6. Kapitel


6. Kapitel

Revolutionsversuch des Marius und Reformversuch des Drusus

Gaius Marius ward, eines armen Tagelöhners Sohn, geboren im Jahre 599 (155) in dem damals arpinatischen Dorfe Cereatae, das später als Cereatae Marianae Stadtrecht erhielt und noch heute den Namen „Mariusheimat“ (Casamare) trägt. Beim Pfluge war er aufgekommen, in so dürftigen Verhältnissen, daß sie ihm selbst zu den Gemeindeämtern von Arpinum den Zugang zu verschließen schienen; er lernte früh, was er später noch als Feldherr übte, Hunger und Durst, Sonnenbrand und Winterkälte ertragen und auf der harten Erde schlafen. Sowie das Alter es ihm erlaubte, war er in das Heer eingetreten und hatte in der schweren Schule der Spanischen Kriege sich rasch zum Offizier emporgedient; in Scipios Numantinischem Kriege zog er, damals dreiundzwanzigjährig, des strengen Feldherrn Augen auf sich durch die saubere Haltung seines Pferdes und seiner Waffen wie durch seine Tapferkeit im Gefecht und sein ehrbares Betragen im Lager. Er war heimgekehrt mit ehrenvollen Narben und kriegerischen Abzeichen und mit dem lebhaften Wunsch, in der rühmlich betretenen Laufbahn sich einen Namen zu machen; allein unter den damaligen Verhältnissen konnte zu den politischen Ämtern, die allein zu höheren Militärstellen führten, auch der verdienteste Mann nicht gelangen ohne Vermögen und ohne Verbindungen. Beides ward dem jungen Offizier zuteil durch glückliche Handelsspekulationen und durch die Verbindung mit einem Mädchen aus dem altadligen Geschlecht der Julier; so gelangte er unter großen Anstrengungen und nach vielfachen Mißerfolgen im Jahre 639 (115) bis zur Prätur, in welcher er als Statthalter des jenseitigen Spaniens seine militärische Tüchtigkeit aufs neue zu bewähren Gelegenheit fand. Wie er sodann der Aristokratie zum Trotz im Jahre 647 (107) das Konsulat übernahm und als Prokonsul (648, 649 106, 105) den Afrikanischen Krieg beendigte, wie er, nach dem Unglückstag von Arausio zur Oberleitung des Krieges gegen die Deutschen berufen, unter viermal vom Jahre 650 (104) bis zum Jahre 653 (101) wiederholter, in den Annalen der Republik beispielloser Erneuerung des Konsulats, die Kimbrer jenseits, die Teutonen diesseits der Alpen überwand und vernichtete, ist bereits erzählt worden. In seinem Kriegsamt hatte er sich gezeigt als einen braven und rechtschaffenen Mann, der unparteiisch Recht sprach, über die Beute mit seltener Ehrlichkeit und Uneigennützigkeit verfügte und durchaus unbestechlich war; als einen geschickten Organisator, der die einigermaßen eingerostete Maschine des römischen Heerwesens wieder in brauchbaren Stand gesetzt hatte; als einen fähigen Feldherrn, der den Soldaten in Zucht und doch bei guter Laune erhielt und zugleich im kameradschaftlichen Verkehr seine Liebe gewann, dem Feinde aber kühn ins Auge sah und zur rechten Zeit sich mit ihm schlug. Eine militärische Kapazität im eminenten Sinn war er, soweit wir urteilen können, nicht; allein die sehr achtungswerten Eigenschaften, die er besaß, genügten unter den damals bestehenden Verhältnissen vollkommen, um ihm den Ruf einer solchen zu verschaffen, und auf diesen gestützt war er in einer beispiellos ehrenvollen Weise eingetreten unter die Konsulare und die Triumphatoren. Allein er paßte darum nicht besser in den glänzenden Kreis. Seine Stimme blieb rauh und laut, sein Blick wild, als sähe er noch Libyer oder Kimbrer vor sich und nicht wohlerzogene und parfümierte Kollegen. Daß er abergläubisch war wie ein echter Lanzknecht, daß er zur Bewerbung um sein erstes Konsulat sich nicht durch den Drang seiner Talente, sondern zunächst durch die Aussagen eines etruskischen Eingeweidebeschauers bestimmen ließ, und bei dem Feldzug gegen die Teutonen eine syrische Prophetin Martha mit ihren Orakeln dem Kriegsrat aushalf, war nicht eigentlich unaristokratisch; in solchen Dingen begegneten sich damals wie zu allen Zeiten die höchsten und die niedrigsten Schichten der Gesellschaft. Allein unverzeihlich war der Mangel an politischer Bildung; es war zwar löblich, daß er die Barbaren zu schlagen verstand, aber was sollte man denken von einem der verfassungsmäßigen Etikette so unkundigen Konsul, daß er im Triumphalkostüm im Senat erschien! Auch sonst hing die Rotüre ihm an. Er war nicht bloß – nach aristokratischer Terminologie – ein armer Mann, sondern, was schlimmer war, genügsam und ein abgesagter Feind aller Bestechung und Durchstecherei. Nach Soldatenart war er nicht wählerisch, aber becherte gern, besonders in späteren Jahren; Feste zu geben verstand er nicht und hielt einen schlechten Koch. Ebenso übel war es, daß der Konsular nur Lateinisch verstand und die griechische Konversation sich verbitten mußte; daß er bei den griechischen Schauspielen sich langweilte, mochte hingehen – er war vermutlich nicht der einzige –, aber daß er sich zu seiner Langenweile bekannte, war naiv. So blieb er zeit seines Lebens ein unter die Aristokraten verschlagener Bauersmann und geplagt von den empfindlichen Stichelworten und dem empfindlicheren Mitleiden seiner Kollegen, das wie diese selber zu verachten er denn doch nicht über sich vermochte. Nicht viel weniger wie außerhalb der Gesellschaft stand Marius außerhalb der Parteien. Die Maßregeln, die er in seinem Volkstribunat (635 119) durchsetzte, eine bessere Kontrolle bei der Abgabe der Stimmtäfelchen zur Abstellung der argen dabei stattfindenden Betrügereien und die Verhinderung ausschweifender Anträge auf Spenden an das Volk, tragen nicht den Stempel einer Partei, am wenigsten den der demokratischen, sondern zeigen nur, daß ihm Unrechtfertigkeit und Unvernunft verhaßt waren; und wie hätte auch ein Mann wie dieser, Bauer von Geburt und Soldat aus Neigung, von Haus aus revolutionär sein können? Die Anfeindungen der Aristokratie hatten ihn zwar später in das Lager der Gegner der Regierung getrieben, und rasch sah er sich hier auf den Schild gehoben zunächst als Feldherr der Opposition und demnächst vielleicht bestimmt zu noch höheren Dingen. Allein es war dies weit mehr die Folge der zwingenden Gewalt der Verhältnisse und des allgemeinen Bedürfnisses der Opposition nach einem Haupte als sein eigenes Werk; hatte er doch seit seinem Abgang nach Afrika 647/48 (107/06) kaum vorübergehend auf kurze Zeit in der Hauptstadt verweilt. Erst in der zweiten Hälfte des Jahres 653 (101) kam er, Sieger wie über die Kimbrer so über die Teutonen, nach Rom zurück, um den verschobenen Triumph nun zwiefach zu feiern, entschieden der erste Mann in Rom und doch zugleich politischer Anfänger. Es war unwidersprechlich ausgemacht, nicht bloß daß Marius Rom gerettet habe, sondern daß er der einzige Mann sei, der Rom habe retten können; sein Name war auf allen Lippen; die Vornehmen erkannten seine Leistungen an; bei dem Volk war er populär wie keiner vor oder nach ihm, populär durch seine Tugenden wie durch seine Fehler, durch seine unaristokratische Uneigennützigkeit nicht minder wie durch seine bäurische Derbheit; er hieß der Menge der dritte Romulus und der zweite Camillus; gleich den Göttern wurden ihm Trankopfer gespendet. Es war kein Wunder, wenn dem Bauernsohn der Kopf mitunter schwindelte von all der Herrlichkeit, wenn er seinen Zug von Afrika ins Kettenland den Siegesfahrten des Dionysos von Erdteil zu Erdteil verglich und sich für seinen Gebrauch einen Becher – keinen von den kleinsten – nach dem Muster des Bakchischen fertigen ließ. Es war ebensoviel Hoffnung wie Dankbarkeit in dieser taumelnden Begeisterung des Volkes, die wohl einen Mann von kälterem Blut und gereifterer politischer Erfahrung zu irren vermocht hätte. Marius‘ Werk schien seinen Bewunderern keineswegs vollendet. Schwerer als die Barbaren lastete auf dem Lande die elende Regierung; ihm, dem ersten Manne Roms, dem Liebling des Volkes, dem Haupt der Opposition kam es zu, Rom zum zweitenmal zu retten. Zwar war ihm, dem Bauer und Soldaten, das hauptstädtische politische Treiben fremd und unbequem; er sprach so schlecht, wie er gut kommandierte, und bewies den Lanzen und Schwertern der Feinde gegenüber eine weit festere Haltung als gegen die klatschende oder zischende Menge; aber auf seine Neigung kam wenig an. Hoffnungen binden. Seine militärische und politische Stellung war von der Art, daß, wenn er mit seiner ruhmvollen Vergangenheit nicht brechen, die Erwartungen seiner Partei, ja der Nation nicht täuschen, seiner eigenen Gewissenspflicht nicht untreu werden wollte, er der Mißverwaltung der öffentlichen Angelegenheiten steuern und dem Restaurationsregiment ein Ende machen mußte, und wenn er nur die inneren Eigenschaften eines Volkshauptes besaß, so konnte er dessen, was zum Volksführer ihm abging, allerdings entraten.

Eine furchtbare Waffe hielt er in der Hand in der neu organisierten Armee. Bis auf seine Zeit hatte man von dem Grundgedanken der Servianischen Verfassung, die Aushebung lediglich auf die vermögenden Bürger zu beschränken und die Unterschiede der Waffengattungen allein nach den Vermögensklassen zu ordnen, wohl schon manches nachlassen müssen: es war das zum Eintritt in das Bürgerheer verpflichtende Minimalvermögen von 11000 Assen (300 Talern) herabgesetzt worden auf 4000 (115 Taler; 2, 345); es waren die älteren sechs in den Waffengattungen unterschiedenen Vermögensklassen beschränkt worden auf drei, indem man zwar wie nach der Servianischen Ordnung die Reiter aus den vermögendsten, die Leichtbewaffneten aus den ärmsten Dienstpflichtigen auslas, aber den Mittelstand, die eigentliche Linieninfanterie unter sich nicht mehr nach dem Vermögen, sondern nach dem Dienstalter in die drei Treffen der Hastaten, Principes und Triarier ordnet. Man hatte ferner schon längst die italischen Bundesgenossen in sehr ausgedehntem Maße zum Kriegsdienst mitherangezogen, indes auch hier, ganz wie bei der römischen Bürgerschaft, die Militärpflicht vorzugsweise auf die besitzenden Klassen gelegt. Nichtsdestoweniger ruhte das römische Militärwesen bis auf Marius im wesentlichen auf jener uralten Bürgerwehrordnung. Allein für die veränderten Verhältnisse paßte dieselbe nicht mehr. Die besseren Klassen der Gesellschaft zogen teils vom Heerdienst mehr und mehr sich zurück, teils schwand der römische und italische Mittelstand überhaupt zusammen; dagegen waren einesteils die beträchtlichen Streitmittel der außeritalischen Bundesgenossen und Untertanen verfügbar geworden, andererseits bot das italische Proletariat, richtig verwandt, ein militärisch wenigstens sehr brauchbares Material. Die Bürgerreiterei, die aus der Klasse der Wohlhabenden gebildet werden sollte, war im Felddienst schon vor Marius tatsächlich eingegangen. Als wirklicher Heerkörper wird sie zuletzt genannt in dem spanischen Feldzug von 614 (140), wo sie den Feldherrn durch ihren höhnischen Hochmut und ihre Unbotmäßigkeit zur Verzweiflung bringt und zwischen beiden ein von den Reitern wie vom Feldherrn mit gleicher Gewissenlosigkeit geführter Krieg ausbricht. Im Jugurthinischen Krieg erscheint sie schon nur noch als eine Art Nobelgarde für den Feldherrn und fremde Prinzen; von da an verschwindet sie ganz. Ebenso erwies sich die Ergänzung der Legionen mit gehörig qualifizierten Pflichtigen schon im gewöhnlichen Lauf der Dinge schwierig, so daß Anstrengungen, wie sie nach der Schlacht von Arausio nötig waren, unter Einhaltung der bestehenden Vorschriften über die Dienstpflicht wohl in der Tat materiell unausführbar gewesen sein würden. Andererseits wurden schon vor Marius, namentlich in der Kavallerie und der leichten Infanterie, die außeritalischen Untertanen, die schweren Berittenen Thrakiens, die leichte afrikanische Reiterei, das vortreffliche leichte Fußvolk der bebenden Ligurer, die Schleuderer von den Balearen, in immer größerer Anzahl auch außerhalb ihrer Provinzen bei den römischen Heeren mitverwendet; und zugleich drängten sich, während an qualifizierten Bürgerrekruten Mangel war, die nichtqualifizierten ärmeren Bürger ungerufen zum Eintritt in die Armee, wie denn bei der Masse des arbeitslosen oder arbeitsscheuen Bürgergesindels und bei den ansehnlichen Vorteilen, die der römische Kriegsdienst abwarf, die Freiwilligenwerbung nicht schwierig sein konnte. Es war demnach nichts als eine notwendige Konsequenz der politischen und sozialen Umwandlung des Staats, daß man im Militärwesen überging von dem System des Bürgeraufgebots zu dem Zuzug- und Werbesystem, die Reiterei und die leichten Truppen wesentlich aus den Kontingenten der Untertanen bildete, wie denn für den kimbrischen Feldzug schon bis nach Bithynien Zuzug angesagt ward, für die Linieninfanterie aber zwar die bisherige Dienstpflichtordnung nicht aufhob, allein daneben jedem freigeborenen Bürger den freiwilligen Eintritt in das Heer gestattete, was zuerst Marius 647 (107) tat.

Hierzu kam die Nivellierung innerhalb der Linieninfanterie, die gleichfalls auf Marius zurückgeht. Die römische Weise aristokratischer Gliederung hatte bis dahin auch innerhalb der Legion geherrscht. Die vier Treffen der Leichten, der Hastaten, der Principes, der Triarier oder, wie man auch sagen kann, der Vorhut, der ersten, zweiten und dritten Linie hatten bis dahin jedes seine besondere Qualifikation nach Vermögens- oder Dienstalter und großenteils auch verschiedene Bewaffnung, jedes seinen ein für allemal bestimmten Platz in der Schlachtordnung, jedes seinen bestimmten militärischen Rang und sein eigenes Feldzeichen gehabt. Alle diese Unterschiede fielen jetzt über den Haufen. Wer überhaupt als Legionär zugelassen ward, bedurfte keiner weiteren Qualifikation, um in jeder Abteilung zu dienen; über die Einordnung entschied einzig das Ermessen der Offiziere. Alle Unterschiede der Bewaffnung fielen weg und somit wurden auch alle Rekruten gleichmäßig geschult. Ohne Zweifel in Verbindung damit stehen die vielfachen Verbesserungen, die in der Bewaffnung, dem Tragen des Gepäcks und ähnlichen Dingen von Marius herrühren und ein rühmliches Zeugnis ablegen von der Einsicht desselben in das praktische Detail des Kriegshandwerks und seiner Fürsorge für die Soldaten; vor allem aber das neue, von dem Kameraden des Marius im Afrikanischen Krieg, Publius Rutilius Rufus (Konsul 649 105), entworfene Exerzierreglement; es ist bezeichnend, daß dasselbe die militärische Ausbildung des einzelnen Mannes beträchtlich steigerte und wesentlich sich anlehnte an die in den damaligen Fechterschulen übliche Ausbildung der künftigen Gladiatoren. Die Gliederung der Legion ward eine gänzlich andere. An die Stelle der 30 Fähnlein (manipuli) schwerer Infanterie, die – jedes zu zwei Zügen (centuriae) von je 60 Mann in den beiden ersten und je 30 Mann im dritten Treffen – bisher die taktische Einheit gebildet hatten, traten 10 Haufen (cohortes), jeder mit eigenem Feldzeichen und jeder zu sechs, oft auch nur zu fünf Zügen von je 100 Mann; so daß, obgleich gleichzeitig durch Einziehung der leichten Infanterie der Legion 1200 Mann erspart wurden, dennoch die Gesamtzahl der Legion von 4200 auf 5000 bis 6000 Mann stieg. Die Sitte, in drei Treffen zu fechten, blieb bestehen, allein wenn bisher jedes Treffen einen eigenen Truppenkörper gebildet hatte, so war es in Zukunft dem Feldherrn überlassen, die Kohorten, über die er disponierte, in die drei Linien nach Ermessen zu verteilen. Den militärischen Rang bestimmte einzig die Ordnungsnummer der Soldaten und der Abteilungen. Die vier Feldzeichen der einzelnen Legionsteile, der Wolf, der mannköpfige Stier, das Roß, der Eber, die bisher wahrscheinlich der Reiterei und den drei Treffen der schweren Infanterie waren vorgetragen worden, verschwanden; dafür traten die Fähnlein der neuen Kohorten ein und das neue Zeichen, das Marius der gesamten Legion verlieh, der silberne Adler. Wenn also innerhalb der Legion jede Spur der bisherigen bürgerlichen und aristokratischen Gliederung verschwand und unter den Legionären fortan nur noch rein soldatische Unterschiede vorkamen, so hatte sich dagegen schon einige Jahrzehnte früher aus zufälligen Anlässen eine bevorzugte Heeresabteilung neben den Legionen entwickelt: die Leibwache des Feldherrn. Bis dahin hatten ausgesuchte Mannschaften aus den bundesgenössischen Kontingenten die persönliche Bedeckung des Feldherrn gebildet; römische Legionäre oder gar freiwillig sich erbietende Mannschaften zum persönlichen Dienst bei dem selben zu verwenden, widerstritt der strengen Gebundenheit des gewaltigen Gemeinwesens. Aber als der Numantinische Krieg ein beispiellos demoralisiertes Heer großgezogen hatte und Scipio Aemilianus, der berufen ward, dem wüsten Unwesen zu steuern, es nicht bei der Regierung hatte durchsetzen können, völlig neue Truppen unter die Waffen zu rufen, ward es ihm wenigstens gewährt, außer einer Anzahl von Mannschaften, die ihm die abhängigen Könige und Freistädte des Auslandes zur Verfügung stellten, aus freiwilligen römischen Bürgern eine persönliche Bedeckungsmannschaft von 500 Mann zu bilden. Diese Kohorte, teils aus den besseren Ständen, teils aus der niederen persönlichen Klientel des Feldherrn hervorgegangen und daher bald die der Freunde, bald die des Hauptquartiers (praetoriani) genannt, hatte den Dienst in diesem (praetorium), wofür sie vom Lager- und Schanzdienst frei war, und genoß höheren Sold und größeres Ansehen.

Diese vollständige Revolution der römischen Heerverfassung scheint allerdings wesentlich aus rein militärischen Motiven hervorgegangen und überhaupt weniger das Werk eines einzelnen, am wenigsten eines berechnenden Ehrgeizigen, als die vom Drang der Umstände gebotene Umgestaltung unhaltbar gewordener Einrichtungen gewesen zu sein. Es ist wahrscheinlich, daß die Einführung des inländischen Werbesystems durch Marius ebenso den Staat militärisch vom Untergang gerettet hat, wie manches Jahrhundert später Arbogast und Stilicho durch Einführung des ausländischen ihm noch auf eine Weile die Existenz fristeten. Nichtsdestoweniger lag in ihr, wenn auch noch unentwickelt, zugleich eine vollständige politische Revolution. Die republikanische Verfassung ruhte zumeist darauf, daß der Bürger zugleich Soldat, der Soldat vor allem Bürger war; es war mit ihr zu Ende, sowie ein Soldatenstand sich bildete. Hierzu mußte schon das neue Exerzierreglement führen mit seiner dem Kunstfechter abgeborgten Routine; der Kriegsdienst ward allmählich Kriegshandwerk. Weit rascher noch wirkte die wenn auch beschränkte Zuziehung des Proletariats zum Militärdienst, besonders in Verbindung mit den uralten Satzungen, die dem Feldherrn ein nur mit sehr soliden republikanischen Institutionen verträgliches arbiträres Belohnungsrecht seiner Soldaten einräumten und dem tüchtigen und glücklichen Soldaten eine Art Anrecht gaben, vom Feldherrn einen Teil der beweglichen Beute, vom Staat ein Stück des gewonnenen Ackers zu heischen. Wenn der ausgehobene Bürger und Bauer in dem Kriegsdienst nichts sah als eine für das gemeine Beste zu übernehmende Last und im Kriegsgewinn nichts als einen geringen Entgelt für den ihm aus dem Dienst erwachsenden weit ansehnlicheren Verlust, so war dagegen der geworbene Proletarier nicht bloß für den Augenblick allein angewiesen auf seinen Sold, sondern auch für die Zukunft mußte er, den nach der Entlassung kein Invaliden-, ja nicht einmal ein Armenhaus aufnahm, wünschen, zunächst bei der Fahne zu bleiben und diese nicht anders zu verlassen als mit Begründung seiner bürgerlichen Existenz. Seine einzige Heimat war das Lager, seine einzige Wissenschaft der Krieg, seine einzige Hoffnung der Feldherr – was hierin lag, leuchtet ein. Als Marius nach dem Treffen auf dem Raudischen Feld zwei Kohorten italischer Bundesgenossen ihrer tapferen Haltung wegen in Masse das Bürgerrecht auf dem Schlachtfeld selbst verfassungswidrig verlieh, rechtfertigte er später sich damit, daß er im Lärm der Schlacht die Stimme der Gesetze nicht habe unterscheiden können. Wenn einmal in wichtigeren Fragen das Interesse des Heers und des Feldherrn in verfassungswidrigem Begehren sich begegneten, wer mochte dafür stehen, daß alsdann nicht noch andere Gesetze über dem Schwertergeklirr nicht würden vernommen werden? Man hatte das stehende Heer, den Soldatenstand, die Garde; wie in der bürgerlichen Verfassung, so standen auch in der militärischen bereits alle Pfeiler der künftigen Monarchie: es fehlte einzig an dem Monarchen. Wie die zwölf Adler um den Palatinischen Hügel kreisten, da riefen sie dem Königtum; der neue Adler, den Gaius Marius den Legionen verlieh, verkündete das Reich der Kaiser.

Es ist wohl keinem Zweifel unterworfen, daß Marius einging auf die glänzenden Aussichten, die seine militärische und politische Stellung ihm eröffnete. Es war eine trübe, schwere Zeit. Man hatte Frieden, aber man ward des Friedens nicht froh; es war nicht mehr wie einst nach dem ersten gewaltigen Anprall der Nordländer auf Rom, wo nach überstandener Krise im frischen Gefühl der Genesung alle Kräfte sich neu geregt, wo sie in üppiger Entfaltung das Verlorene rasch und reichlich ersetzt hatten. Alle Welt fühlte, daß, mochten auch tüchtige Feldherren noch aber und abermals das unmittelbare Verderben abwehren, das Gemeinwesen darum nur um so sicherer zu Grunde gehe unter dem Regiment der restaurierten Oligarchie; aber alle Welt fühlte auch, daß die Zeit nicht mehr war, wo in solchen Fällen die Bürgerschaft sich selber half, und daß nichts besser ward, solange des Gaius Gracchus Platz leer blieb. Wie tief die Menge die nach dem Verschwinden jener beiden hohen Jünglinge, welche der Revolution das Tor geöffnet hatten, zurückgebliebene Lücke empfand, freilich auch wie kindisch sie nach jedem Schatten des Ersatzes griff, beweist der falsche Sohn des Tiberius Gracchus, welcher, obwohl die eigene Schwester der beiden Gracchen ihn auf offenem Markte des Betruges zieh, dennoch einzig seines usurpierten Namens wegen vom Volke für 655 (99) zum Tribun gewählt ward. In demselben Sinne jubelte die Menge dem Gaius Marius entgegen; wie sollte sie nicht? Wenn irgendeiner, schien er der rechte Mann; war er doch der erste Feldherr und der populärste Name seiner Zeit, anerkannt brav und rechtschaffen und selbst durch seine von dem Parteitreiben entfernte Stellung zum Regenerator des Staats, empfohlen – wie hätte nicht das Volk, wie hätte er selbst nicht sich dafür halten sollen! Die öffentliche Meinung war so entschieden wie möglich oppositionell; es ist bezeichnend dafür, daß die Besetzung der in den höchsten geistlichen Kollegien erledigten Stellen durch die Bürgerschaft anstatt durch die Kollegien selbst, die die Regierung noch im Jahre 609 (145) durch Anregung der religiösen Bedenken in den Komitien zu Fall gebracht hatte, im Jahre 650 (104) auf den Antrag des Gnaeus Domitius durchging, ohne daß der Senat es hätte wagen können, sich auch nur ernstlich zu widersetzen. Durchaus schien es nur an einem Haupte zu fehlen, das der Opposition einen festen Mittelpunkt und ein praktisches Ziel gab; und dies war jetzt in Marius gefunden.

Zur Durchführung seiner Aufgabe bot sich ihm ein doppelter Weg: Marius konnte die Oligarchie zu stürzen versuchen als Imperator an der Spitze der Armee oder auf dem für konstitutionelle Änderungen verfassungsmäßig bezeichneten Weg; dorthin wies seine eigene Vergangenheit, hierin der Vorgang des Gracchus. Es ist sehr begreiflich, daß er den ersteren Weg nicht betrat, vielleicht nicht einmal die Möglichkeit dachte, ihn zu betreten. Der Senat war oder schien so macht- und ratlos, so verhaßt und verachtet, daß Marius gegen ihn kaum einer anderen Stütze als seiner ungeheuren Popularität zu bedürfen, nötigenfalls aber trotz der Auflösung des Heeres sie in den entlassenen und ihrer Belohnungen harrenden Soldaten zu finden meinte. Es ist wahrscheinlich, daß Marius, im Hinblick auf Gracchus‘ leichten und scheinbar fast vollständigen Sieg und auf seine eigenen, denen des Gracchus weit überlegenen Hilfsmittel, den Umsturz einer vierhundertjährigen, mit dem nach komplizierter Hierarchie geordneten Staatskörper und der mannigfaltigsten Gewohnheiten und Interessen innig verwachsenen Verfassung für weit leichter hielt, als er war. Aber selbst wer tiefer in die Schwierigkeiten des Unternehmens hineinsah, als es Marius wahrscheinlich tat, mochte erwägen, daß das Heer, obwohl im Übergang begriffen von der Bürgerwehr zur Söldnerschar, doch während dieses Übergangszustandes noch keineswegs zum blinden Werkzeug eines Staatsstreiches sich schickte und daß ein Versuch, die widerstrebenden Elemente durch militärische Mittel zu beseitigen, die Widerstandsfähigkeit der Gegner wahrscheinlich gesteigert haben würde. Die organisierte Waffengewalt in den Kampf zu verwickeln, mußte auf den ersten Blick überflüssig, auf den zweiten bedenklich erscheinen: man war eben am Anfang der Krise und die Gegensätze von ihrem letzten, kürzesten und einfachsten Ausdruck noch weit entfernt.

Marius entließ also der bestehenden Ordnung gemäß nach dem Triumph sein Heer und schlug den von Gaius Gracchus vorgezeichneten Weg ein, vermittels der Übernahme der verfassungsmäßigen Staatsämter die Oberhauptschaft im Staate an sich zu bringen. Er fand sich damit angewiesen auf die sogenannte Volkspartei und in deren damaligen Führern um so mehr seine Bundesgenossen, als der siegreiche General die zur Gassenherrschaft erforderlichen Gaben und Erfahrungen durchaus nicht besaß. So gelangte die demokratische Partei nach langer Nichtigkeit plötzlich wieder zu politischer Bedeutung. Sie hatte in dem langen Interim von Gaius Gracchus bis auf Marius sich wesentlich verschlechtert. Wohl war das Mißvergnügen über das senatorische Regiment jetzt nicht geringer als damals; aber manche der Hoffnungen, die den Gracchen ihre treuesten Anhänger zugeführt hatten, war inzwischen als Illusion erkannt worden und die Ahnung inzwischen manchem aufgegangen, daß diese Gracchische Agitation auf ein Ziel hinausliefe, wohin ein sehr großer Teil der Mißvergnügten keineswegs zu folgen willig war; wie denn überhaupt in dem zwanzigjährigen Hetzen und Treiben gar viel verschliffen und vergriffen war von der frischen Begeisterung, dem felsenfesten Glauben, der sittlichen Reinheit des Strebens, die die Anfangsstadien der Revolutionen bezeichnen. Aber wenn die demokratische Partei nicht mehr war, was sie unter Gaius Gracchus gewesen, so standen die Führer der Zwischenzeit jetzt ebenso tief unter ihrer Partei, als Gaius Gracchus hoch über derselben gestanden hatte. Es lag dies in der Natur der Sache. Bis wieder ein Mann auftraf, der es wagte, wie Gaius Gracchus nach der Staatsoberhauptschaft zu greifen, konnten die Führer nur Lückenbüßer sein: entweder politische Anfänger, die ihre jugendliche Oppositionslust austobten und sodann, als sprudelnde Feuerköpfe und beliebte Sprecher legitimiert, mit mehr oder minder Geschicklichkeit ihren Rückzug in das Lager der Regierungspartei bewerkstelligten; oder auch Leute, die an Vermögen und Einfluß nichts zu verlieren, an Ehre gewöhnlich nicht einmal etwas zu gewinnen hatten, und die aus persönlicher Erbitterung oder auch aus bloßer Lust am Lärmschlagen sich ein Geschäft daraus machten, die Regierung zu hindern und zu ärgern. Der ersten Gattung gehörten zum Beispiel an Gaius Memmius und der bekannte Redner Lucius Crassus, die ihre in den Reihen der Opposition gewonnenen oratorischen Lorbeern demnächst als eifrige Regierungsmänner verwerteten. Die namhaftesten Führer der Popularpartei aber um diese Zeit waren Männer der zweiten Gattung: sowohl Gaius Servilius Glaucia, von Cicero der römische Hyperbolos genannt, ein gemeiner Gesell niedrigster Herkunft und unverschämtester Straßenberedsamkeit, aber wirksam und selbst gefürchtet wegen seiner drastischen Witze, als auch sein besserer und fähigerer Genosse Lucius Appuleius Saturninus, der selbst nach den Berichten seiner Feinde ein feuriger und eindringlicher Sprecher war und wenigstens nicht von gemein eigennützigen Motiven geleitet ward. Ihm war als Quästor die in üblicher Weise ihm zugefallene Getreideverwaltung durch Beschluß des Senats entzogen worden, weniger wohl wegen fehlerhafter Amtsführung als um das eben damals populäre Amt lieber einem der Häupter der Regierungspartei, dem Marcus Scaurus, als einem unbekannten, keiner der herrschenden Familien angehörigen jungen Manne zuzuwenden. Diese Kränkung hatte den aufstrebenden und lebhaften Mann in die Opposition gedrängt; und er vergalt als Volkstribun 651 (103) das Empfangene mit Zinsen. Ein ärgerlicher Handel hatte damals den anderen gedrängt. Er hatte die von den Gesandten des Königs Mithradates in Rom bewirkten Bestechungen auf offenem Markt zur Sprache gebracht – diese den Senat aufs höchste kompromittierenden Enthüllungen hätten fast dem kühnen Tribun das Leben gekostet. Er hatte gegen den Besieger Numidiens Quintus Metellus, als derselbe sich für 652 (102) um die Zensur bewarb, einen Auflauf erregt und denselben auf dem Kapitol belagert gehalten, bis die Ritter ihn nicht ohne Blutvergießen befreiten; des Zensors Metellus Vergeltung, die schimpfliche Ausstoßung des Saturninus wie des Glaucia aus dem Senat bei Gelegenheit der Revision des Senatorenverzeichnisses, war nur gescheitert an der Schlaffheit des dem Metellus zugegebenen Kollegen. Er hauptsächlich hatte jenes Ausnahmegericht gegen Caepio und dessen Genossen trotz des heftigsten Widerstrebens der Regierungspartei, er gegen dieselben die lebhaft bestrittene Wiederwahl des Marius zum Konsul für 652 (102) durchgesetzt. Saturninus war entschieden der energischste Feind des Senats und der tätigste und beredteste Führer der Volkspartei seit Gaius Gracchus, freilich auch gewalttätig und rücksichtslos wie keiner vor ihm, immer bereit, in die Straße hinabzusteigen und statt mit Worten den Gegner mit Knütteln zu widerlegen.

Solcher Art waren die beiden Führer der sogenannten Popularpartei, die mit dem siegreichen Feldherrn jetzt gemeinschaftliche Sache machten. Es war natürlich; die Interessen und die Zwecke gingen zusammen, und auch schon bei Marius‘ früheren Bewerbungen hatte wenigstens Saturninus aufs entschiedenste und erfolgreichste für ihn Partei genommen. Sie wurden sich dahin einig, daß für 654 (100) Marius um das sechste Konsulat, Saturninus um das zweite Tribunat, Glaucia um die Prätur sich bewerben sollten, um im Besitz dieser Ämter die beabsichtigte Staatsumwälzung durchzuführen. Der Senat ließ die Ernennung des minder gefährlichen Glaucia geschehen, aber tat, was er konnte, um Marius‘ und Saturninus‘ Wahl zu hindern oder doch wenigstens jenem in Quintus Metellus einen entschlossenen Gegner als Kollegen im Konsulat an die Seite zu setzen. Von beiden Parteien wurden alle Hebel, erlaubte und unerlaubte, in Bewegung gesetzt; allein es gelang dem Senat nicht, die gefährliche Verschwörung im Keim zu ersticken. Marius selbst verschmähte es nicht, Stimmenbettel, es heißt sogar auch Stimmenkauf zu betreiben; ja als in den tribunizischen Wahlen neun Männer von der Liste der Regierungspartei proklamiert waren und auch die zehnte Stelle bereits einem achtbaren Mann derselben Farbe, Quintus Nunnius, gesichert schien, ward dieser von einem wüsten Haufen, der vorzugsweise aus entlassenen Soldaten des Marius bestanden haben soll, angefallen und erschlagen. So gelangten die Verschworenen, freilich auf die gewaltsamste Weise, zum Ziel. Marius wurde gewählt als Konsul, Glaucia als Prätor, Saturninus als Volkstribun für 654 (109): nicht Quintus Metellus, sondern ein unbedeutender Mann, Lucius Valerius Flaccus, erhielt die zweite Konsulstelle; die verbündeten Männer konnten daran gehen, ihre weiter beabsichtigten Pläne ins Werk zu setzen und das 633 (121) unterbrochene Werk zu vollenden.

Erinnern wir uns, welche Ziele Gaius Gracchus und mit welchen Mitteln er sie verfolgt hatte. Es galt, die Oligarchie nach innen wie nach außen zu brechen, also teils die vom Senat völlig abhängig gewordene Beamtengewalt in ihre ursprünglichen souveränen Rechte wiedereinzusetzen und die Ratsversammlung aus der regierenden wieder in eine beratende Behörde umzuwandeln, teils der aristokratischen Gliederung des Staats in die drei Klassen der herrschenden Bürger-, der italischen Bundesgenossen- und der Untertanenschaft durch allmähliche Ausgleichung dieser mit einem nichtoligarchischen Regiment unverträglichen Gegensätze ein Ende zu machen. Diese Gedanken nahmen die drei verbündeten Männer wieder auf in den Kolonialgesetzen, die Saturninus als Volkstribun teils schon früher (651 103) eingebracht hatte, teils jetzt (654 100) einbrachte57. Schon in jenem Jahre war zunächst zu Gunsten der Marianischen Soldaten, der Bürger nicht bloß, sondern, wie es scheint, auch der italischen Bundesgenossen, die unterbrochene Verteilung des karthagischen Gebiets wieder aufgenommen und jedem dieser Veteranen ein Landlos von 100 Morgen oder etwa dem fünffachen Maß eines gewöhnlichen italischen Bauernhofs in der Provinz Africa zugesichert worden. Jetzt ward für die römisch-italische Emigration nicht bloß das bereits zur Verfügung stehende Provinzialland in weitester Ausdehnung in Anspruch genommen, sondern auch mittels der rechtlichen Fiktion, daß den Römern durch die Besiegung der Kimbrer das gesamte von diesen besetzte Gebiet von Rechts wegen erworben sei, alles Land der noch unabhängigen Keltenstämme jenseits der Alpen. Zur Leitung der Landanweisungen wie der zu diesem Behuf etwa nötig erscheinenden weiteren Maßregeln ward Gaius Marius berufen; die unterschlagenen, aber von den schuldigen Aristokraten erstatteten oder noch zu erstattenden Tempelschätze von Tolosa wurden zur Ausstattung der neuen Landempfänger bestimmt. Dieses Gesetz nahm also nicht bloß die Eroberungspläne jenseits der Alpen und die transalpinischen und überseeischen Kolonisationsentwürfe, wie Gaius Gracchus und Flaccus sie entworfen hatten, im ausgedehntesten Umfang wieder auf, sondern indem es die Italiker neben den Römern zur Emigration zuließ und doch ohne Zweifel die sämtlichen neuen Gemeinden als Bürgerkolonien einzurichten vorschrieb, machte es einen Anfang, die so schwer durchzubringenden und doch unmöglich auf die Länge abzuweisenden Ansprüche der Italiker auf Gleichstellung mit den Römern zu befriedigen. Zunächst aber wurde, wenn das Gesetz durchging und Marius zur selbständigen Ausführung dieser ungeheuren Eroberungs- und Aufteilungspläne berufen ward, tatsächlich derselbe bis zur Realisierung jener Pläne oder vielmehr, bei der Unbestimmtheit und Schrankenlosigkeit derselben, auf zeit seines Lebens Monarch von Rom; wozu denn vermutlich, wie Gracchus das Tribunat, so Marius das Konsulat alljährlich sich erneuern zu lassen gedachte. überhaupt ist bei der sonstigen Übereinstimmung der für den jüngeren Gracchus und für Marius entworfenen politischen Stellungen in allen wesentlichen Stücken oder zwischen dem landanweisenden Tribun und dem landanweisenden Konsul darin ein sehr wesentlicher Unterschied, daß jener eine rein bürgerliche, dieser daneben eine militärische Stellung einnehmen sollte: ein Unterschied, der zwar mit, aber doch keineswegs allein aus den persönlichen Verhältnissen hervorging, unter denen die beiden Männer an die Spitze des Staates getreten waren.

Wenn also das Ziel beschaffen war, das Marius und seine Genossen sich vorgesteckt hatten, so fragte es sich weiter um die Mittel, durch welche man den voraussichtlich hartnäckigen Widerstand der Regierungspartei zu brechen gedachte. Gaius Gracchus hatte seine Schlachten geschlagen mit dem Kapitalistenstand und dem Proletariat. Seine Nachfolger versäumten zwar nicht, auch diesen entgegenzukommen. Den Rittern ließ man nicht bloß die Gerichte, sondern ihre Geschworenengewalt wurde ansehnlich gesteigert teils durch eine verschärfte Ordnung für die den Kaufleuten vor allem wichtige stehende Kommission wegen Erpressungen seitens der Staatsbeamten in den Provinzen, welche Glaucia, wahrscheinlich in diesem Jahr, durchbrachte, teils durch das wohl schon 651 (103) auf Saturninus‘ Antrag niedergesetzte Spezialgericht über die während der kimbrischen Bewegung in Gallien vorgekommenen Unterschlagungen und sonstigen Amtsvergehen. Zum Frommen des hauptstädtischen Proletariats ferner ward der bisher bei den Getreideverteilungen für den römischen Scheffel zu entrichtende Schleuderpreis von 6 1/3 As herabgesetzt auf eine bloße Rekognitionsgebühr von 5/6 As. Indes obwohl man das Bündnis mit den Rittern und dem hauptstädtischen Proletariat nicht verschmähte, so ruhte doch die eigentlich zwingende Macht der Verbündeten wesentlich nicht darauf, sondern auf den entlassenen Soldaten der Marianischen Armee, welche ebendeshalb in den Kolonialgesetzen selbst in so ausschweifender Weise bedacht worden waren. Auch hierin tritt der vorwiegend militärische Charakter hervor, der hauptsächlich diesen Revolutionsversuch von dem voraufgehenden unterscheidet.

Man ging also ans Werk. Das Getreide- und das Kolonialgesetz stießen bei der Regierung, wie begreiflich, auf die lebhafteste Gegenwehr. Man bewies im Senat mit schlagenden Zahlen, daß jenes die öffentlichen Kassen bankrott machen müsse; Saturninus kümmerte sich nicht darum. Man erwirkte gegen beide Gesetze tribunizische Interzession; Saturninus ließ weiterstimmen. Man zeigte den die Abstimmung leitenden Beamten an, daß ein Donnerschlag vernommen worden sei, durch welches Zeichen nach altem Glauben die Götter befahlen, die Volksversammlung zu entlassen; Saturninus bemerkte den Abgesandten, der Senat werde wohl tun, sich ruhig zu verhalten, sonst könne gar leicht nach dem Donner der Hagel folgen. Endlich trieb der städtische Quästor Quintus Caepio, vermutlich der Sohn des drei Jahre zuvor verurteilten Feldherrn58 und gleich seinem Vater ein heftiger Gegner der Popularpartei, mit einem Haufen ergebener Leute die Stimmversammlung mit Gewalt auseinander. Allein die derben Soldaten des Marius, die massenweise zu dieser Abstimmung nach Rom geströmt waren, sprengten, rasch zusammengerafft, wieder die städtischen Haufen, und so gelang es, auf dem wiedereroberten Stimmfeld die Abstimmung über die Appuleischen Gesetze zu Ende zu führen. Der Skandal war arg; als es indes zur Frage kam, ob der Senat der Klausel des Gesetzes genügen werde, daß binnen fünf Tagen nach dessen Durchbringung jeder vom Rat bei Verlust seiner Ratsherrnstelle auf getreuliche Befolgung des Gesetzes einen Eid abzulegen habe, leisteten diesen Eid die sämtlichen Senatoren mit einziger Ausnahme des Quintus Metellus, der es vorzog, die Heimat zu verlassen. Nicht ungern sahen Marius und Saturninus den besten Feldherrn und den tüchtigsten Mann unter der Gegenpartei durch Selbstverbannung aus dem Staate scheiden.

Man schien am Ziel; dem schärfer Sehenden mußte schon jetzt das Unternehmen als gescheitert erscheinen. Die Ursache des Fehlschlagens lag wesentlich in der ungeschickten Allianz eines politisch unfähigen Feldherrn und eines fähigen, aber rücksichtslos heftigen, und mehr von Leidenschaft als von staatsmännischen Zwecken erfüllten Demagogen von der Gasse. Man hatte sich vortrefflich vertragen, solange es sich nur noch um Pläne handelte; als es dann aber zur Ausführung kam, zeigte es sich sehr bald, daß der gefeierte Feldherr in der Politik nichts war als eine Inkapazität; daß sein Ehrgeiz der des Bauern war, der den Adligen an Titeln erreichen und womöglich überbieten möchte, nicht aber der des Staatsmannes, der regieren will, weil er dazu in sich die Kraft fühlt; daß jedes Unternehmen, welches auf seine politische Persönlichkeit gebaut war, auch unter den sonst günstigsten Verhältnissen notwendig an ihm selber scheitern mußte.

