Fortsetzung des vorigen Kapitels. – Erstes Beisammensein mit M. M.– Brief von C. C. – Meine zweite Zusammenkunft mit der Nonne in meinem prachtvollen Kasino in Venedig. – Ich bin glücklich.

Nichts ist dem denkenden Menschen teurer als sein Leben, nichts kann ihm teurer sein. Trotzdem verstehen gerade die sinnlichsten Menschen, nämlich diejenigen, die vom Leben den höchsten Genuß zu haben trachten, am vollkommensten die schwierige Kunst, das Leben schnell verstreichen zu lassen und es abzukürzen. Nicht daß sie die Absicht hätten, es zu verkürzen, denn im Gegenteil, man möchte es ewig dauern machen, um ewig zu genießen; aber man wünscht, daß im Genießen das Lehen unmerklich verstreicht, und darin hat man recht – vorausgesetzt, daß man nicht gegen seine Pflichten verstößt. Doch darf der Mensch sich nicht einbilden, nur das als Pflicht ansehen zu können, was seinen Sinnen angenehm ist; dies wäre ein großer Irrtum, dem er schließlich wohl gar zum Opfer fallen könnte. Ich glaube, mein Lieblingsdichter Horaz irrte, als er zu Florus sagte:

… Nec metuam quid de me judicet heres
Quod non plura datis inveniet.

… ich bin unbesorgt, wie einst urteile mein Erbe,
Weil er nicht mehr vorfand, als vermacht war.

Der ist der glücklichste Mensch, der sich die größte Menge Glück zu verschaffen weiß, ohne jemals seine Pflichten zu verletzen, und der unglücklichste ist der, der einen Beruf erwählt hat, in welchem er sich unaufhörlich in der traurigen Notwendigkeit befindet, Vorsichtsmaßregeln treffen zu müssen.

Überzeugt, daß M. M. mir nicht ihr Wort brechen würde, begab ich mich gegen zehn Uhr vormittags ins Sprechzimmer und sah sie eintreten, sobald ich ihr gemeldet worden war.

»Um Gotteswillen, lieber Freund, sind Sie krank?«

»Nein, göttliche Freundin; aber es ist wohl möglich, daß ich so aussehe, denn die unruhige Erwartung meines Glückes greift mich furchtbar an. Ich habe Appetit und Schlaf verloren, und sollte mein Glück verschoben sein, so stehe ich nicht dafür, daß ich am Leben bleibe.«

»Es ist nicht verschoben, lieber Freund; aber welch eine Ungeduld! Setzen wir uns. Hier ist der Schlüssel zum Kasino, wohin Sie sich begeben werden. Das Haus ist bewohnt, denn wir brauchen natürlich Leute zur Bedienung; aber niemand wird mit Ihnen sprechen, und Sie brauchen mit keinem Menschen zu sprechen. Sie werden maskiert sein und kommen erst um eineinhalb Uhr nachts [R1: Zwei Stunden nach Sonnenuntergang.], nicht früher. Sie steigen die Treppe hinauf, die der Haustür gegenüber ist, oben werden Sie beim Licht einer Laterne eine grüne Tür sehen, die Sie öffnen, um in die Wohnung zu gelangen. Diese wird erleuchtet sein. Im zweiten Zimmer werden Sie mich finden; sollte ich noch nicht da sein, so werden Sie ein paar Minuten auf mich warten; Sie können sich auf meine Pünktlichkeit verlassen. Sie können Ihre Maske ablegen und sich’s bequem machen; Sie werden Bücher und ein gutes Feuer finden.«

Die Beschreibung war klar und deutlich; ich küßte die Hand, die mir den Schlüssel zu diesem geheimnisvollen Tempel reichte, und fragte die reizende Frau, ob ich sie als Nonne sehen würde.

»Ich gehe als Nonne aus dem Kloster, aber ich habe im Kasino eine vollständige Garderobe, um mich weltlich zu kleiden; ich kann mich sogar maskieren.«

»Ich hoffe, Sie werden mir das Vergnügen machen, in ihrer Nonnentracht zu bleiben.«

»Warum denn, bitte?«

»Ich liebe so sehr, Sie in dieser Tracht zu sehen.«

»Haha! Ich verstehe. Sie stellen sich meinen geschorenen Kopf vor, und der macht Ihnen angst. Aber beruhigen Sie sich, lieber Freund; ich habe eine Perücke, die so ausgezeichnet gemacht ist, daß sie der Natur nichts nachgibt.«

»Gott, was sagen Sie da! Das bloße Wort Perücke ist niederschmetternd. Aber nein! Seien Sie versichert, ich werde Sie reizend finden, wie Sie auch erscheinen mögen. Nur setzen Sie die böse Perücke bitte nicht in meiner Gegenwart auf! Ach, ich beleidige Sie – Verzeihung! Ich bin in Verzweiflung, davon gesprochen zu haben. Sind Sie sicher, daß niemand Sie das Kloster verlassen sieht?«

»Sie können sich selber davon überzeugen, wenn Sie um die Insel herumfahren und sich das Pförtchen ansehen, das auf das andere Ufer führt. Ich habe den Schlüssel zu einem Zimmer, das nach diesem Ufer hinaus liegt, und ich kann mich auf die Laienschwester verlassen, die mich bedient.«

»Und die Gondel?«

»Mein Freund bürgt mir für die Treue der Bootsführer.«

»Was für ein Mann ist Ihr Liebhaber! Ich denke mir, er ist alt.«

»Sie irren sich. Wenn das der Fall wäre, würde ich mich schämen. Er ist keine vierzig Jahre alt und besitzt alle Eigenschaften, um geliebt zu werden: Schönheit, Geist, sanften Charakter, vornehme Handlungsweise.«

»Und er sieht Ihnen Ihre Launen nach?«

»Was nennen Sie Launen? Vor einem Jahr hat er mich erobert, und vor ihm hatte ich niemals einen Mann gekannt, wie Sie der erste sind, der in mir phantastische Wünsche erregte. Als ich ihm diese gestand, war er erst ein wenig erstaunt, dann aber fing er an zu lachen und hielt mir in ein paar Worten vor, daß ich Gefahr liefe, an einen Indiskreten zu geraten. Es wäre ihm lieber gewesen, wenn ich zum mindesten erst erfahren hätte, wer Sie wären, bevor ich weiter ginge; aber es war schon zu spät. Ich bürgte ihm für Sie, und natürlich lachte er darüber, daß ich so entschieden für jemanden eintrat, den ich gar nicht kannte.«

