berechtigt zu sein.« »Sie, nur Sie allein,« riefen alle Anwesenden einstimmig, »sind einer solchen Abscheulichkeit fähig. Sie sieht Ihnen ähnlich. Kein anderer als Sie würde es zu tun gewagt haben.«

»Ich bin verpflichtet,« sagte der Erzpriester, »ein Protokoll aufzunehmen.«

»Wie Sie wollen, es steht vollkommen in Ihrem Belieben«, sagte ich zu ihm. »Aber ich sage Ihnen im voraus, daß ich nichts fürchte. Ich gehe.«

Als ich mich bei dem Mittagmahl ruhig und gleichgültig verhielt, sagte man mir, man habe dem Griechen zur Ader gelassen und er habe die Bewegung der Augen wieder erlangt, aber noch nicht die Sprache und den Gebrauch der Glieder. Am nächsten Tage sprach er, und ich erfuhr nach meiner Abreise, daß er blöde und an Krämpfen leidend geblieben wäre. Er hat den Rest seines Lebens in diesem traurigen Zustande zugebracht. Sein Schicksal betrübte mich, aber da ich nicht die Absicht gehabt hatte, ihm so viel Übles zuzufügen, so tröstete ich mich, indem ich daran dachte, daß der Streich, den er mir gespielt hatte, mir leicht das Leben hätte kosten können.

An demselben Tage entschloß sich der Erzpriester, den Arm wieder in das Grab legen zu lassen, und reichte zugleich bei der bischöflichen Kanzlei in Treviso eine förmliche Anklage gegen mich ein.

Gelangweilt von den Vorwürfen, die man mir machte, kehrte ich nach Venedig zurück. Vierzehn Tage darauf empfing ich eine Vorladung, wegen Gotteslästerung vor Gericht zu erscheinen. Ich bat Herrn Barbaro, sich nach der Ursache der besagten Vorladung zu erkundigen, denn es war eine gefürchtete Behörde. Ich wunderte mich, daß man gegen mich verfuhr, als ob man die Gewißheit gehabt hätte, daß ich ein Grab geschändet hätte, während man doch höchstens nur den Verdacht haben konnte. Aber es betraf nicht dieses. Herr Barbaro sagte am Abend, es sei eine Frau gegen mich klagbar geworden und habe Gerechtigkeit wegen der Schändung ihrer Tochter verlangt. Sie besagte in ihrer Klage, ich habe ihre Tochter nach der Zuecca gelockt und hätte sie mit Gewalt mißbraucht; zum Beweis fügte sie bei, daß ihre Tochter infolge der schlechten Behandlung, die ich ihr zugefügt hätte, um mein Ziel zu erreichen, im Bette läge.

Es war eine von den Klagen, die oft eingereicht werden, um einem ganz Unschuldigen Ausgaben und Verlegenheiten zu bereiten. Ich war unschuldig in bezug auf die Schändung. Allein es war wahr, daß ich das Mädchen ordentlich geprügelt hatte. Ich setzte meine Verteidigung auf und bat Herrn Barbaro, sie gütigst dem Gerichtssekretär überreichen zu wollen.

»Erklärung.

Ich erkläre, daß ich an dem und dem Tage der Frau mit ihrer Tochter begegnet bin und daß ich sie mit dem Anerbieten angesprochen habe, bei einem Limonadenhändler einzutreten, um uns dort zu erfrischen. Als sich dort die Tochter meinen Liebkosungen entzog, sagte die Mutter zu mir:

»Sie ist noch unberührt und hat recht, sich nicht hinzugeben, ohne Gewinn daraus zu ziehen.«

»Wenn das wahr ist,« sagte ich zu ihr, »so gebe ich Ihnen sechs Zechinen für die Erstlinge.«

»Sie können sich davon überzeugen«, sagte die Mutter zu mir.

Nachdem ich mich durch Berührung überzeugt und erkannt hatte, daß das möglich sein könnte, sagte ich zu ihr, sie möchte sie nachmittags auf die Zuecca führen; ich würde ihr dort die sechs Zechinen geben. Nachdem mein Angebot mit Freude angenommen worden war, führte mir die Mutter ihre Tochter zu und überließ sie mir am Ende des Gartens della Croce, wo sie uns, nachdem sie die sechs Zechinen empfangen, verließ und wegging.

Als ich meine erlangten Rechte ausüben wollte, fand das Mädchen, das, wie ich glaube, durch ihre Mutter unterrichtet war, ein Mittel, mich daran zu hindern. Zuerst gefielen mir diese Manöver, allein zuletzt wurde ich ermüdet und sagte ihr ernstlich, sie sollte ein Ende machen. Sie antwortete nur sanft, es wäre nicht ihre Schuld, wenn ich nicht könnte. Gereizt und gelangweilt brachte ich sie hierauf in eine Lage, die sie in Verlegenheit brachte. Aber sie sträubte sich mit aller Stärke und versetzte mich in die Unmöglichkeit, etwas zu unternehmen.

»Warum«, sagte ich zu ihr, »sträubst du dich?«

»Weil ich es nicht so will.«

»Du willst nicht?«

»Nein«

Hierauf brachte ich meine Kleider in Ordnung, nahm, ohne den geringsten Lärm zu machen, einen Besenstiel, der dort lag, und gab ihr einen tüchtigen Denkzettel, um wenigstens etwas für meine sechs Zechinen zu haben, die ich, töricht genug, im voraus bezahlt hatte. Aber ich habe ihr weder Arme noch Beine zerbrochen, da ich Sorge dafür trug, sie nur auf ihrem Allerwertesten zu züchtigen, wo sich alle Spuren meiner Züchtigung finden müssen. Am Abend zwang ich sie, sich wieder anzukleiden, und ließ sie in ein Boot steigen, das zufällig vorüberkam und das sie sicher übersetzte. Die Mutter des Mädchens erhielt sechs Zechinen, die Tochter hat ihre abscheuliche Jungfernschaft behalten, und wenn ich schuldig bin, so bin ich es nur deshalb, weil ich ein Mädchen geschlagen habe, die schändliche Schülerin einer noch schändlicheren Mutter.«

Meine Erklärung hatte keine Wirkung, denn der Beamte kannte das Mädchen, und die Mutter lachte darüber, mich betrogen zu haben. Die Bemühungen meiner Freunde nützten nichts. Man lud mich vor, ich erschien nicht. Es sollte ein Verhaftsbefehl wider mich erlassen werden, als die Klage wegen der Leichnamsschändung bei demselben Gericht eingebracht wurde. Es wäre für mich viel weniger schlimm gewesen, wenn diese zweite Angelegenheit vor den Rat der Zehn gekommen wäre, denn vielleicht würde mich ein Gericht vor dem anderen gerettet haben.