Er wußte weder seine Gegner zu gewinnen noch seine Partei zu bändigen. Die Opposition gegen ihn und seine Genossen war an sich schon ansehnlich genug; denn nicht bloß die Regierungspartei in Masse gehörte dazu, sondern auch der große Teil der Bürgerschaft, der mit eifersüchtigen Blicken den Italikern gegenüber über seinen Sonderrechten Wache hielt; durch den Gang aber, den die Dinge nahmen, wurde noch die gesamte begüterte Klasse zu der Regierung hinübergedrängt. Saturninus und Glaucia waren von Haus aus Herren und Diener des Proletariats und darum keineswegs auf gutem Fuße mit der Geldaristokratie, die zwar nichts dagegen hatte, mittels des Pöbels dem Senat einmal Schach zu bieten, aber Straßenaufläufe und arge Gewalttätigkeiten nicht liebte. Schon in Saturninus‘ erstem Tribunat hatten dessen bewaffnete Rotten mit den Rittern sich herumgeschlagen; die heftige Opposition, auf die seine Wahl zum Tribun für 654 (100) stieß, zeigt deutlich, wie klein die ihm günstige Partei war. Es wäre Marius‘ Aufgabe gewesen, der bedenklichen Hilfe dieser Genossen sich nur mit Maßen zu bedienen und männiglich zu überzeugen, daß sie nicht bestimmt seien zu herrschen, sondern ihm, dem Herrscher, zu dienen. Da er das gerade Gegenteil davon tat und die Sache ganz das Ansehen gewann, als handle es sich nicht darum, einen intelligenten und kräftigen Herrn, sondern die reine Kanaille ans Regiment zu bringen, so schlossen dieser gemeinsamen Gefahr gegenüber die Männer der materiellen Interessen, zum Tode erschrocken über das wüste Wesen, sich wieder eng an den Senat an. Während Gaius Gracchus, wohl erkennend, daß mit dem Proletariat allein keine Regierung gestürzt werden kann, vor allen Dingen bemüht gewesen war, die besitzenden Klassen auf seine Seite zu ziehen, fingen diese seine Fortsetzer damit an, die Aristokratie mit der Bourgeoisie zu versöhnen.

Aber noch rascher als die Versöhnung der Feinde führte den Ruin des Unternehmens die Uneinigkeit herbei, welche unter dessen Urhebern Marius‘ mehr als zweideutiges Auftreten notwendigerweise hervorrief. Während die entscheidenden Anträge von seinen Genossen gestellt, von seinen Soldaten durchgefochten wurden, verhielt Marius sich vollständig leidend, gleich als ob der politische Führer nicht ebenso wie der militärische, wenn es zum Hauptangriff geht, überall und vor allen einstehen müßte mit seiner Person. Aber es war damit nicht genug; vor den Geistern, die er selber gerufen, erschrak er und nahm Reißaus. Als seine Genossen zu Mitteln griffen, die ein ehrlicher Mann nicht billigen konnte, ohne die aber freilich das angestrebte Ziel sich nicht erreichen ließ, versuchte er in der üblichen Weise politisch-moralischer Konfusionäre sich von der Teilnahme an jenen Verbrechen reinzuwaschen und zugleich das Ergebnis derselben sich zunutze zu machen. Es gibt ein Geschichtchen, daß der General einst in zwei verschiedenen Zimmern seines Hauses in dem einen mit dem Saturninus und den Seinen, in dem anderen mit den Abgeordneten der Oligarchie geheime Unterhandlungen gepflogen habe, dort über das Losschlagen gegen dem Senat, hier über das Einschreiten gegen die Revolte, und daß er unter einem Vorwand, wie er der Peinlichkeit der Situation entsprach, zwischen beiden Konferenzen ab und zu gegangen sei – ein Geschichtchen, so sicherlich erfunden und so sicher treffend wie nur irgendein Einfall des Aristophanes. Offenkundig ward die zweideutige Stellung des Marius bei der Eidesfrage, wobei er anfangs Miene machte, den durch die Appuleischen Gesetze geforderten Eid der bei ihrer Durchbringung vorgekommenen Formfehler halber selbst zu verweigern und dann denselben unter den Vorbehalt schwor, wofern die Gesetze wirklich rechtsbeständig seien; ein Vorbehalt, der den Eid selber aufhob, und den natürlich sämtliche Senatoren in ihren Schwur gleichfalls aufnahmen, so daß durch diese Weise der Beeidigung die Gültigkeit der Gesetze nicht gesichert, sondern vielmehr erst recht in Frage gestellt ward.

Die Folgen dieses unvergleichlich kopflosen Auftretens des gefeierten Feldherrn entwickelten sich rasch. Saturninus und Glaucia hatten nicht deswegen die Revolution unternommen und dem Marius die Staatsoberhauptschaft verschafft, um sich von ihm verleugnen und aufopfern zu lassen; wenn Glaucia, der spaßhafte Volksmann, bisher den Marius mit den lustigsten Blumen seiner lustigen Beredsamkeit überschüttet hatte, so dufteten die Kränze, welche er jetzt ihm wand, keineswegs nach Rosen und Violen. Es kam zum vollständigen Bruch, womit beide Teile verloren waren; denn weder stand Marius fest genug, um allein das von ihm selbst in Frage gestellte Kolonialgesetz zu halten und der ihm darin bestimmten Stellung sich zu bemächtigen, noch waren Saturninus und Glaucia in der Lage, das für Marius begonnene Geschäft auf eigene Rechnung fortzuführen. Indes die beiden Demagogen waren so kompromittiert, daß sie nicht zurückkonnten und nur die Wahl hatten, ihre Ämter in gewöhnlicher Weise niederzulegen und damit ihren erbitterten Gegnern sich mit gebundenen Händen zu überliefern oder nun selber nach dem Szepter zu greifen, dessen Gewicht sie freilich fühlten nicht tragen zu können. Sie entschlossen sich zu dem letzteren; Saturninus wollte für 655 (99) abermals um das Volkstribunat als Bewerber auftreten, Glaucia, obwohl Prätor und erst nach zwei Jahren wahlfähig zum Konsulat, um dieses sich bewerben. In der Tat wurden die tribunizischen Wahlen durchaus in ihrem Sinne entschieden und Marius‘ Versuch, den falschen Tiberius Gracchus an der Bewerbung um das Tribunat zu hindern, diente nur dazu, dem gefeierten Mann zu beweisen, was seine Popularität jetzt noch wert war; die Menge sprengte die Tür des Gefängnisses, in dem Gracchus eingesperrt saß, trug ihn im Triumph durch die Straßen und wählte ihn mit großer Majorität zu ihrem Tribun. Die wichtigere Konsulnwahl suchten Saturninus und Glaucia durch das im vorigen Jahr erprobte Mittel zur Beseitigung unbequemer Konkurrenzen in die Hand zu bekommen; der Gegenkandidat der Regierungspartei, Gaius Memmius, derselbe, der elf Jahre zuvor gegen sie die Opposition geführt hatte, wurde von einem Haufen Gesindel überfallen und mit Knütteln erschlagen. Aber die Regierungspartei hatte nur auf ein eklatantes Ereignis der Art gewartet, um Gewalt zu brauchen. Der Senat forderte den Konsul Gaius Marius auf, einzuschreiten, und dieser gab in der Tat sich dazu her, das Schwert, das er von der Demokratie erhalten und für sie zu führen versprochen hatte, nun für die konservative Partei zu ziehen. Die junge Mannschaft ward schleunigst aufgeboten, mit Waffen aus den öffentlichen Gebäuden ausgerüstet und militärisch geordnet; der Senat selbst erschien bewaffnet auf dem Markt, an der Spitze sein greiser Vormann Marcus Scaurus. Die Gegenpartei war wohl im Straßenlärm überlegen, aber auf einen solchen Angriff nicht vorbereitet; sie mußte nun sich wehren, wie es ging. Man erbrach die Tore der Gefängnisse und rief die Sklaven zur Freiheit und unter die Waffen; man rief – so heißt es wenigstens – den Saturninus zum König oder Feldherrn aus; an dem Tage, wo die neuen Volkstribune ihr Amt anzutreten hatten, am 10. Dezember 654 (100), kam es auf dem Großen Markte zur Schlacht, der ersten, die, seit Rom stand, innerhalb der Mauern der Hauptstadt geliefert worden ist. Der Ausgang war keinen Augenblick zweifelhaft. Die Popularen wurden geschlagen und hinaufgedrängt auf das Kapitol, wo man ihnen das Wasser abschnitt und sie dadurch nötigte, sich zu ergeben. Marius, der den Oberbefehl führte, hätte gern seinen ehemaligen Verbündeten und jetzigen Gefangenen das Leben gerettet; laut rief Saturninus der Menge zu, daß alles, was er beantragt, im Einverständnis mit dem Konsul geschehen sei; selbst einem schlechteren Mann, als Marius war, mußte grauen vor der ehrlosen Rolle, die er an diesem Tage spielte. Indes er war längst nicht mehr Herr der Dinge. Ohne Befehl erklimmte die vornehme Jugend das Dach des Rathauses am Markt, in das man vorläufig die Gefangenen eingesperrt hatte, deckte die Ziegel ab und steinigte sie mit denselben. So kam Saturninus um mit den meisten der namhafteren Gefangenen. Glaucia ward in einem Versteck gefunden und gleichfalls getötet. Ohne Urteil und Recht starben an diesem Tage vier Beamte des römischen Volkes. ein Prätor, ein Quästor, zwei Volkstribune und eine Anzahl anderer bekannter und zum Teil guten Familien angehöriger Männer. Trotz der schweren und blutigen Verschuldungen, die die Häupter auf sich geladen hatten, durfte man dennoch sie bedauern; sie fielen wie die Vorposten, die das Hauptheer im Stich läßt und sie nötigt, im verzweifelten Kampf zwecklos unterzugehen.

Nie hatte die Regierungspartei einen vollständigeren Sieg erfochten, nie die Opposition eine härtere Niederlage erlitten als an diesem 10. Dezember. Es war das wenigste, daß man sich einiger unbequemer Schreier entledigt hatte, die jeden Tag durch Gesellen von gleichem Schlag ersetzt werden konnten; schwerer fiel ins Gewicht, daß der einzige Mann, der damals imstande war, der Regierung gefährlich zu werden, sich selber öffentlich und vollständig vernichtet hatte; am schwersten, daß die beiden oppositionellen Elemente, der Kapitalistenstand und das Proletariat, gänzlich entzweit aus dem Kampfe hervorgingen. Zwar das Werk der Regierung war dies nicht; teils die Macht der Verhältnisse, teils und vor allem die grobe Bauernfaust seines unfähigen Nachtreters hatten wieder aufgelöst, was unter Gaius Gracchus‘ gewandter Hand sich zusammenfügte; allein im Resultat kam nichts darauf an, ob Berechnung oder Glück der Regierung zum Siege verhalf. Eine kläglichere Stellung ist kaum zu erdenken, als wie sie der Held von Aquae und Vercellae nach jener Katastrophe einnahm – nur um so kläglicher, weil man nicht anders konnte, als sie mit dem Glanze vergleichen, der nur wenige Monate zuvor denselben Mann umgab. Weder auf aristokratischer noch auf demokratischer Seite gedachte weiter jemand des siegreichen Feldherrn bei der Besetzung der Ämter; der Mann der sechs Konsulate konnte nicht einmal wagen, sich 656 (98) um die Zensur zu bewerben. Er ging fort in den Osten, wie er sagte, um ein Gelübde dort zu lösen, in der Tat, um nicht von der triumphierenden Rückkehr seines Todfeindes, des Quintus Metellus, Zeuge zu sein; man ließ ihn gehen. Er kam wieder zurück und öffnete sein Haus; seine Säle standen leer. Immer hoffte er, daß es wieder Kämpfe und Schlachten geben und man seines erprobten Armes abermals bedürfen werde; er dachte sich im Osten, wo die Römer allerdings Ursache genug gehabt hätten, energisch zu intervenieren, Gelegenheit zu einem Kriege zu machen. Aber auch dies schlug ihm fehl wie jeder andere seiner Wünsche; es blieb tiefer Friede. Und dabei fraß der einmal in ihm aufgestachelte Hunger nach Ehren, je öfter er getäuscht ward, immer tiefer sich ein in sein Gemüt; abergläubisch wie er war, nährte er in seinem Busen ein altes Orakelwort, das ihm sieben Konsulate verheißen hatte, und sann in finsteren Gedanken, wie es geschehen möge, daß dies Wort seine Erfüllung und er seine Rache bekomme, während er allen, nur sich selbst nicht, unbedeutend und unschädlich erschien.

Folgenreicher noch als die Beseitigung des gefährlichen Mannes war die tiefe Erbitterung gegen die sogenannten Popularen, welche die Schilderhebung des Saturninus in der Partei der materiellen Interessen zurückließ. Mit der rücksichtslosesten Härte verurteilten die Rittergerichte jeden, der zu den oppositionellen Ansichten sich bekannte; so ward Sextus Titius mehr noch als wegen seines Ackergesetzes deswegen verdammt, weil er des Saturninus Bild im Hause gehabt hatte; so Gaius Appuleius Decianus, weil er als Volkstribun das Verfahren gegen Saturninus als ein ungesetzliches bezeichnet hatte. Sogar für ältere, von den Popularen der Aristokratien zugefügte Unbill wurde nun nicht ohne Aussicht auf Erfolg vor den Rittergerichten Genugtuung gefordert. Weil Gaius Norbanus acht Jahre zuvor in Gemeinschaft mit Saturninus den Konsular Quintus Caepio ins Elend getrieben hatte, wurde er jetzt (659 95) auf Grund seines eigenen Gesetzes des Hochverrats angeklagt, und lange schwankten die Geschworenen – nicht, ob der Angeklagte schuldig oder unschuldig, sondern ob sein Bundesgenosse oder sein Feind, Saturninus oder Caepio ihnen hassenswerter erscheine, bis sie denn doch zuletzt für Freisprechung sich entschieden. War man auch der Regierung an sich nicht geneigter als früher, so erschien doch nun, seit man sich, wenn auch nur einen Augenblick, am Rande der eigentlichen Pöbelherrschaft befunden hatte, jedem, der etwas zu verlieren hatte, das bestehende Regiment in einem anderen Licht es war notorisch elend und staatsverderberisch, aber die kümmerliche Furcht vor dem noch elenderen und noch staatsverderblicheren Regiment der Proletarier hatte ihm einen relativen Wert verliehen. So ging jetzt die Strömung, daß die Menge einen Volkstribun zerriß, der es gewagt hatte, die Rückkehr des Quintus Metellus zu verzögern, und daß die Demokraten anfingen, ihr Heil zu suchen in dem Bündnis mit Mördern und Giftmischern, wie sie zum Beispiel des verhaßten Metellus durch Gift sich entledigten, oder gar in dem Bündnis mit dem Landesfeind, wie denn einzelne von ihnen schon flüchteten an den Hof des Königs Mithradates, der im stillen zum Krieg rüstete gegen Rom.

Auch die äußeren Verhältnisse gestalteten für die Regierung sich günstig. Die römischen Waffen waren in der Zeit vom Kimbrischen bis auf den Bundesgenossenkrieg nur wenig, überall aber mit Ehren tätig. Ernstlich gestritten wurde nur in Spanien, wo während der letzten für Rom so schweren Jahre die Lusitaner (649f. 105) und die Keltiberer sich reit ungewohnter Heftigkeit gegen die Römer aufgelehnt hatten; hier stellten in dem Jahre 656-661 (98-93) der Konsul Titus Didius in der nördlichen und der Konsul Publius Crassus in der südlichen Provinz mit Tapferkeit und Glück nicht bloß das Obergewicht der römischen Waffen wieder her, sondern schleiften auch die wiederspenstigen Städte und versetzten, wo es nötig schien, die Bevölkerung der festen Bergstädte in die Ebenen. Daß um dieselbe Zeit die römische Regierung auch wieder des ein Menschenalter hindurch vernachlässigten Ostens gedachte und energischer, als seit langem erhört war, in Kyrene, Syrien, Kleinasien auftrat, wird später darzustellen sein. Noch niemals seit dem Beginn der Revolution war das Regiment der Restauration so fest begründet, so populär gewesen. Konsularische Gesetze lösten die tribunizischen, Freiheitsbeschränkungen die Fortschrittsmaßregeln ab. Die Kassierung der Gesetze des Saturninus verstand sich von selbst; die überseeischen Kolonien des Marius schwanden zusammen zu einer einzigen winzigen Ansiedelung auf der wüsten Insel Korsika. Als der Volkstribun Sextus Titius, ein karikierter Alkibiades, der im Tanz und Ballspiel stärker war als in der Politik und dessen hervorragendstes Talent darin bestand, nachts auf den Straßen die Götterbilder zu zerschlagen, das Appuleische Ackergesetz im Jahre 655 (99) wieder ein- und durchbrachte, konnte der Senat das neue Gesetz unter einem religiösen Vorwand kassieren, ohne daß jemand dafür einzustehen auch nur versucht hätte; den Urheber straften, wie schon erwähnt ward, die Ritter in ihren Gerichten. Das Jahr darauf (656 98) machte ein von den beiden Konsuln eingebrachtes Gesetz die übliche vierundzwanzigtägige Frist zwischen Ein- und Durchbringung eines Gesetzvorschlags obligatorisch und verbot, mehrere verschiedenartige Bestimmungen in einen Antrag zusammenzufassen; wodurch die unvernünftige Ausdehnung der legislatorischen Initiative wenigstens etwas beschränkt und offenbare Überrumpelungen der Regierung durch neue Gesetze abgewehrt wurden. Immer deutlicher zeigte es sich, daß die Gracchische Verfassung, die den Sturz ihres Urhebers überdauert hatte, jetzt, seit die Menge und die Geldaristokratie nicht mehr zusammengingen, in ihren Grundfesten schwankte. Wie diese Verfassung geruht hatte auf der Spaltung der Aristokratie, so schien die Zwiespältigkeit der Opposition sie zu Falle bringen zu müssen. Wenn jemals, so war jetzt die Zeit gekommen, um das unvollkommene Restaurationswerk von 633 (121) zu vollenden, um dem Tyrannen endlich auch seine Verfassung nachzusenden und die regierende Oligarchie in den Alleinbesitz der politischen Gewalt wiedereinzusetzen.

Es kam alles an auf die Wiedergewinnung der Geschworenenstellen. Die Verwaltung der Provinzen, die hauptsächliche Grundlage des senatorischen Regiments, war von den Geschworenengerichten, namentlich von der Kommission wegen Erpressungen, in dem Maße abhängig geworden, daß der Statthalter die Provinz nicht mehr für den Senat, sondern für den Kapitalisten- und Kaufmannsstand zu verwalten schien. Wie bereitwillig immer die Geldaristokratie der Regierung entgegenkam, wenn es um Maßregeln gegen die Demokraten sich handelte, so unnachsichtlich ahndete sie jeden Versuch, sie in diesem ihrem wohlerworbenen Recht freiesten Schaltens in den Provinzen zu beschränken. Einzelne derartige Versuche wurden jetzt gemacht; die regierende Aristokratie fing wieder an, sich zu fühlen und eben ihre besten Männer hielten sich verpflichtet, der entsetzlichen Mißwirtschaft in den Provinzen wenigstens für ihre Person entgegenzutreten. Am entschlossensten tat dies Quintus Mucius Scaevola, gleich seinem Vater Publius Oberpontifex und im Jahre 659 (95) Konsul, der erste Jurist und einer der vorzüglichsten Männer seiner Zeit. Als prätorischer Statthalter (um 656 98) von Asia, der reichsten und gemißhandeltsten unter allen Provinzen, statuierte er in Gemeinschaft mit seinem älteren, als Offizier, Jurist und Geschichtschreiber ausgezeichneten Freunde, dem Konsular Publius Rutilius Rufus, ein ernstes und abschreckendes Exempel. Ohne einen Unterschied zwischen Italikern und Provinzialen, Vornehmen und Geringen zu machen, nahm er jede Klage an und zwang nicht bloß die römischen Kaufleute und Staatspächter wegen erwiesener Schädigungen, vollen Geldersatz zu leisten, sondern, als einige ihrer angesehensten und rücksichtslosesten Agenten todeswürdiger Verbrechen schuldig befunden wurden, ließ er diese, taub gegen alle Bestechungsanträge, ans Kreuz schlagen wie Rechtens. Der Senat billigte sein Verfahren und setzte sogar seitdem den Statthaltern von Asia es in die Instruktion, daß sie sich die Verwaltungsgrundsätze Scaevolas zum Muster nehmen möchten; allein die Ritter, wenn sie gleich an den hochadligen und vielvermögenden Staatsmann selber sich nicht wagten, zogen seine Gefährten vor Gericht, zuletzt (um 662 92) sogar den angesehensten derselben, seinen Legaten Publius Rufus, der nur durch Verdienste und anerkannte Rechtschaffenheit, nicht durch Familienanhang verteidigt war. Die Anklage, daß dieser Mann sich in Asia habe Erpressungen zuschulden kommen lassen, brach zwar fast zusammen unter ihrer eigenen Lächerlichkeit wie unter der Verworfenheit des Anklägers, eines gewissen Apicius; allein man ließ dennoch die willkommene Gelegenheit, den Konsular zu demütigen, nicht vorübergehen, und da dieser, die falsche Beredsamkeit, die Trauergewänder, die Tränen verschmähend, sich kurz, einfach und sachlich verteidigte und den souveränen Kapitalisten die begehrte Huldigung stolz verweigerte, ward er in der Tat verurteilt und sein mäßiges Vermögen zur Befriedigung erdichteter Entschädigungsansprüche eingezogen. Der Verurteilte begab sich in die angeblich von ihm ausgeplünderte Provinz und verlebte daselbst, von sämtlichen Gemeinden mit Ehrengesandtschaften empfangen und zeit seines Lebens gefeiert und beliebt, in literarischer Muße die ihm noch übrigen Tage. Und diese schmachvolle Verurteilung war wohl der ärgste, aber keineswegs der einzige Fall der Art. Mehr vielleicht noch als solcher Mißbrauch der Justiz gegen Männer fleckenlosen Wandels, aber neuen Adels erbitterte es die senatorische Partei, daß der reinste Adel nicht mehr genügte, die etwaigen Flecken der Ehrlichkeit zuzudecken. Kaum war Rufus aus dem Lande, als der angesehenste aller Aristokraten, seit zwanzig Jahren der Vormann des Senats, der siebzigjährige Marcus Scaurus, wegen Erpressungen vor Gericht gezogen ward; nach aristokratischen Begriffen ein Sacrilegium, selbst wenn er schuldig war. Das Anklägeramt fing an von schlechten Gesellen gewerbsmäßig betrieben zu werden und nicht Unbescholtenheit, nicht Rang, nicht Alter schützte mehr vor den frevelhaftesten und gefährlichsten Angriffen. Die Erpressungskommission ward aus einer Schutzwehr der Provinzialen ihre schlimmste Geißel; der offenkundige Dieb ging frei aus, wenn er nur seine Mitthebe gewähren ließ und sich nicht weigerte, einen Teil der erpreßten Summen den Geschworenen zufließen zu lassen; aber jeder Versuch, den billigen Forderungen der Provinzialen auf Recht und Gerechtigkeit zu entsprechen, reichte hin zur Verurteilung. Die römische Regierung schien in dieselbe Abhängigkeit von dem kontrollierenden Gericht versetzt werden zu sollen, in der einst das Richterkollegium in Karthago den dortigen Rat gehalten hatte. In furchtbarer Weise erfüllte sich Gaius Gracchus‘ ahnungsvolles Wort, daß mit dem Dolche seines Geschworenengesetzes die vornehme Welt sich selber zerfleischen werde.

Ein Sturm auf die Rittergerichte war unvermeidlich. Wer in der Regierungspartei noch Sinn dafür hatte, daß das Regieren nicht bloß Rechte, sondern auch Pflichten in sich schließt, ja wer nur noch edleren und stolzeren Ehrgeiz in sich empfand, mußte sich auflehnen gegen diese erdrückende und entehrende politische Kontrolle, die jede Möglichkeit, rechtschaffen zu verwalten, von vornherein abschnitt. Die skandalöse Verurteilung des Rutilius Rufus schien eine Aufforderung, den Angriff sofort zu beginnen, und Marcus Livius Drusus, der im Jahre 663 (91) Volkstribun war, betrachtete dieselbe als besonders an sich gerichtet. Der Sohn des gleichnamigen Mannes, der dreißig Jahre zuvor zunächst den Gaius Gracchus gestürzt und später auch als Offizier durch die Unterwerfung der Skordisker sich einen Namen gemacht hatte, war Drusus, gleich seinem Vater, streng konservativ gesinnt und hatte diese seine Gesinnung bereits in dem Aufstand des Saturninus tatsächlich bewährt. Er gehörte den Kreisen des höchsten Adels an und war Besitzer eines kolossalen Vermögens; auch der Gesinnung nach war er ein echter Aristokrat – ein energisch stolzer Mann, der es verschmähte, mit den Ehrenzeichen seiner Ämter sich zu behängen, aber auf dem Totenbette es aussprach, daß nicht bald ein Bürger wiederkommen werde, der ihm gleich sei; ein Mann, dem das schöne Wort, daß der Adel verpflichtet, die Richtschnur seines Lebens ward und blieb. Mit der ganzen ernsten Leidenschaft seines Gemütes hatte er sich abgewandt von der Eitelkeit und Feilheit des vornehmen Pöbels; zuverlässig und sittenstreng war er bei den geringen Leuten, denen seine Tür und sein Beutel immer offenstanden, mehr geachtet als eigentlich beliebt und trotz seiner Jugend durch die persönliche Würde seines Charakters von Gewicht im Senat wie auf dem Markte. Auch stand er nicht allein. Marcus Scaurus hatte den Mut, bei Gelegenheit seiner Verteidigung in dem Prozeß wegen Erpressungen den Drusus öffentlich aufzufordern, Hand zu legen an die Reform der Geschworenenordnung; er sowie der berühmte Redner Lucius Crassus waren im Senat die eifrigsten Verfechter, vielleicht die Miturheber seiner Anträge. Indes die Masse der regierenden Aristokratie dachte keineswegs wie Drusus, Scaurus und Crassus. Es fehlte im Senat nicht an entschiedenen Anhängern der Kapitalistenpartei, unter denen namentlich sich bemerkbar machten der derzeitige Konsul Lucius Marcius Philippus, der wie früher die Sache der Demokratie, so jetzt die des Ritterstandes mit Eifer und Klugheit verfocht, und der verwegene und rücksichtslose Quintus Caepio, den zunächst die persönliche Feindschaft gegen Drusus und Scaurus zu dieser Opposition bestimmte. Allein gefährlicher als diese entschiedenen Gegner war die feige und faule Masse der Aristokratie, die zwar die Provinzen lieber allein geplündert hätte, aber am Ende auch nicht viel dawider hatte, mit den Rittern die Beute zu teilen, und, statt den Ernst und die Gefahren des Kampfes gegen die übermütigen Kapitalisten zu übernehmen, es viel billiger und bequemer fand, sich von ihnen durch gute Worte und gelegentlich durch einen Fußfall oder auch eine runde Summe Straflosigkeit zu erkaufen. Nur der Erfolg konnte zeigen, wieweit es gelingen werde, diese Masse mit fortzureißen, ohne die es nun einmal nicht möglich war, zum Ziele zu gelangen.

Drusus entwarf den Antrag, die Geschworenenstellen den Bürgern vom Ritterzensus zu entziehen und sie dem Senat zurückzugeben, welcher zugleich durch Aufnahme von 300 neuen Mitgliedern in den Stand gesetzt werden sollte, den vermehrten Obliegenheiten zu genügen; zur Aburteilung derjenigen Geschworenen, die der Bestechlichkeit sich schuldig gemacht hätten oder schuldig machen würden, sollte eine eigene Kriminalkommission niedergesetzt werden. Hiermit war der nächste Zweck erreicht, die Kapitalisten ihrer politischen Sonderrechte zu berauben und sie für die verübte Unbill zur Verantwortung zu ziehen. Indes Drusus‘ Anträge und Absichten beschränkten sich hierauf keineswegs; seine Vorschläge waren keine Gelegenheitsmaßregeln, sondern ein umfassender und durchdachter Reformplan. Er beantragte ferner, die Getreideverteilung zu erhöhen und die Mehrkosten zu decken durch die dauernde Emission einer verhältnismäßigen Zahl von kupfernen plattierten neben den silbernen Denaren, sodann das gesamte noch unverteilte italische Ackerland, also namentlich die Kampanische Domäne, und den besten Teil Siziliens zur Ansiedlung von Bürgerkolonisten zu bestimmen; endlich ging er gegen die italischen Bundesgenossen die bestimmtesten Verpflichtungen ein, ihnen das römische Bürgerrecht zu verschaffen. So erschienen denn hier von aristokratischer Seite ebendieselben Herrschaftsstützen und ebendieselben Reformgedanken, auf denen Gaius Gracchus‘ Verfassung beruht hatte – ein seltsames und doch sehr begreifliches Zusammentreffen. Es war nur in der Ordnung, daß, wie die Tyrannis gegen die Oligarchie, so diese gegen die Geldaristokratie sich stützte auf das besoldete und gewissermaßen organisierte Proletariat; hatte die Regierung früher die Ernährung des Proletariats auf Staatskosten als ein unvermeidliches Übel hingenommen, so dachte Drusus jetzt dasselbe, wenigstens für den Augenblick, gegen die Geldaristokratie zu gebrauchen. Es war nur in der Ordnung, daß der bessere Teil der Aristokratie, ebenwie ehemals auf das Ackergesetz des Tiberius Gracchus, so jetzt bereitwillig einging auf alle diejenigen Reformmaßregeln, die, ohne die Oberhauptsfrage zu berühren, nur darauf abzweckten, die alten Schäden des Staats auszuheilen. In der Emigrations- und Kolonisationsfrage konnte man zwar so weit nicht gehen wie die Demokratie, da die Herrschaft der Oligarchie wesentlich beruhte auf dem freien Schalten über die Provinzen und durch jedes dauernde militärische Kommando gefährdet ward; die Gedanken, Italien und die Provinzen gleichzustellen und jenseits der Alpen zu erobern, vertrugen mit den konservativen Prinzipien sich nicht. Allein die launischen und selbst die kampanischen Domänen so wie Sizilien konnte der Senat recht wohl aufopfern, um den italischen Bauernstand zu heben und dennoch die Regierung nach wie vor behaupten; wobei noch hinzukam, daß man künftigen Agitationen nicht wirksamer vorbeugen konnte als dadurch, daß alles irgend verfügbare Land von der Aristokratie selbst zur Aufteilung gebracht ward und für künftige Demagogen, nach Drusus‘ eigenem Ausdruck, nichts zu verteilen übrig blieb als der Gassenkot und das Morgenrot. Ebenso war es für die Regierung, mochte dies nun ein Monarch sein oder eine geschlossene Anzahl herrschender Familien, ziemlich einerlei, ob halb oder ganz Italien zum römischen Bürgerverband gehörte; und daher mußten wohl beiderseits die reformierenden Männer sich in dem Gedanken begegnen, durch zweckmäßige und rechtzeitige Erstreckung des Bürgerrechts die Gefahr abzuwenden, daß die Insurrektion von Fregellae in größerem Maßstab wiederkehre, nebenher auch an den zahl- und einflußreichen Italikern sich Bundesgenossen für ihre Pläne suchen. So scharf in der Oberhauptsfrage die Ansichten und Absichten der beiden großen politischen Parteien sich schieden, so vielfach berührten sich in den Operationsmitteln und in den reformistischen Tendenzen die besten Männer aus beiden Lagern; und wie Scipio Aemilianus ebenso unter den Widersachern des Tiberius Gracchus wie unter den Förderern seiner Reformbestrebungen genannt werden kann, so war auch Drusus der Nachfolger und Schüler nicht minder als der Gegner des Gaius. Die beiden hochgeborenen und hochsinnigen jugendlichen Reformatoren waren sich ähnlicher, als es auf den ersten Blick schien und auch persönlich beide nicht unwert, über dem trüben Nebel des befangenen Parteitreibens in reineren und höheren Anschauungen sich mit dem Kern ihrer patriotischen Bestrebungen zu begegnen.

Es handelte sich um die Durchbringung der von Drusus entworfenen Gesetze, von denen übrigens der Antragsteller, ebenwie Gaius Gracchus, den bedenklichen Vorschlag, den italischen Bundesgenossen das römische Bürgerrecht zu verleihen, vorläufig zurückhielt und zunächst nur das Geschworenen-, Acker- und Getreidegesetz vorlegte. Die Kapitalistenpartei widerstand aufs heftigste und würde bei der Unentschlossenheit des größten Teils der Aristokratie und der Haltlosigkeit der Komitien ohne Frage die Verwerfung des Geschworenengesetzes durchgesetzt haben, wenn es allein zur Abstimmung gekommen wäre. Drusus faßte deshalb seine sämtlichen Anträge in einen einzigen zusammen; und indem also alle bei den Getreide- und Landverteilungen interessierten Bürger genötigt wurden, auch für das Geschworenengesetz zu stimmen, gelang es durch sie und durch die Italiker, welche mit Ausnahme der in ihrem Domanialbesitz bedrohten großen Grundbesitzer, namentlich der umbrischen und etruskischen, fest zu Drusus standen, das Gesetz durchzubringen – freilich erst, nachdem Drusus den Konsul Philippus, der nicht aufhörte zu widerstreben, hatte verhaften und durch den Büttel in den Kerker abführen lassen. Das Volk feierte den Tribun als seinen Wohltäter und empfing ihn im Theater mit Aufstehen und Beifallklatschen; allein die Abstimmung hatte den Kampf nicht so sehr entschieden als auf einen anderen Boden verlegt, da die Gegenpartei den Antrag des Drusus mit Recht als dem Gesetz von 656 (98) zuwiderlaufend und deshalb als nichtig bezeichnete. Der Hauptgegner des Tribuns, der Konsul Philippus, forderte den Senat auf, aus diesem Grunde das Livische Gesetz als formwidrig zu kassieren; allein die Majorität des Senats, erfreut, die Rittergerichte los zu sein, wies den Antrag zurück. Der Konsul erklärte darauf auf offenem Markte, daß mit einem solchen Senat zu regieren nicht möglich sei und er sich nach einem anderen Staatsrat umsehen werde; er schien einen Staatsstreich zu beabsichtigen. Der Senat, von Drusus deswegen berufen, sprach nach stürmischen Verhandlungen gegen den Konsul ein Tadels- und Mißtrauensvotum aus; allein im geheimen begann sich in einem großen Teil der Majorität die Angst vor der Revolution zu regen, mit der sowohl Philippus als ein großer Teil der Kapitalisten zu drohen schien. Andere Umstände kamen hinzu. Einer der tätigsten und angesehensten unter Drusus‘ Gesinnungsgenossen, der Redner Lucius Crassus, starb plötzlich wenige Tage nach jener Senatssitzung (September 663 91). Die von Drusus mit den Italikern angeknüpften Verbindungen, die er anfangs nur wenigen seiner Vertrautesten mitgeteilt hatte, wurden allmählich ruchbar, und in das wütende Geschrei über Landesverrat, das die Gegner erhoben, stimmten viele, vielleicht die meisten Männer der Regierungspartei mit ein; selbst die edelmütige Warnung, die er dem Konsul Philippus zukommen ließ, bei dem Bundesfest auf dem Albanerberg vor den von den Italikern ausgesandten Mördern sich zu hüten, diente nur dazu, ihn weiter zu kompromittieren, indem sie zeigte, wie tief er in die unter den Italikern gärenden Verschwörungen verwickelt war. Immer heftiger drängte Philippus auf Kassation des Livischen Gesetzes; immer lauer ward die Majorität in der Verteidigung desselben. Bald erschien die Rückkehr zu den früheren Verhältnissen der großen Menge der Furchtsamen und Unentschiedenen im Senat als der einzige Ausweg, und der Kassationsbeschluß wegen formeller Mängel erfolgte. Drusus, nach seiner Art streng sich bescheidend, begnügte sich daran zu erinnern, daß der Senat also selbst die verhaßten Rittergerichte wiederherstelle, und begab sich seines Rechtes, den Kassationsbeschluß durch Interzession ungültig zu machen. Der Angriff des Senats auf die Kapitalistenpartei war vollständig abgeschlagen, und willig oder unwillig fügte man sich abermals in das bisherige Joch. Aber die hohe Finanz begnügte sich nicht gesiegt zu haben. Als Drusus eines Abends auf seinem Hausflur die wie gewöhnlich ihn begleitende Menge eben verabschieden wollte, stürzte er plötzlich vor dem Bilde seines Vaters zusammen; eine Mörderhand hatte ihn getroffen und so sicher, daß er wenige Stunden darauf den Geist aufgab. Der Täter war in der Abenddämmerung verschwunden, ohne daß jemand ihn erkannt hatte, und eine gerichtliche Untersuchung fand nicht statt; aber es brauchte derselben nicht, um hier jenen Dolch zu erkennen, mit dem die Aristokratie sich selber zerfleischte. Dasselbe gewaltsame und grauenvolle Ende, das die demokratischen Reformatoren weggerafft hatte, war auch dem Gracchus der Aristokratie bestimmt. Es lag darin eine tiefe und traurige Lehre. An dem Widerstand oder an der Schwäche der Aristokratie scheiterte die Reform, selbst wenn der Versuch zu reformieren aus ihren eigenen Reihen hervorging. Seine Kraft und sein Leben hatte Drusus darangesetzt, die Kaufmannsherrschaft zu stürzen, die Emigration zu organisieren, den drohenden Bürgerkrieg abzuwenden; er sah noch selbst die Kaufleute unumschränkter regieren als je, sah alle seine Reformgedanken vereitelt und starb mit dem Bewußtsein, daß seid jäher Tod das Signal zu dem fürchterlichsten Bürgerkrieg sein werde, der je das schöne italische Land verheert hat.

  1. Es ist nicht möglich, genau zu unterscheiden, was dem ersten und was dem zweiten Tribunat des Saturninus angehört; um so weniger, als derselbe in beiden offenbar dieselben Gracchischen Tendenzen verfolgte. Das afrikanische Ackergesetz setzt die Schrift ‚De viris illustribus‘ (73, 1) mit Bestimmtheit in 651 (103): und es pafft dies auch zu der erst kurz vorher erfolgten Beendigung des Jugurthinischen Krieges. Das zweite Ackergesetz gehört unzweifelhaft in das Jahr 654 (100). Das Majestäts- und das Getreidegesetz sind nur vermutungsweise jenes in 651 (103), dieses in 654 (100) gesetzt worden.
  2. Dahin führen alle Spuren. Der ältere Quintus Caepio war 648 (106) Konsul, der jüngere 651 (103) oder 654 (100) Quästor, also jener um oder vor 605 (149), dieser um 624 (130) oder 627 (117) geboren; daß jener starb, ohne Söhne zu hinterlassen (Strab. 4, 188), widerspricht nicht, denn der jüngere Caepio fiel 664 (90) und der ältere, der im Exil zu Smyrna sein Leben beschloß, kann gar wohl ihn überlebt haben.

1. Kapitel


1. Kapitel

Die untertänigen Landschaften bis zu der Gracchenzeit

Mit der Vernichtung des Makedonischen Reichs ward die Oberherrlichkeit Roms eine Tatsache, die von den Säulen des Hercules bis zu den Mündungen des Nil und des Orontes nicht bloß feststand, sondern gleichsam als das letzte Wort des Verhängnisses auf den Völkern lastete mit dem ganzen Druck der Unabwendbarkeit und ihnen nur die Wahl zu lassen schien, sich in hoffnungslosem Widerstreben oder in hoffnungslosem Dulden zu verzehren. Wenn nicht die Geschichte von dem ernsten Leser es als ihr Recht fordern dürfte, sie durch gute und böse Tage, durch Frühlings- und Winterlandschaft zu begleiten, so möchte der Geschichtschreiber versucht sein, sich der trostlosen Aufgabe zu entziehen, diesem Kampf der Übermacht mit der Ohnmacht sowohl in den schon zum Römischen Reich gezogenen spanischen Landschaften wie in den noch nach Klientelrecht beherrschten afrikanischen, hellenischen, asiatischen Gebieten in seinen mannigfaltigen und doch eintönigen Wendungen zu folgen. Aber wie unbedeutend und untergeordnet auch die einzelnen Kämpfe erscheinen mögen, eine tiefe geschichtliche Bedeutung kommt ihnen in ihrer Gesamtheit dennoch zu; und vor allem die italischen Verhältnisse dieser Zeit werden erst verständlich durch die Einsicht in den Rückschlag, der von den Provinzen aus auf die Heimat traf.

