Wie eine Nonne ohn‘ Unterlaß bereute, daß sie ohne Liebe noch Gewalt ihre Jungfrauenschaft verloren hat.

In einer der größten Städte Frankreichs nach Paris stand ein reich bemitteltes Spittel: das war eine Abtei mit fünfzehn bis sechzehn Nonnen, derweile im andern Flügel der Prior mit sieben oder acht Mönchen lebte, die täglich den Gottesdienst abhielten; die Nonnen dagegen sagten nur ihre Paternoster und Stundengebete, maßen sie bei den Kranken Dienst taten.

Eines Tages nun lag einer der Kranken unter der Pflege der Nonnen im Sterben, und nachdem diese all ihre Hilfe gespendet hatten, ließen sie, da, er am Verscheiden war, einen der Mönche holen, auf daß er jenem die letzte Ölung gäbe. Bald darauf verlor der Sterbende die Sprache. Maßen er aber noch zu leben und zuzuhören schien, tröstete ihn jegliche mit erbaulichen Worten, bis ihnen die Geduld riß, also daß bei sinkender Nacht eine nach der andern ihr Bett aufsuchte und am Ende nur die Jüngste zurückblieb, die den Leichnam einsargen sollte.

Mit ihr aber blieb auch ein Geistlicher, den sie ob seiner Strenge mehr denn den Prior oder einen andern Mönch fürchtete. Nachdem die beiden ihm noch gehörige Gebete ins Ihr gerufen hatten, wurden sie inne, daß er endlich verschieden war, und darum sargten sie ihn ein. Derweile sie nun dies barmherzige Werk vollbrachten, begann der Mönch von der Hinfälligkeit des Lebens und dem Glücke des Todes zu sprechen, und unter solchen Reden ging die Nacht dahin.

Das arme Mägdelein lauschte seinen frommen Worten und blickte ihn mit tränenfeuchten Augen an. Darob packte ihn die Begier, und während er vom zukünftigen Leben sprach, begann er sie zu umhalsen, als ob er bereit sei, sie in seinen Armen geradenwegs ins Paradies zu tragen. Und die ärmste horchte, was er sprach, und da sie ihn für über die Maßen fromm hielt, wagte sie nicht, sich zu sträuben.

Als der schlimme Mönch dessen inne ward, vollbrachte er mit ihr, derweile er immer weiter von Gott sprach, ein Werk, das ihm der Teufel ins Herz geblasen hatte und davon vorher gar nicht die Rede gewesen war. Dabei versicherte er ihr, daß eine geheime Sünde vor Gott ungestraft bliebe und daß zwei Menschen, die miteinander sonst nichts gemein hätten, in solchem Falle keinerlei Fehltritt begehen, sofern daraus kein Gerede entstünde. Um solches zu vermeiden, solle sie sich wohl hüten, bei jemand anderem als ihm zu beichten.

So trennten sich die beiden, sie ging zuerst fort, und als sie durch eine Kapelle Unserer Lieben Frau kam, wollte sie wie gewöhnlich ihr Gebet sprechen. Kaum aber hatte sie begonnen: ›Jungfrau Maria …‹, da erinnerte sie sich, daß sie ihre Jungfräulichkeit verloren habe, ohne Liebe zu empfinden oder Gewalt erlitten zu haben, sondern nur ob einer dummen Angst. Und alsbald begann sie zu weinen, daß ihr schier das Herze brach.

Der Mönch hörte von weitem ihr Schluchzen, ahnte, daß sie ihren Sinn geändert habe und er darob seine Freuden verlieren würde, und ging zu ihr, um das zu verhindern. Er fand sie auf den Knien vor dem Muttergottesbilde. Alsbald machte er ihr bittere Vorwürfe und erklärte ihr, wenn ihr Gewissen sie plage, solle sie ihm beichten, und dann möge sie ihm fernbleiben, wenn sie wolle, denn beide seien ob ihrer Freiheit ohne Sünde. Und die dumme Nonne glaubte vor Gott ihre Pflicht zu erfüllen und beichtete ihm, worauf er ihr statt aller Buße schwor, daß sie nicht sündige, falls sie ihn liebe, und daß Weihwasser dies Vergehen leichtlich abwüsche.

Sie glaubte ihm mehr denn Gott und kehrte mehrmals zu ihm zurück, also daß sie am Ende schwanger wurde. Darob ward sie so voll Reue, daß sie die Äbtissin bat, sie möge den Mönch aus dem Kloster verjagen lassen, weil sie ob seiner Schlauheit und Hinterlist fürchtete, er würde sie von neuem verführen. Die Äbtissin aber war mit dem Prior im Einverständnis: beide machten sich über sie lustig und erklärten ihr, sie sei erwachsen und könne sich wohl eines Mannes erwehren, und obendrein sei jener ein sehr wackerer Mönch.

Am Ende plagten die Gewissensbisse die Ärmste so, daß sie in einer Aufwallung um die Erlaubnis bat, nach Rom pilgern zu dürfen. Denn sie vermeinte ihre Jungfräulichkeit wieder zu erlangen, wenn sie ihre Sünden dem Papst beichte. Das wurde ihr gern bewilligt, denn die Äbtissin und der Prior vermeinten, es sei besser, ihr solche Wallfahrt entgegen der Vorschrift zu gestatten, als sie einzuschließen und ihre Gewissensbisse also großzuziehen. Dabei leitete sie die Sorge, jene könne in ihrer Verzweiflung kund tun, was für ein Leben in dem Kloster herrsche. So gaben sie ihr also das nötige Reisegeld.