»Wann haben Sie ihm alles gebeichtet?«

»Vorgestern. Und ich habe ihm nichts verschwiegen. Ich habe ihm meine und Ihre Briefe gezeigt, und er hält Sie für einen Franzosen, obgleich Sie sich für einen Venetianer ausgeben. Er ist sehr neugierig, wer Sie wohl sein mögen. Aber seien Sie unbesorgt, ich verspreche Ihnen, niemals den geringsten Schritt zu tun, um dies zu erfahren.«

»Und ebensowenig werde ich mich bemühen, zu erfahren, wer dieser Mann ist, der ebenso selten ist wie Sie! Ich bin in Verzweiflung, wenn ich daran denke, welchen Kummer ich Ihnen gemacht habe.«

»Reden wir nicht mehr davon! Denn wenn ich selber recht nachdenke, sehe ich ein, daß nur ein Geck anders hätte handeln können.«

Zum Abschied erhielt ich am Fensterchen ein neues Pfand ihrer Zärtlichkeit, und ihre Blicke geleiteten mich bis zur Tür.

Am Abend begab ich mich zur bestimmten Stunde an den Ort unseres Stelldicheins. Genau ihren Weisungen befolgend, gelangte ich in einen Salon, wo ich meine neue Eroberung in der elegantesten Gesellschaftstoilette vorfand. Der Salon war durch Armleuchter erhellt, deren Schein von den Spiegeln zurückgeworfen wurde, und von vier schönen Kerzen, die auf einem mit Büchern bedeckten Tische standen. Sie erschien mir von einer ganz andersartigen Schönheit als früher, da ich sie als Nonne gesehen hatte. Sie trug eine Frisur mit einem prachtvollen Chignon; aber ich sah gar nicht näher danach hin, so unangenehm war mir der bloße Gedanke an eine Perücke, und ich hätte mich wohl gehütet, ihr ein Kompliment darüber zu machen. Ich warf mich vor ihr auf die Knie, um ihr meine lebhafte Dankbarkeit zu bezeigen, und küßte in Verzückung ihre schönen Hände, um damit den Liebeskampf einzuleiten, zu dem es ja kommen mußte; aber M. M. glaubte mir Widerstand entgegensetzen zu müssen. Wie reizend ist doch diese Weigerung einer verliebten Geliebten, die den Augenblick des Glückes nur deshalb hinausschiebt, um seine Wonnen besser auskosten zu können! Als zärtlicher, ehrerbietiger, zugleich aber kühner und unternehmender Werber, der seines Sieges gewiß war, mischte ich zarte Rücksicht mit feurigem Ungestüm. Dem allerschönsten Munde die heißesten Küsse raubend, glaubte meine Seele vor Wonne zu vergehen. Wir verbrachten zwei Stunden mit diesen einleitenden Kämpfen, und als diese aufhörten, wünschten wir uns beide Glück: sie, daß sie hatte widerstehen können; ich, daß ich meine Ungeduld zu mäßigen gewußt hatte.

Wir hatten beide einen Augenblick der Ruhe nötig; sie erriet meine Wünsche und sagte zu mir: »Lieber Freund, ich habe einen Hunger, der mir Hoffnung gibt, daß ich dem Abendessen alle Ehre erweisen werde; willst du mir versprechen, mir die Spitze zu bieten?« Hierzu fühlte ich mich vollkommen imstande, und ich antwortete ihr: »Ja, das verspreche ich dir; nachher wirst du sehen, ob ich es mit Amor ebenso leicht aufzunehmen vermag wie mit Comus.«

Sie klingelte, eine sehr gut gekleidete und sehr anständig aussehende Frau in mittleren Jahren kam herein, deckte einen Tisch für zwei Personen, stellte auf einen anderen, was wir brauchten, um uns selber bedienen zu können, und setzte uns dann acht Gerichte in Sèvresporzellanschüsseln auf silbernen Wärmpfannen vor. Es war eine leckere und reichliche Mahlzeit.

Schon an den ersten Gerichten erkannte ich die französische Küche, und sie bestritt mir meine Wahrnehmung nicht. Wir tranken nur Burgunder und Champagner. Sie bereitete den Salat sauber und geschickt, und ich mußte bei jeder Bewegung ihre Anmut und Eleganz bewundern. Offenbar war ihr Liebhaber ein Kenner, der ihr alle diese Künste beigebracht hatte. Ich war neugierig, ihn kennen zu lernen, und als wir beim Punsch angelangt waren, sagte ich ihr: wenn sie meine Neugierde befriedigen wolle, sei ich bereit, ihr meinen Namen zu sagen. Sie antwortete mir jedoch: »Überlassen wir, lieber Freund, der Zeit die Befriedigung unserer gegenseitigen Neugierde!«

M. M. hatte unter ihren Uhranhängseln ein kleines Bergkristallfläschchen von ganz genau der gleichen Form wie das, das ich an meiner Kette trug. Ich machte sie darauf aufmerksam, und da ich in meinem Fläschchen ein Wattebäuschchen mit Rosenöl hatte, gab ich es ihr zum Riechen.

»Ich habe ebensolches,« sagte sie und ließ auch mich riechen.

