X.

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Bericht über den Ausflug. – Beschluß, den »Sloughi« aufzugeben. – Entladung und Zerlegung der Yacht. – Ein Sturmwind als Helfer. – Unter dem Zelte gelagert. – Construction eines Flosses. – Beladung und Einschiffung. – Zwei Nächte auf dem Rio. – Ankunft in French-den.

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Den Empfang, welchen Briant und seine drei Gefährten fanden, wird man sich leicht vorstellen können. Gordon, Croß, Baxter, Garnett und Webb eilten ihnen mit offenen Armen entgegen, während die Kleinen sich an ihren Hals klammerten. Phann betheiligte sich ebenfalls an diesem herzlichen Willkommen, indem er durch sein freudiges Bellen die Hurrahs der Kinder begleitete. Ja, diese Abwesenheit hatte lange gedauert!

»Haben sie sich verirrt? … Sind sie Eingebornen in die Hände gerathen oder etwa von gefährlichen Raubthieren angefallen worden?« … so etwa fragten sich Alle, die hier auf dem »Sloughi« zurückgeblieben waren.

Doch Briant, Doniphan, Wilcox und Service waren jetzt ja heil und gesund zurückgekehrt und Jeder wollte erfahren, was sie bei ihrem Ausfluge erlebt und gesehen hatten. In Anbetracht ihrer nach einer so langen Tageswanderung erklärlichen Erschöpfung wurde die Berichterstattung jedoch bis zum nächsten Morgen verschoben.

»Wir sind auf einer Insel!«

Das war Alles, was Briant vorläufig meldete, und erschien auch hinreichend, um seinen Genossen die Zukunft mit ihren vielen und beunruhigenden Zufälligkeiten vor Augen treten zu lassen. Trotzdem nahm Gordon diese Nachricht ohne sonderliche Erregung auf.

»Gut! Das hatt‘ ich mir immer gedacht, schien er sagen zu wollen, und deshalb ängstigt es mich nicht aufs neue.«

Am anderen Morgen – mit dem Tagesanbruch des 5. April – traten die Großen, nämlich Gordon, Briant, Doniphan, Baxter, Croß, Wilcox, Service und Webb, denen sich noch Moko, dessen Rath auch nicht zu verachten war, anschloß, auf dem Vorderdeck der Yacht zusammen, während die Anderen noch schlummerten. Briant und Doniphan nahmen abwechselnd das Wort und setzten ihre Kameraden von allem Vorgegangenen in Kenntniß. Sie schilderten, wie ein über einen Bach gelegter Weg von Steinplatten und die unter einem Dickicht versteckten Reste einer Ajoupa ihnen den Glauben erweckt hätten, daß das Land bewohnt sei oder doch gewesen sei. Sie erklärten, daß die von ihnen früher für das Meer gehaltene weit ausgedehnte Wasserfläche sich als Binnensee erwiesen und wie verschiedene Zeichen sie bis zu der Höhle und nahe an die Stelle geführt, wo der Rio aus jenem Seebecken abfloß, wie die Gebeine François Boudoin’s, eines gebornen Franzosen, entdeckt wurden, und endlich, wie eine von jenem Schiffbrüchigen entworfene Karte sie belehrt habe, daß es eine Insel sei, an der ihr »Sloughi« gestrandet war.

Dieser Bericht wurde ganz eingehend abgestattet, ohne daß weder Briant noch Doniphan dabei die geringste Einzelheit übergingen. Durch Betrachtung der mitgebrachten Karte erkannten nun Alle, daß ihnen Rettung nur von außerhalb kommen könne.

Wenn sich ihnen die Zukunft hiermit in recht düsteren Farben darstellte und die jungen Schiffbrüchigen ihre Hoffnung nur noch auf Gott setzen konnten, so war doch – es verdient das besondere Hervorhebung – Gordon derjenige, der deshalb am wenigsten erschrak. Der junge Amerikaner besaß keine Familie, die ihn auf Neuseeland erwartete. Bei seiner praktischen Geistesrichtung, seiner methodischen und organisatorischen Natur hatte die Aufgabe, sozusagen eine kleine Colonie zu bilden, für ihn nichts Erschreckendes. Er sah darin vielmehr eine Gelegenheit, seinem natürlichen Geschmacke genug zu thun, und zögerte nicht, die Zuversicht seiner Kameraden wieder dadurch zu stärken, daß er ihnen, wenn sie ihm nur folgen wollten, ein erträgliches Leben in Aussicht stellte.

Da die Insel eine ziemlich große Ausdehnung zeigte, erschien es anfänglich undenkbar, daß dieselbe auf der Karte des Stillen Weltmeeres in der Nähe des Festlandes Südamerikas nicht angeführt sein sollte. Nach sorgfältiger Einsicht des Stieler’schen Atlas erkannte man, daß dieser keine irgend bedeutendere Insel außerhalb der Archipele angab, welche Feuerland und der Gegend der Magellanstraße vorlagern, d. s. die Insel Desolation, der Königin Adelaide, Clarence u. s. w. Gehörte die Insel aber zu diesen Archipelen, welche überall nur schmale Wasserstraßen zwischen sich lassen und auch dem Festlande nahe liegen, so hätte François Boudoin diese gewiß auf seiner Karte angedeutet, was doch nicht der Fall war. Die Insel mußte also vereinzelt und jedenfalls mehr nördlich oder südlicher von jenen Meerestheilen liegen. Ohne hinreichende Unterlagen und geeignete Instrumente blieb es aber unmöglich, ihre Lage im Stillen Ocean zu bestimmen.

Jetzt galt es nur, sich endgiltig einzurichten, ehe die schlechtere Witterung jeden Ortswechsel verhinderte. »Das Beste wird es sein, wir richten uns als Wohnung die Höhle ein, welche wir am Strande des Sees gefunden haben, sagte Briant. Sie wird uns ein vortreffliches Obdach bieten.

– Ist sie auch geräumig genug, um uns Alle aufzunehmen? fragte Baxter.

– Das zwar nicht, antwortete Doniphan; dagegen glaub‘ ich, daß sie sich unschwer vergrößern läßt, indem wir aus der lockeren Felsmasse noch eine zweite Höhle ausbrechen, Werkzeuge dazu haben wir …

– Nehmen wir sie zuerst, wie sie gerade ist, warf Gordon ein; selbst wenn es darin etwas eng herginge …

– Und trachten wir danach, fügte Briant hinzu, uns möglichst bald dahin zu begeben.«

In der That erschien das sehr dringend. Wie Gordon schon erwähnte, mußte der Schooner von Tag zu Tag unwohnlicher werden. Die letzten Regen, nach welchen sich noch ziemlich starke Hitze einstellte, hatten sehr merkbar dazu beigetragen, die Fugen des Rumpfes wie des Verdeckes zu lösen. Die zerrissene Segeltuchhülle ließ Wasser und Luft in das Innere eindringen. Unter dem Kiele waren fernere einzelne Vertiefungen entstanden, wohl verursacht durch Wasserfäden, welche vom Regenwetter her über das Vorland rannen, und in Folge dessen nahm die geneigte Lage der Yacht noch mehr zu, während diese gleichzeitig in den leicht beweglichen Boden tiefer einsank. Wenn ein Sturm, wie er zur jetzigen Zeit der Tagundnachtgleiche jeden Tag zu erwarten war, über die Küste hereinbrach, so mußte man fürchten, den »Sloughi« binnen wenigen Stunden in Trümmern gehen zu sehen. Es handelte sich also nicht allein darum, diesen ohne Zögern zu verlassen, sondern ihn auch ordnungsmäßig zu zerlegen, und Alles, was von Nutzen sein konnte, wie Planken, Bohlen, Eisenzeug, Kupfer u. s. w. zu gewinnen, um damit French-den (die Franzosengrotte) auszustatten. Vorstehenden Namen hatte man nämlich der uns bekannten Höhle zum Andenken an den schiffbrüchigen Franzosen beigelegt.

»Wo werden wir aber bis zur Zeit wohnen, ehe wir dort Unterkommen gefunden haben? fragte Doniphan.

– Unter einem Zelte, antwortete Gordon, einem Zelte, das wir am rechten Ufer des Rio unter den Bäumen aufschlagen.

– Das ist wohl das Beste, meinte Briant, und wir wollen unverzüglich an die Ausführung gehen.«

Die Abtragung der Yacht, das Ausladen des Materials und Proviants, sowie endlich der Bau eines Flosses – Alles das erforderte wenigstens einen Monat Arbeit, und ehe die Sloughi-Bai verlassen werden konnte, mußten die ersten Tage des Mai herankommen, welche den ersten Novembertagen, also dem Anfange des Winters, auf der nördlichen Halbkugel der Erde, entsprechen.

Mit gutem Grunde hatte Gordon das Ufer des Rio zur Errichtung des neuen Lagerplatzes erwählt, denn der Transport des gesammten Besitzthumes sollte später zu Wasser erfolgen. Kein anderer Weg wäre so kurz und so bequem gewesen. Durch den Wald oder über das Nebengelände des Rio hin alles das zu befördern, was nach Zerlegung der Yacht vorhanden war, hätte als eine ganz undurchführbare Arbeit erscheinen müssen. Dagegen gelangte während mehrerer Gezeitenwechsel, unter Ausnützung der bis zum See hier ansteigenden Fluth, ein Floß gewiß ohne besondere Anstrengung ihrerseits zum Ziele.

Bekanntlich bot der Rio, wie Briant sich überzeugt hatte, in seinem oberen Laufe keinerlei Hindernisse, weder Wasserfälle, noch Stromschnellen oder Sandbänke. Um nun auch den Unterlauf von der Schlammlache bis zur Mündung kennen zu lernen, wurde ein weiterer Ausflug, diesmal aber mit der Jolle, unternommen. Briant und Moko erkannten dabei, daß auch diese Strecke vollkommen schiffbar sei. Hier bot sich also eine natürliche Verkehrsstraße zwischen der Sloughi-Bai und French-den.

Die nächsten Tage fanden zur Einrichtung des Lagers am Ufer des Rio Verwendung. Die unteren Aeste zweier Buchen dienten, durch lange Stangen mit denen einer dritten verbunden, als Stützen für das Reserve-Großsegel der Yacht, das man an der Seite bis zur Erde herabfallen ließ. Unter das Zeltdach, welches durch Stricke haltbar befestigt wurde, schaffte man das Bettzeug, die nothwendigsten Geräthe, die Waffen nebst der Munition und die Proviantballen. Da das Floß aus den Bruchstücken der Yacht hergestellt werden sollte, mußte man sich damit bis zu deren vollständiger Zerlegung gedulden.

Ueber das fortwährend trocken bleibende Wetter war keine Klage zu führen. Erhob sich zuweilen der Wind, so wehte er von der Landseite her, und die Arbeit ging dabei unter günstigen Verhältnissen vor sich.

Gegen den 15. April befand sich auf dem Schooner nichts mehr als die zu schweren Gegenstände, welche erst nach der Demolirung desselben gelöscht werden konnten – unter anderem die als Ballast dienenden Bleibarren, die Wassertonnen im unteren Schiffsraume, das Gangspill und die Herdeinrichtung, zu deren Fortschaffung es geeigneter Hebeapparate bedurfte. Das ganze Takelwerk dagegen, der Fockmast, die Raaen, die Wanten, ferner Ketten, Wurfanker, Kabel, Taue, Kabelgarn und dergleichen, wovon sich an Bord ein großer Vorrath fand, war schon nach und nach in die Nähe des Zeltes geschleppt oder getragen worden.

Es versteht sich von selbst, daß trotz dieser sehr dringlichen Arbeiten die Beschaffung der täglichen Bedürfnisse nicht vernachlässigt wurde. Doniphan, Webb und Wilcox widmeten stets einige Stunden der Jagd auf Felsentauben und anderes Federwild, das vom Sumpfe aus hierher kam. Die Kleinen beschäftigten sich mit der Einsammlung von Schalthieren, sobald zur Ebbezeit der Obertheil der Klippenbank trocken lag. Es war eine Freude, Jenkins, Iverson, Dole und Costar gleich einer Heerde von Küchlein zwischen den Wasserlachen umhertrippeln zu sehen. Freilich wurden sie dabei zuweilen etwas weiter naß, als nur an den Füßen, und der etwas strenge Gordon hielt ihnen dann eine ernste Strafpredigt, während Briant sie nach Kräften entschuldigte. Jacques arbeitete wohl auch mit seinen jungen Genossen, doch ohne je in deren sorgloses Gelächter einzustimmen.

So schritt die Arbeit nach Wunsch und nach gewisser Methode vor sich, in der man leicht die Einwirkung Gordon’s erkannte, dessen praktischer Sinn ihn niemals im Stiche ließ. Was Doniphan übrigens von diesem ruhig annahm, das hätte er weder Briant noch einem Anderen zugestanden. Kurz, jetzt herrschte eine löbliche Eintracht in dieser kleinen Welt.

Man mußte sich jedoch beeilen. Die zweite Hälfte des April war weniger schön, und die Mitteltemperatur sank nicht unbeträchtlich, ja, mehrmals wies die Thermometersäule am frühen Morgen auf Null. Der Winter meldete sich an, und mit ihm erschien gewiß sein Gefolge von Hagel, Schnee und Sturmwinden, welche in den höheren Breiten des Stillen Oceans oft mit furchtbarer Gewalt auftreten.

Aus Vorsicht mußten sich jetzt Kleine und Große wärmer bekleiden und wollene Unterkleider, Hosen aus dichtem Stoffe und Wollenjacken anlegen, welche für die rauhe Winterzeit auf dem Schiffe stets vorräthig gehalten wurden. Es bedurfte nur eines Einblickes in Gordon’s Notizbuch, um zu wissen, wo diese nach ihrer Art und Größe classificirten Kleidungsstücke zu finden waren. Briant nahm sich hierbei vorzüglich der Kleinen an; er sorgte, daß sie keine kalten Füße bekamen und sich, wenn sie schwitzten, nicht der scharfen Luft aussetzten. Beim geringsten Schnupfen hielt er sie unter Dach zurück und ließ sie in der Nähe eines Tag und Nacht unterhaltenen Feuers schlafen. Wiederholt mußten Dole und Costar so, wenn nicht im Zimmer, doch im Zelte bleiben und Moko versorgte sie mit einem Theeaufguß, zu dem die Apotheke des Schooners die Droguen lieferte.

Nachdem die Yacht ihres gesammten Inhalts entledigt war, nahm man deren, übrigens in allen Theilen krachenden Rumpf in Angriff.

Die Kupferbleche des Beschlages wurden sorgsam abgelöst, um in French-den Verwendung zu finden. Zangen und Hämmer thaten nun ihre Schuldigkeit, um die Beplankung abzutrennen, welche große Nägel und Holzpflöcke an den Spanten (Rippen) hielten. Das war ein schweres Stück Arbeit, vorzüglich für so ungeübte Hände und noch minder kräftige Knabenarme. Die Zerlegung ging denn auch nur langsam vor sich, bis am 25. April ein stürmischer Wind den Arbeitern zu Hilfe kam.

Trotz der schon eingetretenen kalten Jahreszeit zog nämlich in der Nacht ein heftiges Gewitter auf, welches sich schon durch die Trübung des Storm-glaß angemeldet hatte. Grell leuchteten die Blitze durch die Atmosphäre und von Mitternacht bis Tagesanbruch setzte das Donnerrollen fast gar nicht aus. Zum Glück regnete es dabei nicht, doch machte es sich zwei- oder dreimal nothwendig, das Zelt zu halten, um es gegen das Wüthen des Windes zu schützen.

Wenn dasselbe, Dank den Bäumen, an denen es befestigt war, noch widerstand, so war nicht dasselbe der Fall mit der den anstürmenden Wogen unmittelbar ausgesetzten Yacht, welche unausgesetzt von schäumendem Wasser überfluthet wurde.

Das vollendete ihre Zerstörung. Die losgeschlagene Beplankung, die schon gelockerten Rippen und der durch wiederholtes Aufstampfen geborstene Kiel schwammen bald als Wrackstücke umher. Zu beklagen war das nicht, denn die zurückfluthenden Wellen rissen doch nur einen kleinen Theil dieser Trümmer mit sich fort, welche zum größten Theile durch die Klippenhäupter aufgehalten wurden. Das Eisenzeug aber mußte unter dem Triebsande leicht wieder aufgefunden werden.

Mit dieser Aufgabe beschäftigten sich Alle an den nächstfolgenden Tagen. Bohlen und Planken sowie die Ballaststücke aus dem Raume lagen wie die übrigen zu schwer fortzuschaffenden Gegenstände da und dort umher. Es handelte sich jetzt nur noch darum, sie nach dem rechten Ufer des Rio, wenige Schritte vom Zelte hin, zu befördern.

In der That eine schwere Aufgabe, die aber doch mit der Zeit und mit großer Anstrengung glücklich gelöst wurde. Es bot ein merkwürdiges Bild, Alle zu sehen, wie sie sich vor ein schweres Holzstück gespannt hatten und dasselbe unter großem Geschrei weiter bugsirten. Man half sich dabei wohl auch mit Stangen, welche als Hebel dienten, oder mit Stücken von Rundholz, auf dem die schwersten Gegenstände hingerollt wurden. Am schwierigsten gestaltete es sich, das Gangspill, ferner die Kochmaschine und die Wasserbehälter aus Eisenblech an Ort und Stelle zu schaffen. Warum fehlte diesen Kindern ein erfahrener Mann, der sie hätte anführen können! Hätte Briant seinen Vater und Garnett den seinigen zur Seite gehabt, so würden der Ingenieur und der Seecapitän ihnen so manche Mißgriffe erspart haben, die sie begingen und noch begehen sollten. Baxter, der für mechanische Arbeiten besonders gute Anlagen hatte, entwickelte jetzt übrigens ebensoviel Geschicklichkeit wie Feuereifer. Auf sein und auf Moko’s Anrathen wurde auf dem Strande an eingerammten Pfählen eine Zugwinde angebracht, was die Kräfte der jungen Arbeitsmannschaft verzehnfachte und dadurch die Bewältigung ihrer Aufgabe wesentlich erleichterte.

Am Abende des 28. hatte man Alles, was vom »Sloughi« übrig war, nach dem Lagerplatze befördert. Damit war das Schlimmste überstanden, insofern ja der Rio selbst das gesammte Material bis French-den tragen sollte.

»Von morgen an, sagte Gordon, beginnen wir mit der Herstellung unseres Flosses.

– Ja, antwortete Baxter, und um uns das Zuwasserlassen desselben zu ersparen, schlag‘ ich vor, es gleich auf dem Rio selbst zusammenzuzimmern.

– Das dürfte nicht gerade bequem sein, bemerkte Doniphan.

– Thut nichts, wir versuchen es, erwiderte Gordon. Macht uns auch die Herstellung mehr Schwierigkeiten, so brauchen wir es dann doch nicht erst vom Stapel laufen zu lassen.«

Ein derartiges Vorgehen schien allerdings vorzuziehen zu sein, und so legte man denn am nächsten Morgen die Grundbalken des Flosses, das ziemlich groß bemessen werden mußte, um eine schwere und umfängliche Ladung aufzunehmen.

Die vom Schooner losgelösten Planken, der in zwei Stücken zerbrochene Kiel, der Fockmast, das Bodenstück des drei Fuß über Deck abgebrochenen Großmastes, die Kreuzhölzer und das sogenannte Eselshaupt, das Bugspriet, die Großraa des Focksegels und verschiedenes Andere war nach einer Stelle am Ufer geschafft worden, welche die Fluth nur zur Zeit des höchsten Wasserstandes erreichte. Man wartete diesen Zeitpunkt ab, und nach Aufhebung dieser Gegenstände durch die Fluthwelle schob man sie vollends auf den Rio hinaus. Hier wurden die längsten gerade neben einander gelegt und, nachdem sie mit kürzeren Querstücken verbunden waren, fest am Lande vertäut.

So erhielt man eine feste Grundlage von etwa dreißig Fuß Länge und fünfzehn Fuß Breite. Den ganzen Tag über wurde ohne Unterbrechung fortgearbeitet und vor Einbruch der Nacht war das Bauwerk fertig. Briant gebrauchte noch die Vorsicht, es auch an einigen Uferbäumen festzulegen, um ebenso zu verhindern, daß es von der nächsten Fluth stromaufwärts nach French-den zu, wie von der Ebbe stromabwärts nach dem Meere zu weggeführt werden könne.

Erschöpft von der Anstrengung eines so mühevollen Tagewerkes, aßen Alle mit Löwenhunger zu Abend und sanken bald in tiefen Schlaf.

Am folgenden Morgen, dem 30., ging Jeder wieder an die Arbeit.

Es handelte sich jetzt darum, eine Plattform auf der Grundlage des Flosses herzustellen. Hierzu dienten die Planken der Bordwand und der Schanzkleidung des »Sloughi«. Mit kräftigen Hammerschlägen eingetriebene Nägel und unter den einzelnen Stücken verknüpfte Taue bildeten haltbare Befestigungen des Ganzen.