Dieses zweite Verbrechen, das im Grunde nur lächerlich war, wurde durch die geistliche Wichtigtuerei zu einer Felonie ersten Ranges gestempelt. Ich wurde aufgefordert, binnen vierundzwanzig Stunden persönlich zu erscheinen, und ich hatte die Gewißheit, daß sofort meine Verhaftung würde verfügt werden. Herr von Bragadino war wie immer ein guter Ratgeber und sagte mir, ich sollte, um den Sturm zu beschwören, Fersengeld geben. Diesen Rat fand ich sehr weise und traf, ohne eine Minute zu verlieren, meine Vorbereitungen.

Niemals habe ich Venedig mit größerem Bedauern verlassen als dieses Mal, denn ich hatte einige sehr angenehme galante Intrigen im Gange, und das Glück begünstigte mich im Spiel. Meine Freunde versicherten mir, daß in spätestens einem Jahr meine beiden Angelegenheiten unterdrückt sein würden, denn in Venedig kommt alles in Ordnung, sobald das Publikum vergessen hat.

Ich reiste bei Eintritt der Nacht ab und schlief am nächsten Tage in Verona. Ich hielt mich dort nicht auf, denn zwei Tage darauf ging ich schon in Mailand schlafen. Ich reiste allein, gut ausgestattet, ausgezeichnet mit Juwelen versehen, zwar ohne Empfehlungsbriefe, aber mit gut gespickter Börse, erfreute mich einer glänzenden Gesundheit und war dreiundzwanzig Jahre alt.

Ich ließ mir ein vortreffliches Mittagessen auftragen, denn damit muß man in einem großen Gasthof stets beginnen. Hierauf ging ich spazieren. Nachdem ich die Kaffeehäuser und die Promenaden nur angesehen hatte, ging ich ins Theater und war hochentzückt, als ich auf der Bühne Marina als Grotesktänzerin, mit beneidenswertem Beifall begrüßt, erscheinen sah. Sie verdiente es, denn sie tanzte ausgezeichnet; sie war groß, schön, vollkommen geformt und sehr anmutig. Ich faßte den Entschluß, wieder mit ihr anzuknüpfen, wenn sie frei wäre, und ließ mich nach der Oper zu ihr führen. Sie setzte sich gerade mit einem Herrn zu Tische, aber sobald sie mich erblickte, warf sie ihre Serviette weg und eilte auf mich zu, um mich zu küssen; ich erwiderte ihre Küsse, da ich infolge ihrer Liebkosungen das anwesende Individuum für bedeutungslos hielt. Der Diener legte sofort, ohne es sich sagen zu lassen, ein drittes Gedeck auf den Tisch, und Marina bat mich, mit ihr zu Nacht zu essen. Da ich mich verletzt fühlte, daß der Herr nicht aufgestanden war, um mich zu grüßen, so fragte ich, bevor ich Marinas Einladung annahm, wer der Herr wäre, indem ich sie bat, mich vorzustellen.

»Dieser Herr«, sagte sie mir, »ist der Graf Celi aus Rom, mein Liebhaber.«

»Ich mache dir mein Kompliment«, sagte ich zu ihr.

Und mich zu dem sogenannten Grafen wendend, fuhr ich fort: »Mein Herr, nehmen Sie unsere Zärtlichkeit nicht übel; Marina ist meine Tochter.«

»Eine H… ist sie!«

»Das ist wahr,« sprach Marina, »und du kannst es ihm glauben, er ist mein Zuhälter.«

Bei diesen Worten schleuderte ihr der rohe Mensch ein Glas Wasser ins Gesicht, aber sie wich ihm aus und lief davon. Der Strolch verfolgte sie, aber ich setzte ihm die Spitze meines Degens auf die Brust und rief:

»Halt! oder du bist des Todes!«

Sofort befahl ich Marina, mir leuchten zu lassen; sie aber warf schnell ihren Mantel über, hängte sich in meinen Arm und flehte mich an, sie wegzuführen.

Der angebliche Graf lud mich darauf ein, mich allein am nächsten Tage beim Apfelkasino einzufinden, um zu hören, was er mir zu sagen hätte. »Um vier Uhr nachmittags«, antwortete ich. Ich führte Marina in meinen Gasthof, wo ich sie in einem Zimmer neben dem meinen einquartieren ließ. Hierauf setzten wir uns zu Tisch.

Als Marina mich ein wenig nachdenklich sah, sagte sie:

»Bist du erzürnt, daß ich mich vor den Wutausbrüchen dieses rohen Menschen geflüchtet habe?«

»Nein, im Gegenteil, ich weiß dir Dank; aber sage mir jetzt, was ist das für ein Kerl?«

»Es ist ein gewerbsmäßiger Spieler, der sich Graf Celi nennt. Ich habe hier seine Bekanntschaft gemacht. Er kam mir entgegen, lud mich zum Abendessen ein, machte eine Spielpartie, nahm dabei einem Engländer, den er angelockt hatte, indem er ihm sagte, ich würde dabei sein, viel Geld ab und gab mir fünfzig Guineen, mit den Worten, er habe mich an der Bank beteiligt gehabt. Kaum war er mein Liebhaber geworden, so verlangte er, daß ich gegen alle gefällig wäre, die er betrügen wollte. Schließlich hat er sich ganz bei mir einquartiert. Die Aufnahme, die ich dir bereitete, hat ihm sichtlich mißfallen. Das übrige weißt du. Hier bin ich, und ich werde hier bis zu meiner Abreise nach Mantua wohnen, wo ich als erste Tänzerin engagiert bin. Mein Diener wird mir besorgen, was ich für diese Nacht nötig habe, und morgen werde ich ihm befehlen, mir alle meine Sachen zu bringen. Ich will den Schurken nicht mehr sehen. Ich will nur dir gehören, wenn du nicht wie in Korfu gebunden bist und wenn du mich noch liebst.«

