Zwölftes Capitel

Zwölftes Capitel

Alles durch Elektricität

»Hier sehen Sie, mein Herr, sagte der Kapitän Nemo, auf die an den Wänden seines Zimmers hängenden Instrumente hinweisend, den für die Schifffahrt des Nautilus erforderlichen Apparat. Ich habe sie hier, wie im Salon, stets unter den Augen, und sie zeigen mir genau, wo ich inmitten des Oceans mich befinde, und in welcher Richtung ich fahre. Einige sind Ihnen wohl bekannt, wie Thermometer und Barometer, um die Temperatur und das Gewicht der Luft; das Hygrometer, um die Trockenheit der Atmosphäre zu bestimmen; das Wetterglas, um das Herannahen der Stürme anzukündigen; der Compaß, um mir die Richtung der Fahrt; der Sextant, um durch die Sonnenhöhe den Breitegrad zu zeigen; das Chronometer, um die Länge zu berechnen; und endlich die Fernröhre für Tag und Nacht, die mir dienen, um den Horizont an allen Punkten zu durchforschen, wann der Nautilus sich an der Oberfläche befindet.

– Das sind die gewöhnlichen, dem Seefahrer nöthigen Instrumente, erwiderte ich, und ich kenne ihren Gebrauch. Aber da sind andere, die dienen ohne Zweifel den besonderen Bedürfnissen des Nautilus. Dies Zifferblatt mit dem beweglichen umlaufenden Zeiger ist wohl ein Manometer?

– Ja wohl, ein Manometer. Mit dem Wasser in Verbindung gebracht, zeigt es den äußern Druck desselben an, und dadurch die Tiefe, worin sich das Fahrzeug befindet.

– Und das ist eine neue Art von Sonde?

– Thermometrische Sonden, welche die Temperatur der verschiedenen Luftschichten angeben.

– Und diese Instrumente, deren Gebrauch mir völlig unbekannt ist?

– Hier, Herr Professor, muß ich Ihnen einige Erklärungen geben, sagte der Kapitän Nemo. Belieben Sie mich anzuhören.«

Nach einer kleinen Pause sprach er: »Es giebt einen starken, folgsamen, raschen, willigen, zu allen dienlichen Agenten, der an meinem Bord herrscht. Er leistet mir alles, beleuchtet, erwärmt, ist die Seele meiner mechanischen Werkzeuge. Dieser Agent ist die Elektricität.

– Die Elektricität! rief ich etwas überrascht.

– Ja, mein Herr.

– Sie haben jedoch, Kapitän, eine außerordentliche Schnelligkeit der Bewegungen, welche zu der Kraft der Elektricität wenig stimmen. Bisher ist ihre dynamische Kraft sehr beschränkt geblieben und hat nur geringe Wirkungen hervorzubringen vermocht!

– Herr Professor, erwiderte der Kapitän Nemo, meine Elektricität ist nicht die, welche Jedermann kennt; und das ist Alles, was Sie mir Ihnen davon zu sagen gestatten wollen.

– Ich will Ihnen nicht zusetzen, mein Herr, und mich begnügen, über ein solches Ergebniß sehr zu staunen. Eine einzige Frage jedoch erlauben Sie mir, welche Sie, wenn Sie dieselbe unbescheiden finden, nicht zu beantworten brauchen. Die Elemente, welche Sie verwenden, um diesen wunderbaren Agenten hervorzubringen, müssen sich doch bald verbrauchen. Wie ersetzen Sie z. B. Zink, da Sie ohne Verbindung mit der Erde sind?

– Ich will Ihre Frage beantworten, erwiderte der Kapitän Nemo. Für’s Erste will ich Ihnen sagen, daß es auf dem Grund des Meeres Zink-, Eisen-, Silber-, Gold-Minen giebt, deren Ausbeutung gewiß sehr ausführbar wäre. Aber ich habe von diesen Metallen der Erde nichts entliehen, und von dem Meer selbst die Mittel für Erzeugung meiner Elektricität gewinnen wollen.

– Von dem Meer?

– Ja, Herr Professor, und an Mitteln fehlt’s da nicht. Ich hätte zwar, indem ich Drähte aus verschiedenen Tiefen mit einander in Verbindung setzte, Elektricität aus der Verschiedenheit der Temperaturen erzielen können, aber ich zog ein praktischeres System vor.

– Und welches?

– Sie kennen die Bestandtheile des Meerwassers. Von tausend Gramm sind sechsundneunzig und ein halb Hunderttheile Wasser, etwa zwei und zwei Drittel Chlorsodium; sodann in geringer Quantität Chlor-Magnesium und salzsaures Kali, Brom-Magnesium, schwefelsaures Magnesium, schwefelsaurer und kohlensaurer Kalk. Sie sehen also, daß Chlorsodium in ansehnlichem Verhältniß sich dabei befindet. Dieses Sodium nun ziehe ich aus dem Wasser und bereite daraus meine Elemente.

– Sodium?

– Ja, mein Herr. Mit Merkur vermischt, bildet es ein Amalgam, welches bei den Bunsen’schen Elementen das Zink ersetzt. Merkur verbraucht sich nie; nur das Sodium wird verzehrt, und dieses gewinne ich aus dem Meer unmittelbar. Ich bemerke Ihnen weiter, daß die Sodiumsäulen für weit energischer anzusehen sind, und daß ihre elektrische Bewegkraft doppelt so stark ist als bei den Zinksäulen. – Ich begreife wohl, Kapitän, die Vortrefflichkeit des Sodiums in den Verhältnissen, worin Sie sich befinden. Das Meer enthält es. Gut. Aber man muß es fabriciren, herausziehen. Wie bewerkstelligen Sie das? Ihre Säulen könnten offenbar dazu dienen; aber irre ich nicht, so würde der für den elektrischen Apparat erforderliche Aufwand von …

– Die gewonnene Quantität überwiegen. Es würde dann der Fall eintreten, daß Sie für die Erzeugung desselben mehr verbrauchten, als Sie dadurch erzeugen!

– Herr Professor, ich gewinne es auch nicht mittelst der Säule, und verwende ganz einfach die Wärme der Steinkohle.

– Steinkohle? sagte ich bedeutsam.

– Sagen wir Meerkohle, wenn Sie wollen, erwiderte der Kapitän Nemo.

– Und Sie können unterseeische Kohlenminen ausbeuten?

– Herr Arronax, Sie sollen sehen, wie ich’s anfange. Ich bitte nur um ein wenig Geduld, denn Sie haben ja Zeit es geduldig abzuwarten. Behalten Sie nur im Sinn: Dem Meer verdank‘ ich Alles: es verschafft die Elektricität, und diese gewährt dem Nautilus Wärme, Licht, Bewegung, kurz sein Leben.

– Aber doch nicht die Luft, welche Sie einathmen?

– O! ich könnte die zu meinem Verbrauch nöthige Luft fabriciren, aber es ist nicht nöthig, weil ich, wenn’s mir beliebt, an die Oberfläche des Meeres aufsteigen kann. Jedoch, kann mir auch die Elektricität nicht die zum Einathmen erforderliche Luft liefern, so treibt sie wenigstens gewaltige Pumpen, welche sie in besondere Behälter einpressen, wodurch ich in den Stand gesetzt bin, meinen Aufenthalt in der Tiefe nach Bedürfniß oder nach Belieben zu verlängern.

– Kapitän, erwiderte ich, ich kann nur bewundern. Offenbar haben Sie bereits gefunden, was die Menschen auch einmal auffinden werden, die wahre dynamische Kraft der Elektricität.

– Ich weiß nicht, ob sie dieselbe entdecken werden, erwiderte kalt der Kapitän Nemo. Wie dem aber auch sein mag. Sie kennen bereits die erste Anwendung, welche ich von diesem schätzbaren Agenten gemacht habe. Er leuchtet uns so gleichmäßig und andauernd, wie das Sonnenlicht nicht. Jetzt, sehen Sie diese Uhr; sie ist elektrisch, und geht so regelmäßig, wie die besten Chronometer. Ich habe sie, wie die italienischen Uhren in vierundzwanzig Stunden getheilt, denn für mich existirt weder Nacht noch Tag, noch Sonnen- oder Mondlicht, vielmehr nur dieses künstlich erzeugte Licht, welches ich bis auf den Meeresgrund mit mir nehme! Sehen Sie, in diesem Augenblick ist’s zehn Uhr Vormittags. – Ganz richtig.

– Eine andere Anwendung der Elektricität. Dieses Zifferblatt vor unseren Augen giebt mir die Schnelligkeit des Nautilus an. Ein elektrischer Draht bringt es in Verbindung mit der Schraube des Log, und sein Zeiger giebt mir die wirkliche Geschwindigkeit des Fahrzeugs an. Und, sehen Sie, in diesem Augenblick fahren wir mit der mäßigen Geschwindigkeit von fünfzehn Meilen die Stunde.

– Es ist wunderbar, erwiderte ich, und ich sehe wohl, Kapitän, daß Sie Grund hatten, diesen Agenten zu gebrauchen, dem es bestimmt ist, Wind, Wasser und Dampf zu ersetzen.

– Wir sind noch nicht fertig, Herr Arronax, sagte der Kapitän Nemo, indem er aufstand, und wenn’s Ihnen beliebt, mich zu begleiten, wollen wir den hintern Theil des Nautilus auch besichtigen.«

In der That kannte ich jetzt den ganzen vordern Theil des unterseeischen Bootes, welches von der Mitte aus nach vorne genau folgendermaßen eingetheilt war: der Speisesaal fünf Meter groß, von der Bibliothek durch eine wasserdichte Scheidewand getrennt, so daß kein Wasser eindringen konnte; die Bibliothek war fünf Meter groß, der Hauptsalon zehn Meter vom Zimmer des Kapitäns, welches fünf Meter maß, durch eine abermalige wasserdichte Wand geschieden; das meinige von zwei und einem halben Meter; und endlich ein Luftbehälter, sieben und ein halb Meter groß, erstreckte sich bis zum Hintersteven. Das machte im Ganzen fünfunddreißig Meter Länge aus. Die wasserdichten Scheidewände mit hermetischem Verschluß gewährten an Bord des Nautilus völlige Sicherheit, im Fall ein Leck sich ergab.