Diese Arbeit erforderte, obwohl Jeder sich beeilte, da ja keine Stunde zu verlieren war, doch drei volle Tage. Schon zeigten sich einzelne Krystallisationen auf den Wassertümpeln zwischen den Klippen und selbst am Rande des Rio. Der Schutz, den das Zelt gewährte, fing trotz eines stets unterhaltenen Feuers an, unzureichend zu werden, und kaum konnten Gordon und seine Kameraden sich der Kälte dadurch erwehren, daß sie, in ihre Decken gewickelt, sich dicht an einander drängten. Das trieb sie also doppelt an, ihre Arbeiten zu vollenden, um die wohnliche Einrichtung von French-den zu beginnen. Hier hoffte man wenigstens, der Strenge des Winters, die unter diesen hohen Breiten sehr fühlbar wird, Trotz bieten zu können.

Selbstverständlich war die Plattform so haltbar als möglich hergerichtet worden, um sich unterwegs nicht lockern zu können, was die Versenkung des ganzen Materials im Bette des Rio zur Folge gehabt hätte. Um einem solchen Unfälle vorzubeugen erschien es besser, die Abfahrt um vierundzwanzig Stunden hinauszuschieben.

»Doch haben wir, bemerkte Briant, ein Interesse daran, nicht bis über den 6. Mai zu warten.

– Und warum, fragte Gordon?

– Weil übermorgen Neumond ist, erklärte Briant, und weil die Gezeiten da während einiger Tage bedeutender auftreten. Je stärker die Fluth aber anschwillt, desto mehr unterstützt sie uns bei der Bergfahrt auf dem Rio. Bedenke doch, Gordon, wenn wir genöthigt wären, dieses schwere Floß mittelst Schlepptau oder durch Stoßen mit Stangen fortzubewegen, vermöchten wir niemals die Strömung zu überwinden.

– Du hast Recht, antwortete Gordon; binnen drei Tagen müssen wir spätestens aufbrechen.«

So kamen denn Alle überein, nicht zu ruhen, ehe die Arbeit vollendet wäre.

Am 3. Mai beschäftigte man sich mit der Ladung, welche sorgfältig vertheilt werden mußte, um das Floß im nöthigen Gleichgewichte zu halten. Jeder trug hierzu nach Kräften seinen Theil bei. Jenkins, Iverson, Dole und Costar wurden beauftragt, die kleineren Gegenstände, wie Werkzeuge, Geräthe und Instrumente nach der Plattform zu besorgen, wo Briant und Baxter diese nach Gordon’s Angaben regelrecht niederlegten. Was die Gegenstände von beträchtlicherem Gewicht anging, wie der Kochofen, die Wasserbehälter, das Gangspill, das Eisenzeug, die Kupferbleche des Beschlages u.s.w., ferner die Ueberreste des »Sloughi«, wie die Krummhölzer der Spanten, die Reste der Schanzkleidung, die Deckbalken und Treppenkappen, so blieb den Großen diese schwerere Aufgabe überlassen. Dasselbe war der Fall bezüglich der Proviantballen, der Fässer mit Wein, Ale und Spirituosen, ohne mehrere Säcke mit Salz zu vergessen, das zwischen den Felsen der Bai eingesammelt worden war. Um das Einladen zu erleichtern, ließ Baxter zwei Stangen aufrichten, welche durch vier Taue gehalten wurden. Oben an diese Art Hebebock wurde dann ein Block angebracht, über den starke Seile nach einer weiter unten hängenden, frei beweglichen Rolle liefen, welche Anordnung es gestattete, die Gegenstände vom Erdboden abzuheben und sie ohne Stoß auf die Plattform niedersinken zu lassen.

Alle arbeiteten mit solcher Einsicht und solchem Eifer, daß am Nachmittag des 5. Mai jeder Gegenstand an seinem Platze war; jetzt brauchten also nur noch die Sorrtaue des Flosses gelöst zu werden. Das sollte am folgenden Morgen gegen acht Uhr geschehen, wenn der Eintritt der Fluth sich an der Mündung des Rio bemerkbar machte.

Vielleicht hatten die Knaben vermuthet, daß sie nach Vollendung der Arbeit bis zum Abend der wohlverdienten Ruhe pflegen könnten. Damit täuschten sie sich aber, denn ein Vorschlag Gordon’s brachte sie noch einmal in Thätigkeit.

»Liebe Freunde, sagte er, da wir uns jetzt vom Meere entfernen, werden wir dasselbe nicht wie bisher überwachen können, und wenn sich ein Schiff der Insel näherte, wären wir nicht im Stande, ihm Signale zu geben. Es erscheint mir also rathsam, auf dem Steilufer einen Mast zu errichten und dort für immer eine unserer Flaggen aufzuziehen. Das wird hoffentlich genügen, die Aufmerksamkeit auf hoher See vorübersegelnder Schiffe zu erregen.«

Dieser Vorschlag fand Annahme und die zur Herstellung des Flosses nicht mitverwendete Fockmaststenge des Schooners wurde nach dem Fuße des Steilufers geschleppt, dessen Böschung in der Nähe des Rio eine gangbare, sanfte Steigung zeigte. Immerhin kostete es große Anstrengung, den sehr winkeligen Weg emporzuklimmen, der nach dem Kamme der Uferhöhe führte.

Es gelang das jedoch, und die Stenge wurde fest in den Erdboden eingerammt. Mittelst einer Zugleine hißte Baxter dann die Flagge Großbritanniens, welche Doniphan gleichzeitig mit einem Gewehrschusse begrüßte.

»Aha, bemerkte Gordon gegen Briant, der Doniphan nimmt im Namen Englands von der Insel Besitz.

– Es sollte mich sehr wundern, wenn sie diesem nicht schon angehörte,« erwiderte Briant.

Gordon konnte nicht umhin, den Mund etwas zu verziehen, denn nach der Weise, wie man ihn gelegentlich von »seiner Insel« reden hörte, schien es, daß er diese für amerikanisches Besitzthum ansah.

Am folgenden Morgen mit Sonnenaufgang waren Alle auf den Füßen. Man beeilte sich, das Zelt abzubrechen und das Bettzeug auf das Floß zu schaffen, wo die Segelleinwand benutzt wurde, letzteres bis zum Endpunkt der Reise zu schützen. Es schien übrigens nicht, als ob von der Witterung etwas zu fürchten wäre. Immerhin hätte ein Umschlag des Windes die Dunstmassen des offenen Meeres über die Insel treiben können.

Um sieben Uhr waren die Vorbereitungen beendet. Die Plattform war so eingerichtet, daß sie nöthigenfalls zwei bis drei Tage als Aufenthalt dienen konnte. Den Mundvorrath betreffend, hatte Moko alles, was während der Fahrt voraussichtlich gebraucht wurde, für sich aufbewahrt, und auch darauf gesehen, daß er kein Feuer anzuzünden hatte.

Um acht Uhr Morgens nahmen Alle auf dem Floße Platz. Die Großen standen mit Bootshaken und Stangen versehen vornan, da das Floß nur durch solche, nicht aber durch ein auf die Strömung wirkungsloses Steuer regiert werden konnte.

Ein wenig vor neun Uhr machte sich die Fluth bemerkbar und ein dumpfes Krachen ließ sich in der Grundlage des noch an den Sorrtauen liegenden Floßes vernehmen. Nach diesem ersten Erzittern war aber eine weitere Lageveränderung seiner Theile nicht mehr zu befürchten.

»Achtung! rief Briant.

– Achtung!« wiederholte Baxter.

Beide standen an den Tauen, welche das Floß am Vorder- und am Hintertheile fest hielten, und deren Ende wieder in ihre Hände zurücklief.

»Wir sind bereit!« rief Doniphan, der sich mit Wilcox auf dem vordersten Theile der Plattform hielt.

Nachdem er sich überzeugt, daß das Floß unter der Einwirkung der Fluth vorwärts trieb, rief Briant:

»Losgelassen!«

Das wurde unverzüglich ausgeführt und der nun frei gewordene Apparat trieb langsam zwischen den beiden Ufern hin und zog die Jolle noch im Schlepptau nach sich.

Es war eine große Freude, als Alle das Werk ihrer Hände in Bewegung sahen. Und wenn sie ein vollkommen seetüchtiges Schiff erbaut hätten, wäre ihre Befriedigung gewiß nicht größer gewesen; eine kleine Eitelkeit, die man ihnen wohl verzeihen kann.

Wie uns bekannt, stieg das rechte, mit Bäumen besetzte Ufer weit höher auf, als das linke mit seinem schmalen, längs des benachbarten Sumpfes verlaufenden Gelände. Das vorn natürlich stumpfe Floß von diesem Ufer, wo es leicht festfahren konnte, abzuhalten, war die Aufgabe Briant’s, Baxter’s, Doniphan’s, Wilcox‘ und Moko’s, der sie sich mit allen Kräften widmeten, vorzüglich da das entgegengesetzte Ufer des Rio es gestattete, dichter an demselben hinzugleiten.

Das Floß wurde also so viel als möglich nahe dem rechten Uferrande gehalten, an dem eine starke Strömung verlief und das einen Stützpunkt für die Bootshaken abgab.

Zwei Stunden nach der Abfahrt konnte der zurückgelegte Weg etwa auf eine Meile geschätzt werden. Einen Stoß hatte das Floß nicht erlitten, und so war zu erwarten, daß Alles ohne Beschädigung in French-den ankommen würde.

Jedenfalls bedurfte es aber nach der früheren Schätzung Briant’s, daß einestheils der Wasserlauf vom See bis zur Mündung der Sloughi-Bai sechs Meilen maß und man anderntheils nur zwei Meilen während der wachsenden Fluth zurücklegen konnte, mehrerer Fluthepochen, ehe an ein Erreichen des Zieles zu denken war.

Gegen elf Uhr schon begann die Ebbe das Wasser stromabwärts zuführen, und man beeilte sich, den Apparat schleunigst festzulegen, um nicht nach dem Meere zurückgetragen zu werden.

Zwar wäre es möglich gewesen, gegen Ende des Tages wieder weiter zu fahren, wenn die nächste Fluth eintrat, damit aber hätte man sich in die Finsterniß hinaus gewagt.

»Ich meine, es wäre sehr unklug, bemerkte Gordon, denn wir würden damit das Floß Stößen aussetzen, die es zerstören könnten. Ich bin daher der Ansicht, wir warten bis morgen, um die erste Fluth wieder zu benützen.«

Dieser Vorschlag war zu vernünftig, um nicht allgemeine Billigung zu finden. Gebrauchte man auch vierundzwanzig Stunden mehr, so war das der Gefahr, die Sicherheit der werthvollen Ladung auf dem Rio zu vermindern, gewiß weit vorzuziehen.

Die Gesellschaft verweilte also einen halben Tag an dieser Stelle und blieb hier auch die ganze Nacht. Doniphan und seine gewöhnlichen Jagdbegleiter beeilten sich denn auch, gefolgt von Phann, am rechten Ufer an’s Land zu gehen.

Gordon hatte ihnen empfohlen, sich nicht zu weit zu entfernen, und sie trugen auch dieser Ermahnung Rechnung. Da sie jedoch zwei Paar junge fette Trappen und eine Schnur voll Tinamus mitbrachten, so schien ihre Eigenliebe befriedigt. Auf Moko’s Rath sollte dieses Wild für die erste Mahlzeit, ob Frühstück, Mittag- oder Abendbrod, aufbewahrt werden, das er in French-den zubereiten würde.

Während seines Jagdausfluges hatte Doniphan nicht das Geringste bemerkt, was auf die frühere oder neuerliche Anwesenheit menschlicher Wesen in diesem Theile des Waldes hingedeutet hätte. Von Thieren kamen ihm dabei nur große Vögel vor Augen, welche durch das Dickicht flüchteten, ehe er sie genau erkennen konnte.

Der Tag verstrich, und die ganze Nacht über wachten Baxter, Wilcox und Croß zusammen, stets bereit, gegebenen Falles die Leinen des Flosses fest anzuziehen oder ihnen beim Abfallen des Wassers mehr Spielraum zu geben.

Eine Störung kam nicht vor. Am folgenden Morgen, gegen neununddreiviertel Uhr, wurde bei steigender Fluth die Fahrt wieder unter den nämlichen Verhältnissen wie am Tage vorher fortgesetzt.

Die Nacht war kalt gewesen; der Tag war es nicht minder, und deshalb schien es höchste Zeit, ans Ziel zu gelangen. Was hätte aus ihnen werden sollen, wenn der Rio gar zum Stehen kam oder aus dem See abtreibende Eisschollen nach der Sloughi-Bai hinabschwammen? Das verursachte ihnen nicht geringe Unruhe, von der sie erst mit der Ankunft bei French-den erlöst werden konnten.

Und doch war es unmöglich, schneller als die Fluth vorwärts zu kommen, unmöglich gegen die Strömung anzukämpfen, wenn die Ebbe ablief, unmöglich also, mehr als eine Meile binnen einundeinerhalben Stunde zurückzulegen. Das war auch die mittlere Geschwindigkeit an diesem Tage. Gegen Mittag wurde auf der Höhe jener Schlammlache Halt gemacht, welche Briant bei der Rückkehr nach der Sloughi-Bai hatte umkreisen müssen. Etwa anderthalb Meilen weit drang die von Moko, Doniphan und Wilcox besetzte Jolle hin nach Norden vor und hielt erst an, als ihr das Wasser zu fehlen begann. Diese Schlammlache bildete gewissermaßen eine Fortsetzung des Sumpfes, der sich jenseits des linken Ufers ausdehnte, und sie schien sehr reich an Wasserwild zu sein. Doniphan konnte auch einige Bekassinen erlegen, welche neben den Trappen und Tinamus aufbewahrt wurden.

Es folgte eine ruhige, aber sehr kalte Nacht mit einer rauhen Brise, welche das Thal des Rio erfüllte. Auch bildete sich ein wenig Eis, das bei dem geringsten Stoß in Stücken ging oder sich auflöste. Trotz aller Vorsichtsmaßregeln gestaltete sich der Aufenthalt an Bord nicht zu einem besonders angenehmen, obgleich Jeder bemüht gewesen war, sich unter den Segeln zu verkriechen. Bei einzelnen der Kinder, vorzüglich bei Jenkins und Iverson, kam die üble Laune laut zum Durchbruche, und diese beklagten sich darüber, das Lager auf dem »Sloughi« verlassen zu müssen, so daß Briant sie wiederholt beruhigen und ihnen guten Muth zusprechen mußte.

Am Nachmittage des nächsten Tages endlich kam das Floß mit Hilfe der bis einhalbvier Uhr anhaltenden Fluth in Sicht des Sees an und ging am Fuße des hohen Ufers vor dem Eingange von French-den ans Land.

XI.

XI.

Erste Einrichtung im Innern von French-den. – Entladung des Flosses. – Besuch am Grabe des Schiffbrüchigen. – Gordon und Doniphan. – Der Kochofen. – Haar- und Federwild. – Der Nandu. – Service’s Pläne. – Annäherung der schlechten Jahreszeit.

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Die Ausschiffung ging unter dem Jubel der Kleinen vor sich, für die jede Abwechslung in ihrem gewöhnlichen Leben ein neues Spiel war. Dole sprang wie ein junges Böckchen auf dem Ufer umher, Iverson und Jenkins liefen nach dem Strande des Sees, Costar aber nahm Moko zur Seite und sagte zu diesem:

»Du hast uns ein gutes Mittagessen versprochen, Moko.

– Ei, daraus wird nichts werden, Herr Costar, antwortete der Negerknabe.

– Und warum nicht?

– Weil ich gar keine Zeit mehr hätte, ein Mittagsmahl herzustellen.

– Wie, wir sollen gar nicht essen?

– Zu Mittag nicht, wohl aber zu Abend; und ich denke, die jungen Trappen werden sich zu einem Abendbrod nicht minder gut eignen.«

Und seine weißen Zähne zeigend, lachte Moko hell auf.

Nachdem es ihm einen freundlichen Rippenstoß ertheilt, schloß das Kind sich seinen Kameraden wieder an. Briant hatte ihnen übrigens ans Herz gelegt, sich nicht zu entfernen, damit man sie stets im Auge behalten könnte.

»Nun, Du gehst nicht auch zu ihnen? fragte er seinen Bruder.

– Nein, ich bleibe lieber hier! antwortete Jacques.

– Du würdest aber weit bester thun, Dir etwas Bewegung zu machen, fuhr Briant fort. Ich bin mit Dir nicht zufrieden, Jacques! … Du hast etwas, was Du verheimlichst … Oder solltest Du etwa krank sein?

– Nein, Bruder, mir fehlt nichts!«

Immer dieselbe Antwort, welche Briant nicht genügen konnte, der nun einmal entschlossen war, Licht in die Sache zu bringen, selbst wenn er es deshalb auf eine Scene mit dem jungen Trotzkopf ankommen lassen mußte.

Es war indeß keine Stunde zu verlieren, wenn man schon diese Nacht in French-den zubringen wollte.

Zunächst sollten Diejenigen, welche die Höhle noch nicht kannten, in dieselbe eingeführt werden. Sobald das Floß an dem Ufer inmitten eines Wirbels und außerhalb der Strömung fest gelegt war, bat Briant seine Kameraden, ihn zu begleiten. Der Schiffsjunge trug eine Signallaterne, deren Flamme durch die Wirkung einer linsenförmigen Scheibe ein sehr lebhaftes Licht verbreitete.

Man begann nun zuerst den Eingang frei zu legen. So wie Briant und Doniphan die Zweige vor derselben verflochten hatten, wurden sie auch wieder aufgefunden, es hatte also kein menschliches Wesen und auch kein Thier nach French-den einzudringen versucht.

Nach Beseitigung der Zweige glitten Alle durch die schmale Oeffnung. Beim Scheine der Signallaterne erleuchtete sich die Höhle weit besser, als das durch brennende Harzzweige oder durch die groben Kerzen des Schiffbrüchigen möglich gewesen war.

»Ei, hier wird’s aber eng hergehen! ließ Baxter sich vernehmen, als er die Tiefe der Höhle ausgemessen hatte.

– Bah, rief Garnett, wenn wir die Lagerstätten über einander Herrichten, wie in einer Cabine …

– Wozu? fiel Wilcox ein. Es wird genügen, sie nebeneinander auf dem Erdboden auszubreiten.

– So, damit uns kein Platz zum Hin- und Hergehen bleibt, bemerkte Webb.

– Nun, dann wird einfach nicht hin- und hergegangen, damit ist’s abgemacht, meinte Briant. Weißt Du einen besseren Rath, Webb?

– Nein, aber …

– Aber, setzte Service den Satz fort, die Hauptsache ist, ein hinlängliches Obdach zu haben! Ich denke, Webb hat sich’s auch nicht eingebildet, hier eine vollständige Familienwohnung, mit Salon, Speisezimmer, Schlafzimmer, Vorsaal, Rauch- und Badezimmer vorzufinden.

– Nein, sagte Croß; nur einen Ort brauchen wir, wo die Küche eingerichtet werden kann.

– Die bring‘ ich draußen an, erklärte Moko.

– Das wäre bei schlechter Witterung sehr unbequem, bemerkte Briant. Ich meine übrigens, schon morgen können wir den Kochofen vom »Sloughi« eben hier aufstellen …

– Den Kochofen … in der Höhle, wo wir essen und schlafen? versetzte Doniphan in einem Tone, der seinen Widerwillen erkennen ließ.

– Nun, so wirst Du einmal lauter Wohlgerüche einathmen, Lord Doniphan, rief Service, der dazu auflachte.

– Wenn mir das paßt, Du Küchengehilfe! erwiderte der hochmüthige Knabe die Augenbrauen runzelnd.

– Laßt es gut sein, beeilte sich Gordon zu sagen. Ob die Sache angenehm ist oder nicht, werden wir uns für den Anfang doch dazu entschließen müssen. Während er uns übrigens einestheils zum Kochen dient, erwärmt der Ofen gleichzeitig das Innere der Höhle. Uns mehr Gelaß zu schaffen, indem wir andere Räume aus dem Gestein ausbrechen, für diese Arbeit haben wir den ganzen Winter, wenn sie überhaupt auszuführen ist. Jetzt laßt uns French-den nehmen, wie es ist, und richten wir uns so gut wie möglich darin ein!«

Nach dem Essen wurden die Matratzen herbeigeschafft und die Lagerstätten in regelmäßigen Reihen auf dem Sande aufgeschlagen. Obwohl sie ziemlich dicht neben einander zu liegen kamen, mußten die Kinder bei ihrer Gewöhnung an die engen Schiffscabinen sich darauf doch ganz behaglich finden.

Diese Einrichtung nahm den Rest des Tages in Anspruch. Dann wurde noch die große Tafel der Yacht in der Mitte der Höhle aufgestellt, und Garnett, dem die Kleinen die nöthigen Geräthe von Bord zutrugen, übernahm das Decken derselben.

Moko, den Service nach Kräften unterstützte, hatte auch das Seinige gethan. Ein zwischen zwei großen Steinen angebrachter Herd am Fuße des Steilufers wurde mit trockenem Holze beschickt, das Webb und Wilcox unter den Bäumen am Ufer suchten. Gegen sechs Uhr kochte der große Topf mit dem Fleischbisquit, das nur wenige Minuten aufgesotten zu werden braucht, und verbreitete einen angenehmen Geruch. Daneben brieten an einen Draht gereiht, nachdem sie sauber gerupft waren, noch ein Dutzend Tinamus an einer lodernden Flamme über der Bratpfanne, in welcher Costar Luft hatte, noch ein Stück Zwieback zu rösten. Und während Dole und Iverson gewissenhaft ihres Amtes als Bratspießdreher walteten, folgte Phann ihren Bewegungen mit sehr deutlich sprechendem Interesse.