»Ja, meine teure Marina, ich liebe dich, aber wenn du mein bist, muß es ungeteilt sein.«

»O, ganz gewiß! Ich habe dreihundert Zechinen; ich werde sie dir morgen geben und mache keine andere Bedingung, als daß ich dir angehören will.«

»Ich habe kein Geld nötig, und ich will an dir nur dich selbst. Also abgemacht, morgen abend werden wir ruhiger sein.«

»Du glaubst vielleicht, daß du dich schlagen wirst? Glaub nicht daran, mein Freund, ich kenne den Menschen, er ist ein Erzfeigling.«

»Ich muß mein Wort halten.«

»Ich weiß es wohl, aber er wird das seine nicht halten, und ich bin darüber entzückt.«

Wir wechselten hierauf das Gesprächsthema und sprachen von unseren Bekanntschaften; sie erzählte mir, sie habe sich mit ihren Brüdern entzweit, ihre Schwester sei Sängerin in Genua, und schließlich Bellino-Teresa sei noch immer in Neapel, wo sie fortfahre, die Herzöge zugrunde zu richten. Sie schloß mit den Worten:

»Ich bin die einzige Unglückliche.«

»Wieso unglücklich? Du bist schön geworden, eine ausgezeichnete Tänzerin. Sei weniger freigebig mit deinen Gunstbezeigungen, und du wirst auch jemanden finden, der es übernehmen wird, dein Glück zu machen.«

»Geizig mit meinen Gunstbezeigungen? Das ist schwer. Denn, wenn ich liebe, so bin ich außer mir, aber wenn ich nicht liebe, kann ich kein freundliches Gesicht machen. Aber einerlei, mein Freund, mit dir werde ich glücklich sein.«

»Marina, ich bin nicht reich, und meine Ehre würde mir nicht gestatten …«

»Schweig, ich verstehe dich.«

»Warum hast du keine Kammerfrau statt eines Dieners?«

»Du hast recht, das würde mir ein wenig mehr Achtung verschaffen. Allein mein Diener ist so gewandt, so treu!«

»Ich errate alles, was er ist; aber das schickt sich für dich nicht.«

Am nächsten Tage speiste ich mit ihr und ließ sie dann bei ihrer Theatertoilette; nachdem ich alle meine wertvollsten Sachen in die Taschen gesteckt hatte, ließ ich einen Fiaker kommen und begab mich nach dem Apfelkasino. Ich war überzeugt, daß ich meinen Schelm kampfunfähig machen würde und schickte daher den Wagen zurück. Ich fühlte, daß ich eine Dummheit machte, mein Leben gegen einen derartigen Menschen aufs Spiel zu setzen, und daß ich ihm wohl mein Wort brechen konnte, ohne ehrlos zu werden. Aber ich hatte tatsächlich Lust, mich zu schlagen, und da mir das Recht ganz auf meiner Seite zu sein schien, so fand ich die Sache köstlich. Ein Besuch bei einer Tänzerin, ein unverschämter sogenannter vornehmer Mann, der sie in meiner Gegenwart beschimpft, sie töten will, der sie sich unter der Nase entführen läßt und der mir, statt Widerstand zu leisten, ein Stelldichein gibt. Mir schien, wenn ich es versäumt hätte, so würde ich ihm ein Recht gegeben haben, mich für einen Feigling zu halten.

Da der angebliche Graf noch nicht zum Stelldichein gekommen war, so ging ich in ein benachbartes Kaffeehaus, um ihn zu erwarten. Ich fand dort einen jungen Franzosen mit einnehmenden Gesichtszügen und sprach ihn an. Da mir seine Unterhaltung gefiel, so sagte ich ihm, sobald ein Individuum käme, das mich erwartete, erfordere meine Ehre, daß man mich allein fände, und ich bat ihn, bei dessen Annäherung zu verschwinden. Eine Viertelstunde darauf sah ich meinen Gegner kommen, aber in Begleitung eines anderen Herrn. Bei diesem Anblick sagte ich dem Franzosen, er würde mir ein Vergnügen machen, wenn er bliebe, was er wie eine Lustpartie annahm. Mein Mann trat mit seinem Begleiter ein, der eine Klinge von wenigstens vierzig Zoll trug und dessen Miene einen wahren Halsabschneider ankündigte. Ich erhob mich, indem ich mit einem trockenen Ton zu dem Schurken sagte:

»Sie haben mir gesagt, Sie würden allein kommen!«

»Mein Freund ist nicht überflüssig, da ich nur herkomme, um mit Ihnen zu sprechen.«

»Wenn ich das gewußt hätte, würde ich mich nicht hinaus bemüht haben. Aber keinen Lärm; sagen wir uns zwei Worte, wo wir von niemand gesehen werden. Folgen Sie mir.«

Ich ging mit dem Franzosen hinaus, der, da er den Ort kannte, mich an die günstigste Stelle führte, und da blieben wir stehen, um die beiden Sekundanten zu erwarten, die langsamen Schrittes und miteinander plaudernd herankamen. Sobald sie nur noch zehn Schritte entfernt waren, zog ich meinen Degen, indem ich meinem Gegner sagte, er sollte sich decken. Der Franzose zog ebenfalls und hielt seinen Degen unter dem Arm.

»Zwei gegen einen!« sagte Celi.

»Lassen Sie Ihren Freund fortgehen, und der Herr wird sich ebenfalls entfernen. Übrigens hat Ihr Freund einen Degen, und demnach sind wir zwei gegen zwei.