Außer in den naturgemäß als Nebenländer Italiens anzusehenden Gebieten, wo übrigens auch die Eingeborenen noch keineswegs vollständig unterworfen waren und, nicht eben zur Ehre Roms, Ligurer, Sarder und Korsen fortwährend Gelegenheit zu „Dorftriumphen“ lieferten, bestand eine förmliche Herrschaft Roms zu Anfang dieser Periode nur in den beiden spanischen Provinzen, die den größeren östlichen und südlichen Teil der Pyrenäischen Halbinsel umfaßten. Es ist schon früher versucht worden, die Zustände der Halbinsel zu schildern: Iberer und Kelten, Phöniker, Hellenen, Römer mischten sich hier bunt durcheinander; gleichzeitig und vielfach sich durchkreuzend bestanden daselbst die verschiedensten Arten und Stufen der Zivilisation, die altiberische Kultur neben vollständiger Barbarei, die Bildungsverhältnisse phönikischer und griechischer Kaufstädte neben der aufkeimenden Latinisierung, die namentlich durch die in den Silberbergwerken zahlreich beschäftigten Italiker und durch die starke stehende Besatzung gefördert ward. In dieser Hinsicht erwähnenswert sind die römische Ortschaft Italica (bei Sevilla) und die latinische Kolonie Carteia (an der Bai von Gibraltar), die letztere die erste überseeische Stadtgemeinde latinischer Zunge und italischer Verfassung. Italica wurde von dem älteren Scipio, noch ehe er Spanien verließ (548 206), für seine zum Verbleiben auf der Halbinsel geneigten Veteranen gegründet, wahrscheinlich indes nicht als Bürgergemeinde, sondern nur als Marktort1; Carteias Gründung fällt in das Jahr 583 (171) und ward veranlaßt durch die Menge der von römischen Soldaten mit spanischen Sklavinnen erzeugten Lagerkinder, welche rechtlich als Sklaven, tatsächlich als freie Italiker aufwuchsen und nun von Staats wegen freigesprochen und in Verbindung mit den alten Einwohnern von Carteia als latinische Kolonie konstituiert wurden. Beinahe dreißig Jahre nach der Ordnung der Ebroprovinz durch Tiberius Sempronius Gracchus (575, 576 179, 178) genossen die spanischen Landschaften im ganzen ungestört die Segnungen des Friedens, obwohl ein paarmal von Kriegszügen gegen die Keltiberer und Lusitaner die Rede ist. Aber ernstere Ereignisse traten im Jahre 600 (154) ein. Unter Führung eines Häuptlings Punicus fielen die Lusitaner ein in das römische Gebiet, schlugen die beiden gegen sie vereinigten römischen Statthalter und töteten ihnen eine große Anzahl Leute. Die Vettonen (zwischen dem Tajo und dem oberen Duero) wurden hierdurch bestimmt, mit den Lusitanern gemeinschaftliche Sache zu machen; so verstärkt vermochten diese ihre Streifzüge bis an das Mittelländische Meer auszudehnen und sogar das Gebiet der Bastulophöniker unweit der römischen Hauptstadt Neukarthago (Cartagena) zu brandschatzen. Man nahm in Rom die Sache ernst genug, um die Absendung eines Konsuls nach Spanien zu beschließen, was seit 559 (195) nicht geschehen war, und ließ sogar zur Beschleunigung der Hilfsleistung die neuen Konsuln zwei und einen halben Monat vor der gesetzlichen Zeit ihr Amt antreten – es war dies die Ursache, weshalb der Amtsantritt der Konsuln vom 15. März sich auf den 1. Januar verschob und damit derjenige Jahresanfang sich feststellte, dessen wir noch heute uns bedienen. Allein ehe noch der Konsul Quintus Fulvius Nobilior mit seiner Armee eintraf, kam es zwischen dem Statthalter des Jenseitigen Spaniens, dem Prätor Lucius Mummius, und den jetzt nach Punicus‘ Fall von seinem Nachfolger Kaesarus geführten Lusitanern am rechten Ufer des Tajo zu einem sehr ernsthaften Treffen (601 158). Das Glück war anfangs den Römern günstig; das lusitanische Heer ward zersprengt, das Lager genommen. Allein, teils bereits vom Marsch ermüdet, teils in der Unordnung des Nachsetzens sich auflösend, wurden sie von den schon besiegten Gegnern schließlich vollständig geschlagen und büßten zu dem feindlichen Lager das eigene sowie an Toten 9000 Mann ein. Weit und breit loderte jetzt die Kriegsflamme auf. Die Lusitaner am linken Ufer des Tajo warfen sich unter Anführung des Kaukaenus auf die den Römern untertänigen Keltiker (in Alentejo) und nahmen ihre Stadt Conistorgis weg. Den Keltiberern sandten die Lusitaner die dem Mummius abgenommenen Feldzeichen zugleich als Siegesbotschaft und als Mahnung zu; und auch hier fehlte es nicht an Gärungsstoff. Zwei kleine, den mächtigen Arevakern (um die Quellen des Duero und Tajo) benachbarte Völkerschaften Keltiberiens, die Beller und Titther, hatten beschlossen, in eine ihrer Städte, Segeda, sich zusammenzusiedeln. Während sie mit dem Mauerbau beschäftigt waren, ward ihnen dieser römischerseits untersagt, da die Sempronischen Ordnungen den unterworfenen Gemeinden jede eigenmächtige Städtegründung verböten, und zugleich die vertragsmäßig schuldige, aber seit längerer Zeit nicht verlangte Leistung an Geld und Mannschaft eingefordert. Beiden Befehlen weigerten die Spanier den Gehorsam, da es sich nur um Erweiterung, nicht um Gründung einer Stadt handle, die Leistungen aber nicht bloß suspendiert, sondern von den Römern erlassen seien. Darüber erschien Nobilior im Diesseitigen Spanien mit einem fast 30000 Mann starken Heer, unter dem auch numidische Reiter und zehn Elefanten sich befanden. Noch standen die Mauern der neuen Stadt nicht vollständig; die meisten Segedaner unterwarfen sich. Allein die entschlossensten flüchteten mit Weib und Kind zu den mächtigen Arevakern und forderten sie auf, mit ihnen gegen die Römer gemeinschaftliche Sache zu machen. Die Arevaker, ermutigt durch den Sieg der Lusitaner über Mummius, gingen darauf ein und wählten einen der flüchtigen Segedaner, Karus, zu ihrem Feldherrn. Am dritten Tag nach seiner Wahl war der tapfere Führer eine Leiche, aber das römische Heer geschlagen und bei 6000 römische Bürger getötet – der Tag des 23. August, das Fest der Volkanalien, blieb seitdem den Römern in schlimmer Erinnerung. Doch bewog der Fall ihres Feldherrn die Arevaker, sich in ihre festeste Stadt Numantia (Garray, eine Legua nördlich von Soria am Duero) zurückzuziehen, wohin Nobilior ihnen folgte. Unter den Mauern der Stadt kam es zu einem zweiten Treffen, in welchem die Römer anfänglich durch ihre Elefanten die Spanier in die Stadt zurückdrängten, aber dabei infolge der Verwundung eines der Tiere in Verwirrung gerieten und durch die abermals ausrückenden Feinde eine zweite Niederlage erlitten. Dieser und andere Unfälle, wie die Vernichtung eines zur Herbeirufung von Zuzugmannschaft ausgesandten römischen Reiterkorps, gestalteten die Angelegenheiten der Römer in der diesseitigen Provinz so ungünstig, daß die Festung Okilis, wo die Kasse und die Vorräte der Römer sich befanden, zum Feinde übertrat und die Arevaker daran denken konnten, freilich ohne Erfolg, den Römern den Frieden zu diktieren. Einigermaßen wurden indes diese Nachteile aufgewogen durch die Erfolge, die Mummius in der südlichen Provinz erfocht. So geschwächt auch durch die erlittene Niederlage sein Heer war, gelang es ihm dennoch, mit demselben den unvorsichtig sich zerstreuenden Lusitanern am rechten Tajoufer eine Niederlage beizubringen und, übergehend auf das linke, wo die Lusitaner das ganze römische Gebiet überrannt, ja bis nach Afrika gestreift hatten, die südliche Provinz von den Feinden zu säubern. In die nördliche sandte das folgende Jahr (602 152) der Senat außer beträchtlichen Verstärkungen einen andern Oberfeldherrn an der Stelle des unfähigen Nobilior, den Konsul Marcus Claudius Marcellus, der schon als Prätor 586 (168) sich in Spanien ausgezeichnet und seitdem in zwei Konsulaten sein Feldherrntalent bewährt hatte. Seine geschickte Führung und mehr noch seine Milde änderte die Lage der Dinge schnell: Okilis ergab sich ihm sofort, und selbst die Arevaker, von Marcellus in der Hoffnung bestärkt, daß ihnen gegen eine mäßige Buße Friede gewährt werden würde, schlossen Waffenstillstand und schickten Gesandte nach Rom. Marcellus konnte sich nach der südlichen Provinz begeben, wo die Vettonen und Lusitaner sich dem Prätor Marcus Atilius zwar botmäßig erwiesen hatten, solange er in ihrem Gebiet stand, allein nach seiner Entfernung sofort wieder aufgestanden waren und die römischen Verbündeten heimsuchten. Die Ankunft des Konsuls stellte die Ordnung wieder her, und während er in Corduba überwinterte, ruhten auf der ganzen Halbinsel die Waffen. Inzwischen ward in Rom über den Frieden mit den Arevakern verhandelt. Es ist bezeichnend für die inneren Verhältnisse Spaniens, daß vornehmlich die Sendlinge der bei den Arevakern bestehenden römischen Partei die Verwerfung der Friedensvorschläge in Rom durchsetzten, indem sie vorstellten, daß, wenn man die römisch gesinnten Spanier nicht preisgeben wolle, nur die Wahl bleibe, entweder jährlich einen Konsul mit entsprechendem Heer nach der Halbinsel zu senden oder jetzt ein nachdrückliches Exempel zu statuieren. Infolgedessen wurden die Boten der Arevaker ohne entscheidende Antwort verabschiedet und die energische Fortsetzung des Krieges beschlossen. Marcellus sah sich demnach genötigt, im folgenden Frühjahr (603 151) den Krieg gegen die Arevaker wieder zu beginnen. Indes sei es nun, wie behauptet wird, daß er den Ruhm, den Krieg beendigt zu haben, seinem bald zu erwartenden Nachfolger nicht gönnte, sei es, was vielleicht wahrscheinlicher ist, daß er gleich Gracchus in der milden Behandlung der Spanier die erste Bedingung eines dauerhaften Friedens sah – nach einer geheimen Zusammenkunft des römischen Feldherrn mit den einflußreichsten Männern der Arevaker kam unter den Mauern von Numantia ein Traktat zustande, durch den die Arevaker den Römern sich auf Gnade und Ungnade ergaben, aber unter Verpflichtung zu Geldzahlung und Geiselstellung in ihre bisherigen vertragsmäßigen Rechte wiedereingesetzt wurden.

Als der neue Oberfeldherr, der Konsul Lucius Lucullus, bei dem Heere eintraf, fand er den Krieg, den zu führen er gekommen war, bereits durch förmlichen Friedensschluß beendigt, und seine Hoffnung, Ehre und vor allem Geld aus Spanien heimzubringen, schien vereitelt. Indes dafür gab es Rat. Auf eigene Hand griff Lucullus die westlichen Nachbarn der Arevaker, die Vaccäer, an, eine noch unabhängige keltiberische Nation, die mit den Römern im besten Einvernehmen lebte. Auf die Frage der Spanier, was sie denn gefehlt hätten, war die Antwort: der Überfall der Stadt Cauca (Coca, acht Leguas westlich von Segovia); und als die erschreckte Stadt mit schweren Geldopfern die Kapitulation erkauft zu haben meinte, rückten römische Truppen in sie ein und knechteten oder mordeten die Einwohnerschaft ohne jeglichen Vorwand. Nach dieser Heldentat, die etwa 20000 wehrlosen Menschen das Leben gekostet haben soll, ging der Marsch weiter. Weit und breit standen die Dörfer und Ortschaften leer oder schlossen, wie das feste Intercatia und die Hauptstadt der Vaccäer, Pallantia (Palencia), dem römischen Heere ihre Tore. Die Habsucht hatte in ihren eigenen Netzen sich gefangen; keine Gemeinde fand sich, die mit dem treubrüchigen Feldherrn eine Kapitulation hätte abschließen mögen, und die allgemeine Flucht der Bewohner machte nicht bloß die Beute karg, sondern auch das längere Verweilen in diesen unwirtlichen Gegenden fast unmöglich. Vor Intercatia gelang es einem angesehenen Kriegstribun, dem Scipio Aemilianus, leiblichem Sohn des Siegers von Pydna und Adoptivenkel des Siegers von Zama, durch sein Ehrenwort, da das des Feldherrn nichts mehr galt, die Bewohner zum Abschluß eines Vertrages zu bestimmen, infolgedessen das römische Heer gegen Lieferung von Vieh und Kleidungsstücken abzog. Aber die Belagerung von Pallantia mußte wegen Mangels an Lebensmitteln aufgehoben werden, und das römische Heer ward auf dem Rückmarsch von den Vaccäern bis zum Duero verfolgt. Lucullus begab sich darauf nach der südlichen Provinz, wo der Prätor Servius Sulpicius Galba in demselben Jahr von den Lusitanern sich hatte schlagen lassen; beide überwinterten nicht fern voneinander, Lucullus im turdetanischen Gebiet, Galba bei Conistorgis, und griffen im folgenden Jahr (604 150) gemeinschaftlich die Lusitaner an. Lucullus errang an der Gaditanischen Meerenge einige Vorteile über sie. Galba richtete mehr aus, indem er mit drei lusitanischen Stämmen am rechten Ufer des Tajo einen Vertrag abschloß und sie in bessere Wohnsitze überzusiedeln verhieß, worauf die Barbaren, die der gehofften Äcker wegen, 7000 an der Zahl, sich bei ihm einfanden, in drei Abteilungen geteilt, entwaffnet und teils als Sklaven weggeführt, teils niedergehauen wurden. Kaum ist je mit gleicher Treulosigkeit, Grausamkeit und Habgier Krieg geführt worden wie von diesen beiden Feldherren, die dennoch durch ihre verbrecherisch erworbenen Schätze der eine der Verurteilung, der andre sogar der Anklage entging. Den Galba versuchte der alte Cato noch in seinem fünfundachtzigsten Jahr, wenige Monate vor seinem Tode, vor der Bürgerschaft zur Verantwortung zu ziehen; aber die jammernden Kinder des Generals und sein heimgebrachtes Gold erwiesen dem römischen Volke seine Unschuld.

Nicht so sehr die ehrlosen Erfolge, die Lucullus und Galba in Spanien erreicht hatten, als der Ausbruch des Vierten Makedonischen und des Dritten Karthagischen Krieges im Jahre 605 (149) bewirkte, daß man die spanischen Angelegenheiten zunächst wieder den gewöhnlichen Statthaltern überließ. So verwüsteten denn die Lusitaner, durch Galbas Treulosigkeit mehr erbittert als gedemütigt, unaufhörlich das reiche turdetanische Gebiet. Gegen sie zog der römische Statthalter Gaius Vetilius (607/08 147/48)2 und schlug sie nicht bloß, sondern drängte auch den ganzen Haufen auf einen Hügel zusammen, wo derselbe rettungslos verloren schien. Schon war die Kapitulation so gut wie abgeschlossen, als Viriathus, ein Mann geringer Herkunft, aber wie einst als Bube ein tapferer Verteidiger seiner Herde gegen die wilden Tiere und Räuber, so jetzt in ernsteren Kämpfen ein gefürchteter Guerillachef und einer der wenigen, die dem treulosen Überfall Galbas zufällig entronnen waren, seine Landsleute warnte, auf römisches Ehrenwort zu bauen und ihnen Rettung verhieß, wenn sie ihm folgen wollten. Sein Wort und sein Beispiel wirkten; das Heer übertrug ihm den Oberbefehl. Viriathus gab der Masse seiner Leute den Befehl, sich in einzelnen Trupps auf verschiedenen Wegen nach dem bestimmten Sammelplatz zu begeben; er selber bildete aus den bestberittenen und zuverlässigsten Leuten ein Korps von 1000 Pferden, womit er den Abzug der Seinigen deckte. Die Römer, denen es an leichter Kavallerie fehlte, wagten nicht, unter den Augen der feindlichen Reiter sich zur Verfolgung zu zerstreuen. Nachdem Viriathus zwei volle Tage hindurch mit seinem Haufen das ganze römische Heer aufgehalten hatte, verschwand auch er plötzlich in der Nacht und eilte dem allgemeinen Sammelplatz zu. Der römische Feldherr folgte ihm, fiel aber in einen geschickt gelegten Hinterhalt, in dem er die Hälfte seines Heeres verlor und selber gefangen und getötet ward; kaum rettete der Rest der Truppen sich an die Meerenge nach der Kolonie Carteia. Schleunigst wurden vom Ebro her 5000 Mann spanischer Landsturm zur Verstärkung der geschlagenen Römer gesandt; aber Viriathus vernichtete das Korps noch auf dem Marsch und gebot in dem ganzen karpetanischen Binnenland so unumschränkt, daß die Römer nicht einmal wagten, ihn dort aufzusuchen. Viriathus, jetzt als Herr und König der sämtlichen Lusitaner anerkannt, verstand es, das volle Gewicht seiner fürstlichen Stellung mit dem schlichten Wesen des Hirten zu vereinigen. Kein Abzeichen unterschied ihn von dem gemeinen Soldaten; von der reichgeschmückten Hochzeitstafel seines Schwiegervaters, des Fürsten Astolpa im römischen Spanien, stand er auf, ohne das goldene Geschirr und die kostbaren Speisen berührt zu haben, hob seine Braut auf das Roß und ritt mit ihr zurück in seine Berge. Nie nahm er von der Beute mehr als denselben Teil, den er auch jedem seiner Kameraden zuschied. Nur an der hohen Gestalt und an dem treffenden Witzwort erkannte der Soldat den Feldherrn, vor allem aber daran, daß er es in Mäßigkeit und in Mühsal jedem der Seinigen zuvortat, nie anders als in voller Rüstung schlief und in der Schlacht allen voran focht. Es schien, als sei in dieser gründlich prosaischen Zeit einer der Homerischen Helden wiedergekehrt; weit und breit erscholl in Spanien der Name des Viriathus, und die tapfere Nation meinte endlich in ihm den Mann gefunden zu haben, der die Ketten der Fremdherrschaft zu brechen bestimmt sei. Ungemeine Erfolge im nördlichen wie im südlichen Spanien bezeichneten die nächsten Jahre seiner Feldherrnschaft. Den Prätor Gaius Plautius (608/09 146) wußte er, nachdem er dessen Vorhut vernichtet hatte, hinüber auf das rechte Tajoufer zu locken und ihn dort so nachdrücklich zu schlagen, daß der römische Feldherr mitten im Sommer in die Winterquartiere ging – später ward dafür gegen ihn die Anklage wegen Entehrung der römischen Gemeinde vor dem Volk erhoben und er genötigt, die Heimat zu meiden. Desgleichen wurde das Heer des Statthalters – es scheint, der diesseitigen Provinz – Claudius Unimanus vernichtet, das des Gaius Negidius überwunden und weithin das platte Land gebrandschatzt. Auf den spanischen Bergen erhoben sich Siegeszeichen, die mit den Insignien der römischen Statthalter und mit den Waffen der Legionen geschmückt waren; bestürzt und beschämt vernahm man in Rom von den Siegen des Barbarenkönigs. Zwar übernahm jetzt ein zuverlässiger Offizier die Führung des Spanischen Krieges, der zweite Sohn des Siegers von Pydna, der Konsul Quintus Fabius Maximus Aemilianus (609 145). Allein die krieggewohnten, eben von Makedonien und Afrika heimgekehrten Veteranen aufs neue in den verhaßten Spanischen Krieg zu senden, wagte man schon nicht mehr; die beiden Legionen, die Maximus mitbrachte, waren neu geworben und nicht viel minder unzuverlässig als das alte, gänzlich demoralisierte spanische Heer. Nachdem die ersten Gefechte wieder für die Lusitaner günstig ausgefallen waren, hielt der einsichtige Feldherr den Rest des Jahres seine Truppen in dem Lager bei Urso (Osuna südöstlich von Sevilla) zusammen, ohne die angebotene Feldschlacht zu liefern, und nahm erst im folgenden (610 144), nachdem im kleinen Krieg seine Truppen kampffähig geworden waren, wieder das Feld, wo er dann die Überlegenheit zu behaupten vermochte und nach glücklichen Waffentaten nach Corduba ins Winterlager ging. Als aber an Maximus‘ Stelle der feige und ungeschickte Prätor Quinctius den Befehl übernahm, erlitten die Römer wiederum eine Niederlage über die andere und schloß ihr Feldherr sich wieder mitten im Sommer in Corduba ein, während Viriathus‘ Scharen die südliche Provinz überschwemmten (611 143). Sein Nachfolger, des Maximus Aemilianus Adoptivbruder Quintus Fabius Maximus Servilianus, mit zwei frischen Legionen und zehn Elefanten nach der Halbinsel gesendet, versuchte, in das lusitanische Gebiet einzudringen, allein nach einer Reihe nichts entscheidender Gefechte und einem mühsam abgeschlagenen Sturm auf das römische Lager sah er sich genötigt, auf das römische Gebiet zurückzuweichen. Viriathus folgte ihm in die Provinz; da aber seine Truppen nach dem Brauch spanischer Insurgentenheere plötzlich sich verliefen, mußte auch er nach Lusitanien zurückkehren (612 142). Im nächsten Jahre (613 141) ergriff Servilianus wieder die Offensive, durchzog die Gegenden am Baetis und Anas und besetzte sodann, in Lusitanien einrückend, eine Menge Ortschaften. Eine große Zahl der Insurgenten fiel in seine Hand; die Führer – es waren deren gegen 500 – wurden hingerichtet, den aus römischem Gebiet zum Feinde Übergegangenen die Hände abgehauen, die übrige Masse in die Sklaverei verkauft. Aber der Spanische Krieg bewährte auch hier seine tückische Unbeständigkeit. Das römische Heer ward nach all diesen Erfolgen bei der Belagerung von Erisane von Viriathus angegriffen, geworfen und auf einen Felsen gedrängt, wo es gänzlich in der Gewalt der Feinde war. Viriathus indes begnügte sich, wie einst der Samnitenfeldherr in den Caudinischen Pässen, mit Servilianus einen Frieden abzuschließen, worin die Gemeinde der Lusitaner als souverän und Viriathus als König derselben anerkannt ward. Die Macht der Römer war nicht mehr gestiegen als das nationale Ehrgefühl gesunken; man war in der Hauptstadt froh, des lästigen Krieges entledigt zu sein, und Senat und Volk gaben dem Vertrage die Ratifikation. Allein des Servilianus leiblicher Bruder und Amtsnachfolger Quintus Servilius Caepio war mit dieser Nachgiebigkeit wenig zufrieden und der Senat schwach genug, anfangs den Konsul zu heimlichen Machinationen gegen den Viriathus zu bevollmächtigen und bald ihm den offenen, unbeschönigten Bruch des gegebenen Treuworts wenigstens nachzusehen. So drang Caepio in Lusitanien ein und durchzog das Land bis zu dem Gebiet der Vettonen und Callaeker; Viriathus vermied den Kampf mit der Übermacht und entzog sich durch geschickte Bewegungen dem Gegner (614 140). Als aber im folgenden Jahre (615 139) nicht bloß Caepio den Angriff erneuerte, sondern auch das in der nördlichen Provinz inzwischen verfügbar gewordene Heer unter Marcus Popillius in Lusitanien erschien, bat Viriathus um Frieden unter jeder Bedingung. Er ward geheißen, alle aus dem römischen Gebiet zu ihm übergetretenen Leute, darunter seinen eigenen Schwiegervater, an die Römer auszuliefern; es geschah, und die Römer ließen dieselben hinrichten oder ihnen die Hände abhauen. Allein es war damit nicht genug; nicht auf einmal pflegten die Römer den Unterworfenen anzukündigen, was über sie verhängt war. Ein Befehl nach dem andern, und immer der folgende unerträglicher als die vorhergehenden, erging an die Lusitaner, und schließlich ward sogar die Auslieferung der Waffen von ihnen gefordert. Da gedachte Viriathus abermals des Schicksals seiner Landsleute, die Galba hatte entwaffnen lassen, und griff aufs neue zum Schwert, aber zu spät. Sein Schwanken hatte in seiner nächsten Umgebung die Keime des Verrats gesät; drei seiner Vertrauten, Audas, Ditalko und Minucius aus Urso, verzweifelnd an der Möglichkeit, jetzt noch zu siegen, erwirkten von dem König die Erlaubnis, noch einmal mit Caepio Friedensunterhandlungen anzuknüpfen, und benutzten sie, um gegen Zusicherung persönlicher Amnestie und weiterer Belohnungen das Leben des lusitanischen Helden den Fremden zu verkaufen. Zurückgekehrt in das Lager, versicherten sie den König des günstigsten Erfolgs ihrer Verhandlungen und erdolchten die Nacht darauf den Schlafenden in seinem Zelte. Die Lusitaner ehrten den herrlichen Mann durch eine Totenfeier ohnegleichen, bei der zweihundert Fechterpaare die Leichenspiele fochten; höher noch dadurch, daß sie den Kampf nicht aufgaben, sondern an die Stelle des gefallenen Helden den Tautamus zu ihrem Oberfeldherrn ernannten. Kühn genug war auch der Plan, den dieser entwarf, den Römern Sagunt zu entreißen; allein der neue Feldherr besaß weder seines Vorgängers weise Mäßigung noch dessen Kriegsgeschick. Die Expedition scheiterte völlig, und auf der Rückkehr ward das Heer bei dem Übergang über den Baetis angegriffen und genötigt, sich unbedingt zu ergeben. Also, weit mehr durch Verrat und Mord von Fremden wie von Eingeborenen als durch ehrlichen Krieg, ward Lusitanien bezwungen.

Während die südliche Provinz durch Viriathus und die Lusitaner heimgesucht ward, war nicht ohne deren Zutun in der nördlichen bei den keltiberischen Nationen ein zweiter, nicht minder ernster Krieg ausgebrochen. Viriathus‘ glänzende Erfolge bewogen im Jahre 610 (144) die Arevaker, gleichfalls gegen die Römer sich zu erheben, und es war dies die Ursache, weshalb der zur Ablösung des Maximus Aemilianus nach Spanien gesandte Konsul Quintus Caecilius Metellus nicht nach der südlichen Provinz ging, sondern gegen die Keltiberer sich wandte. Auch gegen sie bewährte er, namentlich während der Belagerung der für unbezwinglich gehaltenen Stadt Contrebia, dieselbe Tüchtigkeit, die er bei der Überwindung des makedonischen Pseudophilipp bewiesen hatte; nach zweijähriger Verwaltung (611, 612 143, 142) war die nördliche Provinz zum Gehorsam zurückgebracht. Nur die beiden Städte Termantia und Numantia hatten noch den Römern die Tore nicht geöffnet; auch mit diesen aber war die Kapitulation fast schon abgeschlossen und der größte Teil der Bedingungen von den Spaniern erfüllt. Als es jedoch zur Ablieferung der Waffen kam, ergriff auch sie eben wie den Viriathus jener echt spanische Stolz auf den Besitz des wohlgeführten Schwertes, und es ward beschlossen, unter dem kühnen Megaravicus den Krieg fortzusetzen. Es schien eine Torheit; das konsularische Heer, dessen Befehl 613 (141) der Konsul Quintus Pompeius übernahm, war viermal so stark als die gesamte waffenfähige Bevölkerung von Numantia. Allein der völlig kriegsunkundige Feldherr erlitt unter den Mauern beider Städte so harte Niederlagen (613, 614 141, 140), daß er endlich es vorzog, den Frieden, den er nicht erzwingen konnte, durch Unterhandlungen zu erwirken. Mit Termantia muß ein definitives Abkommen getroffen sein; auch den Numantinern sandte der römische Feldherr ihre Gefangenen zurück und forderte die Gemeinde unter dem geheimen Versprechen günstiger Behandlung auf, sich ihm auf Gnade und Ungnade zu ergeben. Die Numantiner, des Krieges müde, gingen darauf ein, und der Feldherr beschränkte in der Tat seine Forderungen auf das möglichst geringe Maß. Gefangene, Überläufer, Geiseln waren abgeliefert und die bedungene Geldsumme größtenteils gezahlt, als im Jahre 615 (139) der neue Feldherr Marcus Popillius Laenas im Lager eintraf. Sowie Pompeius die Last des Oberbefehls auf fremde Schultern gewälzt sah, ergriff er, um sich der in Rom seiner wartenden Verantwortung für den nach römischen Begriffen ehrlosen Frieden zu entziehen, den Ausweg, sein Wort nicht etwa bloß zu brechen, sondern zu verleugnen und, als die Numantiner kamen, um die letzte Zahlung zu machen, ihren und seinen Offizieren ins Gesicht den Abschluß des Vertrages einfach in Abrede zu stellen. Die Sache ging zur rechtlichen Entscheidung an den Senat nach Rom; während dort darüber verhandelt ward, ruhte vor Numantia der Krieg und beschäftigte sich Laenas mit einem Zug nach Lusitanien, wo er die Katastrophe des Viriathus beschleunigen half, und mit einem Streifzug gegen die den Numantinern benachbarten Lusonen. Als endlich vom Senat die Entscheidung kam, lautete sie auf Fortsetzung des Krieges – man beteiligte sich also von Staats wegen an dem Bubenstreich des Pompeius. Mit ungeschwächtem Mut und erhöhter Erbitterung nahmen die Numantiner den Kampf wieder auf; Laenas focht unglücklich gegen sie und nicht minder sein Nachfolger Gaius Hostilius Mancinus (617 137). Aber die Katastrophe führten weit weniger die Waffen der Numantiner herbei als die schlaffe und elende Kriegszucht der römischen Feldherrn und die Folge derselben, die von Jahr zu Jahr üppiger wuchernde Liederlichkeit, Zuchtlosigkeit und Feigheit der römischen Soldaten. Das bloße, überdies falsche Gerücht, daß die Kantabrer und Vaccäer zum Entsatz von Numantia heranrückten, bewog das römische Heer, ungeheißen in der Nacht das Lager zu räumen, um sich in den sechzehn Jahre zuvor von Nobilior angelegten Verschanzungen zu bergen. Die Numantiner, von dem Aufbruch in Kenntnis gesetzt, drängten der fliehenden Armee nach und umzingelten sie; es blieb nur die Wahl, mit dem Schwert in der Hand sich durchzuschlagen oder auf die von den Numantinern gestellten Bedingungen Frieden zu schließen. Mehr als der Konsul, der persönlich ein Ehrenmann, aber schwach und wenig bekannt war, bewirkte Tiberius Gracchus, der als Quästor im Heere diente, durch sein von dem Vater, dem weisen Ordner der Ebroprovinz, auf ihn vererbtes Ansehen bei den Keltiberern, daß die Numantiner sich mit einem billigen, von allen Stabsoffizieren beschworenen Friedensvertrag genügen ließen. Allein der Senat rief nicht bloß den Feldherrn sofort zurück, sondern ließ auch nach langer Beratung bei der Bürgerschaft darauf antragen, den Vertrag zu behandeln wie einst den caudinischen, das heißt, ihm die Ratifikation zu verweigern und die Verantwortlichkeit dafür auf diejenigen abzuwälzen, die ihn geschlossen hatten. Von Rechts wegen hätten dies sämtliche Offiziere sein müssen, die den Vertrag beschworen hatten; allein Gracchus und die übrigen wurden durch ihre Verbindungen gerettet; Mancinus allein, der nicht den Kreisen der höchsten Aristokratie angehörte, ward bestimmt, für eigene und fremde Schuld zu büßen. Seiner Insignien entkleidet, ward der römische Konsular zu den feindlichen Vorposten geführt, und da die Numantiner ihn anzunehmen verweigerten, um nicht auch ihrerseits den Vertrag als nichtig anzuerkennen, stand der ehemalige Oberfeldherr, im Hemd und die Hände auf den Rücken gebunden, einen Tag lang vor den Toren von Numantia, Freunden und Feinden ein klägliches Schauspiel. Jedoch für Mancinus‘ Nachfolger, seinen Kollegen im Konsulat, Marcus Aemilius Lepidus, schien die bittere Lehre völlig verloren. Während die Verhandlungen über den Vertrag mit Mancinus in Rom schwebten, griff er unter nichtigen Vorwänden, eben wie sechzehn Jahre zuvor Lucullus, das freie Volk der Vaccäer an und begann in Gemeinschaft mit dem Feldherrn der jenseitigen Provinz Pallantia zu belagern (618 136). Ein Senatsbeschluß befahl ihm, von dem Krieg abzustehen; nichtsdestoweniger setzte er, unter dem Vorwand, daß die Umstände inzwischen sich geändert hätten, die Belagerung fort. Dabei war er als Soldat gerade so schlecht wie als Bürger; nachdem er so lange vor der großen und festen Stadt gelegen hatte, bis ihm in dem rauhen feindlichen Land die Zufuhr ausgegangen war, mußte er mit Zurücklassung aller Verwundeten und Kranken den Rückzug beginnen, auf dem die verfolgenden Pallantiner die Hälfte seiner Soldaten aufrieben und, wenn sie die Verfolgung nicht zu früh abgebrochen hätten, das schon in voller Auflösung begriffene römische Heer wahrscheinlich ganz vernichtet haben würden. Dafür ward denn dem hochgeborenen General bei seiner Heimkehr eine Geldbuße auferlegt. Seine Nachfolger Lucius Furius Philus (618 136) und Quintus Calpurnius Piso (619 135) hatten wieder gegen die Numantiner Krieg zu führen, und da sie eben gar nichts taten, kamen sie glücklich ohne Niederlage heim. Selbst die römische Regierung fing endlich an einzusehen, daß man so nicht länger fortfahren könne; man entschloß sich, die Bezwingung der kleinen spanischen Landstadt außerordentlicherweise dem ersten Feldherrn Roms, Scipio Aemilianus, zu übertragen. Die Geldmittel zur Kriegführung wurden ihm freilich dabei mit verkehrter Kargheit zugemessen und die verlangte Erlaubnis, Soldaten auszuheben, sogar geradezu verweigert, wobei Koterieintrigen und die Furcht, der souveränen Bürgerschaft lästig zu werden, zusammengewirkt haben mögen. Indes begleitete ihn freiwillig eine große Anzahl von Freunden und Klienten, unter ihnen sein Bruder Maximus Aemilianus, der vor einigen Jahren mit Auszeichnung gegen Viriathus kommandiert hatte. Gestützt auf diese zuverlässige Schar, die als Feldherrnwache konstituiert ward, begann Scipio das tief zerrüttete Heer zu reorganisieren (620 134). Vor allen Dingen mußte der Troß das Lager räumen – es fanden sich bis 2000 Dirnen und eine Unzahl Wahrsager und Pfaffen von allen Sorten –, und da der Soldat zum Fechten unbrauchbar war, mußte er wenigstens schanzen und marschieren. Den ersten Sommer vermied der Feldherr jeden Kampf mit den Numantinern; er begnügte sich, die Vorräte in der Umgegend zu vernichten und die Vaccäer, die den Numantinern Korn verkauften, zu züchtigen und zur Anerkennung der Oberhoheit Roms zu zwingen. Erst gegen den Winter zog Scipio sein Heer um Numantia zusammen; außer dem numidischen Kontingent von Reitern, Fußsoldaten und zwölf Elefanten unter Anführung des Prinzen Jugurtha und den zahlreichen spanischen Zuzügen waren es vier Legionen, überhaupt eine Heermasse von 60000 Mann, die eine Stadt mit einer waffenfähigen Bürgerschaft von höchstens 8000 Köpfen einschloß. Dennoch boten die Belagerten oftmals den Kampf an; allein Scipio, wohl erkennend, daß die vieljährige Zuchtlosigkeit nicht mit einem Schlag sich ausrotten lasse, verweigerte jedes Gefecht, und wo es dennoch bei den Ausfällen der Belagerten dazu kam, rechtfertigte die feige, kaum durch das persönliche Erscheinen des Feldherrn gehemmte Flucht der Legionäre diese Taktik nur zu sehr. Nie hat ein Feldherr seine Soldaten verächtlicher behandelt als Scipio die numantinische Armee; und nicht bloß mit bitteren Reden, sondern vor allem durch die Tat bewies er ihr, was er von ihr halte. Zum erstenmal führten die Römer, wo es nur auf sie ankam, das Schwert zu brauchen, den Kampf mit Hacke und Spaten. Rings um die ganze Stadtmauer von reichlich einer halben deutschen Meile im Umfang ward eine doppelt so ausgedehnte, mit Mauern, Türmen und Gräben versehene zwiefache Umwallungslinie aufgeführt und auch der Duerofluß, auf dem den Belagerten anfangs noch durch kühne Schiffer und Taucher einige Vorräte zugekommen waren, endlich abgesperrt. So mußte die Stadt, die zu stürmen man nicht wagte, wohl durch Hunger erdrückt werden, um so mehr, als es der Bürgerschaft nicht möglich gewesen war, sich während des letzten Sommers zu verproviantieren. Bald litten die Numantiner Mangel an allem. Einer ihrer kühnsten Männer, Retogenes, schlug sich mit wenigen Begleitern durch die feindlichen Linien durch, und seine rührende Bitte, die Stammesgenossen nicht hilflos untergehen zu lassen, war wenigstens in einer der Arevakerstädte, in Lutia, von großer Wirkung. Bevor aber die Bürger von Lutia sich entschieden hatten, erschien Scipio, benachrichtigt von den römisch Gesinnten in der Stadt, mit Übermacht vor ihren Mauern und zwang die Behörden, ihm die Führer der Bewegung, vierhundert der trefflichsten Jünglinge, auszuliefern, denen sämtlich auf Befehl des römischen Feldherrn die Hände abgehauen wurden. Die Numantiner, also der letzten Hoffnung beraubt, sandten an Scipio, um über die Unterwerfung zu verhandeln, und riefen den tapferen Mann an, der Tapferen zu schonen; allein als die rückkehrenden Boten meldeten, daß Scipio unbedingte Ergebung verlange, wurden sie von der wütenden Menge zerrissen, und eine neue Frist verfloß, bis Hunger und Seuchen ihr Werk vollendet hatten. Endlich kam in das römische Hauptquartier eine zweite Botschaft, daß die Stadt jetzt bereit sei, auf Gnade und Ungnade sich zu unterwerfen. Als demnach die Bürgerschaft angewiesen wurde, am folgenden Tag vor den Toren zu erscheinen, bat sie um einige Tage Frist, um denjenigen Bürgern, die den Untergang der Freiheit nicht zu überleben beschlossen hätten, Zeit zum Sterben zu gestatten. Sie ward ihnen gewährt, und nicht wenige benutzten sie. Endlich erschien der elende Rest vor den Toren. Scipio las fünfzig der Ansehnlichsten aus, um sie in seinem Triumphe aufzuführen; die übrigen wurden in die Sklaverei verkauft, die Stadt dem Boden gleichgemacht, ihr Gebiet unter die Nachbarstädte verteilt. Das geschah im Herbst 621 (133), fünfzehn Monate nachdem Scipio den Oberbefehl übernommen hatte.

Mit Numantias Fall war die hier und da noch sich regende Opposition gegen Rom in der Wurzel getroffen; militärische Spaziergänge und Geldbußen reichten aus, um die römische Oberherrschaft im ganzen diesseitigen Spanien zur Anerkennung zu bringen.

Auch im jenseitigen ward durch die Überwindung der Lusitaner die römische Herrschaft befestigt und ausgedehnt. Der Konsul Decimus Iunius Brutus, der an Caepios Stelle trat, siedelte die kriegsgefangenen Lusitaner an in der Nähe von Sagunt und gab ihrer neuen Stadt Valentia (Valencia) gleich Carteia latinische Verfassung (616 138); er durchzog ferner (616-618 138-136) in verschiedenen Richtungen die iberische Westküste und gelangte zuerst von den Römern an das Gestade des Atlantischen Meers. Die von ihren Bewohnern, Männern und Frauen, hartnäckig verteidigten Städte der dort wohnenden Lusitaner wurden durch ihn bezwungen, und die bis dahin unabhängigen Callaeker nach einer großen Schlacht, in der ihrer 50000 gefallen sein sollen, mit der römischen Provinz vereinigt. Nach Unterwerfung der Vaccäer, Lusitaner und Callaeker war jetzt mit Ausnahme der Nordküste die ganze Halbinsel wenigstens dem Namen nach den Römern untertan. Eine senatorische Kommission ging nach Spanien, um im Einvernehmen mit Scipio das neugewonnene Provinzialgebiet römisch zu ordnen, und Scipio tat, was er konnte, um die Folgen der ehr- und kopflosen Politik seiner Vorgänger zu beseitigen, wie denn zum Beispiel die Kaukaner, deren schmachvolle Mißhandlung durch Lucullus er neunzehn Jahre zuvor als Kriegstribun mit hatte ansehen müssen, von ihm eingeladen wurden, in ihre Stadt zurückzukehren und sie wiederaufzubauen. Es begann wiederum für Spanien eine leidlichere Zeit. Die Unterdrückung des Seeraubes, der auf den Balearen gefährliche Schlupfwinkel fand, durch Quintus Caecilius Metellus‘ Besetzung dieser Inseln im Jahre 631 (123) war dem Aufblühen des spanischen Handels ungemein förderlich, und auch sonst waren die fruchtbaren und von einer dichten, in der Schleuderkunst unübertroffenen Bevölkerung bewohnten Inseln ein wertvoller Besitz. Wie zahlreich schon damals die lateinisch redende Bevölkerung auf der Halbinsel war, beweist die Ansiedelung von 3000 spanischen Latinern in den Städten Palma und Pollentia (Pollenza) auf den neugewonnenen Inseln. Trotz mancher schwerer Mißstände bewahrte die römische Verwaltung Spaniens im ganzen den Stempel, den die catonische Zeit und zunächst Tiberius Gracchus ihr aufgeprägt hatten. Das römische Grenzgebiet zwar hatte von den Überfällen der halb oder gar nicht bezwungenen Stämme des Nordens und Westens nicht wenig zu leiden. Bei den Lusitanern namentlich tat die ärmere Jugend regelmäßig sich in Räuberbanden zusammen und brandschatzte in hellen Haufen die Landsleute oder die Nachbarn, weshalb noch in viel späterer Zeit die einzeln gelegenen Bauernhöfe in dieser Gegend festungsartig angelegt und im Notfall verteidigungsfähig waren; und es gelang den Römern nicht, diesem Räuberwesen in den unwirtlichen und schwer zugänglichen lusitanischen Bergen ein Ende zu machen. Aber die bisherigen Kriege nahmen doch mehr und mehr den Charakter des Bandenunfugs an, den jeder leidlich tüchtige Statthalter mit den gewöhnlichen Mitteln niederzuhalten vermochte, und trotz dieser Heimsuchung der Grenzdistrikte war Spanien unter allen römischen Gebieten das blühendste und am besten organisierte Land; das Zehntensystem und die Mittelsmänner waren daselbst unbekannt, die Bevölkerung zahlreich und die Landschaft reich an Korn und Vieh.

In einem weit unleidlicheren Mittelzustand zwischen formeller Souveränität und tatsächlicher Untertänigkeit befanden sich die afrikanischen, griechischen und asiatischen Staaten, welche durch die Kriege der Römer gegen Karthago, Makedonien und Syrien und deren Konsequenzen in den Kreis der römischen Hegemonie gezogen worden waren. Der unabhängige Staat bezahlt den Preis seiner Selbständigkeit nicht zu teuer, indem er die Leiden des Krieges auf sich nimmt, wenn es sein muß; der Staat, der die Selbständigkeit eingebüßt hat, mag wenigstens einen Ersatz darin finden, daß der Schutzherr ihm Ruhe schafft vor seinen Nachbarn. Allein diese Klientelstaaten Roms hatten weder Selbständigkeit noch Frieden. In Afrika bestand zwischen Karthago und Numidien tatsächlich ein ewiger Grenzkrieg. In Ägypten hatte zwar der römische Schiedsspruch den Sukzessionsstreit der beiden Brüder Ptolemaeos Philometor und Ptolemaeos des Dicken geschlichtet; allein die neuen Herren von Ägypten und von Kyrene führten nichtsdestoweniger Krieg um den Besitz von Kypros. In Asien waren nicht bloß die meisten Königreiche, Bithynien, Kappadokien, Syrien, gleichfalls durch Erbfolgestreitigkeiten und dadurch hervorgerufene Interventionen der Nachbarstaaten innerlich zerrissen, sondern es wurden auch vielfache und schwere Kriege geführt zwischen den Attaliden und den Galatern, zwischen den Attaliden und den bithynischen Königen, ja zwischen Rhodos und Kreta. Ebenso glimmten im eigentlichen Hellas die dort landüblichen zwerghaften Fehden, und selbst das sonst so ruhige makedonische Land verzehrte sich in dem inneren Hader seiner neuen demokratischen Verfassungen. Es war die Schuld der Herrscher wie der Beherrschten, daß die letzte Lebenskraft und der letzte Wohlstand der Nationen in diesen ziellosen Fehden vergeudet ward. Die Klientelstaaten hätten einsehen müssen, daß der Staat, der nicht gegen jeden, überhaupt nicht Krieg führen kann und daß, da der Besitzstand und die Machtstellung all dieser Staaten tatsächlich unter römischer Garantie stand, ihnen bei jeder Differenz nur die Wahl blieb, entweder mit den Nachbarn in Güte sich zu vergleichen oder die Römer zum Schiedsspruch aufzufordern. Wenn die achäische Tagsatzung von Rhodiern und Kretern um Bundeshilfe gemahnt ward und ernstlich über deren Absendung beratschlagte (601 153), so war dies einfach eine politische Posse; der Satz, den der Führer der römisch gesinnten Partei damals aufstellte, daß es den Achäern nicht mehr freistehe, ohne Erlaubnis der Römer Krieg zu führen, drückte, freilich mit übelklingender Schärfe, die einfache Wahrheit aus, daß die Souveränität der Dependenzstaaten eben nur eine formelle war und jeder Versuch, dem Schatten Leben zu verleihen, notwendig dahin führen mußte, auch den Schatten zu vernichten. Aber ein Tadel, schwerer als der gegen die Beherrschten, ist gegen die herrschende Gemeinde zu richten. Es ist für den Menschen wie für den Staat keine leichte Aufgabe, in die eigene Bedeutungslosigkeit sich zu finden; des Machthabers Pflicht und Recht ist es, entweder die Herrschaft aufzugeben oder durch Entwicklung einer imponierenden materiellen Überlegenheit die Beherrschten zur Resignation zu nötigen. Der römische Senat tat keines von beidem. Von allen Seiten angerufen und bestürmt, griff der Senat beständig ein in den Gang der afrikanischen, hellenischen, asiatischen, ägyptischen Angelegenheiten, allein in einer so unsteten und schlaffen Weise, daß durch diese Schlichtungsversuche die Verwirrung gewöhnlich nur noch ärger ward. Es war die Zeit der Kommissionen. Beständig gingen Beauftragte des Senats nach Karthago und Alexandreia, an die achäische Tagsatzung und die Höfe der vorderasiatischen Herren; sie untersuchten, inhibierten, berichteten, und dennoch ward in den wichtigsten Dingen nicht selten ohne Wissen und gegen den Willen des Senats verfahren. Es konnte geschehen, daß Kypros, welches der Senat dem Kyrenäischen Reich zugeschieden hatte, nichtsdestoweniger bei Ägypten blieb; daß ein syrischer Prinz den Thron seiner Vorfahren bestieg unter dem Vorgeben, ihn von den Römern zugesprochen erhalten zu haben, während in der Tat ihm derselbe vom Senate ausdrücklich abgeschlagen und er selbst nur durch Bannbruch von Rom entkommen war; ja daß die offenkundige Ermordung eines römischen Kommissars, der im Auftrag des Senats vormundschaftlich das Regiment von Syrien führte, gänzlich ungeahndet hinging. Die Asiaten wußten zwar sehr wohl, daß sie nicht imstande seien, den römischen Legionen zu widerstehen; aber sie wußten nicht minder, wie wenig der Senat geneigt war, den Bürgern Marschbefehl nach dem Euphrat oder dem Nil zu erteilen. So ging es in diesen entlegenen Landschaften zu wie in der Schulstube, wenn der Lehrer fern und schlaff ist; und Roms Regiment brachte die Völker zugleich um die Segnungen der Freiheit und um die der Ordnung. Für die Römer selbst aber war diese Lage der Dinge insofern bedenklich, als sie die Nord- und Ostgrenze gewissermaßen preisgab. Ohne daß Rom unmittelbar und rasch es zu verhindern vermochte, konnten hier, gestützt auf die außerhalb des Bereiches der römischen Hegemonie gelegenen Binnenlandschaften und im Gegensatz gegen die schwachen römischen Klientelstaaten, Reiche sich bilden von einer für Rom gefährlichen und früher oder später mit ihm rivalisierenden Machtentwicklung. Allerdings schirmte hiergegen einigermaßen der überall zerspaltene und nirgends einer großartigen staatlichen Entwicklung günstige Zustand der angrenzenden Nationen; aber dennoch erkennt man namentlich in der Geschichte des Ostens sehr deutlich, daß in dieser Zeit die Phalanx des Seleukos nicht mehr und die Legionen des Augustus noch nicht am Euphrat standen.