Vor sieben Uhr fanden sich Alle in dem einzigen »Zimmer« von French-den – dem Wohn-, Schlaf- und Vorrathsraum – zusammen. Die Schemel, Feldstühle und Korbsessel vom »Sloughi« waren gleichzeitig mit den Bänken aus dem Volkslogis hierhergeschafft worden. Die jugendlichen Tischgenossen verzehrten nun, von Moko bedient und sich selbst bedienend, eine recht gehaltvolle Mahlzeit. Die warme Suppe, ein Stück Cornbeef, die gebratenen Tinamus, das Fleischbisquit in Brodteig, frisches Wasser mit dem zehnten Theile Brandy, ein Stück Chester-Käse und einige Gläser Sherry entschädigten sie für die mageren Mahlzeiten der letzten Tage. Trotz des Ernstes der Lage gaben sich die Kleinen doch ganz der ihrem Alter so natürlichen Heiterkeit hin, und Briant hütete sich wohl, sie in ihrer Freude zu beschränken oder ihr Lachen zu unterdrücken.

Der Tag war recht anstrengend gewesen. Nach Stillung des Hungers sehnte man sich also nach nichts Anderem, als nach Ruhe. Vorher aber schlug Gordon, getrieben durch ein religiöses Pflichtgefühl, seinen Genossen vor, dem Grabe François Boudoin’s, dessen Wohnung sie jetzt einnahmen, einen Besuch abzustatten.

Schon lag das Abenddunkel auf dem See und das Wasser erglänzte nicht einmal mehr in den letzten Strahlen des Tageslichtes. Nachdem sie die Ecke der Uferhöhe umschritten, blieben die Knaben vor einer leichten Bodenerhebung stehen, aus der sich ein hölzernes Kreuz erhob, und dann sandten die Kleinen, auf den Knieen liegend, und die Großen gebeugt neben dem Grabe stehend, ein Gebet zu Gott für die Seele des armen Schiffbrüchigen.

Um neun Uhr waren die Schlafstätten besetzt, und kaum in ihre Decken gehüllt, fielen Alle auch schon in sanften Schlummer. Nur Wilcox und Doniphan, welchen es heute oblag, wach zu bleiben, unterhielten ein großes Feuer am Eingang der Höhle, welches, während es das Innere derselben erwärmte, auch dazu diente, gefährliche Besucher zurückzuschrecken.

Am nächsten Tage, am 9. Mai, und während der drei folgenden Tage waren alle Hände mit der Entladung des Flosses beschäftigt. Schon sammelten sich mit dem Westwinde mehr Dünste an, welche eine Periode häufigen Regens und Schneetreibens verkündeten. Die Temperatur überstieg jetzt kaum noch 0 Grad, und die oberen Luftschichten mußten schon recht kalt sein. Es galt jetzt also, alles, was leicht verdorben werden konnte, wie Munition, feste und flüssige Nahrungsmittel, in French-den unter Schutz zu bringen.

Während dieser wenigen Tage zogen, angesichts der dringlichen Arbeit, auch die Jäger nicht weit hinaus, doch da es an Wasserwild weder auf dem See noch über dem Sumpfe mangelte, erhielt Moko immer was er bedurfte. Bekassinen und Enten, langgeschwänzte und Kriechenten, gaben Doniphan Gelegenheit, manch glücklichen Schuß zu thun.

Nichtsdestoweniger sah Gordon, daß die Jagd, selbst wenn sie erfolgreich war, etwas zu viel Pulver und Blei kostete. Er hielt gar sehr viel darauf, den Schießbedarf, dessen Vorrath er in seinem Notizbuch genau verzeichnet hatte, möglichst zu schonen, und so rieth er Doniphan, mit Rücksicht darauf ja nicht unnöthig zu schießen.

»Es steht unser aller Interesse dabei auf dem Spiele, sagte er.

– Einverstanden, sagte Doniphan, wir müssen aber ebenso vorsichtig mit unseren Vorräthen umgehen. Wir würden es bereuen, derselben beraubt zu sein, wenn sich je ein Mittel böte, die Insel zu verlassen …

– Die Insel verlassen? … entgegnete Gordon, Sind wir denn im Stande, ein Fahrzeug zu bauen, welches das Meer halten könnte?

– Und warum nicht, Gordon, wenn sich ein Festland in der Nähe befände? … Auf jeden Fall hab‘ ich nicht Lust, hier wie der Landsmann Briant’s zu sterben.

– Zugegeben, antwortete Gordon; doch ehe wir an ein Fortkommen denken können, machen wir uns mit dem Gedanken vertraut, vielleicht gezwungen zu sein, hier lange Jahre zu leben …

– Ja, daran erkenne ich meinen Gordon! rief Doniphan. Ich bin überzeugt, er wäre entzückt, hier eine Colonie zu begründen.

– Gewiß, wenn uns nichts anderes übrig bleibt.

– Ach, Gordon, ich glaube nicht, daß Du zu viele Anhänger einer solchen Marotte finden würdest, nicht einmal Deinen Freund Briant.

– Darüber zu reden, werden wir noch Zeit genug haben, erwiderte Gordon. Und was Briant betrifft, so laß‘ mich Dir sagen, Doniphan, daß Du gegen ihn unrecht handelst. Er ist ein guter Kamerad, der uns schon Beweise seiner Opferwilligkeit gegeben hat …

– Ei natürlich, Gordon! versetzte Doniphan in jenem verächtlichen Tone, den er sich nicht abgewöhnen konnte. Briant hat alle vortrefflichen Eigenschaften … Er ist eine Art Held …

– Nein, Doniphan, er hat Fehler wie wir Alle. Dein Auftreten ihm gegenüber kann aber nur zu einer Veruneinigung führen, welche unsere Lage gewiß verschlimmern müßte. Briant wird von Allen hochgeschätzt …

– Ja, ja, von Allen!

– Oder wenigstens von der größten Zahl seiner Kameraden. Ich begreife nicht, warum Du, nebst Wilcox, Croß und Webb, Dich nicht mit ihm verständigen kannst. Ich sage Dir das nur beiläufig, Doniphan, und hoffe, Du wirst es Dir überlegen …

– Es ist schon Alles überlegt, Gordon!«

Gordon sah wohl ein, daß der stolze Knabe wenig geneigt sein mochte, seinem Rathe zu folgen, und das betrübte ihn, da er dadurch in Zukunft manche Mißhelligkeiten entstehen sah.

Wie erwähnt, hatte die Entladung des Flosses drei Tage in Anspruch genommen, jetzt blieb nur noch übrig, die Grundlage und die Plattform wieder auseinander zu nehmen, um deren Planken und Balken im Innern von French-den zu verwenden.

Leider hatte nicht das ganze Material in der Höhle Platz finden können, und wenn es nicht gelang, diese zu vergrößern, würde man sich genöthigt sehen, eine Art Schuppen zu erbauen, unter dem die Ballen, geschützt gegen die schlechte Witterung, liegen konnten.

Inzwischen wurden alle Gegenstände, auf Gordon’s Rath, in dem Winkel der Uferhöhe untergebracht und hier mit getheerten Leinenstücken, welche sonst zum Schutze der Oberlichtfenster und der Treppenkappen gedient hatten, überdeckt.

Im Laufe des 13. gingen Baxter, Briant und Moko an die Herrichtung des Kochofens, der auf Walzen bis zum Innern von French-den gezogen werden mußte. Hier stellte man ihn an die rechte Wand nahe dem Eingang, um sich einen möglichst guten Zug desselben zu sichern. Was das Rohr anging, welches die Verbrennungsproducte nach außen abführen sollte, so machte ihnen dessen Anbringung kein besonderes Kopfzerbrechen. Da der Kalkstein ziemlich weich war, gelang es Baxter, ein Loch durch denselben zu schlagen, in welches das Rohr eingepaßt wurde, so daß der Rauch nun nach Außen abziehen konnte. Am Nachmittage, als der Schiffsjunge den Ofen in Brand gesetzt, hatte er die Befriedigung zu sehen, daß derselbe ganz nach Wunsch fungirte. Selbst für die schlechteste Jahreszeit war die Zubereitung der Speisen gesichert.

Während der folgenden Wochen konnten Doniphan, Webb, Wilcox und Croß, denen sich noch Garnett und Service anschlossen, ihrer Jagdlust völlig Genüge thun. Eines Tages zogen sie so in den Birken- und Buchenwald, eine halbe Meile von French-den aus und an der Seite des Sees, hinein. An manchen Stellen entdeckten sie deutliche Spuren menschlicher Arbeit. Es waren da im Erdboden ausgehobene und mit Gezweig bedeckte Gruben, tief genug, um Thieren, welche hineinfielen, das Wiederentweichen zu verhindern. Der Zustand der Gruben ließ jedoch erkennen, daß diese schon viele Jahre alt waren, und eine derselben enthielt noch die Ueberbleibsel eines Thieres, dessen Art jetzt freilich nur noch schwer zu erkennen gewesen wäre.

»Jedenfalls sind das die Knochen von einem ziemlich großen Thiere, bemerkte Wilcox, der sich schnellstens in die Grube hinabgelassen hatte und einige von der Zeit gebleichte Knochen herausbrachte.

– Und das war ein vierfüßiges Thier, was man noch an den Beinknochen erkennt, fügte Webb hinzu.

– Wenigstens, wenn es hier nicht gar fünffüßige Thiere gibt, antwortete Service, und dann hat das hier nur ein Schaf oder ein ganz gewaltiges Kalb sein können.

– Du mußt doch immer scherzen, Service, sagte Croß.

– Nun, das Lachen ist doch nicht verboten, meinte Garnett.

– Gewiß erscheint mir nur, fuhr Doniphan fort, daß dieses Thier ein sehr kräftiges gewesen sein muß. Seht nur die Dicke des Kopfes und die mit Hakenzähnen ausgestattete Kinnlade. Service mag immer mit seinen Gaukler-Kälbern und seinen Jahrmarkts-Schafen scherzen, wenn dieser Vierfüßler hier aber wieder auflebte, würde ihm das Lachen, glaub‘ ich, schnell vergehen.

– Gut abgeführt! rief Croß, der immer geneigt war, die Erwiderungen seines Vetters ausgezeichnet zu finden.

– Du meinst also, fragte Webb Doniphan, daß wir hier ein gefährliches Raubthier vor uns hätten?

– Ja, ganz sicherlich!

– Einen Löwen … einen Tiger etwa? … fragte Croß, dem es hier gar nicht mehr geheuer vorkam.

– Wenn auch keinen Tiger oder Löwen, so doch mindestens einen Jaguar oder Cuguar!

– Da werden wir uns also in Acht nehmen müssen! … sagte Webb.

– Und dürfen nicht sorglos weit herumstreifen, setzte Croß hinzu.

– Hörst du wohl, Phann, sagte Service, sich nach dem Hunde umwendend, hier giebt es sehr große Bestien.«

Phann antwortete durch ein freudiges Gebell, das keine besondere Unruhe verrieth.

Die jungen Jäger schickten sich nun an, nach French-den zurückzukehren.

»Halt, da kommt mir ein Gedanke! sagte Wilcox. Wenn wir die Fallgruben mit frischen Zweigen bedeckten? … Vielleicht könnten wir da noch einmal irgend ein Thier fangen.

– Wie Du willst, Wilcox, antwortete Doniphan, obwohl ich mehr dafür eingenommen bin, ein Stück Wild in Freiheit abzuschießen, als es im Grunde einer Grube zu ermorden.«

Es war der Sportsman, der aus ihm sprach; im Grunde erwies sich Wilcox mit seiner natürlichen Neigung zur Aufstellung von Fallen jedoch praktischer als Doniphan.

Er beeilte sich nun, den eigenen Vorschlag auszuführen. Seine Kameraden halfen von den benachbarten Bäumen Zweige abzuschlagen, welche dann kreuzweise über die Oeffnung der Gruben und so gelegt wurden, daß deren Blätter dieselben vollständig bedeckten. Gewiß eine sehr kunstlose Falle, welche von den Trappern der Pampas aber sehr häufig mit Erfolg angewendet wird.

Um die Stelle wieder zu finden, wo diese Grube sich befand, knickte Wilcox verschiedene Zweige der Bäume am Waldessaume an, und hierauf begaben sich Alle wieder nach French-den.

Die Jagden lieferten übrigens immer reiche Beute, da es hier einen wahren Ueberfluß an Federwild gab. Ohne die Trappen und Tinamus zu zählen, flatterten hier in großer Anzahl Hausschwalben umher, deren weißgetüpfeltes Gefieder an das der Perlhühner erinnerte; ferner Holztauben in großen Schaaren und antarktische Gänse, welche recht gut eßbar sind, wenn sie durch geeignete Zubereitung ihren thranigen Geschmack verloren haben. Das Haarwild dagegen war vertreten durch »Tucutucos«, eine Art Nagethiere, welche im Fricassée das Kaninchen recht wohl ersetzen können; durch »Maras«, das sind grauröthliche Hasen mit einem schwarzen Halbmond auf dem Schwanze und ebenso eßbar wie die Agutis, ferner durch Pichis, eine Art der Gürtelthiere, oder Säugethiere mit Schuppenpanzer, deren Fleisch ganz vortrefflich schmeckt; durch »Pecaris«, das sind kleine Wildschweine, und endlich durch »Guaculis«, welche den Hirschen gleichen und ebenso flüchtig sind wie diese.

Doniphan gelang es wohl, einzelne dieser Thiere zu erlegen; da er sich aber nur schwer an dieselben heranschleichen konnte, stand der Aufwand an Pulver und Blei doch nicht in rechtem Verhältnisse zu den erzielten Erfolgen. Das ärgerte nicht nur den jungen Jäger selbst, sondern brachte ihm auch noch verschiedene Vorwürfe von Gordon ein – Vorwürfe, welche auch seinen Begleitern nicht erspart blieben.

Bei einem dieser Ausflüge sammelte man auch einen reichlichen Vorrath zweier, von Briant gelegentlich seines ersten Besuches am Binnensee entdeckter Pflanzen, nämlich von wildem Sellerie, der auf dem feuchten Boden üppig emporwucherte, und von Kresse, deren junge Triebe, wenn sie eben die Erde durchbrechen, ein vorzügliches Heilmittel des Scorbut abgeben. Aus Gesundheitsrücksichten erschienen diese Vegetabilien bei jeder Mahlzeit.

Da die Kälte die Oberfläche des Sees und des Rio noch mit keiner Eiskruste überzogen hatte, gelang es auch, mittels Angelhaken Forellen und eine Art Hechte zu fangen, welche sehr gut eßbar sind, wenn man sich nur wegen ihrer vielen Gräten gehörig in Acht nimmt. Eines Tages endlich kam Iverson triumphirend heim und brachte einen ansehnlichen Lachs, mit dem er lange Zeit, auf die Gefahr hin, seine Schnur zerreißen zu sehen, gekämpft hatte. Konnte man sich zu der Zeit, wo diese Fische nach der Mündung des Rio zurückkehrten, einen größeren Vorrath derselben zulegen, so mußte damit für den Winter eine köstliche Reserve gewonnen sein.

Inzwischen wurde die von Wilcox wieder hergerichtete Grube wiederholt besucht, doch hatte sich kein Thier in derselben fangen lassen, trotz eines großen, darin niedergelegten Stückes Fleisch, welches die Aufmerksamkeit eines Raubthieres hätte erregen können.

Am 17. Mai ereignete sich indeß ein unerwarteter Zwischenfall.

Briant und die Uebrigen hatten sich an diesem Tage nach dem Walde in der Umgebung des Steilufers begeben, in der Absicht, in der Nähe von French-den noch eine andere natürliche Höhle zu suchen, welche als Magazin für das noch übrige Material dienen könnte.

Bei Annäherung an die Grube vernahm man aus derselben ein heiseres Geschrei.

An Briant, der nach dieser Seite zuschritt, schloß sich sofort auch Doniphan an, welcher Jenem nicht den Vortritt lassen wollte. Die Andern folgten, die Gewehre schußfertig, einige Schritte hinterher, während Phann mit aufgerichteten Ohren und erhobenem Schwanze dahintrottete.

Sie befanden sich nur noch zwanzig Schritte von der Grube, als das Geschrei sich verdoppelte. In der Mitte der Zweigdecke zeigte sich ein großes Loch, das nur durch das Hindurchstürzen eines Thieres entstanden sein konnte.

Welcher Art dieses Thier war, hätte Niemand sagen können; jedenfalls empfahl es sich aber, zu einer Verteidigung bereit zu sein.

»Vorwärts, Phann, vorwärts!« rief Doniphan.

Der Hund sprang bellend, aber ohne besondere Unruhe zu zeigen, voraus.

Briant und Doniphan liefen nach der Grube, und sobald sie sich über dieselbe gebeugt, riefen sie:

»Hierher! Kommt nur heran!

– Es ist kein Jaguar? … fragte Webb.

– Und auch kein Cuguar? … setzte Croß hinzu.

– Nein, belehrte sie Doniphan. Es ist nur ein Thier mit zwei Pfoten, ein – Strauß!«

In der That war es ein Strauß, und sie hatten alle Ursache, sich über das Vorkommen dieser Thiere im Walde hier zu beglückwünschen, denn das Fleisch derselben ist vortrefflich, vorzüglich an dem die Brust bedeckenden Fettpolster.

Wenn es auch nicht zweifelhaft sein konnte, daß sie einen Strauß vor sich hatten, so zeigten dessen geringere Größe, die kleineren Federn, welche den ganzen Körper mit einem weißlich-grauen Vließ bedeckten, daß derselbe zu der in den Pampas von Südamerika so häufig vorkommenden Sippe der »Nandus« gehörte. Obwohl diese sich mit dem afrikanischen Strauß nicht messen können, bilden sie doch eine Zierde der Fauna jedes Landes.

»Den müssen wir lebend bekommen! rief Wilcox.

– Ei, das wünscht‘ ich auch! jubelte Service.

– Es dürfte aber nicht so leicht sein, meinte Croß.

– So versuchen wir es wenigstens,« erklärte Briant.

Das kräftige Thier hatte offenbar nicht entkommen können, weil seine Flügel ihm nicht erlaubten, sich bis zur Erdoberfläche zu erheben, und seine Füße an den lothrechten Wänden keinen Stützpunkt fanden. Wilcox mußte sich also nach dem Grunde der Grube selbst auf die Gefahr hin hinabgleiten lassen, einige Schnabelhiebe wegzubekommen, die ihn ernstlich verletzen konnten. Da es ihm jedoch bald gelang, dem Thiere seine Wollenjacke über den Kopf zu werfen, so wurde dieses hierdurch völlig unbeweglich gemacht. Nun war es auch leicht, dessen Füße mit zwei oder drei aneinander geknüpften Taschentüchern zu fesseln, und so gelang es Allen durch Vereinigung ihrer Kräfte, die Einen von unten, die Anderen von oben her nachhelfend, ihn aus der Grube zu ziehen.

»Endlich haben wir ihn, rief Webb erfreut.

– Was fangen wir aber mit dem Burschen an? fragte Croß.

– Das ist sehr einfach, antwortete Service, der an nichts verzweifelte. Wir führen ihn nach French-den, füttern ihn gut und benutzen ihn als Reitthier. Ich werde das schon nach dem Vorgange meines Freundes, des schweizerischen Robinson, fertig bringen.«

Ob es möglich sein sollte, den Strauß in dieser Weise zu benutzen, erschien trotz des von Service dafür angezogenen Beispiels mindestens zweifelhaft. Da es jedoch keine Schwierigkeit machte, ihn nach French-den mitzunehmen, so wurde das ausgeführt.

Als Gordon den Nandu ankommen sah, erschrak er wohl ein wenig über die Aussicht, noch einen Magen mehr sättigen zu sollen, nahm ihn aber, in Berücksichtigung, daß dazu Gras oder Laub genügen würde, doch gut auf. Für die Kleinen war es eine Freude, sich dem Thiere zu nähern – natürlich nicht allzusehr – nachdem dasselbe an einen langen Strick gebunden war, und als sie hörten, daß Service dasselbe zum Reiten abrichten wolle, nahmen sie ihm schon das Versprechen ab, hinter ihm aufsitzen zu dürfen.

»Ja, wenn Ihr hübsch artig seid, Ihr Kleinen! antwortete Service, den die Kinder schon als Helden anstaunten.

– Gewiß, gewiß! rief Costar.

– Wie? Auch Du, Costar, erwiderte Service, auch Du wolltest es wagen, dieses Thier zu besteigen?

– Hinter Dir … und wenn ich mich an Dir festhalten kann, ja!

– Du denkst wohl gar nicht mehr an die ausgestandene Angst, als Du auf dem Rücken der Schildkröte rittest?

– Das war ein ganz anderes Ding, antwortete Costar. Das Thier hier geht wenigstens nicht unters Wasser.

– Nein, aber möglicherweise in die Luft! sagte Dole.

Das machte die Kinder freilich etwas nachdenklich.