Aber Gott fügte es, daß just, als sie in Lyon war, die Frau Herzogin von Alençon, die spätere Königin von Navarra, insgeheim mit drei oder vier Damen ihres Gefolges in der Kirche des heiligen Johannes eine neuntägige Bittandacht abhielt. Da nun selbige nach der Vesperstunde am Altar der Kirche vor dem Kruzifix kniete, hörte sie jemanden die Stufen emporsteigen und sah beim Lampenschimmer, daß es eine Nonne war. Um nun deren Gebete zu vernehmen zog sich die Herzogin in einen dunklen Winkel zurück, und die Nonne, die sich allein glaubte, kniete nieder, schlug sich an die Brust, begann herzzerreißend zu weinen und rief nur immer: ›Wehe! Mein Gott! Erbarme dich mir armer Sünderin!‹

Maßen die Herzogin gern wissen wollte, was die Ursache war, trat sie zu ihr und sagte: ›Meine Liebe, was ist Euch? Woher kommt Ihr? Was führt Euch hierher?‹ Die arme Nonne, die jene nicht erkannte, erwiderte: ›Ach, meine Liebe, mein Unglück ist so groß, daß Gott allein mir helfen kann. Ihn flehe ich an, mir zu ermöglichen, daß ich mit der Frau Herzogin von Alençon reden kann. Ihr nur will ich meinen Fall erzählen, und ich bin sicher: läßt sich etwas machen, so wird sie schon den Ausweg finden.‹ ›So sprecht nur mit mir,‹ sprach die Herzogin. ›Ich bin eine ihrer Freundinnen und es ist gleich als ob Ihr mit ihr selbst sprächet.‹ – ›Vergebt mir,‹ entgegnete jene. ›Niemand anders als sie darf mein Geheimnis erfahren.‹ Alsbald erklärte ihr die Herzogin, daß sie offen reden könne, maßen sie selbst die Gesuchte sei; und sogleich warf sich die Nonne ihr zu Füßen, weinte und schrie gar lange und erzählte endlich all‘ ihr Mißgeschick. Darauf tröstete die Herzogin die Ärmste, also daß sie zwar ihre Reue nicht aufgab, wohl aber von der Reise nach Rom Abstand nahm. Vielmehr sandte sie dieselbe wieder zu ihrer Äbtissin zurück mit einem Briefe an den Prior, darin sie anordnete, daß der schändliche Geistliche aus dem Kloster gejagt werde.

Ich habe diese Geschichte von der Herzogin selbst und ihr könnt daraus entnehmen, daß Nomerfidens Heilmittel nicht bei allen anschlägt. Denn jene wurden nicht minder von Lüsternheit überwältigt, obgleich sie einen Toten berührten und einsargten«

»Das ist wahrlich ein Einfall, den nie sonst ein Mensch gehabt hat: vom Tode reden und das Leben schaffen,« meinte Hircan. – »Sündigen heißt noch nicht Leben schaffen,« widersprach Oisille. »Man weiß recht wohl, daß die Sünde den Tod gebiert.« – »Glaubt nur,« rief Saffredant, »jene beiden Leutchen dachten nicht an so theologische Betrachtungen. Gleichwie die Töchter des Lot ihren Vater trunken machten, um ihr Geschlecht zu erhalten, so wollten jene die Lücke füllen, die der Tod eben erst gerissen hatte und jene Leiche durch einen neuen Menschen ersetzen. Darum sehe ich als einzig Schlimmes an dem Fall die Tränen der Nonne, die immer weinte, aber nicht minder zu dem Urheber ihrer Tränen zurückkehrte.«

»Solcherlei sah ich gar manche tun,« spottete Hircan, »die da ihre Sünden beweinten und weiter ihrer Lust oblagen.« – »Ich errate,« entgegnete Parlamente, »für wen Ihr das saget. Aber sein Lachen hat, scheint mir, nun genug gedauert und es wäre Zeit, daß die Tränen bald begönnen.» – »Schweigt.« rief Hircan. »Noch ist dies Trauerspiel, das mit Lachen begann, nicht zu Ende.«

»Um nun von etwas anderem zu reden,« brach Parlamente daraufhin ab, »so meine ich, Dagoucin hat unsere Abmachung, nur Lustiges zu erzählen, bereits überschritten. Denn seine Geschichte war recht traurig.« – »Ihr sprächet von Torheiten,« widersprach Dagoucin, »und also habe ich meine Pflicht getan. Um nun aber eine vergnüglichere zu hören, gebe ich Nomerfide meine Stimme in der Hoffnung, daß sie meinen Fehler wieder gutmachen wird.« – »Just habe ich etwas Passendes bereit,« hub jene an, »diese Geschichte paßt zudem vortrefflich zu der Euren, denn ich will von einem Mönche und vom Tode sprechen. So höret mich denn bitte an.«

Hier endigen die Erzählungen der seligen Königin von Navarra, soweit man solche wieder auffinden konnte.