»Ja,« sagte der Franzose, »machen wir eine Partie carrée.«

»Ich schlage mich nicht mit einem Tänzer«, sagte der Bandit.

Bei diesen Worten nähert sich mein Sekundant, indem er zu ihm sagte, daß ein Tänzer wohl soviel wert wäre als ein Hundsfott, und dabei verabreichte er ihm einen tüchtigen Schlag mit der flachen Klinge. Ich folgte seinem Beispiele bei Celi, der mit seinem Genossen zurückwich, indem er rief, er wolle mir nur ein Wort sagen sich hierauf mit mir schlagen.

»Sprechen Sie.«

»Sie kennen mich, und ich kenne Sie nicht, sagen Sie mir, wer Sie sind.«

Statt aller Antwort begann ich mächtig auf ihn loszuhauen, und der Franzose entwickelte in derselben Weise den größten Eifer auf dem Rücken des anderen. Da jedoch unsere beiden Memmen sich so schnell als möglich davonmachten, so waren wir genötigt, unsere Klingen wieder einzustecken. Das war also das große Duell, das noch lächerlicher endete, als Marina es vorhergesagt hatte.

Mein tapferer Franzose erwartete Gesellschaft, ich verließ ihn mit der Bitte, nach dem Theater zu mir zum Essen zu kommen. Ich sagte ihm den Namen, den ich mir bei dem Torschreiber gegeben hatte, und den Gasthof, wo ich wohnte.

Ich fand bei meiner Rückkehr Marina und erzählte ihr, wie die Angelegenheit abgelaufen wäre.

»Ich werde,« sagte sie zu mir, »diese lustige Geschichte dem ganzen Theater erzählen. Das größte Vergnügen macht es mir,« fügte das reizende Mädchen hinzu, »daß dein Sekundant, wenn er wirklich Tänzer ist, nur Herr Balletti sein kann, der mit mir in Mantua tanzen soll.«

Nachdem ich meine Juwelen und meine Papiere wieder in meinen Koffer zurückgelegt hatte, begab ich mich in das Parterre der Oper, wo ich Balletti sah, der, kaum daß er mich erblickt hatte, alle Welt auf mich aufmerksam machte, indem er den Vorgang seinen Bekanntschaften erzählte. Er kam am Schluß der Oper mit mir zusammen, und ich nahm ihn mit nach Hause. Marina, die sich beeilt hatte, zurückzukehren, kam in mein Zimmer, sobald sie mich sprechen hörte, und ich genoß die Überraschung meines liebenswürdigen Franzosen, als er die Gefährtin sah, um derentwillen er sich entschließen sollte, Halbcharaktere zu tanzen, denn Marina, obwohl ausgezeichnete Tänzerin, konnte sich nicht dem Wagnis aussetzen, ernste Tänze auszuführen. Die beiden liebenswürdigen Jünger der Terpsichore, die sich niemals zusammen befunden hatten, erklärten sich bei Tische einen verliebten Krieg, der mir die Mahlzeit auf eine sehr angenehme Weise würzte. Denn da es sich um einen Genossen handelte, so nahm Marina einen Ton an, der den Umständen angepaßt und ganz verschieden von dem war, den sie anderen Männern gegenüber anschlug. Übrigens übertraf sich Marina an diesem Abend an Liebenswürdigkeit und guter Laune, denn sie hatte außerordentlichen Beifall erhalten, als man die Geschichte des vorgeblichen Grafen Celi erfahren hatte.

Es fanden nur noch zehn Vorstellungen statt und da Marina den Tag nach der letzten abreisen wollte, beschlossen wir, das gemeinschaftlich zu tun. Unterdessen bat ich Balletti – das war der italienische Name, den er angenommen hatte – für die ganze Zeit unser Tischgenosse zu sein. Ich faßte für den liebenswürdigen jungen Mann eine Freundschaft, die viel Einfluß auf meine ferneren Lebensschicksale gehabt hat, wie der Leser sehen wird. Er hatte viel Talent als Tänzer, aber das war nur die geringste seiner Eigenschaften. Er war tugendhaft, hatte eine große und edle Seele, er hatte seine Studien gemacht und die beste Erziehung empfangen, die man zu jener Zeit in Frankreich einem Mann von Stande gehen konnte.

Schon am dritten Tage bemerkte ich daß Marina ihren Kollegen zu fesseln wünschte. Da ich fühlte, wie vorteilhaft das für dieses junge Mädchen sein würde, so entschloß ich mich, ihr beizustehen. Sie hatte einen zweisitzigen Postwagen, und ich überredete sie leicht, Balletti mit sich zu nehmen, da ich aus Gründen, die ich ihr nicht anvertrauen könnte, genötigt wäre, in Mantua allein anzukommen. In der Tat wurde man, wenn man mich dort mit ihr hätte ankommen sehen, gesagt haben, ich sei in sie verliebt, und dies wollte ich nicht. Balletti war von dem Anerbieten entzückt, aber er wollte durchaus seinen Anteil an den Reisekosten zahlen, und das wollte Marina nicht zugeben. Die Gründe, die der junge Mann vorbrachte, waren sehr triftig, und ich hatte die größte Mühe, ihn zu überreden, daß er das Anerbieten seiner Kollegin annehme. Schließlich kam ich doch zum Ziel. Ich versprach ihnen, sie zum Mittag- und Abendessen zu erwarten, und reiste am festgesetzten Tage eine Stunde vor ihnen ab.

Bei guter Zeit in Cremona angekommen, wo wir schlafen sollten, ging ich aus, um einen Spaziergang zu machen und trat in ein Kaffeehaus. Ich machtest die Bekanntschaft eines französischen Offiziers, und wir gingen zusammen fort, um einen kleinen Spaiergang zu machen. Eine reizende Frau kam in einem Wagen vorüber, er näherte sich ihr, um mit ihr zu sprechen, und die Dame ließ halten. Nach ein paar kurzen Worten gesellte sich der Offizier wieder zu mir.

»Wer ist die schöne Dame?« fragte ich ihn.