Seit sie French-den endgiltig bewohnten, hatten Gordon und seine Kameraden eine regelmäßige tägliche Lebensordnung eingeführt. Nach vorläufig vollendeter Einrichtung schlug Gordon nämlich vor, die Beschäftigung eines Jeden nach gewissem Plane zu bestimmen und vorzüglich die Kleinen sich nicht selbst zu überlassen. Letztere verlangten übrigens selbst danach, nach Maßgabe ihrer Kräfte an der allgemeinen Thätigkeit teilzunehmen; doch warum sollte man mit ihnen nicht auch den in der Pension Chairman begonnenen Unterricht fortsetzen?

»Wir haben ja Bücher, die uns die weitere Betreibung unserer Studien ermöglichen, sagte Gordon, und es scheint mir nicht mehr als billig, das was wir gelernt haben oder etwa noch lernen werden, auch unseren jüngeren Kameraden zu lehren.

– Ganz recht, antwortete Briant, und wenn es uns je vorbehalten bliebe, diese Insel zu verlassen, wenn wir unsere Familien wiedersehen sollten, so wollen wir darauf achten, unsere Zeit nicht zu vergeuden.«

Es wurde also eine Art Programm entworfen, nach dessen allgemeiner Billigung auch streng auf seine Durchführung gesehen werden sollte.

Mit Eintritt des Winters mußten ja viele unfreundliche Tage kommen, während welcher weder Große noch Kleine den Fuß ins Freie setzen konnten, und es galt doch, diese nicht nutzlos vorübergehen zu lassen. Was die Insassen von French-den vorläufig am meisten belästigte, war die Beschränktheit des einzigen Raumes, indem sie sich zusammendrängen mußten. Das veranlaßte sie denn, ohne Säumen auf Mittel und Wege zu sinnen, der Höhle eine hinreichende Ausdehnung zu geben.

XII.

XII.

Vergrößerung von French-den. – Ein verdächtiges Geräusch. – Phanns Verschwinden. – Phanns Wiedererscheinen. – Einrichtung des Vorsaales. Schlechtes Wetter. – Namengebung. – Die Insel Chairman. – Das Oberhaupt der Kolonie.

———

Während der letzten Ausflüge hatten die jugendlichen Jäger wiederholt das Steilufer untersucht, in der Hoffnung, darin eine zweite Aushöhlung zu entdecken. Hätten sie eine solche gefunden, so konnte diese als allgemeines Magazin, als Niederlage für das noch übrige, jetzt unter freiem Himmel aufgestellte Material dienen. Bei der Erfolglosigkeit dieser Nachforschungen mußte man jedoch auf den früheren Plan einer Erweiterung der jetzigen Wohnung zurückgreifen und einen oder mehrere mit der Höhle François Baudoin’s zusammenhängende Räume herzustellen suchen.

Im Granitfels wäre diese Arbeit unausführbar gewesen; in dem hier anstehenden Kalkstein aber, den Axt und Spitzhaue leicht angriffen, konnte sie keine großen Schwierigkeiten bieten. Der Zeitaufwand kam ja nicht in Frage. Das war eine Gelegenheit, die langen Wintertage auszufüllen, und bis zum Wiedereintritt der schönen Jahreszeit konnte Alles vollendet sein, wenn kein Einsturz erfolgte oder etwa Wasser hindurchsickerte, was allerdings zu fürchten war.

Zu Sprengmitteln brauchte man übrigens nicht zu greifen. Die gewöhnlichen Werkzeuge mußten genügen, wie sie genügt hatten, als es sich darum handelte, ein Loch herzustellen, in welches das Ofenrohr geführt werden konnte. Außerdem hatte Baxter, freilich mit einiger Mühe, den Eingang von French-den soweit zu erweitern vermocht, daß er an demselben eine Thür aus dem »Sloughi« mit Schloß und Haspen anbringen konnte. Ferner waren links und rechts vom Eingange zwei schmale Fenster oder mehr eine Art Schießscharten durchgebrochen worden, was dem Tageslicht einen besseren Zutritt und der Luft eine leichtere Circulation gestattete.

Seit einer Woche hatte jetzt die schlechtere Witterung ihren Einzug gehalten. Heftige Sturmwinde brausten über die Insel hin, denen French-den jedoch, Dank seiner Lage nach Süden und Osten, nicht ausgesetzt war.

Regenschauer und tolles Schneegestöber zogen manchmal mit lautem Geräusch über den Kamm des Steilufers. Nur in der Nachbarschaft des Sees spürten die Jäger noch ihrer Beute nach, nämlich Enten, Bekassinen, Kiebitzen, Wiesenläufern, Wasserhühnern und zuweilen einzelnen jener »Pelzschnäbler«, welche man in den südpacifischen Gebieten unter dem Namen »weiße Tauben« kennt. Waren See und Rio auch noch nicht zum Stehen gekommen, so mußte doch eine klare Nacht hinreichen, sie mit Eis zu überkleiden, wenn nach der stürmischen Erregung der Atmosphäre trockene Kälte eintrat.

Meist auf ihre Wohnung beschränkt, konnten sich die Knaben ungehindert den Erweiterungsarbeiten widmen, und sie begannen mit diesen noch im Laufe des 27. Mai.

Die rechte Wand war es, welche Axt und Schaufel zuerst in Angriff nahmen.

»Dringen wir in schräger Richtung ein, hatte Briant gesagt, so gelingt es uns vielleicht, an der Seeseite durchzubrechen und damit einen zweiten Zugang nach French-den zu gewinnen. Das würde uns eine bessere Ueberwachung der Umgebung ermöglichen, und wenn schlechte Witterung uns an der einen Seite am Austreten hindert, so könnten wir immer noch an der andern herauskommen.«

Der Vortheil für die Allgemeinheit, den eine solche Anordnung versprach, lag zu sehr auf der Hand und die Erreichung desselben schien auch nicht unmöglich.

Von innen aus gerechnet, trennten die Höhle höchstens vierzig bis fünfzig Fuß von der östlichen Außenwand der Kalkmasse. Nach Feststellung der Richtung mit Hilfe des Compasses kam es also nur darauf an, einen Gang durchzuschlagen, bei dieser Arbeit aber wohl darauf zu achten, daß kein Einsturz erfolgte. Ehe man der neuen Aushöhlung die für später in Aussicht genommene Breite und Höhe gäbe, schlug Baxter vor, erst eine Art Stollen durch das Gestein zu treiben, der erweitert werden sollte, wenn und wo sein Ende erst wieder zu Tage trat. Die beiden Räumlichkeiten von French-den wären dann durch eine Art Vorsaal verbunden, der an beiden Enden abgeschlossen werden könnte und an dessen Seiten zwei dunkle Kammern ausgebrochen werden sollten. Dieser Plan empfahl sich entschieden als der beste, da er gleichzeitig gestattete, die Gesteinsmasse sorgfältig zu untersuchen, und die Arbeit eingestellt werden konnte, wenn man auf durchsickerndes Wasser stieß.

Während der drei Tage vom 27. bis 30. Mai ging die Arbeit unter günstigen Umständen vorwärts. Die Kalkmolasse ließ sich fast mit dem Messer schneiden, deshalb wurde es auch nöthig, sie mit einer Auszimmerung zu versehen, was freilich ziemliche Schwierigkeiten machte. Der Abraum wurde stets sofort nach außen befördert, um denselben sich nicht anhäufen und hinderlich werden zu lassen. Wenn wegen Mangels an Raum nicht alle Arme gleichzeitig bei dieser Arbeit angestellt werden konnten, so feierten dieselben doch keineswegs. Hörte es einmal auf zu regnen oder zu schneien, so beschäftigte sich Gordon mit den Anderen damit, das Floß wieder zu zerlegen, um die Planken der Plattform und die Rundhölzer der Grundlage zur neuen Einrichtung verwenden zu können. Die Genannten behielten auch die am Winkel der Anhöhenschenkel niedergelegten Gegenstände im Auge, denn die getheerten Decken schützten diese nur unvollkommen gegen die Unbilden der Witterung.

Die Arbeit schritt, wenn auch nicht ohne peinliches Umhertappen, nach und nach voran und der Stollen war schon auf einer Länge von vier bis fünf Fuß ausgebrochen, als im Laufe des Nachmittags am 30. Mai sich etwas ganz Unerwartetes ereignete.

Auf dem Boden liegend, wie ein Mienengräber, der die Gallerie zu einer Sprengkammer ausschachtet, glaubte Briant im Innern der Gesteinsmasse einen dumpfen Laut zu vernehmen.

Er unterbrach seine Arbeit, um besser lauschen zu können. Von neuem traf dasselbe Geräusch sein Ohr.

Sich aus dem engen Gange zurückzuwinden, bis zu Gordon und Baxter, die sich an dessen Mündung befanden, zu gelangen und diesen seine Wahrnehmung mitzutheilen, das erforderte nur einige Augenblicke.

»Täuschung! meinte Gordon. Du hast nur etwas zu hören geglaubt …

– Nimm Du meinen Platz ein, Gordon, antwortete Briant, lege das Ohr an die Wand und horche Du einmal.«

Gordon kroch in den engen Gang und kam sehr bald daraus wieder zurück.

»Du hast Dich nicht getäuscht! sagte er. Ich habe etwas wie entferntes Knurren gehört.«

Nun wiederholte auch Baxter dieselbe Probe und sagte, als er wieder herauskam:

»Was in aller Welt kann das sein?

– Ich kann es mir nicht erklären, antwortete Gordon. Wir werden Doniphan und die Anderen davon benachrichtigen müssen …

– Nur die Kleinen nicht, setzte Briant hinzu; sie würden sich fürchten.«

Eben fanden sich Alle zum Mittagsmahl zusammen und die Kleinen erfuhren dabei doch von dem Vorfalle, was sie natürlich nicht wenig erschreckte.

Doniphan, Wilcox, Webb und Garnett begaben sich nach einander in den Stollen. Jetzt hatte das Geräusch aber aufgehört; sie hörten nichts und neigten deshalb dem Glauben zu, daß ihre Kameraden sich doch wohl geirrt haben könnten.

Jedenfalls wurde beschlossen, die Arbeit nicht zu unterbrechen, und nach dem Essen wurde diese auch wieder aufgenommen.

Im Laufe des Nachmittags ließ sich kein weiteres Geräusch vernehmen, bis endlich gegen neun Uhr Abends erneuertes Knurren deutlich durch die Wand drang.

Da stürzte Phann wüthend in den Schacht hinein und kam aus demselben mit emporgesträubtem Fell und bis über die Fangzähne zurückgezogenem Maule wieder hervor, während er in unverkennbarer Aufregung grimmig anschlug, als wollte er auf das aus dem Felseninnern heraustönende Knurren Antwort geben.

Was bei den Kleinen bisher nur ein mit Verwunderung gepaarter Schreck gewesen war, steigerte sich nun zur wahrhaft kläglichen Angst. Die Phantasie des englischen Knaben nährt sich stets mit den in den nordischen Ländern heimischen Sagen, nach welchen Gnomen, Kobolde, Luft- und Wassergeister, Sylphen und Gespenster jeder Art schon um seine Wiege kreisen. Dole, Costar und selbst Jenkins und Iverson verhehlten gar nicht ihre tödtliche Furcht. Nach vergeblicher Bemühung sie zu beruhigen, veranlaßte sie Briant doch, ihre Lagerstätten aufzusuchen, wo sie, wenn auch erst ziemlich spät, einschliefen. Aber auch da träumten sie noch von Geistern, Gespenstern und übernatürlichen Wesen, welche ihren Spuk in der Höhle trieben – kurz, sie litten am schönsten Alpdrücken.

Gordon und die Anderen unterhielten sich noch mit gedämpfter Stimme über die seltsame Erscheinung. Wiederholt konnten sie sich überzeugen, daß jenes Geräusch noch fortdauerte und daß Phann eine auffallende Gereiztheit erkennen ließ.

Endlich übermannte sie die Müdigkeit, und außer Moko und Briant legten sich Alle schlafen. Dann herrschte bis Tagesanbruch tiefes Schweigen im Innern von French-den.

Am folgenden Morgen war die ganze Gesellschaft sehr zeitig munter. Baxter und Doniphan krochen wieder in den Stollen … Kein Geräusch ließ sich vernehmen. Der Hund lief umher, ohne irgend welche Unruhe zu zeigen und sprang auch nicht, wie am Tage vorher, gegen die Wand an.

»Gehen wir wieder ans Werk! sagte Briant.

– Ja, antwortete Baxter. Es wird immer Zeit sein, damit einzuhalten, wenn sich wieder ein verdächtiges Geräusch hören läßt.

– Wär‘ es nicht möglich, bemerkte da Doniphan, daß jenes Geräusch nur von einer Quelle herrührte, welche sich murmelnd durch die Felsmassen zwängt?

– Dann würde es stets hörbar sein, wandte Wilcox ein, und augenblicklich ist das nicht der Fall.

– Richtig, stimmte ihm Gordon zu; ich glaubte vielmehr, es vom Winde herleiten zu sollen, der sich vielleicht in einem Spalt am Kamme der Anhöhe fängt …

– Steigen wir hinauf, sagte Service, und da entdecken wir wahrscheinlich …«

Dieser Vorschlag wurde angenommen.

Gegen fünfzig Schritte am Ufergelände hingehend, fanden sie einen Pfad, der den Obertheil der Felsmasse zu erreichen gestattete. Binnen wenigen Augenblicke hatte Baxter nebst zwei bis drei Anderen denselben erklommen und gingen auf der Höhe bis gerade über French-den zurück. Aus der Oberfläche dieses Höhenrückens fand sich aber kein Spalt, durch den ein Luftstrom oder eine Wasserader hätte eindringen können, und als sie zurückkamen, wußten sie auch nicht mehr über jene merkwürdige Erscheinung, welche die Kleinen in ihrer Naivität für übernatürlich erklärten.

Die Arbeit wurde also wieder aufgenommen und bis zum Ende des Tages fortgesetzt. Das Geräusch vom Vortage hörte man nicht wieder, obwohl nach Baxter’s Angabe die Wand, an welcher die Schläge bisher nur matt widerhallten, jetzt einen mehr klingenden Ton gab. Befand sich in dieser Richtung also eine natürliche Höhle, auf welche der Stollen zufällig treffen sollte, und entstand das vernommene Geräusch vielleicht in dieser selbst? Die Voraussetzung einer zweiten, an die Höhle grenzenden Aushöhlung erschien nicht unannehmbar; ja, es war sogar wünschenswerth, daß sich dieselbe bestätigte, weil dadurch die Arbeit bezüglich der Vergrößerung der Räumlichkeiten, wesentlich vermindert werden mußte.

Erklärlicher Weise mühten sich nun Alle mit größtem Eifer ab, und dieser Tag gehörte zu den anstrengendsten, die sie bisher verlebten. Nichtsdestoweniger verlief er ohne nennenswerthen Zwischenfall, wenn wir davon absehen, daß Gordon am Abend das Verschwinden seines Hundes meldete.

Zur Essenszeit stellte sich Phann sonst regelmäßig neben dem Sessel seines Herrn ein; heute blieb der Platz des Hundes leer.

Man rief nach ihm … Phann antwortete nicht.

Gordon trat auf die Thürschwelle und rief von neuem … Alles still!

Doniphan und Wilcox liefen der Eine nach dem Gelände des Rio, der Andere nach dem Ufer des Sees … Keine Spur vom Hunde.

Vergebens wurden die Nachsuchungen in der Umgebung von French-den noch auf einige hundert Schritt weit ausgedehnt … Phann war nirgends zu finden.

Offenbar war der Hund jetzt nicht in Hörweite, denn auf Gordon’s Stimme hätte er zweifellos geantwortet. Daß er sich nur verirrt hätte, erschien doch kaum glaublich; eher konnte er dem Zahne eines Raubthieres zum Opfer gefallen sein, wenigstens erklärte das am besten sein plötzliches Verschwinden.

Es war jetzt um neun Uhr abends. Tiefe Dunkelheit hüllte das Steilufer und den See ein, und so mußten sich die jungen Leute wohl oder übel entschließen, ihre Nachsuchungen aufzugeben und nach French-den zurückzukehren.

Alle gingen also sehr beunruhigt zurück; nein, nicht beunruhigt allein, sondern wirklich entmuthigt bei dem Gedanken, daß das intelligente Thier vielleicht für immer verschwunden sein könne.

Die Einen streckten sich auf ihre Lagerstätten aus, die Anderen setzten sich, ohne an Schlaf zu denken, um den Tisch. Es erschien ihnen, als wären sie jetzt weit einsamer und verlassener und noch entfernter von der Heimat und ihren Familien.

Plötzlich hörten sie durch die sonst herrschende Stille neue dumpfe Laute. Diesmal ähnelten diese mehr einem mit Schmerzensschreien untermischtem Geheul, das wohl eine Minute lang währte.

»Das ist dort … das kam von dort her!« rief Briant, auf den Stollen zueilend.

Alle hatten sich erhoben, als erwarteten sie irgend welche Erscheinung. Von Entsetzen gepackt, wickelten sich die Kleinen fester in ihre Decken.

Briant kam wieder aus dem engen Gange hervor.

»Dort muß noch eine Höhle sein, sagte er, deren Eingang sich jedenfalls am Fuße der Gesteinsmasse befindet …

– Und welche wahrscheinlich Thiere benützen, um die Nacht geschützter zu verbringen, setzte Gordon hinzu.

– Das muß wohl so sein, antwortete Doniphan. Morgen schon suchen wir uns Aufklärung zu verschaffen …»

Da schlug ein lautes Gebell an ihre Ohren, das ebenso wie das Geheul aus dem Innern des Felsens heraustönte.

»Sollte Phann da drin und vielleicht mit einem Thier im Kampfe sein?« rief Wilcox.

Briant, der wieder in den Stollen geschlüpft war, lauschte mit an die Wand gelegtem Ohre … Vergeblich! Ob nun aber Phann an dem vermutheten Orte war oder nicht, unzweifelhaft befand sich hier und ihnen ganz nahe eine zweite Aushöhlung, welche mit der Außenwelt wahrscheinlich durch ein, von dem Strauchgewirr am Fuße des Steilufers verdecktes Loch in Verbindung stand.

Die Nacht verging, ohne daß ein Geheul oder Gebell sich nochmals vernehmen ließ.

Das mit Tagesanbruch untersuchte Gestrüpp lieferte, an der Seite des Sees wie an der des Rio, kein besseres Resultat als die gestrigen Nachsuchungen auf dem Kamm des Felsberges.

Phann hatte, obwohl man ihn in der Nachbarschaft von French-den suchte und anrief, keine Antwort gegeben.

Briant und Baxter gingen nun abwechselnd wieder an die Arbeit, bei der Spitzhaue und Schaufel nicht feierten. Während des Vormittags nahm der Stollen um etwa zwei Fuß an Tiefe zu. Von Zeit zu Zeit hielten sie an, um zu horchen – nichts war mehr zu erlauschen.

Die durch das Mittagsessen unterbrochene Arbeit wurde nach Verlauf einer Stunde wieder aufgenommen. Unter Beachtung aller Vorsichtsmaßregeln sah man dem durch einen letzten Hieb zu erwartenden Durchbruche der Scheidewand entgegen, aus welcher vielleicht ein gefährliches Thier hervorstürzen konnte. Die Kleinen waren nach dem Ufergelände geführt worden. Gewehre und Revolver in den Händen, hielten sich Doniphan, Wilcox und Webb für jede Möglichkeit bereit.

Gegen zwei Uhr stieß Briant einen lauten Ruf aus. Seine Spitzhaue hatte die gleich weiter nachstürzende Kalkwand durchschlagen, welche nun eine ziemlich große Oeffnung zeigte.

Briant schloß sich seinen Kameraden, welche ganz unschlüssig dastanden, wieder an …

Doch bevor sie den Mund aufthun konnten, hörten sie etwas an der Wand des Stollens hinstreifen und mit gewaltigem Satze sprang ein Thier in die Höhe …

Das war Phann!

Ja, Phann, der sofort auf einen mit Wasser gefüllten Napf zueilte und gierig trank. Dann kehrte er mit wedelndem Schweife und ohne jedes Zeichen von Unruhe zu Gordon zurück; ein Beweis, daß vorläufig nichts zu fürchten war.

Briant ergriff nun eine Laterne und kroch damit in den Stollen. Gordon, Doniphan, Wilcox, Baxter und Moko folgten ihm nach. Bald darauf und nachdem sie durch die von dem Einsturze herrührende Oeffnung gelangt, befanden sich Alle in einer dunklen Aushöhlung, in welche kein Strahl des Tageslichtes eindringen konnte.

Es war eine zweite Höhle, die an Höhe und Breite die Größenverhältnisse von French-den zeigte, aber viel tiefer war, und deren Boden im Umfange von etwa fünfzig Quadrat-Yards ein feiner Sand bedeckte.

Da diese Höhle nach außen kaum eine Verbindung zu besitzen schien, konnte man befürchten, daß die Luft darin nicht athembar wäre. Die hell brennende Flamme der Laterne bewies jedoch, daß die Luft irgendwo Zutritt finden mußte. Wie hätte auch Phann sonst hineingelangen können?

Da stieß Wilcox mit dem Fuße an einen schweren, kalten Körper, was er daran erkannte, daß er diesen betastete.

Briant kam mit der Laterne näher heran.

»Der Körper eines Schakals! rief Baxter.

– Ja, eines Schakals, dem unser braver Phann den Garaus gemacht hat, antwortete Briant.

– Da haben wir die Erklärung für das, was wir nicht zu erklären vermochten!« setzte Gordon hinzu.