Diesem Zustand der Halbheit ein Ende zu machen war hohe Zeit. Das einzig mögliche Ende aber war die Verwandlung der Klientelstaaten in römische Ämter, was um so eher geschehen konnte, als ja die römische Provinzialverfassung wesentlich nur die militärische Gewalt in der Hand des römischen Vogts zusammenfaßte und Verwaltung und Gerichte in der Hauptsache den Gemeinden blieben oder doch bleiben sollten, also, was von der alten politischen Selbständigkeit überhaupt noch lebensfähig war, sich in der Form der Gemeindefreiheit bewahren ließ. Zu verkennen war die Notwendigkeit dieser administrativen Reform nicht wohl; es fragte sich nur, ob der Senat dieselbe verzögern und verkümmern, oder ob er den Mut und die Macht haben werde, das Notwendige klar einzusehen und energisch durchzuführen.

Blicken wir zunächst auf Afrika. Die von den Römern in Libyen gegründete Ordnung der Dinge ruhte wesentlich auf dem Gleichgewicht des Nomadenreiches Massinissas und der Stadt Karthago. Während jenes unter Massinissas durchgreifendem und klugem Regiment sich erweiterte, befestigte und zivilisierte, ward auch Karthago durch die bloßen Folgen des Friedensstandes wenigstens an Reichtum und Volkszahl wieder, was es auf der Höhe seiner politischen Macht gewesen war. Die Römer sahen mit übelverhehlter, neidischer Furcht die, wie es schien, unverwüstliche Blüte der alten Nebenbuhlerin; hatten sie bisher den beständig fortgesetzten Übergriffen Massinissas gegenüber derselben jeden ernstlichen Schutz verweigert, so fingen sie jetzt an, offen zu Gunsten des Nachbarn zu intervenieren. Der seit mehr als dreißig Jahren zwischen der Stadt und dem König schwebende Streit über den Besitz der Landschaft Emporia an der Kleinen Syrte, einer der fruchtbarsten des karthagischen Gebiets, ward endlich (um 594 160) von römischen Kommissarien dahin entschieden, daß die Karthager die noch in ihrem Besitz verbliebenen emporitanischen Städte zu räumen und als Entschädigung für die widerrechtliche Nutzung des Gebiets 500 Talente (860000 Taler) an den König zu zahlen hätten. Die Folge war, daß Massinissa sofort sich eines anderen karthagischen Bezirks an der Westgrenze des karthagischen Gebiets, der Stadt Tusca und der großen Felder am Bagradas, bemächtigte; den Karthagern blieb nichts übrig, als abermals in Rom einen hoffnungslosen Prozeß anhängig zu machen. Nach langem und ohne Zweifel absichtlichem Zögern erschien in Afrika eine zweite Kommission (597 157); als aber die Karthager auf einen, ohne genaue vorgängige Untersuchung der Rechtsfrage von derselben zu fällenden Schiedsspruch nicht unbedingt kompromittieren wollten, sondern auf eingehender Erörterung der Rechtsfrage bestanden, kehrten die Kommissare ohne weiteres wieder zurück nach Rom. Die Rechtsfrage zwischen Karthago und Massinissa blieb also unerledigt; aber die Sendung führte eine wichtigere Entscheidung herbei. Das Haupt dieser Kommission war der alte Marcus Cato gewesen, damals vielleicht der einflußreichste Mann im Senat und als Veteran aus dem Hannibalischen Kriege noch von dem vollen Pönerhaß und der vollen Pönerfurcht durchdrungen. Betroffen und mißgünstig hatte dieser mit eigenen Augen den blühenden Zustand der Erbfeinde Roms, die üppige Landschaft und die wogenden Gassen, die gewaltigen Waffenvorräte in den Zeughäusern und das reiche Flottenmaterial geschaut; schon sah er im Geiste einen zweiten Hannibal all diese Hilfsmittel gegen Rom verwenden. In seiner ehrlichen und mannhaften, aber durchaus bornierten Weise kam er zu dem Ergebnis, daß Rom nicht eher sicher sein werde, als bis Karthago vom Erdboden verschwunden sei, und entwickelte nach seiner Heimkehr diese Ansicht sofort im Senat. Dort widersetzten die freier blickenden Männer der Aristokratie, namentlich Scipio Nasica, sich dieser kümmerlichen Politik mit großem Ernst und entwickelten die Blindheit der Besorgnisse vor einer Kaufstadt, deren phönikische Bewohner mehr und mehr der kriegerischen Künste und Gedanken sich entwöhnten, und die vollkommene Verträglichkeit der Existenz dieser reichen Handelsstadt mit der politischen Suprematie Roms. Selbst die Umwandlung Karthagos in eine römische Provinzialstadt wäre ausführbar, ja, verglichen mit dem gegenwärtigen Zustand, den Phönikern selbst vielleicht nicht unwillkommen gewesen. Indes Cato wollte eben nicht die Unterwerfung, sondern den Untergang der verhaßten Stadt. Seine Politik fand, wie es scheint, Bundesgenossen teils an den Staatsmännern, die geneigt waren, die überseeischen Gebiete in unmittelbare Abhängigkeit von Rom zu bringen, teils und vor allem an dem mächtigen Einfluß der römischen Bankiers und Großhändler, denen nach der Vernichtung der reichen Geld- und Handelsstadt die Erbschaft derselben zufallen mußte. Die Majorität beschloß, bei der ersten passenden Gelegenheit – eine solche abzuwarten forderte die Rücksicht auf die öffentliche Meinung – den Krieg mit Karthago oder vielmehr die Zerstörung der Stadt zu bewirken.

Die gewünschte Veranlassung fand sich rasch. Die erbitternden Rechtsverletzungen von Seiten Massinissas und der Römer brachten in Karthago den Hasdrubal und den Karthalo an das Regiment, die Führer der Patriotenpartei, welche, ähnlich der achäischen, zwar nicht daran dachte, gegen die römische Suprematie sich aufzulehnen, aber wenigstens die den Karthagern vertragsmäßig zustehenden Rechte gegen Massinissa, wenn nötig mit den Waffen, zu verteidigen entschlossen war. Die Patrioten ließen vierzig der entschiedensten Anhänger Massinissas aus der Stadt verbannen und das Volk schwören, ihnen unter keiner Bedingung je die Rückkehr zu gestatten; zugleich bildeten sie zur Abwehr gegen die von Massinissa zu erwartenden Angriffe aus den freien Numidiern ein starkes Heer unter Arkobarzanes, dem Enkel des Syphax (um 600 154). Massinissa indes war klug genug, jetzt nicht zu rüsten, sondern sich wegen des streitigen Gebiets am Bagradas unbedingt dem Schiedsspruch der Römer zu unterwerfen; und so konnte man römischerseits mit einigem Schein behaupten, daß die karthagischen Rüstungen gegen die Römer gerichtet sein müßten, und auf sofortige Entlassung des Heeres und Vernichtung der Flottenvorräte dringen. Der karthagische Rat wollte einwilligen, allein die Menge verhinderte die Ausführung des Beschlusses, und die römischen Boten, die diesen Bescheid nach Karthago überbracht hatten, schwebten in Lebensgefahr. Massinissa sandte seinen Sohn Gulussa nach Rom, um über die fortdauernden Vorbereitungen Karthagos für den Land- und den Seekrieg Bericht zu erstatten und die Kriegserklärung zu beschleunigen. Nachdem noch einmal eine Gesandtschaft von zehn Männern es bestätigt hatte, daß in Karthago in der Tat gerüstet werde (602 152), verwarf der Senat zwar die unbedingte Kriegserklärung, die Cato begehrte, beschloß aber in geheimer Sitzung, daß der Krieg erklärt sein solle, wenn die Karthager sich nicht dazu verstehen würden, ihr Heer zu entlassen und ihr Flottenmaterial zu verbrennen. Inzwischen hatte in Afrika der Kampf bereits begonnen. Massinissa hatte die von den Karthagern verbannten Leute unter Geleitschaft seines Sohnes Gulussa nach der Stadt zurückgesandt. Da die Karthager diesen die Tore schlossen, auch von den abziehenden Numidiern einige erschlugen, setzte Massinissa seine Truppen in Bewegung, und auch die karthagische Patriotenpartei machte sich kampffertig. Indes Hasdrubal, der an die Spitze ihrer Armee trat, war einer der gewöhnlichen Heerverderber, wie die Karthager sie zu Feldherren zu nehmen pflegten; im Feldherrnpurpur einherstolzierend wie ein Theaterkönig und seines stattlichen Bauches auch im Lager pflegend, war der eitle und schwerfällige Mann wenig geeignet, den Helfer zu machen in einer Bedrängnis, die vielleicht selbst Hamilkars Geist und Hannibals Arm nicht mehr hätten abwenden können. Vor den Augen des Scipio Aemilianus, der, damals Kriegstribun in der spanischen Armee, an Massinissa gesandt worden war, um seinem Feldherrn afrikanische Elefanten zuzuführen, und der bei dieser Gelegenheit von einem Berge herab „wie Zeus vom Ida“ der Schlacht zuschaute, lieferten die Karthager und die Numidier sich ein großes Treffen, in welchem jene, obwohl durch 6000, von unzufriedenen Hauptleuten Massinissas ihnen zugeführte numidische Reiter verstärkt und an Zahl dem Feinde überlegen, dennoch den kürzeren zogen. Nach dieser Niederlage erboten sich die Karthager gegen Massinissa zu Gebietsabtretungen und Geldzahlungen, und Scipio versuchte auf ihr Anhalten, einen Vertrag zustande zu bringen; allein an der Weigerung der karthagischen Patrioten, die Überläufer auszuliefern, scheiterte das Friedensgeschäft. Hasdrubal aber, eng eingeschlossen von den Truppen des Gegners, wurde genötigt, alles zu bewilligen, was dieser forderte: Auslieferung der Überläufer, Rückkehr der Verbannten, Abgabe der Waffen, Abzug unter dem Joch, Zahlung von jährlich 100 Talenten (155000 Talern) für die nächsten fünfzig Jahre; und selbst dieser Vertrag wurde von den Numidiern nicht gehalten, sondern der entwaffnete Rest des karthagischen Heeres auf der Heimkehr von ihnen zusammengehauen.

Die Römer, die sich wohl gehütet hatten, den Krieg selbst durch zeitige Dazwischenkunft zu verhindern, hatten jetzt, was sie wünschten: einen brauchbaren Kriegsgrund – denn die Bestimmungen des Vertrags, nicht gegen römische Bundesgenossen noch außerhalb der eigenen Grenzen Krieg zu führen, waren jetzt allerdings von den Karthagern übertreten worden – und einen bereits im voraus geschlagenen Gegner. Schon wurden die italischen Kontingente nach Rom gemahnt und die Schiffe zusammenberufen; jeden Augenblick konnte die Kriegserklärung da sein. Die Karthager boten alles auf, den drohenden Schlag abzuwenden. Die Führer der Patriotenpartei, Hasdrubal und Karthalo, wurden zum Tode verurteilt und eine Gesandtschaft nach Rom geschickt, um auf sie die Verantwortung zu wälzen. Allein, zugleich trafen Boten von Utica, der zweiten Stadt der libyschen Phöniker, dort ein, welche Vollmacht hatten, ihre Gemeinde den Römern völlig zu eigen zu geben – mit dieser zuvorkommenden Unterwürfigkeit verglichen, schien es fast Trotz, daß die Karthager sich begnügt hatten, die Hinrichtung ihrer angesehensten Männer unverlangt anzuordnen. Der Senat erklärte, daß die Entschuldigung der Karthager unzureichend befunden sei; auf die Frage, was denn genügen werde, hieß es, das sei den Karthagern ja bekannt. Freilich konnte man es wissen, was die Römer wollten; allein es schien doch wieder unmöglich zu glauben, daß nun wirklich für die liebe Heimatstadt die letzte Stunde gekommen sei. Noch einmal gingen karthagische Sendboten, diesmal ihrer dreißig und mit unbeschränkter Vollmacht, nach Rom. Als sie ankamen, war bereits der Krieg erklärt (Anfang 605 149) und das doppelte Konsularheer eingeschifft; doch versuchten sie noch jetzt, den Sturm durch vollständige Unterwerfung zu beschwören. Der Senat beschied sie, daß Rom bereit sei, der karthagischen Gemeinde ihr Gebiet, ihre städtische Freiheit und ihr Landrecht, ihr Gemeinde- und Privatvermögen zu garantieren, wofern sie den soeben nach Sizilien abgegangenen Konsuln binnen Monatsfrist in Lilybäon 300 Geiseln aus den Kindern der regierenden Familien stellen und die weiteren Befehle erfüllen würden, die ihnen die Konsuln nach ihrer Instruktion würden zugehen lassen. Man hat den Bescheid zweideutig genannt; sehr verkehrt, wie schon damals klarblickende Männer selbst unter den Karthagern hervorhoben. Daß alles, was man nur begehren konnte, garantiert ward mit einziger Ausnahme der Stadt, und daß keine Rede davon war, die Einschiffung der Truppen nach Afrika zu sistieren, zeigte sehr deutlich, was man beabsichtigte; der Senat verfuhr mit furchtbarer Härte, aber den Anschein der Nachgiebigkeit gab er sich nicht. Indes man wollte in Karthago nicht sehen; es fand sich kein Staatsmann, der die haltlose städtische Menge entweder zum vollen Widerstand oder zur vollen Resignation zu bewegen vermocht hätte. Als man zugleich das entsetzliche Kriegsdekret und die erträgliche Geiselforderung vernahm, fügte man zunächst sich dieser und hoffte weiter, weil man den Mut nicht hatte es auszudenken, was es heiße, sich der Willkür eines Todfeindes im voraus zu unterwerfen. Die Konsuln sandten die Geiseln von Lilybäon zurück nach Rom und beschieden die karthagischen Boten, das weitere in Afrika zu vernehmen. Ohne Widerstand geschah die Landung und wurden die geforderten Lebensmittel verabfolgt. Als im Hauptquartier von Utica die gesamte Gerusia von Karthago erschien, um die weiteren Befehle entgegenzunehmen, begehrten die Konsuln zunächst die Entwaffnung der Stadt. Auf die Frage der Karthager, wer sie sodann auch nur gegen ihre eigenen Ausgewanderten, gegen die auf 20000 Mann angeschwollene Armee des dem Todesurteil durch die Flucht entronnenen Hasdrubal beschützen solle, ward ihnen erwidert, daß dies die Sorge der Römer sein werde. Gehorsam erschien demnach der Rat der Stadt vor den Konsuln mit allem Flottenmaterial, allen Kriegsvorräten der öffentlichen Zeughäuser, allen im Privatbesitz befindlichen Waffen – man zählte 3000 Wurfgeschütze und 200000 volle Rüstungen – und fragte an, ob noch weiteres begehrt werde. Da erhob sich der Konsul Lucius Marcius Censorinus und eröffnete dem Rat, daß in Gemäßheit der vom Senat erlassenen Instruktion die bisherige Stadt zerstört werden müsse, den Bewohnern aber freistehe, sich wo sie sonst wollten auf ihrem Gebiet, jedoch mindestens zwei deutsche Meilen vom Meer entfernt, wiederum anzusiedeln. Dieser fürchterliche Befehl rüttelte in den Phönikern die ganze, soll man sagen hochherzige oder wahnwitzige Begeisterung auf, wie sie einst die Tyrier gegen Alexander und später die Juden gegen Vespasian bewiesen. Beispiellos wie die Geduld war, mit der diese Nation Knechtschaft und Druck zu ertragen vermochte, ebenso beispiellos war jetzt, wo es sich nicht um Staat und Freiheit handelte, sondern um den eigenen, geliebten Boden der Vaterstadt und die altgewohnte teure Meeresheimat, die rasende Empörung der kaufmännischen und seefahrenden Bevölkerung. Von Hoffnung und Rettung konnte nicht die Rede sein; der politische Verstand gebot ohne Frage auch jetzt sich zu fügen – aber die Stimme der wenigen, welche mahnten, das Unvermeidliche auf sich zu nehmen, verscholl wie der Ruf des Fährmanns im Orkan in dem brausenden Wutgeheul der Menge, die in ihrem wahnsinnigen Toben teils an den Beamten der Stadt sich vergriff, welche zur Auslieferung der Geiseln und Waffen geraten hatten, teils die unschuldigen Träger der Botschaft, so viele von ihnen überhaupt heimzukehren gewagt hatten, die Schreckenskunde entgelten ließ, teils die zufällig in der Stadt verweilenden Italiker zerriß, um wenigstens an diesen die Rache vorwegzunehmen für die Vernichtung der Heimat. Man beschloß nicht sich zu wehren; wehrlos wie man war, verstand sich dies von selbst. Die Tore wurden geschlossen, auf die von Wurfgeschossen entblößten Mauerzinnen Steine geschafft, der Oberbefehl an Hasdrubal, den Tochtersohn Massinissas, übertragen, die Sklaven sämtlich frei erklärt. Das Emigrantenheer unter dem flüchtigen Hasdrubal, das mit Ausnahme der von den Römern besetzten Städte an der Ostküste, Hadrumetum, Klein-Leptis, Thapsus und Achulla und der Stadt Utica, das ganze karthagische Gebiet innehatte und für die Verteidigung eine unschätzbare Stütze bot, ward ersucht, der Gemeinde seinen Beistand in dieser höchsten Not nicht zu versagen. Zugleich versuchte man, in echt phönikischer Weise die grenzenloseste Erbitterung unter dem Mantel der Demut versteckend, den Feind zu täuschen. Es ging eine Botschaft an die Konsuln, um dreißigtägigen Waffenstillstand zur Absendung einer Gesandtschaft nach Rom zu erbitten. Die Karthager wußten wohl, daß die Feldherrn diese einmal schon abgeschlagene Bitte weder gewähren wollten noch konnten; allein die Konsuln wurden dadurch bestärkt in der natürlichen Voraussetzung, daß nach dem ersten Ausbruch der Verzweiflung die gänzlich wehrlose Stadt sich fügen werde, und verschoben deshalb den Angriff. Die kostbare Zwischenzeit ward benutzt, um Wurfgeschütze und Rüstungen herzustellen; Tag und Nacht ward ohne Unterschied des Alters und Geschlechts an Maschinen und Waffen gezimmert und gehämmert; um Balken und Metall zu erlangen, wurden die öffentlichen Gebäude niedergerissen; um die für die Wurfgeschütze unentbehrlichen Sehnen herzustellen, schoren die Frauen sich das Haar; in unglaublich kurzer Zeit waren die Mauern und die Männer wieder bewehrt. Daß dies alles geschehen konnte, ohne daß die wenige Meilen entfernten Konsuln etwas davon erfuhren, ist nicht der am wenigsten wunderbare Zug in dieser wunderbaren, von einem wahrhaft genialen, ja dämonischen Volkshaß getragenen Bewegung. Als endlich die Konsuln, des Wartens müde, aus dem Lager bei Utica aufbrachen und bloß mit Leitern die nackten Mauern ersteigen zu können meinten, fanden sie mit Staunen und Schrecken die Zinnen aufs neue mit Katapulten gekrönt und die große volkreiche Stadt, welche man gleich einem offenen Flecken zu besetzen gehofft hatte, fähig und bereit, sich bis auf den letzten Mann zu verteidigen.

Karthago war sehr fest durch die Natur seiner Lage3 wie durch die Kunst seiner gar oft auf den Schutz ihrer Mauern angewiesenen Bewohner. In den weiten Tunesischen Golf, den westlich Kap Farina, östlich Kap Bon begrenzen, springt in der Richtung von Westen nach Osten eine Landspitze vor, die an drei Seiten vom Meer umflossen ist und nur gegen Westen mit dem Festland zusammenhängt. Diese Landspitze, an der schmalsten Stelle nur etwa eine halbe deutsche Meile breit und im ganzen flach, erweitert sich wieder gegen den Golf und endigt hier in den beiden Höhen von Dschebel-Khawi und Sidi bu Said, zwischen denen die Fläche von El Mersa sich ausdehnt. Auf dem südlichen, mit der Höhe von Sidi bu Said abschließenden Teil derselben lag die Stadt Karthago. Der ziemlich steile Abfall jener Höhe gegen den Golf und dessen zahlreiche Klippen und Untiefen gaben an der Golfseite der Stadt natürliche Festigkeit, und es genügte hier eine einfache Umwallung. Dagegen auf die Mauer an der West- oder Landseite, wo die Natur keinen Schutz bot, war alles verwendet, was die damalige Befestigungskunst vermochte. Sie bestand, wie die kürzlich aufgedeckten, mit der Beschreibung des Polybios genau übereinstimmenden Überreste gezeigt haben, aus einer Außenmauer von 6½ Fuß Dicke und an diese hinterwärts, wahrscheinlich in ihrer ganzen Ausdehnung, angelehnten ungeheuren Kasematten, welche durch einen 6 Fuß breiten bedeckten Gang von der Außenmauer getrennt waren und, die jede reichlich 3 Fuß breiten Vorder- und Hintermauern nicht gerechnet, eine Tiefe von 11 Fuß hatten4

Außenmauer 2 Meter = 6½ Fuß
Korridor 9 Meter = 6 Fuß
Vordermauer der Kasematten 1 Meter = 3¼Fuß
Kasemattensäle 4,2 Meter = 14 Fuß
Hintermauer der Kasematten 1 Meter = 3¼Fuß
Gesamttiefe der Mauer 10,1 Meter = 33 Fuß

5

Die schwierige Arbeit, eine so wohlbefestigte Stadt zu bezwingen, wurde noch dadurch erschwert, daß teils die Hilfsmittel der Hauptstadt selbst und des noch immer 800 Ortschaften umfassenden und von der Emigrantenpartei größtenteils beherrschten Gebietes, teils die zahlreichen mit Massinissa verfeindeten Stämme der ganz oder halb freien Libyer den Karthagern gestatteten, sich nicht auf die Verteidigung der Stadt zu beschränken, sondern zugleich ein zahlreiches Heer im Felde zu halten, welches bei der verzweifelten Stimmung der Emigranten und der Brauchbarkeit der leichten numidischen Reiterei von den Belagerern nicht außer acht gelassen werden durfte.

Es hatten somit die Konsuln eine keineswegs leichte Aufgabe zu lösen, als sie nun doch sich genötigt sahen, die Belagerung regelrecht zu beginnen. Manius Manilius, der das Landheer befehligte, schlug sein Lager der Burgmauer gegenüber, während Lucius Censorinus mit der Flotte an dem See sich aufstellte und dort auf der Landzunge die Operationen begann. Die karthagische Armee unter Hasdrubal lagerte an dem andern Ufer des Sees bei der Festung Nepheris, von wo aus sie den zum Holzfällen für den Maschinenbau ausgeschickten römischen Soldaten ihre Arbeit erschwerte und namentlich der tüchtige Reiterführer Himilkon Phameas den Römern viele Leute tötete. Indes stellte Censorinus auf der Landzunge zwei große Sturmböcke her und brach mit ihnen Bresche an dieser schwächsten Stelle der Mauer; der Sturm indes mußte, da es Abend geworden, verschoben werden. In der Nacht gelang es den Belagerten, einen großen Teil der Bresche zu füllen und durch einen Ausfall die römischen Maschinen so zu beschädigen, daß sie am nächsten Tage nicht weiterarbeiten konnten. Dennoch wagten die Römer den Sturm; allein sie fanden die Bresche und die nächsten Mauerabschnitte und Häuser stark besetzt und gingen so unvorsichtig vor, daß sie mit starkem Verlust zurückgeschlagen wurden und noch weit größere Nachteile erlitten haben würden, wenn nicht der Kriegstribun Scipio Aemilianus, den Ausgang des tolldreisten Angriffs vorhersehend, seine Leute vor den Mauern zusammengehalten und mit ihnen die Flüchtenden aufgenommen hätte. Noch viel weniger richtete Manilius gegen die unbezwingliche Burgmauer aus. So zog die Belagerung sich in die Länge. Die durch die Sommerhitze im Lager erzeugten Krankheiten, die Abreise des fähigeren Feldherrn Censorinus, endlich die Verstimmung und Untätigkeit Massinissas, der begreiflicherweise die Römer sehr ungern die längst begehrte Beute für sich selber nehmen sah, und der bald darauf (Ende 605 149) erfolgte Tod des neunzigjährigen Königs brachten die Offensivoperationen der Römer völlig ins Stocken. Sie hatten genug zu tun, um ihre Schiffe gegen die karthagischen Brander und ihr Lager gegen die nächtlichen Überfälle zu schützen und durch Anlegung eines Hafenkastells und Streifzüge in die Umgegend Nahrung für Menschen und Pferde zu beschaffen. Zwei gegen Hasdrubal gerichtete Expeditionen blieben beide ohne Erfolg, ja die erste hätte bei der schlechten Führung auf dem schwierigen Terrain fast mit einer förmlichen Niederlage geendigt. So ruhmlos dieser Krieg für den Feldherrn wie für das Heer verlief, so glänzend tat der Kriegstribun Scipio darin sich hervor. Er war es, der bei dem Nachtsturm der Feinde auf das römische Lager, mit einigen Reiterschwadronen ausrückend und den Feind in den Rücken fassend, ihn zum Umkehren nötigte. Auf dem ersten Zug nach Nepheris machte er nach dem Flußübergang, der wider seinen Rat stattgefunden hatte und fast das Verderben des Heeres geworden wäre, durch einen verwegenen Seitenangriff dem rückkehrenden Heer Luft und befreite eine schon verloren gegebene Abteilung durch seinen aufopfernden Heldenmut. Während die übrigen Offiziere, der Konsul vor allem, durch ihre Wortlosigkeit die zu Unterhandlungen geneigten Städte und Parteiführer zurückschreckten, gelang es Scipio, einen der tüchtigsten von diesen, Himilkon Phameas, mit 2200 Reitern zum Übertritt zu bestimmen. Endlich, nachdem er, den Auftrag des sterbenden Massinissa erfüllend, unter dessen drei Söhne, die Könige Micipsa, Gulussa und Mastanabal, das Reich geteilt hatte, führte er in Gulussa einen seines Vaters würdigen Reiterführer dem römischen Heer zu und half damit dem bisher empfindlich gefühlten Mangel an leichter Reiterei ab. Sein feines und doch schlichtes Wesen, das mehr an seinen leiblichen Vater erinnerte als an den, dessen Namen er trug, bezwang auch den Neid, und im Lager wie in der Hauptstadt war Scipios Name auf allen Lippen. Selbst Cato, der nicht freigebig mit seinem Lobe war, wandte wenige Monate vor seinem Tode – er starb am Ende des Jahres 605 (149), ohne den Wunsch seines Lebens, die Vernichtung Karthagos, erfüllt gesehen zu haben – auf den jungen Offizier und seine unfähigen Kameraden die Homerische Zeile an: „Einzig er ist ein Mann, die andern sind wandelnde Schatten6.“

Über diese Vorgänge war der Jahresschluß und damit der Kommandowechsel herangekommen: ziemlich spät erschien der Konsul Lucius Piso (606 148) und übernahm den Oberbefehl des Landheeres so wie Lucius Mancinus den der Flotte. Indes, hatten die Vorgänger wenig geleistet, so geschah nun gar nichts. Statt mit der Belagerung Karthagos oder der Überwindung der Armee Hasdrubals beschäftigte Piso sich damit, die kleinen phönikischen Seestädte anzugreifen und auch dies meist ohne Erfolg, wie zum Beispiel Clupea ihn zurückschlug und er von Hippon Diarrhytos, nachdem er den ganzen Sommer davor verloren hatte und das Belagerungsgerät ihm zweimal verbrannt worden war, schimpflich abziehen mußte. Neapolis ward zwar genommen; aber die Plünderung der Stadt gegen das gegebene Ehrenwort war auch dem Fortgang der römischen Waffen nicht sonderlich günstig. Der Mut der Karthager stieg. Ein numidischer Scheik Bithyas ging mit 800 Pferden zu ihnen über; karthagische Gesandte konnten es versuchen, mit den Königen von Numidien und Mauretanien, ja, mit dem falschen Philippos von Makedonien Verbindungen einzuleiten. Vielleicht mehr die inneren Zerwürfnisse – Hasdrubal der Emigrant verdächtigte den gleichnamigen Feldherrn, der in der Stadt befehligte, wegen seiner Verwandtschaft mit Massinissa und ließ ihn im Rathause erschlagen – als die Tätigkeit der Römer verhinderten eine für Karthago noch günstigere Wendung der Dinge. So griff man in Rom, um dem besorglichen Stand der afrikanischen Angelegenheiten Wandel zu schaffen, zu der außerordentlichen Maßregel, dem einzigen Mann, der bis jetzt von den libyschen Feldern Ehre heimgebracht hatte und den sein Name selbst für diesen Krieg empfahl, dem Scipio, statt der Ädilität, um die er eben sich bewarb, mit Beseitigung der entgegenstehenden Gesetze vor der Zeit das Konsulat und durch besonderen Beschluß die Führung des Afrikanischen Krieges zu übertragen. Er traf (607 147) in Utica in einem Augenblick ein, wo viel auf dem Spiel stand. Der römische Admiral Mancinus, von Piso mit der nominellen Fortsetzung der Belagerung der Hauptstadt beauftragt, hatte eine steile, von dem bewohnten Bezirk weit entlegene und kaum verteidigte Klippe an der schwer zugänglichen Seite der Außenstadt Magalia besetzt und fast seine gesamte, nicht zahlreiche Mannschaft dort vereinigt, in der Hoffnung, von hier aus in die Außenstadt eindringen zu können. In der Tat waren die Angreifer schon einen Augenblick innerhalb der Tore derselben gewesen, und schon war der Lagertroß in der Hoffnung auf Beute in Masse herbeigeströmt, als sie wieder auf die Klippe zurückgedrängt wurden und ohne Zufuhr und fast abgeschnitten in der größten Gefahr schwebten. So fand Scipio die Lage der Dinge. Kaum angekommen, entsandte er die mitgebrachte Mannschaft und die Miliz von Utica zu Schiff nach dem bedrohten Punkt, und es gelang, dessen Besatzung zu retten und die Klippe selbst zu behaupten. Nachdem diese Gefahr abgewendet schien, begab der Feldherr sich in das Lager Pisos, um das Heer zu übernehmen und nach Karthago zurückzuführen. Hasdrubal aber und Bithyas benutzten seine Abwesenheit, um ihr Lager unmittelbar an die Stadt zu rücken und den Angriff auf die Besatzung der Klippe von Magalia zu erneuern; indes auch jetzt erschien Scipio mit dem Vortrab der Hauptarmee zeitig genug, um dem Posten abermals Beistand zu leisten. Danach begann von neuem und ernstlicher die Belagerung. Vor allen Dingen säuberte Scipio das Lager von der Masse des Trosses und der Marketender und zog die erschlafften Zügel der Disziplin wieder mit Strenge an. Bald nahmen auch die militärischen Operationen einen lebhafteren Gang. Bei einem nächtlichen Angriff auf die Außenstadt gelangten von einem Turme aus, der den Mauern an Höhe gleich vor denselben stand, die Römer auf die Zinnen und öffneten ein Pförtchen, durch das das ganze Heer eindrang. Die Karthager gaben die Außenstadt und das Lager vor den Toren auf und übertrugen den Oberbefehl über die auf 30000 Mann sich belaufende städtische Besatzung an Hasdrubal. Der neue Kommandant bewies seine Energie zuvörderst dadurch, daß er sämtliche römische Gefangenen auf die Mauerzinnen bringen und sie vor den Augen des Belagerungsheeres nach grausamen Martern in die Tiefe stürzen ließ; und als hierüber Stimmen des Tadels sich erhoben, wurde auch gegen die Bürger die Schreckensherrschaft eingeführt. Scipio inzwischen suchte, nachdem er die Stadt auf sich selber beschränkt hatte, ihr den Verkehr nach außen hin völlig abzuschneiden. Er selbst nahm sein Hauptquartier auf dem Erdrücken, durch den die karthagische Halbinsel mit dem Festland zusammenhängt, und schlug hier trotz der vielfachen Versuche der Karthager, den Bau zu stören, ein großes, diesen Rücken in seiner ganzen Breite schließendes Lager, das die Stadt nach der Landseite hin vollständig absperrte. Indes liefen noch immer Proviantschiffe in den Hafen ein, teils kühne Kauffahrer, die der hohe Gewinn lockte, teils Schiffe des Bithyas, der von Nepheris am Ende des Tunesischen Sees aus jeden günstigen Fahrwind benutzte, um Lebensmittel nach der Stadt zu bringen; wie auch daselbst die Bürgerschaft schon litt, die Besatzung war noch hinreichend versorgt. Scipio zog deshalb von der Landzunge zwischen See und Golf in den letzteren hinein einen Steindamm von 96 Fuß Breite, um damit die Hafenmündung zu sperren. Die Stadt schien verloren, als das Gelingen dieses anfangs von den Karthagern als unausführbar verspotteten Unternehmens offenbar ward. Aber eine Überraschung machte die andere wett. Während die römischen Arbeiter an dem Damm schanzten, wurde auch im karthagischen Hafen zwei Monate lang Tag und Nacht gearbeitet, ohne daß selbst die Überläufer zu sagen wußten, was die Belagerten beabsichtigten. Plötzlich, als eben die Römer mit der Verbauung des Hafeneingangs fertig waren, segelten aus demselben Hafen fünfzig karthagische Dreidecker und eine Anzahl Boote und Kähne hinaus in den Golf -die Karthager hatten, während die Feinde die alte Hafenmündung gegen Süden sperrten, durch einen in östlicher Richtung gezogenen Kanal sich einen neuen Ausgang geschaffen, welcher bei der Tiefe des Meeres an dieser Stelle unmöglich gesperrt werden konnte. Hätten die Karthager, statt mit dem Paradezug sich zu begnügen, sofort sich mit Entschlossenheit auf die halbabgetakelte und völlig unvorbereitete römische Flotte gestürzt, so war diese verloren; als sie am dritten Tage wiederkehrten, um die Seeschlacht zu liefern, fanden sie die Römer gerüstet. Der Kampf verlief ohne Entscheidung; bei der Rückfahrt aber stopften sich die karthagischen Schiffe so sehr in und vor der Hafenmündung, daß der dadurch entstandene Schaden einer Niederlage gleichkam. Scipio richtete nun seine Angriffe auf den äußeren Hafenkai, welcher außerhalb der Stadtmauern lag und nur durch einen vor kurzem angelegten Erdwall notdürftig geschützt war. Die Maschinen wurden auf der Landzunge aufgestellt und eine Bresche war leicht gemacht; aber mit beispielloser Unerschrockenheit griffen die Karthager, die Untiefen durchwatend, das Belagerungszeug an, verjagten die Besatzungsmannschaft, welche so ins Laufen kam, daß Scipio seine eigenen Reiter auf sie einhauen lassen mußte, und zerstörten die Maschinen. Auf diese Weise gewannen sie Zeit, die Bresche zu schließen. Scipio stellte indes die Maschinen wieder her und schoß die Holztürme der Feinde in Brand, wodurch er den Kai und damit den Außenhafen in seine Gewalt bekam. Ein der Stadtmauer an Höhe gleichkommender Wall wurde hier aufgeführt, und es war jetzt endlich die Stadt von der Land- wie von der Seeseite vollständig abgesperrt, da man nur durch den äußeren in den inneren Hafen gelangte. Um die Blockade vollständig zu sichern, ließ Scipio das Lager bei Nepheris, das jetzt Diogenes befehligte, von Gaius Laelius angreifen; durch eine glückliche Kriegslist ward es erobert und die ganze dort versammelte zahllose Menschenmasse getötet oder gefangen. Darüber war der Winter herangekommen, und Scipio stellte die Operationen ein, es dem Hunger und den Seuchen überlassend, das Begonnene zu vollenden. Wie furchtbar die Gewaltigen des Herrn inzwischen an dem Vernichtungswerk gearbeitet hatten, während Hasdrubal freilich fortfuhr zu prahlen und zu prassen, zeigte sich, so wie im Frühling 608 (146) das römische Heer zum Angriff gegen die innere Stadt überging. Hasdrubal ließ den Außenhafen anzünden und machte sich bereit, den auf den Kothon erwarteten Sturm abzuschlagen; aber Laelius gelang es, weiter aufwärts die von der ausgehungerten Besatzung kaum noch verteidigte Mauer zu übersteigen und so bis an den inneren Hafen vorzudringen. Die Stadt war erobert, aber der Kampf noch keineswegs zu Ende. Die Angreifer besetzten den an den kleinen Hafen anstoßenden Markt und drangen in den drei schmalen, von diesem nach der Burg zu führenden Straßen langsam vor – langsam, denn von den gewaltigen bis zu sechs Stockwerken hohen Häusern mußte eines nach dem andern erstürmt werden; auf den Dächern oder auf über die Straße gelegten Balken drang der Soldat von einem dieser festungsähnlichen Gebäude in das benachbarte oder gegenüberstehende vor und stieß nieder, was darin ihm vorkam. So verflossen sechs Tage, schreckliche für die Bewohner der Stadt und auch für die Angreifer voll Not und Gefahr; endlich langte man vor dem steilen Burgfelsen an, auf den sich Hasdrubal und die noch übrige Mannschaft zurückgezogen hatten. Um einen breiteren Aufweg zu bekommen, befahl Scipio, die eroberten Straßen anzuzünden und den Schutt zu planieren, bei welcher Veranlassung eine Menge in den Häusern versteckter kampfunfähiger Personen elend umkamen. Da endlich bat der auf der Burg zusammengedrängte Rest der Bevölkerung um Gnade. Das nackte Leben ward ihnen zugestanden und sie erschienen vor dem Sieger, 30000 Männer und 25000 Frauen, nicht der zehnte Teil der ehemaligen Bevölkerung. Einzig die römischen Überläufer, 900 an der Zahl, und der Feldherr Hasdrubal mit seiner Gattin und seinen beiden Kindern hatten sich in den Tempel des Heilgottes geworfen: für sie, für die desertierten Soldaten wie für den Mörder der römischen Gefangenen, gab es keinen Vertrag. Aber als nun, dem Hunger erliegend, die entschlossensten unter ihnen den Tempel anzündeten, ertrug Hasdrubal es nicht, dem Tode ins Auge zu sehen; einzeln entrann er zu dem Sieger und bat kniefällig um sein Leben. Es ward ihm gewährt; aber wie seine Gattin, die mit ihren Kindern unter den übrigen auf dem Tempeldach sich befand, ihn zu den Füßen Scipios erblickte, schwoll ihr das stolze Herz über diese Schändung der teuren untergehenden Heimat und den Gemahl mit bitteren Worten erinnernd, seines Lebens sorglich zu schonen, stürzte sie erst die Söhne und dann sich selber in die Flammen. Der Kampf war zu Ende. Der Jubel im Lager wie in Rom war grenzenlos; nur die Edelsten des Volkes schämten im stillen sich der neuesten Großtat der Nation. Die Gefangenen wurden größtenteils zu Sklaven verkauft; einzelne ließ man im Kerker verkommen; die vornehmsten, Bithyas und Hasdrubal, wurden als römische Staatsgefangene in Italien interniert und leidlich behandelt. Das bewegliche Gut, soweit es nicht Gold und Silber war oder Weihgeschenk, ward den Soldaten zur Plünderung preisgegeben; von den Tempelschätzen ward die in besseren Zeiten von Karthago aus den sizilischen Städten weggeführte Beute diesen zurückgestellt, wie zum Beispiel der Stier des Phalaris den Akragantinern; das übrige, fiel an den römischen Staat.

Indes noch stand die Stadt zum bei weitem größten Teil. Es ist glaublich, daß Scipio die Erhaltung derselben wünschte; wenigstens richtete er deswegen noch eine besondere Anfrage an den Senat. Scipio Nasica versuchte noch einmal, die Forderungen der Vernunft und der Ehre geltend zu machen; es war vergebens. Der Senat befahl dem Feldherrn, die Stadt Karthago und die Außenstadt Magalia dem Boden gleich zu machen, desgleichen alle Ortschaften, die es bis zuletzt mit Karthago gehalten; sodann über den Boden Karthagos den Pflug zu führen, um der Existenz der Stadt in Form Rechtens ein Ende zu machen, und Grund und Boden auf ewige Zeiten zu verwünschen, also daß weder Haus noch Kornfeld je dort entstehen möge. Es geschah wie befohlen war. Siebzehn Tage brannten die Ruinen; als vor kurzem die Überreste der karthagischen Stadtmauer aufgegraben wurden, fand man sie bedeckt mit einer vier bis fünf Fuß tiefen, von halb verkohlten Holzstücken, Eisentrümmern und Schleuderkugeln erfüllten Aschenlage. Wo die fleißigen Phöniker ein halbes Jahrtausend geschafft und gehandelt hatten, weideten fortan römische Sklaven die Herden ihrer fernen Herren. Scipio aber, den die Natur zu einer edleren als zu dieser Henkerrolle bestimmt hatte, sah schaudernd auf sein eigenes Werk, und statt der Siegesfreude erfaßte den Sieger selber die Ahnung der solcher Untat unausbleiblich nachfolgenden Vergeltung.