Ich begleitete den Kapitän Nemo durch die Gänge des vordern Theils bis zum Mittelpunkt des Schiffs. Hier befand sich, zwischen zwei wasserdichten Wänden eine Art Schacht, in welchem eine an der Wand befestigte eiserne Leiter zur Mündung führte. Ich fragte den Kapitän, wozu diese Leiter diene.

»Sie endigt beim Boot, war die Antwort.

– Wie? Sie haben ein Boot? versetzte ich etwas erstaunt.

– Allerdings. Ein treffliches Fahrzeug, leicht und ohne unterzusinken, das uns zur Spazierfahrt und zum Fischen dient.

– Aber dann müssen Sie zum Einsteigen sich auf der Meeresoberfläche befinden?

– Keineswegs. Dieses Boot ist am obern Theile des Schiffsrumpfes in einer für dasselbe hergerichteten Aushöhlung befestigt. Es ist ganz mit Verdeck versehen, durchaus wasserdicht und mit soliden Bolzen gefügt. Diese Leiter nun führt zu einer im Rumpf des Nautilus angebrachten Oeffnung, welche mit einer gleichen in der Seite des Bootes in Verbindung steht, so daß ich durch diese doppelte Oeffnung in das Fahrzeug gelange. Dann schließt man wieder die des Nautilus, und ich schließe hinter mir die des Bootes vermittelst Stellschraube. Ich mache die Zapfen los, und das Fahrzeug steigt reißend schnell zur Meeresoberfläche auf. Dann öffne ich einen bisher sorgfältig verschlossenen Luckendeckel des Verdecks, richte einen Mast auf, hisse mein Segel oder nehme meine Ruder zur Hand und fahre spazieren.

– Aber wie kommen Sie wieder an Bord zurück?

– Ich komme gar nicht zurück, Herr Arronax, vielmehr der Nautilus kommt wieder zu demselben.

– Auf Ihren Befehl?

– Auf meinen Befehl. Ein elektrischer Draht hält mich in Verbindung, und es bedarf nur eines Telegramms.

– Wirklich, sagte ich, entzückt von diesen Wundern, es giebt nichts Einfacheres!«

Nachdem ich an dem Behälter der zur Plattform führenden Leiter vorüber war, sah ich eine zwei Meter große Cabine, worin Conseil und Ned-Land beschäftigt waren, ihr wohlschmeckendes Mahl munter zu verschlingen. Hierauf öffnete sich eine Thüre zu der drei Meter langen Küche, welche zwischen den geräumigen Vorrathskammern liegt.

Hier verrichtete die Elektricität, energischer und williger, als selbst das Gas, alle Bedürfnisse zum Kochen. Die Drähte, unter den Oefen angelangt, theilten Platinaschwämmen eine Wärme mit, welche sich vertheilte und regelmäßig andauerte. Sie heizte in gleicher Weise Destillirapparate, welche durch Verdunstung ein vortreffliches Trinkwasser verschafften. Neben der Küche öffnete sich ein bequem eingerichteter Badesaal, worin die Hähne nach Belieben kaltes und warmes Wasser spendeten.

Auf die Küche folgte der Posten der Mannschaft, fünf Meter lang. Aber die Thüre war geschlossen, und ich konnte seine Einrichtung nicht sehen, woraus ich wohl die Anzahl der zur Bewegung des Nautilus erforderlichen Männer hätte entnehmen können.

Eine vierte wasserdichte Scheidewand befand sich zwischen diesem Posten und dem Maschinenzimmer. Es öffnete sich eine Thüre, und ich befand mich in diesem Gemach, wo der Kapitän Nemo seine Werkzeuge für die Fortbeförderung aufgestellt hatte. Dieses klar beleuchtete Maschinenzimmer war nicht weniger als zwanzig Meter lang. Es theilte sich natürlich in zwei Abtheilungen, erstens für die Elemente der Elektricitätserzeugung, und zweitens für die mechanische Einrichtung, um die Bewegung zur Schraube zu befördern.

Anfangs war ich betroffen über den eigenthümlichen Geruch, welcher dieses Gemach erfüllte. Der Kapitän bemerkte es und sprach:

»Es ist nur einige Entwickelung von Gas durch die Anwendung des Sodium; aber die Unannehmlichkeit ist nicht bedeutend, und zudem wird im Schiff täglich durch Ventilation die Luft erneuert.«

Inzwischen besuchte ich mit leicht begreiflichem Interesse die Maschine des Nautilus.

»Sie sehen, sagte Kapitän Nemo, ich verwende Bunsen’sche Elemente, nicht Ruhmkorff’sche. Diese würden zu schwach gewesen sein. Jene sind wenig zahlreich, aber stark und groß, was der Erfahrung gemäß besser ist. Die erzeugte Elektricität zieht sich nach hinten, wo sie durch sehr große Elektro-Magnete auf ein besonderes System von Hebeln und Rädergetrieben wirkt, welche die Bewegung auf die Welle der Schraube hinleitet. Diese, deren Durchmesser sechs Meter mißt und das Gewinde sieben und ein halb Meter, kann in einer Secunde bis auf hundertundzwanzig Umdrehungen erzeugen.

– Und damit erhalten Sie?

– Eine Geschwindigkeit von fünfzig Meilen in der Stunde.«

Hier fand ein Geheimniß statt, aber ich bestand nicht darauf, es kennen zu lernen. Wie ward es möglich, daß die Elektricität mit solcher Kraft wirkte? Woher entsprang diese fast unbegrenzte Kraft? Etwa aus einer übermäßigen Spannung durch eine neue Art von Wellen? Oder aus der Hinüberleitung, welche durch ein System unbekannter Hebel bis zum Unendlichen gesteigert werden konnte? Dieses war mir unbegreiflich.

»Kapitän Nemo, sagte ich, ich constatire die Ergebnisse und trachte nicht darnach, sie zu erklären. Ich habe den Nautilus im Angesicht des Abraham Lincoln manoeuvriren gesehen, und weiß, was es mit seiner Geschwindigkeit für eine Bewandtniß hat. Aber das Vorwärtskommen reicht nicht aus. Man muß auch sehen, wohin man fährt! Man muß sich rechts und links, nach oben und unten hinwenden können! Wie erreichen Sie die großen Tiefen, wo ein zunehmender Widerstand stattfindet, der auf Hunderte von Atmosphären anzuschlagen ist? Wie steigen Sie wieder zur Oberfläche des Oceans empor? Endlich, wie gelingt es Ihnen, sich in der Ihnen beliebigen Umgebung zu halten? Bin ich unbescheiden, indem ich diese Fragen an Sie richte?

– Keineswegs, Herr Professor, erwiderte der Kapitän nach kurzem Besinnen, denn Sie dürfen ja doch niemals dieses unterseeische Boot verlassen. Kommen Sie nur in den Salon. Das ist unser eigentliches Arbeitszimmer, und da sollen Sie auch alles vernehmen, was Sie über den Nautilus wissen dürfen!«

Dreizehntes Capitel

Dreizehntes Capitel

Einige Zahlen

Nach einer kleinen Weile saßen wir auf einem Divan des Salon, die Cigarre im Munde. Der Kapitän legte mir den Grundriß, Durchschnitt und Aufriß des Nautilus vor Augen. Darauf begann er seine Erklärung folgendermaßen:

»Das Boot, worauf wir uns befinden, Herr Arronax, ist ein langer Cylinder mit zugespitzten Enden. Die Länge desselben beträgt genau siebenzig, seine größte Breite acht Meter; also letztere nicht völlig im Verhältniß von eins zu zehn, wie die schnellsegelnden Dampfer gewöhnlich gebaut sind, und die Länge ist hinreichend zugespitzt, damit das verdrängte Wasser leicht sich scheidet und dem Laufe nicht hinderlich ist.

»Aus diesen Dimensionen ergeben sich durch ein einfaches Rechenexempel die Oberfläche und der Kubikgehalt des Nautilus. Der erstere beträgt tausendundelf und fünfundvierzig Hunderttheile Quadratmeter. Der Gehalt fünfzehnhundert und zwei Zehntel Kubikmeter, – d. h. wenn es völlig untertaucht, verdrängt es fünfzehnhundert Kubikmeter oder Tonnen.

»Als ich die Pläne zu diesem für unterseeische Fahrten bestimmten Schiffe machte, war meine Absicht, daß es im Gleichgewicht untergetaucht nur mit einem Zehntheil hervorrage. Folglich durfte es unter diesen Verhältnissen nur neun Zehntel seines Gehaltes verdrängen, also dreizehnhundertsechsundfünfzig und achtundvierzig Hunderttheile Kubikmeter, d. h. es durfte nur eben so viel Tonnengewicht haben. Ich habe daher bei Erbauung desselben nach den gegebenen Dimensionen dieses Gewicht nicht überschreiten dürfen.

»Der Nautilus besteht aus zwei Rümpfen, einem innern und einem äußern, welche durch eiserne Klammern in Form eines T mit einander verbunden demselben eine außerordentlich große Dauerhaftigkeit geben. In der That leistet es in Folge dieser Einrichtung Widerstand wie ein Block, als wenn es voll wäre. Seine äußere Hülle kann nicht nachgeben; sie ist in sich selbst zusammenhängend, nicht durch Zusammennieten; und die Gleichartigkeit seiner Construction in Folge der vollständigen Zusammenfügung der Materialien macht es fähig, den ungestümsten Wogen zu trotzen.

»Diese beiden Rümpfe sind aus Stahlplatten gefertigt, deren Dichtigkeit im Verhältniß zum Wasser sieben, acht Zehntel beträgt. Der erstere ist mindestens fünf Centimeter dick und wiegt dreihundertvierundneunzig Tonnen sechsundneunzig Hunderttheile. Der zweite umgebende, nebst dem fünfzig Centimeter hohen und fünfundzwanzig breiten Kiel, welcher für sich allein zweiundsechzig Tonnen wiegt, die Maschine, der Ballast, die übrigen Nebengegenstände und Geräthschaften, die Verschläge und Strebebretter haben ein Gewicht von neunhunderteinundsechzig Tonnen, zweiundsechzig Hunderttheile, welches alles zusammen addirt eine Gesammtsumme von dreizehnhundertsechzig und achtundvierzig Hunderttheile Tonnen ergiebt. Ist dies verständlich?

