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481. Nacht

In demselben Augenblick ließ die Prinzessin ihren Vater
bitten, zu ihr zu kommen. Der König, voll Verwunderung darüber, begab sich
eiligst nach dem Harem. „Ich möchte gern,“ sprach sie zu ihm,
„den jungen Fremdling sehen, der unter meinem Fenster das Ungeheuer, die
Plage dieses Landes, getötet hat.“

„Wie,“ rief der König aus, „sollte es der
junge Mann sein, welchen ich eben verurteilt habe? Lasst uns eilen, seine
Bestrafung zu verschieben.“

Er ließ sogleich den Prinzen kommen, und sprach zu ihm:
„Junger Fremdling, nicht nur macht deine Tapferkeit dich der Verzeihung
würdig, sondern das Gelübde, welches ich getan habe, versichert dir auch die
Hand meiner Tochter.“

Der Geist, welcher sich in Hassans Nähe hielt, neigte
sich zu seinem Ohr und flüsterte ihm zu: „Hassan, andere Abenteuer
erwarten dich, und deine Bestimmung will, dass du zu den Deinigen heimkehren
sollst.“

Der Prinz bat hierauf den Sultan um die Erlaubnis, seine
Tochter mit sich heimzuführen. Sie wurde ihm bewilligt, und alsbald feierten
prächtige Freudenfeste die Vermählung der beiden Gatten.

Nach Verlauf von drei Monaten bereitete sich Hassan,
seinem dem König von Kaffern gegebenen Versprechen gemäß, zur Rückkehr in
dieses Land. Sein Schwiegervater machte ihm hundert Trauben aus Diamanten und
Smaragden zum Geschenk. Auf den Schultern des Geistes verfehlte Hassan nicht,
bald wieder nach dem Ort seiner Bestimmung zu gelangen.

Der König war überrascht, ihn mit dem verlangten Kleinod
so bald wieder zu sehen. „Ich sehe wohl,“ sprach er zu ihm, “ dass
der Himmel euch begünstigt: Nehmt darum, was euch in meinen Staaten gefällt,
aber leistet mir euren Beistand. Alle Jahre stürzt ein ungeheurer Geier auf
meine Hauptstadt herab, und entführt einige meiner Untertanen: Ich bitte euch,
helft mir ihn bekämpfen.“

„Ich weiß, wer dieser Vogel ist,“ sagte der
Geist Hassan ins Ohr, „versprich nur deine Hilfe.“

Indem er diese Worte sprach, bemerkte man einen schwarzen
Fleck am Gesichtskreis. Bald vergrößerte sich derselbe, und die Einwohner
stießen ein klägliches Geschrei aus, und verschlossen sich in ihren
unzugänglichsten Gemächern.

Schon hatte der Vogel seinen langen Hals in die Fenster
des Palastes gestreckt, und ergriff die Tochter des Königs, als der Geist die
Gestalt eines Adlers annahm, auf den Geier herabstieß und ihm mit seinen
scharfen Klauen die Seiten zerfleischte: Der Geier verwandelte sich hierauf, und
man erblickte einen scheußlichen Riesen. Der Geist aber behielt seine
Adlergestalt, und trachtete nun, ihm mit dem Schnabel die Augen auszuhacken. Der
Riese ergriff ihn dabei so gewaltig, dass er schon im Begriff war, ihn in
Stücken zu reißen, als Hassan hinzu sprang, und ihm mit einem Schwert die
Kniekehlen durchhieb: Der Riese stürzte nieder, und riss den Geist mit sich zu
Boden. Alsbald verwandelte er sich hier in eine Schlange, weil er ungeachtet
seiner Wunde in dieser Gestalt besser zu streiten vermochte: Nun aber schwang
sich der Geist mit seinem Flug über den Palast empor, verwandelte sich mit
Blitzesschnelle in einen Stein, ließ sich herabfallen und zerschmetterte der
Schlange den Kopf.

Die Einwohner, welche das Schauspiel dieses Kampfes
versammelt hatte, stießen ein tausendstimmiges Freudengeschrei aus. Der König,
beglückt durch die Befreiung seiner Tochter, glaubte ihre Retter nicht besser
belohnen zu können, als wenn er sie einem von ihnen zur Gemahlin gäbe. Hassan
nahm also auch noch diese zweite Frau, und was ihm fast noch mehr Vergnügen
gewährte, war, dass er von dem König, nebst anderen reichen Schätzen, auch
die Vögel erhielt, nach welchen er so heißes Verlangen gehabt hatte.

Er machte sich auf Anraten des Geistes bald wieder auf den
Heimweg. Sie erreichten die in Trümmern liegende Stadt, und fanden dort ihr
zurückgelassenes Gefolge wieder. Hier ging der Geist mit dem Prinzen in ein
verfallenes Gebäude und sprach zu ihm:

„Hassan, meine Aufgabe ist erfüllt, meine Laufbahn
ist beendigt. Ich verlasse dich, lebe wohl! Zum Lohn der Dienste, welche ich dir
zu leisten vermochte, fordere ich nur einen von dir. Ich werde innerhalb zwölf
Jahren wiedergeboren, wenn jemand an meinem Leichnam die gewöhnlichen
Abwaschungen verrichtet, und für das Begräbnis Sorge trägt.“