Es blieb noch übrig, für die künftige Organisation der Landschaft die Einrichtungen zu treffen. Die frühere Weise, mit den gewonnenen überseeischen Besitzungen die Bundesgenossen zu belehnen, ward nicht ferner beliebt. Micipsa und seine Brüder behielten im wesentlichen ihr bisheriges Gebiet mit Einschluß der kürzlich am Bagradas und in Emporia den Karthagern entrissenen Distrikte; die lange genährte Hoffnung, Karthago zur Hauptstadt zu erhalten, ward für immer vereitelt; dafür verehrte ihnen der Senat die karthagischen Büchersammlungen. Die karthagische Landschaft, wie die Stadt sie zuletzt besessen hatte, das heißt der schmale, Sizilien zunächst gegenüberliegende Küstenstrich von Afrika, vom Tuscafluß (bei Thabzaca) bis Thaenae (der Insel Kerkena gegenüber), ward eine römische Provinz. Im Binnenland, wo die übergriffe Massinissas die karthagische Herrschaft fortwährend weiter beschränkt hatten und schon Bulla, Zama, Aquae den Königen gehörten, blieb den Numidiern, was sie besaßen. Allein die sorgfältige Regulierung der Grenze zwischen der römischen Provinz und dem auf drei Seiten dieselbe einschließenden numidischen Königreich zeugte davon, daß Rom gegen sich keineswegs dulden werde, was es gegen Karthago verstattet hatte; wogegen der Name der neuen Provinz, Africa, andererseits darauf hinzudeuten schien, daß Rom die gegenwärtig abgesteckte Grenze durchaus nicht als eine definitive betrachte. Die Oberverwaltung der neuen Provinz übernahm ein römischer Statthalter, dessen Sitz Utica wurde. Einer regelmäßigen Grenzverteidigung bedurfte dieselbe nicht, da das verbündete Numidische Reich sie überall von den Bewohnern der Wüste schied. Hinsichtlich der Abgaben verfuhr man im ganzen mit Milde. Diejenigen Gemeinden, die seit Anfang des Krieges auf seiten der Römer gestanden hatten – es waren dies nur die Seestädte Utica, Hadrumetum, Klein-Leptis, Thapsus, Achulla, Usalis und die Binnenstadt Theudalis –, behielten ihre Mark und wurden Freistädte; dasselbe Recht empfing die neugegründete Gemeinde der Überläufer. Das Stadtgebiet Karthagos, mit Ausnahme eines an Utica verschenkten Striches, und das der übrigen zerstörten Ortschaften ward römisches Domanialland, welches man durch Verpachtung verwertete. Die übrigen Ortschaften verloren gleichfalls dem Rechte nach ihr Bodeneigentum und ihre städtischen Freiheiten; doch wurde ihnen ihr Acker und ihre Verfassung bis auf weitere Anordnung der römischen Regierung vorläufig als widerruflicher Besitz gelassen und zahlten die Gemeinden für die Nutzung des römisch gewordenen Bodens jährlich nach Rom eine ein für allemal normierte Abgabe (stipendium), welche sie dann ihrerseits mittels einer Vermögenssteuer von den einzelnen Abgabepflichtigen wiedereinzogen. Die eigentlichen Gewinner aber bei dieser Zerstörung der ersten Handelsstadt des Westens waren die römischen Kaufleute, welche, sowie Karthago in Asche lag, scharenweise nach Utica strömten und von dort aus nicht bloß die römische Provinz, sondern auch die bis dahin ihnen verschlossenen numidischen und gätulischen Landschaften auszubeuten begannen.

Um dieselbe Zeit wie Karthago verschwand auch Makedonien aus der Reihe der Nationen. Die vier kleinen Eidgenossenschaften, in die die Weisheit des römischen Senats das alte Königreich zerstückelt hatte, konnten in sich und untereinander nicht zum Frieden kommen; wie es in dem Lande zuging, zeigt ein einzelner, zufällig erwähnter Vorfall in Phakos, wo der gesamte Regierungsrat einer dieser Eidgenossenschaften auf Anstiften eines gewissen Damasippos ermordet wurde. Weder die Kommissionen, die der Senat abordnete (590 164), noch die nach griechischer Sitte von den Makedoniern herbeigerufenen fremden Schiedsrichter, wie zum Beispiel Scipio Aemilianus (603 151), vermochten einen leidlichen Zustand herzustellen. Da erschien plötzlich in Thrakien ein junger Mann, der sich Philippos nannte, den Sohn des Königs Perseus, welchem er auffallend glich, und der syrischen Laodike. Seine Jugend hatte er in der mysischen Stadt Adramytion verlebt; hier behauptete er die sicheren Beweise seiner hohen Abstammung erhalten zu haben. Mit diesen hatte er, nach einem vergeblichen Versuch, in seinem Heimatland sich geltend zu machen, sich an seiner Mutter Bruder, König Demetrios Soter von Syrien, gewandt. Es fanden sich in der Tat einige Männer, die dem Adramytener glaubten oder zu glauben vorgaben und den König bestürmten, den Prinzen entweder in sein angeerbtes Reich wiedereinzusetzen oder ihm die Krone Syriens abzutreten; worauf Demetrios, um dem tollen Treiben ein Ende zu machen, den Prätendenten festnahm und den Römern zuschickte. Indes der Senat achtete des Menschen so wenig, daß er ihn in einer italischen Stadt konfinierte, ohne ihn auch nur ernstlich bewachen zu lassen. So war er nach Milet entflohen, wo die städtischen Behörden ihn abermals aufgriffen und bei römischen Kommissarien anfragten, was sie mit dem Gefangenen machen sollten. Diese rieten, ihn laufen zu lassen; es geschah. Jetzt versuchte er denn weiter in Thrakien sein Glück; und wunderbarerweise fand er hier Anerkennung und Unterstützung, nicht bloß bei den thrakischen Barbarenfürsten Teres, dem Gemahl seiner Vaterschwester, und Barsabas, sondern auch bei den klugen Byzantiern. Mit thrakischer Unterstützung drang der sogenannte Philipp in Makedonien ein, und obwohl er anfangs geschlagen ward, erfocht er doch bald einen Sieg über das makedonische Aufgebot in der Odomantike jenseits des Strymon und darauf einen zweiten diesseits des Flusses, der ihm den Besitz von ganz Makedonien verschaffte. So apokryphisch seine Erzählung klang und so entschieden es feststand, daß der echte Philippos Perseus‘ Sohn achtzehn Jahre alt in Alba gestorben und dieser Mensch nichts weniger als ein makedonischer Prinz, sondern der adramytenische Walker Andriskos sei, so war man doch in Makedonien der Königsherrschaft zu sehr gewohnt, um nicht mit der Legitimitätsfrage sich rasch abzufinden und gern in das alte Gleis wiedereinzulenken. Schon kamen Boten von den Thessalern, daß der Prätendent in ihr Gebiet eingerückt sei; der römische Kommissar Nasica, der in der Erwartung, daß das erste ernste Wort dem törichten Beginnen ein Ende machen werde, vom Senat ohne Soldaten nach Makedonien gesandt worden war, mußte die achäische und pergamenische Mannschaft aufbieten und mit den Achäern Thessalien gegen die Übermacht, soweit es anging, schirmen, bis (605? 149) der Prätor Juventius mit einer Legion erschien. Dieser griff mit seiner geringen Streitmacht die Makedonier an; allein er selber fiel, sein Heer ging fast ganz zugrunde und Thessalien geriet zum größten Teil in die Gewalt des falschen Philippos, der sein Regiment hier und in Makedonien in grausamer und übermütiger Weise handhabte. Endlich betrat ein stärkeres römisches. Heer unter Quintus Caecilius Metellus den Kampfplatz und drang, unterstützt durch die pergamenische Flotte, in Makedonien ein. Zwar behielten in dem ersten Reitergefecht die Makedonier die Oberhand; allein bald traten Spaltungen und Desertionen im makedonischen Heer ein, und der Fehler des Prätendenten, sein Heer zu teilen und die eine Hälfte nach Thessalien zu detachieren, verschaffte den Römern einen leichten und entscheidenden Sieg (606 148). Philippos flüchtete nach Thrakien zu dem Häuptling Byzes, wohin Metellus ihm folgte und nach einem zweiten Sieg seine Auslieferung erlangte.

Die vier makedonischen Eidgenossenschaften hatten sich dem Prätendenten nicht freiwillig unterworfen, sondern waren lediglich der Gewalt gewichen. Nach der bisher befolgten Politik lag also kein Grund vor, den Makedoniern den Schatten von Selbständigkeit zu nehmen, den die Schlacht von Pydna ihnen noch gelassen hatte; dennoch wurde das Reich Alexanders jetzt auf Befehl des Senats von Metellus in eine römische Provinz verwandelt. Sehr deutlich ward es hier, daß die römische Regierung ihr System geändert und das Klientel- durch das Untertanenverhältnis zu ersetzen beschlossen hatte; und darum wurde die Einziehung der vier makedonischen Eidgenossenschaften in dem ganzen Kreise der Klientelstaaten als ein gegen alle gerichteter Schlag empfunden. Die früher nach den ersten römischen Siegen von Makedonien abgerissenen Besitzungen in Epeiros, die Ionischen Inseln und die Häfen Apollonia und Epidamnos, welche bisher zu dem italischen Beamtensprengel gehört hatten, wurden jetzt wieder mit Makedonien vereinigt, so daß dasselbe, wahrscheinlich schon um diese Zeit, im Nordosten bis jenseits Skodra reichte, wo Illyricum begann. Ebenso fiel die Schutzherrlichkeit, die Rom über das eigentliche Griechenland in Anspruch nahm, von selbst dem neuen Statthalter von Makedonien zu. So erhielt Makedonien die Einigkeit zurück und auch ungefähr wieder die Grenzen, wie es sie in seiner blühendsten Zeit gehabt; aber es war nicht mehr ein einiges Reich, sondern eine einige Provinz, mit kommunaler und selbst wie es scheint landschaftlicher Organisation, jedoch unter einem italischen Vogt und Schatzmeister, deren Namen auch wohl auf den Landesmünzen neben dem der Landschaft erscheinen. Als Steuer blieb die alte mäßige Abgabe, wie Paullus sie angeordnet hatte, eine Summe von 100 Talenten (155000 Talern), die in festen Beträgen auf die einzelnen Gemeinden umgelegt war. Dennoch vermochte das Land seiner alten ruhmreichen Dynastie noch nicht zu vergessen. Wenige Jahre nach der Besiegung des falschen Philippos pflanzte ein anderer angeblicher Perseussohn, Alexander, am Nestos (Karasu) die Fahne der Insurrektion auf und hatte in kurzer Zeit 1600 Mann vereinigt; allein der Quästor Lucius Tremellius ward des Aufstandes ohne Mühe Herr und verfolgte den fliehenden Prätendenten bis nach Dardanien (612 142). Dies aber ist auch die letzte Regung des stolzen makedonischen Nationalsinns, der zwei Jahrhunderte zuvor in Hellas und Asien so große Dinge vollbracht hatte; seitdem ist von den Makedoniern kaum etwas anderes zu berichten, als daß sie fortfuhren, von dem der definitiven Provinzialorganisation der Landschaft (608 146) an ihre tatenlosen Jahre zu zählen.

Fortan waren es die Römer, denen die Verteidigung der makedonischen Nord- und Ostgrenzen, das heißt der Grenze der hellenischen Zivilisation gegen die Barbaren, oblag. Sie ward von ihnen mit unzulänglichen Streitkräften und im ganzen nicht mit der gebührenden Energie geführt; doch ist zunächst für diesen militärischen Zweck die große Egnatische Chaussee angelegt worden, welche schon zu Polybios‘ Zeit von den beiden Haupthäfen an der Westküste, Apollonia und Dyrrhachion, quer durch das Binnenland nach Thessalonike, später noch weiter bis an den Hebros (Maritza) lief7. Die neue Provinz ward die natürliche Basis teils für die Züge gegen die unruhigen Dalmater, teils für die zahlreichen Expeditionen gegen die nordwärts der griechischen Halbinsel ansässigen illyrischen, keltischen und thrakischen Stämme, die später in ihrem geschichtlichen Zusammenhang darzustellen sein werden.

Mehr als Makedonien hatte das eigentliche Griechenland sich der Gunst der herrschenden Macht zu erfreuen; und die Philhellenen Roms mochten wohl der Ansicht sein, daß daselbst die Nachwehen des Perseischen Krieges im Verschwinden und die Verhältnisse überhaupt auf dem Wege zum Besseren seien. Die verbissensten Aufhetzer der jetzt herrschenden Partei, Lykiskos der Ätoler, Mnasippos der Böoter, Chrematas der Akarnane, der schandbare Epeirote Charops, dem selbst ehrenhafte Römer ihr Haus verboten, stiegen einer nach dem andern ins Grab; ein anderes Geschlecht wuchs heran, in dem die alten Erinnerungen und die alten Gegensätze verblaßt waren. Der römische Senat meinte die Zeit des allgemeinen Vergebens und Vergessens gekommen und entließ im Jahre 604 (150) die noch übrigen der seit siebzehn Jahren in Italien konfinierten achäischen Patrioten, deren Freigebung die achäische Tagsatzung nicht aufgehört hatte zu fordern. Dennoch irrte man sich. Wie wenig es den Römern mit all ihrem Philhellenentum gelungen war, den hellenischen Patriotismus innerlich zu versöhnen, offenbarte sich in nichts so deutlich wie in der Stellung der Griechen zu den Attaliden. König Eumenes II. war als Römerfreund in Griechenland im höchsten Grade verhaßt gewesen; kaum aber war zwischen ihm und den Römern eine Verstimmung eingetreten, als er in Griechenland plötzlich populär ward; wie früher von Makedonien erwartete der hellenische Euelpides den Erlöser aus der Fremdherrschaft jetzt von Pergamon. Vor allen Dingen aber stieg in der sich selbst überlassenen hellenischen Kleinstaaterei zusehends die soziale Zerrüttung. Das Land verödete, nicht durch Krieg und Pest, sondern durch die immer weiter um sich greifende Abneigung der höheren Stände, mit Frau und Kindern sich zu plagen; dafür strömte wie bisher das verbrecherische oder leichtsinnige Gesindel vorwiegend nach Griechenland, um daselbst den Werbeoffizier zu erwarten. Die Gemeinden versanken in immer tiefere Verschuldung und in ökonomische Ehr- und die daranhängende Kreditlosigkeit; einzelne Städte, namentlich Athen und Theben, griffen in ihrer Finanznot geradezu zum Räuberhandwerk und plünderten die Nachbargemeinden aus. Auch der innere Hader in den Bünden, zum Beispiel zwischen den freiwilligen und den gezwungenen Mitgliedern der Achäischen Eidgenossenschaft, war keineswegs beigelegt. Wenn die Römer, wie es scheint, glaubten, was sie wünschten, und der augenblicklich herrschenden Ruhe vertrauten, so sollten sie bald erfahren, daß die jüngere Generation in Hellas um nichts besser und um nichts klüger als die ältere war. Die Gelegenheit, um mit den Römern Händel anzufangen, brach man geradezu vom Zaune.

Um einen schmutzigen Handel zu bedecken, warf um das Jahr 605 (149) der zeitige Vorstand der Achäischen Eidgenossenschaft, Diäos, auf der Tagsatzung die Behauptung hin, daß die den Lakedaemoniern als Glied der Achäischen Eidgenossenschaft von dieser zugestandenen Sonderrechte, die Befreiung von der achäischen Kriminaljurisdiktion und das Recht, Sondergesandtschaften nach Rom zu schicken, ihnen keineswegs von den Römern gewährleistet seien. Es war eine freche Lüge; allein die Tagsatzung glaubte natürlich, was sie wünschte, und da sich die Achäer bereit zeigten, ihre Behauptungen mit den Waffen in der Hand wahrzumachen, gaben die schwächeren Spartaner vorläufig nach, oder vielmehr diejenigen, deren Auslieferung von den Achäern begehrt ward, verließen die Stadt, um als Kläger vor dem römischen Senat aufzutreten. Der Senat antwortete wie gewöhnlich, daß er eine Kommission zur Untersuchung der Sache senden werde; allein statt dieses Bescheides berichteten die Boten, in Achaia wie in Sparta und beide falsch, daß der Senat zu ihren Gunsten entschieden habe. Die Achäer, die wegen der soeben in Thessalien geleisteten Bundeshilfe gegen den falschen Philippos sich mehr als je in bundesgenössischer Gleichheit und politischer Gewichtigkeit fühlten, rückten im Jahre 606 (148) unter ihrem Strategen Damokritos in Lakonike ein; vergeblich mahnte, von Metellus aufgefordert, eine nach Asien durchpassierende römische Gesandtschaft, Frieden zu halten und die Kommissarien des Senats zu erwarten. Eine Schlacht ward geliefert, in der bei 1000 Spartaner fielen, und Sparta hätte genommen werden können, wenn Damokritos nicht als Offizier ebenso untüchtig gewesen wäre wie als Staatsmann. Er ward abgesetzt, und sein Nachfolger Diäos, der Anstifter all dieses Unfugs, setzte den Krieg eifrig fort, während er gleichzeitig den gefürchteten Kommandanten von Makedonien der vollen Botmäßigkeit der Achäischen Eidgenossenschaft versichern ließ. Darüber erschien die lange erwartete römische Kommission, an ihrer Spitze Aurelius Orestes; nun ruhten die Waffen und die achäische Tagsatzung versammelte sich in Korinth, um ihre Eröffnungen entgegenzunehmen. Sie waren unerwarteter und unerfreulicher Art. Die Römer hatten sich entschlossen, die unnatürliche und usurpierte Einreihung Spartas unter die achäischen Staaten wiederaufzuheben und überhaupt gegen die Achäer durchzugreifen. Schon einige Jahre zuvor (591 163) hatten dieselben die ätolische Stadt Pleuron aus ihrem Bund entlassen müssen; jetzt wurden sie angewiesen auf sämtliche seit dem Zweiten Makedonischen Krieg gemachte Erwerbungen, das heißt auf Korinth, Orchomenos, Argos, Sparta im Peloponnes und Herakleia am Ota, zu verzichten und ihren Bund wieder auf den Bestand am Ende des Hannibalischen Krieges zurückzuführen. Wie dies die achäischen Abgeordneten vernahmen, stürmten sie sofort auf den Markt, ohne die Römer auch nur auszuhören, und teilten die römischen Forderungen der Menge mit, worauf der regierende und der regierte Pöbel einhellig beschloß, zu allervörderst sämtliche in Korinth anwesende Lakedämonier festzusetzen, da ja Sparta dies Unglück über sie gebracht habe. Die Verhaftung erfolgte denn auch in der tumultuarischsten Weise, so daß Lakonername oder Lakonerschuhe als hinreichende Einsperrungsgründe erschienen: ja man drang sogar in die Wohnungen der römischen Gesandten, um die dorthin geflüchteten Lakedaemonier festzunehmen, und es fielen gegen die Römer harte Reden, obgleich man an ihrer Person sich nicht vergriff. Indigniert kehrten dieselben heim und führten bittere, selbst übertriebene Beschwerde im Senat; dennoch beschränkte sich dieser mit derselben Mäßigung, die all seine Maßregeln gegen die Griechen bezeichnet, zunächst auf Vorstellungen. In der mildesten Form und der Genugtuung für die erlittenen Beleidigungen kaum erwähnend, wiederholte Sextus Iulius Caesar auf der Tagsatzung in Aegion (Frühling 607 147) die Befehle der Römer. Aber die Leiter der Dinge in Achaia, an ihrer Spitze der neue Strateg Kritolaos (Strateg Mai 607 bis Mai 608 147/46), zogen als staatskluge und in der höheren Politik wohlbewanderte Leute daraus bloß den Schluß, daß die römischen Angelegenheiten gegen Karthago und Viriathus sehr schlecht stehen müßten, und fuhren fort, die Römer zugleich zu prellen und zu beleidigen. Caesar ward ersucht, zur Ausgleichung der Sache eine Zusammenkunft von Abgeordneten der streitenden Teile in Tegea zu veranstalten; es geschah, allein nachdem Caesar und die lakedämonischen Gesandten daselbst lange vergeblich auf die Achäer gewartet hatten, erschien endlich Kritolaos allein und zeigte an, daß lediglich die allgemeine Volksversammlung der Achäer in dieser Sache kompetent sei und dieselbe erst auf der Tagsatzung, das heißt in sechs Monaten, erledigt werden könne. Caesar ging darauf nach Rom zurück; die nächste Volksversammlung der Achäer aber erklärte auf Kritolaos‘ Antrag förmlich den Krieg gegen Sparta. Auch jetzt noch machte Metellus einen Versuch, den Zwist in Güte beizulegen, und schickte Gesandte nach Korinth; allein die lärmende Ekklesia, größtenteils bestehend aus dem Pöbel der reichen Handels- und Fabrikstadt, übertobte die Stimme der römischen Gesandten und zwang sie, die Rednerbühne zu verlassen. Kritolaos‘ Erklärung, daß man die Römer wohl zu Freunden, aber nicht zu Herren wünsche, ward mit unsäglichem Jubel aufgenommen, und als die Mitglieder der Tagsatzung sich ins Mittel legen wollten, schützte der Pöbel den Mann seines Herzens und beklatschte die Stichwörter von dem Landesverrat der Reichen und der notwendigen Militärdiktatur sowie die geheimnisvollen Winke über die nahe bevorstehende Schilderhebung unzähliger Völker und Könige gegen Rom. Von welchem Geist die Bewegung beseelt war, zeigten die beiden Beschlüsse, daß bis zum hergestellten Frieden alle Klubs permanent sein und alle Schuldklagen ruhen sollten. Man hatte also Krieg, ja sogar auch wirkliche Bundesgenossen: die Thebaner und Böoter nämlich und ferner die Chalkidenser. Schon zu Anfang des Jahres 608 (146) rückten die Achäer in Thessalien ein, um Herakleia am Öta, das in Gemäßheit des Senatsbeschlusses sich von der Achäischen Eidgenossenschaft losgesagt hatte, wieder zum Gehorsam zu bringen. Der Konsul Lucius Mummius, den der Senat nach Griechenland zu senden beschlossen hatte, war noch nicht eingetroffen; demnach übernahm es Metellus mit den makedonischen Legionen, Herakleia zu schützen. Als dem achäisch-thebanischen Heer das Anrücken der Römer gemeldet ward, war von Schlagen nicht mehr die Rede; man ratschlagte einzig, wie es wohl gelingen möchte, den sicheren Peloponnes wieder zu erreichen; eiligst machte die Armee sich davon und versuchte nicht einmal, die Stellung bei den Thermopylen zu halten. Metellus indes beschleunigte die Verfolgung und erreichte und schlug das griechische Heer bei Skarpheia in Lokris. Der Verlust an Gefangenen und Toten war beträchtlich; von Kritolaos ward nach der Schlacht nie wieder eine Kunde vernommen. Die Trümmer der geschlagenen Armee irrten in einzelnen Trupps in den hellenischen Landschaften umher und baten überall umsonst um Aufnahme; die Abteilung von Paträ ward in Phokis, das arkadische Elitenkorps bei Chäroneia aufgerieben; ganz Nordgriechenland wurde geräumt, und von dem Achäerheer und der in Masse flüchtenden Bürgerschaft von Theben gelangte nur ein geringer Teil in den Peloponnes. Metellus suchte durch die möglichste Milde die Griechen zum Aufgeben des sinnlosen Widerstandes zu bestimmen und befahl zum Beispiel, alle Thebaner mit Ausnahme eines einzigen laufen zu lassen; seine wohlgemeinten Versuche scheiterten nicht an der Energie des Volkes, sondern an der Desperation der um ihren eigenen Kopf besorgten Führer. Diäos, der nach Kritolaos‘ Fall wieder den Oberbefehl übernommen hatte, berief alle Waffenfähigen auf den Isthmos und befahl, 12000 in Griechenland geborene Sklaven in das Heer einzustellen; die Reichen wurden zu Vorschüssen angehalten und unter den Friedensfreunden, soweit sie nicht durch Bestechung der Schreckensherren ihr Leben erkauften, durch Blutgerichte aufgeräumt. Der Kampf ging also fort und in dem gleichen Stile. Die achäische Vorhut, die 4000 Mann stark unter Alkamenes bei Megara stand, verlief sich, sowie sie die römischen Feldzeichen gewahrte. Die Hauptmacht auf dem Isthmos wollte Metellus eben angreifen lassen, als der Konsul Lucius Mummius mit wenigen Begleitern im römischen Hauptquartier eintraf und das Kommando übernahm. Inzwischen boten die Achäer, ermutigt durch einen gelungenen Angriff auf die allzu unvorsichtigen römischen Vorposten, der römischen um das Doppelte überlegenen Armee bei Leukopetra auf dem Isthmos die Schlacht an. Die Römer zögerten nicht sie anzunehmen. Gleich zu Anfang rissen die achäischen Reiter in Masse aus vor der sechsfach stärkeren römischen Reiterei; die Hopliten standen dem Feinde, bis ein Flankenangriff des römischen Elitenkorps auch in ihre Reihen Verwirrung brachte. Damit war der Widerstand zu Ende. Diäos floh in seine Heimat, tötete sein Weib und nahm selber Gift; die Städte unterwarfen sich sämtlich ohne Gegenwehr, und sogar das unbezwingliche Korinth, in das einzurücken Mummius drei Tage zauderte, weil er einen Hinterhalt besorgte, ward ohne Schwertstreich von den Römern besetzt.

Die neue Regelung der griechischen Verhältnisse ward in Gemeinschaft mit einer Kommission von zehn Senatoren dem Konsul Mummius übertragen, der sich in dem eroberten Lande im ganzen ein gesegnetes Andenken erwarb. Zwar war es, gelind gesagt, eine Torheit, daß er seiner Kriegs- und Siegestaten wegen den Namen des „Achaikers“ annahm und dem Hercules Sieger dankerfüllt einen Tempel erbaute; allein als Verwalter erwies er, der nicht in aristokratischem Luxus und aristokratischer Korruption aufgewachsen, sondern ein „neuer Mann“ und verhältnismäßig unbemittelt war, sich gerecht und mild. Es ist eine rednerische Übertreibung, daß von den Achäern bloß Diäos, von den Böotern bloß Pytheas umgekommen seien; in Chalkis namentlich fielen arge Greuel vor; im ganzen ward aber doch in den Strafgerichten Maß gehalten. Den Antrag, die Statuen des Begründers der achäischen Patriotenpartei, des Philopömen, umzustürzen, wies Mummius zurück; die den Gemeinden auferlegten Geldbußen wurden nicht für die römische Kasse, sondern für die geschädigten griechischen Städte bestimmt, größtenteils auch später erlassen und das Vermögen derjenigen Hochverräter, die Eltern oder Kinder hatten, nicht von Staats wegen verkauft, sondern diesen überwiesen. Nur die Kunstschätze wurden aus Korinth, Thespiä und anderen Städten weggeführt und teils in der Hauptstadt, teils in den Landstädten Italiens aufgestellt8, einzelne Stücke auch den isthmischen, delphischen und olympischen Tempeln verehrt. Auch in der definitiven Organisation der Landschaft im allgemeinen waltete die Milde. Zwar wurden, wie es die Provinzialverfassung mit sich brachte, die Sondereidgenossenschaften, vor allem die achäische, als solche aufgelöst, die Gemeinden isoliert und durch die Bestimmung, daß niemand in zweien derselben zugleich Grundbesitz erwerben dürfe, der Zwischenverkehr gehemmt. Ferner wurden, wie es schon Flamininus versucht hatte, die demokratischen Stadtverfassungen durchaus beseitigt und in jeder Gemeinde einem aus den Vermögenden gebildeten Rat das Regiment in die Hand gegeben. Auch wurde jeder Gemeinde eine feste, nach Rom zu entrichtende Abgabe auferlegt und sie sämtlich dem Statthalter von Makedonien in der Art untergeordnet, daß diesem als oberstem Militärchef auch in Verwaltung und Gerichtsbarkeit eine Oberleitung zustand und er zum Beispiel wichtigere Kriminalprozesse zur Entscheidung an sich ziehen konnte. Dennoch blieb den griechischen Gemeinden die „Freiheit“, das heißt eine, freilich durch die römische Hegemonie zum Namen zusammengeschwundene, formelle Souveränität, welche das Eigentum an Grund und Boden und das Recht eigener Verwaltung und Gerichtsbarkeit in sich schloß9

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Strengere Behandlung aber traf die Gemeinden, Theben, Chalkis und Korinth. Es läßt sich nichts dawider erinnern, daß die ersten beiden entwaffnet und durch Niederreißung ihrer Mauern in offene Flecken umgewandelt wurden; dagegen bleibt die durchaus unmotivierte Zerstörung der ersten Handelsstadt Griechenlands, des blühenden Korinth, ein düsterer Schandfleck in den Jahrbüchern Roms. Auf ausdrücklichen Befehl des Senats wurden die korinthischen Bürger aufgegriffen, und was dabei nicht umkam, in die Sklaverei verkauft, die Stadt selbst nicht etwa bloß ihrer Mauern und ihrer Burg beraubt, was, wenn man einmal dieselbe nicht dauernd besetzen wollte, allerdings nicht zu vermeiden war, sondern dem Boden gleichgemacht und in den üblichen Bannformen jeder Wiederanbau der öden Stätte untersagt, das Gebiet derselben zum Teil an Sikyon gegeben unter der Auflage, anstatt Korinths die Kosten des isthmischen Nationalfestes zu bestreiten, größtenteils aber zu römischem Gemeinland erklärt. Also erlosch der „Augapfel von Hellas“, der letzte köstliche Schmuck des einst so städtereichen griechischen Landes. Fassen wir aber die ganze Katastrophe noch einmal ins Auge, so muß die unparteiische Geschichte es anerkennen, was die Griechen dieser Zeit selbst unumwunden eingestanden, daß an dem Kriege selbst nicht die Römer die Schuld trugen, sondern daß die unkluge Treubrüchigkeit und die schwächliche Tollkühnheit der Griechen die römische Intervention erzwangen. Die Beseitigung der Scheinsouveränität der Bünde und alles damit verknüpften unklaren und verderblichen Schwindels war ein Glück für das Land und das Regiment des römischen Oberfeldherrn von Makedonien, wieviel es auch zu wünschen übrig ließ, immer noch bei weitem besser als die bisherige Wirr- und Mißregierung der griechischen Eidgenossenschaften und der römischen Kommissionen. Der Peloponnes hörte auf, die große Söldnerherberge zu sein; es ist bezeugt und begreiflich, daß überhaupt mit dem unmittelbaren römischen Regiment Sicherheit und. Wohlstand einigermaßen zurückkehrten. Das Themistokleische Epigramm, daß der Ruin den Ruin abgewandt habe, wurde von den damaligen Hellenen nicht ganz mit Unrecht angewandt auf den Untergang der griechischen Selbständigkeit. Die ungemeine Nachsicht, welche Rom auch jetzt noch gegen die Griechen bewies, tritt erst recht in das Licht, wenn man sie mit dem gleichzeitigen Verfahren derselben Behörden gegen die Spanier und die Phöniker zusammenhält; Barbaren grausam zu behandeln schien nicht unerlaubt, aber wie später Kaiser Traianus hielten es auch die Römer dieser Zeit „für hart und barbarisch, Athen und Sparta den noch übrigen Schatten von Freiheit zu entreißen“. Um so schärfer kontrastiert mit dieser allgemeinen Milde die empörende, selbst von den Schutzrednern der karthagischen und der numantinischen Katastrophe gemißbilligte Behandlung von Korinth, welche durch die auf den Gassen von Korinth gegen die römischen Abgeordneten ausgestoßenen Schmähreden auch nach römischem Völkerrecht nichts weniger als gerechtfertigt ward. Und doch ging sie keineswegs hervor aus der Brutalität eines einzelnen Mannes, am wenigsten des Mummius, sondern war eine vom römischen Rat erwogene und beschlossene Maßregel. Man wird nicht irren, wenn man darin das Werk der Kaufmannspartei erkennt, die in dieser Epoche schon neben der eigentlichen Aristokratie anfängt, in die Politik einzugreifen, und die in Korinth einen Handelsnebenbuhler beseitigt hat. Wenn die römischen Großhändler bei der Regulierung Griechenlands mit zureden gehabt haben, so begreift man, weshalb das Strafgericht eben gegen Korinth gerichtet ward und weshalb man nicht bloß die Stadt vernichtete, wie sie war, sondern auch die Ansiedlung an dieser für den Handel so überaus günstigen Stätte für die Zukunft verbot. Für die auch in Hellas sehr zahlreichen römischen Kaufleute ward der Mittelpunkt fortan das peloponnesische Argos; wichtiger aber für den römischen Großhandel ward Delos, das, schon seit 586 (168) römischer Freihafen, einen guten Teil der Geschäfte von Rhodos an sich gezogen hatte und nun in ähnlicher Weise in die korinthischen eintrat. Diese Insel blieb für längere Zeit der Hauptstapelplatz der vom Osten nach dem Westen gehenden Waren11.

Unvollständiger als in der nur durch schmale Meere von Italien getrennten afrikanischen und makedonisch-hellenischen Landschaft entwickelte sich die römische Herrschaft in dem dritten entfernteren Weltteil.

In Vorderasien war durch die Zurückdrängung der Seleukiden das Reich von Pergamon die erste Macht geworden. Nicht geirrt durch die Traditionen der Alexandermonarchien, einsichtig und kühl genug, um auf das Unmögliche zu verzichten, verhielten die Attaliden sich ruhig und strebten nicht, ihre Grenzen zu erweitern noch der römischen Hegemonie sich zu entziehen, sondern den Wohlstand ihres Reiches, soweit die Römer es erlaubten, zu fördern und die Künste des Friedens zu pflegen. Doch entgingen sie darum der Eifersucht und dem Argwohn Roms nicht. Im Besitz der europäischen Küste der Propontis, der Westküste Kleinasiens und des kleinasiatischen Binnenlandes bis zur kappadokischen und kilikischen Grenze, in enger Verbindung mit den syrischen Königen, von denen Antiochos Epiphanes († 590 164) durch die Hilfe der Attaliden auf den Thron gelangt war, hatte König Eumenes II. durch seine bei dem immer tieferen Sinken Makedoniens und Syriens nur noch ansehnlicher erscheinende Macht selbst den Begründern derselben Bedenken eingeflößt; es ist schon erzählt worden, wie der Senat darauf bedacht war, nach dem Dritten Makedonischen Krieg diesen Bundesgenossen durch unfeine diplomatische Künste zu demütigen und zu schwächen. Die an sich schon schwierigen Verhältnisse der Herren von Pergamon zu den ganz und halb freien Handelsstädten innerhalb ihres Reichs und zu den barbarischen Nachbarn an dessen Grenzen wurden durch diese Verstimmung der Schutzherren noch peinlicher verwickelt. Da es nicht klar war, ob nach dem Friedensvertrag von 565 (189) die Taurushöhen in der pamphylischen und pisidischen Landschaft zum Syrischen oder zum Pergamenischen Reich gehörten, leisteten die tapferen Selger, es scheint unter nomineller Anerkennung der syrischen Oberhoheit, den Königen Eumenes Il. und Attalos II. langjährigen und energischen Widerstand in den schwer zugänglichen Gebirgen Pisidiens. Auch die asiatischen Kelten, welche eine Zeitlang unter Zulassung der Römer unter pergamenischer Botmäßigkeit gestanden hatten, fielen von Eumenes ab und begannen im Einverständnis mit dem Erbfeind der Attaliden, dem König Prusias von Bithynien, um 587 (167) plötzlich gegen ihn Krieg. Der König hatte keine Zeit gehabt, Mietstruppen zu dingen; all seine Einsicht und Tapferkeit konnte nicht verhindern, daß sie die asiatische Miliz schlugen und das Gebiet überschwemmten; wir kennen bereits die eigentümliche Vermittlung, zu der die Römer auf Eumenes‘ Bitte sich herbeiließen. Sowie er indes Zeit gefunden hatte, mit Hilfe seiner wohlgefüllten Kasse eine kampffähige Armee aufzustellen, trieb er auch die wilden Scharen schnell zurück über die Grenze seines Reiches; und obwohl Galatien ihm verloren blieb und seine hartnäckig fortgesetzten Versuche, dort die Hände im Spiel zu behalten, durch römischen Einfluß vereitelt wurden12, hinterließ er dennoch trotz aller offenen Angriffe und geheimen Machinationen, die seine Nachbarn und die Römer gegen ihn gerichtet hatten, bei seinem Tode (um 595 159) das Reich in ungeschmälertem Bestand. Sein Bruder Attalos II. Philadelphos († 616 138) wies den Versuch des Königs Pharnakes von Pontos, sich der Vormundschaft über Eumenes‘ unmündigen Sohn zu bemächtigen, mit römischer Hilfe zurück und regierte anstatt seines Neffen wie Antigonos Doson als Vormund auf Lebenszeit. Gewandt, tüchtig, fügsam, ein echter Attalide, verstand er es, den argwöhnischen Senat von der Nichtigkeit der früher gehegten Besorgnisse zu überzeugen. Die antirömische Partei beschuldigte ihn, daß er sich dazu hergebe, das Land für die Römer zu hüten und jede Beleidigung und Erpressung von ihnen sich gefallen lasse; indes konnte er, des römischen Schutzes sicher, in die syrischen, kappadokischen und bithynischen Thronstreitigkeiten entscheidend eingreifen. Auch aus dem gefährlichen bithynischen Krieg, den König Prusias II., der Jäger genannt (572 ? – 605 182-149), ein Regent, der alle barbarischen und alle zivilisierten Laster in sich vereinigte, gegen ihn begann, rettete ihn die römische Intervention – freilich erst, nachdem er selbst in seiner Hauptstadt belagert und eine erste Mahnung der Römer von Prusias unbefolgt gelassen, ja verhöhnt worden war (598-600 156-154). Allein mit der Thronbezeigung seines Mündels Attalos III. Philometor (616-621 133-133) trat an die Stelle des friedlichen und mäßigen Bürgerkönigtums ein asiatisches Sultanregiment, unter dem es zum Beispiel vorkam, daß der König, um des unbequemen Rats seiner väterlichen Freunde sich zu entledigen, sie im Palast versammeln und erst sie, sodann ihre Frauen und Kinder von seinen Lanzknechten niedermachen ließ; nebenher schrieb er Bücher über den Gartenbau, zog Giftkräuter und bossierte in Wachs, bis ein plötzlicher Tod ihn abrief. Mit ihm erlosch das Geschlecht der Attaliden. In solchem Fall konnte nach dem wenigstens für die Klientelstaaten Roms gültigen Staatsrecht der letzte Regent testamentarisch über die Sukzession verfügen. Ob der Gedanke, das Reich den Römern zu vermachen, dem letzten Attaliden durch den wahnwitzigen Groll gegen seine Untertanen eingegeben worden war, der ihn bei Lebzeiten gepeinigt hatte, oder ob hierin bloß eine weitere Anerkennung der tatsächlichen Oberlehnsgewalt Roms lag, ist nicht zu entscheiden. Das Testament lag vor13; die Römer traten die Erbschaft an und die Frage über das Land und den Schatz der Attaliden fiel in Rom als neuer Erisapfel unter die hadernden politischen Parteien. Aber auch in Asien entzündete dies Königstestament den Bürgerkrieg. Im Vertrauen auf die Abneigung der Asiaten gegen die bevorstehende Fremdherrschaft trat ein natürlicher Sohn Eumenes‘ II., Aristonikos in Leukä, einer kleinen Hafenstadt zwischen Smyrna und Phokäa, als Kronprätendent auf. Phokäa und andere Städte fielen ihm zu; indes von den Ephesiern, die in dem festen Anschluß an Rom die einzige Möglichkeit erkannten, ihre Privilegien sich zu erhalten, zur See auf der Höhe von Kyme geschlagen, mußte er in das Binnenland flüchten. Schon glaubte man ihn verschollen; da erschien er plötzlich wieder an der Spitze der neuen „Bürger der Sonnenstadt“14, das heißt der von ihm in Masse zur Freiheit gerufenen Sklaven, bemächtigte, sich der lydischen Städte Thyateira und Apollonis sowie eines Teils der attalischen Ortschaften und rief Scharen thrakischer Lanzknechte unter seine Fahnen. Der Kampf ward ernsthaft. Römische Truppen standen in Asien nicht; die asiatischen Freistädte und die Kontingente der Klientelfürsten von Bithynien, Paphlagonien, Kappadokien, Pontos, Armenien konnten des Prätendenten sich nicht erwehren; er drang mit gewaffneter Hand in Kolophon, Samos, Myndos ein und gebot schon fast über das gesamte väterliche Reich, als am Ende des Jahres 623 (131) ein römisches Heer in Asien landete. Dessen Feldherr, der Konsul und Oberpontifex Publius Licinius Crassus Mucianus, einer der reichsten und zugleich einer der gebildetsten Männer Roms und als Redner wie als Rechtskenner gleich ausgezeichnet, schickte sich an, den Prätendenten in Leukä zu belagern, ließ aber während der Vorbereitungen dazu von dem allzu gering geschätzten Gegner sich überraschen und schlagen und ward selbst von einem thrakischen Haufen gefangen. Den Triumph aber, den Oberfeldherrn Roms als Gefangenen zur Schau zu stellen, gönnte er einem solchen Feinde nicht; er reizte die Barbaren, die ihn ergriffen hatten, ohne ihn zu kennen, ihm den Tod zu geben (Anfang 624 130), und erst als Leiche ward der Konsular erkannt. Mit ihm, wie es scheint, fiel König Ariarathes von Kappadokien. Indes ward Aristonikos nicht lange nach diesem Siege von Crassus‘ Nachfolger Marcus Perpenna überfallen, sein Heer zersprengt, er selbst in Stratonikeia belagert und gefangen und bald darauf in Rom hingerichtet. Die Unterwerfung der letzten, noch Widerstand leistenden Städte und die definitive Regulierung der Landschaft übernahm nach Perpennas plötzlichem Tode Manius Aquillius (625 129). Man verfuhr ähnlich wie im karthagischen Gebiet. Der östliche Teil des Attalidenreichs ward den Klientelkönigen überwiesen, um die Römer von dem Grenzschutz und damit von der Notwendigkeit einer stehenden Besatzung in Asien zu befreien; Telmissos kam an die lykische Eidgenossenschaft; die europäischen Besitzungen in Thrakien wurden zu der Provinz Makedonien geschlagen; das übrige Gebiet ward als neue römische Provinz eingerichtet, der gleich der karthagischen nicht ohne Absicht der Name des Weltteils beigelegt ward, in, dem sie lag. Die Steuern, die nach Pergamon gezahlt worden waren, wurden dem Lande erlassen und dasselbe mit gleicher Milde behandelt wie Hellas und Makedonien. So ward der ansehnlichste kleinasiatische Staat eine römische Vogtei.

Die zahlreichen andern Kleinstaaten und Städte Vorderasiens, das Königreich Bithynien, die paphlagonischen und gallischen Fürstentümer, die lykische und die pamphylische Eidgenossenschaft, die Freistädte Kyzikos und Rhodos blieben in ihren bisherigen beschränkten Verhältnissen bestehen.