– Ja wohl.

– Also, fuhr der Kapitän fort, wenn der Nautilus unter diesen Bedingungen flott ist, ragt er um ein Zehntheil aus dem Wasser hervor. Wenn ich nun Wasserbehälter von gleichem Gehalt mit diesem Zehntheil bereit habe, d. h. welche hundertundfünfzig Tonnen und zweiundsechzig Hunderttheile fassen, und ich fülle sie mit Wasser, so wird das Boot, welches dann fünfzehnhundertundsieben Tonnen Gewicht hat, vollständig untergehen. Und so geschieht’s, Herr Professor. Diese Behälter befinden sich am Vordertheil in den unteren Räumen des Nautilus. Ich drehe die Hähne, sie füllen sich, und das sinkende Schiff kommt mit der Meeresoberfläche in gleiches Niveau.

– Gut, Kapitän; aber nun kommen wir an die eigentliche Schwierigkeit. Wie Sie auf’s Niveau des Meeresspiegels herabsinken, ist begreiflich. Aber wenn Sie tiefer hinabtauchen, wird doch Ihr Fahrzeug einem Druck begegnen und folglich einem Gegenstoß von unten nach oben ausgesetzt sein, welcher bei dreißig Fuß Wasser auf eine Atmosphäre anzuschlagen ist, welches ungefähr ein Kilogramm auf den Quadratcentimeter ausmacht?

– Ganz richtig so, mein Herr.

– Folglich, wenn Sie nicht den Nautilus vollständig füllen, sehe ich nicht, wie Sie ihn in den Schooß der Wassermassen hinabbringen können.

– Herr Professor, erwiderte der Kapitän Nemo, man darf nicht die Statik mit der Dynamik vermengen, ohne sich großen Irrthümern auszusetzen. Es kostet sehr wenig Mühe, um in die unteren Regionen des Oceans zu gelangen, denn die Körper haben eine Tendenz, auf den Grund zu sinken. Begleiten Sie meine Beweisführung.

– Ich höre Ihnen zu, Kapitän.

– Als ich bestimmen wollte, welchen Zuwachs an Gewicht ich dem Nautilus zu geben hätte, um ihn untersinken zu lassen, hatte ich mich nur mit dem geringern Umfang zu befassen, welchen das Meerwasser einnimmt im Verhältniß wie seine Schichten tiefer liegen.

– Offenbar, erwiderte ich.

– Nun aber, wenn auch das Wasser nicht absolut unfähig ist, zusammengedrückt zu werden, so ist es doch wenigstens sehr wenig dessen fähig. In der That beträgt nach den neuesten Berechnungen diese Beschränkung nur vierhundertsechsunddreißig Zehnmillionentheile auf eine Atmosphäre, oder auf je dreißig Fuß Tiefe. Handelt sich’s darum, tausend Meter hinab zu gehen, so bringe ich dann die Beschränkung des Umfangs unter einem Druck in Anschlag, welcher dem einer Wassersäule von tausend Metern gleich kommt, d. h. unter einem Druck von hundert Atmosphären. Diese Beschränkung betrüge dann vierhundertsechsunddreißig Hunderttausendtheile. Ich werde also das Gewicht so weit erhöhen müssen, daß es fünfzehnhundertdreizehn Tonnen, fünfundsiebenzig Hunderttheile beträgt, anstatt fünfzehnhundertsieben und zwei Zehntel Tonnen. Die Erhöhung wird folglich nur sechs- und siebenfünfzig Hunderttheils Tonnen ausmachen.

– Nicht mehr?

– Nicht mehr, Herr Arronax, und die Richtigkeit der Berechnung ist leicht zu erkennen. Nun habe ich Wasserbehälter zur Ergänzung, welche hundert Tonnen fassen. Damit kann ich in beträchtliche Tiefen mich hinablassen. Will ich wieder zum Meeresspiegel aufsteigen, so brauche ich nur dieses Wasser zu entladen, und wenn ich haben will, daß der Nautilus mit einem Zehntheil hervorrage, so muß ich die Behälter völlig leer machen.«

Auf diese mit Zahlen begründete Auseinandersetzung hatte ich keinen Einwand.

»Ich lasse Ihre Berechnungen gelten, Kapitän, erwiderte ich, und es würde mir schwer fallen, ihnen zu widersprechen, weil die Erfahrung sie täglich bestätigt. Doch fühle ich mich nun einer wirklichen Schwierigkeit gegenüber.

– Worin besteht diese, mein Herr?

– Wann Sie sich tausend Meter tief befinden, so haben die Wände des Nautilus einen Druck von hundert Atmosphären auszuhalten. Wenn Sie nun im Augenblick die Ergänzungsbehälter entleeren wollen, um Ihr Schiff leichter zu machen und aufsteigen zu können, so müssen die Pumpen diesen Druck von hundert Atmosphären überwinden. Dafür ist eine Kraft …

– Die Elektricität allein vermochte mir sie zu gewähren, sagte der Kapitän hastig. Ich sage Ihnen nochmals, mein Herr, die dynamische Wirkung meiner Maschinen ist fast unbeschränkt. Die Pumpen des Nautilus haben eine wunderbare Kraft, deren Wirkung Sie gespürt haben, als ihre Wassersäulen wie ein reißender Strom auf den Abraham Lincoln stürzten. Uebrigens bediene ich mich der Ergänzungsbehälter nur, um in mittlere Tiefen von fünfzehnhundert bis zweitausend Meter zu gelangen, und zwar, um meine Maschinen zu schonen. Wenn ich also Luft habe, die Tiefen des Oceans von zwei bis drei Lieues unter der Oberfläche zu besuchen, so wende ich mich zu einem umständlichern, aber nicht minder sichern Verfahren.

– Und worin besteht dies, Kapitän? fragte ich.

– Dies führt mich natürlich darauf anzugeben, wie der Nautilus manoeuvrirt wird.

– Ich bin ungeduldig, es zu vernehmen.

– Um das Boot rechts und links zu lenken, um Schwenkungen in horizontaler Richtung zu machen, bediene ich mich eines gewöhnlichen auf dem Hintersteven befestigten Steuerruders, welches durch ein Rad und Taue in Bewegung gesetzt wird. Aber ich kann den Nautilus auch in vertikaler Richtung, von unten nach oben und umgekehrt in Bewegung setzen vermittelst zweier geneigten Flächen, die an seinen Seiten auf dem Centrum seiner Wassertracht angebracht beweglich, und alle Lagen anzunehmen geeignet sind, und von innen durch kräftige Hebel in Bewegung gebracht werden. Hält man diese Flächen parallel mit dem Boot, so bewegt sich’s horizontal. Sind sie geneigt, so ist der Nautilus im Stande, je nach der Neigung und mit dem Druck seiner Schraube, in einer mir beliebigen Diagonale abwärts oder aufwärts zu steigen. Und sogar, will ich rascher zur Oberfläche empor steigen, so hemme ich die Schraube, und der Druck des Wassers treibt den Nautilus vertikal empor, wie ein mit Gas gefüllter Ballon reißend schnell in die Lüfte steigt.

– Bravo! Kapitän, rief ich aus. Aber wie kann der Steuerer inmitten der Gewässer die Richtung einschlagen, welche Sie ihm angeben?

– Der Steuerer hat seinen Platz in einem mit Fenstern versehenen Gehäuse, welches oben auf dem Rumpf des Nautilus vorspringt und mit linsenförmigen Gläsern gedeckt ist.

– Gläser, die solchem Druck widerstehen können?

– Ja wohl. Das beim Anstoßen zerbrechliche Krystallglas enthält doch eine beträchtliche Widerstandsfähigkeit. Bei den im Jahre 1864 angestellten Experimenten mit Fischerei bei elektrischem Licht hat man gesehen, wie Stücke Glas, die nur sieben Millimeter dick waren, einem Druck von sechzehn Atmosphären widerstanden, und dabei noch wirksame Wärmestrahlen durchließen, welche in ungleicher Weise die Wärme zuertheilten. Nun sind die Gläser, welche ich gebrauche, dreißigmal so dick, denn sie sind im Centrum mindestens einundzwanzig Centimeter stark.

– Zugegeben, Kapitän; aber endlich, um zu sehen, muß Licht die Finsterniß vertreiben, und ich frage mich, wie inmitten des Dunkels der Gewässer …

– Hinten am Gehäuse des Steuerers ist ein starker elektrischer Reflector angebracht, dessen Strahlen das Meer eine halbe Meile weit erleuchten.

– Ah! Bravo, dreimal Bravo! Kapitän. Jetzt ist mir die Phosphorescenz des vermeintlichen Narwal erklärlich, welcher den Gelehrten so viel zu schaffen gemacht hat! Bei diesem Anlaß erlaube ich mir die Frage, ob der Zusammenstoß des Nautilus und des Scotia, welcher so großes Aufsehen erregte, ein zufälliger war?

– Rein zufällig, mein Herr. Ich fuhr zwei Meter unter der Meeresoberfläche, als der Stoß sich ereignete. Uebrigens sah‘ ich, daß er keine beklagenswerthen Folgen hatte.

– Keine, mein Herr. Aber Ihr Zusammenstoß mit dem Abraham Lincoln? …

– Herr Professor, es thut mir leid um eins der besten Schiffe dieser tüchtigen amerikanischen Marine, aber ich wurde angegriffen und mußte mich vertheidigen! Ich habe mich jedoch darauf beschränkt, die Fregatte außer Stand zu setzen, mir zu schaden, – es wird sie nicht viel kosten, ihren Schaden im nächsten Hafen auszubessern.

– Ah! Commandant, rief ich mit Ueberzeugung, Ihr Nautilus ist wirklich ein wundervolles Fahrzeug!