»Die Essenz ist sehr selten und kostet viel Geld.«

»Deshalb ist sie auch nicht käuflich zu haben.«

»Das ist wahr. Der Erzeuger dieser Essenz ist ein gekröntes Haupt, der König von Frankreich. Er hat ein Pfund davon hergestellt, das ihm dreißigtausend Livres gekostet hat.«

»Mein Liebhaber hat das Rosenöl zum Geschenk erhalten und hat mir davon abgegeben.«

»Frau von Pompadour hat ein Fläschchen voll durch Vermittlung des jetzigen hiesigen französischen Gesandten, Herrn von Bernis, an den venezianischen Gesandten in Paris, Herrn von Mocenigo, geschickt.«

»Kennen Sie Herrn von Bernis?«

»Ich hatte die Ehre, gerade an dem Tage, als er sich bei unserem Gesandten verabschiedete, mit ihm zusammen zu speisen. Herr von Bernis ist vom Glück begünstigt worden, und er hat es durch sein Verdienst an sich zu fesseln gewußt; er ist ebenso vornehm von Geist wie von Geburt; er ist, wie ich glaube, Graf von Lyon4. Ich erinnere mich, daß er wegen seines hübschen Gesichtes den Spitznamen Belle-Babet erhalten hat. Wir besitzen von ihm eine kleine Sammlung von Gedichten, die ihm Ehre machen.«

Es war nahe an Mitternacht; wir hatten ausgezeichnet gegessen und saßen vor einem guten Feuer. Außerdem war ich verliebt in das Prachtweib und da die Zeit mich kostbar dünkte, wurde ich dringend. Aber sie sträubte sich immer noch.

»Grausame Freundin!« rief ich aus; »hast du mir nur darum die Glückseligkeit versprochen, um mich alle Qualen des Tantalus erleiden zu lassen? Wenn du dich nicht der Liebe ergeben willst, so gib doch wenigstens der Natur nach. Wir haben ein köstliches Mahl eingenommen; laß uns jetzt zu Bett gehen!«

»Bist du schläfrig?«

»Nein, gewiß nicht; aber zu so später Stunde legt man sich zu Bett. Gestade, daß ich dich zu Bett bringe; ich werde neben deinem Kopfkissen sitzen oder ich werde hinausgehen, wenn du das wünschest.«

»Wenn du von mir gingst, würdest du mir einen empfindlichen Schmerz bereiten.«

»Der meinige wäre nicht geringer, glaube mir! Aber wenn ich nun bleibe – was machen wir dann?«

»Wir können uns völlig angekleidet auf dieses Sofa ausstrecken.«

»Angekleidet! Meinetwegen. Ich werde dich schlafen lassen können, wenn du es wünschest. Mir aber wirst du verzeihen, wenn ich nicht schlafe. Denn an deiner Seite schlafen zu sollen, noch dazu in meinen Kleidern – das heißt Unmögliches verlangen!«

»Warte!«

Sie steht auf, zieht mit einem leichten Ruck das Kanapee auseinander, holt Kissen, Tücher und Decken hervor, und im Handumdrehen ist ein prachtvolles, breites und bequemes Bett bereit. Sie nimmt ein großes Taschentuch und bindet es mir um den Kopf; dann gibt sie mir ein zweites und fordert mich auf, ihr denselben Dienst zu erweisen. Ich machte mich ans Werk, ohne mir meinen Abscheu vor ihrer Perücke merken zu lassen; da verschaffte eine köstliche Entdeckung mir die angenehmste Überraschung: statt einer Perücke hatte ich das allerschönste Haar in der Hand. Ich stieß vor Glück und Bewunderung einen lauten Schrei aus, über den sie herzlich lachte; dann sagte sie mir, einer Nonne liege keine weitere Verpflichtung ob, als ihre Haare vor den Augen der profanen Menge zu verbergen. Im selben Augenblick gab sie mir einen geschickten Stoß, so daß ich der Länge nach auf das Kanapee hinfiel. Ich sprang auf, hatte mich in einer Minute meiner Kleider entledigt und warf mich mehr auf als neben sie. Sie umschlang mich kräftig mit ihren beiden Armen, aber sie sagte, sie glaube, ich müsse ihr alle Leiden verzeihen, die sie mir durch ihr Widerstreben bereite. Ich hatte noch nichts Wesentliches erreicht; ich glühte; aber ich wußte meine Ungeduld zu beherrschen; ich glaubte noch nicht das Recht zu haben, Ansprüche geltend zu machen. Ich löste ihr fünf oder sechs Bandschleifen, und mein Herz pochte vor Wonne, als sie mich gewähren ließ und ich in den Besitz des schönsten Busens gelangte, den ich mit meinen Küssen bedeckte. Hierauf beschränkte sich auch ihre ganze Huld. Je mehr ich von ihrer vollkommenen Schönheit sah, desto glühender wurden meine Anstrengungen; aber vergeblich. Ermattet mußte ich den Kampf aufgeben, und sie gegen meinen Busen pressend, schlief ich endlich in ihren Armen ein. Ein rasselndes Geräusch weckte uns auf.

»Was ist’s?« rief ich emporfahrend.

»Lieber Freund, wir müssen aufstehen; es ist Zeit für mich, ins Kloster zurückzukehren.«

»Zieh dich an und gönne mir das Vergnügen, dich im Kleide der Heiligen zu sehen, denn du scheidest ja als Jungfrau von mir.«

»Sei für diesmal zufrieden, mein süßer Schatz, und lerne von mir Enthaltsamkeit üben; ein anderes Mal werden wir glücklicher sein. Wenn ich fort bin, kannst du dich hier ausruhen, falls du nichts dringlicheres vor hast.«

Sie klingelte, und es erschien dieselbe Frau, die am Abend gekommen war und die ohne Zweifel ihre Vertraute und geheime Vermittlerin bei ihren Liebesmysterien war. Nachdem meine Geliebte sich hatte frisieren lassen, zog sie ihr Kleid aus, schloß ihren Schmuck in einen Schrank ein und legte ein Nonnenmieder an, das ihre beiden prachtvollen Halbkugeln verbarg, die während dieser anstrengenden Nacht am meisten zu meinem Glück beigetragen hatten. Hierauf zog sie ihr Nonnenkleid an. Als die Vertraute hinausgegangen war, um den Gondolieren Bescheid zu sagen, küßte sie mich zärtlich und feurig und sagte: »Ich erwarte dich übermorgen; dann wirst du mir sagen, welche Nacht ich mit dir in Venedig verbringen soll. Und dann zärtlicher Freund, wirst du ganz glücklich sein, und ich auch. Leb wohl.«

Glücklich, wenn auch nicht befriedigt, legte ich mich wieder hin und schlief bis zum Mittag.