Jenseits des Halys befolgte Kappadokien, nachdem König Ariarathes V. Philopator (591 – 624 136 – 130), hauptsächlich durch Hilfe der Attaliden, sich gegen seinen von Syrien unterstützten Bruder und Nebenbuhler Holophernes behauptet hatte, wesentlich die pergamenische Politik, sowohl in der unbedingten Hingebung an Rom als in der Richtung auf hellenische Bildung. Durch ihn drang diese ein in das bis dahin fast barbarische Kappadokien und freilich auch sogleich ihre Auswüchse, wie der Bakchosdienst und das wüste Treiben der wandernden Schauspielertruppen, der sogenannten „Künstler“. Zum Lohn der Treue gegen Rom, die dieser Fürst in dem Kampfe gegen den pergamenischen Prätendenten mit seinem Leben bezahlt hatte, ward sein unmündiger Erbe Ariarathes VI. nicht nur gegen die von dem König von Pontos versuchte Usurpation durch die Römer geschirmt, sondern ihm auch der südöstliche Teil des Attalidenreiches gegeben, Lykaorien nebst der östlich daran grenzenden, .in älterer Zeit zu Kilikien gerechneten Landschaft.

Endlich im fernen Nordosten Kleinasiens gelangte „Kappadokien am Meer“ oder kurzweg der „Meerstaat“, Pontos, zu steigender Ausdehnung und Bedeutung. Nicht lange nach der Schlacht von Magnesia hatte König Pharnakes I. sein Gebiet weit über den Halys bis nach Tios an, der bithynischen Grenze ausgedehnt und namentlich des reichen Sinope sich bemächtigt, das aus einer griechischen Freistadt dieser Könige Residenz ward. Zwar hatten die durch diese Übergriffe gefährdeten Nachbarstaaten, König Eumenes II. an ihrer Spitze, deswegen Krieg gegen ihn geführt (571-575 183-179) und unter römischer Vermittlung das Versprechen von ihm erzwungen, Galatien und Paphlagonien zu räumen; allein der Verlauf der Ereignisse zeigt, daß Pharnakes sowie sein Nachfolger Mithradates V. Euergetes (598 ? – 634 156 – 120), treue Bundesgenossen Roms im Dritten Punischen Krieg sowie in dem gegen Aristonikos, nicht bloß jenseits des Halys sitzen geblieben sind, sondern auch der Sache nach die Schutzherrlichkeit über die paphlagonischen und galatischen Dynasten behalten haben. Nur unter dieser Voraussetzung ist es erklärlich, wie Mithradates, angeblich wegen seiner tapferen Taten im Kriege gegen Aristonikos, in der Tat für beträchtliche an den römischen Feldherrn gezahlte Summen, von demselben nach Auflösung des Attalischen Reiches Großphrygien empfangen konnte. Wie weit andererseits gegen den Kaukasus und die Euphratquellen das :Pontische Reich sich um diese Zeit erstreckte, ist nicht genau zu bestimmen; doch scheint es den westlichen Teil von Armenien um Enderes und Diwirigi oder das sogenannte Klein-Armenien als abhängige Satrapie umfaßt zu haben, während Groß –Armenien und Sophene eigene unabhängige Reiche bildeten.

Wenn also auf der kleinasiatischen Halbinsel wesentlich Rom das Regiment führte und, so vieles auch ohne und gegen seinen Willen geschah, doch den Besitzstand im ganzen bestimmt, so blieben dagegen die weiten Strecken jenseits des Taurus und des oberen Euphrat bis hinab zum Niltal in der Hauptsache sich selber überlassen. Zwar der der Regulierung des Ostens von 565 (189) zugrunde gelegte Satz, daß der Halys die Ostgrenze der römischen Klientel bilden solle, ward vom Senat nicht eingehalten und trug auch die Unhaltbarkeit in sich selber. Der politische Horizont ist Selbsttäuschung so gut wie der physische; wenn dem Staate Syrien die Zahl der ihm gestatteten Kriegsschiffe und Kriegselefanten im Friedensvertrag selbst normiert ward, wenn das syrische Heer auf Befehl des römischen Senats das halb gewonnene Ägypten räumte, so lag da in die vollständige Anerkennung der Hegemonie und der Klientel. Darum gingen denn auch die Thronstreitigkeiten in Syrien wie in Ägypten zur Beilegung an die römische Regierung. Dort stritten nach Antiochos Epiphanes‘ Tode (590 164) der als Geisel in Rom lebende Sohn Seleukos des vierten, Demetrios, später Soter genannt, und des letzten Königs Antiochos Epiphanes unmündiger Sohn Antiochos Eupator um die Krone; hier war von den beiden seit 584 (170) gemeinschaftlich regierenden Brüdern der ältere Ptolemaeos Philometor (573-608 146-131) durch den jüngeren Ptolemaeos Euergetes II. oder den Dicken († 637 117) aus dem Lande getrieben worden (590 164) und, um seine Herstellung zu erwirken, persönlich in Rom erschienen. Beide Angelegenheiten ordnete der Senat lediglich auf diplomatischem Wege und wesentlich nach Maßgabe des römischen Vorteils. In Syrien ward Antiochos Eupator mit Beseitigung des besser berechtigten Demetrios als König anerkannt und mit der Führung der Vormundschaft über den königlichen Knaben der römische Senator Gnaeus Octavius vom Senat beauftragt, welcher, wie begreiflich, durchaus im römischen Interesse regierte, die Kriegsflotte und das Elefantenheer dem Friedensvertrag von 565 (189) gemäß reduzierte und im besten Zuge war, den militärischen Ruin des Landes zu vollenden. In Ägypten ward nicht bloß Philometors Herstellung bewirkt, sondern auch, teils um dem Bruderzwist ein Ziel zu setzen, teils um die noch immer ansehnliche Macht Ägyptens zu schwächen, Kyrene vom Reich getrennt und Euergetes mit demselben abgefunden. „Könige sind, wen die Römer wollen“, schrieb nicht lange nachher ein jüdischer Mann, „und wen sie nicht wollen, den verjagen sie von Land und Leuten“. Allein dies war für lange Zeit das letzte Mal, daß der römische Senat in den Angelegenheiten des Ostens mit derjenigen Tüchtigkeit und Tatkraft auftrat, welche er in den Verwicklungen mit Philippos, Antiochos und Perseus durchgängig bewährt hatte. Der innerliche Verfall des Regiments wirkte am spätesten, aber wirkte doch endlich auch zurück auf die Behandlung der auswärtigen Angelegenheiten. Das Regiment ward unstet und unsicher; man ließ die eben erfaßten Zügel erschlaffen und beinahe wieder fahren. Der vormundschaftliche Regent von Syrien ward in Laodikeia ermordet; der zurückgewiesene Prätendent Demetrios entfloh aus Rom und bemächtigte sich unter dem dreisten Vorgeben, daß der römische Senat ihn dazu bevollmächtigt habe, nach Beseitigung des königlichen Knaben der Regierung seines väterlichen Reiches (592 162). Bald nachher brach zwischen den Königen von Ägypten und Kyrene Krieg aus über den Besitz der Insel Kypros, welche der Senat zuerst dem älteren, sodann dem jüngeren zugeschieden hatte, und im Widerspruch mit der neuesten römischen Entscheidung blieb dieselbe schließlich bei Ägypten. So wurde die römische Regierung, in der Fülle ihrer Macht und während des tiefsten inneren und äußeren Friedens daheim, von den ohnmächtigen Königen des Ostens mit ihren Dekreten verhöhnt, ihr Name gemißbraucht, ihr Mündel und ihr Kommissar ermordet. Als siebzig Jahre zuvor die Illyriker in ähnlicher Weise sich an römischen Abgeordneten vergriffen, hatte der damalige Senat dem Ermordeten auf dem Marktplatz ein Denkmal errichtet und mit Heer und Flotte die Mörder zur Verantwortung gezogen. Der Senat dieser Zeit ließ dem Gnaeus Octavius gleichfalls ein Denkmal setzen, wie die Sitte der Väter es vorschrieb; aber statt Truppen nach Syrien einzuschiffen, ward Demetrios als König des Landes anerkannt – man war ja jetzt so mächtig, daß es überflüssig schien, die Ehre zu wahren. Ebenso blieb nicht bloß Kypros trotz des entgegenstehenden Senatsbeschlusses bei Ägypten, sondern als nach Philometors Tode (608 146) Euergetes ihm nachfolgte und dadurch das geteilte Reich wiederum vereinigt ward, ließ der Senat auch dies ungehindert geschehen. Nach solchen Vorgängen war der römische Einfluß in diesen Landschaften tatsächlich gebrochen und entwickelten sich die Verhältnisse daselbst zunächst ohne Zutun der Römer; doch ist des weiteren Verlaufs der Dinge wegen es notwendig, auch jetzt den näheren und selbst den ferneren Osten nicht völlig aus den Augen zu verlieren.

Wenn in dem allerseits abgeschlossenen Ägypten der Status quo sich so leicht nicht verschob, so gruppierten dagegen in Asien dies- und jenseits des Euphrat während und zum Teil infolge dieser momentanen Stockung der römischen Oberleitung die Völker und Staaten sich wesentlich anders. Jenseits der großen iranischen Wüste hatten nicht lange nach Alexander dem Großen am Indus das Reich von Palimbothra unter Tschandragupta (Sandrakottos), am oberen Oxus der mächtige baktrische Staat, beide aus einer Mischung der nationalen Elemente und der östlichsten Ausläufer hellenischer Zivilisation sich gebildet. Westwärts von diesen begann das Reich Asien, das noch unter Antiochos dem Großen zwar geschmälert, aber immer noch ungeheuer vom Hellespont bis zu den medischen und persischen Landschaften sich erstreckte und das ganze Stromgebiet des Euphrat und Tigris in sich schloß. Noch jener König hatte seine Waffen bis jenseits der Wüste in das Gebiet der Parther und Baktrier getragen; erst unter ihm hatte der gewaltige Staat angefangen sich aufzulösen. Nicht bloß Vorderasien war infolge der Schlacht von Magnesia verloren worden; auch die gänzliche Lösung der beiden Kappadokien und der beiden Armenien, des eigentlichen Armenien im Nordosten und der Landschaft Sophene im Südwesten, und ihre Verwandlung in selbständige Königreiche aus syrischen Lehnsfürstentümern, gehört dieser Zeit an. Von diesen Staaten gelangte namentlich Großarmenien unter den Artaxiaden bald zu einer ansehnlichen Stellung. Vielleicht noch gefährlichere Wunden schlug dem Reiche seines Nachfolgers Antiochos Epiphanes (579-590 175-164) törichte Nivellierungspolitik. So richtig es auch war, daß sein Reich mehr einem Länderbündel als einem Staate glich und daß die Verschiedenheiten der Nationalitäten und der Religionen der Untertanen der Regierung die wesentlichsten Hindernisse bereitete, so war doch der Plan, hellenisch-römische Weise und hellenisch-römischen Kultus überall in seinem Lande einzuführen und seine Völker in politischer wie in religiöser Hinsicht auszugleichen unter allen Umständen eine Torheit, auch abgesehen davon, daß dieser karikierte Joseph II. persönlich einem solchen gigantischen Beginnen nichts weniger als gewachsen war und durch Tempelplünderung im großartigsten Maßstab und die tollste Ketzerverfolgung seine Reformen in der übelsten Weise einleitete. Die eine Folge hiervon war, daß die Bewohner der Grenzprovinz gegen Ägypten, die Juden, sonst bis zur Demütigkeit fügsame und äußerst tätige und betriebsame Leute, durch den systematischen Religionszwang zur offenen Empörung gedrängt wurden (um 587 167). Die Sache kam an den Senat, und da derselbe eben damals teils gegen Demetrios Soter mit gutem Grund erbittert war, teils eine Verbindung der Attaliden und Seleukiden besorgte, überhaupt aber die Herstellung einer Mittelmacht zwischen Syrien und Ägypten im Interesse Roms lag, so machte er keine Schwierigkeit, die Freiheit und Autonomie der insurgierten Nation sofort anzuerkennen (um 593 161). Indes geschah doch von Rom für die Juden nur, was man tun konnte, ohne sich selber zu bemühen; trotz der Klausel des zwischen den Römern und den Juden abgeschlossenen Vertrags, die den Juden, im Fall sie angegriffen würden, den Beistand Roms versprach, und trotz des an die Könige von Syrien und Ägypten gerichteten Verbots, ihre Truppen durch das jüdische Land zu führen, blieb es natürlich lediglich jenen selbst überlassen, der syrischen Könige sich zu erwehren. Mehr als die Briefe ihrer mächtigen Verbündeten tat für sie die tapfere und umsichtige Leitung des Aufstandes durch das Heldengeschlecht der Makkabäer und die innere Zerrissenheit des Syrischen Reiches: während des Haders zwischen den syrischen Königen Tryphon und Demetrios Nikator ward den Juden die Autonomie und Steuerfreiheit förmlich zugestanden (612 142) und bald darauf sogar das Haupt des Makkabäerhauses, Simon, des Mattathias Sohn, von der Nation wie von dem syrischen Großkönig als Hochpriester und Fürst Israels förmlich anerkannt15 (615 139).

Folgenreicher noch als diese Insurrektion der Israeliten war die gleichzeitig und wahrscheinlich aus gleicher Ursache entstandene Bewegung in den östlichen Landschaften, wo Antiochos Epiphanes die Tempel der persischen Götter nicht minder leerte wie den von Jerusalem und dort den Anhängern des Ahuramazda und des Mithra es nicht besser gemacht haben wird wie hier denen des Jehova. Wie in Judäa, nur in weiterem Umfang und in großartigeren Verhältnissen, war das Ergebnis eine Reaktion der einheimischen Weise und der einheimischen Religion gegen den Hellenismus und die hellenischen Götter; die Träger dieser Bewegung waren die Parther und aus ihr entsprang das große Partherreich. Die „Parthwa“ oder Parther, die als eine der zahllosen in das große Perserreich aufgegangenen Völkerschaften früh, zuerst im heutigen Khorasan südöstlich vom Kaspischen Meere begegnen, erscheinen schon seit 500 (250) unter dem skythischen, das heißt turanischen Fürstengeschlecht der Arsakiden als ein selbständiger Staat, der indes erst ein Jahrhundert später aus seiner Dunkelheit hervortrat. Der sechste Arsakes, Mithradates I. (579? – 618? 175-136), ist der eigentliche Gründer der parthischen Großmacht. Ihm erlag das an sich weit mächtigere, aber teils durch die Fehden mit den skythischen Reiterscharen von Turan und mit den Staaten am Indus, teils durch innere Wirren bereits in allen Fugen erschütterte Baktrische Reich. Fast gleiche Erfolge errang er in den Landschaften westlich von der großen Wüste. Das Syrische Reich war eben damals, teils infolge der verfehlten Hellenisierungsversuche des Antiochos Epiphanes, teils durch die nach dessen Tode eintretenden Sukzessionswirren, aufs tiefste zerrüttet und die inneren Provinzen im vollen Zuge, sich von Antiocheia und der Küstenlandschaft abzulösen; in Kommagene zum Beispiel, der nördlichsten Landschaft Syriens an der kappadokischen Grenze, machte der Satrap Ptolemaeos, auf dem entgegengesetzten Ufer des Euphrat im nördlichen Mesopotamien oder der Landschaft Osrhoene der Fürst von Edessa, in der wichtigen Provinz Medien der Satrap Timarchos sich unabhängig; ja der letztere ließ sich vom römischen Senat seine Unabhängigkeit bestätigen und herrschte, gestützt auf das verbündete Armenien, bis hinab nach Seleukeia am Tigris. Unordnungen dieser Art waren im Asiatischen Reiche in Permanenz, sowohl die Provinzen unter ihren halb oder ganz unabhängigen Satrapen in ewigem Aufstand als auch die Hauptstadt mit ihrem gleich dem römischen und dem alexandrinischen zuchtlosen und widerspenstigen Pöbel. Die gesamte Meute der Nachbarkönige, Ägypten, Armenien, Kappadokien, Pergamon, mengte unaufhörlich sich in die Angelegenheiten Syriens und nährte die Erbfolgestreitigkeiten, so daß der Bürgerkrieg und die faktische Teilung der Herrschaft unter zwei oder mehr Prätendenten fast zur stehenden Landplage ward. Die römische Schutzmacht, wenn sie die Nachbarn nicht aufstiftete, sah untätig zu. Zu allem diesem drängte von Osten her das neue Partherreich, nicht bloß mit seiner materiellen Macht, sondern auch mit dem ganzen Übergewicht seiner nationalen Sprache und Religion, seiner nationalen Heer- und Staatsverfassung auf die Fremdlinge ein. Es ist hier noch nicht der Ort dies regenerierte Kyrosreich zu schildern; es genügt im allgemeinen, daran zu erinnern, daß, so mächtig auch in ihm noch der Hellenismus auftritt, dennoch der parthische Staat, verglichen mit dem der Seleukiden, auf einer nationalen und religiösen Reaktion beruht und die alte iranische Sprache, der Magierstand und der Mithrasdienst, die orientalische Lehnsverfassung, die Reiterei der Wüste und Pfeil und Bogen hier zuerst dem Hellenismus wieder übermächtig entgegentraten. Die Lage der Reichskönige diesem allem gegenüber war in der Tat beklagenswert. Das Geschlecht der Seleukiden war keineswegs so entnervt wie zum Beispiel das der Lagiden, und einzelnen derselben mangelte es nicht an Tapferkeit und Fähigkeit; sie wiesen auch wohl den einen oder den andern jener zahllosen Rebellen, Prätendenten und Intervenienten in seine Schranken zurück; aber es fehlte ihrer Herrschaft so sehr an einer festen Grundlage, daß sie dennoch der Anarchie nicht auch nur vorübergehend zu steuern vermochten. Das Ergebnis war denn, was es sein mußte. Die östlichen Landschaften Syriens unter ihren unbeschützten oder gar aufrührerischen Satrapen gerieten unter parthische Botmäßigkeit; Persien, Babylonien, Medien wurden auf immer vom Syrischen Reiche getrennt; der neue Staat der Parther reichte zu beiden Seiten der großen Wüste vom Oxus und Hindukusch bis zum Tigris und zur Arabischen Wüste, wiederum gleich dem Perserreich und all den älteren asiatischen Großstaaten eine reine Kontinentalmonarchie und wiederum eben gleich dem Perserreich in ewiger Fehde begriffen einerseits mit den Völkern von Turan, andererseits mit den Okzidentalen. Der Syrische Staat umfaßte außer der Küstenlandschaft höchstens noch Mesopotamien und verschwand, mehr noch infolge seiner inneren Zerrüttung als seiner Verkleinerung, auf immer aus der Reihe der Großstaaten. Wenn die mehrfach drohende gänzliche Unterjochung des Landes durch die Parther unterblieb, so ist dies nicht der Gegenwehr der letzten Seleukiden, noch weniger dem Einfluß Roms zuzuschreiben, sondern vielmehr den vielfältigen inneren Unruhen im Partherreiche selbst und vor allem den Einfällen der turanischen Steppenvölker in dessen östliche Landschaften.

Diese Umwandlung der Völkerverhältnisse im inneren Asien ist der Wendepunkt in der Geschichte des Altertums. Auf die Völkerflut, die bisher von Westen nach Osten sich ergossen und in dem großen Alexander ihren letzten und höchsten Ausdruck gefunden hatte, folgt die Ebbe. Seit der Partherstaat besteht, ist nicht bloß verloren, was in Baktrien und am Indus etwa noch von hellenischen Elementen sich erhalten haben mochte, sondern auch das westliche Iran weicht wieder zurück in das seit Jahrhunderten verlassene, aber noch nicht verwischte Geleise. Der römische Senat opfert das erste wesentliche Ergebnis der Politik Alexanders und leitet damit jene rückläufige Bewegung ein, deren letzte Ausläufer im Alhambra von Granada und in der Großen Moschee von Konstantinopel endigen. Solange noch das Land von Ragä und Persepolis bis zum Mittelmeer dem König von Antiochia gehorchte, erstreckte auch Roms Macht sich bis an die Grenze der großen Wüste; der Partherstaat, nicht weil er so gar mächtig war, sondern weil er seinen Schwerpunkt fern von der Küste, im inneren Asien fand, konnte niemals eintreten in die Klientel des Mittelmeerreiches. Seit Alexander hatte die Welt den Okzidentalen allein gehört und schien der Orient für diese nur zu sein, was später Amerika und Australien für die Europäer wurden; mit Mithradates I. trat dieser wieder ein in den Kreis der politischen Bewegung. Die Welt hatte wieder zwei Herren.

Es ist noch übrig, auf die maritimen Verhältnisse dieser Zeit einen Blick zu werfen, obwohl darüber sich kaum etwas anderes sagen läßt, als daß es nirgends mehr eine Seemacht gab. Karthago war vernichtet, Syriens Kriegsflotte vertragsmäßig zugrunde gerichtet, Ägyptens einst so gewaltige Kriegsmarine unter seinen gegenwärtigen schlaffen Regenten in tiefem Verfall. Die kleineren Staaten und namentlich die Kaufstädte hatten wohl einige bewaffnete Fahrzeuge, aber sie genügten nicht einmal für die im Mittelmeere so schwierige Unterdrückung des Seeraubs. Mit Notwendigkeit fiel diese Rom zu als der führenden Macht im Mittelmeer. Wie ein Jahrhundert zuvor die Römer eben hierin mit besonderer und wohltätiger Entschiedenheit aufgetreten waren und namentlich im Osten ihre Suprematie zunächst eingeführt hatten durch die zum allgemeinen Besten energisch gehandhabte Seepolizei, ebenso bestimmt bezeichnet die vollständige Nichtigkeit derselben schon im Beginn dieser Periode den furchtbar raschen Verfall des aristokratischen Regiments. Eine eigene Flotte besaß Rom nicht mehr; man begnügte sich, wenn es nötig schien, von den italischen, den kleinasiatischen und den sonstigen Seestädten Schiffe einzufordern. Die Folge war natürlich, daß das Flibustierwesen sich organisierte und konsolidierte. Zu dessen Unterdrückung geschah nun wohl, wenn nicht genug, so doch etwas, soweit die unmittelbare Macht der Römer reichte, im Adriatischen und Tyrrhenischen Meer. Die gegen die dalmatischen und ligurischen Küsten in dieser Epoche gerichteten Expeditionen bezweckten namentlich die Unterdrückung des Seeraubs in den beiden italischen Meeren; aus gleichem Grunde wurden im Jahre 631 (123) die Balearischen Inseln besetzt. Dagegen in den mauretanischen und den griechischen Gewässern blieb es den Anwohnern und den Schiffern überlassen, mit den Korsaren auf die eine oder die andere Weise sich abzufinden, da die römische Politik daran festhielt sich um diese entfernteren Gegenden so wenig wie irgend möglich zu kümmern. Die zerrütteten und bankerotten Gemeinwesen in den also sich selbst überlassenen Küstenstaaten wurden hierdurch natürlich zu Freistätten der Korsaren; und an solchen fehlte es namentlich in Asien nicht. Am ärgsten sah es in dieser Hinsicht aus auf Kreta, das durch eine glückliche Lage und die Schwäche oder Schlaffheit der Großstaaten des Westens und Ostens allein unter allen griechischen Ansiedlungen seine Unabhängigkeit bewahrt hatte; die römischen Kommissionen kamen und gingen freilich auch auf dieser Insel, aber richteten hier noch weniger aus als selbst in Syrien und Ägypten. Fast schien es aber, als habe das Schicksal den Kretern die Freiheit nur gelassen um zu zeigen, was herauskomme bei der hellenischen Unabhängigkeit. Es war ein schreckliches Bild. Die alte dorische Strenge der Gemeindeordnungen war ähnlich wie in Tarent umgeschlagen in eine wüste Demokratie, der ritterliche Sinn der Bewohner in eine wilde Rauf- und Beutegier; ein achtbarer Hellene selbst bezeugt es, daß allein auf Kreta nichts für schimpflich gelte, was einträglich sei, und noch der Apostel Paulus führt billigend den Spruch eines kretischen Dichters an: „Lügner sind all, Faulranzen, unsaubere Tiere die Kreter.“ Die ewigen Bürgerkriege verwandelten trotz der römischen Friedensstiftungen auf der alten „Insel der hundert Städte“ eine blühende Ortschaft nach der andern in Ruinenhaufen. Ihre Bewohner durchstreiften als Räuber die Heimat und die Fremde, die Länder und die Meere; die Insel ward der Werbeplatz für die umliegenden Königreiche, seit dieser Unfug im Peloponnes nicht mehr geduldet ward, und vor allem der rechte Sitz der Piraterie, wie denn zum Beispiel um diese Zeit die Insel Siphnos durch eine kretische Korsarenflotte völlig ausgeraubt ward. Rhodos, das ohnehin von dem Verlust seiner Besitzungen auf dem Festland und den seinem Handel zugefügten Schlägen sich nicht zu erholen vermochte, vergeudete seine letzten Kräfte in den Kriegen, die es zur Unterdrückung der Piraterie gegen die Kreter zu führen sich genötigt sah (um 600 150) und in denen die Römer zwar zu vermitteln suchten, indes ohne Ernst und, wie es scheint, ohne Erfolg.

Neben Kreta fing bald auch Kilikien an, für diese Flibustierwirtschaft eine zweite Heimat zu werden; und es war nicht bloß die Ohnmacht der syrischen Herrscher, die ihr hier Vorschub tat: der Usurpator Diodotos Tryphon, der sich vom Sklaven zum König Syriens aufgeschwungen hatte (608-615 146-139), förderte, um durch Korsarenhilfe seinen Thron zu befestigen, in seinem Hauptsitz, dem Rauhen oder westlichen Kilikien, mit allen Mitteln von oben herab die Piraterie. Der ungemein gewinnbringende Verkehr mit den Piraten, die zugleich die hauptsächlichsten Sklavenfänger und Sklavenhändler waren, verschaffte ihnen bei dem kaufmännischen Publikum, sogar in Alexandreia, Rhodos und Delos eine gewisse Duldung, an der selbst die Regierungen wenigstens durch Passivität sich beteiligten. Das Übel ward so ernsthaft, daß der Senat um 611 (143) seinen besten Mann, Scipio Aemilianus, nach Alexandreia und Syrien sandte, um an Ort und Stelle zu ermitteln, was sich dabei tun lasse. Allein diplomatische Vorstellungen der Römer machten die schwachen Regierungen nicht stark; es gab keine andere Abhilfe als geradezu eine Flotte in diesen Gewässern zu unterhalten, wozu es wieder der römischen Regierung an Energie und Konsequenz gebrach. So blieb eben alles beim alten, die Piratenflotte die einzige ansehnliche Seemacht im Mittelmeere, der Menschenfang das einzige daselbst blühende Gewerbe. Die römische Regierung sah den Dingen zu, die römischen Kaufleute aber standen als die besten Kunden auf dem Sklavenmarkt mit den Piratenkapitänen als den bedeutendsten Großhändlern in diesem Artikel auf Delos und sonst in regem und freundlichem Geschäftsverkehr.

Wir haben die Umgestaltung der äußeren Verhältnisse Roms und der römisch-hellenischen Welt überhaupt in ihren Umrissen von der Schlacht bei Pydna bis auf die Gracchenzeit, vom Tajo und vom Bagradas zum Nil und zum Euphrat begleitet. Es war eine große und schwierige Aufgabe, die Rom mit dem Regimente dieser römisch-hellenischen Welt übernahm; sie ward nicht völlig verkannt, aber keineswegs gelöst. Die Unhaltbarkeit des Gedankens der catonischen Zeit, den Staat auf Italien zu beschränken und außerhalb Italiens nur durch Klientel zu herrschen, ward von den leitenden Männern der folgenden Generation wohl begriffen und wohl die Notwendigkeit eingesehen, an die Stelle dieses Klientelregiments eine die Gemeindefreiheiten wahrende, unmittelbare Herrschaft Roms zu setzen. Allein statt diese neue Ordnung fest, rasch und gleichmäßig durchzuführen, wurden einzelne Landschaften eingezogen, wo eben Gelegenheit, Eigensinn, Nebenvorteil und Zufall dazu führten, wogegen der größere Teil des Klientelgebiets entweder in der unerträglichen Halbheit seiner bisherigen Stellung verblieb oder gar, wie namentlich Syrien, sich gänzlich dem Einfluß Roms entzog. Aber auch das Regiment selbst ging mehr und mehr auf in einem schwächlichen und kurzsichtigen Egoismus. Man begnügte sich von heute auf morgen zu regieren und nur eben die laufenden Geschäfte notdürftig zu erledigen. Man war gegen die Schwachen der strenge Herr – als die Stadt Mylasa in Karien dem Publius Crassus Konsul 623 (131) zur Erbauung eines Sturmbocks einen andern Balken als den verlangten sandte, ward der Vorstand der Stadt deswegen ausgepeitscht; und Crassus war kein schlechter Mann und ein streng rechtlicher Beamter. Dagegen ward die Strenge da vermißt, wo sie an ihrem Platz gewesen wäre, wie gegen die angrenzenden Barbaren und gegen die Piraten. Indem die Zentralregierung auf jede Oberleitung und jede Übersicht der Provinzialverhältnisse Verzicht tat, gab sie dem jedesmaligen Vogt nicht bloß die Interessen der Untertanen, sondern auch die des Staates vollständig preis. Die spanischen Vorgänge, unbedeutend an sich, sind hierfür belehrend. Hier, wo die Regierung weniger als in den übrigen Provinzen sich auf die bloße Zuschauerrolle beschränken konnte, wurde nicht bloß von den römischen Statthaltern das Völkerrecht geradezu mit Füßen getreten und durch eine Wort- und Treulosigkeit sondergleichen, durch das frevelhafteste Spiel mit Kapitulationen und Verträgen, durch Niedermetzelung untertäniger Leute und Mordanstiftung gegen die feindlichen Feldherren die römische Ehre dauernd im Kote geschleift, sondern es ward auch gegen den ausgesprochenen Willen der römischen Oberbehörde Krieg geführt und Friede geschlossen und aus unbedeutenden Vorfällen; wie zum Beispiel dem Ungehorsam der Numantiner, durch eine seltene Vereinigung von Verkehrtheit und Verruchtheit eine für den Staat verhängnisvolle Katastrophe entwickelt. Und das alles geschah, ohne daß in Rom auch nur eine ernstliche Bestrafung deswegen verfügt ward. Über die Besetzung der wichtigsten Stellen und die Behandlung der bedeutendsten politischen Fragen entschieden nicht bloß die Sympathien und Rivalitäten der verschiedenen Senatskoterien mit, sondern es fand selbst schon das Gold der auswärtigen Dynasten Eingang bei den Ratsherren von Rom. Als der erste, der mit Erfolg versuchte, den römischen Senat zu bestechen, wird Timarchos genannt, der Gesandte des Königs Antiochos Epiphanes von Syrien († 590 164); bald wurde die Beschenkung einflußreicher Senatoren durch auswärtige Könige so gewöhnlich, daß es auffiel, als Scipio Aemilianus die im Lager vor Numantia ihm von dem König von Syrien zugekommenen Gaben in die Kriegskasse einwarf. Durchaus ließ man den alten Grundsatz fallen, daß der Lohn der Herrschaft einzig die Herrschaft und die Herrschaft ebensosehr eine Pflicht und eine Last wie ein Recht und ein Vorteil sei. So kam die neue Staatswirtschaft auf, welche von der Besteuerung der Bürger absah und dagegen die Untertanenschaft als einen nutzbaren Besitz der Gemeinde teils von Gemeinde wegen ausbeutete, teils der Ausbeutung durch die Bürger überlieferte; nicht bloß wurde dem rücksichtslosen Geldhunger des römischen Kaufmanns in der Provinzialverwaltung mit frevelhafter Nachgiebigkeit Spielraum gestattet, sondern es wurden sogar die ihm mißliebigen Handelsrivalen durch die Heere des Staats aus dem Wege geräumt und die herrlichsten Städte der Nachbarländer nicht der Barbarei der Herrschsucht, sondern der weit scheußlicheren Barbarei der Spekulation geopfert. Durch den Ruin der älteren, der Bürgerschaft allerdings schwere Opfer auferlegenden Kriegsordnung grub der am letzten Ende doch nur auf seinem militärischen Übergewicht ruhende Staat sich selber die Stütze ab. Die Flotte ließ man ganz eingehen, das Landkriegswesen in der unglaublichsten Weise verfallen. Die Bewachung der asiatischen und afrikanischen Grenzen wurde auf die Untertanen abgewälzt und was man nicht von sich abwälzen konnte, wie die italische, makedonische und spanische Grenzverteidigung, in der elendesten Weise verwaltet. Die besseren Klassen fingen an so sehr aus dem Heere zu verschwinden, daß es schon schwer hielt, für die spanischen Heere die erforderliche Anzahl von Offizieren aufzutreiben. Die immer steigende Abneigung namentlich gegen den spanischen Kriegsdienst in Verbindung mit der von den Beamten bei der Aushebung bewiesenen Parteilichkeit nötigten im Jahre 602 (152) zum Aufgeben der alten Übung, die Auswahl der erforderlichen Anzahl Soldaten aus der dienstpflichtigen Mannschaft dem freien Ermessen der Offiziere zu überlassen, und zu deren Ersetzung durch das Losen der sämtlichen Dienstpflichtigen – sicher nicht zum Vorteil des militärischen Gemeingeistes und der Kriegstüchtigkeit der einzelnen Abteilungen. Die Behörden, statt mit Strenge durchzugreifen, erstreckten die leidige Volksschmeichelei auch hierauf mit: wenn einmal ein Konsul für den spanischen Dienst pflichtmäßig strenge Aushebungen veranstaltete, so machten die Tribune Gebrauch von ihrem verfassungsmäßigen Recht, ihn zu verhaften (603, 616 151,138); und es ward schon bemerkt, daß Scipios Ansuchen, ihm für den Numantinischen Krieg die Aushebung zu gestatten, vom Senat geradezu abgeschlagen ward. Schon erinnern denn auch die römischen Heere vor Karthago oder Numantia an jene syrischen Armeen, in denen die Zahl der Bäcker, Köche, Schauspieler und sonstigen Nichtkombattanten die der sogenannten Soldaten um das Vierfache überstieg; schon geben die römischen Generale ihren karthagischen Kollegen in der Heerverderbekunst wenig nach und werden die Kriege in Afrika wie in Spanien, in Makedonien wie in Asien regelmäßig mit Niederlagen eröffnet; schon schweigt man still zu der Ermordung des Gnaeus Octavius, schon ist Viriathus‘ Meuchelmord ein Meisterwerk der römischen Diplomatie, schon die Eroberung von Numantia eine Großtat. Wie völlig der Begriff von Volks- und Mannesehre bereits den Römern abhanden gekommen war, zeigte mit epigrammatischer Schärfe die Bildsäule des entkleideten und gebundenen Mancinus, welche dieser selbst, stolz auf seine patriotische Aufopferung, in Rom sich setzen ließ. Wohin man den Blick auch wendet, findet man Roms innere Kraft wie seine äußere Macht in raschem Sinken. Der in Riesenkämpfen gewonnene Boden wird in dieser Friedenszeit nicht erweitert, ja nicht einmal behauptet. Das Weltregiment, schwer zu erringen, ist schwerer noch zu bewahren; jenes hatte der römische Senat vermocht, an diesem ist er gescheitert.

  1. Italica wird durch Scipio das geworden sein, was in Italien forum et conciliabulum civium Romanorum hieß; ähnlich ist später Aquae Sextiae in Gallien entstanden. Die Entstehung überseeischer Bürgergemeinden beginnt erst später mit Karthago und Narbo; indes ist es merkwürdig, daß in gewissem Sinne doch auch dazu schon Scipio den Anfang machte.
  2. Die Chronologie des Viriathischen Krieges ist wenig gesichert. Es steht fest, daß Viriathus‘ Auftreten von dem Kampf mit Vetilius datiert (App. Hisp. 61; Liv. 52; Oros. hist. 5, 4) und daß er 615 (130) umkam (Diod. Vat. p. 110 u. a. m.); die Dauer seines Regiments wird auf acht (App. Hisp. 63), zehn (Iust. 44, 2), elf (Diod. p. 597), fünfzehn (Liv. 54; Eutr. 4, 16; Oros. hist. 5, 4; Flor. epit. 1, 33) und zwanzig Jahre (Vell. 2, 90) berechnet. Der erste Ansatz hat deswegen einige Wahrscheinlichkeit, weil Viriathus‘ Auftreten sowohl bei Diodor (p. 591; Vat. p. 107 108) wie auch bei Orosius (hist. 5, 4) an die Zerstörung von Korinth angeknüpft wird. Von den römischen Statthaltern, mit denen sich Viriathus schlug, gehören ohne Zweifel mehrere der nördlichen Provinz an, da Viriathus zwar vorwiegend, aber nicht ausschließlich in der südlichen tätig war (Liv. 52); man darf also nicht nach der Zahl dieser Namen die Zahl der Jahre seiner Feldherrnschaft berechnen.
  3. Der Zug der Küste ist im Laufe der Jahrhunderte so verändert worden, daß man an der alten Stätte die ehemaligen Lokalverhältnisse nur unvollkommen wiedererkennt. Den Namen der Stadt bewahrt das Kap Kartadschena, auch von dem dort befindlichen Heiligengrab Ras Sidi bu Said genannt, die in den Golf hineinragende östliche Spitze der Halbinsel und ihr höchster 393 Fuß über dem Meere gelegener Punkt.
  4. Die von C. E. Beulé (Fouilles à Carthage. Paris 1861) mitgeteilten Tiefmaße sind in Metern und in griechischen Fuß (1 = 0,309):
  5. oder, wie Diodor (p. 522) angibt, 22 Ellen (1 griechische Elle = 1½ Fuß), während Livius (bei Oros. bist. 4, 22) und Appian (Pun. 95), die eine andere, minder genaue Stelle des Polybios vor Augen gehabt zu haben scheinen, die Mauertiefe auf 30 Fuß ansetzen. Die dreifache Mauer Appians, über die bisher durch Florus (epit. 1, 31) eine falsche Vorstellung verbreitet war, ist die Außenmauer, die Vorder- und die Hintermauer der Kasematten. Daß dies Zusammentreffen nicht zufällig ist und wir hier in der Tat die Überreste der berühmten karthagischen Mauer vor uns haben, wird jedem einleuchten; N. Davis‘ Einwürfe (Carthage and her remains. 1861, S. 370f.) zeigen nur, daß gegen die wesentlichen Ergebnisse Beulés auch mit dem besten Willen wenig auszurichten ist. Nur muß man festhalten, daß die alten Berichterstatter die Angaben, um die es sich handelt, sämtlich nicht von der Burgmauer geben, sondern von der Stadtmauer an der Landseite, von der die Mauer an der Südseite des Burghügels ein integrierender Teil war (Gros. bist. 4, 22). Dazu stimmt, daß die Ausgrabungen auf dem Burghügel gegen Osten, Norden und Westen nirgends Spuren von Befestigungen, dagegen an der Südseite eben jene großartigen Mauerreste gezeigt haben. Es ist kein Grund vorhanden, dieselben als Überreste einer besonderen, von der Stadtmauer verschiedenen Burgbefestigung anzusehen; weitere Grabungen in entsprechender Tiefe – das Fundament der an der Byrsa aufgefundenen Stadtmauer liegt 56 Fuß unter dem heutigen Boden – werden vermutlich längs der ganzen Landseite gleiche oder doch ähnliche Fundamente zu Tage fördern, wenn auch wahrscheinlich da wo die ummauerte Vorstadt Magalia sich an die Hauptmauer anlehnte, die Befestigung entweder von Haus aus schwächer gewesen oder früh vernachlässigt worden ist. Wie lang die Mauer im ganzen war, ist nicht mit Bestimmtheit zu sagen; doch ergibt sich, da 300 Elefanten hier Stallung fanden und auch deren Futtermagazine und vielleicht noch andere Räumlichkeiten sowie die Tore in Anrechnung zu bringen sind, schon hieraus eine sehr ansehnliche Längenentwicklung. Daß die innere Stadt, in deren Mauer die Byrsa einbegriffen war, zumal im Gegensatz zu der besonders ummauerten Vorstadt Magalia zuweilen selber Byrsa genannt wird (App. Pun. 117; Nepos bei Serv. Aen. 1, 368), ist leicht begreiflich.
  6. Οιος πέπυται, τοί δέ σκιαί αίσσουσιν.
  7. Als Handelsstraße zwischen dem Adriatischen und Schwarzen Meer, als diejenige nämlich, in deren Mitte die kerkyräischen Weinkrüge den thasischen und lesbischen begegnen, kennt diese Straße schon der Verfasser der pseudo-aristotelischen Schrift ‚Von den merkwürdigen Dingen‘. Auch heute noch läuft dieselbe wesentlich in gleicher Richtung von Durazzo, die Berge von Bagora (Kandavisches Gebirge) am See von Ochrida (Lychnitis) durchschneidend, über Monastir nach Saloniki.
  8. Aus den sabinischen Ortschaften, aus Parma, ja aus Italica in Spanien sind noch mehrere mit Mummius‘ Namen bezeichnete Basen bekannt, die einst solche Beutegaben trugen.
  9. Die Frage, ob Griechenland im Jahre 608 (146) römische Provinz geworden sei oder nicht, läuft in der Hauptsache auf einen Wortstreit hinaus. Daß die griechischen Gemeinden durchgängig „frei“ blieben (CIG 1543, 15; Caes. civ. 3, 5; App. Mithr. 58; Zonar. 9, 31), ist ausgemacht; aber nicht minder ist es ausgemacht, daß Griechenland damals von den Römern „in Besitz genommen ward“ (Tac. arm. 14, 21; 1. Makk. 8, 9,10); daß von da an jede Gemeinde einen festen Zins nach Rom entrichtete (Paus. 7, 16, 6; vgl. Cic. prov. 3, 5), die kleine Insel Gyaros zum Beispiel jährlich 150 Drachmen (Strab. 10, 485); daß die „Ruten und Beile“ des römischen Statthalters fortan auch in Griechenland schalteten (Polyb. 38, 1 c; vgl. Cic. Verr. 1. 1, 21, 55) und derselbe die Oberaufsicht über die Stadtverfassungen (CIG 1543) sowie in gewissen Fällen die Kriminaljurisdiktion (CIG 1543; Plut. Cim. 2) fortan ebenso übte wie bis dahin der römische Senat; daß endlich die makedonische Provinzialära auch in Griechenland im Gebrauch war. Zwischen diesen Tatsachen ist keineswegs ein Widerspruch oder doch kein anderer als derjenige, welcher überhaupt in der Stellung der freien Städte liegt, welche bald als außerhalb der Provinz stehend (z. B. Suet. Caes. 25; Colum. 11, 3, 26), bald als der Provinz zugeteilt (z. B. los. ant. lud. 14, 4, 4) bezeichnet werden. Der römische Domanialbesitz in Griechenland beschränkte sich zwar auf den Korinthischen Acker und etwa einige Stücke von Euböa (CIG 5879) und eigentliche Untertanen gab es dort gar nicht; allein darum konnte dennoch, wenn man auf das tatsächlich zwischen den griechischen Gemeinden und dem makedonischen Statthalter bestehende Verhältnis sieht, ebenso wie Massalia zur Provinz Narbo, Dyrrhachion zur Provinz Makedonien, auch Griechenland zu der makedonischen Provinz gerechnet werden. Es finden sich sogar noch viel weitergehende Fälle: Das Cisalpinische Gallien bestand seit 655 (89) aus lauter Bürger- oder latinischen Gemeinden und ward dennoch durch Sulla Provinz; ja in der caesarischen Zeit begegnen Landschaften, die ausschließlich aus Bürgergemeinden bestehen und die dennoch keineswegs aufhören, Provinzen zu sein. Sehr klar tritt hier der Grundbegriff der römischen provincia hervor; sie ist zunächst nichts als das „Kommando“ und alle Verwaltungs- und Jurisdiktionstätigkeit des Kommandanten sind ursprünglich Nebengeschäfte und Korollarien seiner militärischen Stellung.
  10. Andererseits muß dagegen, wenn man die formelle Souveränität der freien Gemeinden ins Auge faßt, zugestanden werden, daß durch die Ereignisse des Jahres 608 (146) Griechenlands Stellung staatsrechtlich sich nicht änderte: es waren mehr faktische als rechtliche Verschiedenheiten, daß statt der Achäischen Eidgenossenschaft jetzt die einzelnen Gemeinden Achaias als tributäre Klientelstaaten neben Rom standen und daß seit Einrichtung der römischen Sonderverwaltung in Makedonien diese anstatt der hauptstädtischen Behörden die Oberaufsicht über die griechischen Klientelstaaten übernahm. Man kann demnach, je nachdem die tatsächliche oder die formelle Auffassung überwiegt, Griechenland als Teil des Kommandos von Makedonien ansehen oder auch nicht; indes wird der ersteren Auffassung mit Recht das Übergewicht eingeräumt.
  11. Ein merkwürdiger Beleg dafür ist die Benennung der feinen griechischen Bronze- und Kupferwaren die in der ciceronischen Zeit ohne Unterschied „korinthisches“ oder „delisches Kupfer“ genannt werden. Die Bezeichnung ist in Italien begreiflicherweise nicht von den Fabrikations-, sondern von den Exportplätzen hergenommen (Plin. nat. 34, 2, 9); womit natürlich nicht geleugnet wird, daß dergleichen Gefäße auch in Korinth und Delos selbst fabriziert wurden.
  12. Mehrere vor kurzem (SB München, 1860, S. 180f.) bekannt gewordene Schreiben der Könige Eumenes II. und Attalos II. an den Priester von Pessinus, welcher durchgängig Attis heißt (vgl. Polyb. 22, 20), erläutern diese Verhältnisse sehr anschaulich. Das älteste derselben und das einzige datierte, geschrieben im 34. Regierungsjahre des Eumenes am siebten Tage vor dem Ende des Gorpiäos, also 590/91 der Stadt (164/63), bietet dem Priester militärische Hilfe an, um den (sonst nicht bekannten) Pesongern von ihnen besetztes Tempelland zu entreißen. Das folgende, ebenfalls noch von Eumenes, zeigt den König als Partei in der Fehde zwischen dem Priester von Pessinus und dessen Bruder Aiorix. Ohne Zweifel gehörten beide Handlungen des Eumenes zu denjenigen, die in den Jahren 590f. (164) in Rom zur Anzeige kamen als Versuche desselben, sich in die gallischen Angelegenheiten auch fernerhin zu mengen und dort seine Parteigenossen zu stützen (Polyb. 31, 6, 9; 32, 3, 5). Dagegen geht aus einem der Schreiben seines Nachfolgers Attalos hervor, wie sich die Zeiten geändert und die Wünsche herabgestimmt hatten. Der Priester Attis scheint auf einer Zusammenkunft in Apameia von Attalos abermals die Zusage bewaffneter Hilfe erhalten zu haben; nachher aber schreibt ihm der König, daß in einem deswegen abgehaltenen Staatsrat, dem Athenäos (sicher der bekannte Bruder des Königs), Sosandros, Menogenes, Chloros und andere Verwandte (αναγκαίοι) beigewohnt hätten, nach langem Schwanken endlich die Majorität dem Chloros dahin beigetreten sei, daß nichts geschehen dürfe, ohne die Römer vorher zu befragen; denn selbst wenn ein Erfolg erreicht werde, setzte man sich dem Wiederverlust und dem bösen Verdacht aus, „den sie auch gegen den Bruder“ (Eumenes II.) „gehegt hätten“.
  13. In demselben Testament gab der König seiner Stadt Pergamon die „Freiheit“, das heißt die δημοκρατία, das städtische Selbstregiment. Laut einer merkwürdigen, kürzlich dort gefundenen Urkunde (Römisches Staatsrecht, Bd. 3, 3. Aufl., S. 726) beschloß nach Eröffnung des Testaments, aber vor dessen Bestätigung durch die Römer der also konstituierte Demos den bisher vom Bürgerrecht ausgeschlossenen Klassen der Bevölkerung, insbesondere den im Zensus aufgeführten Paröken und den in Stadt und Land wohnhaften Soldaten, auch den Makedoniern, das städtische Bürgerrecht zu verleihen, um also ein gutes Einverständnis in der gesamten Bevölkerung herbeizuführen. Offenbar wollte die Bürgerschaft, indem sie die Römer vor die vollendete Tatsache dieser umfassenden Ausgleichung stellte, vor dem eigentlichen Eintreten der römischen Herrschaft sich gegen dieselbe in Verfassung setzen und den fremden Gebietern die Möglichkeit nehmen, die Rechtsverschiedenheiten innerhalb der Bevölkerung zur Sprengung der Gemeindefreiheit zu benutzen.
  14. Diese seltsamen „Heliopoliten“ sind, nach der mir von einem Freunde geäußerten wahrscheinlichen Meinung, so zu fassen, daß die befreiten Sklaven als Bürger einer umgenannten oder auch vielleicht für jetzt nur gedachten Stadt Heliopolis sich konstituierter, die ihren Namen von dem in Syrien hochverehrten Sonnengott empfing.
  15. Von ihm rühren die Münzen her mit der Aufschrift „Shekel Israel“ und der Jahreszahl des „heiligen Jerusalem“ oder „der Erlösung Sions“. Die ähnlichen mit dem Namen Simons, des Fürsten (Nessi) Israel, gehören nicht ihm, sondern dem Insurgentenführer Bar Kochba unter Hadrian.