– Ja, Herr Professor, erwiderte der Kapitän mit wahrer Rührung, und ich liebe ihn, wie mein Fleisch und Blut! Wenn auf einem Eurer Schiffe, welche den Wechselfällen des Oceans ausgesetzt sind, alles voll Gefahr ist; wenn auf diesem uns zuerst der Gedanke an das Versinken uns überfällt: so hat da unten an Bord des Nautilus das Gemüth des Menschen keinen Grund zur Besorgniß mehr; da ist kein Leckwerden zu fürchten, keine Beschädigung des Takelwerks oder der Segel, kein Zerspringen der Dampfkessel, keine Feuersbrunst kein Kohlenmangel, kein Zusammenstoß und kein Sturm. Einige Meter unter der Oberfläche ist unbedingte Ruhe der Gewässer. Das, mein Herr, das ist ein Schiff, wie es sein soll! Und wenn es wahr ist, daß der Ingenieur mehr Vertrauen in das Schiff setzt, als der Erbauer und der Erbauer mehr als selbst der Kapitän, so werden Sie begreifen, welches Vertrauen ich zu meinem Nautilus hege, da ich dessen Kapitän, Erbauer und Ingenieur in einer Person bin!« –

Der Kapitän Nemo sprach mit hinreißender Beredtsamkeit. Ja, er liebte sein Schiff, wie ein Vater sein Kind!

Aber eine, vielleicht unbescheidene Frage drängte sich mir auf und ich konnte nicht umhin, sie an denselben zu richten.

»Sie sind also Ingenieur, Kapitän Nemo?

– Ja, Herr Professor, erwiderte er, ich habe zu London, Paris und New-York studirt, zur Zeit als ich auf dem Festland der Erde wohnte.

– Aber wie haben Sie diesen bewundernswerthen Nautilus im Stillen erbauen können?

– Ich habe jedes der einzelnen Stücke desselben, Herr Arronax, von einem andern Orte her, und unter falscher Angabe seiner Bestimmung bezogen. Sein Kiel wurde zu Creuzot geschmiedet, die Welle seiner Schraube von Pen & Cie. in London, die Platten für den Rumpf bei Leard zu Liverpool, die Schraube bei Scott in Glasgow. Seine Behälter wurden von Cail & Cie. zu Paris gefertigt, seine Maschine von Krupp in Preußen, sein Schnabel zu Motala in Schweden, seine Instrumente bei Gebrüder Hart in New-York etc. Und jeder der Lieferanten bekam meine Pläne unter anderm Namen.

– Aber, fuhr ich fort, als diese Stücke fertig waren, mußte man sie zusammen setzen, in einander passen?

– Herr Professor, ich hatte meine Werkstätten auf einem einsamen Inselchen im weiten Ocean errichtet. Dort habe ich mit meinen Arbeitern, d. h. meinen braven Gefährten, die ich unterwiesen und abgerichtet habe, unsern Nautilus fertig gemacht. Und als die Arbeit vollendet war, hat das Feuer jede Spur unsers Aufenthalts auf diesem Eiland zerstört.

– Daher darf ich annehmen, daß die Herstellungskosten des Fahrzeugs über die Maßen hoch sind?

– Herr Arronax, ein eisernes Schiff kostet elfhundertfünfundzwanzig Francs per Tonne. Da nun der Nautilus fünfzehnhundert Tonnen Gewicht hat, so kommt er auf sechzehnhundertsiebenundachtzigtausend Francs, und mit Inbegriff seiner Einrichtung zwei Millionen, d. h. mit den Kunstwerken und Sammlungen vier bis fünf Millionen.

– Noch eine Frage, die letzte, Kapitän.

– Reden Sie, Herr Professor.

– Sie sind also reich?

– Unendlich reich, mein Herr, und ich könnte, ohne mir wehe zu thun, die zehn Milliarden Schulden Frankreichs übernehmen!«

Ich heftete einen starren Blick auf den seltsamen Mann, der also zu mir sprach. Hatte er meine Leichtgläubigkeit zum Besten? Die Zukunft sollte mich’s lehren.

Elftes Capitel

Elftes Capitel

Der Nautilus

Der Kapitän Nemo stand auf. Ich folgte ihm. Eine Doppelthür im Hintergrund des Saales öffnete sich, und ich trat in ein Zimmer von gleicher Größe wie das, welches wir verließen.

Es war eine Bibliothek. An den Wänden ragten hohe Gestelle von schwarzem Palissander mit Kupfer ausgelegt, auf deren Fachbrettern eine große Zahl gleichförmig eingebundener Bücher standen. Dieselben liefen ringsum an allen Wänden, und schlossen sich unten an geräumige mit dunkelbraunem Leder ausgeschlagene Divane, welche die bequemsten Polster darboten. Leichte, bewegliche Pulte, die man nach Belieben näher oder ferner rücken konnte, dienten beim Lesen zum Auflegen der Bücher. In der Mitte stand ein großer Tisch, der mit Brochuren bedeckt war, worunter sich auch einige bereits alte Zeitschriften befanden. Dies harmonische Ganze war von elektrischem Licht bestrahlt, das aus vier glattpolirten Kugeln, die im Plafond zur Hälfte eingelassen waren, herabfiel. Ich sah mich mit wahrer Bewunderung in dem so sinnreich eingerichteten Saale um.

»Kapitän Nemo, sagte ich zu meinem Wirth, das ist eine Bibliothek, die manchem Palast auf der Erde Ehre machen würde; ich bin wahrhaft in Staunen versetzt bei dem Gedanken, sie auf dem Meeresgrund zu finden.

– Wo fände man einen stillern, ungestörtern Aufenthalt, Herr Professor? erwiderte der Kapitän Nemo. Finden Sie im Studierzimmer Ihres Museums eine so vollständige Ruhe?

– Nein, mein Herr; und zugleich ist’s sehr ärmlich gegen das Ihrige. Sie haben da wohl sechs- bis siebentausend …

– Zwölftausend, Herr Arronax. Diese einzigen Bande fesseln mich noch an die Erde. Aber seit dem Tage, wo mein Nautilus zum erstenmal unter die Gewässer tauchte, existirt die Welt für mich nicht mehr. An jenem Tage habe ich meine letzten Bücher, meine letzten Brochuren und Zeitschriften gekauft, und seitdem lebe ich in dem Gedanken, daß die Menschheit nichts weiter gedacht und geschrieben hat. Diese Bücher, Herr Professor, stehen übrigens zu Ihrer Verfügung, um nach Belieben davon Gebrauch zu machen.«

Ich dankte dem Kapitän und trat näher zu den Büchern heran. Es waren da aus der Moral und Literatur, den exacten Wissenschaften, Schriften aus allen Sprachen in Menge, aber aus der Staatswirthschaft sah ich nicht ein einziges; sie schienen an Bord streng geächtet. Alle diese Bücher waren, ohne Unterschied aus welcher Sprache, nach Rubriken geordnet; ein Beweis, daß der Kapitän des Nautilus die Bände, wie er sie zufällig griff, geläufig lesen konnte.

Unter diesen Büchern bemerkte ich die Meisterwerke alter und neuer Literatur, d. h. alles Schönste, was der menschliche Geist von Homer bis auf die jetzt lebenden Koryphäen geliefert. Aber wissenschaftliche Werke waren darin vorzugsweise bedacht: Mechanik, Ballistik, Meteorologie, Geographie, Geologie waren dabei nicht minder vertreten, als die gesammte Naturgeschichte, und ich sah wohl, daß ihnen der Kapitän vorzugsweise seine Studien widmete. Darunter fanden sich denn auch die beiden Bände, welche mir eine so gute Aufnahme beim Kapitän Nemo verschafften; und aus einem andern Werke von Jos. Bertrand, welches, wie mir bekannt war, im Laufe des Jahres 1865 ausgegeben wurde, konnte ich entnehmen, daß die Ausstattung des Nautilus nicht später vorgenommen wurde, daß also der Kapitän Nemo sein unterseeisches Leben seit höchstens drei Jahren führte. Der Zeitpunkt ließ sich wohl durch weitere Forschung, wofür ich ja Muße genug hatte, noch genauer feststellen. Für jetzt galt es, die Wunder des Nautilus zu besichtigen.

»Mein Herr, sagte ich zum Kapitän, ich danke Ihnen, daß Sie mir diese Bibliothek zur Verfügung stellen. Sie enthält kostbare Schätze der Wissenschaft, welche ich benützen will.

– Dieser Saal, sagte der Kapitän, ist nicht blos eine Bibliothek, sondern auch ein Rauchzimmer.

– Ein Rauchzimmer? rief ich aus. Also raucht man an Bord?

– Allerdings.

– Dann muß ich wohl glauben, mein Herr, daß Sie noch in einiger Verbindung mit der Havanna stehen.

– Durchaus nicht, erwiderte der Kapitän. Nehmen Sie diese Cigarre, Herr Arronax, und wenn Sie schon nicht aus der Havanna kommt, werden Sie doch, wenn Sie Kenner sind, damit zufrieden sein.«

Ich nahm die Cigarre, welche einer Londres ähnlich geformt war, aber aus Goldblättern zu bestehen schien. Ich zündete sie an einem kleinen Brasero an, das ein elegantes Fußgestell von Bronce hatte, und fing an mit dem Wonnegefühl eines Schmauchers, der seit zwei Tagen das Rauchen entbehrt hatte, zu dampfen.

»Das ist vortrefflich, sagte ich, aber Tabak ist’s nicht.

– Nein, erwiderte der Kapitän, dieser Tabak kommt weder aus der Havanna, noch dem Orient. Es ist eine Art nicotinhaltiges Seegras, das mir das Meer, etwas sparsam, liefert. Vermissen Sie die Londres, mein Herr Professor?

– Kapitän, von jetzt an mag‘ ich sie nicht mehr.

– So rauchen Sie davon nach Belieben, und ohne über den Ursprung derselben sich Gedanken zu machen. Sie sind von keiner Regie controlirt, und sind darum nicht minder gut, denk‘ ich.

– Im Gegentheil.«

Nun öffnete der Kapitän Nemo eine Thür gegenüber der, durch welche wir in die Bibliothek gekommen waren, und wir traten in einen sehr großen glänzend erleuchteten Saal. Er war vierseitig, mit abgestumpften Ecken, zehn Meter lang, sechs breit, fünf hoch. Ein erleuchteter, mit leichten Arabesken verzierter Plafond spendete helles und mildes Licht auf alle Merkwürdigkeiten dieses Museums. Denn es war wirklich ein Museum, worin eine einsichtige und freigebige Hand alle Schätze der Natur und Kunst vereinigt hatte, sammt allerlei künstlerischem Beiwerk, welches das Atelier eines Malers kennzeichnet.