Ich verließ das Haus, ohne einen Menschen zu sehen, und begab mich, wohlmaskiert, zu Laura, bei der ich einen Brief von meiner teuren C. C. vorfand; er lautete folgendermaßen:

»Ich gebe Dir hiermit, lieber Freund, ein Pröbchen meiner Denkungsart, und ich hoffe, daß diese mir nicht nur bei Dir nicht schaden wird, sondern daß Du dadurch die Überzeugung erlangen wirst, daß ich trotz meiner Jugend imstande bin, ein Geheimnis zu verwahren, und daß ich würdig bin, Deine Frau zu werden. Da ich Deines Herzens mich sicher weiß, so tadle ich Dich nicht wegen der Zurückhaltung, die Du mir gegenüber beobachtet hast, und da ich nur auf das eifersüchtig bin, was Deinen Geist ablenken und Dich zu einem geduldigen Ertragen unserer grausamen Trennung veranlassen kann, so muß ich mich über alles freuen, was Dir Vergnügen verschafft. Höre mich an! Als ich gestern einen Korridor entlang ging, ließ ich einen Zahnstocher fallen, den ich in der Hand hielt; um ihn wieder aufzuheben, mußte ich ein Taburett zur Seite schieben, und hierbei entdeckte ich eine Ritze in der Wand. Ich bin schon so neugierig geworden wie eine Nonne – denn dieses Laster ist im Müßiggange des Klosterlebens ganz natürlich – und legte schnell mein Auge an diese Ritze. Da sah ich nun – rate, wen? Dich, mein süßer Freund! Du unterhieltest Dich sehr lebhaft mit meiner reizenden Freundin, Mutter M. M. Du kannst Dir schwerlich meine Überraschung und meine Freude vorstellen! Diese beiden Gefühle wichen jedoch schnell der Furcht, daß ich gesehen werden und die Neugierde irgendeiner Indiskreten erwecken könnte. Schnell schob ich das Taburett wieder vor und entfernte mich. Sage mir alles, mein holder Freund – Du wirst mich glücklich machen! Wie sollte ich, die ich Dich mit aller Kraft meiner Seele liebe, nicht neugierig sein, Näheres über einen so fabelhaften Anblick zu erfahren! Sage mir, ob sie Dich näher kennt und wie Du sie kennen gelernt hast. Sie ist meine zärtliche Freundin, von der ich Dir schon schrieb, deren Namen zu nennen, ich aber nicht für nötig hielt. Sie unterrichtet mich im Französischen, und sie hat mir Bücher gegeben, durch die ich auf einem Gebiet, das nur sehr wenig Frauen vertraut ist, Kenntnisse gewonnen habe. Ohne sie, mein Freund, hätte man die Ursache des Unwohlseins entdeckt, das mir beinahe das Leben gekostet hätte. Sie gab mir sofort Wäsche und Tücher. Ihr verdanke ich meine Ehre. Aber zugleich mußte sie natürlich erfahren, daß ich einen Geliebten habe, wie übrigens auch ich weiß, daß sie einen hat! Wir sind aber alle beide nicht neugierig gewesen, tiefer in die Geheimnisse der anderen einzudringen. Mutter M. M. ist ein einziges Weib! Ich bin gewiß, teurer Freund, Ihr liebt euch; das kann nicht anders sein, denn Ihr kennt euch ja; aber da ich nicht eifersüchtig bin, so verdiene ich, daß Du mir alles sagst. Aber ich beklage Euch beide; denn alles, was Ihr zu tun vermögt, kann, fürchte ich, nur dazu dienen, Eure Leidenschaft anzureizen. Das ganze Kloster glaubt, Du seist krank, und ich, ich sterbe vor Verlangen, Dich zu sehen. Komme also doch mindestens ein einziges Mal. Lebe wohl!«

Obwohl dieser Brief mir nur Achtung für C. C. einflößen konnte, machte er mich doch unruhig. Meiner teuren C. C. war ich zwar sicher, aber diese Ritze konnte uns anderen neugierigen Blicken preisgeben. Außerdem sah ich mich gezwungen, meiner liebenswürdigen und vertrauensvollen Freundin ein Märchen aufzubinden; denn Ehre und Zartgefühl erlaubten mir nicht, ihr die Wahrheit zu sagen. Ich antwortete ihr umgehend: ihre Freundschaft mit M. M. verlange, daß sie dieser sofort sage, sie habe sie im Sprechzimmer mit einem maskierten Kavalier plaudern sehen; ich wäre durch M. M.s Ruf neugierig geworden, sie kennen zu lernen, hätte mich unter einem falschen Namen melden und sie ins Sprechzimmer bitten lassen; sie solle sich ja hüten, ihr zu sagen, wer ich sei, doch könne sie ihr sagen, sie habe in mir den Herrn erkannt, der immer in ihre Kirche komme, um die Messe zu hören.

Ich versicherte ihr dreist, von einem Liebesverhältnis zwischen M. M. und mir sei gar keine Rede; doch wolle ich nicht leugnen, daß ich sie für eine in jeder Hinsicht ausgezeichnete Frau halte.

Am Tage der heiligen Katharina, dem Namenstag meiner lieben C. C., glaubte ich der reizenden Gefangenen, die nur um meinetwillen litt, das Vergnügen meines Anblicks verschaffen zu sollen. Als ich die Kirche verlassen hatte, bemerkte ich gerade in dem Augenblick, wo ich in eine Gondel stieg, einen Menschen, der mir folgte. Ich wurde argwöhnisch und beschloß, mir Aufklärung zu verschaffen. Der Mann nahm ebenfalls eine Gondel und fuhr mir nach. Das konnte reiner Zufall sein; um mich aber vor Überraschungen zu schützen, stieg ich in Venedig beim Palazzo Morosini del Giardino aus. Mein Mann stieg ebenfalls aus; nun war kein Zweifel mehr möglich. Ich ging durch den Palast hindurch und schlug die Richtung nach der Flandrischen Post ein. In einer engen Gasse blieb ich stehen und erwartete mit gezogenem Messer den Spion, packte ihn am Kragen, drückte ihn in eine Ecke, setzte ihm die Spitze des Messers an die Kehle und forderte ihn auf, mir zu sagen, was er von mir wollte. Er zitterte und wollte alles gestehen, als unglücklicherweise jemand das Gäßchen betrat. Der Spion entwischte mir, und ich erfuhr nichts; aber ich war überzeugt, daß dieser Kerl sich künftighin in respektvoller Entfernung halten würde. Zugleich jedoch fühlte ich, daß ein hartnäckiger Neugieriger leicht mußte herausbringen können, wer ich wäre. Ich beschloß daher nur noch maskiert oder bei Nacht nach Murano zu gehen.