2. Kapitel


2. Kapitel

Die Reformbewegung und Tiberius Gracchus

Ein volles Menschenalter nach der Schlacht von Pydna erfreute der römische Staat sich der tiefsten, kaum hie und da an der Oberfläche bewegten Ruhe. Das Gebiet dehnte über die drei Weltteile sich aus; der Glanz der römischen Macht und der Ruhm des römischen Namens waren in dauerndem Steigen; aller Augen ruhten auf Italien, alle Talente, aller Reichtum strömten dahin: eine goldene Zeit friedlicher Wohlfahrt und geistigen Lebensgenusses schien dort beginnen zu müssen. Mit Bewunderung erzählten sich die Orientalen dieser Zeit von der mächtigen Republik des Westens, „die die Königreiche bezwang fern und nah, und wer ihren Namen vernahm, der fürchtete sich; mit den Freunden und Schutzbefohlenen aber hielt sie guten Frieden. Solche Herrlichkeit war bei den Römern, und doch setzte keiner die Krone sich auf und prahlte keiner im Purpurgewand; sondern wen sie Jahr um Jahr zu ihrem Herrn machten, auf den hörten sie, und war bei ihnen nicht Neid noch Zwietracht.“

So schien es in der Ferne; in der Nähe sahen die Dinge anders aus. Das Regiment der Aristokratie war im vollen Zuge, sein eigenes Werk zu verderben. Nicht als wären die Söhne und Enkel der Besiegten von Cannae und der Sieger von Zama so völlig aus der Art ihrer Väter und Großväter geschlagen; es waren weniger andere Menschen, die jetzt im Senate saßen, als eine andere Zeit. Wo eine geschlossene Zahl alter Familien festgegründeten Reichtums und ererbter staatsmännischer Bedeutung das Regiment führt, wird sie in den Zeiten der Gefahr eine ebenso unvergleichlich zähe Folgerichtigkeit und heldenmütige Opferfähigkeit entwickeln wie in den Zeiten der Ruhe kurzsichtig, eigensüchtig und schlaff regieren – zu dem einen wie dem andern liegen die Keime im Wesen der Erblichkeit und der Kollegialität. Der Krankheitsstoff war längst vorhanden, aber ihn zu entwickeln bedurfte es der Sonne des Glückes. In Catos Frage, was aus Rom werden solle, wenn es keinen Staat mehr zu fürchten haben werde, lag ein tiefer Sinn. Jetzt war man so weit: jeder Nachbar, den man hätte fürchten mögen, war politisch vernichtet, und von den Männern, welche unter der alten Ordnung der Dinge, in der ernsten Schule des Hannibalischen Krieges erzogen waren und aus denen der Nachklang jener gewaltigen Zeit bis in ihr spätestes Alter noch widerhallte, rief der Tod einen nach dem andern ab, bis endlich auch die Stimme des letzten von ihnen, des alten Cato, im Rathaus und auf dem Marktplatz verstummte. Eine jüngere Generation kam an das Regiment, und ihre Politik war eine arge Antwort auf jene Frage des alten Patrioten. Wie das Untertanenregiment und die äußere Politik unter ihren Händen sich gestalteten, ist bereits dargelegt worden. Womöglich noch mehr ließ man in den inneren Angelegenheiten das Schiff vor dem Winde treiben; wenn man unter innerem Regiment mehr versteht als die Erledigung der laufenden Geschäfte, so ward in dieser Zeit überhaupt in Rom nicht regiert. Der einzige leitende Gedanke der regierenden Korporation war die Erhaltung und womöglich Steigerung ihrer usurpierten Privilegien. Nicht der Staat hatte für sein höchstes Amt ein Anrecht auf den rechten und den besten Mann, sondern jedes Glied der Kamaraderie ein angeborenes, weder durch unbillige Konkurrenz der Standesgenossen noch durch Übergriffe der Ausgeschlossenen zu verkürzendes Anrecht auf das höchste Staatsamt. Darum steckte die Clique zu ihrem wichtigsten politischen Ziel sich die Beschränkung der Wiederwahl zum Konsulat und die Ausschließung der „neuen Menschen“; es gelang denn auch in der Tat, jene um das Jahr 603 (151) gesetzlich untersagt zu erhalten16 und auszureichen mit einem Regiment adliger Nullitäten. Auch die Tatenlosigkeit der Regierung nach außen hin hängt ohne Zweifel mit dieser gegen die Bürgerlichen ausschließenden und gegen die einzelnen Standesglieder mißtrauischen Adelspolitik zusammen. Man konnte gemeine Leute, deren Adelsbrief ihre Taten waren, von den lauteren Kreisen der Aristokratie nicht sicherer fern halten, als indem man überhaupt es keinem gestattete, Taten zu verrichten; auch würde dem bestehenden Regiment der allgemeinen Mittelmäßigkeit selbst ein adliger Eroberer Syriens oder Ägyptens schon unbequem gewesen sein. Allerdings fehlte es auch jetzt an einer Opposition nicht, und sie war sogar bis zu einem gewissen Grade erfolgreich. Man verbesserte die Rechtspflege. Die Administrativjurisdiktion, wie der Senat sie entweder selbst oder gelegentlich durch außerordentliche Kommissionen über die Provinzialbeamten ausübte, reichte anerkanntermaßen nicht aus; es war eine für das ganze öffentliche Leben der römischen Gemeinde folgenreiche Neuerung, daß im Jahre 605 (149) auf Vorschlag des Lucius Calpurnius Piso eine ständige Senatorenkommission (quaestio ordinaria) niedergesetzt ward, um die Beschwerden der Provinzialen gegen die vorgesetzten römischen Beamten wegen Gelderpressung in gerichtlichen Formen zu prüfen. Man suchte die Komitien von dem übermächtigen Einfluß der Aristokratie zu emanzipieren. Die Panazee auch der römischen Demokratie war die geheime Abstimmung in den Versammlungen der Bürgerschaft, welche zuerst für die Magistratswahlen durch das Gabinische (615 139), dann für die Volksgerichte durch das Cassische (617 137), endlich für die Abstimmung über Gesetzvorschläge durch das Papirische Gesetz (623 131) eingeführt ward. In ähnlicher Weise wurden bald nachher (um 625 129) die Senatoren durch Volksbeschluß angewiesen, bei dem Eintritt in den Senat ihr Ritterpferd abzugeben und also auf den bevorzugten Stimmplatz in den achtzehn Ritterzenturien zu verzichten. In diesen auf die Emanzipation der Wählerschaft von dem regierenden Herrenstand gerichteten Maßregeln mochte die Partei, die sie veranlaßte, vielleicht den Anfang zu einer Regeneration des Staates erblicken; in der Tat ward dadurch in der Nichtigkeit und Unfreiheit des gesetzlich höchsten Organs der römischen Gemeinde auch nicht das mindeste geändert, ja dieselbe allen, die es anging und nicht anging, nur noch handgreiflicher dargetan. Ebenso prahlhaftig und ebenso eitel war die förmliche Anerkennung der Unabhängigkeit und Souveränität der Bürgerschaft, welche ihr durch die Verlegung ihres Versammlungsplatzes von der alten Dingstatt unter dem Rathaus auf den Marktplatz zuteil ward (um 609 145).

Aber diese Fehde der formalen Volkssouveränität gegen die tatsächlich bestehende Verfassung war zum guten Teil scheinhafter Art. Die Parteiphrasen prasselten und klirrten; von den Parteien selbst war in den wirklich und unmittelbar praktischen Angelegenheiten wenig zu spüren. Das ganze siebente Jahrhundert hindurch bildeten die jährlichen Gemeindewahlen zu den bürgerlichen Ämtern, namentlich zum Konsulat und zur Zensur, die eigentlich stehende Tagesfrage und den Brennpunkt des politischen Treibens; aber nur in einzelnen seltenen Fällen waren in den verschiedenen Kandidaturen auch entgegengesetzte politische Prinzipien verkörpert; regelmäßig blieben dieselben rein persönliche Fragen und war es für den Gang der Angelegenheiten gleichgültig, ob die Majorität der Wahlkörper dem Cäcilier oder dem Cornelier zufiel. Man entbehrte also dessen, was die Übelstände des Parteilebens alle überträgt und vergütet, der freien und gemeinschaftlichen Bewegung der Massen nach dem als zweckmäßig erkannten Ziel, und duldete sie dennoch alle lediglich zum Frommen des kleinen Spiels der herrschenden Koterien.

Es war dem römischen Adligen verhältnismäßig leicht, die Ämterlaufbahn als Quästor und Volkstribun zu betreten, aber die Erlangung des Konsulats und der Zensur war auch ihm nur durch große und jahrelange Anstrengungen möglich. Der Preise waren viele, aber der lohnenden wenige; die Kämpfer liefen, wie ein römischer Dichter einmal sagt, wie in einer an den Schranken weiten, allmählich mehr und mehr sich verengenden Bahn. Das war recht, solange das Amt war, wie es hieß, eine „Ehre“, und militärische, politische, juristische Kapazitäten wetteifernd um die seltenen Kränze warben; jetzt aber hob die tatsächliche Geschlossenheit der Nobilität den Nutzen der Konkurrenz auf und ließ nur ihre Nachteile übrig. Mit wenigen Ausnahmen drängten die den regierenden Familien angehörenden jungen Männer sich in die politische Laufbahn, und der hastige und unreife Ehrgeiz griff bald zu wirksameren Mitteln, als nützliche Tätigkeit für das gemeine Beste war. Die erste Bedingung für die öffentliche Laufbahn wurden mächtige Verbindungen; dieselbe begann also nicht wie sonst im Lager, sondern in den Vorzimmern der einflußreichen Männer. Was sonst nur Schutzbefohlene und Freigelassene getan, daß sie ihrem Herrn am frühen Morgen aufzuwarten kamen und öffentlich in seinem Gefolge erschienen, das übertrug sich jetzt auf die neue vornehme Klientel. Aber auch der Pöbel ist ein großer Herr und will als solcher respektiert sein. Der Janhagel fing an, es als sein Recht zu fordern, daß der künftige Konsul in jedem Lumpen von der Gasse das souveräne Volk erkenne und ehre und jeder Bewerber bei seinem „Umgang“ (ambitus) jeden einzelnen Stimmgeber bei Namen begrüße und ihm die Hand drücke. Bereitwillig ging die vornehme Welt ein auf diesen entwürdigenden Ämterbettel. Der richtige Kandidat kroch nicht bloß im Palast, sondern auch auf der Gasse und empfahl sich der Menge durch Liebäugeleien, Nachsichtigkeiten, Artigkeiten von feinerer oder gröberer Qualität. Der Ruf nach Reformen und die Demagogie wurden dazu vernutzt, sich bei dem Publikum bekannt und beliebt zu machen; und sie wirkten um so mehr, je mehr sie nicht die Sache angriffen, sondern die Person. Es ward Sitte, daß die bartlosen Jünglinge vornehmer Geburt, um sich glänzend in das öffentliche Leben einzuführen, mit der unreifen Leidenschaft ihrer knabenhaften Beredsamkeit die Rolle Catos weiterspielten und aus eigener Machtvollkommenheit sich womöglich gegen einen recht hochstehenden und recht unbeliebten Mann zu Anwälten des Staats aufwarfen; man ließ es geschehen, daß das ernste Institut der Kriminaljustiz und der politischen Polizei ein Mittel für den Ämterbewerb ward. Die Veranstaltung oder, was noch schlimmer war, die Verheißung prachtvoller Volkslustbarkeiten war längst die gleichsam gesetzliche Vorbedingung zur Erlangung des Konsulats; jetzt begannen auch schon, wie das um 595 (159) dagegen erlassene Verbot bezeugt, die Stimmen der Wähler geradezu mit Geld erkauft zu werden. Vielleicht die schlimmste Folge des dauernden Buhlens der regierenden Aristokratie um die Gunst der Menge war die Unvereinbarkeit dieser Bettler- und Schmeichlerrolle mit derjenigen Stellung, welche der Regierung den Regierten gegenüber von Rechts wegen zukommt. Das Regiment ward dadurch aus einem Segen für das Volk zum Fluch. Man wagte es nicht mehr, über Gut und Blut der Bürger zum Besten des Vaterlandes nach Bedürfnis zu verfügen. Man ließ die Bürgerschaft sich an den gefährlichen Gedanken gewöhnen, daß sie selbst von der vorschußweisen Entrichtung direkter Abgaben gesetzlich befreit sei – nach dem Kriege gegen Perseus ist kein Schoß mehr von der Gemeinde gefordert worden. Man ließ lieber das Heerwesen verfallen, als daß man die Bürger zu dem verhaßten überseeischen Dienst zwang; wie es den einzelnen Beamten erging, die die Konskription nach der Strenge des Gesetzes durchzuführen versuchten, ist schon gesagt worden.

In verhängnisvoller Weise verschlingen sich in dem Rom dieser Zeit die zwiefachen Mißstände einer ausgearteten Oligarchie und einer noch unentwickelten, aber schon im Keime vom Wurmfraß ergriffenen Demokratie. Ihren Parteinamen nach, welche zuerst in dieser Periode gehört werden, wollten die „Optimaten“ den Willen der Besten, die „Popularen“ den der Gemeinde zur Geltung bringen; in der Tat gab es in dem damaligen Rom weder eine wahre Aristokratie noch eine wahrhaft sich selber bestimmende Gemeinde. Beide Parteien stritten gleichermaßen für Schatten und zählten in ihren Reihen nur entweder Schwärmer oder Heuchler. Beide waren von der politischen Fäulnis gleichmäßig ergriffen und in der Tat beide gleich nichtig. Beide waren mit Notwendigkeit in den Status quo gebannt, da weder hüben noch drüben ein politischer Gedanke, geschweige denn ein politischer Plan sich fand, der über diesen hinausgegangen wäre, und so vertrugen denn auch beide sich miteinander so vollkommen, daß sie auf jeden Schritt sich in den Mitteln wie in den Zwecken begegneten und der Wechsel der Partei mehr ein Wechsel der politischen Taktik als der politischen Gesinnung war. Das Gemeinwesen hätte ohne Zweifel gewonnen, wenn entweder die Aristokratie statt der Bürgerschaftswahlen geradezu einen erblichen Turnus eingeführt oder die Demokratie ein wirkliches Demagogenregiment aus sich hervorgebracht hätte. Aber diese Optimaten und diese Popularen des beginnenden siebenten Jahrhunderts waren die einen für die andern viel zu unentbehrlich, um sich also auf Tod und Leben zu bekriegen; sie konnten nicht bloß nicht einander vernichten, sondern, wenn sie es gekonnt hätten, hätten sie es nicht gewollt. Darüber wich denn freilich politisch wie sittlich das Gemeinwesen immer mehr aus den Fugen und ging seiner völligen Auflösung entgegen.

Es ging denn auch die Krise, durch welche die römische Revolution eröffnet ward, nicht aus diesem dürftigen politischen Konflikt hervor, sondern aus den ökonomischen und sozialen Verhältnissen, welche die römische Regierung wie alles andere lediglich gehen ließ und welche also Gelegenheit fanden, den seit langem gärenden Krankheitsstoff jetzt ungehemmt mit furchtbarer Raschheit und Gewaltsamkeit zu zeigen. Seit uralter Zeit beruhte die römische Ökonomie auf den beiden ewig sich suchenden und ewig hadernden Faktoren, der bäuerlichen und der Geldwirtschaft. Schon einmal hatte die letztere im engsten Bunde mit dem großen Grundbesitz Jahrhunderte lang gegen den Bauernstand einen Krieg geführt, der mit dem Untergang zuerst der Bauernschaft und demnächst des ganzen Gemeinwesens endigen zu müssen schien, aber ohne eigentliche Entscheidung abgebrochen ward infolge der glücklichen Kriege und der hierdurch möglich gemachten umfänglichen und großartigen Domanialaufteilung. Es ward schon früher gezeigt, daß in derselben Zeit, welche den Gegensatz zwischen Patriziern und Plebejern unter veränderten Namen erneuerte, das unverhältnismäßig anschwellende Kapital einen zweiten Sturm gegen die bäuerliche Wirtschaft vorbereitete. Zwar der Weg war ein anderer. Ehemals war der kleine Bauer ruiniert worden durch Vorschüsse, die ihn tatsächlich zum Meier seines Gläubigers herabdrückten; jetzt ward er erdrückt durch die Konkurrenz des überseeischen und insonderheit des Sklavenkorns. Man schritt fort mit der Zeit; das Kapital führte gegen die Arbeit, das heißt gegen die Freiheit der Person, den Krieg, natürlich wie immer in strengster Form Rechtens, aber nicht mehr in der unziemlichen Weise, daß der freie Mann der Schulden wegen Sklave ward, sondern von Haus aus mit rechtmäßig gekauften und bezahlten Sklaven; der ehemalige hauptstädtische Zinsherr trat auf in zeitgemäßer Gestalt als industrieller Plantagenbesitzer. Allein das letzte Ergebnis war in beiden Fällen das gleiche: die Entwertung der italischen Bauernstellen, die Verdrängung der Kleinwirtschaft zuerst in einem Teil der Provinzen, sodann in Italien durch die Gutswirtschaft; die vorwiegende Richtung auch dieser in Italien auf Viehzucht und auf Öl- und Weinbau; schließlich die Ersetzung der freien Arbeiter in den Provinzen wie in Italien durch Sklaven. Eben wie die Nobilität deshalb gefährlicher war als das Patriziat, weil jene nicht wie dieses durch eine Verfassungsänderung sich beseitigen ließ, so war auch diese neue Kapitalmacht darum gefährlicher als die des vierten und fünften Jahrhunderts, weil gegen sie mit Änderungen des Landrechts nichts auszurichten war.

Ehe wir es versuchen, den Verlauf dieses zweiten großen Konflikts von Arbeit und Kapital zu schildern, wird es notwendig, über das Wesen und den Umfang der Sklavenwirtschaft hier einige Andeutungen einzuschalten. Wir haben es hier nicht zu tun mit der alten, gewissermaßen unschuldigen Feldsklaverei, wonach der Bauer entweder zugleich mit seinem Knechte ackert oder auch, wenn er mehr Land besitzt, als er bewirtschaften kann, denselben entweder als Verwalter oder auch unter Verpflichtung zur Ablieferung eines Teils vom Ertrag gewissermaßen als Pächter über einen abgeteilten Meierhof setzt; solche Verhältnisse bestanden zwar zu allen Zeiten – um Comum zum Beispiel waren sie noch in der Kaiserzeit die Regel –, allein als Ausnahmezustände bevorzugter Landschaften und milde verwalteter Güter. Hier ist die Großwirtschaft mit Sklaven gemeint, welche im römischen Staat wie einst im karthagischen aus der Übermacht des Kapitals sich entwickelte. Während für den Sklavenbestand der älteren Zeit die Kriegsgefangenschaft und die Erblichkeit der Knechtschaft ausreichten, beruht diese Sklavenwirtschaft, völlig wie die amerikanische, auf systematisch betriebener Menschenjagd, da bei der auf Leben und Fortpflanzung der Sklaven wenig Rücksicht nehmenden Nutzungsweise die Sklavenbevölkerung beständig zusammenschwand und selbst die stets neue Massen auf den Sklavenmarkt liefernden Kriege das Defizit zu decken nicht ausreichten. Kein Land, wo dieses jagdbare Wild sich vorfand, blieb hiervon verschont; selbst in Italien war es keineswegs unerhört, daß der arme Freie von seinem Brotherrn unter die Sklaven eingestellt ward. Das Negerland jener Zeit aber war Vorderasien17, wo die kretischen und kilikischen Korsaren, die rechten gewerbsmäßigen Sklavenjäger und Sklavenhändler, die Küsten Syriens und die griechischen Inseln ausraubten, wo mit ihnen wetteifernd die römischen Zollpächter in den Klientelstaaten Menschenjagden veranstalteten und die Gefangenen unter ihr Sklavengesinde untersteckten – es geschah dies in solchem Umfang, daß um 650 (100) der König von Bithynien sich unfähig erklärte, den verlangten Zuzug zu leisten, da aus seinem Reich alle arbeitsfähigen Leute von den Zollpächtern weggeschleppt seien. Auf dem großen Sklavenmarkt in Delos, wo die kleinasiatischen Sklavenhändler ihre Ware an die italischen Spekulanten absetzten, sollen an einem Tage bis zu 10000 Sklaven des Morgens ausgeschifft und vor Abend alle verkauft gewesen sein – ein Beweis zugleich, welche ungeheure Zahl von Sklaven geliefert ward und wie dennoch die Nachfrage immer noch das Angebot überstieg. Es war kein Wunder. Bereits in der Schilderung der römischen Ökonomie des sechsten Jahrhunderts ist es dargelegt worden, daß dieselbe wie überhaupt die gesamte Großwirtschaft des Altertums auf dem Sklavenbetriebe ruht. Worauf immer die Spekulation sich warf, ihr Werkzeug war ohne Ausnahme der rechtlich zum Tier herabgesetzte Mensch. Durch Sklaven wurden großenteils die Handwerke betrieben, so daß der Ertrag dem Herrn zufiel. Durch die Sklaven der Steuerpachtgesellschaft wurde die Erhebung der öffentlichen Gefälle in den untern Graden regelmäßig beschafft. Ihre Hände besorgten den Grubenbau, die Pechhütten und was derart sonst vorkommt; schon früh kam es auf, Sklavenherden nach den spanischen Bergwerken zu senden, deren Vorsteher sie bereitwillig annahmen und hoch verzinsten. Die Wein- und Olivenlese wurde in Italien nicht von den Leuten auf dem Gut bewirkt, sondern einem Sklavenbesitzer in Akkord gegeben. Die Hütung des Viehs ward allgemein durch Sklaven beschafft; der bewaffneten, häufig berittenen Hirtensklaven auf den großen Weidestrecken Italiens ist bereits gedacht worden, und dieselbe Art der Weidewirtschaft ward bald auch in den Provinzen ein beliebter Gegenstand der römischen Spekulation – so war zum Beispiel Dalmatien kaum erobert (599 155), als die römischen Kapitalisten anfingen, dort in italischer Weise die Viehzucht im großen zu betreiben. Aber in jeder Beziehung weit schlimmer noch war der eigentliche Plantagenbau, die Bestellung der Felder durch eine Herde nicht selten mit dem Eisen gestempelter Sklaven, welche mit Fußschellen an den Beinen unter Aufsehern des Tags die Feldarbeiten taten und nachts in dem gemeinschaftlichen, häufig unterirdischen Arbeiterzwinger zusammengesperrt wurden. Diese Plantagenwirtschaft war aus dem Orient nach Karthago gewandert und scheint durch die Karthager nach Sizilien gelangt zu sein, wo, wahrscheinlich aus diesem Grunde, die Plantagenwirtschaft früher und vollständiger als in irgendeinem anderen Gebiet der römischen Herrschaft durchgebildet auftritt18. Die Leontinische Feldmark von etwa 30 000 Jugera urbaren Landes, die als römische Domäne von den Zensoren verpachtet wurde, finden wir einige Dezennien nach der Gracchenzeit geteilt unter nicht mehr als 84 Pächter, von denen also durchschnittlich auf jeden 360 Jugera kamen und unter denen nur ein einziger Leontiner, die übrigen fremde, meistens römische Spekulanten waren. Man sieht hieraus, mit welchem Eifer die römischen Spekulanten hier in die Fußstapfen ihrer Vorgänger traten und welche großartigen Geschäfte mit sizilischem Vieh und sizilischem Sklavenkorn die römischen und nichtrömischen Spekulanten gemacht haben werden, die mit ihren Hutungen und Pflanzungen die schöne Insel bedeckten. Italien indes blieb von dieser schlimmsten Form der Sklavenwirtschaft für jetzt noch wesentlich verschont. Wenngleich in Etrurien, wo die Plantagenwirtschaft zuerst in Italien aufgekommen zu sein scheint und wo sie wenigstens vierzig Jahre später in ausgedehntestem Umfange bestand, höchstwahrscheinlich schon jetzt es an Arbeiterzwingern nicht fehlte, so ward doch die italische Ackerwirtschaft in dieser Zeit noch überwiegend durch freie Leute oder doch durch ungefesselte Knechte, daneben durch Akkordierung größerer Arbeiten an Unternehmer betrieben. Recht deutlich zeigt sich der Unterschied des italischen Sklavenwesens von dem sizilischen darin, daß bei dem sizilischen Sklavenaufstand 619-622 (135-1 S2) allein die Sklaven der nach italischer Weise lebenden mamertinischen Gemeinde sich nicht beteiligten.

Das Meer von Jammer und Elend, das in diesem elendesten aller Proletariate sich vor unsern Augen auftut, mag ergründen, wer den Blick in solche Tiefen wagt; es ist leicht möglich, daß mit denen der römischen Sklavenschaft verglichen die Summe aller Negerleiden ein Tropfen ist. Hier kommt es weniger auf den Notstand der Sklavenschaft selbst an als auf die Gefahren, die sie über den römischen Staat brachte und auf das Verhalten der Regierung denselben gegenüber. Daß dies Proletariat weder durch die Regierung ins Leben gerufen war noch geradezu von ihr beseitigt werden konnte, leuchtet ein; es hätte dies nur geschehen können durch Heilmittel, die noch schlimmer gewesen wären als das Übel. Der Regierung lag nur ob, teils die unmittelbare Gefahr für Eigentum und Leben, womit das Sklavenproletariat die Staatsangehörigen bedrohte, durch eine ernstliche Sicherheitspolizei abzuwenden, teils auf die möglichste Beschränkung des Proletariats durch Hebung der freien Arbeit hinzuwirken. Sehen wir, wie die römische Aristokratie diesen beiden Aufgaben nachkam.

Wie die Polizei gehandhabt ward, zeigen die allerorts ausbrechenden Sklavenverschwörungen und Sklavenkriege. In Italien schienen die wüsten Vorgänge, wie sie in den unmittelbaren Nachwehen des Hannibalischen Krieges vorgekommen waren, sich jetzt zu erneuern; auf einmal mußte man in der Hauptstadt 150, in Minturnae 450, in Sinuessa gar 4000 Sklaven aufgreifen und hinrichten lassen (621 133). Noch schlimmer stand es begreiflicherweise in den Provinzen. Auf dem großen Sklavenmarkt zu Delos und in den attischen Silbergruben hatte man um dieselbe Zeit die aufständischen Sklaven mit den Waffen zu Paaren zu treiben. Der Krieg gegen Aristonikos und seine kleinasiatischen „Sonnenstädter“ war wesentlich ein Krieg der Besitzenden gegen die empörten Sklaven. Am ärgsten aber stand es natürlicherweise in dem gelobten Lande des Plantagensystems, in Sizilien. Die Räuberwirtschaft war daselbst, zumal im Binnenlande, längst ein stehendes Übel; sie fing an, sich zur Insurrektion zu steigern. Ein reicher und mit den italischen Herren in industrieller Exploitierung seines lebendigen Kapitals wetteifernder Pflanzer von Enna (Castrogiovanni), Damophilos, ward von seinen erbitterten Feldsklaven überfallen und ermordet; worauf die wilde Schar in die Stadt Enna strömte und dort derselbe Vorgang in größerem Maßstab sich erneuerte. In Masse erhoben die Sklaven sich gegen ihre Herren, töteten oder knechteten sie und riefen an die Spitze des schon ansehnlichen Insurgentenheeres einen Wundermann aus dem syrischen Apameia, der Feuer zu speien und zu orakeln verstand, bisher als Sklave Eunus genannt, jetzt als Haupt der Insurgenten Antiochos der König der Syrer. Warum auch nicht? Hatte doch wenige Jahre zuvor ein anderer syrischer Knecht, der nicht einmal ein Prophet war, in Antiocheia selbst das königliche Stirnband der Seleukiden getragen. Der tapfere „Feldherr“ des neuen Königs, der griechische Sklave Achäos, durchstreifte die Insel, und nicht bloß die wilden Hirten strömten von nah und fern unter die seltsamen Fahnen – auch die freien Arbeiter, die den Pflanzern alles Üble gönnten, machten mit den empörten Sklaven gemeinschaftliche Sache. In einer anderen Gegend Siziliens folgte ein kilikischer Sklave, Kleon, einst in seiner Heimat ein dreister Räuber, dem gegebenen Beispiel und besetzte Akragas, und da die Häupter miteinander sich vertrugen, gelang es ihnen nach manchen geringeren Erfolgen zuletzt, den Prätor Lucius Hypsaeus selbst mit seiner größtenteils aus sizilischen Milizen bestehenden Armee gänzlich zu schlagen und sein Lager zu erobern. Hierdurch kam fast die ganze Insel in die Gewalt der Aufständischen, deren Zahl nach den mäßigsten Angaben sich auf 70000 Waffenfähige belaufen haben soll; die Römer sahen sich genötigt, drei Jahre nacheinander (620-622 134-132) Konsuln und konsularische Heere nach Sizilien abzusenden, bis nach manchen unentschiedenen, ja zum Teil unglücklichen Gefechten endlich mit der Einnahme von Tauromenion und von Enna der Aufstand überwältigt war. Vor der letzteren Stadt, in die sich die entschlossenste Mannschaft der Insurgenten geworfen hatte, um sich in dieser unbezwinglichen Stellung zu verteidigen, wie sich Männer verteidigen, die an Rettung wie an Begnadigung verzweifeln, lagerten die Konsuln Lucius Calpurnius Piso und Publius Rupilius zwei Jahre hindurch und bezwangen sie endlich mehr durch den Hunger als durch die Waffen19.

Das waren die Ergebnisse der Sicherheitspolizei, wie sie von dem römischen Senat und dessen Beamten in Italien und den Provinzen gehandhabt ward. Wenn die Aufgabe, das Proletariat zu beseitigen, die ganze Macht und Weisheit der Regierung erfordert und nur zu oft übersteigt, so ist dagegen die polizeiliche Niederhaltung desselben für jedes größere Gemeinwesen verhältnismäßig leicht. Es stände wohl um die Staaten, wenn die besitzlosen Massen ihnen keine andere Gefahr bereiteten, als wie sie auch droht von Bären und Wölfen; nur der Ängsterling und wer mit der albernen Angst der Menge Geschäfte macht, prophezeit den Untergang der bürgerlichen Ordnung in Sklavenaufständen oder Proletariatinsurrektionen. Aber selbst dieser leichteren Aufgabe der Bändigung der gedrückten Massen ward von der römischen Regierung trotz des tiefsten Friedens und der unerschöpflichen Hilfsquellen des Staats keineswegs genügt. Es war dies ein Zeichen ihrer Schwäche; aber nicht ihrer Schwäche allein. Von Rechts wegen war der römische Statthalter verpflichtet, die Landstraßen rein zu halten und die aufgegriffenen Räuber, wenn es Sklaven waren, ans Kreuz schlagen zu lassen; natürlich, denn Sklavenwirtschaft ist nicht möglich ohne Schreckensregiment. Allein in dieser Zeit war in Sizilien wohl auch mitunter, wenn die Straßen allzu unsicher wurden, von dem Statthalter eine Razzia veranstaltet, aber um es mit den italischen Pflanzern nicht zu verderben, wurden die gefangenen Räuber von der Behörde in der Regel an ihre Herren zu gutfindender Bestrafung abgegeben; und diese Herren waren sparsame Leute, welche ihren Hirtenknechten, wenn sie Kleider begehrten, mit Prügel antworteten und mit der Frage, ob denn die Reisenden nackt durch das Land zögen. Die Folge solcher Konnivenz war denn, daß nach Überwältigung des Sklavenaufstandes der Konsul Publius Rupilius alles, was lebend in seine Hände kam, es heißt über 20000 Menschen, ans Kreuz schlagen ließ. Es war freilich nicht länger möglich, das Kapital zu schonen.

Unendlich schwerer zu gewinnende, freilich auch unendlich reichere Früchte verhieß die Fürsorge der Regierung für Hebung der freien Arbeit und folgeweise für Beschränkung des Sklavenproletariats. Leider geschah in dieser Beziehung schlechterdings gar nichts. In der ersten sozialen Krise hatte man gesetzlich dem Gutsherrn vorgeschrieben, eine nach der Zahl seiner Sklavenarbeiter abgemessene Anzahl freier Arbeiter zu verwenden. Jetzt ward auf Veranlassung der Regierung eine punische Schrift über den Landbau, ohne Zweifel eine Anweisung zur Plantagenwirtschaft nach karthagischer Art, zu Nutz und Frommen der italischen Spekulation ins Lateinische übersetzt -das erste und einzige Beispiel einer von dem römischen Senat veranlaßten literarischen Unternehmung! Dieselbe Tendenz offenbart sich in einer wichtigeren Angelegenheit oder vielmehr in der Lebensfrage für Rom, in dem Kolonisierungssystem. Es bedurfte nicht der Weisheit, nur der Erinnerung an den Verlauf der ersten sozialen Krise Roms, um zu begreifen, daß gegen ein agrikoles Proletariat die einzige ernstliche Abhilfe in einem umfassenden und regularisierten Emigrationssystem bestand, wozu die äußeren Verhältnisse Roms die günstigste Gelegenheit darboten. Bis gegen das Ende des sechsten Jahrhunderts hatte man in der Tat dem fortwährenden Zusammenschwinden des italischen Kleinbesitzes durch fortwährende Gründung neuer Bauernhufen entgegengewirkt. Es war dies zwar keineswegs in dem Maße geschehen, wie es hätte geschehen können und sollen; man hatte nicht bloß das seit alten Zeiten von Privaten okkupierte Domanialland nicht eingezogen, sondern auch weitere Okkupationen neugewonnenen Landes gestattet und andere sehr wichtige Erwerbungen, wie namentlich das Gebiet von Capua, zwar nicht der Okkupation preisgegeben, aber doch auch nicht zur Verteilung gebracht, sondern als nutzbare Domäne verwertet. Dennoch hatte die Landanweisung segensreich gewirkt, vielen der Notleidenden Hilfe und allen Hoffnung gegeben. Allein, nach der Gründung von Luna (577 177) findet sich, außer der vereinzelt stehenden Anlage der picenischen Kolonie Auximum (Osimo) im Jahre 597 (157), von weiteren Landanweisungen auf lange hinaus keine Spur. Die Ursache ist einfach. Da seit der Besiegung der Boier und Apuaner außer den wenig lockenden ligurischen Tälern neues Gebiet in Italien nicht gewonnen ward, war daselbst kein anderes Land zu verteilen als das verpachtete oder okkupierte Domanialland, dessen Antastung der Aristokratie begreiflicherweise jetzt ebensowenig genehm war wie vor dreihundert Jahren. Das außerhalb Italien! gewonnene Gebiet zur Verteilung zu bringen, schien aber aus politischen Gründen unzulässig; Italien sollte das herrschende Land bleiben und die Scheidewand zwischen italischen Herren und dienenden Provinzialen nicht fallen. Wenn man nicht die Rücksichten der höheren Politik oder gar die Standesinteressen beiseite setzen wollte, blieb der Regierung nichts übrig, als dem Ruin des italischen Bauernstandes zuzusehen, und also geschah es. Die Kapitalisten fuhren fort, die kleinen Besitzer auszukaufen, auch wohl, wenn sie eigensinnig blieben, deren Äcker ohne Kaufbrief einzuziehen, wobei es begreiflich nicht immer gütlich abging – eine besonders beliebte Weise war es, dem Bauer, während er im Felde stand, Weib und Kinder vom Hofe zu stoßen und ihn mittels der Theorie der vollendeten Tatsache zur Nachgiebigkeit zu bringen. Die Gutsbesitzer fuhren fort, statt der freien Arbeiter sich vorwiegend der Sklaven zu bedienen, schon deshalb, weil diese nicht wie jene zum Kriegsdienst abgerufen werden konnten, und dadurch das freie Proletariat auf das gleiche Niveau des Elends mit der Sklavenschaft herabzudrücken. Sie fuhren fort, durch das spottwohlfeile sizilische Sklavenkorn das italische von dem hauptstädtischen Markt zu verdrängen und dasselbe auf der ganzen Halbinsel zu entwerten. In Etrurien hatte die alte einheimische Aristokratie im Bunde mit den römischen Kapitalisten schon im Jahre 520 (184) es so weit gebracht, daß es dort keinen freien Bauern mehr gab. Es konnte auf dem Markt der Hauptstadt laut gesagt werden, daß die Tiere ihr Lager hätten, den Bürgern aber nichts geblieben sei als Luft und Sonnenschein und daß die, welche die Herren der Welt hießen, keine Scholle mehr ihr eigen nennten. Den Kommentar zu diesen Worten lieferten die Zählungslisten der römischen Bürgerschaft. Vom Ende des Hannibalischen Krieges bis zum Jahre 595 (159) ist die Bürgerzahl in stetigem Steigen, wovon die Ursache wesentlich zu suchen ist in den fortdauernden und ansehnlichen Verteilungen von Domanialland; nach 595 (159), wo die Zählung 328000 waffenfähige Bürger ergab, zeigt sich dagegen ein regelmäßiges Sinken, indem sich die Liste im Jahre 600 (154) auf 324000, im Jahre 607 (147) auf 322000, im Jahre 623 (131) auf 319000 waffenfähige Bürger stellt – ein erschreckendes Ergebnis für eine Zeit tiefen inneren und äußeren Friedens. Wenn das so fortging, löste die Bürgerschaft sich auf in Pflanzer und Sklaven und konnte schließlich der römische Staat, wie es bei den Parthern geschah, seine Soldaten auf dem Sklavenmarkt kaufen.