Dreißig Meisterwerke in gleichförmigen Rahmen, um glänzende Panoplien gruppirt, zierten die im strengen Styl tapezierten Wände. Ich sah die Gemälde von höchstem Kunstwerth, die in den Sammlungen und Ausstellungen Bewunderung erregt hatten; und in den Ecken des prachtvollen Museums standen köstliche Statuen in Marmor und Bronce, Nachbildungen der schönsten antiken Muster.

»Herr Professor, sagte darauf der Commandant des Nautilus, entschuldigen Sie die in diesem Salon herrschende Unordnung.

– Mein Herr, erwiderte ich, ohne daß ich weiß, wer Sie sind, darf ich wohl einen Künstler in Ihnen erkennen?

– Einen Kunstliebhaber höchstens, mein Herr. Vormals machte mir’s Freude, diese schönen Werke der Menschenhand zu sammeln. Ich suchte begierig und unermüdlich, und es gelang mir einiges Werthvolle zusammenzubringen. Dies meine letzten Erinnerungen an die Erde, die nun für mich todt ist.

– Und diese Musiker? sagte ich, und wies auf die Partituren von Weber, Rossini, Mozart, Beethoven, Haydn, Meyerbeer, Herold, Wagner, Auber u. A., welche auf einem stattlichen Orgel-Piano lagen.

– Diese Musiker, erwiderte der Kapitän Nemo, gehören gleich Orpheus einer entschwundenen Zeit, und ich bin todt, eben so wie die, welche sechs Fuß tief unter der Erde ruhen!«

Der Kapitän, in tiefen Gedanken versunken, vergaß seine Umgebung, indeß ich fortfuhr, die Schätze und Merkwürdigkeiten des Salons zu mustern.

Es fanden sich da Seltenheiten aus dem Naturreiche von bedeutendem Werth, hauptsächlich Pflanzen, Muscheln und andere Erzeugnisse des Meeres, die ohne Zweifel der Kapitän persönlich gesammelt hatte. Mitten im Salon sah man in elektrischer Beleuchtung einen Springbrunnen mit einem Becken aus einer einzigen Muschel von einer der größten Molluskenarten, deren sein verzierter Rand sechs Meter Umfang hatte, und die demnach größer war, als die Riesenweihkessel in der Kirche St. Sulpice zu Paris, welche einst die Republik Venedig dem König Franz I. zum Geschenk machte.

Um dieses Becken herum waren unter Glasbehältern mit Kupferschlag die kostbarsten Meeresproducte mit Etiketten geordnet, welche je den Blicken der Naturforscher sich darboten. Man begreift, welche Freude für den Professor der Naturgeschichte.

Die Zoophyten boten höchst merkwürdige Musterstücke aus den Gruppen der Polypen und Echinodermen dar. Aus der Classe der Mollusken sah man so äußerst kostbare Stücke, daß sie einen etwas erregbaren Conchyliologen außer sich bringen konnten. – Seitwärts in besonderen Fachbehältern lagen die schönsten Perlenschnüre gereiht, deren Feuer im elektrischen Licht spielte, rosenfarbene, grüne, gelbe, schwarze, blaue, seltene Producte verschiedener Mollusken aller Meere. Manche dieser Perlen waren von der Größe eines Taubeneies, und kamen an Werth den berühmten des Schahs von Persien und des Imams von Mascat gleich. Den Werth dieser Sammlung zu beziffern war fast unmöglich.

Während ich mich fragte, woher dem Kapitän die Summen für solche Liebhabereien geflossen sein konnten, überraschte er mich durch die Aeußerung:

»Sie mustern meine Muscheln, Herr Professor. Sie können in der That einem Naturforscher Freude machen; für mich haben sie noch den besondern Reiz, daß ich sie alle eigenhändig gesammelt habe; und es ist kein Meer, das ich nicht dafür durchforscht hätte.

– Ich begreife, Kapitän, diese Freude, sich inmitten solcher Schätze zu ergehen. Sie haben sich selbst dieselben gesammelt. Eine gleiche Sammlung von Seeproducten findet sich in keinem Museum Europa’s. Aber wenn ich dafür meine Bewunderung erschöpfe, was bleibt mir dann noch für das Schiff, worauf sie sich befindet? Ich will zwar nicht in Ihre Geheimnisse dringen; doch gestehe ich, daß die bewegende Kraft, welche der Nautilus in sich schließt, die Vorrichtungen, um seine Bewegungen zu lenken, das mächtige ihn beseelende Agens – dies Alles meine Neugierde in hohem Grade auf sich zieht. Ich sehe an den Wänden dieses Salons Instrumente, deren Bestimmung mir unbekannt ist. Darf ich wissen? …

– Herr Arronax, erwiderte der Kapitän Nemo, ich hab‘ Ihnen gesagt, daß Sie an Bord meines Schiffes frei sind; folglich ist Ihnen kein Theil des Nautilus untersagt. Sie können ihn im Detail besichtigen, und ich mache mir ein Vergnügen daraus, Ihr Cicerone zu sein.

– Ich weiß nicht, mein Herr, wie ich Ihnen dafür danken kann, aber ich will Ihre Gefälligkeit nicht mißbrauchen. Ich möchte Sie nur fragen, zu welchem Gebrauch sind diese physikalischen Instrumente bestimmt. …

– Herr Professor, die nämlichen Instrumente finden sich in meinem Zimmer, wo ich mir das Vergnügen machen will, ihren Gebrauch Ihnen zu erklären. Aber zuvor besuchen Sie die Ihnen vorbehaltene Cabine. Sie müssen doch Ihre Einrichtung an Bord des Nautilus kennen lernen.«

Ich folgte dem Kapitän, der mich durch den Gang des Schiffes in das Vordertheil führte, und zwar nicht in eine Cabine, sondern in ein elegantes Zimmer mit Bett, Toilette und verschiedenen anderen Meubels.

Ich konnte meinem Wirthe nur dankbar sein.

»Ihr Zimmer stößt an das meinige, sagte er, indem er eine Thür öffnete, und meines führt auf den Salon, worin wir uns eben befanden.«

Ich trat in’s Zimmer des Kapitäns. Es sah ernst, fast mönchisch aus. Ein eisernes Lager, ein Arbeitstisch, einige Toilettenmeubles; alles in einem Halbdunkel. Nichts für die Behaglichkeit; nur das streng Nothwendige.

Der Kapitän Nemo wies auf einen Stuhl und sprach: »Belieben Sie, Platz zu nehmen.«

Ich setzte mich nieder, er ergriff das Wort und sprach:

Fünfzehntes Capitel

Fünfzehntes Capitel

Eine briefliche Einladung

Am folgenden Tage, den 9. November, erwachte ich spät, erst nach zwölfstündigem Schlaf. Conseil kam, wie gewöhnlich, und erkundigte sich, wie »sein Herr« geschlafen, und um seine Dienste anzubieten. Der Canadier schlief noch immer fort, als wie ein Mensch, der sein Lebtag nichts anders thut.

Ich ließ den wackern Jungen nach Belieben schwatzen, ohne ihm viel zu antworten. Die Abwesenheit des Kapitän Nemo während unserer gestrigen Unterhaltung machte mir Gedanken, und ich hoffte ihn heute wieder zu sehen.

Ich zog alsbald meine Byssuskleider an. Ueber die Beschaffenheit dieses Stoffes machte Conseil öfters seine Bemerkungen. Ich belehrte ihn nun, daß er aus den glänzenden seltenartigen Fasern gemacht sei, womit eine Art an den Ufern des Mittelländischen Meeres sehr häufiger Muscheln an die Felsen geheftet ist. Früher bereitete man daraus schöne Zeuge, Strümpfe, Handschuhe, denn sie waren zugleich kernhaft und sehr warm. Die Mannschaft des Nautilus ließ sich darin billig kleiden, und man konnte die Baumwolle, Schafe und Seidenwürmer der Oberwelt entbehren.

Als ich angekleidet war, begab ich mich in den großen Saal. Er war leer.

Ich vertiefte mich in die Betrachtung der Conchylienschätze, welche unter Glasscheiben geordnet waren, musterte auch die umfassenden Herbarien voll der seltensten Meerespflanzen, die, obwohl getrocknet, doch ihre wunderschönen Farben bewahrt hatten.

Diesen ganzen Tag über wurde ich nicht mit einem Besuch des Kapitäns Nemo beehrt. Die Fensterläden blieben geschlossen. Man wollte wohl uns nicht mit dem Anblick so schöner Dinge übersättigen.

Die Richtung des Nautilus blieb unverändert Ost-Nord-Ost, seine Geschwindigkeit zwölf Meilen, seine Tiefe fünfzig bis sechzig Meter.

Am 10. November gleiche Verlassenheit, gleiche Einsamkeit. Kein Mensch von der Bemannung kam mir zu Gesicht. Den größten Theil des Tages verbrachte ich in Gesellschaft von Ned und Conseil. Sie waren erstaunt über die unerklärliche Abwesenheit des Kapitäns. War der seltsame Mann krank? Wollte er in Beziehung auf uns seine Absicht ändern?

Trotzdem genossen wir, wie Conseil meinte, vollständige Freiheit, köstliche und reichliche Nahrung. Unser Wirth hielt sich innerhalb unsers Vertrags. Wir hatten nicht zu klagen, und zudem gewährten uns noch die besonderen Umstände, womit unser Schicksal verknüpft war, so schöne Entschädigung, daß wir ihm keinen Vorwurf zu machen hatten.

An diesem Tag begann ich mein Tagebuch, so daß ich darnach alles mit größter Genauigkeit berichten kann; und ich schrieb es auf Papier, das aus Seegras gefertigt war.

Am 11. November, früh Morgens, gab mir die im Innern des Nautilus verbreitete frische Luft zu erkennen, daß wir uns auf die Oberfläche des Meeres begeben hatten, um unsern Vorrath von Sauerstoff zu ergänzen. Ich stieg auf der im Mittelpunkt befindlichen Leiter zur Plateform hinauf.