Doch ob nun ein oder mehrere Schakals ihr gewohntes Lager in dieser Höhle haben mochten, blieb noch immer die Frage übrig, durch welchen Eingang sie dahin gelangten.

Nachdem er nach French-den zurückgekehrt, unterwarf Briant das Steilufer an der Seeseite einer genauen Untersuchung. Gleichzeitig gab er laute Rufe von sich, auf welche endlich andere Rufe aus dem Innern antworteten. Hierdurch gelang es ihm, zwischen dem Gestrüpp und dicht am Erdboden eine enge Oeffnung zu entdecken, durch welche die Schakals eindringen mochten. Nachdem Phann diesen aber nachgefolgt war, hatte, wie sich bald herausstellte, ein theilweiser Nachsturz von Geröll stattgefunden, der jene Oeffnung fast ganz verschloß.

Nun war also Alles erklärt, das Geheul des Schakals, wie das Gebell des Hundes, dem es vierundzwanzig Stunden unmöglich gewesen war, wieder herauszukommen.

Das gewährte aber eine Befriedigung! Nicht allein Phann war seinem Herrn wiedergegeben, sondern auch eine schwierige Arbeit erspart worden. Da lag »fix und fertig«, wie Dole sich ausdrückte, eine weite Höhle, deren Vorhandensein der schiffbrüchige Baudoin gar nicht geahnt hatte. Durch Erweiterung ihrer Mündung gewann man noch eine zweite, nach der Seite des Sees zu offene Thür. Das erleichterte wesentlich die Befriedigung so mancher Bedürfnisse. Die Knaben riefen denn auch, als sie in der neuen Höhle versammelt waren, ein lautes Hurrah nach dem anderen, das Phann noch mit freudigem Gebell begleitete.

Mit welchem Eifer ging es nun daran, den engen Stollen zu einem brauchbaren Gang zu erweitern! Die zweite Höhle, der der Name »die Halle« beigelegt worden war, rechtfertigte denselben vollkommen durch den Umfang. Bis die Behälter dieser Seite des Verbindungsganges ausgebrochen waren, wurde das ganze Material noch in die Halle geschafft. Sie sollte daneben als Schlaf- und Arbeitsraum dienen, während das erste Zimmer zur Küche, Speisekammer und zum Speisesaal bestimmt wurde. Da dasselbe vorläufig auch als allgemeines Magazin galt, schlug Gordon vor, es Store-room zu nennen, was Alle gern annahmen.

Zunächst beschäftigte man sich jetzt damit, die Lagerstätten überzuführen, welche symmetrisch auf dem Sande der Halle angeordnet wurden, wo es an Platz nicht fehlte. Dann brachte man das Mobiliar aus dem »Sloughi«, die Sophas, Lehnstühle, Tische, Schränke u. s. w. dorthin, und – was von besonderer Wichtigkeit war – auch die Oefen aus dem Zimmer und dem Salon der Yacht, welche sofort in Stand gesetzt wurden, um diesen ganzen Raum heizen zu können. Gleichzeitig erweiterte man den Eingang von der Seeseite, um daselbst eine der Thüren des Schooners anzubringen – eine Aufgabe, deren sich Baxter nicht ohne Mühe entledigte; nachdem endlich zwei neue Schießscharten auf jeder Seite der genannten Thür durchgebrochen worden waren, drang auch hinreichendes Licht in die Halle, welche des Abends durch eine an der Wölbung hängende Signallaterne erleuchtet werden sollte.

Diese Einrichtungen erforderten fast vierzehn Tage. Es war hohe Zeit, daß sie vollendet wurden, denn das bisher ziemlich ruhig gebliebene Wetter zeigte Neigung umzuschlagen. Herrschte auch noch keine besondere Kälte, so wehten doch oft so stürmische Winde, daß sich jeder Ausflug ins Freie von selbst verbot.

Die Gewalt des Sturmes wurde gelegentlich so groß, daß er die Gewässer des Sees, trotz des Schutzes, den die Uferwand gewährte, wie ein Meer aufwühlte. Wild schäumend stürzten die Wellen übereinander hin, und jedes Fahrzeug, der Fischerkahn wie die Pirogue der Wilden, wäre unrettbar zu Grunde gegangen. Zuweilen bedeckten die gegen seine Strömung emporwirbelnden Wellen des Rio sogar die Uferlande bis zur daneben verlaufenden Anhöhe. Zum Glück waren weder Store-room noch die Halle dem directen Angriffe des Unwetters ausgesetzt, da der Wind von Westen her wehte.

Die mit dürrem Holz beschickten Oefen des Zimmers und der Küche erlitten auch keinerlei Störung.

Zu wie gelegener Zeit hatte jetzt alles, was vom »Sloughi« gerettet werden konnte, unter sicherem Obdach aufgestapelt werden können! Die Mundvorräthe hatten nun nichts mehr von der Unbill der Witterung zu fürchten. Für die Dauer der schlechten Jahreszeit eingeschlossen, fanden Gordon und seine Kameraden Muße genug, sich bequem einzurichten. Sie hatten den Gang erweitert und zwei tiefe Kammern neben demselben ausgebrochen, von denen die eine mit einer Thür verschlossen und zur Aufbewahrung des Schießbedarfs erwählt wurde, um jede etwaige Explosion zu verhüten. Obwohl endlich sich die Jäger nicht weit von French-den wegwagen konnten, fehlte es doch nie an Wasservögeln, deren unangenehmen Geschmack Moko nicht immer zu beseitigen vermochte – was manche Proteste und Grimassen veranlaßte – doch war damit die tägliche Ernährung gesichert. Es versteht sich von selbst, daß endlich dem Nandu in einem Winkel des Store-room ein Plätzchen eingeräumt wurde, bis für ihn im Freien ein Gehege errichtet werden konnte.

Zu dieser Zeit kam Gordon der Gedanke, eine Art Programm zu entwerfen, dem sich Jeder zu fügen hätte, nachdem es von Allen gebilligt worden wäre. Außer an das materielle hatten sie doch auch an das geistige Leben zu denken, da ja Keiner wußte, wie lange sich der Aufenthalt auf dieser Insel ausdehnen würde. Glückte es dereinst, sie zu verlassen, welche Befriedigung mußte es ihnen dann gewähren, die Zeit verständig ausgenützt zu haben. Mit den wenigen Büchern aus der Bibliothek des Schooners konnten die Großen ebenso ihre eigenen Kenntnisse vermehren, wie als Lehrer für die Jüngsten auftreten.

Ein vortrefflicher Vorsatz, der die langen Winterstunden nützlich und angenehm zu verkürzen versprach.

Bevor dieses Programm jedoch aufgesetzt wurde, schritt man noch zu einer anderen, durch die Verhältnisse selbst sich empfehlenden Maßnahme.

Als am Abend des 10. Juni nach dem Nachtessen Alle in der Halle um die knisternden Oefen versammelt waren, lenkte sich das Gespräch auf die Vortheile, die es haben würde, wenn man den geographisch wichtigsten Punkten der Insel eigene Namen gäbe.

»Das wäre sehr nützlich und sehr praktisch, sagte Briant.

– Ja, ja, Namen, rief Iverson, und wir wollen auch recht hübsche Namen wählen!

– Wie es die wirklichen und erfundenen Robinsons stets thun, fügte Webb ein.

– Und wir, liebe Freunde, sagte Gordon, sind in der That nichts Anderes.

– Ein großes Pensionat von Robinsons! rief Service.

– Uebrigens werden wir, fuhr Gordon fort, wenn die Bai, die Rios, Wälder, der See und das Steilufer besondere Namen bekommen, uns immer leichter zurecht finden.

– Wir haben schon die Sloughi-Bai, an der unsere Yacht scheiterte, sagte Doniphan, und ich denke, wir behalten diesen Namen bei, da wir ihn einmal gewöhnt sind.

– Gewiß, erklärte Croß.

– Ebenso wie wir den Namen French-den für unsere Wohnung nicht ändern, fügte Briant hinzu, schon zum Andenken an den Schiffbrüchigen, dessen Stelle wir nun eingenommen haben.«

Hiergegen erhob sich kein Widerspruch, nicht einmal seitens Doniphan’s, obwohl diese Bemerkung von Briant ausging.

»Und wie nennen wir nun, ließ Wilcox sich vernehmen, den Rio, der sich in die Sloughi-Bai ergießt?

– Den Rio Sealand, schlug Baxter vor. Dieser Name wird uns immer an die Heimat erinnern.

– Angenommen! … Einverstanden! tönte es von allen Seiten.

– Und den See? fragte Garnett.

– Da der Rio den Namen unseres Neuseeland erhalten hat, meinte Doniphan, so geben wir dem See einen Namen, der an unsere Angehörigen erinnert und nennen ihn Family-lake (Familien-See).«

Auch das fand freudige Zustimmung.

Es herrschte, wie man sieht, vollständige Einmütigkeit, und unter dem Einflusse ähnlicher Empfindungen taufte man das Steilufer mit dem Namen Auckland-hill (Auckland-Hügel). Das Cap, welches jenes abschloß – dasselbe, von dessen Gipfel aus Briant im Osten das Meer erkannt zu haben glaubte – nannte man auf seinen Vorschlag False-Sea-Point (Spitze des falschen Meeres).

Die anderen Benennungen, welche nach und nach angenommen wurden, waren folgende:

Traps-woods (Trappenwald) nannte man den Theil des Waldes, wo die Trappen angetroffen worden waren; Bog-woods (Schlammwald) den anderen Theil zwischen der Sloughi-Bai und dem Steilufer; Southmoores (südlicher Morast) den Sumpf, der den ganzen südlichen Theil der Insel bedeckte; Dike-creek (Chausséebach), über den der kleine Weg aus flachen Steinen gelegt war; Wrack-coast (Wrackküste) die Küste der Insel, an der die Yacht strandete, Sport-terrace (Sportterrasse) endlich den von den Ufern des Rio und des Sees eingeschlossenen Platz, der vor der Halle einen Rasengrund bildete, welcher zu den im Programme vorzunehmenden Leibesübungen dienen sollte.

Was die übrigen Punkte der Insel betraf, so sollten diese, je nach dem sie näher bekannt wurden, oder nach den Vorfällen, die sich daselbst etwa abspielten, getauft werden.

Inzwischen schien es rathsam, noch den hauptsächlichsten auf der Karte François Baudoin’s eingezeichneten Vorgebirgen gewisse Namen zu ertheilen; so entschied man sich für North-cape im Norden der Insel und für South-cape im Süden derselben. Endlich stimmten Alle darin überein, den drei Spitzen, welche im Westen nach dem Stillen Ocean hineinragten, die Namen French-cape, British-cape und American-cape zu geben, zu Ehren der drei in der kleinen Colonie vertretenen Nationen, der französischen, englischen und amerikanischen.

Colonie! Ja, dieses Wort wurde beliebt um anzudeuten, daß die Ansiedlung hier nicht als eine kurz vorübergehende aufzufassen sei. Natürlich geschah das auf Anregung Gordon’s, der stets mehr daran dachte, das Leben in diesem neuem Gebiete zu organisiren, als daran, das letztere wieder zu verlassen. Die Knaben waren eben nicht mehr Schiffbrüchige vom »Sloughi«, sondern Colonisten der Insel …

Doch welcher Insel? Jetzt mußte auch diese noch getauft werden.

»Ei … Ich weiß, wie man sie nennen sollte, meldete sich Costar.

– Du weißt das … Du? erwiderte Doniphan.

– Ohne Zweifel will er sie Insel Baby nennen, scherzte Service.

– Nun, laß nur Deine Witze, Service, und hören wir seine Idee?«

Trotz dieser Aufforderung schwieg jetzt das verdutzte Kind.

»Sprich nur, Costar, fuhr Briant fort, indem er diesen mit einer Handbewegung ermunterte. Ich bin überzeugt, daß Dein Vorschlag gut ist.

– Nun denn, sagte Costar, da wir alle Zöglinge der Pension Chairman sind, so sollten wir sie Insel Chairman nennen!«

In der That konnte ein besserer Name kaum gefunden werden und er wurde denn auch unter dem Beifall Aller angenommen – worüber sich Costar nicht wenig stolz zeigte.

Die Insel Chairman! Wahrhaftig, der Name hatte eine Art geographischen Anklang, und er konnte füglich in den Atlanten der Zukunft aufgenommen werden.

Nachdem diese Feierlichkeit zur allgemeinen Zufriedenheit beendet war, war auch die Zeit herangekommen der Ruhe zu pflegen, als Briant noch einmal das Wort verlangte.

»Liebe Freunde, begann er, wäre es jetzt, wo wir unserer Insel einen Namen gegeben haben, nicht auch gerathen, ein Oberhaupt zu ernennen, um dieselbe zu regieren?

– Ein Oberhaupt? warf Doniphan lebhaft ein.

– Ja, mir scheint, es müsse alles besser gehen, wenn Einer von uns Autorität über die Andern besäße. Sollte sich das, was in jedem Lande geschieht, nicht auch für die Insel Chairman eignen?

– Ja wohl! … Ein Oberhaupt! … Wählen wir ein Oberhaupt! riefen die Großen und die Kleinen wie aus einem Munde.

– Gut, ernennen wir ein Oberhaupt, sagte da Doniphan, doch nur für eine gewisse Zeit … Etwa für ein Jahr …

– Das aber dann wieder wählbar wäre, setzte Briant hinzu.

– Zugestanden! … Wen wählen wir dazu? fragte Doniphan etwas befangen.

Der eifersüchtige Knabe schien nur die eine Furcht zu haben, daß seine Kameraden, wenn nicht ihn selbst, wahrscheinlich Briant erwählen könnten.

Er sollte sich in dieser Beziehung jedoch getäuscht haben.

»Wen wir wählen sollen, hatte Briant geantwortet, natürlich den Weisesten von Allen, unseren Kameraden Gordon!«

– Ja! … Ja! … Hurrah für Gordon!«

Gordon wollte erst die ihm zugedachte Ehre ablehnen, da er sich mehr zum Organisiren, als zum Regieren berufen fühlte. Als er jedoch an die Störungen dachte, welche die m diesen Knaben fast ebenso hell wie bei Erwachsenen auflodernden Leidenschaften in Zukunft noch herbeiführen könnten, sagte er sich, daß seine Autorität nicht unnütz sein würde.

So wurde denn Gordon zum Oberhaupte der kleinen Kolonie der Insel Chairman ausgerufen.

XIII.

XIII.

Das Programm. – Feier des Sonntags. – Schneeballwerfen. – Doniphan und Briant. – Strenge Kälte. – Das Brennmaterial. – Ausflug nach den Traps-woods. – Nach der Sloughi-Bai. – Robben und Fettgänse. – Eine öffentliche Züchtigung.

———

Vom Mai ab war der Winter endgiltig in der Umgebung der Insel Chairman eingezogen. Welche Dauer würde derselbe haben? Mindestens fünf Monate, wenn die Insel in ebenso hoher Breite wie Neuseeland lag. Gordon traf also alle Vorsichtsmaßregeln, um gegen die schlimmen Zufälligkeiten eines langen Winters geschützt zu sein.

Der junge Amerikaner hatte unter seinen meteorologischen Beobachtungen folgendes verzeichnet: Der Winter hatte erst mit dem Monat Mai angefangen, d.h. zwei Monate vor dem Juli der südlichen Erdhälfte, der dem Januar der nördlichen entspricht. Daraus war zu schließen, daß er zwei Monate nach diesem, also im September zu Ende gehen würde. Doch auch nach dieser Periode hatte man noch mit den Stürmen zu rechnen, welche zur Zeit der Tagundnachtgleiche so häufig sind. Es war ja auch möglich, daß die jungen Colonisten bis zum October auf French-den beschränkt blieben, ohne einen weiteren Ausflug über oder um die Insel Chairman unternehmen zu können.

Um auch für das Leben im Innern der Wohnung eine gewisse Ordnung zu sichern, unterzog sich Gordon der Entwerfung eines Programms für die täglichen Beschäftigungen.

Es versteht sich von selbst, daß die Ausschreitungen des Fuchswesens, von denen wir schon bei der Schilderung der Pension Chairman sprachen, auf der Insel dieses Namens nicht zur Einführung gelangten. Alle Bemühungen Gordon’s zielten nur dahin, die jüngeren Knaben an den Gedanken zu gewöhnen, daß sie fast Männer wären, um als solche handeln zu lernen. »Füchse« gab es also in French-den nicht, das heißt, die Kleinen sollten nicht verpflichtet sein, die Größeren zu bedienen. Sonst aber beobachtete man alle Überlieferungen, welche nach der Bemerkung des Verfassers vom »Collegienleben in England«, die » vis major (höhere Gewalt) der englischen Schulen« vertreten.

In diesem Programm erschienen der Antheil der Kleinen und der der Großen sehr ungleich. Da die Bibliothek von French-den außer Reisebeschreibungen nur eine geringe Anzahl Bücher enthielt, so konnten die letzteren ihre Studien nur in beschränktem Maße fortsetzen. Die Schwierigkeit ihrer Existenz, der Kampf für Beschaffung der nothwendigsten Bedürfnisse, der Zwang, Urtheil und Erfindungsgabe gegenüber Zufälligkeiten aller Art zu üben, mußte sie freilich lehren, den Ernst des Lebens kennen zu lernen. Da sie nun von Natur zu Erziehern der Kleinen bestimmt schienen, mußten sie das wohl als eine Pflicht betrachten, der sie sich zu fügen hatten.

Weit davon entfernt aber, die Kleinen durch eine Anstrengung zu überlasten, sollte vorzüglich auch darauf Rücksicht genommen werden, mit ihnen körperliche Uebungen ebenso zu treiben, wie für ihre geistige Ausbildung zu sorgen. Wenn die Witterung es erlaubte, sollten diese, vorausgesetzt, daß sie warme Kleider trugen, angehalten werden, sich in der freien Luft zu bewegen und nach Maßgabe ihrer Kräfte selbst mitzuarbeiten.

Alles in Allem wurde dieses Programm nach den in der angelsächsischen Erziehungsmethode geltenden Grundsätzen entworfen, nämlich:

1. Allemal, wenn eine Sache dich erschreckt, thue sie.

2. Versäume niemals die Gelegenheit zu einer für dich irgend zu überwindenden Anstrengung.

3. Verachte keine Mühe, denn das wird nie unnütz sein.

Durch Uebertragung dieser Vorschriften in das praktische Leben, erstarken Leib und Leben gleichmäßig.

Man kam also unter Zustimmung der kleinen Colonie über Folgendes überein:

Zwei Stunden des Vormittags und zwei des Nachmittags sollten allgemeinen Arbeiten in der Halle gewidmet sein. Abwechselnd sollten Briant, Doniphan, Croß und Baxter aus der fünften und Wilcox und Webb aus der vierten Abtheilung des Pensionats ihren Genossen aus der dritten, zweiten und ersten Abtheilung Unterricht ertheilen, und sie mit Mathematik, Erdbeschreibung und Geschichte beschäftigen, wobei einzelne Bücher der Bibliothek, so wie ihre früheren Kenntnisse sie unterstützen sollten. Das bildete für sie mit eine Gelegenheit, nicht zu vergessen, was sie schon wußten. Zweimal in der Woche, nämlich Sonntags und Mittwochs, sollte eine Art allgemeine Versammlung abgehalten, das heißt, ein wissenschaftliches Thema entweder aus der Geschichte oder aus der Jetztzeit frei besprochen werden. Die Großen hatten sich dann dafür oder dagegen um’s Wort zu melden und sollten ebenso zur eigenen Ausbildung wie zur allgemeinen Unterhaltung über den gewählten Gegenstand discutiren.

Gordon, in seiner Eigenschaft als Oberhaupt der Colonie, hatte darüber zu wachen, daß dieses Programm streng eingehalten wurde und nur unter ganz besonderen Umständen eine Abänderung erlitt.

Zuerst wurde eine Maßregel getroffen, welche die Bestimmung der Zeit betraf. Man besaß wohl den Kalender vom »Sloughi«, in diesem aber mußte jeder verflossene Tag allemal gestrichen werden; man hatte auch Uhren vom Schiff her, diese mußten aber regelmäßig aufgezogen werden, um die genaue Zeit zu zeigen.

Zwei der größeren Knaben wurden mit dieser Aufgabe betraut, Wilcox für die Uhren und Baxter für den Kalender; auf die Zuverlässigkeit Beider konnte man gewiß rechnen. Was das Barometer und das Thermometer anging, so fiel Webb die Verpflichtung zu, die täglichen Angaben derselben abzulesen und aufzuzeichnen.

Ein weiterer Beschluß ging dahin, ein Tagebuch über alles zu führen, was sich bisher auf der Insel Chairman zugetragen oder was noch geschehen sollte. Baxter erbot sich zu dieser Arbeit, und Dank seiner pünktlichen Gewissenhaftigkeit wurde das »Journal von French-den« mit großer Genauigkeit geführt.