So standen die äußeren und inneren Verhältnisse Roms, als der Staat eintrat in das siebente Jahrhundert seines Bestandes. Wohin man auch das Auge wandte, fiel es auf Mißbräuche und Verfall; jedem einsichtigen und wohlwollenden Mann mußte die Erwägung sich aufdrängen, ob denn hier nicht zu helfen und zu bessern sei. Es fehlte an solchen in Rom nicht; aber keiner schien mehr berufen zu dem großen Werk der politischen und sozialen Reform als der Lieblingssohn des Aemilius Paullus, der Adoptivenkel des großen Scipio, der dessen glorreichen Afrikanernamen nicht bloß kraft Erb-, sondern auch kraft eigenen Rechtes trug, Publius Cornelius Scipio Aemilianus Africanus (570-625 184-129). Gleich seinem Vater war er ein maßvoller, durch und durch gesunder Mann, nie krank am Körper und nie unsicher über den nächsten und notwendigen Entschluß. Schon in seiner Jugend hatte er sich ferngehalten von dem gewöhnlichen Treiben der politischen Anfänger, dem Antichambrieren in den Zimmern der vornehmen Senatoren und den gerichtlichen Deklamationen. Dagegen liebte er die Jagd – als Siebzehnjähriger hatte er, nachdem er den Feldzug gegen Perseus unter seinem Vater mit Auszeichnung mitgemacht hatte, als Belohnung dafür sich freie Pirsch in dem seit vier Jahren unberührten Wildhag der Könige von Makedonien erbeten – und vor allen Dingen wandte er gern seine Muße auf wissenschaftlichen und literarischen Genuß. Durch die Fürsorge seines Vaters war er früh in diejenige echte griechische Bildung eingeführt worden, welche über das geschmacklose Hellenisieren der gemeinen Halbbildung hinaushob; durch seine ernste und treffende Würdigung des Echten und des Schlechten in dem griechischen Wesen und durch sein adliges Auftreten imponierte dieser Römer den Höfen des Ostens, ja sogar den spottlustigen Alexandrinern. Seinen Hellenismus erkannte man vor allem in der feinen Ironie seiner Rede und in seinem klassisch reinen Latein. Obwohl nicht eigentlich Schriftsteller, zeichnete er doch wie Cato seine politischen Reden auf – sie wurden gleich den Briefen seiner Adoptivschwester, der Mutter der Gracchen, von den späteren Literatoren als Meisterstücke mustergültiger Prosa geschätzt – und zog mit Vorliebe die besseren griechischen und römischen Literaten in seinen Kreis, welcher plebejische Umgang ihm freilich nicht wenig verdacht ward von denjenigen Kollegen im Senat, die auf ihre edle Geburt als einzige Auszeichnung angewiesen waren. Ein sittlich fester und zuverlässiger Mann, galt sein Wort bei Freund und Feind; er mied Bauten und Spekulationen und lebte einfach; dafür handelte er in Geldangelegenheiten nicht bloß ehrlich und uneigennützig, sondern auch mit einer dem kaufmännischen Sinn seiner Zeitgenossen seltsam dünkenden Zartheit und Liberalität. Er war ein tüchtiger Soldat und Offizier; aus dem Afrikanischen Krieg brachte er den Ehrenkranz heim, der wegen Rettung gefährdeter Bürger mit eigener Lebensgefahr erteilt zu werden pflegte, und beendete den Krieg als Feldherr, den er als Offizier begonnen hatte; an wirklich schwierigen Aufgaben sein Feldherrngeschick zu erproben, boten die Umstände ihm keine Gelegenheit. Scipio war so wenig wie sein Vater eine geniale Natur – davon zeugt schon seine Vorliebe für Xenophon, den nüchternen Militär und korrekten Schriftsteller –, aber ein rechter und echter Mann, der vor andern berufen schien, dem beginnenden Verfall durch organische Reformen zu wehren. Um so bezeichnender ist es, daß er es nicht versucht hat. Zwar half er, wo und wie er konnte, Mißbräuche abstellen und verhindern und arbeitete namentlich hin auf Verbesserung der Rechtspflege. Hauptsächlich durch seinen Beistand vermochte Lucius Cassius, ein tüchtiger Mann von altväterischer Strenge und Ehrenhaftigkeit, gegen den heftigsten Widerstand der Optimaten, sein Stimmgesetz durchzubringen, welches für die noch immer den wichtigsten Teil der Kriminaljurisdiktion umfassenden Volksgerichte die geheime Abstimmung einführte. Ebenso zog er, der die Knabenanklagen nicht hatte mitmachen mögen, in seinen reifen Jahren selbst mehrere der schuldigsten Männer der Aristokratie vor die Gerichte. In gleichem Geiste hat er als Feldherr vor Karthago und vor Numantia die Weiber und die Pfaffen zu den Toren des Lagers hinausgejagt und das Soldatengesindel wieder zurück gezwungen unter den eisernen Druck der alten Heereszucht, als Zensor (612 142) unter der vornehmen Welt der glattkinnigen Manschettenträger aufgeräumt und mit ernsten Worten die Bürgerschaft ermahnt, an den rechtschaffenen Sitten der Väter treulich zu halten. Aber niemand, und er selber am wenigsten, konnte es verkennen, daß die Verschärfung der Rechtspflege und das vereinzelte Dazwischenfahren nicht einmal Anfänge waren zur Heilung der organischen Übel, an denen der Staat krankte. An diese hat Scipio nicht gerührt. Gaius Laelius (Konsul 614 140), Scipios älterer Freund und sein politischer Lehrmeister und Vertrauter, hatte den Plan gefaßt, die Einziehung des unvergebenen, aber vorläufig okkupierten italischen Domaniallandes vorzuschlagen und durch dessen Aufteilung der zusehends verfallenden italischen Bauernschaft Hilfe zu bringen; allein er stand von dem Vorschlag ab, als er sah, welchen Sturm er zu erregen im Begriff war, und ward fortan „der Verständige“ genannt. Auch Scipio dachte also. Er war von der Größe des Übels völlig durchdrungen und griff, wo er nur sich selber wagte, mit ehrenwertem Mut ohne Ansehen der Person rücksichtslos an und durch; allein er hatte sich auch überzeugt, daß dem Lande nur zu helfen sei um den Preis derselben Revolution, die im vierten und fünften Jahrhundert aus der Reformfrage sich entsponnen hatte, und ihm schien, mit Recht oder mit Unrecht, das Heilmittel schlimmer als das Übel. So stand er mit dem kleinen Kreis seiner Freunde zwischen den Aristokraten, die ihm seine Befürwortung des Cassischen Gesetzes nie verziehen, und den Demokraten, denen er doch auch nicht genügte noch genügen wollte, während seines Lebens einsam, nach seinem Tode gefeiert von beiden Parteien, bald als Vormann der Aristokratie, bald als Begünstiger der Reform. Bis auf seine Zeit hatten die Zensoren bei der Niederlegung ihres Amtes die Götter angerufen, dem Staat größere Macht und Herrlichkeit zu verleihen; der Zensor Scipio betete, daß sie geneigen möchten, den Staat zu erhalten. Sein ganzes Glaubensbekenntnis liegt in dem schmerzlichen Ausruf.

Aber wo der Mann verzagte, der zweimal das römische Heer aus tiefem Verfall zum Siege geführt hatte, da getraute sich ein tatenloser Jüngling, zum Retter Italiens sich aufzuwerfen. Er hieß Tiberius Sempronius Gracchus (591-621 163-133). Sein gleichnamiger Vater (Konsul 577, 591; Zensor 585 177, 163;169) war das rechte Musterbild eines römischen Aristokraten. Die glänzende, nicht ohne Bedrückung der abhängigen Gemeinden zuwege gebrachte Pracht seiner ädilizischen Spiele hatte ihm schweren und verdienten Tadel vom Senat zugezogen, während er durch sein Einschreiten in dem leidigen Prozeß gegen die persönlich ihm verfeindeten Scipionen sein ritterliches und wohl auch sein Standesgefühl, durch sein energisches Auftreten gegen die Freigelassenen in seiner Zensur seine konservative Gesinnung betätigte und als Statthalter der Ebroprovinz durch Tapferkeit und vor allem durch Gerechtigkeit sich um sein Vaterland ein bleibendes Verdienst und zugleich in den Gemütern der unterworfenen Nation ein dauerndes Gedächtnis in Ehrfurcht und Liebe erwarb.

Seine Mutter Cornelia war die Tochter des Siegers von Zama, welcher ebenjenes hochherzigen Dazwischentretens wegen den bisherigen Gegner sich zum Schwiegersohn erkoren hatte, sie selbst eine hochgebildete und bedeutende Frau, die nach dem Tode ihres viel älteren Gemahls die Hand des Königs von Ägypten zurückgewiesen hatte und im Andenken an den Gemahl und den Vater die drei ihr gebliebenen Kinder erzog. Der ältere von den beiden Söhnen, Tiberius, war eine gute und sittliche Natur, sanften Blicks und ruhigen Wesens, wie es schien, zu allem andern eher bestimmt als zum Agitator der Massen. Mit allen seinen Beziehungen und Anschauungen gehörte er dem Scipionischen Kreise an, dessen feine griechische und nationale Durchbildung er und seine Geschwister teilten. Scipio Aemilianus war zugleich sein Vetter und seiner Schwester Gemahl; unter ihm hatte Tiberius als Achtzehnjähriger die Erstürmung Karthagos mitgemacht und durch seine Tapferkeit das Lob des strengen Feldherrn und kriegerische Auszeichnungen erworben. Daß der tüchtige junge Mann die Anschauungen über den Verfall des Staats an Haupt und Gliedern, wie sie in diesem Kreise gangbar waren, die Gedanken namentlich über die Hebung des italischen Bauernstandes mit aller Lebendigkeit und allem Rigorismus der Jugend in sich aufnahm und steigerte, ist begreiflich; waren es doch nicht bloß die jungen Leute, denen das Zurückweichen des Laelius vor der Durchführung seiner Reformideen nicht verständig erschien, sondern schwach. Appius Claudius, der gewesene Konsul (611 143) und Zensor (618 136), einer der angesehensten Männer des Senats, tadelte mit all der gewaltsamen Leidenschaftlichkeit, die in dem Geschlecht der Claudier erblich war und blieb, daß der Scipionische Kreis den Plan der Domänenaufteilung so rasch wieder habe fallen lassen; um so bitterer, wie es scheint, weil er mit Scipio Aemilianus bei der Bewerbung um die Zensur in persönliche Konflikte gekommen war. Ebenso sprach Publius Crassus Mucianus sich aus, der derzeitige Oberpontifex, als Mensch und Rechtsgelehrter im Senat wie in der Bürgerschaft allgemein verehrt. Sogar dessen Bruder Publius Mucius Scaevola, der Begründer der wissenschaftlichen Jurisprudenz in Rom, schien dem Reformplan nicht abgeneigt, und seine Stimme war von um so größerem Gewicht, als er gewissermaßen außerhalb der Parteien stand. Ähnlich dachte Quintus Metellus, der Überwinder Makedoniens und der Achäer, mehr aber noch als seiner Kriegstaten halber geachtet als ein Muster alter Zucht und Sitte in seinem häuslichen wie in seinem öffentlichen Leben. Tiberius Gracchus stand diesen Männern nahe, namentlich dem Appius, dessen Tochter er, und dem Mucianus, dessen Tochter sein Bruder zum Weib genommen hatte; es war kein Wunder, daß der Gedanke sich in ihm regte, den Reformplan selber wiederaufzunehmen, sobald er sich in einer Stellung befinden werde, die ihm verfassungsmäßig die Initiative gestatte. Persönliche Motive mochten ihn hierin bestärken. Der Friedensvertrag, den Mancinus 617 (147) mit den Numantinern abschloß, war wesentlich Gracchus‘ Werk; daß der Senat ihn kassiert hatte, daß der Feldherr deswegen den Feinden ausgeliefert worden und Gracchus mit den übrigen höheren Offizieren dem gleichen Schicksal nur durch die größere Gunst, deren er bei der Bürgerschaft genoß, entgangen war, konnte den jungen rechtschaffenen und stolzen Mann nicht milder stimmen gegen die herrschende Aristokratie. Die hellenischen Rhetoren, mit denen er gern philosophierte und politisierte, der Mytilenäer Diophanes, der Kymäer Gaius Blossius, nährten in seiner Seele die Ideale, mit denen er sich trug; als seine Absichten in weiteren Kreisen bekannt wurden, fehlte es nicht an billigenden Stimmen, und mancher öffentliche Anschlag forderte den Enkel des Afrikaners auf, des armen Volkes, der Rettung Italiens zu gedenken.

Am 10. Dezember 620 (134) übernahm Tiberius Gracchus das Volkstribunat. Die entsetzlichen Folgen der bisherigen Mißregierung, der politische, militärische, ökonomische, sittliche Verfall der Bürgerschaft lagen eben damals nackt und bloß jedermann vor Augen. Von den beiden Konsuln dieses Jahres focht der eine ohne Erfolg in Sizilien gegen die aufständischen Sklaven und war der andere, Scipio Aemilianus, seit Monaten beschäftigt, eine kleine spanische Landstadt nicht zu besiegen, sondern zu erdrücken. Wenn es noch einer besonderen Aufforderung bedurfte, um Gracchus‘ Entschluß zur Tat werden zu lassen, sie lag in diesen, jedes Patrioten Gemüt mit unnennbarer Angst erfüllenden Zuständen. Sein Schwiegervater versprach Beistand mit Rat und Tat, man durfte hoffen auf die Unterstützung des Juristen Scaevola, der kurz vorher zum Konsul für 621 (133) erwählt worden war. So beantragte Gracchus gleich nach Antritt seines Amtes die Erlassung eines Ackergesetzes, das in gewissem Sinn nichts war als eine Erneuerung des Licinisch-Sextischen vom Jahre 387 der Stadt (367). Es sollten danach die sämtlichen okkupierten und von den Inhabern ohne Entgelt benutzten Staatsländereien – die verpachteten, wie zum Beispiel das Gebiet von Capua, berührte das Gesetz nicht – von Staats wegen eingezogen werden, jedoch mit der Beschränkung, daß der einzelne Okkupant für sich 500 und für jeden Sohn 250, im ganzen jedoch nicht über 1000 Morgen zu bleibendem und garantiertem Besitz solle behalten oder dafür Ersatz in Land in Anspruch nehmen dürfen. Für etwaige, von den bisherigen Inhabern vorgenommene Verbesserungen, wie Gebäude und Pflanzungen, scheint man Entschädigung bewilligt zu haben. Das also eingezogene Domanialland sollte in Lose von 30 Morgen zerschlagen und diese teils an Bürger, teils an italische Bundesgenossen verteilt werden, nicht als freies Eigentum, sondern als unveräußerliche Erbpacht, deren Inhaber das Land zum Feldbau zu benutzen und eine mäßige Rente an die Staatskasse zu zahlen sich verpflichteten. Ein Kollegium von drei Männern, die als ordentliche und stehende Beamte der Gemeinde angesehen und jährlich von der Volksversammlung gewählt wurden, ward mit dem Einziehungs- und Aufteilungsgeschäft beauftragt, wozu später noch der wichtige und schwierige Auftrag kam, rechtlich festzustellen, was Domanialland und was Privateigentum sei. Die Aufteilung war demnach angelegt als auf unbestimmte Zeit fortgehend, bis daß die sehr ausgedehnten und schwer festzustellenden italischen Domänen reguliert sein würden. Mit dem Licinisch-Sextischen Gesetz verglichen waren neu in dem Sempronischen Ackergesetz teils die Klausel zu Gunsten der beerbten Besitzer, teils die für die neuen Landstellen beantragte Erbpachtgutsqualität und Unveräußerlichkeit, teils und vor allem die regulierte und dauernde Exekutive, deren Fehlen in dem älteren Gesetz hauptsächlich bewirkt hatte, daß dasselbe ohne nachhaltige praktische Anwendung geblieben war.

Den großen Grundbesitzern, die jetzt wie vor drei Jahrhunderten ihren wesentlichen Ausdruck fanden im Senat, war also der Krieg erklärt, und seit langem zum erstenmal stand wieder einmal ein einzelner Beamter in ernsthafter Opposition gegen die aristokratische Regierung. Sie nahm den Kampf auf in der für solche Fälle hergebrachten Weise, die Ausschreitungen des Beamtentums durch dieses selbst zu paralysieren. Ein Kollege des Gracchus, Marcus Octavius, ein entschlossener und von der Verwerflichkeit des beantragten Domanialgesetzes ernstlich überzeugter Mann, tat Einspruch, als dasselbe zur Abstimmung gebracht werden sollte; womit verfassungsmäßig der Antrag beseitigt war. Gracchus sistierte nun seinerseits die Staatsgeschäfte und die Rechtspflege und legte seine Siegel auf die öffentlichen Kassen; man nahm es hin – es war unbequem, aber das Jahr ging ja doch auch zu Ende. Gracchus, ratlos, brachte sein Gesetz zum zweitenmal zur Abstimmung; natürlich wiederholte Octavius seinen Einspruch, und auf die flehentliche Bitte seines Kollegen und bisherigen Freundes, ihm die Rettung Italiens nicht zu wehren, mochte er erwidern, daß darüber, wie Italien gerettet werden könne, eben die Ansichten verschieden, sein verfassungsmäßiges Recht aber, gegen den Antrag des Kollegen seines Veto sich zu bedienen, außer allem Zweifel sei. Der Senat machte jetzt den Versuch, Gracchus einen leidlichen Rückzug zu eröffnen; zwei Konsulare forderten ihn auf, die Angelegenheit in der Kurie weiterzuverhandeln, und eifrig ging der Tribun hierauf ein. Er suchte in diesen Antrag hineinzulegen, daß der Senat damit die Domanialaufteilung im Prinzip zugestanden habe; allein weder lag dies darin, noch war der Senat irgend geneigt, in der Sache nachzugeben; die Verhandlungen endigten ohne jedes Resultat. Die verfassungsmäßigen Wege waren erschöpft. In früheren Zeiten hatte man unter solchen Verhältnissen es sich nicht verdrießen lassen, den gestellten Antrag für dies Jahr zur Ruhe zu legen, aber in jedem folgenden ihn wiederaufzunehmen, bis der Ernst des Forderns und der Druck der öffentlichen Meinung den Widerstand brachen. Jetzt lebte man rascher. Gracchus schien auf dem Punkte angelangt, wo er entweder auf die Reform überhaupt verzichten oder die Revolution beginnen mußte; er tat das letztere, indem er mit der Erklärung vor die Bürgerschaft trat, daß entweder er oder Octavius aus dem Kollegium ausscheiden müsse, und diesem ansann, die Bürger darüber abstimmen zu lassen, welchen von ihnen sie entlassen wollten. Octavius weigerte sich natürlich, auf diesen wunderlichen Zweikampf einzugehen; die Interzession war eben dazu da, solchen Meinungsverschiedenheiten der Kollegen Raum zu gewähren. Da brach Gracchus die Verhandlung mit dem Kollegen ab und wandte sich an die versammelte Menge mit der Frage, ob nicht der Volkstribun, der dem Volk zuwiderhandle, sein Amt verwirkt habe; und die Versammlung, längst gewohnt, zu allen an sie gebrachten Anträgen ja zu sagen und größtenteils zusammengesetzt aus dem vom Lande hereingeströmten und bei der Durchführung des Gesetzes persönlich interessierten agrikolen Proletariat, bejahte fast einstimmig die Frage. Marcus Octavius ward auf Gracchus‘ Befehl durch die Gerichtsdiener von der Tribunenbank entfernt und hierauf unter allgemeinem Jubel das Ackergesetz durchgebracht und die ersten Teilungsherren ernannt. Die Stimmen fielen auf den Urheber des Gesetzes nebst seinem erst zwanzigjährigen Bruder Gaius und seinem Schwiegervater Appius Claudius. Eine solche Familienwahl steigerte die Erbitterung der Aristokratie. Als die neuen Beamten sich wie üblich an den Senat wandten, um ihre Ausstattungs- und Taggelder angewiesen zu erhalten, wurden jene verweigert und ein Taggeld angewiesen von 24 Assen (10 Groschen). Die Fehde griff immer weiter um sich und ward immer gehässiger und persönlicher. Das schwierige und verwickelte Geschäft der Abgrenzung, Einziehung und Aufteilung der Domänen trug den Hader in jede Bürgergemeinde, ja selbst in die verbündeten italischen Städte. Die Aristokratie hatte es kein Hehl, daß sie das Gesetz vielleicht, weil sie müsse, sich gefallen lassen, der unberufene Gesetzgeber aber ihrer Rache nimmermehr entgehen werde; und die Ankündigung des Quintus Pompeius, daß er den Gracchus an demselben Tage, wo er das Tribunat niederlege, in Anklagestand versetzen werde, war unter den Drohungen, die gegen den Tribun fielen, noch bei weitem nicht die schlimmste. Gracchus glaubte, wahrscheinlich mit Recht, seine persönliche Sicherheit bedroht und erschien auf dem Markt nicht mehr ohne eine Gefolge von drei- bis viertausend Menschen, worüber er selbst von dem der Reform an sich nicht abgeneigten Metellus im Senat bittere Worte hören wußte. Überhaupt, wenn er gemeint hatte, mit Durchbringung seines Ackergesetzes am Ziele zu sein, so hatte er jetzt zu lernen, daß er erst am Anfang stand. Das „Volk“ war ihm zu Dank verpflichtet; aber er war ein verlorener Mann, wenn er keinen anderen Schirm mehr hatte als diese Dankbarkeit des Volkes, wenn er demselben nicht unentbehrlich blieb und durch andere und weitergreifende Vorschläge neue und immer neue Interessen und Hoffnungen an sich knüpfte. Ebendamals war durch das Testament des letzten Königs von Pergamon den Römern Reich und Vermögen der Attaliden zugefallen; Gracchus beantragte bei dem Volk, den pergamenischen Schatz unter die neuen Landbesitzer zur Anschaffung des erforderlichen Beschlags zu verteilen und vindizierte überhaupt, gegen die bestehende Übung, der Bürgerschaft das Recht, über die neue Provinz definitiv zu entscheiden. Weitere populäre Gesetze, über Abkürzung der Dienstzeit, über Ausdehnung des Provokationsrechts, über die Aufhebung des Vorrechts der Senatoren, ausschließlich als Zivilgeschworene zu fungieren, sogar über die Aufnahme der italischen Bundesgenossen in den römischen Bürgerverband, soll er vorbereitet haben; wie weit seine Entwürfe in der Tat gereicht haben, läßt sich nicht entscheiden, gewiß ist nur, daß Gracchus seine einzige Rettung darin sah, das Amt, das ihn schützte, von der Bürgerschaft auf ein zweites Jahr verliehen zu erhalten, und daß er, um diese verfassungswidrige Verlängerung zu bewirken, weitere Reformen in Aussicht stellte. Hatte er anfangs sich eingesetzt, um das Gemeinwesen zu retten, so wußte er jetzt schon, um sich zu retten, das Gemeinwesen aufs Spiel setzen. Die Bezirke traten zusammen zur Wahl der Tribunen für das nächste Jahr, und die ersten Abteilungen gaben ihre Stimmen für Gracchus; aber die Gegenpartei drang mit ihrem Einspruch schließlich wenigstens insoweit durch, daß die Versammlung unverrichteter Sache aufgelöst und die Entscheidung auf den folgenden Tag verschoben ward. Für diesen setzte Gracchus alle Mittel in Bewegung, erlaubte und unerlaubte: er zeigte sich dem Volke im Trauergewand und empfahl ihm seinen unmündigen Knaben; für den Fall, daß die Wahl abermals durch Einspruch gestört werden würde, traf er Vorkehrungen, den Anhang der Aristokratie mit Gewalt von dem Versammlungsplatz vor dem Kapitolinischen Tempel zu vertreiben. So kam der zweite Wahltag heran; die Stimmen fielen wie an dem vorhergehenden und wieder erfolgte der Einspruch; der Auflauf begann. Die Bürger zerstreuten sich; die Wahlversammlung war faktisch aufgehoben; der Kapitolinische Tempel ward geschlossen; man erzählte sich in der Stadt, bald daß Tiberius die sämtlichen Tribunen abgesetzt habe, bald daß er ohne Wiederwahl sein Amt fortzuführen entschlossen sei. Der Senat versammelte sich im Tempel der Treue, hart bei dem Jupitertempel; die erbittertsten Gegner des Gracchus führten in der Sitzung das Wort; als Tiberius die Hand nach der Stirn bewegte, um in dem wilden Getümmel dem Volke zu erkennen zu geben, daß sein Leben bedroht sei, hieß es, er fordere schon die Leute auf, sein Haupt mit der königlichen Binde zu schmücken. Der Konsul Scaevola ward angegangen, den Hochverräter sofort töten zu lassen; als der gemäßigte, der Reform an sich keineswegs abgeneigte Mann das ebenso unsinnige wie barbarische Begehren unwillig zurückwies, rief der Konsular Publius Scipio Nasica, ein harter und leidenschaftlicher Aristokrat, die Gleichgesinnten auf, sich zu bewaffnen, wie sie könnten, und ihm zu folgen. Von den Landleuten war zu den Wahlen fast niemand in die Stadt gekommen; das Stadtvolk wich scheu auseinander, als es die vornehmen Männer mit Stuhlbeinen und Knütteln in den Händen zornigen Auges heranstürmen sah; Gracchus versuchte, von wenigen begleitet, zu entkommen. Aber er stürzte auf der Flucht am Abhang des Kapitols und ward von einem der Wütenden – Publius Satureius und Lucius Rufus stritten sich später um die Henkerehre – vor den Bildsäulen der sieben Könige am Tempel der Treue durch einen Knüttelschlag auf die Schläfe getötet; mit ihm dreihundert andere Männer, keiner durch Eisenwaffen. Als es Abend geworden war, wurden die Körper in den Tiberfluß gestürzt; vergebens bat Gaius, ihm die Leiche seines Bruders zur Bestattung zu vergönnen. Solch einen Tag hatte Rom noch nicht erlebt. Der mehr als hundertjährige Hader der Parteien während der ersten sozialen Krise hatte zu keiner Katastrophe geführt, wie diejenige war, mit der die zweite begann. Auch den besseren Teil der Aristokratie mochte schaudern; indes man konnte nicht mehr zurück. Man hatte nur die Wahl, eine große Zahl der zuverlässigsten Parteigenossen der Rache der Menge preiszugeben oder die Verantwortung der Untat auf die Gesamtheit zu übernehmen; das letztere geschah. Man hielt offiziell daran fest, daß Gracchus die Krone habe nehmen wollen, und rechtfertigte diesen neuesten Frevel mit dem uralten des Ahala; ja man überwies sogar die weitere Untersuchung gegen Gracchus‘ Mitschuldige einer besonderen Kommission und ließ deren Vormann, den Konsul Publius Popillius, dafür sorgen, daß durch Blutsentenzen gegen eine große Anzahl geringer Leute der Bluttat gegen Gracchus nachträglich eine Art rechtlichen Gepräges aufgedrückt ward (622 132). Nasica, gegen den vor allen anderen die Menge Rache schnaubte und der wenigstens den Mut hatte, sich offen vor dem Volke zu seiner Tat zu bekennen und sie zu vertreten, ward unter ehrenvollen Vorwänden nach Asien gesandt und bald darauf (624 130) abwesend mit dem Oberpontifikat bekleidet. Auch die gemäßigte Partei trennte sich hierin nicht von ihren Kollegen. Gaius Laelius beteiligte sich bei den Untersuchungen gegen die Gracchaner; Publius Scaevola, der die Ermordung zu verhindern gesucht hatte, verteidigte sie später im Senat; als Scipio Aemilianus nach seiner Rückkehr aus Spanien (622 132) aufgefordert ward, sich öffentlich darüber zu erklären, ob er die Tötung seines Schwagers billige oder nicht, gab er die wenigstens zweideutige Antwort, daß, wofern er nach der Krone getrachtet habe, er mit Recht getötet worden sei.

Versuchen wir über diese folgenreichen Ereignisse zu einem Urteil zu gelangen. Die Einrichtung eines Beamtenkollegiums, das dem gefährlichen Zusammenschwinden der Bauernschaft durch umfassende Gründung neuer Kleinstellen aus dem gesamten, dem Staat zur Verfügung stehenden italischen Grundbesitz entgegenzuwirken hatte, war freilich kein Zeichen eines gesunden volkswirtschaftlichen Zustandes, aber unter den obwaltenden politischen und sozialen Verhältnissen zweckmäßig. Die Aufteilung der Domänen ferner war an sich keine politische Parteifrage; sie konnte bis auf die letzte Scholle durchgeführt werden, ohne daß die bestehende Verfassung geändert, das Regiment der Aristokratie irgend erschüttert ward. Ebensowenig konnte hier von einer Rechtsverletzung die Rede sein. Anerkanntermaßen war der Eigentümer des okkupierten Landes der Staat; der Inhaber konnte als bloß geduldeter Besitzer in der Regel nicht einmal den gutgläubigen Eigentumsbesitz sich zuschreiben, und wo er ausnahmsweise es konnte, stand ihm entgegen, daß gegen den Staat nach römischem Landrecht die Verjährung nicht lief. Die Domänenaufteilung war keine Aufhebung, sondern eine Ausübung des Eigentums; über die formelle Rechtsbeständigkeit derselben waren alle Juristen einig. Allein damit, daß die Domänenaufteilung weder der bestehenden Verfassung Eintrag tat noch eine Rechtsverletzung in sich schloß, war der Versuch, diese Rechtsansprüche des Staats jetzt durchzuführen, politisch noch keineswegs gerechtfertigt. Was man wohl in unsern Tagen erinnert hat, wenn ein großer Grundherr rechtlich ihm zustehende, aber tatsächlich seit langen Jahren nicht erhobene Ansprüche plötzlich in ihrem ganzen Umfang geltend zu machen beginnt, konnte mit gleichem und besserem Rechte auch gegen die Gracchische Rogation eingewendet werden. Unleugbar hatten diese okkupierten Domänen zum Teil seit dreihundert Jahren sich in erblichem Privatbesitz befunden; das Bodeneigentum des Staats, das seiner Natur nach überhaupt leichter als das des Bürgers den privatrechtlichen Charakter verliert, war an diesen Grundstücken so gut wie verschollen und die jetzigen Inhaber durchgängig durch Kauf oder sonstigen lästigen Erwerb zu diesen Besitzungen gelangt. Der Jurist mochte sagen was er wollte; den Geschäftsleuten erschien die Maßregel als eine Expropriation der großen Grundbesitzer zum Besten des agrikolen Proletariats; und in der Tat konnte auch kein Staatsmann sie anders bezeichnen. Daß die leitenden Männer der catonischen Epoche nicht anders geurteilt hatten, zeigt sehr klar die Behandlung eines ähnlichen, zu ihrer Zeit vorgekommenen Falles. Das im Jahre 543 (211) zur Domäne geschlagene Gebiet von Capua und den Nachbarstädten war in den folgenden unruhigen Zeiten tatsächlich größtenteils in Privatbesitz übergegangen. In den letzten Jahren des sechsten Jahrhunderts, wo man vielfältig, besonders durch Catos Einfluß bestimmt, die Zügel des Regiments wieder straffer anzog, beschloß die Bürgerschaft, das campanische Gebiet wieder an sich zu nehmen und zum Besten des Staatsschatzes zu verpachten (582 172). Dieser Besitz beruhte auf einer nicht durch vorgängige Aufforderung, sondern höchstens durch Konnivenz der Behörden gerechtfertigten und nirgends viel über ein Menschenalter hinaus fortgesetzten Okkupation; dennoch wurden die Inhaber nicht anders als gegen eine im Auftrag des Senats von dem Stadtprätor Publius Lentulus ausgeworfene Entschädigungssumme aus dem Besitz gesetzt (ca. 589 165)20. Weniger bedenklich vielleicht, aber doch auch nicht unbedenklich war es, daß für die neuen Landlose Erbpachtqualität und Unveräußerlichkeit festgestellt ward. Die liberalsten Grundsätze in bezug auf die Verkehrsfreiheit hatten Rom groß gemacht, und es vertrug sich sehr wenig mit dem Geist der römischen Institutionen, daß diese neuen Bauern von oben herab angehalten wurden, ihr Grundstück in einer bestimmten Weise zu bewirtschaften, und daß für dasselbe Retraktrechte und alle der Verkehrsbeschränkung anhängenden Einschnürungsmaßregeln festgestellt wurden.

Man wird einräumen, daß diese Einwürfe gegen das Sempronische Ackergesetz nicht leicht wogen. Dennoch entscheiden sie nicht. Jene tatsächliche Expropriation der Domänenbesitzer war sicher ein großes Übel; aber sie war dennoch das einzige Mittel, um einem noch viel größeren, ja den Staat geradezu vernichtenden, dem Untergang des italischen Bauernstandes, wenigstens auf lange hinaus zu steuern. Darum begreift man es wohl, warum die ausgezeichnetsten und patriotischsten Männer auch der konservativen Partei, an ihrer Spitze Gaius Laelius und Scipio Aemilianus, die Domänenaufteilung an sich billigten und wünschten.

Aber wenn der Zweck des Tiberius Gracchus wohl der großen Majorität der einsichtigen Vaterlandsfreunde gut und heilsam erschienen ist, so hat dagegen der Weg, den er einschlug, keines einzigen nennenswerten und patriotischen Mannes Billigung gefunden und finden können. Rom wurde um diese Zeit regiert durch den Senat. Wer gegen die Majorität des Senats eine Verwaltungsmaßregel durchsetzte, der machte Revolution. Es war Revolution gegen den Geist der Verfassung, als Gracchus die Domänenfrage vor das Volk brachte; Revolution auch gegen den Buchstaben, als er das Korrektiv der Staatsmaschine, durch welches der Senat die Eingriffe in sein Regiment verfassungsmäßig beseitigte, die tribunizische Interzession durch die mit unwürdiger Sophistik gerechtfertigte Absetzung seines Kollegen nicht bloß für jetzt, sondern für alle Folgezeit zerstörte. Indes nicht hierin liegt die sittliche und politische Verkehrtheit von Gracchus‘ Tun. Für die Geschichte gibt es keine Hochverratsparagraphen; wer eine Macht im Staat zum Kampf aufruft gegen die andere, der ist gewiß ein Revolutionär, aber vielleicht zugleich ein einsichtiger und preiswürdiger Staatsmann. Der wesentliche Fehler der Gracchischen Revolution liegt in einer nur zu oft übersehenen Tatsache: in der Beschaffenheit der damaligen Bürgerversammlungen. Das Ackergesetz des Spurius Cassius und das des Tiberius Gracchus hatten in der Hauptsache denselben Inhalt und denselben Zweck; dennoch war das Beginnen beider Männer nicht weniger verschieden als die ehemalige römische Bürgerschaft, welche mit den Latinern und Hernikern die Volskerbeute teilte, und die jetzige, die die Provinzen Asia und Africa einrichten ließ. Jene war eine städtische Gemeinde, die zusammentreten und zusammen handeln konnte; diese ein großer Staat, dessen Angehörige in einer und derselben Urversammlung zu vereinigen und diese Versammlung entscheiden zu lassen ein ebenso klägliches wie lächerliches Resultat gab. Es rächte sich hier der Grundfehler der Politie des Altertums, daß sie nie vollständig von der städtischen zur staatlichen Verfassung oder, was dasselbe ist, von dem System der Urversammlungen zum parlamentarischen fortgeschritten ist. Die souveräne Versammlung Roms war, was die souveräne Versammlung in England sein würde, wenn statt der Abgeordneten die sämtlichen Wähler Englands zum Parlament zusammentreten wollten: eine ungeschlachte, von allen Interessen und allen Leidenschaften wüst bewegte Masse, in der die Intelligenz spurlos verschwand; eine Masse, die weder die Verhältnisse zu übersehen noch auch nur einen eigenen Entschluß zu fassen vermochte; eine Masse vor allem, in welcher, von seltenen Ausnahmefällen abgesehen, unter dem Namen der Bürgerschaft ein paar hundert oder tausend von den Gassen der Hauptstadt zufällig aufgegriffene Individuen handelten und stimmten. Die Bürgerschaft fand sich in den Bezirken wie in den Hundertschaften durch ihre faktischen Repräsentanten in der Regel ungefähr ebenso genügend vertreten wie in den Kurien durch die daselbst von Rechts wegen sie repräsentierenden dreißig Gerichtsdiener; und eben wie der sogenannte Kurienbeschluß nichts war als ein Beschluß desjenigen Magistrats, der die Gerichtsdiener zusammenrief, so war auch der Tribus- und Zenturienbeschluß in dieser Zeit wesentlich nichts als ein durch einige obligate Jaherren legalisierter Beschluß des vorschlagenden Beamten. Wenn aber in diesen Stimmversammlungen, den Komitien, sowenig man es auch mit der Qualifikation genau nahm, im ganzen doch nur Bürger erschienen, so war dagegen in den bloßen Volksversammlungen, den Kontionen, platz- und schreiberechtigt, was nur zwei Beine hatte, Ägypter und Juden, Gassenbuben und Sklaven. In den Augen des Gesetzes bedeutete allerdings ein solches Meeting nichts; es konnte nicht abstimmen noch beschließen. Allein tatsächlich beherrschte dasselbe die Gasse und schon war die Gassenmeinung eine Macht in Rom und kam etwas darauf an, ob diese wüste Masse bei dem, was ihr mitgeteilt ward, schwieg oder schrie, ob sie klatschte und jubelte oder den Redner auspfiff und anheulte. Nicht viele hatten den Mut, die Haufen anzuherrschen, wie es Scipio Aemilianus tat, als sie wegen seiner Äußerung über den Tod seines Schwagers ihn auszischten: Ihr da, sprach er, denen Italien nicht Mutter ist sondern Stiefmutter, ihr habt zu schweigen! Und da sie noch lauter tobten: ihr meint doch nicht, daß ich die losgebunden fürchten werde, die ich in Ketten auf den Sklavenmarkt geschickt habe?

Daß man der verrosteten Maschine der Komitien sich für die Wahlen und für die Gesetzgebung bediente, war schon übel genug. Aber wenn man diesen Massen, zunächst den Komitien und faktisch auch den Kontionen, Eingriffe in die Verwaltung gestattete und dem Senat das Werkzeug zur Verhütung solcher Eingriffe aus den Händen wand; wenn man gar diese sogenannte Bürgerschaft aus dem gemeinen Säckel sich selber Äcker samt Zubehör dekretieren ließ; wenn man einem jeden, dem die Verhältnisse und sein Einfluß beim Proletariat die Gelegenheit gab, die Gassen auf einige Stunden zu beherrschen, die Möglichkeit eröffnete, seinen Projekten den legalen Stempel des souveränen Volkswillens aufzudrücken, so war man nicht am Anfang, sondern am Ende der Volksfreiheit, nicht bei der Demokratie angelangt, sondern bei der Monarchie. Darum hatten in der vorigen Periode Cato und seine Gesinnungsgenossen solche Fragen nie an die Bürgerschaft gebracht, sondern lediglich sie im Senat verhandelt. Darum bezeichnen Gracchus‘ Zeitgenossen, die Männer des Scipionischen Kreises, das Flaminische Ackergesetz von 522 (232), den ersten Schritt auf jener verhängnisvollen Bahn, als den Anfang des Verfalles der römischen Größe. Darum ließen dieselben den Urheber der Domanialteilung fallen und erblickten in seinem schrecklichen Ende gleichsam einen Damm gegen künftige ähnliche Versuche, während sie doch die von ihm durchgesetzte Domanialteilung selbst mit aller Energie festhielten und nutzten – so jammervoll standen die Dinge in Rom, daß redliche Patrioten in die grauenvolle Heuchelei hineingedrängt wurden, den Übeltäter preiszugeben und die Frucht der Übeltat sich anzueignen. Darum hatten auch die Gegner des Gracchus in gewissem Sinne nicht unrecht, als sie ihn beschuldigten, nach der Krone zu streben. Es ist für ihn viel mehr eine zweite Anklage als eine Rechtfertigung, daß dieser Gedanke ihm selber wahrscheinlich fremd war. Das aristokratische Regiment war so durchaus verderblich, daß der Bürger, der den Senat ab- und sich an dessen Stelle zu setzen vermochte, vielleicht dem Gemeinwesen mehr noch nützte, als er ihm schadete. Allein dieser kühne Spieler war Tiberius Gracchus nicht, sondern ein leidlich fähiger, durchaus wohlmeinender, konservativ patriotischer Mann, der eben nicht wußte, was er begann, der im besten Glauben, das Volk zu rufen, den Pöbel beschwor und nach der Krone griff, ohne selbst es zu wissen, bis die unerbittliche Konsequenz der Dinge ihn unaufhaltsam drängte in die demagogisch-tyrannische Bahn, bis mit der Familienkommission, den Eingriffen in das öffentliche Kassenwesen, den durch Not und Verzweiflung erpreßten weiteren „Reformen“, der Leibwache von der Gasse und den Straßengefechten der bedauernswerte Usurpator Schritt für Schritt sich und andern klarer hervortrat, bis endlich die entfesselten Geister der Revolution den unfähigen Beschwörer packten und verschlangen. Die ehrlose Schlächterei, durch die er endigte, richtet sich selber, wie sie die Adelsrotte richtet, von der sie ausging; allein die Märtyrerglorie, mit der sie Tiberius Gracchus‘ Namen geschmückt hat, kam hier wie gewöhnlich an den unrechten Mann. Die besten seiner Zeitgenossen urteilten anders. Als dem Scipio Aemilianus die Katastrophe gemeldet ward, sprach er die Worte Homers: „Also verderb‘ ein jeder, der ähnliche Werke vollführt hat!“ Und als des Tiberius jüngerer Bruder Miene machte, in gleicher Weise aufzutreten, schrieb ihm die eigene Mutter: „Wird denn unser Haus des Wahnsinns kein Ende finden? Wo wird die Grenze sein? Haben wir noch nicht hinreichend uns zu schämen, den Staat verwirrt und zerrüttet zu haben?“ So sprach nicht die besorgte Mutter, sondern die Tochter des Überwinders der Karthager, die noch ein größeres Unglück kannte und erfuhr als den Tod ihrer Kinder.

  1. Im Jahre 537 (217) wurde das die Wiederwahl zum Konsulat beschränkende Gesetz auf die Dauer des Krieges in Italien (also bis 551 203) suspendiert (Liv. 27, 6). Nach Marcellus‘ Tode 546 (208) aber sind Wiederwahlen zum Konsulat, wenn die abdizierenden Konsuln von 592 (162) nicht mitgerechnet werden, überhaupt nur vorgekommen in den Jahren 547, 554, 560, 579, 585, 586, 591, 596, 599, 602 (207, 200, 194, 175, 169, 168, 163, 158, 155, 152); also nicht öfter in diesen sechsundfünfzig als zum Beispiel in den zehn Jahren 401-410 (353-344). Nur eine von diesen, und eben die letzte, ist mit Verletzung des zehnjährigen Intervalls erfolgt; und ohne Zweifel ist die seltsame Wahl des Marcus Marcellus, Konsul 588 (166) und 599 (155), zum dritten Konsulat für 602 (152), deren nähere Umstände wir nicht kennen, die Veranlassung der gesetzlichen Untersagung der Wiederwahl zum Konsulat überhaupt (Liv. ep. 56) geworden; zumal da dieser Antrag, als von Cato unterstützt (p. 55 Jordan), vor 605 (149) eingebracht worden sein muß.
  2. Auch damals wurde es geltend gemacht, daß die Menschenrasse daselbst durch besondere Dauerhaftigkeit sich vorzugsweise zum Sklavenstand eigne. Schon Plautus (Trip. 542) preist „den Syrerschlag, der mehr verträgt als ein andrer sonst“.
  3. Auch die hybrid griechische Benennung des Arbeitshauses (ergastulum von εργάζομαι nach Analogie von stabulum, operculum) deutet darauf, daß diese Wirtschaftsweise aus einer Gegend des griechischen Sprachgebiets und in einer noch nicht hellenisch durchgebildeten Zeit den Römern zukam.
  4. Noch jetzt finden sich vor Castrogiovanni, da, wo der Aufgang am wenigsten jäh ist, nicht selten römische Schleuderkugeln mit dem Namen des Konsuls von 621 (133): L. Piso L. f. cos.
  5. Die bisher nur aus Cicero (leg. agr. 2, 31, 82; vgl. Liv. 42, 2, 19) teilweise bekannte Tatsache wird jetzt durch die Fragmente des Licinianus (p. 4) wesentlich vervollständigt. Die beiden Berichte sind dahin zu vereinigen, daß Lentulus die Possessoren gegen eine von ihm festgesetzte Entschädigungssumme expropriierte, bei den wirklichen Grundeigentümern aber nichts ausrichtete, da er sie zu expropriieren nicht befugt war und sie auf Verkauf sich nicht einlassen wollten.