Es war sechs Uhr. Der Himmel zeigte sich bedeckt, das Meer grau, doch ruhig; kaum eine Bewegung der Wellen. Sollte wohl der Kapitän Nemo, wie ich hoffte, sich einfinden? Ich bemerkte nur den Steuerer in seinem Glas-Gehäuse. Ich setzte mich auf einen Vorsprung, welchen der Rumpf des Bootes gewährte, und athmete mit Behagen die köstliche Seeluft ein.

Allmälig ward der Nebel durch die Strahlen der Sonne zerstreut, die im Osten am Horizont emporstieg. Das Meer gerieth wie durch ein Laufpulver in Flammen. Das in der Höhe zerstreute Gewölk färbte sich in wunderbarer Schattirung der Töne.

Ich bewunderte diesen freundlichen Sonnenaufgang, der so belebend wirkte, als ich Jemand die Treppe herauf kommen hörte.

Ich war schon im Begriff den Kapitän zu begrüßen, aber es war der Schiffslieutenant, welchen ich bereits beim ersten Besuch des Kapitäns kennen gelernt hatte. Er trat vor auf die Plattform und schien meine Anwesenheit nicht zu bemerken. Mit seinem starken Fernrohr forschte er am Horizont mit äußerster Achtsamkeit nach allen Richtungen. Darauf trat er zu der Lücke und sprach eine Phrase, die ich mir buchstäblich gemerkt habe, wie sie jeden Morgen in gleicher Lage gesprochen wurde. Sie lautete:

»Nautron respoc lorni virch.«

Was sie bedeutet, kann ich nicht sagen.

Nachdem der Schiffslieutenant diese Worte gesprochen, stieg er wieder hinab. Ich meinte, der Nautilus werde seine unterseeische Fahrt fortsetzen, begab mich daher wieder zu der Lucke, stieg hinab und ging in mein Zimmer.

So verflossen fünf Tage, ohne daß die Lage sich änderte. Jeden Morgen stieg ich zur Plateform hinauf. Die nämliche Person sprach die nämliche Phrase. Der Kapitän Nemo erschien nicht.

Ich hatte mich schon darein ergeben, ihn gar nicht mehr zu sehen, als ich am 16. November, beim Eintritt in mein Zimmer, auf dem Tisch ein an mich adressirtes Billet fand.

Ich öffnete es ungeduldig. Die Schriftzüge waren frei und klar, aber etwas gothisch, was an deutsche Schrift erinnerte.

Sein Inhalt war:

»Herrn Professor Arronax, an Bord des Nautilus.

»16. November 1867.

»Der Kapitän Nemo ladet den Herrn Professor Arronax zu einer Jagdpartie ein, welche Morgen früh in den Wäldern der Insel Crespo stattfinden soll. Er hofft, daß der Herr Professor nicht verhindert sein wird, daran Theil zu nehmen, und er wird mit Vergnügen sehen, daß seine Gefährten sich ihm anschließen.

»Der Kommandant des Nautilus,

»Kapitän Nemo.«

»Eine Jagd! rief Ned aus, der nebst Conseil mit mir eingetreten war.

– Und in den Wäldern der Insel Crespo! fügte Conseil bei.

– Da wird ja der Sonderling doch an’s Land gehen? fuhr Ned-Land fort.

– Das scheint mir klar angedeutet, sagte ich bei wiederholtem Lesen des Briefes.

– Jedenfalls muß man das annehmen, versetzte der Canadier. Sind wir einmal auf dem Festland, so werden wir schon wissen, was wir zu thun haben. Uebrigens würde mir’s schon ganz recht sein, einige Stücke frisches Wildpret zu genießen.«

Ich bemühte mich nicht den Widerspruch zwischen dem offenbaren Groll des Kapitäns gegen das Festland und die Inseln, und seiner Einladung zu einer Jagdpartie im Wald – zu vereinigen, und antwortete nur:

»Sehen wir erst, was es mit der Insel Crespo für eine Bewandtniß hat.«

Ich sah mich zuerst auf der Landkarte um, und fand unter’m 32° 40′ nördlicher Breite und 167° 50′ westlicher Länge ein im Jahre 1801 vom Kapitän Crespo entdecktes Inselchen, welches auf den alten spanischen Karten Rocca de la Plata, d. h. »Silberfelsen« benannt war. Wir befanden uns also ungefähr achtzehnhundert Meilen von unserem Abfahrtspunkt entfernt, und die etwas geänderte Richtung des Nautilus führte ihn südöstlich.

Ich zeigte meinen Gefährten den kleinen, mitten im nördlichen Stillen Meer verlorenen Felsen.

»Wenn der Kapitän Nemo irgendwo sich an’s Land begiebt, sagte ich zu ihnen, so wählt er wenigstens gänzlich verlassene Inseln.«

Ned-Land zuckte mit den Achseln, ohne zu antworten, dann ging er nebst Conseil weg. Nach einem Abendessen, das mir der Steward stumm und mit gleichgiltiger Miene auftrug, schlief ich ein, nicht ohne einige Befangenheit.

Um folgenden Tag, den 17. November, merkte ich beim Erwachen, daß der Nautilus vollständig unbeweglich war. Ich kleidete mich rasch an und begab mich in den großen Saal.

Der Kapitän Nemo befand sich da. Er hatte mich schon erwartet, stand auf, grüßte und fragte mich, ob es mir genehm wäre, ihn zu begleiten.

Da er mit keinem Wort seine achttägige Abwesenheit berührt hatte, so sprach ich auch kein Wort davon und erwiderte blos, ich sei nebst meinen Gefährten bereit, ihn zu begleiten.

»Nur, mein Herr, fügte ich bei, möchte ich mir eine Frage an Sie erlauben.

– Fragen Sie nur, Herr Arronax, und wo möglich werde ich darauf antworten.

– Nun, Kapitän, wie kommt’s, daß Sie, die doch jede Verbindung mit der Erde abgebrochen haben, Wälder auf der Insel Crespo besitzen?

– Herr Professor, erwiderte mir der Kapitän, die Wälder, welche ich besitze, bedürfen weder Licht noch Wärme von der Sonne. Es hausen da weder Löwen, noch Tiger, noch Panther, oder sonst ein vierfüßiges Thier. Ich allein kenne sie. Es sind nicht Landforsten, sondern unterseeische.

– Unterseeische Wälder! rief ich aus.

– Ja, Herr Professor.

– Und Sie wollen mich dahin führen?

– Ja wohl.

– Zu Fuß?

– Und sogar trockenen Fußes.

– Auf der Jagd?

– Auf der Jagd.

– Die Büchse in der Hand?

– Die Büchse in der Hand.«

Ich sah den Commandanten des Nautilus mit einer Miene an, die nichts Schmeichelhaftes für ihn hatte.

»Ganz gewiß ist der Mann gehirnkrank, dachte ich. Seit acht Tagen hing er einer verrückten Idee nach, und dieser Zustand dauert noch fort. Es ist schade! Ich wünschte, er wäre lieber ein Sonderling, als ein Narr!«

Diesen Gedanken konnte man auf meiner Stirne lesen, aber der Kapitän Nemo beschränkte sich darauf, mich einzuladen, ihn zu begleiten, und ich folgte als ein Mann, der sich in alles ergiebt.

Wir kamen in den Speisesaal, wo das Frühstück aufgetragen war.

»Herr Arronax, sagte der Kapitän, ich bitte Sie, ohne Umstände mit mir zu frühstücken. Wir können beim Essen plaudern. Ich habe Ihnen eine Jagdpartie im Wald versprochen, aber daß wir dabei einen Restaurant treffen, habe ich Ihnen nicht zugesagt. Frühstücken Sie daher, als würden wir vermuthlich sehr spät zum Diner kommen.«

Ich war also beflissen, dem Mahl Ehre zu machen. Es bestand aus verschiedenen Fischen und Stücken Holothurien, trefflichen Thierpflanzen, Beiessen von eröffnenden Algen. Zum Trunk diente klares Wasser, worin ich nach dem Beispiel des Kapitäns einige Tropfen Liqueur mischte, der, wie zu Kamtschatka, aus einer Algenart gewonnen war.

Der Kapitän Nemo aß zuerst, ohne ein Wort zu sprechen. Dann sagte er:

»Herr Professor, als ich Ihnen den Vorschlag einer Jagdpartie auf der Insel Crespo machte, glaubten Sie, ich sei mit mir selbst im Widerspruch. Als ich Ihnen mittheilte, daß es sich um unterseeische Wälder handle, haben Sie mich für einen Narren angesehen. Herr Professor, man muß nie so leicht ein Urtheil über die Menschen fassen.

– Aber, Kapitän, glauben Sie …

– Hören Sie mich gefälligst an, dann werden Sie sehen, ob Sie mir Widerspruch mit mir selbst, oder Narrheit vorwerfen dürfen.

– Ich höre Sie an.

– Herr Professor, Sie wissen so gut, wie ich, daß der Mensch unter dem Wasser leben kann, wenn er seinen Bedarf an Luft zum Einathmen bei sich hat. Bei unterseeischen Arbeiten bekommen die Werkleute in wasserdichter Kleidung und den Kopf in einer metallenen Kapsel, die Luft von außen vermittelst Druckpumpen und Luftregulatoren.

– Sie meinen den Skaphanderapparat, sagte ich.

– Allerdings, aber unter diesen Bedingungen ist der Mensch nicht frei. Er ist an die Pumpe gebunden, welche ihm die Luft durch einen Schlauch von Kautschuk zusendet, eine wirkliche Kette, die ihn an die Erde fesselt, und wären wir so an den Nautilus gebunden, so würden wir nicht weit kommen.