Eine nicht minder wichtige Angelegenheit, welche auch keinen ferneren Aufschub zuließ, betraf die Reinigung der Leib- und Bettwäsche, wozu es an Seife glücklicher Weise nicht fehlte, und Gott weiß, daß die Kleinen sich trotz aller Ermahnungen Gordon’s doch stets beschmutzten, wenn sie auf der Sport-terrace spielten oder am Ufer des Rio angelten. Wieviel hatten sie hiefür schon Vorwürfe und selbst Strafe bekommen. Das Waschen war nun eine Thätigkeit, auf welche Moko sich aus dem Grunde verstand. Er allein wäre damit freilich nicht fertig geworden, und trotz ihres Widerwillens gegen diese Arbeit mußten die Großen sich entschließen, ihm zu Hilfe zu kommen, um den Wäschebestand von French-den in gutem Zustande zu erhalten.

Der nächste Tag war gerade Sonntag, und man weiß ja, mit welch‘ außerordentlicher Strenge dieser Tag in England und Amerika gefeiert wird. In den Städten, Flecken und Dörfern ist das Leben wie ausgestorben. »An diesem Tage – hat man mit Recht gesagt, ist jede Zerstreuung, jede Belustigung durch die Gewohnheit verboten. Man muß sich nicht allein langweilen, sondern muß auch ein gelangweiltes Aussehen zeigen, und diese Regel gilt für Kinder ebenso streng, wie für Erwachsene!« Die Ueberlieferungen! Immer die berühmten Ueberlieferungen!

Auf der Insel Chairman kam man jedoch dahin überein, nach dieser Seite die Zügel etwas lockerer zu lassen, und an jenem Sonntage gestatteten sich die jungen Colonisten einen Ausflug nach den Gestaden des Family-lake. Da es indessen außergewöhnlich kalt war, freuten sich Alle nach zweistündigem Spaziergange, der mit einem Schnelllaufe, an welchem die Kleinen wenigstens auf der Sport-terrace theilnahmen, geschlossen wurde, nicht wenig, in der Halle eine behagliche Temperatur und im Stoore-room ein warmes Essen vorräthig zu finden, das von dem geschickten Oberkoch von French-den mit besonderer Sorgfalt zubereitet war.

Der Abend endigte mit einem Concert, bei dem die Ziehharmonika Garnett’s die Stelle des Orchesters vertrat, während die Anderen mit echt angelsächsischer Ueberzeugungstreue mehr oder weniger falsch dazu sangen. Der einzige unter diesen Kindern, der eine recht hübsche Stimme besaß, war Jacques; bei seiner unerklärlichen Art des Benehmens aber nahm er an den Zerstreuungen seiner Kameraden keinen Antheil und schlug es trotz wiederholter Bitte ab, bei dieser Gelegenheit eines der reizenden Kinderlieder zum Besten zu geben, mit welchen er in der Pension Chairman stets so freigebig gewesen war.

Dieser Sonntag, der mit einer kurzen Ansprache »Seiner Hochwürden des Herrn Gordon«, wie Service sagte, angefangen wurde, wurde durch ein gemeinschaftliches Gebet beschlossen. Gegen zehn Uhr lag dann Alles in tiefem Schlafe, und nur Phann, auf den man sich ja bezüglich jeder irgend verdächtigen Annäherung verlassen konnte, bewachte die ganze Gesellschaft.

Im Laufe des Juni nahm die Kälte immer mehr zu. Webb bestätigte, daß das Barometer im Mittel über siebenundzwanzig Zoll hoch stand, während das hunderttheilige Thermometer zehn bis zwölf Grad unter dem Gefrierpunkte zeigte. Wenn der meist aus Süden wehende Wind mehr nach Westen umging, erhob sich die Temperatur ein wenig, und die Umgebung von French-den bedeckte sich dann mit tiefem Schnee. Die jugendlichen Ansiedler lieferten sich auch einige Kämpfe mit mehr oder weniger festen Schneeballen, wie das in England Sitte ist, und eines Tages kam dabei gerade Jacques am schlechtesten weg, obwohl er dem übermüthigen Spiele nur als Zuschauer beiwohnte. Ein von Croß recht kräftig geschleuderter Schneeball traf ihn, nach dem er gar nicht gezielt war, ganz empfindlich und entlockte dem Knaben einen lauten Schmerzensschrei.

»Ich habe es nicht mit Absicht gethan, sagte Croß – die gewöhnliche Entschuldigung für alle Ungeschicklichkeiten.

– Gewiß nicht, antwortete Briant, den der Schrei seines Bruders nach dem Schlachtfelde gelockt hatte. Immerhin thust du Unrecht daran, so stark zu werfen.

– Warum stand Jacques auch so nahe, da er ja doch nicht mitspielen wollte? erwiderte Croß.

– Ist das ein Umstand, mischte sich Doniphan ein, und wegen eines ungezogenen Jungen!

– Zugegeben, die Sache hat nicht eben viel zu bedeuten, entgegnete Briant, es wohl empfindend, daß Doniphan nur eine Handhabe suche, sich wieder einmal an ihm zu reiben, ich wollte Croß nur ersuchen, es nicht wieder zu thun.

– Und was ist’s denn so Schlimmes? … fuhr Doniphan höhnisch fort; er hat’s ja nicht einmal mit Absicht gethan …

– Ich weiß nicht, Doniphan, warum Du Dich in eine Sache mengst, welche doch nur Croß und mich angeht …

– Mich geht es ebenso gut an, Briant, da Du einen solchen Ton anschlägst, antwortete Doniphan.

– Wie Du willst … und wann du willst! versetzte Briant, der schon die Arme gekreuzt hatte.

– Auf der Stelle!« rief Doniphan.

Da trat, und recht zur gelegenen Zeit, Gordon noch dazu, um zu verhindern, daß dieser Streit in eine regelrechte Boxerei auslaufe. Er gab übrigens Doniphan Unrecht.

Dieser mußte nachgeben und zog sich grollend nach French-den zurück; es blieb aber immer noch zu fürchten, daß die beiden Rivalen bei der ersten besten Gelegenheit doch aneinander geriethen.

Achtundvierzig Stunden lang hielt der Schneefall unausgesetzt an. Zur Unterhaltung der Kleinen bauten Service und Garnett einen großen Schneemann auf; eine Gestalt mit großem Kopfe, ungeheurer Nase und weit gähnendem Munde – so etwas wie einen richtigen Knecht Rupprecht. Wenn es Dole und Costar nun auch wagten, bei Tageslicht diesen mit Schneeballen zu bombardiren, so betrachteten sie ihn doch mit einer gewissen Scheu, wenn die Dunkelheit seine Verhältnisse in’s Ungeheuerliche vergrößerte.

»O, diese Prahlhänse!« riefen dann Iverson und Jenkins, welche die muthigen Ritter spielten, obwohl es ihnen nicht viel besser zu Muthe war, als ihren kleinen Kameraden.

Gegen Ende des Juni mußte man auf derlei Belustigungen verzichten. Drei bis vier Fuß dick liegender Schnee machte daß Gehen darüber gar zu beschwerlich, und wer sich nur wenige hundert Schritte von French-den hinausgewagt hätte, der wäre Gefahr gelaufen, nicht wieder zurückkehren zu können.

Die jungen Kolonisten blieben also volle vierzehn Tage – bis zum neunten Juli – auf das Haus beschränkt, was ihren Studien eher förderlich als hinderlich war. Das tägliche Programm wurde streng eingehalten, und auch die »allgemeine Versammlung« an den dazu bestimmten Tagen jedesmal einberufen. Das gewährte Allen ein großes Vergnügen, und es darf nicht Wunder nehmen, daß Doniphan mit seiner Redegewandtheit und schon weiter vorgeschrittenen Ausbildung gewöhnlich die erste Rolle dabei spielte. Warum trug er nur immer solchen Stolz zur Schau? Dieser Hochmut verdunkelte wieder selbst die besten Seiten des Knaben.

Obwohl die Erholungsstunden jetzt nur in der Halle verbracht werden konnten, so litt doch, Dank dem reichlichen, durch den Verbindungsgang von einem Zimmer zum anderen stattfindenden Luftwechsel, die allgemeine Gesundheit keineswegs. Die hochwichtige Frage der Gesunderhaltung der Mitglieder ihrer kleinen Colonie schwebte ihnen immer vor Augen. Wie hätte man einem etwa erkrankenden Kinde hier auch die nöthige Pflege und Sorgfalt zutheil werden lassen können? Zum Glück kam in dieser Hinsicht nichts weiter vor, als einmal ein Schnupfen oder eine leichte Heiserkeit, welche durch Ruhe und Wärme immer unschwer zu beseitigen waren.

Jetzt beschäftigte sie auch die Lösung einer anderen Frage. Gewöhnlich wurde das Wasser für die Bedürfnisse von French-den bei niedrigem Meere aus dem Rio geschöpft, da es dann keinen Salzgehalt zeigte. Wenn der Rio aber vollständig zufror, mußte sich dasselbe ganz von allein verbieten. Gordon besprach deshalb mit Baxter, seinem »Leibingenieur«, die dagegen zu ergreifenden Maßregeln. Nach einiger Ueberlegung schlug Baxter vor, einige Fuß unter der Erde eine Leitung anzulegen, welche, da sie nicht zufrieren konnte, Store-room mit Wasser versehen würde. Das war gewiß eine schwierige Arbeit, welche Baxter kaum hätte zu Ende führen können, wenn er nicht die Bleirohre zur Verfügung gehabt hätte, die auf dem »Sloughi« als Wasserleitung nach den Waschtischen gedient hatten. Nach verschiedenen mißlungenen Versuchen wurde endlich der Wasserzufluß nach Store-room gesichert. Was die Beleuchtung betraf, so waren jetzt noch hinreichende Oelvorräthe für die Lampen und Laternen vorhanden, nach Ablauf des Winters mußte es aber nothwendig werden, diese irgendwie zu ersetzen oder Kerzen aus dem Fette herzustellen, das Moko nicht gebraucht und aufgehoben hatte.

Einige Sorge erregte während dieser Zeit auch die Ernährung der kleinen Colonie, denn Jagd und Fischfang lieferten jetzt nicht die gewohnte Ausbeute. Wohl schweiften, vom Hunger getrieben, einzelne Thiere gelegentlich auf der Sport-terrace umher, doch das waren nur Schakals, welche Doniphan und Croß durch Gewehrschüsse zu vertreiben sich begnügten. Eines Tages erschien sogar eine ganze Bande derselben – wohl an zwanzig Stück – so daß man die Thüre der Halle und des Store-room fest verbarricadiren mußte. Ein Einbruch dieser durch den Hunger noch mehr gereizten Raubthiere hätte schreckliche Folgen haben können. Da sie Phann jedoch bei Zeiten meldete, kamen sie gar nicht dazu, die Thüre von French-den zu stürmen.

Unter so mißlichen Umständen sah Moko sich gezwungen, dann und wann auf den Proviant von der Yacht zurückzugreifen, der doch so viel als möglich geschont werden sollte. Nur sehr ungern ertheilte Gordon die Erlaubnis, denselben zu verwenden, und mit Betrübniß sah er in seinem Notizbuche die Rubrik der Ausgaben sich immer mehr verlängern, während die der Einnahmen stets gleich lang blieb. Da es jedoch auch einen reichen Vorrath an Enten und jungen Trappen gab, welche in halbgekochtem Zustande luftdicht in Fässer verpackt worden waren, so konnte Moko diese in Anspruch nehmen, ebenso wie er von den in Salzlake aufbewahrten Lachsen immer etwas auf die Tafel brachte. Man darf hierbei nicht vergessen, daß French-den fünfzehn Magen zu ernähren und den Appetit von acht- bis vierzehnjährigen Knaben zu befriedigen hatte.

Immerhin fehlte es den Winter über keineswegs ganz an frischem Fleisch. Wilcox, der in der Herstellung aller Art Hilfsgeräthe für Jagdzwecke sehr erfahren war, hatte auf dem Ufergelände mehrere Fallen errichtet, welche, einfach aus elastischen Zweigen in Form einer 4 bestehend, doch manches Stück Kleinwild lieferten.

Mit Hilfe seiner Kameraden spannte Wilcox auch am Ufer des Rio eine Art Luftnetze aus, wozu er die Schleppnetze vom »Sloughi« verwendete, welche an Stangen in geeigneter Weise befestigt wurden. In den Maschen dieser ausgedehnten leinenen Spinnengewebe, blieben viele Vögel aus den South-moores hängen, wenn sie von einem Ufer zum andern flogen. Konnten sich auch viele derselben aus den für diesen Zweck zu engen Maschen wieder befreien, so gab es doch Tage, wo noch genug gefangen wurden, um die beiden Hauptmahlzeiten für die ganze Gesellschaft abzugeben.

Nur die Ernährung des Nandu machte nicht wenig Schwierigkeiten, und wir müssen gestehen, daß die Zähmung dieses wilden Stelzvogels, was auch der damit besonders betraute Service sagen mochte, noch recht viel zu wünschen übrig ließ.

»Das muß einmal ein Renner werden!« wiederholte er öfters, obwohl noch gar nicht zu ersehen war, wie er denselben je besteigen könnte.

Da der Nandu aber nicht zu den Fleischfressern zählte, mußte Service dessen täglichen Bedarf von Gräsern und Wurzeln unter der zwei bis drei Fuß hohen Schneedecke zu gewinnen suchen. Was hätte er indeß nicht Alles gethan, um seinem Lieblingsthiere ein zusagendes Futter zu beschaffen! Wenn der Nandu während dieses scheinbar endlosen Winters etwas abmagerte, so lag das gewiß nicht an seinem treuen Hüter, und man durfte getrost hoffen, daß jener mit der Rückkehr des Frühlings seine gehörige Körperfülle wieder gewinnen werde.

Als Briant frühmorgens am 9. Juli einmal in’s Freie hinausgetreten war, konnte er beobachten, daß der Wind plötzlich nach Süden umgesprungen sei.

Der ungemein strenge Frost nöthigte ihn, schleunigst nach der Halle umzukehren, wo er Gordon von dieser Veränderung der Temperatur Mittheilung machte.

»Das war ja zu befürchten, antwortete Gordon, und es sollte mich nicht verwundern, wenn wir noch einige Monate strengen Winters auszuhalten hätten.

– Das beweist aber, meinte Briant, daß der »Sloughi« weit tiefer als wir annahmen nach Süden zu verschlagen wurde.

– Gewiß, bestätigte Gordon, und doch zeigt unser Atlas keine Insel in der Nähe des antarktischen Meeres.

– Das ist wirklich unerklärlich, Gordon, und wahrlich, ich wüßte nicht, welche Richtung wir einschlagen sollten, wenn uns einst die Möglichkeit geboten wäre, die Insel Chairman zu verlassen …

– Die Insel verlassen? … rief Gordon. Aber, Briant, denkst Du denn daran noch immer?

– Alle Tage, Gordon. Wenn es uns gelänge, ein einigermaßen seetüchtiges Fahrzeug zu erbauen, würd‘ ich keinen Augenblick Bedenken tragen, damit auf Entdeckung auszuziehen.

– Schon gut, schon gut, erwiderte Gordon, damit hat’s noch keine Eile … Warten wir wenigstens, bis unsere kleine Colonie vollständig organisirt ist …

– Ei, mein wackerer Gordon, unterbrach ihn Briant, Du denkst wohl nicht daran, daß wir da draußen noch Angehörige haben …

– Gewiß … gewiß, Briant. Alles in Allem sind wir aber hier doch gar nicht so schlimm daran. Die Sache macht sich, und ich frage mich manchmal, was uns eigentlich noch fehlen sollte.

– Ich dächte, so mancherlei, antwortete Briant, der es nicht für angezeigt hielt, das Gespräch über dieses Thema noch weiter auszuspinnen. Da fällt mir eben ein, daß unser Brennmaterial zu Ende geht …

– Nun, ich dächte, der ganze Wald der Insel wäre noch nicht verbrannt.

– Nein, Gordon, aber es wird doch hohe Zeit, unsere Holzvorräthe wieder zu erneuern.

– Meinetwegen noch heute, erwiderte Gordon. Komm‘, wir wollen nach dem Thermometer sehen!«

Das im Store-room hängende Thermometer zeigte nur fünf Grad über Null, obwohl im Kochofen ein tüchtiges Feuer prasselte. Als es dagegen an der Außenwand angebracht wurde, zeigte es sehr bald siebzehn Grad unter dem Gefrierpunkte.

Es war eine strenge Kälte, welche voraussichtlich noch zunahm, wenn die Witterung während einiger Wochen klar und trocken blieb. Trotz beständigen Feuers im Kochherde und in den beiden Oefen der Halle erniedrigte sich die Temperatur merklich im Innern von French-den.

Gegen neun Uhr und nach dem ersten Frühstück wurde beschlossen nach den Traps-woods zu ziehen und eine Ladung Holz zu holen.

Wenn die Luft ruhig ist, kann man sich selbst den niedrigsten Temperaturen ungestraft aussetzen. Vorzüglich schmerzhaft ist nur der schneidende Wind, der den Händen und dem Gesicht so zusetzt, daß man sich kaum dagegen zu schützen vermag. Zum Glück war an diesem Tage der Wind ganz schwach und der Himmel so vollkommen klar, als ob die Luft gefroren wäre.

An Stelle des lockeren Schnees, in den man noch am Vortage bis zur Taille versank, schritt der Fuß jetzt auf einer metallharten Fläche dahin. Wenn es sich nur um die Gefahrlosigkeit des Weges gehandelt hätte, wäre es möglich gewesen, ebenso über den ganz übereisten Family-lake wie über den Rio wegzuziehen. Mit einigen Schneeschuhen, wie sie die Bewohner der Polargebiete häufig benützen, oder selbst in einem, mit Hunden und Renthieren bespannten Schlitten hätte der See in seiner ganzen Ausdehnung von Norden nach Süden binnen wenigen Stunden besucht werden können.

Für den Augenblick handelte es sich aber nicht um einen so weit ausgedehnten Ausflug, sondern um einen Gang in die benachbarten Wälder, um daraus neue Brennholzvorräthe zu holen.

Die Ueberführung einer hinreichenden Holzmenge nach French-den mußte immerhin eine schwierige Arbeit werden, weil dieser Transport nur auf dem Arme oder dem Rücken zu bewerkstelligen war. Da kam Moko ein guter Gedanke, der schleunigst zur Ausführung gebracht wurde, dahin gehend, daß man sich doch ein für den Augenblick genügendes Gefährt beschaffen könnte. Der festgebaute, zwölf Fuß lange und vier Fuß breite Tisch des Store-room brauchte ja nur, die Beine nach oben umgewendet und dann über die glatte Fläche des vereisten Schnees gezogen zu werden; daß das anging, sahen Alle sofort ein. Nachdem sich vier größere Knaben mit Stricken vor dieses etwas primitive Gefährt gespannt, brach man gegen neun Uhr in der Richtung nach den Traps-Woods auf.

Mit rother Nase und brennenden Wangen sprangen die Kleinen gleich jungen Hunden voran, wozu Phann ihnen ein vorzügliches Beispiel gab. Manchmal kletterten sie auch unter Streit und einigen sanften Püffen auf den Tisch, selbst auf die Gefahr hin, einmal umzupurzeln, was hier niemals schlimm ablaufen konnte. Ihr Gejubel widerhallte mit außerordentlicher Deutlichkeit in der kalten, trockenen Atmosphäre. Es war wirklich herzerquickend, die ganze kleine Colonie bei so übermüthiger Laune und tadelloser Gesundheit zu beobachten.

Zwischen dem Aucklaud-Hill und dem Family-lake war Alles gleichmäßig weiß. Die Bäume mit ihren überreiften Zweigen und mit schimmernden Krystallen beladenen Aesten dehnten sich gleich einer feenhaften Decoration in unabsehbare Fernen aus. Ueber dem See flatterten ganze Schaaren von Vögeln bis zum Abhange des Steilufers hin. Doniphan und Croß hatten nicht vergessen ihre Flinten mitzunehmen. Eine weise Vorsicht, denn da und dort zeigten sich neben Spuren von Schakals auch solche von Jaguars und Cuguars.

»Diese gehören vielleicht zu den wilden Katzen, welche man »Paperos« nennt, und die nicht minder furchtbar sind, sagte Gordon.

– O, wenn es nur Katzen sind! rief Costar mit den Achseln zuckend.

– Die Tiger sind aber auch nur Katzen, ließ Jenkins sich vernehmen.

– Ist es wahr, Service, fragte Costar, daß die Katzen bösartig sind?

– Gewiß, versicherte Service, und kleine Kinder verzehren sie wie Mäuse!«

Diese Antwort machte Costar doch recht bedenklich.

Die halbe Meile zwischen French-den und den Traps-woods wurde in kurzer Zeit zurückgelegt, und die jungen Holzfäller gingen an die Arbeit. Ihre Axt legten sie nur an Bäume von einiger Dicke, deren schwächere Zweige abgehauen wurden, nicht um sich mit einen Augenblick flackernden Reisigbündeln zu versorgen, sondern tüchtige Scheite zu gewinnen, welche den Koch- und die Heizöfen dauernder zu erhitzen geeignet waren. Der »Tafelschlitten« erhielt zwar eine recht schwere Last, er glitt aber so leicht dahin und Alle zogen ihn mit so frohem Muthe über die harte Kruste, daß im Laufe des Vormittags zwei Fuhren gemacht werden konnten.

Nach dem Essen ging man wieder an die Arbeit, welche erst um vier Uhr, als der Tag zur Rüste ging, unterbrochen wurde. Die Anstrengung war eine ziemlich große gewesen, und da man sich ja nicht zu übernehmen brauchte, verschob Gordon die Fortsetzung bis zum folgenden Tage. Gordon’s Befehl mußte aber allgemein beachtet werden.