»Eine reizende Frau, von der ich Ihnen eine Anekdote erzählen will, die wohl verdiente, der Nachwelt überliefert zu werden. Sie werden mich nicht der Übertreibung beschuldigen,« begann er, »denn das, was ich Ihnen erzählen will, ist stadtbekannt.

Die liebenswürdige Dame, die Sie soeben sahen, zeichnet sich noch mehr durch ihren Geist als durch ihre Schönheit aus, und hier ist eine Probe davon. Ein junger Offizier, der ihr neben anderen den Hof machte, als der Marschall von Richelieu in Genua kommandierte, schmeichelte sich, mit ihr besser zu stehen als alle anderen. Eines Tages gab er im Kaffeehaus einem seiner Kameraden den Rat, seine Zeit nicht damit zu verlieren, ihr den Hof zu machen, ›denn‹, sagte er, ›Sie können überzeugt sein, nie etwas zu erreichen‹. – ›Mein Teurer,‹ sagte ihm der andere, ›ich würde sehr viel Grund haben, Ihnen diesen Rat selbst zu erteilen, denn ich habe alles erlangt, was ein begünstigter Liebhaber nur erlangen kann.‹ – ›Ich bin überzeugt, daß Sie lügen,‹ sagte der andere zu ihm, ›und ich bitte Sie, mir zu folgen.‹ ›Nichts lieber,‹ sagte der Indiskrete. ›Aber wozu die Wahrheit von einem Duell abhängig machen und sich die Kehle abschneiden, wenn ich Ihnen die Tatsache durch sie selbst bestätigen lasset?‹ ›Ich wette fünfundzwanzig Louis auf das Gegenteil‹, versetzte der Ungläubige. – ›Ich nehme die Wette an; gehen wir.‹ – Die beiden Nebenbuhler gingen zusammen fort und begaben sich schnurstracks zu der Dame, die Sie soeben sahen, um sie erklären zu lassen, wer von den beiden die fünfundzwanzig Louis gewonnen hätte.

Sie fanden sie bei ihrer Toilette. ›Ei, meine Herren,‹ sagte sie zu ihnen, als sie sie eintreten sah, ›welcher gute Wind weht denn Sie zusammen zu dieser Stunde her?‹

›Eine Wette, gnädige Frau‹, sagte der Ungläubige. ›Und nur Sie können die Schiedsrichterin in dem Streit sein, der sie verursachte. Der Herr rühmt sich, von Ihnen alles erlangt zu haben, was eine Frau dem begünstigten Liebhaber gewähren kann. Ich habe ihn in aller Form Lügen gestraft, was zu einem Duell führen sollte, als er mir vorgeschlagen hat, es durch Sie selbst bestätigen zu lassen. Ich habe fünfundzwanzig Louis gewettet, daß Sie es nicht zugeben würden, und er hat die Wette angenommen. Gnädige Frau entscheiden Sie.‹ – ›Sie haben verloren, mein Herr,‹ sagte sie zu ihm, ›jetzt aber bitte ich Sie alle beide mich zu verlassen, und ich sage Ihnen im voraus, daß Sie es bereuen könnten, wenn Sie es wagten, sich hier wieder blicken zu lassen.‹

Die beiden unbesonnenen Menschen gingen sehr niedergeschlagen hinaus. Der Ungläubige bezahlte, aber in seinem Arger nannte er den Sieger einen Laffen, und eine Woche später tötete er ihn im Duell.

Seit dieser Zeit geht die Dame ins Kasino, besucht die Gesellschaft, aber empfängt nicht mehr zu Hause; mit ihrem Mann lebt sie recht gut.«

»Wie hat der Gatte die Sache aufgenommen?«

»Auf das beste, als Mann von Geist. Er hat gesagt, er hätte sich scheiden lassen, wenn seine Frau anders gehandelt hätte, denn dann würde niemand gezweifelt haben.«

»Dieser Gatte ist ein kluger Mann. Wenn seine Frau den unverschämten Schwätzer Lügen gestraft hätte, so hätte er natürlich die Wette gezahlt. Allein lachend hätte er seine Behauptung aufrechterhalten, und alle Welt würde ihm geglaubt haben. Indem sie ihn als Sieger erklärte, hat sie kurz abgeschnitten und ein Urteil gehemmt, das sie entehrt haben würde. Der Indiskrete hatte doppelt unrecht und mußte dafür mit seinem Leben bezahlen, aber sein Gegner war nicht weniger unzart als er, denn in derartigen Dingen gestatten sich Leute von guter Erziehung keine Wetten. Wer auf Ja wettet, ist ein Unverschämter, wer auf das Nein hält, ein Dummkopf. Mir gefällt die Geistesgegenwart der Dame.«

»Aber was halten Sie von der Sache?«

»Ich halte sie für unschuldig.«

»Ich glaube es wie Sie, und so ist die allgemeine Meinung, man behandelt sie überall viel besser als früher. Kommen Sie ins Kasino, Sie werden sich überzeugen, und ich werde Sie ihr vorstellen.« Ich lud den Offizier ein, mit uns zu speisen, und seine Gesellschaft machte den Abend sehr angenehm. Als er fort war, sah ich mit Vergnügen, daß Marina fähig war, den Anstand zu beobachten. Sie hatte ein Zimmer für sich genommen, um nicht ihren achtungswerten Genossen zu beleidigen.

In Mantua kehrte ich im Gasthof San Marco ein, und Marina, die ich verständigt hatte, daß ich sie nur selten zu sehen gedächte, bezog die Wohnung, die ihr der Unternehmer bestimmt hatte.

Nachdem ich am Nachmittag vor der Stadt spazierengegangen war, trat ich bei einem Buchhändler ein, um zu sehen, was es Neues gäbe. Ohne daß ich es bemerkte, brach die Nacht herein; man sagte mir, man wolle den Laden schließen, und ich ging. Nach einigen Schritten hielt mich eine Patrouille an, und der Offizier, der sie kommandierte, sagte mir, er müsse mich, da ich keine Laterne hätte und es zwei Uhr wäre, auf die Wache führen. Ich hatte gut einwenden, daß ich diesen Tag erst angekommen wäre, den Befehl nicht gekannt hätte, ich mußte mich fügen.