Am nächsten Tage sollte ich meine schöne Nonne sehen, um von ihr zu erfahren, wann sie mit mir in Venedig zu Abend essen würde; ich fand mich bereits in aller Frühe im Sprechzimmer ein. Sie erschien sofort, und die Freude stand ihr auf dem Gesicht geschrieben. Sie machte mir ein Kompliment darüber, daß ich mich wieder in ihrer Kirche hätte sehen lassen. Alle Nonnen wären entzückt gewesen, nach dreiwöchentlicher Abwesenheit mich wiederzusehen. »Die Äbtissin«, erzählte sie mir, »sprach mir ihre Freude darüber aus, daß du wieder gekommen wärest, und sagte mir, sie wäre sicher, daß sie herausbringen würde, wer du wärest.« Ich erzählte ihr nun den Vorfall mit dem Spion, und uns beiden erschien es höchst wahrscheinlich, daß dies wohl das Mittel gewesen sein möchte, wodurch die fromme Frau Näheres über mich hätte erfahren wollen.

»Ich bin, göttliche Freundin, entschlossen, nicht mehr die Messe zu besuchen!«

»Das wird für mich eine Entbehrung sein; aber in unserem gemeinsamen Interesse kann ich deinen Entschluß nur billigen.« Sie erzählte mir darauf von der verräterischen Ritze in der Wand ; »aber«, setzte sie hinzu, »sie ist bereits verstopft, und von dieser Seite brauchen wir nichts mehr zu befürchten. Ich wurde durch eine junge Pensionärin darauf aufmerksam gemacht, die ich sehr lieb habe und die sehr an mir hängt.«

Ich bezeigte keine Neugier, den Namen dieser Freundin zu erfahren, und sie nannte ihn mir nicht.

»Und nun, mein Engel, sage mir, ob mein Glück hinausgeschoben ist?«

»Allerdings – aber nur um vierundzwanzig Stunden; die neueingetretene Schwester hat mich zum Abendessen auf ihr Zimmer eingeladen, und du begreifst, daß es keinen einleuchtenden Vorwand gibt, um so etwas abzulehnen.«

»Du würdest ihr also nicht anvertrauen, daß ich den sehr berechtigten Wunsch hege, daß sie niemals zu Abend essen möge?«

»Nein, gewiß nicht. Soweit geht in Klöstern das Vertrauen niemals. Außerdem, mein Freund, kann man eine derartige Einladung nur ausschlagen, wenn man den Wunsch hat, sich eine unversöhnliche Feindin zu machen.«

»Kann man nicht sagen, man sei krank?«

»Ja. Aber dann die Besuche?«

»Ich verstehe; wenn du Besuche ablehntest, könnte man Verdacht schöpfen, daß du nicht im Kloster anwesend wärest.«

»Solcher Verdacht wäre unmöglich. Denn hier glaubt man nicht an die Möglichkeit, daß eine von uns das Kloster verlassen kann.«

»Du bist also die einzige hier, die dieses Wunder zuwege bringen kann?«

»Verlaß dich drauf! Aber das Wunder wird hier, wie überall, vom Gelde bewirkt.«

»Es bewirkt vielleicht noch andere.«

»Die Zeiten sind vorüber. Aber sage mir, Liebling, wo willst du morgen abend zwei Stunden nach Sonnenuntergang auf mich warten?«

»Könnte ich dich nicht hier bei deinem Kasino erwarten?«

»Nein; denn mein Liebhaber selber wird mich nach Venedig bringen.«

»Er selber?«

»Ja, er selber.«

»Das ist unglaublich.«

»Aber wahr.«

»Ich werde auf dem Platz San Giovanni e San Paolo hinter dem Denkmal des Bartolomeo von Bergamo auf dich warten.«

»Ich habe den Platz und das Denkmal stets nur auf Abbildungen gesehen. Aber das genügt. Ich werde pünktlich kommen. Nur ein ganz abscheuliches Wetter könnte mich hindern, zu einem Stelldichein zu erscheinen, wozu mein Herz mich ruft.«

»Und wenn solches Wetter einträte?«

»Dann, lieber Freund, wäre nichts verloren; wir würden uns einfach wieder hier treffen und einen anderen Tag verabreden.«

Ich hatte keine Zeit mehr zu verlieren, denn ich hatte ja noch gar kein Kasino. Ich nahm einen zweiten Ruderer an und war in weniger als einer Viertelstunde auf dem Markusplatz. Dann machte ich mich sofort auf die Suche. Wenn ein Sterblicher das Glück hat, in der Gunst des Gottes Plutus zu stehen, und wenn er nicht knauserig ist, so kann er sicher sein, daß ihm so ziemlich alles gelingen wird. Ich brauchte daher denn auch nicht lange zu suchen, um ein Kasino zu finden, wie ich es wünschte. Es war das schönste in ganz Venedig und dessen Umgebung; dafür war es natürlich auch das teuerste. Es hatte dem englischen Gesandten gehört, der es seinem Koch um billigen Preis überlassen hatte, als er von Venedig fortging. Der neue Besitzer vermietete es mir bis Ostern [R1: Also auf etwa 4 Monate.] für hundert Zechinen, die ich ihm im voraus zahlte unter der Bedingung, daß er persönlich mir die Diners und Soupers herstellte, die ich bei ihm zu bestellen Lust hätte.