Nach der Heimkehr nach French-den beschäftigte man sich nur noch damit, die Scheite zu zersägen, zu spalten und aufzuschichten, was bis zur Schlafenszeit andauerte.

Sechs Tage lang wurden diese Fahrten unausgesetzt wiederholt, wodurch sich Brennmaterial für eine Reihe von Wochen anhäufte. Es versteht sich von selbst, daß diese großen Vorräthe im Store-room nicht untergebracht werden konnten, es schadete ja aber auch nichts, sie in freier Luft am Fuße des Steilufers aufzustapeln.

Am 15. Juli war nach Angabe des Kalenders der Saint-Swithin-Tag; in England entspricht dieser Tag im Volksglauben ganz unserem Siebenschläfer.

»Nun, begann Briant, wenn heute Regen fällt, werden wir sehen, daß es vierzig Tage lang fort regnet.

– Meiner Treu, versetzte Service, was hat das auch Großes zu bedeuten, da wir jetzt in der schlechten Jahreszeit sind. Ja, wenn es Sommer wäre …«

In der That brauchen sich die Bewohner der südlichen Erdhälfte nicht wegen des Einflusses zu beunruhigen, den derartige Merktage des Volkes haben könnten, denn die Siebenschläfer sind wie Sanct Medardus für sie nur Winterheilige.

Der Regen hielt jedoch, da der Wind nach Südosten umsprang, nicht an, dagegen trat solcher Frost ein, daß Gordon den Kleinen jeden Ausgang untersagte.

In der Mitte der ersten Augustwoche sank die Thermometersäule nämlich bis auf siebenundzwanzig Grad unter Null herab. Sobald man sich da der freien Luft aussetzte, schlug sich der Athem in Form von Schnee nieder. Mit der Hand konnte man kein metallenes Geräth anfassen, ohne heftigen Schmerz, wie von einer Verbrennung, zu empfinden. Da mußten denn auch die umfassendsten Maßregeln getroffen werden, um die Luftwärme des Innern nur erträglich zu erhalten.

Jetzt folgten sich vierzehn recht unangenehme Tage. Alle litten mehr oder weniger von dem Mangel an Bewegung. Briant sah nicht ohne Sorge die blassen Wangen der Kleinen, von denen jede Farbe gewichen war. Dank den warmen Getränken, woran es nie fehlte, überstanden die jungen Kolonisten jedoch diesen gefährlichen Zeitraum, abgesehen von einigen Schnupfen- und Hustenanfällen, ohne ernstlichen Nachtheil.

Gegen den 16. August neigte sich, mit nach und nach umgehenden Winden, der Zustand der Atmosphäre einer Veränderung entgegen. Das Thermometer erhob sich auf zwölf Grad unter dem Gefrierpunkte, zeigte also bei gleichzeitig ruhiger Luft eine erträgliche Temperatur an.

Doniphan, Briant, Service, Wilcox und Baxter kamen da auf den Gedanken, sich einmal nach der Sloughi-Bai zu begeben, von wo sie bei frühzeitigem Aufbruche an demselben Abend zurück sein konnten.

Es handelte sich dabei darum, zu sehen, ob die Küste nicht stark besetzt sei von jenen Amphibien, den gewöhnlichen Wintergästen der antarktischen Gegenden, von denen man schon zur Zeit der Strandung einzelne Exemplare gesehen hatte. Gleichzeitig sollte die Flagge erneuert werden, von der nach den Winterstürmen ja nur noch Fetzen übrig sein konnten. Auf Briant’s Anrathen wollte man den Signalmast überdies mit einer Tafel versehen, welche die Lage von French-den angab, für den Fall, daß Seeleute nach Wahrnehmung des Mastes einmal hier landen sollten.

Gordon gab seine Zustimmung unter der Empfehlung, vor Anbruch der Nacht unbedingt heimzukehren, und die kleine Truppe brach also am Morgen des 19. August noch vor dem Hellwerden auf. Der Himmel war klar und der Mond erleuchtete ihn mit den schrägen Strahlen seines letzten Viertels. Sechs Meilen bis zur Bai hin zu wandern, das konnte junge Beine nach so langem Ausruhen nicht in Verlegenheit setzen.

Mit schnellen Schritten ging es vorwärts. Die Schlammlache der Bog-Woods brauchte, weil sie mit Eis bedeckt war, nicht umgangen zu werden, ein Umstand, der den Weg wesentlich abkürzte. Vor neun Uhr Morgens schon kam Briant mit seinen Kameraden auf dem Vorlande der Bai an.

»Da seht, ganze Schaaren von Vögeln!« rief Wilcox.

Er wies damit nach einigen Tausenden auf den Klippen sitzender Vögel hin, welche mit ihrem langen miesmuschelförmigen Schnabel und dem ebenso durchdringenden wie häßlichen Geschrei etwa großen Enten glichen.

»Man könnte sie für Soldaten halten, die ihr General Revue passiren läßt, meinte Service.

– Es sind nur Fettgänse, belehrte ihn Baxter, und die sind keinem Schuß Pulver werth.«

Die stumpfsinnigen Vögel, welche sich in Folge ihrer weit hinten eingelenkten Pfoten fast ganz aufrecht hielten, dachten gar nicht daran, zu entfliehen, und man hätte sie mit Stockhieben erlegen können. Doniphan hatte vielleicht auch nicht üble Lust zu einem solchen nutzlosen Gemetzel; da Briant aber so klug war, sich demselben zu widersetzen, wurden die Pinguins (Fettgänse) in Ruhe gelassen.

Wenn dieses Geflügel übrigens gar keine Verwendung finden konnte, so gab es dafür andere Thiere, deren Fett zur Erleuchtung von French-den während des folgenden Winters zu gebrauchen war.

Es waren Robben, zur Abart der sogenannten Rüssel-Robben gehörig, die sich hier auf den mit dicker Eiskruste bedeckten Klippen tummelten. Um einige derselben zu erlegen, hätte man ihnen den Rückweg an der Außengrenze des Klippengürtels verlegen müssen. Sobald sich Briant und seine Kameraden jedoch herannahten, entflohen jene mit ganz erstaunlichen Luftsprüngen und verschwanden unter dem Wasser, so daß man sich vornehmen mußte, später einmal eine förmliche Jagd zu veranstalten, um diese Amphibien einzufangen.

Nachdem die Knaben von dem mitgeführten Proviant ein einfaches aber kräftiges Frühstück verzehrt, besichtigten sie die Bai in ihrer ganzen Ausdehnung.

Eine gleichmäßig weiße Fläche erstreckte sich hier von der Mündung des Rio Sealand bis zum Vorgebirge False-sea-point. Bis auf die Fettgänse und einzelne Seevogelarten, wie Sturmvögel, weiße und graue Möven u. dergl., schien das andere Geflügel den Strand gänzlich verlassen und sich, jedenfalls zur Befriedigung seines Nahrungsbedürfnisses, nach dem Innern der Insel gewendet zu haben. Zwei bis drei Fuß tiefer Schnee bedeckte das Vorland, und was von den Trümmern des Schooners vielleicht noch übrig war, lag unter dieser dichten Hülle versteckt. Der aus Tang und Seegras bestehende Auswurf des Meeres, der sich am Klippenrande in langer Linie angehäuft hatte, bewies, daß die Sloughi-Bai von besonders heftigen Aequinoctialfluthen nicht betroffen worden war.

Das Meer selbst erschien bis zur äußersten Grenze des Horizontes heute ebenso verlassen, wie Briant es vor drei Monaten gesehen hatte. Und da hinaus lag in der Entfernung von Hunderten von Meilen das heimatliche Neuseeland, das er immer eines Tages wiederzusehen hoffte.

Baxter ging nun daran, eine neue Flagge, die er mitgebracht, aufzuziehen und die Tafel zu befestigen, welche die Lage von French-den sechs Meilen stromaufwärts des Rio angab. Gegen ein Uhr Mittags traten dann Alle auf das linke Ufer über.

Unterwegs erlegte Doniphan noch ein Paar langgeschwänzte Enten, nebst einigen über dem Flusse umherfliegenden Kibitzen, und gegen vier Uhr, als es langsam zu dämmern begann, traf er mit seinen Begleitern wieder glücklich in French-den ein. Hier wurde Gordon von allem, was sie gesehen und beobachtet, unterrichtet, und da die Robben so überaus zahlreich in der Sloughi-Bai vorkamen, wollte man auf diese bei einigermaßen günstiger Witterung einmal Jagd machen.

Die schlechte Jahreszeit mußte nun bald zu Ende gehen. Während der letzten Woche des August und der ersten des September gewann der Seewind schon wieder die Oberhand. Schwere Regenböen führten eine schnelle Steigerung der Luftwärme herbei. Der Schnee kam deshalb bald zum Schmelzen, und an der Seeoberfläche donnerte und krachte es vom Bersten des Eises. Diejenigen Schollen, welche sich nicht an Ort und Stelle auflösten, trieben in tollem Durcheinander in den Rio hinein und thürmten sich hier übereinander, wodurch eine Eisstopfung entstand, die erst gegen den 10. September wieder völlig gebrochen wurde.

So war der Winter denn vorübergegangen. Dank den getroffenen Vorsichtsmaßregeln hatte die kleine Kolonie davon nicht allzuviel zu erdulden gehabt. Alle waren frisch und gesund geblieben und Gordon hatte, da sie ihre Studien mit großem Eifer fortsetzten, keine Veranlassung gefunden, etwaige Widerspänstige zu bestrafen.

Eines Tages jedoch mußte sich Dole, dessen Betragen eine exemplarische Buße erforderte, doch züchtigen lassen.

Wiederholt hatte der Trotzkopf sich geweigert »seine Pflicht zu thun«, und Gordon’s Ermahnungen und Warnungen schlug er leichten Sinnes in den Wind. Er wurde deshalb nicht zu Wasser und Brod – was sich mit dem in den angelsächsischen Schulen geübten System nun einmal nicht verträgt – sondern zu einer Anzahl Hiebe verurtheilt.

Die jungen Engländer empfinden, wie wir schon sagten, keineswegs denselben Abscheu gegen eine derartige körperliche Züchtigung, wie ihn junge Franzosen derselben gegenüber zeigen würden. Auch im vorliegenden Falle hätte Briant gern gegen eine solche, seiner Ansicht nach entehrende Strafart Einspruch erhoben, wenn er nicht die Entscheidung Gordon’s zu respectiren verpflichtet gewesen wäre. Wo ein französischer Zögling sich übrigens der Strafe selbst schämen würde, schämt sich der englische Schüler davor, Furcht vor derselben merken zu lassen.

Dole erhielt also einige Ruthenhiebe von den Händen Wilcox‘, der durch Losung zum öffentlichen Stockmeister bestimmt worden war, und diese Abstrafung wirkte so nachhaltig, daß sich keine Wiederholung derselben nöthig machte.

Am l0. September waren übrigens sechs Monate verflossen, seit der »Sloughi« an den Klippen der Insel Chairman gescheitert war.

XIV.

XIV.

Letzte Wintererscheinungen. – Der Wagen. – Rückkehr des Frühlings. – Service und sein Nandu. – Vorbereitungen zu einem Zuge nach Norden. – Die Erdgruben. – Stop-river. – Fauna und Flora. – Das Ende des Family-lake. – Die Sandy-Wüste.

———

Mit der sich ankündigenden schöneren Jahreszeit konnten die Knaben nun einige Pläne zur Ausführung bringen, die sie während der langen Wintermuße entworfen hatten.

Gegen Westen – das lag ja auf der Hand – fand sich kein Land in der Nachbarschaft der Insel. War das nach Norden, Süden und Osten hin aber ebenso der Fall, oder bildete diese nicht das Glied eines Archipels oder einer Inselgruppe des Stillen Weltmeeres? Nach Maßgabe der Karte François Baudoin’s mußte diese Frage gewiß mit Nein! beantwortet werden. Nichtsdestoweniger konnten in diesem Meerestheile sich noch Länder befinden, die der Schiffbrüchige wegen Mangels an einem Fernrohre nur nicht hatte wahrzunehmen vermocht, da von Auckland-Hill nur ein Umkreis von wenigen Meilen zu übersehen war. Die in dieser Beziehung viel besser ausgerüsteten Knaben entdeckten doch vielleicht, was dem Ueberlebenden vom »Duguay-Trouin« zu erkennen unmöglich gewesen war,

Ihrer eigentümlichen Gestaltung entsprechend, maß die Insel Chairman in ihrem mittleren Theile, östlich von French-den, nicht mehr als etwa ein Dutzend Meilen. Da auf der der Sloughi-Bai gegenüber liegenden Seite die Küste eine tiefe Einbuchtung bildete, empfahl es sich von selbst, eine Untersuchung in dieser Richtung vorzunehmen.

Vor einer Besichtigung der verschiedenen Gebietsteile der Insel schien es jedoch angezeigt, erst das zwischen dem Auckland-Hill, dem Family-Lake und den Traps-woods gelegene Terrain genauer kennen zu lernen. Es erschien ja von Wichtigkeit zu erfahren, welche Hilfsmittel dasselbe bot, ob es reich an nutzbaren Bäumen und Sträuchern sei oder nicht, und zur Lösung dieser und ähnlicher Fragen wurde denn für die ersten Tage des Novembers ein Ausflug festgesetzt.

Wenn der astronomische Frühling jetzt seinen Anfang nehmen sollte, so spürte freilich die unter ziemlich hoher Breite liegende Insel Chairman davon noch nicht gerade viel. Während des ganzen Septembers und der ersten Hälfte des Octobers herrschte noch recht schlechtes, rauhes Wetter, gelegentlich sogar ziemlich strenge Kälte, die jedoch nicht anhielt, da der Wind ungemein häufig seine Richtung wechselte. Während der Zeit der Tagundnachtgleiche traten äußerst heftige atmosphärische Störungen ein, ähnlich denen, welche den »Sloughi« über den Stillen Ocean gejagt hatten. Bei den entsetzlichen Windstößen schien selbst der Auckland-Hill bis in seine Grundvesten erschüttert zu werden, als der wüthende Sturm aus Süden, der über die, ihm kein Hinderniß bietenden Southe-moors hinwegfegte, die eisige Luft des antarktischen Polarmeers in diese Gegenden herauftrug. Es war ein hartes Stück Arbeit, ihm das Eindringen in French-den zu verwehren. Zwanzigmal drückte er wohl die in den Store-room führende Thür ein und stürmte durch den Verbindungsgang bis in die Halle hinein. Unter diesen mißlichen Verhältnissen litten Alle fast noch mehr, als zur Zeit des strengsten Frostes, der die Quecksilbersäule des hundertteiligen Thermometers bis auf dreißig Grad unter Null herabgedrückt hatte. Jetzt hatte man übrigens nicht gegen den Sturm allein, sondern auch gegen heftige Regen- und Hagelschauer anzukämpfen. Um das Maß dieser Unannehmlichkeiten voll zu machen, schien das eßbare Wild auch ganz verschwunden zu sein, als hätte es in den tieferen, den Wetterlaunen der Tagundnachtgleiche minder ausgesetzten Theilen der Insel Zuflucht gesucht – und ebenso die Fische, welche durch die tolle Aufregung des langhin am ganzen Seeufer andonnernden Wassers erschreckt sein mochten.

In French-den legte man deshalb aber die Hände keineswegs in den Schooß. Da der Tisch nach dem Verschwinden der harten glatten Schneekruste als Gefährt nicht mehr dienen konnte, bemühte sich Baxter einen zum Transport schwererer Gegenstände geeigneten Wagen herzustellen.

Zu diesem Zwecke dachte er zwei gleichgroße Räder zu verwenden, welche zum Gangspill des Schooners gehört hatten. Diese Arbeit gelang freilich nicht ohne manche mißglückten Versuche, welche jeder Sachverständige zu vermeiden gewußt hätte. Diese Räder hatten nämlich Zähne, und nachdem sich Baxter erfolglos mit dem Ausbrechen derselben bemüht, mußte er sich begnügen, deren Zwischenräume mit Holzklötzchen auszufüllen und das ganze mit einem Eisenbande zu umschließen. Nach Vereinigung der beiden Räder durch eine Eisenstange, überbaute er das feste Gerüst mit einer Art Kasten aus starken Planken. Das im Ganzen recht mangelhafte Gefährt sollte, wie es war, doch recht ersprießliche Dienste leisten. Natürlich mußten an Stelle eines Pferdes, Esels oder Maulesels die kräftigsten Knaben der Colonie als Bespannung aushelfen.

Welche Anstrengung hätte man sich ersparen können, wenn es gelang irgend welche Vierfüßler einzufangen, die zu diesem Zwecke abgerichtet werden konnten! Warum schien auch die Insel Chairman, außer einigen Raubthieren, deren Ueberreste oder Spuren man entdeckt hatte, so reich an Geflügel und so arm an Wiederkäuern zu sein! Und durfte man, nach dem Strauße Service’s zu urtheilen, wohl hoffen, daß diese sich den erwünschten »häuslichen Pflichten« fügen lernen würden?

Der Nandu nämlich hatte von seinem wilden Charakter nach ganz und gar nichts verloren. Er ließ sich Niemand nahe kommen, ohne sich mit dem Schnabel und den Beinen zu vertheidigen, suchte die Fesseln zu brechen, mit denen er angebunden war, und wenn ihm das gelang, wäre er gewiß sofort unter den Bäumen der Traps-woods verschwunden.

Service ließ deshalb aber den Muth nicht sinken. Er hatte seinen Nandu natürlich ebenso »Brausewind« getauft, wie es der Meister Jack im Schweizer Robinson bezüglich seines Straußes gethan. Doch obwohl er seine ganze Eigenliebe daransetzte, das widerspänstige Thier zu zähmen, blieb gute oder schlechte Behandlung desselben gleichmäßig erfolglos.

»Und dennoch, sagte er eines Tages mit Bezug auf den von ihm immer wieder durchlesenen Roman von Wyß, ist Jack dahin gelangt, seinen Strauß zum schnellfüßigen Reitthier auszubilden.

– Ganz recht, antwortete Gordon. Doch zwischen Deinem Helden und Dir, Service, ist derselbe Unterschied wie zwischen seinem Strauß und dem Deinigen.

– Und welcher denn, Gordon?

– Ganz einfach der, der die Einbildung von der Wirklichkeit unterscheidet.

– Thut nichts! erwiderte Service. Ich werde mit meinem Strauß schon noch fertig … oder er soll mich kennen lernen!

– Nun, auf mein Wort, entgegnete Gordon lachend, ich würde weniger erstaunt sein, ihn in reinem Englisch antworten zu hören, als ihn Dir gehorchen zu sehen!«

Trotz der Spötteleien seiner Kameraden war Service entschlossen, auf seinem Nandu auszureiten, sobald die Witterung das gestattete. In treuer Nachahmung seines Vorbildes verfertigte er ihm schon aus Segelleinwand eine Art Reitzeug nebst einer Kappe mit beweglichen Scheuledern. Jack hatte sein Thier nämlich dadurch gelenkt, daß er mit dem einen oder dem andern Scheuleder nach Bedarf das rechte oder das linke Auge desselben bedeckte. Warum sollte nun, was jenem Knaben gelungen war, seinem Nachahmer unerreichbar sein? Service flocht auch ein Halsband aus Trossen, das er an dem Hals des, darüber gewiß nicht besonders erfreuten Stelzvogels befestigte. Was aber die über den Kopf zu ziehende Kappe anging, so erwiesen sich alle dahin zielenden Versuche vorläufig erfolglos.

So verliefen die Tage unter allerlei Arbeiten, welche French-den schließlich recht wohnlich machten, und mit denselben füllte man am besten die Stunden aus, die nicht im Freien ausgenützt werden konnten, ohne diejenigen zu beschränken, welche den geistigen Arbeiten gewidmet waren.

Die Tagundnachtgleichen-Periode ging zu Ende. Die Sonne gewann schon an Kraft und der Himmel heiterte sich mehrfach auf. Es war jetzt Mitte October. Die Bodenwärme trieb wieder den Saft in die frisch ergrünenden Bäume und Sträucher.

Nun konnte man auch French-den auf ganze Tage verlassen. Die warmen Kleidungsstücke, grobtuchenen Hosen, die Flanell- und die gestrickten Jacken wurden tüchtig ausgeklopft, ausgebessert, zusammengeschlagen und nach vorheriger Etiquettirung durch Gordon sorgsam in die Koffer verpackt. Die in der leichten Kleidung sich behaglicher fühlenden Kolonisten hatten die Rückkehr der schönen Jahreszeit freudig begrüßt. Dazu kam auch die nie ersterbende Hoffnung, irgend eine Entdeckung zu machen, welche eine Wendung ihrer Lage herbeiführen könnte. Während des Sommers war es ja möglich, daß ein Schiff diese Gegenden besuchte, das beim Vorübersegeln an der Insel Chairman ans Land ging, wenn es die auf dem Gipfel des Auckland-Hill wehende Flagge bemerkte.