Auf der Wache angelangt, stellte mich der Offizier seinem Hauptmann vor, einem großen und schönen jungen Mann, der mich mit der fröhlichsten Miene empfing. Ich bat ihn, mich gütigst in meinen Gasthof zurückführen zu lassen, da ich der Ruhe bedürftig sei. Er antwortete mir lachend:

»Bei Gott, nein! Denn ich will, daß Sie mit mir und in guter Gesellschaft eine lustige Nacht verbringen. Geben Sie dem Herrn seinen Degen«, sagte er dem Unteroffizier, der ihn trug; dann zu mir: »Ich will Sie, mein Herr, hier nur als einen Freund, meinen Gast betrachten.«

Diese Art, Gesellschaft einzuladen, so despotisch sie im Grunde war, erschien mir angenehm, und ich bezeigte durch mein Schweigen meine Zustimmung. Er gab einem deutschen Soldaten einige Befehle, und eine Stunde darauf deckte man einen Tisch mit vier Kuverts. Nachdem zwei andere Offiziere angekommen waren, aßen wir sehr fröhlich. Beim Nachtisch vermehrte sich die Gesellschaft um zwei widerliche, schamlose Weibsbilder. Nachdem das Tischtuch abgenommen war, bedeckte man den Tisch mit einem Teppich, und einer der Offiziere schickte sich an, eine Pharaobank zu halten. Ich pointierte, um es wie die anderen zu machen, und nachdem ich einige Zechinen verloren hatte, erhob ich mich, um Luft zu schöpfen, denn wir hatten Bacchus stark zugesprochen. Die eine der beiden Unglücklichen folgte mir und band mit mir an, um mich schließlich, trotz meinem Widerwillen, auf sechs Wochen krank zu machen. Nach dieser traurigen Heldentat ging ich wieder hinein.

Ein junger, sehr liebenswürdiger Offizier, der fünfzehn oder zwanzig Zechinen verloren hatte, fluchte wie ein Grenadier, weil der Bankier sein Geld einzog und die Bank aufhob. Dieser junge Mann hatte viel Geld vor sich und behauptete, der Bankier hätte ihn verständigen müssen, daß dies die letzte Taille war.

»Mein Herr,« sagte ich höflich zu ihm, »Sie haben unrecht, denn das Pharao ist das freieste aller Spiele. Warum halten Sie nicht selbst die Bank?«

»Das würde mich langweilen, denn die Herren machen lächerlich kleine Sätze. Aber, wenn es Ihnen Spaß macht,« fügte er lachend hinzu, »halten Sie doch selbst die Bank.«

»Herr Hauptmann, wollen Sie sich mit einem Viertel beteiligen?«

Er nahm es an.

»Meine Herren,« sagte ich, »ich habe die Ehre, Ihnen mitzuteilen, daß ich nur sechs Taillen machen werde.«

Ich verlangte neue Karten und legte dreihundert Zechinen auf den Tisch. Der Hauptmann schrieb auf den Rücken einer Karte: »Gut für hundert Zechinen, O’Neilan.« Nachdem ich diese zu meinem Gold gelegt hatte, begann ich.

Ganz vergnügt sagte der junge Offizier: »Es ist möglich, daß Ihre Bank vor dem Schluß der sechsten Taille endet.«

Ich antwortete nichts und fuhr fort.

Bei der fünften Taille lag meine Bank in den letzten Zügen, mein junger Offizier triumphierte. Ich überraschte ihn ein wenig, indem ich ihm sagte, ich wäre entzückt, zu verlieren, denn seitdem er gewänne, fände ich ihn viel liebenswürdiger.

Es gibt Höflichkeiten, die der Person, an die sie gerichtet sind, Unglück bringen. Und das war hier der Fall, denn mein Kompliment verwirrte ihm den Kopf. Während der fünften Taille ließ ihn eine Sintflut von ungünstigen Karten alles, was er gewonnen hatte, verlieren, und, da er das Glück während der sechsten Taille zwingen wollte, so spielte er wie ein wahrer Tollkopf und verlor alles Geld, das er vor sich hatte.

»Mein Herr,« sagte er zu mir, »Sie haben mit Glück gespielt, ich verlange von Ihnen für morgen meine Revanche.«

»Die würde ich mit großem Vergnügen geben, mein Herr,« sagte ich zu ihm, »aber ich spiele nur, wenn ich im Arrest bin.«

»Ich zählte mein Geld; ich hatte zweihundert Zechinen gewonnen, überdies eine Schuld von fünfzig Zechinen eines Offiziers, der auf sein Wort gespielt und verloren hatte, und die O’Neilan auf seine Rechnung nahm. Ich bezahlte ihm seinen Teil, und mit Tagesanbruch ließ er mich gehen.

Bei der Rückkehr in meinen Gasthof legte ich mich nieder, und bei meinem Erwachen sah ich den Hauptmann Laurent eintreten, denselben, der auf Wort gespielt hatte. Da ich glaubte, daß er gekommen wäre, um mich zu bezahlen, so sagte ich ihm, er wäre der Schuldner des Herrn O’Neilan, aber er antwortete mir, er wäre gekommen, um mich zu bitten, ihm sechs Zechinen auf sein schriftliches Ehrenwort zu leihen, in welchem er sich verpflichtete, mir sie binnen acht Tagen zu bezahlen. Ich gab sie ihm, und da er mich gebeten hatte, niemandem etwas davon zu sagen, so sagte ich zu ihm: »Ich verspreche es Ihnen, aber vergessen Sie nicht Ihr Wort.«

Am nächsten Tage fand ich mich krank, und der Leser weiß warum. Ich hielt Diät, was in diesem Alter sehr langweilig ist, aber ich war darin standhaft, und ich befand mich wohl dabei.

Drei oder vier Tage später besuchte mich Hauptmann O’Neilan, und als ich ihm gesagt hatte, daß ich krank wäre, begann er zu lachen, was mich sehr überraschte.