Ich hatte fünf Zimmer, die im besten Geschmack ausgestattet waren, und alles schien darauf berechnet zu sein, der Liebe, dem Vergnügen und den Freuden der Tafel zu dienen. Das Essen wurde durch ein blindes Fenster ins Speisezimmer besorgt; es war in die Wand eingelassen und mit einem drehbaren Speisenträger versehen, der die Offnung genau ausfüllte, so daß Herrschaft und Bedienung sich nicht sehen konnten. Dieser Speisesaal war mit prachtvollen Spiegeln, mit Kronleuchtern aus Bergkristall und mit Wandleuchtern aus vergoldeter Bronze geschmückt; ein herrlicher Standspiegel befand sich über einem Kamin aus weißem Marmor, der mit kleinen Vierecken aus chinesischem Porzellan ausgelegt war, worauf nackte Liebespaare in allen möglichen, die Phantasie entflammenden Stellungen abgebildet waren. Elegante und bequeme Sofas standen rechts und links vom Kamin. Nebenan befand sich ein achteckiges Zimmer, dessen Wände, Fußboden und Decke ganz und gar mit den schönsten venetianischen Spiegeln belegt waren, so daß das Liebespaar, welches dieses Gemach benutzte, alle seine Stellungen hundertfach vervielfältigt sah. Dicht daneben war ein schöner Alkoven mit zwei geheimen Zugängen; rechts ein elegantes Ankleidezimmer, links ein Boudoir, das für die Mutter der Liebesgötter hergerichtet zu sein schien, und ein Badezimmer aus karrarischem Marmor. Die Deckentäfelung war überall mit Malergold ausgelegt oder mit Blumen und Arabesken bemalt.

Nachdem ich befohlen hatte, alle Leuchter mit Kerzen zu versehen und überall, wo es nötig war, die schönste Wäsche aufzulegen, bestellte ich das üppigste und leckerste Essen für zwei Personen; auf die Kosten sollte er nicht sehen und vor allen Dingen die ausgesuchtesten Weine besorgen. Hierauf ließ ich mir den Schlüssel zur Haustür geben und belehrte den Meister Koch darüber, daß ich beim Kommen wie beim Gehen von keinem Menschen gesehen zu werden wünschte.

Ich bemerkte mit Vergnügen, daß die Stutzuhr im Alkoven mit einem Wecker versehen war; denn ich begann trotz aller meiner Liebe der Macht des Schlafes untertan zu werden.

Nachdem im Hause alles nach meinen Wünschen angeordnet war, ging ich als aufmerksamer und zartfühlender Liebhaber hin und kaufte die schönsten Pantoffeln, die überhaupt zu haben waren, und eine Nachtmütze aus Alenconspitzen.

Der Leser wird hoffentlich nicht finden, ich habe mich bei diesem Anlaß zu sehr um die Einzelheiten bekümmert; er möge bedenken, daß ich die vollkommenste Sultanin des Erdkreises zu Tische haben sollte und daß ich dieser vierten Grazie gesagt hatte, ich besäße ein Kasino. Durfte ich damit den Anfang machen, daß ich ihr einen schlechten Begriff von meiner Wahrheitsliebe gab?

Zur bestimmten Stunde, zwei Stunden nach Sonnenuntergang, begab ich mich nach meinem Palais; man kann sich kaum vorstellen, was für ein erstauntes Gesicht der Herr französische Koch machte, als er mich allein ankommen sah. Da ich nicht alles erleuchtet fand, wie ich’s befohlen hatte, machte ich ihm harte Vorwürfe und bedeutete ihm, daß ich es nicht liebte, etwas zweimal sagen zu müssen.

»Ein anderes Mal werde ich nicht verfehlen, die Anordnungen des Herrn genau auszuführen.«

»Tragen Sie das Essen auf.«

»Der Herr haben für zwei bestellt.«

»Servieren Sie für zwei und seien Sie für dieses Mal bei meiner Mahlzeit zugegen, damit ich Ihnen sagen kann, was ich gut oder schlecht finde.«

Das Essen kam durch das Drehfenster in guter Ordnung herein, immer zwei Schüsseln zu gleicher Zeit. Ich machte meine Bemerkungen über alles, im Grunde aber fand ich alles ausgezeichnet: Wild, Störfisch, Trüffeln, Weine, Nachtisch; alles wurde in schönem Meißener Porzellan oder auf Silber serviert. Ich sagte ihm, er habe vergessen, harte Eier, Anschovis und verschieden gewürzte Essige aufzusetzen, um Salat zu machen. Er erhob die Augen zum Himmel, wie wenn er sich eines großen Verschuldens bezichtigen wollte.

Nach einer Mahlzeit, die zwei Stunden dauerte und mir die Bewunderung meines Wirtes erwecken mußte, verlangte ich von ihm die Rechnung. Er brachte sie mir eine Viertelstunde später, und ich fand sie vernünftig. Ich entließ ihn und legte mich in das prachtvolle Bett, das im Alkoven stand. Das ausgezeichnete Abendessen verschaffte mir bald den süßesten Schlaf, der ohne Wirkung des Burgunders und Champagners mich wahrscheinlich würde geflohen haben, weil ich dann immerzu daran hätte denken müssen, daß ich die nächste Nacht an demselben Ort eine Göttin in meinem Besitz haben sollte. Ich erwachte erst am hellen Tage. Nachdem ich noch für den Abend das schönste Obst und Eis bestellt hatte, ging ich. Um einen Tag zu kürzen, den die Sehnsucht mir sehr lang erscheinen lassen mußte, spielte ich; ich sah mit Vergnügen, daß das Glück mich nicht weniger gut behandelte als die Liebe. Da nun alles so herrlich nach meinen Wünschen ging, machte ich mir eine Wonne daraus, mein Glück dem guten Geist meiner Nonne zuzuschreiben.

Eine Stunde vor der bestimmten Zeit war ich am verabredeten Ort; die Nacht war kalt, aber ich spürte nichts vom Frost. Pünktlich zur abgemachten Stunde sah ich eine Barke mit zwei Rudern sich nähern; eine maskierte Person sprang heraus, sobald das Boot das Ufer berührt hatte. Sie sprach mit dem Bootsmann am Bug und schritt dann auf das Denkmal zu. Als sie näher kam, klopfte mein Herz vor Wonne; plötzlich aher bemerkte ich, daß die Maske ein Mann war. Ich wich ihr aus und machte mir im stillen Vorwürfe, daß ich meine Pistolen nicht eingesteckt hatte. Die Maske ging jedoch um das Denkmal herum, trat auf mich zu und streckte mir freundschaftlich die Hand entgegen; ich erkannte meinen Engel. Sie lachte über meine Überraschung und hängte sich an meinen Arm; ohne ein Wort zu wechseln gingen wir nach dem Markusplatz und von dort nach meinem Kasino, das nur etwa hundert Schritte vom Theater San Moiso entfernt lag.