Während der zweiten Octoberhälfte wurden nun mehrer Ausflüge im zweimeiligen Umkreise von French-den ausgeführt, an denen nur die Jäger theilnahmen. Den gewöhnlichen Bedarf an Nahrung lieferten sie allemal, obwohl auf Empfehlung Gordon’s Pulver und Blei möglichst geschont wurden. Wilcox stellte große Sprenkel auf, in welchen er einige Paar Tinamus und Trappen, und zuweilen auch einzelne Maras-Hasen fing, die den Meerschweinchen sehr ähnlich sind. Mehrmals am Tage besichtigte man diese Fanggeräthschaften, denn Schakals und Paperos waren nicht faul, den Jägern zuvorzukommen und die Beute zu rauben. Es war wirklich sehr ärgerlich, für dieses Gesindel zu arbeiten, dem übrigens bei jeder passenden Gelegenheit nachgestellt wurde; auch gelang es, verschiedene schädliche Thiere sowohl in den wiederhergestellten alten, wie in mehreren, am Saume des Waldes ausgehobenen neuen Fallgruben abzufangen. Was eigentliche wilde Raubthiere betraf, so fand man wohl da und dort Fährten derselben, kam aber nicht in die Nothwendigkeit, einen Ueberfall derselben, gegen den Alle stets sorglich auf der Hut waren, abzuwehren.

Doniphan erlegte auch einige Pecaris und Guaculis – das sind etwa eine Art Eber und Hirsch von geringer Größe – deren Fleisch sehr schmackhaft ist. Bezüglich der Nandus bedauerte Niemand, keine weiteren einfangen zu können, da der geringe Erfolg, den Service mit der Zähmung des seinigen hatte, zu keiner Wiederholung dieses Versuchs ermunterte.

Das zeigte sich recht deutlich, als der starrköpfige Knabe am Morgen des 26. seinen Strauß, den er nicht ohne Mühe gesattelt und gezäumt hatte, besteigen wollte.

Auf der Sport-terrace hatten sich Alle versammelt, um diesem interessanten Experimente beizuwohnen. Die Kleinen betrachteten ihren Kameraden mit einem Gefühl von Neid, dem sich freilich etwas Aengstlichkeit beimischte. Im entscheidenden Augenblick zögerten sie denn auch, sich einen Platz hinter Service zu erbitten. Die Großen zuckten nur die Achseln. Gordon hatte sich auch bemüht, Service von einem Versuche abzuhalten, der ihm immerhin etwas gefährlich erschien; dieser bestand aber auf seinem Willen, und so beschloß man, ihn gewähren zu lassen.

Während Garnett und Baxter das Thier hielten, dessen Augen durch die Scheuleder der Kappe verschlossen waren, gelang es Service nach mehreren vergeblichen Versuchen, sich auf dessen Rücken zu schwingen. Dann rief er mit halb zuversichtlicher Stimme:

»Loslassen!»

Der des Gebrauchs seiner Augen beraubte Nandu blieb zunächst, zurückgehalten durch den Knaben, der ihn fest zwischen den Schenkeln drückte, ganz still stehen; sobald aber die Scheuleder durch Anziehung der Leinen, welche gleichzeitig als Zügel dienten, zurückgezogen waren, machte er einen gewaltigen Sprung und lief in der Richtung des Waldes davon.

Service war nicht länger Herr seines wilden Reitthieres, das mit der Schnelligkeit eines Pfeiles dahinraste. Vergeblich bemühte er sich, ihn durch Blendung auf’s Neue zum Stehen zu bringen. Durch eine heftige Bewegung des Kopfes schüttelte der Nandu die Kappe so weit ab, daß sie ihm über den Hals hinabrutschte, an den sich Service mit beiden Armen anklammerte. Dann warf er durch einen gewaltigen Stoß den unsicheren Reiter aus dem Sattel, und dieser fiel gerade in dem Augenblick herunter, als das Thier unter den Bäumen der Traps-woods verschwinden wollte.

Die Genossen Service’s liefen herbei; als sie ihn erreichten, war der Strauß schon außer Sehweite.

Glücklicher Weise hatte Service, der auf dichtes Gras herabgerollt war, keinen Schaden genommen.

»Das dumme Thier! … das dumme Thier! rief er erbost. Ach, wenn ich es wieder erwische! …

– Du wirst es aber nicht erwischen, erwiderte Doniphan, der seinen Kameraden gründlich auslachte.

– Entschieden war Dein Freund Jack ein besserer Stallmeister als Du, sagte Webb.

– Mein Nandu war nur noch nicht genügend gezähmt, gab Service zur Antwort.

– Und konnte es auch gar nicht sein, bemerkte Gordon; tröste Dich, Service, Du hättest mit diesem Thiere doch nichts anfangen können, und den Roman von Wyß muß man auch nicht in allen Stücken ernst nehmen.«

So endete das Abenteuer, und die Kleinen brauchten sich nicht zu beklagen, nicht auf einem Strauße geritten zu sein.

Mit den ersten Tagen des Novembers schien das Wetter günstig genug für einen länger andauernden Ausflug, bei dem das westliche Ufer des Sees bis an dessen Nordrand besichtigt werden sollte. Der Himmel war klar, die Wärme ganz erträglich und man durfte es ohne Scheu wagen, auch einige Nächte unter freiem Himmel zuzubringen. So wurden denn die nöthigen Vorbereitungen getroffen …

Die Jäger der Colonie sollten an dieser Expedition Theil nehmen, der sich auch Gordon anschloß. Diejenigen seiner Gefährten, welche in French-den zurückblieben, sollten daselbst von Briant und Garnett überwacht werden. Später, vor dem Ende der schönen Jahreszeit, dachte Briant selbst einen anderen Ausflug zu unternehmen, der den Zweck hatte, den unteren Theil des Sees zu besuchen, wobei die Teilnehmer entweder an dessen Ufern mit der Jolle hinfuhren oder geradenwegs über denselben hinwegsegelten, da er in der Höhe von French-den nur fünf bis sechs Meilen maß.

Nachdem Alles in dieser Weise geordnet, brachen Gordon, Doniphan, Baxter, Wilcox, Croß und Service, die von ihren Kameraden herzlichen Abschied nahmen, am Morgen des 5. Novembers auf.

In French-den sollte an der gewohnten Lebensweise nichts geändert werden. Außer den, der Arbeit gewidmeten Stunden beschäftigten sich Iverson, Jenkins, Dole und Costar immer mit dem Fischfange im See oder im Flusse – was ihre liebste Erholung bildete. Wenn Moko die jungen Forscher nicht auf ihrem Wege begleitete, so darf man daraus nicht schließen, daß bei ihnen Schmalhans Kellermeister gewesen wäre. Service war ja da, der den Schiffsjungen häufig genug unterstützt hatte. Gerade diese Eigenschaft hatte es wünschenswerth erscheinen lassen, ihn bei jenem Ausfluge mitzunehmen. Wer weiß, ob er nicht auch eine leise Hoffnung hegte, seinen Strauß wieder zu entdecken.

Gordon, Doniphan und Wilcox waren mit Gewehren bewaffnet; außerdem hatten Alle einen Revolver im Gürtel; Jagdmesser und zwei Aexte vollendeten ihre Ausrüstung. So weit es anging, sollten sie Pulver und Blei nur zu ihrer Vertheidigung gebrauchen, wenn sie angegriffen würden, oder um sich Wild zu verschaffen, wenn das auf eine minder kostspielige Weise nicht gelang. Zu diesem Zweck waren der Lasso und die Bolas nach vorheriger Ausbesserung von Baxter mitgenommen worden, und Letzterer hatte sich auch schon längere Zeit in deren Gebrauche geübt. Baxter, ein etwas lauter Knabe, war doch von Natur sehr geschickt und hatte es in der Handhabung jener Fanggeräthe wirklich ziemlich weit gebracht. Bisher hatte er damit freilich immer nur nach stillstehenden Gegenständen gezielt, was noch nicht den Schluß erlaubte, daß er auch schnell entfliehenden Thieren gegenüber Erfolg haben werde.

Doch das wird sich im Weiteren zeigen.

Gordon hatte auch den Gedanken gehabt, das bei seinem geringen Gewicht von zwölf Pfund leicht tragbare Halkett-boat aus Kautschuk mitzuführen, das sich ja in Form eines Reisesacks zusammenfalten ließ. Die Karte zeigte nämlich zwei Zuflüsse des Sees, über welche er mit dem Halkett-boat zu gelangen gedachte, wenn sie dieselben nicht durchwaten konnten.

Nach der Karte Baudoin’s, von der Gordon nur eine Copie mit hatte, um diese zu benützen oder richtig zu stellen, wenn es nothwendig erscheine, mußte sich das Westufer des Family-lake unter Berücksichtigung seiner Einbiegungen gegen achtzehn Meilen weit hinziehen. Der Ausflug erforderte demnach, Hin- und Rückweg zusammen, mindestens drei Tage, wenn sie keine unerwarteten Verzögerungen erlitten.

Phann voraus laufend, ließen Gordon und seine Begleiter die Traps-Woods zur Linken liegen und marschirten schnellen Schritts auf dem sandigen Boden des Uferlandes hin.

Nach Zurücklegung von zwei Meilen hatten sie die Grenze überschritten, welche seit der Einrichtung von French-den bei den bisherigen Ausflügen je erreicht worden war.

Hier wucherte eine Art sehr hohes Stengelgras, »Cortaderen« genannt, das in Büschen zusammensteht und unter dem auch die Großen bis zum Kopfe verschwanden.

Das Vorwärtskommen wurde hierdurch natürlich etwas verzögert. Doch hatten sie das nicht zu bedauern, da Phann hier vor einem halben Dutzend Gruben »stand«, welche den Erdboden durchlöcherten.

Offenbar hatte Phann hier irgend ein Thier aufgespürt, das man in seinem Lager leicht tödten konnte. Doniphan brachte auch schon das Gewehr in Anschlag, als Gordon ihn aufhielt.

»Spare Dein Pulver, Doniphan, sagte er, ich bitte Dich, spare das Pulver!

– Wer weiß denn, Gordon, ob unser Frühstück nicht da unten steckt? antwortete der junge Jäger.

– Und unser Mittagessen obendrein? … setzte Service hinzu, der sich über eine solche Aushöhlung beugte.

– Wenn das der Fall ist, meinte Wilcox, so werden wir sie schon daraus zu erlangen wissen, ohne ein Schrotkörnchen zu verschwenden.

– Und wie denn? fragte Baxter.

– Wir räuchern die Höhle einfach aus, wie man es mit einem Fuchs- oder Iltisbau machen würde.«

Zwischen den Cortaderen-Büschen war der Erdboden mit dürrem Gras bedeckt, das Wilcox sehr bald am Eingange jener Baue angezündet hatte. Eine Minute später wurden schon ein Dutzend halb erstickter Nagethiere sichtbar, welche vergeblich zu entkommen suchten. Es waren Tucutuco-Kaninchen, von denen Service und Wilcox mehrere Paare mit der Axt erschlugen, während Phann drei andere mit den Zähnen abthat.

»Ei, das wird einen vortrefflichen Braten geben! sagte Gordon.

– Und ich bereite denselben, rief Service, der große Eile zu haben schien, seinem Amte als Küchenmeister Ehre zu machen. Wenn Ihr wollt, auf der Stelle …

– Nein, erst bei unserer ersten Rast,« erklärte Gordon.

Es bedurfte einer vollen halben Stunde, um aus diesem Miniatur-Wald von Cortaderen herauszukommen. Jenseits derselben wurde wieder der Strand mit langen Dünenlinien darauf sichtbar, deren außerordentlich feiner Sand bei jedem Windhauch aufwirbelte.

An diesem Punkte lag die Rückseite des Auckland-hill schon mehr als zwei Meilen hinter ihnen im Westen. Das erklärte sich durch den schrägen Verlauf des Steilufers von French-den bis zur Sloughi-Bai. Dieser ganze Theil der Insel war von dem dichten Wald bedeckt, durch den Briant und seine Kameraden bei Gelegenheit ihres ersten Ausflugs nach dem See gekommen waren, und den der von ihnen Dike-creek genannte Bach bewässerte.

Wie die Karte es anzeigte, verlief dieser Creek nach dem See, und gerade an der Mündung desselben Baches war es, wo die Knaben um eilf Uhr Vormittags nach Zurücklegung von sechs Meilen von French-den aus anlangten.

An dieser Stelle und unter dem schirmartigen Gezweig einer Fichte machte man Halt. Zwischen zwei großen Steinen wurde ein großes Feuer angezündet und kurz darauf brieten zwei von Service gehäutete und ausgenommene Tucutucos über der lodernden Flamme, und wir brauchen wohl kaum zu versichern, daß der junge Koch, während Phann vor dem Herde liegend, den erfrischenden Geruch einsog, sorgfältig darauf achtete, daß sein Braten gehörig gewendet und wieder umgewendet wurde.

Man frühstückte mit dem größten Appetit, ohne sich über den ersten culinarischen Versuch Service’s besonders zu beklagen zu haben. Die Tucutucos sättigten Alle soweit, daß sie die in Säcken mitgenommenen Mundvorräthe nicht in Anspruch zu nehmen brauchten, mit einziger Ausnahme des Schiffszwiebacks, der hier die Stelle des Brotes vertrat. Und auch hiermit ging man sehr sparsam um, da es an Fleisch ja nicht fehlte – übrigens ein köstliches Fleisch mit dem Beigeschmack der aromatischen Pflanzen, von denen sich jene Nagethiere ernähren.

Nachher ging es über den Creek, und da man diesen durchwaten konnte, brauchte man das Kautschukboot nicht zu Hilfe zu nehmen, was immer einigen Zeitverlust bedeutet hätte.

Da das Uferland des Sees allmählich sumpfiger wurde, mußte man nach dem Saume des Waldes zurückgehen, doch mit der Absicht, sich sofort wieder nach Osten zu wenden, wenn der Boden das gestatten würde. Ueberall traf man die nämlichen Arten, dieselben Bäume von prächtigem Wuchs, wie Buchen, Birken, immergrüne Eichen und Fichten verschiedener Abarten.

Eine Anzahl reizender Vögel hüpften von Zweig zu Zweig, wie schwarze Spechte mit rothem Schopf, Fliegenschnäpper mit weißer Haube, Zaunkönige von der Sippe der Scytalopen, neben Tausenden von Baumhähern, welche unter dem Laubwerk kicherten, während Bachfinken, Lerchen und Amseln nach Herzenslust sangen. Höher in der Luft kreisten Condors, Urulus und einzelne Paare jener höchst gefräßigen Caracaras, welche die Gebiete von Südamerika mit Vorliebe besuchen.

In Erinnerung seines Robinson Crusoe bedauerte Service es gewiß, daß die Familie der Papageien in der Ornithologie der Insel nicht vertreten war. Hatte er auch einen Strauß nicht zu zähmen vermocht, so würde sich ein solcher geschwätziger Vogel doch vielleicht minder widerspänstig gezeigt haben. Er bekam aber keinen einzigen vor Augen.

Wild gab es übrigens im Ueberfluß, und zwar Maras, Pichis und vorzüglich Grouses, welche etwa Auerhähnen zu vergleichen wären. Gordon konnte Doniphan das Vergnügen nicht verwehren, ein Bisamschwein von mittlerer Größe zu erlegen, welches das Frühstück, wenn nicht auch das Mittagsbrot des folgenden Tages liefern sollte.

Uebrigens wurde es nicht nöthig, tiefer unter die Bäume einzudringen, was das Fortkommen entschieden erschwert hätte. Es genügte am Saume derselben hinzuziehen, und das geschah denn auch bis gegen fünf Uhr Abends, da versperrte der zweite gegen vierzig Fuß breite Wasserlauf den weiteren Weg.

Es war einer der Ausflüsse des Sees, der, nachdem er sich um den Auckland-hill gewunden, jenseits der Sloughi-Bai in den Stillen Ocean mündete.

Gordon beschloß hier Rast zu machen. Zwölf Meilen zu Fuße, das war genug für einen Tag. Inzwischen erschien es unumgänglich, dem Wasserlauf einen Namen zu geben, und da man an seinem Ufer Halt machte, wurde er Stop-river (Fluß der Rast) genannt.

Das Lager wurde unter den ersten Bäumen des Ufers aufgeschlagen. Die Grouses bewahrte man für den folgenden Tag auf, und so bildeten die Tucutucos das Hauptgericht, bezüglich dessen Service sich auch diesesmal seiner Pflichten recht anerkennenswerth entledigte. Uebrigens besiegte das Verlangen zu schlafen jetzt das Verlangen zu essen, und wenn die Münder sich öffneten, so schlossen sich die Augen. Auch ein großes Feuer wurde angezündet, vor dem Jeder sich ausstreckte, nachdem er sich in seine Decke gehüllt hatte. Der helle Feuerschein, wegen dessen Unterhaltung Wilcox und Doniphan abwechselnd wachten, mußte hinreichen, wilde Thiere in gebührender Entfernung zu halten.

Eine Störung kam nicht vor, und mit Tagesanbruch waren Alle bereit, weiter zu ziehen.

Inzwischen genügte es nicht, dem Flusse einen Namen gegeben zu haben, man mußte ihn auch überschreiten, und da er nicht zu durchwaten war, mußte das Halkett-boat zu Hilfe genommen werden. Diese gebrechliche Nußschale konnte leider nur eine einzige Person auf einmal aufnehmen; so befestigten sie also eine Leine an dessen Hintertheil und zogen es, wenn Einer übergefahren war, allemal zurück. Die siebenmalige Wiederholung dieses Verfahrens erforderte freilich eine gute Stunde Zeit. Das hatte jedoch nicht viel zu bedeuten, wenn nur der Proviant und die Munition trocken hinüberkamen.

Phann, der sich nicht scheute, die Pfoten naß zu machen, sprang einfach ins Wasser und schwamm in kurzer Zeit von einem Ufer zum anderen. Da der Erdboden nicht mehr sumpfig war, schlug Gordon eine schräge Richtung nach dem See ein, der vor zehn Uhr erreicht wurde. Nach dem Frühstück, das aus gerösteten Fleischschnitten des Bisamschweines bestand, ging es denn auch nach Norden zu weiter.

Nichts verrieth bisher, daß das Ende des Sees schon nahe sei, da der Horizont im Osten noch immer eine ununterbrochene Kreislinie von Himmel und Wasser bildete. Da rief Doniphan gegen Mittag, als er durch das Fernrohr blickte:

»Dort ist das andere Ufer!«

Alle sahen nach der bezeichneten Seite hin, wo einzelne Baumkronen sich über die Wasserfläche zu zeigen begannen.

»Halten wir uns hier nicht auf, antwortete Gordon, sondern versuchen wir, vor dem Dunkelwerden dort anzukommen.«

Eine dürre, von langen Dünenwellen unterbrochene Ebene, welche nur da und dort einzelne Binsen oder Rohrbüschel trug, breitete sich hier bis über Sehweite nach Norden zu aus. In ihrem nördlichen Theile schien die Insel Chairman überhaupt nur weite sandige Flächen einzuschließen, welche sich von den üppig grünen Wäldern des südlicheren Theils wesentlich unterschieden und denen Gordon mit vollem Rechte den Namen Sandy-desert (Sandwüste) beilegte.

Gegen drei Uhr wurde das entgegengesetzte Ufer, das nach Nordosten zu einen wenigstens zwei Meilen langen Bogen bildete, ganz deutlich sichtbar. Diese Gegend schien von jedem lebenden Wesen verlassen, außer verschiedenen Seevögeln und Silbertauchern, welche auf dem Zug nach den Uferfelsen vorüberflogen.

Wäre der »Sloughi« seiner Zeit in dieser Gegend gestrandet, so hätten die jungen Schiffbrüchigen beim Anblick eines so unfruchtbaren Landes gewiß glauben müssen, daß sie hier von allen Hilfsmitteln entblößt wären. Vergebens hätten sie auch inmitten dieser Wüstenei einen Ersatz für ihre bequeme Wohnung in French-den gesucht, und wenn ihnen der Schooner kein Obdach mehr bot, so hätten sie nicht gewußt, wo sie eine Zuflucht finden sollten.

Erschien es nun rathsam, in dieser Richtung noch weiter vorzudringen und den offenbar völlig unbewohnbaren Theil der Insel näher zu besichtigen? War es nicht besser, bis zu einer zweiten Expedition die Untersuchung des rechten Ufers zu verschieben, auf dem andere Wälder ihnen vielleicht neue Schätze boten? Lag die Insel übrigens in nicht zu großer Entfernung vom Festlande Amerikas, so war dieses in der Richtung nach Osten hin zu suchen.

Auf Doniphan’s Vorschlag hin beschloß man doch noch, bis zum Ende des Sees weiter zu wandern; dasselbe konnte nicht mehr weit entfernt sein, da die zweifache Einbiegung seiner Ufer mehr und mehr zu Tage trat.

Das wurde also noch ausgeführt, und mit Anbruch der Nacht machte man Halt im Grunde einer kleinen Bucht, welche in den nördlichen Winkel des Family-lake einschnitt.

Hier ragte kein Baum auf und fand man keine Anhäufung von Gräsern, Moos oder trockenen Flechten. Aus Mangel an Brennmaterial mußten sie sich auch begnügen, von dem in ihren Säcken befindlichen Mundvorrath zu zehren. Und bei dem Fehlen jeden Obdachs streckten sie sich auf den mit den ausgebreiteten Decken belegten Sand nieder.

Während dieser ersten Nacht sollte nichts das Stillschweigen über Sandy-desert unterbrechen.