– Und wie kann man sich frei machen? fragte ich. –

– Durch den Apparat Rouquayrol-Denayrouze, den zwei Ihrer Landsleute ersonnen, ich aber für meinen Gebrauch verbessert habe, so daß man im Stande ist, sich in diese neue physiologische Lage zu wagen, ohne daß die Organe irgend dabei zu leiden haben. Er besteht in einem Behälter von dickem Blech, worin ich die Luft unter einem Druck von fünfzig Atmosphären zusammenpresse und aufbewahre. Dieser Behälter wird mit Tragriemen, wie ein Tornister, auf dem Rücken befestigt. Sein oberer Theil bildet eine Kapsel, woraus die Luft vermittelst einer Balg-Vorrichtung nur in normaler Spannung herausdringen kann. Bei dem Apparat Rouquayrol, so wie er in Gebrauch ist, laufen zwei Kautschukröhren von dieser Kapsel aus zu einer Art von Gehäuse, welches die Nase und den Mund dessen, welcher ihn gebraucht, umgiebt; der eine dient, um die einzuathmende Luft herbeizuleiten, der andere, um die ausgeathmete fortzuschaffen, und die Zunge schließt, nach Bedürfniß des Einathmens, den einen oder den andern. Ich aber, der es mit einem so bedeutenden Druck aus dem Meeresgrund zu thun habe, habe meinen Kopf, wie den der Skaphander, mit einer Hohlkugel von Kupfer umgeben müssen, und in dieser Kugel endigen die beiden zum Einathmen bestimmten Röhren.

– Vollkommen richtig, Kapitän Nemo; aber die Luft, welche Sie mitnehmen, muß sich doch bald verbrauchen, und sobald sie nur noch fünfzehn Procent Sauerstoff enthält, wird sie zum Einathmen unbrauchbar.

– Allerdings, aber wie ich Ihnen gesagt habe, Herr Arronax, vermittelst der Pumpen des Nautilus bin ich im Stande, sie sehr bedeutend zusammenzupressen, und unter diesen Bedingungen kann der Behälter des Apparats für neun bis zehn Stunden athmungsfähige Luft liefern.

– Nun habe ich keinen Einwand mehr. Nur frage ich noch, Kapitän, wie können Sie Beleuchtung für Ihren Weg so tief im Meeresgrund schaffen?

– Mit dem Ruhmkorff’schen Apparat, Herr Arronax. Wie der andere auf dem Rücken, so befestigt man diesen am Gürtel. Er besteht aus einer Bunsen’schen Säule, welche ich nicht mit doppeltchromsaurem Kali, sondern mit Sodium in Thätigkeit setze. Eine Inductionsröhre sammelt die erzeugte Elektricität und leitet sie zu einer Laterne von eigenthümlicher Einrichtung. In dieser Laterne befindet sich eine gläserne Serpentine, welche nur einen Rest von Kohlensäure enthält. Wenn der Apparat in Thätigkeit tritt, wird dieses Glas leuchtend und giebt ein weißliches andauerndes Licht. Auf diese Art versehen kann ich athmen und sehen.

– Kapitän Nemo, auf alle meine Einwendungen haben Sie so überwältigende Antworten, daß ich nicht mehr zu zweifeln wage. Jedoch, bin ich auch genöthigt, den Apparaten von Rouquayrol und Ruhmkorff ihre Geltung zu lassen, so darf ich doch bezüglich der Büchse, womit Sie mich bewaffnen wollen, einen Vorbehalt machen.

– Das ist ja kein Feuergewehr, erwiderte der Kapitän.

– Also eine Windbüchse?

– Allerdings. Ich kann ja doch an Bord meines Fahrzeugs, ohne Salpeter, Schwefel und Kohlen kein Pulver fabriciren.

– Zudem, sagte ich, um unter’m Wasser, das achthundertundfünfzig Mal dichter als die Luft ist, zu schießen, mußte man einen sehr bedeutenden Widerstand überwinden.

– Das gäbe keinen Grund ab. Es giebt Kanonen, die nach Fulton von den Engländern Coles und Burley, von dem Franzosen Turcy, dem Italiener Landi verbessert wurden; diese sind mit einer besonderen Art von Schloß versehen, so daß man unter diesen Bedingungen daraus schießen kann. Aber ich sage Ihnen wiederholt, da ich kein Pulver habe, so ersetze ich es durch comprimirte Luft, welche mir die Pumpen des Nautilus im Ueberfluß liefern.

– Aber diese Luft muß sich bald verbrauchen.

– Nun, hab‘ ich nicht meinen Behälter Rouquayrol, der mir meinen Bedarf liefern kann. Es ist dafür nur ein besonderer Hahn erforderlich. Uebrigens, Herr Arronax, werden Sie während dieses unterseeischen Jagens an sich selbst die Erfahrung machen, daß man nicht viel Luft noch Kugeln braucht.

– Doch will es mich bedünken, in diesem Halbdunkel und innerhalb einer im Verhältniß zur Luft sehr dichten Flüssigkeit können die Schüsse nicht weit reichen und nicht leicht tödtlich sein.

– Mein Herr, bei diesem Gewehr sind alle Schüsse tödtlich, und wenn ein lebendes Geschöpf auch noch so leicht getroffen wird, sinkt es sogleich todt nieder.

– Weshalb?

– Weil mit diesem Gewehr nicht gewöhnliche Kugeln geschossen werden, sondern kleine Glaskapseln, die von dem österreichischen Chemiker Leniebrock erfunden wurden, und wovon ich einen großen Vorrath habe. Diese Glaskapseln, in Stahl gefaßt und durch ein bleiernes Bodenstück schwer gemacht, sind in Wahrheit kleine Leydner Flaschen, worin die Elektricität sehr hoch gesteigert ist. Sie entladen sich beim leichtesten Stoß, und auch das stärkste Thier sinkt todt nieder. Ich füge bei, daß diese Kapseln nicht größer sind als Nummer vier, und daß eine gewöhnliche Flinte ihrer zehn fassen kann.

– Ich streite nicht weiter, erwiderte ich, indem ich aufstand, und ich habe nur mein Gewehr zu nehmen. Uebrigens, wo Sie hingehen, gehe ich mit!«

Der Kapitän Nemo führte mich zum Hintertheil des Nautilus, und im Vorübergehen vor Ned’s und Conseil’s Cabine rief ich meine beiden Gefährten ab, und sie schlössen sich sogleich an.

Darauf kamen wir in eine kleine Zelle, die nach vorn hin neben dem Maschinenzimmer lag, und worin wir unsere Spazierkleidung anzulegen hatten.

Sechzehntes Capitel

Sechzehntes Capitel

Spaziergang im Freien

Diese Zelle war eigentlich Arsenal und Kleiderkammer des Nautilus. Ein Dutzend Skaphander-Apparate, die an der Wand hingen, harrten der Spaziergänger.

Als Ned-Land sie erblickte, zeigte er einen offenbaren Widerwillen, einen solchen anzuziehen.

»Mein wackerer Ned, sagte ich zu ihm, die Wälder der Insel Crespo sind ja nur unterseeische Wälder.

– Gut! sagte der Harpunier enttäuscht, da er seine Träume von frischem Fleisch schwinden sah. Und Sie, Herr Arronax, wollen sich in diese Kleider stecken?

– Man muß wohl, Meister Ned.

– Es steht Ihnen frei, mein Herr, erwiderte der Harpunier mit Achselzucken, aber ich meinestheils ziehe sie niemals an, wofern man mich nicht mit Gewalt dazu zwingt.

– Man wird Sie nicht mit Gewalt nöthigen, Meister Ned, sagte der Kapitän Nemo.

– Und Conseil will sich in Gefahr begeben? fragte Ned.

– Ich bin überall dabei, wo mein Herr hin geht«, erwiderte Conseil.

Der Kapitän rief, und zwei Mann von den Schiffsleuten kamen und halfen uns diese schweren undurchdringlichen Kleider anziehen, die aus Kautschuk gefertigt und der Art eingerichtet waren, daß sie bedeutenden Druck aushielten. Es war eine Rüstung, geschmeidig und widerstandsfähig zugleich; Hosen und Weste; jene endigten mit einer dichten Fußbekleidung, die mit schweren Bleisohlen besetzt war. Der Stoff der Weste war durch Kupferplättchen geschützt, welche der Brust zum Panzer dienten, um den Druck des Wassers auszuhalten und den Lungen ihre freie Thätigkeit zu sichern. Die Aermel endigten mit geschmeidigen Handschuhen, welche die Handbewegung durchaus nicht hinderten.

Man sieht, sie waren weit verschieden von den unförmlichen Skaphandern, welche im achtzehnten Jahrhundert erfunden und angepriesen wurden.

Der Kapitän Nemo, einer seiner Gefährten – eine herkulische Gestalt von außerordentlicher Körperkraft – Conseil und ich zogen rasch die Kleidung an. Es handelte sich nur darum, unsere Köpfe in die metallenen Kugeln zu stecken. Aber bevor wir dazu schritten, bat ich den Kapitän um die Erlaubniß, die für uns bestimmten Gewehre zu untersuchen.

Einer von der Mannschaft des Nautilus reichte mir eine einfache Flinte, deren stählerner Kolben innen hohl und ziemlich groß war. Er diente als Behälter der zusammengepreßten Luft, welche durch eine Klappe mit einer Feder in den metallenen Lauf gelassen wurde. In dem dicken Theil des Kolbens war eine kleine Büchse, die etwa zwanzig elektrische Kugeln faßte, welche vermittelst einer Sprungfeder automatisch in den Gewehrlauf gelangten. Sobald ein Schuß losgegangen, war auch schon der folgende zum Abschießen fertig.

»Kapitän Nemo, sagte ich, das Gewehr ist vortrefflich, und leicht zu handhaben. Ich wünsche nur es zu probiren. Aber wie gelangen wir auf den Meeresgrund.

– In diesem Augenblick, Herr Professor, sitzt der Nautilus in einer Tiefe von sechs Meter fest, und wir brauchen uns nur auf den Weg zu machen.

– Aber wie gelangen wir hinaus?

– Sie werden’s gleich sehen.«

Der Kapitän Nemo steckte seinen Kopf in die kugelförmige Kappe. Conseil und ich thaten dasselbe, während der Canadier uns ironisch »Glück zu der Jagd« wünschte. Unsere Kleidung endigte sich oben in ein kupfernes, schraubenartig ausgebohrtes Halsband, worauf der metallene Helm eingeschraubt wurde. Drei mit dicken Gläsern versehene Löcher gestatteten nach allen Richtungen zu sehen, indem man nur in der Kugel den Kopf zu drehen hatte. Sobald er aufgesetzt war, fingen die auf unseren Rücken befestigten Apparate Rouquayrol ihre Thätigkeit an, und ich für meinen Theil athmete leicht.