Ich fand alles nach Wunsch hergerichtet. Wir gingen nach oben, und schnell warf ich meinen Domino ab, M. M. aber machte sich einen Spaß daraus, in der Wohnung hin und her zu laufen und alle Winkel des entzückenden Liebesnestes zu durchstöbern. Sie war entzückt, daß ich von allen Seiten ihre anmutig geschmückte Person betrachtete, und sie bat mich, in diesem Schmuck die verschwenderische Güte ihres Liebhabers zu bewundern. Sie war überrascht von dem Wunder, daß sie, ohne sich zu rühren, ihre reizende Person in tausendfach verschiedener Art sah. Ihr Abbild, das von den Spiegeln, dank einer sinnreichen Anordnung der Kerzen, vervielfältigt wurde, bot ihr ein neues Schauspiel, von dem sie ihre Blicke nicht abwenden konnte. Auf einem Schemel sitzend, musterte ich voll Entzücken die ganze Eleganz ihrer Person. Sie trug einen Rock von rosenfarbenen. Samt mit goldenen Stickereien, eine dazu passende Weste mit überaus reicher Handstickerei; schwarze Atlaskniehosen; Schuhschnallen mit Brillanten, einen sehr wertvollen Solitär am kleinen Finger und an der anderen Hand einen Ring, dessen Kasten nur ein mit Kristall überdecktes Stückchen weißen Atlas aufwies. Ihre baüte [R1: Maske.] aus schwarzer Blonde war von auffallender Schönheit in bezug auf ihre Feinheit und das Muster. Damit ich sie besser ansehen könnte, stellte sie sich vor mich hin. Ich untersuchte auch ihre Taschen und fand darin: eine goldene Tabaksdose, eine reich mit Perlen besetzte Bonbonniere, ein goldenes Besteck, eine prachtvolle Lorgnette, Taschentücher vom allerfeinsten Battist, die mit den kostbarsten Essenzen nicht nur parfümiert, sondern geradezu getränkt waren. Ich bewunderte aufmerksam das reiche Material und die sorgfältige Arbeit ihrer beiden Uhren, ihrer Ketten und ihrer von kleinen Diamanten funkelnden Uhranhängsel; zum Schluß fand ich ein Pistol – aber es war ein englisches Feuerzeug aus reinem und schön poliertem Stahl.

»Alles, was ich hier sehe, meine göttliche Freundin, reicht nicht annähernd an deine eigenen Vorzüge heran; aber ich kann mich nicht enthalten, dir meine Bewunderung auszusprechen für den erstaunlichen, ich möchte fast sagen: anbetungswürdigen Menschen, der dich offenbar überzeugen will, daß du in Wirklichkeit seine [R2: Hier natürlich im Sinn von Herrin.] Maitresse bist.«

»Dies hat er mir gesagt, als ich ihn bat, mich nach Venedig zu bringen und hier allein zu lassen. ›Amüsiere dich,‹ sagte er; ›ich wünsche nur, daß der Mann, den du glücklich machen willst, sich dessen würdig erweist‹.«

»Ich wiederhole: es ist ein erstaunlicher Mensch; es gibt keinen anderen von solchem Zuschnitt. Ein Liebhaber von solcher Art ist einzig, und ich fühle, daß ich es ihm nicht gleichtun kann, wie ich anderseits befürchte, daß ich mein Glück, das mich blendet, nicht verdiene.«

»Erlaube mir, allein ins Nebenzimmer zu gehen und mich zu demaskieren.«

»Sei freie Herrin deiner Wünsche.«

Eine Viertelstunde darauf trat meine Geliebte wieder ein. Sie war als Mann frisiert, aber ihre langen Seitenlocken fielen ihr über die Wangen herab, und ihr mit einem schwarzen Bande zusammengehaltener Haarschopf reichte bis über die Kniekehlen hinab. In ihren Formen glich sie einem Antinous; hätte sie nicht ihren französischen Anzug getragen, so wäre die Illusion vollständig gewesen. Ich war wie verzaubert, und mein Glück erschien mir unbegreiflich. »Nein,« rief ich, »nein, anbetungswürdiges Weib, du bist nicht für einen Sterblichen geschaffen, und mir ist’s, als fühle ich, daß du niemals mein sein wirst. Im Augenblick, wo ich dich besitzen soll, wird irgendein Wunder dich meiner Glut entreißen. Vielleicht wird dein göttlicher Gemahl, eifersüchtig auf einen einfachen Sterblichen, alle meine Hoffnungen zerstören. In einer Viertelstunde lebe ich vielleicht nicht mehr.«

»Bist du rasend, mein Freund? Ich gehöre ja dir in diesem Augenblick, wenn du willst!«

»Ah! Ob ich will! Ich habe zwar den ganzen Tag noch nichts gegessen – aber komm! Liebe und Glück werden meine Nahrung sein.«

Sie fror. Wir setzten uns vor das Feuer. Ich konnte meine Ungeduld nicht mehr bemeistern und löste eine Brillantschnalle, die ihre Spitzenkrause zusammenhielt. Leser – es gibt so lebhafte und so süße Empfindungen, daß die Jahre kaum die Erinnerung daran verwischen und daß die Zeit sie niemals gänzlich zerstören kann. Mein Mund hatte ja schon diesen zauberhaften Busen mit Küssen bedeckt, aber das lästige Mieder hatte mir nicht erlaubt, ihn in seiner ganzen Vollkommenheit zu bewundern. Jetzt fühlte ich ihn frei von allem Zwang und von jeder überflüssigen Stütze: niemals habe ich einen schöneren gesehen, niemals einen schöneren berührt. Wären die beiden wunderbaren Halbkugeln der mediceischen Venus von Pronmetheus‘ Funken belebt worden, sie hätten vor denen meiner göttlichen Nonne verblassen müssen.