»Sie waren also gesund?« sagte er zu mir.

»Ich befand mich vortrefflich.«

»Ich ärgere mich, daß Sie Ihre Gesundheit an diesem schlechten Ort verloren haben. Ich würde Sie verständigt haben, wenn ich es geahnt hätte.«

»Sie wußten es also?«

»Bei Gott, ob ich es wußte. Es ist nur eine Woche her, daß ich Ihr Vorgänger war, und ich glaube, damals war sie nicht krank.« »Ich bin also Ihnen für das Geschenk verpflichtet, daß sie mir gemacht hat.«

»Das ist möglich, aber es ist eine Kleinigkeit, denn Sie können leicht geheilt werden, wenn Ihnen das Spaß macht.«

»Und macht es Ihnen etwa keinen Spaß?«

»Meiner Treu, nein. Eine Diät würde mir zuviel Langeweile verursachen. Und warum eine solche Kleinigkeit heilen, wenn man überzeugt ist, daß es keine vierzehn Tage dauert, bis man wieder rückfällig wird. Ich habe zehnmal diese Geduld gehabt, aber ich bin dessen überdrüssig geworden, und seit zwei Iahren lasse ich die Sache gehen.«

»Ich beklage Sie, denn wie ich Sie so sehe, würde Ihnen das Glück in der Liebe nicht oft feindlich sein.«

»Ich mache mir nichts daraus. Die Sorgen, die sie kostet, sind mir eine größere Last, als die kleine Unbequemlichkeit, an die ich mich gewohnt habe.«

»Ich denke nicht wie Sie, denn das Liebesvergnügen ist geschmacklos, wenn nicht die Liebe es würzt. Finden Sie zum Beispiel, daß dieses Scheusal das Leiden wert ist, das ich gegenwärtig ertragen muß?«

»Gewiß nicht, und deswegen ärgere ich mich darüber. Wenn ich es gewußt hätte, so würde ich Ihnen eine bessere Bekanntschaft verschafft haben.

»Die beste dieser Art ist die Gesundheit nicht wert, die man nur der Liebe opfern soll.«

»Sie wollen also Frauen, die würdig find, geliebt zu werden? Wir haben hier einige solche. Bleiben Sie, und wenn Sie geheilt sind, werden Sie Eroberungen machen können.« O’Neilan war dreiundzwanzig Jahre alt. Sein Vater war als General gestorben, und die schöne Gräfin Borsati war seine Schwester. Er zeigte mir eine Gräfin Zanardi Nerli, die noch schöner war, aber ich besaß die Klugheit, keiner der Damen meine Huldigung anzubieten. Es schien mir, als ob alle Welt meinen Zustand erriete.

Ich habe niemals einen ausschweifenderen jungen Menschen gefunden. Oft habe ich die Nächte mit ihm durchschwärmt und mich über seine Verwegenheit und seinen Zynismus verwundert. Indessen war er edel, großmütig, tapfer und voll Ehrgefühl.

Wenn die jungen Offiziere damals sich so viele unmoralische Dinge, so viele Schändlichkeiten erlaubten, was gewiß nicht selten vorkam, so waren weniger sie selber daran schuld, als die Privilegien, die man sie aus Gewohnheit, Nachsicht oder Kastengeist genießen ließ. Hier ein Beispiel davon:

Eines Tages sprengte O’Neilan ein wenig angetrunken mit verhängtem Zügel durch die Stadt. Eine alte Frau, die über die Straße ging, hatte keine Zeit auszuweichen; sie brach zusammen, und ihr Kopf wurde von den Hufen des Pferdes zerschmettert. O’Neilan begab sich in Arrest, aber schon am nächsten Tage war er wieder in Freiheit, denn er brauchte nur zu sagen, es sei ein zufälliges Ereignis gewesen.

Da der Offizier, der mir den Ehrenschein über sechs Zechinen ausgestellt hatte, am Ende der Woche nicht gekommen war, so sagte ich ihm auf der Straße, ich hielte mich nicht mehr für verpflichtet, Verschwiegenheit zu bewahren.

Anstatt sich zu entschuldigen, erwiderte er nur: »Das ist mir gleichgültig.«

Da mir diese Antwort beleidigend erschien, so dachte ich daran, mir Genugtuung zu verschaffen, aber am nächsten Tage sagte mir O’Neilan, Hauptmann Laurent sei irrsinnig geworden und man habe ihn eingesperrt. Er genas in der Folge, aber seine schlechte Aufführung verursachte, daß er aus dem Korps gestoßen wurde.

O’Neilan, tapfer wie Bayards Schwert, fiel zehn Jahre später bei der Schlacht von Prag. So wie er war, mußte er als Opfer von Mars oder Venus umkommen. Er würde vielleicht noch leben, wenn er nur den Mut des Fuchses gehabt hätte, aber er hatte den des Löwen. Bei einem Soldaten ist das eine Tugend, aber bei einem Offizier ist es fast ein Fehler. Wer der Gefahr mit Kenntnis der Ursache trotzt, ist hohen Lobes würdig, wer sie aber nicht kennt, entrinnt ihr nur durch ein Wunder und ohne Verdienst. Man muß indessen die großen Krieger ehren, denn ihr unbezähmbarer Mut kann nur die Wirkung einer starken Seele, eine Art von Tugend sein, die sie über die anderen Sterblichen erhebt.

Jedesmal, wenn ich an den Prinzen Charles de Ligne denke, vergieße ich Tränen. Er war mutig wie Achilles, aber Achilles war unverwundbar. Er würde vielleicht noch leben, wenn er während der Schlacht sich hätte erinnern können, daß er sterblich wäre. Wer sind diejenigen, die ihn gekannt haben und die nicht Tränen zu seinem Gedächtnis vergossen haben? Er war schön, sanft, höflich, sehr unterrichtet, Kunstliebhaber, heiter, lustig in seinen Gesprächen, treu im Umgang und immer gleich in der Laune. Unglückselige und schreckliche Revolution! Ein Kanonenschuß hat ihn seiner Familie, seinen Freunden und dem Glück, das ihm zu lächeln schien, entrissen.