Ich brannte vor Begierden, und ich schickte mich an, diese zu befriedigen, als meine Zauberin mich mit einem einzigen Wort beruhigte.

»Warten wir bis nach dem Essen!« sagte sie.

Ich klingelte. Sie erzitterte, aber ich sagte zu ihr: »Beruhige dich, Geliebte!« und zeigte ihr das Geheimnis. »Du wirst deinem Liebhaber sagen können, daß kein Mensch dich gesehen hat.«

»Er wird deine Aufmerksamkeit bewundern und wird erraten, daß du kein Neuling in der Lebenskunst bist. Aber offenbar bin ich nicht die einzige, die mit dir sich dieses wonnigen Liebesnestes erfreut.«

»Du irrst dich. Glaube mir auf mein Wort: Du bist die erste Frau, die ich hier gesehen habe. Du bist, angebetetes Weib, nicht meine erste Leidenschaft, aber du wirst meine letzte sein!«

»Ich werde glücklich sein, wenn du beständig bist. Mein Liebhaber ist es. Er ist freundlich, gut und liebenswürdig; trotzdem blieb mein Herz stets leer, solange ich ihn kenne.«

»Auch sein Herz muß leer sein; denn wenn seine Liebe von der Art der meinigen wäre, hättest du mich niemals glücklich gemacht.«

»Er liebt mich, wie ich dich liebe. Und glaubst du, daß ich dich liebe?«

»Das will ich sehr gerne glauben; aber du ließest mich nicht …«

»Schweig! Denn ich fühle, daß ich dir alles verzeihen könnte, wenn du nur nichts vor mir geheim hieltest. Die Freude, die mich in diesem Augenblick beseelt, entspringt mehr aus meiner Hoffnung, alle deine Wünsche erfüllen zu können, als aus dem Gedanken, daß ich mit dir eine köstliche Nacht verbringen werde. Sie wird die erste meines Lebens sein.«

»Wie? Du hast niemals eine Nacht mit deinem Geliebten verbracht?«

»Mehrere. Aber Freundschaft, Gefälligkeit und Dankbarkeit bestritten vielleicht alle Kosten; das Wesentliche, die Liebe, war ausgeblieben. Dabei ist mein Liebhaber dir ähnlich; er hat ein fröhliches Temperament, ähnlich dem deinen, und von Gesicht ist er sehr hübsch. Aber trotzdem – er ist nicht du! Ich halte ihn auch für reicher als dich, obwohl ich nach der Ausstattung deines Kasinos das Gegenteil annehmen könnte. Aber was macht die Liebe sich aus Reichtum! Und bilde dir nur nicht etwa ein, daß ich geringer von dir denke, weil du dir nicht den Heroismus zutraust, mir eine Extratour zu erlauben! Ich weiß, du würdest mich nicht so lieben, wie du zu meinem Entzücken mich liebst, wenn du mir sagtest, du könntest für eine Phantasie von mir dieselbe Nachsicht haben wie er.«

»Wird er neugierig sein, die Einzelheiten dieser Nacht zu erfahren?«

»Er wird mir ein Vergnügen zu machen glauben, indem er sich bei mir danach erkundigt, und ich werde ihm alles erzählen, ausgenommen die Umstände, die ihn beschämen könnten.«

Nach dem Essen, das sie köstlich fand, bereitete sie Punsch, worauf sie sich trefflich verstand. Ich fühlte jedoch meine Ungeduld immer mehr anwachsen und sagte zu ihr: »Bedenke, daß wir nur sieben Stunden vor uns haben und daß wir uns selber betrügen würden, wenn wir sie bei Tisch verbrächten!<</p>

»Du sprichst weiser als Sokrates, und deine Beredsamkeit überzeugt mich. Komm!« Sie führte mich in das galante Ankleidezimmer; dort schenkte ich ihr die schöne Nachtmütze und bat sie, ihre Haare nach Frauenart zu ordnen. Sie empfing mein Geschenk mit Freuden und bat mich, ich möchte mich im Salon entkleiden; sie würde mich rufen, sobald sie im Bett läge.

Ich brauchte nicht lange zu warten, denn wenn es sich um Genüsse solcher Art handelt, ist alles schnell getan. Trunken vor Liebe und Glück sank ich in ihre Arme, und sieben Stunden lang gab ich ihr die untrüglichsten Beweise meiner Liebesglut und der Gefühle, die sie mir einflößte. Ich lernte von ihr nichts neues in bezug auf das Materielle; aber viel an Seufzern, an Verzückungen, an Ekstasen, an Gefühlen, wie sie nur in einer empfindsamen Seele in den süßesten Augenblicken sich entwickeln. Ich brachte auf tausenderlei Art Abwechslung in den Genuß, und sie war erstaunt, sich für die Wollust noch empfänglicher zu finden, als sie selber geglaubt hatte. Endlich ließ der fatale Wecker sich hören. Wir mußten unseren Verzückungen Einhalt gebieten; aber ehe sie sich meinen Armen entwand, hob sie die Augen zum Himmel auf, wie wenn sie ihrem göttlichen Gebieter dafür danken wollte, daß sie es über sich vermocht hatte, mir ihre Leidenschaft zu erklären.

Wir zogen uns an. Als ich ihr das schöne Spitzenhäubchen in die Tasche steckte, versicherte sie mir, sie würde es ihr Leben lang aufbewahren zur Erinnerung an das Glück, womit sie in dieser Nacht überströmt worden sei. Nachdem wir noch eine Tasse Kaffee getrunken hatten, verließen wir mein Kasino, und ich begleitete sie bis zur Piazza San Giovanni e San Paolo, wo ich ihr versprach, ich würde sie am übernächsten Tage besuchen. Nachdem ich sie sicher in ihre Gondel hatte einsteigen sehen, ging ich nach Hause und legte mich zu Bett. Zehn Stunden ununterbrochenen Schlafes gaben mir alle meine Kräfte zurück.

  1. Die Mitglieder des Lyoner Domkapitels hatten sämtlich den Titel Graf von Lyon.