Der Prinz von Waldeck hat seine edle Unerschrockenheit auch mit einem Arme bezahlt! Man sagt, er tröste sich über diesen Verlust durch den Gedanken, daß er mit dem, der ihm bleibt, noch eine Armee kommandieren könne.

O ihr, die ihr das Leben verachtet, sagt mir, ob ihr denkt, euch durch diese Verachtung würdiger zu machen!

Die Oper begann unmittelbar nach Ostern. Ich ging alle Tage hin, denn da ich vollkommen genesen war, so nahm ich meine alte Lebensweise wieder auf. Ich freute mich, zu sehen, daß Balletti seine Freundin in ein vorteilhaftes Licht zu setzen wußte. Ich ging nicht zu ihr, aber Balletti kam fast jeden Morgen, um mit mir zu frühstücken.

Er hatte mit mir oft von einer alten Schauspielerin gesprochen die seit zwanzig Iahren das Theater verlassen hätte und die, wie sie sagte, eine Freundin meines Vaters gewesen wäre. Eines Tages bekam ich Lust, sie zu sehen und er führte mich zu ihr.

Ich sah eine abgelebte Alte, deren Putz mich ebenso erstaunte wie ihre ganze Person. Trotz ihren Runzeln war ihr Gesicht rot und weiß geschminkt, und ihre Augenbrauen von tiefster Schwärze verdankten ihre Farbe chinesischer Tusche. Sie ließ die Hälfte ihrer welken und widerlichen Brust sehen, und man konnte sich über ihr künstliches Gebiß nicht täuschen. Sie hatte eine Perücke, die sehr schlecht anklebte und einige Haare erblicken ließ, die der Verheerung der Jahre entgangen waren. Ihre zitternden Hände ließen die meinen erzittern, als sie mir sie drückte. Sie roch auf zwanzig Schritte nach Ambra, und ihr geziertes Wesen ekelte mich zugleich an und machte mich lachen. Ihr sehr gesuchter Anzug mochte zwanzig Jahre früher neueste Mode gewesen sein. Ich sah mit Schrecken die furchtbaren Spuren des abscheulichen Alters auf einem Antlitz, das, bevor es die Jahre welk machten, schön gewesen sein mußte. Am meisten aher wunderte mich die kindliche Unverschämtheit, womit dieser Ausschuß der Zeit noch seine vorgeblichen Reize zur Schau trug.

Balletti fürchtete, mein allzu sichtliches Erstaunen hätte sie verletzt, und sagte ihr, am meisten entzücke mich, daß die Zeit nicht die Macht gehabt hätte, die schöne Erdbeere, die auf ihrer Brust glänze, zum Welken zu bringen. Das war ein Mal, das einer Erdbeere glich. »Dieser Erdbeere«, sagte die Matrone zu mir mit grinsendem Lächeln, »verdanke ich meinen Namen. Ich bin noch und werde immer sein die Fragoletta.« Bei diesen Worten konnte ich mich nicht eines Bebens enthalten.

Ich hatte vor mir das unglückselige Schattenbild, das die Ursache meines Daseins war. Ich sah das Weib, das durch sein Blendwerk meinen Vater dreißig Jahre früher verführt hatte, denn ohne sie würde er nicht daran gedacht haben, das väterliche Haus zu verlassen und wahrscheinlicherweise mich niemals mit einer Venezianerin gezeugt haben. Ich habe nie die Meinung des Alten geteilt, der gesagt hat: Nemo vitam vellet si daretur scientibus. – Niemand würde etwas vom Leben wissen wollen, wenn er wüßte, was es ihm bringen wird.

Da sie mich zerstreut sah, fragte sie Balletti höflich um meinen Namen, denn er hatte mich einfach als einen Freund vorgestellt und ihr meinen Besuch nicht vorher angemeldet. Als sie hörte, daß ich mich Casanova nannte, war ihre Überraschung außerordentlich. »Ja, meine Gnädige,« sagte ich zu ihr, »ich bin der Sohn Gaetano Casanovas aus Parma.«

»Was höre ich! Was sehe ich! Ach mein Freund, ich betete Ihren Vater an. Mit Unrecht eifersüchtig, hat er mich verlassen. Sie würden sonst mein Sohn gewesen sein! Lassen Sie mich Sie umarmen wie eine zärtliche Mutter.«

Ich war darauf gefaßt, und aus Furcht, daß sie fiele, kam ich ihrer Umarmung entgegen und lieferte mich ihrer zärtlichen Erinnerung aus. Noch immer Schauspielerin, führte sie ihr Taschentuch an ihre Augen, als trocknete sie eine Träne, indem sie mir versicherte, ich dürfe nicht an ihren Worten zweifeln, obwohl sie nicht das Aussehen einer alten Frau habe.

»Der einzige Fehler Ihres teueren Vaters«, sagte sie hierauf, »war die Undankbarkeit.«

Sie wird ohne Zweifel dasselbe Urteil über den Sohn gefällt haben, da ich trotz ihrer verbindlichen Einladung nie mehr ihr Haus betrat.

Da meine Börse gut gefüllt war und Mantua mir nichts Anziehendes mehr bot, so entschied ich mich, nach Neapel zu reisen, um meine teure Teresa, Donna Lucrezia, Don Polo Vater und Sohn, Don Antonio Casanova und alle meine alten Bekanntschaften wieder zu sehen. Dieser Plan war ohne Zweifel meinem Schutzgeist nicht recht, denn er widersetzte sich seiner Ausführung. Ich würde drei Tage später abgereist sein, wenn ich nicht Lust bekommen hätte, in die Oper zu gehen.

Während der zwei Monate, die ich in Mantua verbrachte, kann ich sagen, daß ich vernünftig gelebt habe, weil ich am ersten Tage eine Torheit begangen hatte. Ich spielte nur jenes eine Mal, und glücklich. Und da mein kleines Liebespech mich nötigte, Diät zu halten, so bewahrte ich mich dadurch vielleicht vor größerem Unglück, dem ich sonst nicht entgangen sein wurde.