Die Ruhmkorff’sche Lampe an meinem Gürtel, das Gewehr in der Hand, war ich fertig zum Fortgehen. Aber von dieser schweren Kleidung umschlossen und mit meinen bleiernen Sohlen an den Boden geheftet, märe mir’s unmöglich gewesen, nur einen Schritt zu machen.

Doch war dieser Fall vorgesehen; denn ich fühlte, daß man mich in eine kleine neben dem Kleidergemach befindliche Kammer schob. Meine Begleiter folgten, in gleicher Weise bugsirt, mir nach. Ich hörte, wie eine Thüre mit festgefugtem Verschluß über uns zugemacht wurde, und tiefes Dunkel umgab uns.

Nach einigen Minuten hörte ich ein lebhaftes Zischen und fühlte eine gewisse Kälte von den Füßen zur Brust aufsteigen. Offenbar hatte man vom Innern des Schiffs aus mit einem Hahn das äußere Wasser eingelassen, so daß es uns umgab und die ganze Kammer füllte. Darauf öffnete sich eine zweite Thür in der Seitenwand des Nautilus, ein Dämmerlicht umgab uns. Gleich darauf fühlten wir den Meeresgrund unter den Füßen.

Welchen Eindruck dieser Spaziergang in diesen Tiefen auf mich machte, könnte ich unmöglich schildern. Solche Wunder zu erzählen mangelt der Ausdruck. Weder Pinsel noch Feder reichen aus, die diesem Element eigenthümlichen Erscheinungen darzustellen.

Der Kapitän Nemo schritt voran, und sein Genosse einige Schritte hinter uns. Conseil und ich blieben dicht beisammen, als hätten wir durch diese metallene Bepanzerung mit einander reden können. Die Schwere meiner Kleidung war mir schon nicht mehr fühlbar; weder meine Fußbekleidung, noch mein Luftbehälter, noch die schwere Kugel, innerhalb welcher mein Kopf wie ein Mandelkern in seiner Schaale schlotterte, machten mir Beschwerden. Alle diese Gegenstände verloren, in’s Wasser getaucht, eben so viel von ihrem Gewicht, als das von ihnen verdrängte Wasser hatte, und ich empfand die Wohlthat dieses von Archimedes entdeckten Naturgesetzes. Nicht mehr eine träge Masse, hatte ich eine verhältnißmäßig große Freiheit der Bewegung.

Ich staunte über die Stärke des Lichtes, welches bis auf dreißig Fuß unter dem Meeresspiegel den Boden erhellte. Die Sonnenstrahlen drangen leicht durch die Wassermasse, welche dadurch ihre Färbung verlor. Ich konnte die Gegenstände in einer Entfernung von hundert Meter klar unterscheiden. Weiter hinaus schattirte sich die Grundfarbe in feinen Lasurnüancen, dann in der Ferne hellblau, und verschwand zuletzt in unbestimmtem Dunkel. Wahrhaftig, dieses Wasser um mich herum war zwar dichter als die Atmosphäre der Erde, aber fast eben so durchsichtig. Ueber mir bemerkte ich die Oberfläche des Meeres ganz ruhig.

Wir schritten über feinen Sand ohne Runzeln, wie an den Meeresküsten der Fall ist, wo Spuren der hohen See zurückbleiben. Diese blendende Fläche warf, wie ein Reflector, die Sonnenstrahlen mit auffallender Stärke zurück. Daher der ungeheure Widerschein, welcher alle Elementartheile durchdrang. Wird man mir glauben, wenn ich behaupte, daß ich in dieser Tiefe von dreißig Fuß wie am hellen Tag sehen konnte?

Eine Viertelstunde lang ging ich auf diesem heißen Sand, der mit unbetastbarem Muschelstaub besäet war. Der Nautilus, welcher wie eine lange Klippe aussah, verschwand allmälig aus den Augen, aber sein Leuchtfeuer mußte, wann in den Gewässern die Nacht eintrat, unsere Rückkehr an Bord erleichtern, indem seine Strahlen vollkommen klar sichtbar waren. Auf dem Land, wo die Luft mit Staub durchdrungen ist, scheint dieses Licht düster, wie vom Nebel getrübt; aber auf dem Meer, wie unter dem Meer, pflanzen sich die elektrischen Lichtstreifen mit unvergleichlicher Reinheit weiter.

Inzwischen gingen wir immer fort, und die ungeheure Sandfläche schien ohne Grenzen zu sein. Ich schob mit der Hand die Wassergardinen zurück, welche hinter mir wieder zusammenfielen, und der Druck des Wassers verwischte augenblicklich meine Fußstapfen.

Bald zeigten sich vor meinen Blicken, aus der Ferne in vermischten Umrissen, einige Gegenstände. Ich erkannte prächtige Musterstücke von Felsen, mit Pflanzenthieren der schönsten Sorte wie mit einem Teppich bedeckt, so daß ich im ersten Augenblick ganz betroffen war von dem außerordentlichen Anblick.

Es war damals zehn Uhr Vormittags. Die Sonnenstrahlen fielen in ziemlich schiefem Winkel auf die Oberfläche des Meeres, und da ihr Licht durch Brechung wie durch ein Prisma sich zertheilte, so erschienen Blumen, Felsen, Pflänzchen, Muschelwerk, Polypen am Rande mit den sieben Regenbogenfarben geziert. Es war wundervoll zu schauen, eine wahre Augenweide, diese kaleidoskopartige Mischung von Farbentönen, grüngelb, orange, violett, indigo, hellblau!

Bei diesem Anblick war Conseil, gleich mir, stehen geblieben. Der brave Junge war ohne Zweifel im Classificiren dieser Mollusken und Zoophyten vertieft. Polypen und Echinodermen bedeckten in Menge den Boden. Die mancherlei Korallenarten, die gleich Champignons gestalteten Fongiten, die Anemonen, bildeten einen Blumengrund, bunt verziert mit Porpiten im Schmuck ihres Kragens lasurblauer Fühlfäden, mit Seesternen, womit der Sand besäet war.

Es war ein rechter Jammer für mich, die glänzenden Musterstücke von Mollusken, die zu Tausenden auf dem Boden lagen, mit meinen Füßen zu treten. Aber wir mußten vorwärts schreiten, und wir thaten es, während über unseren Häuptern Schaaren von Physaliden mit ultramarinblauen Fühlfäden, die mit den Wogen trieben, Medusen mit opal- oder zart rosenfarbenen Schirmen uns gegen die Sonnenstrahlen deckten.

Alle diese Wunder sah ich im Raum einer Viertelmeile, indem ich kaum stehen bleiben konnte, da der Kapitän Nemo mich mit einem Wink mahnte, ihm zu folgen. Bald änderte sich die Beschaffenheit des Bodens. Auf die Sandebene folgte eine Lage klebrigen Schlammes, der nur aus kieseligen oder kalkartigen Muscheln bestand. Hierauf durchwanderten wir eine Wiese von Algen. Diese dichten Rasen waren so reich, daß sie es mit den von Menschenhand gewebten Tapeten aufnehmen konnten. Zu gleicher Zeit breitete sich über unseren Köpfen eine grüne Decke von Seepflanzen aus der überreichen Algenfamilie, deren man über zweitausend Arten kennt, an der Oberfläche des Meeres. Diese Algen, ein wahres Wunder der Schöpfung, gehören zu den größten Merkwürdigkeiten der allgemeinen Flora. Es gehören dieser Familie die kleinsten, wie die größten Pflanzen der Erde. Denn wie man einerseits im Raum von fünf Quadratmillimeter vierzigtausend dieser mit den Augen nicht wahrnehmbaren, mikroskopischen Pflänzchen gezählt hat, so hat man Fucus getroffen, die über fünfhundert Meter lang waren.

Seit etwa anderthalb Stunden hatten wir den Nautilus verlassen. Es war bald Mittagszeit, wie ich aus den senkrechten Sonnenstrahlen, die sich nicht mehr brachen, abnahm. Der Farbenzauber schwand allmälig, und die Nüancen von Smaragd und Saphir erloschen an unserem Firmament. Wir gingen im regelmäßigen Schritt, der erstaunlich stark auf dem Boden widerhallte. Das geringste Geräusch pflanzte sich mit einer Raschheit fort, woran das Ohr auf der Erde nicht gewöhnt ist. In der That ist das Wasser für den Ton ein besserer Leiter, als die Luft, und er pflanzt sich darin mit vierfacher Schnelligkeit fort.

In diesem Augenblick senkte sich der Boden in starkem Abfall. Das Licht nahm eine gleichmäßige Färbung an. Wir kamen bis zu einer Tiefe von hundert Meter, und hatten dann einen Druck von zehn Atmosphären zu erleiden. Aber mein Skaphanderkleid war so beschaffen, daß dieser Druck mir in keiner Weise nachtheilig war. Ich empfand nur in den Fingergelenken einige Unbehaglichkeit, und auch diese verschwand bald. Der zweistündige Spaziergang in dem ungewohnten Harnisch hatte mich nicht im Mindesten ermüdet. Das Wasser half dazu, daß die Bewegungen überraschend leicht vor sich gingen.

In der Tiefe von dreihundert Fuß waren die Sonnenstrahlen nur noch schwach wahrzunehmen. Es folgte ein röthliches Dämmerlicht. Doch sahen wir hinreichend, um unsere Richtung zu behalten, und wir brauchten noch nicht den Ruhmkorff’schen Apparat in Thätigkeit zu setzen.

In diesem Augenblick machte der Kapitän Nemo Halt. Er wartete, bis ich wieder bei ihm war, und zeigte mir mit dem Finger einige dunkle Massen, welche nicht weit von dort im Schatten hervortraten.

Das ist der Wald der Insel Crespo, dachte ich, und irrte nicht.

Vierzehntes Capitel

Vierzehntes Capitel

Der schwarze Strom

Der vom Wasser bedeckte Theil der Erdoberfläche wird auf drei Millionen achtmalhundertzweiunddreißigtausendfünfhundertachtundfünfzig Quadrat-Myriameter, d. h. über achtunddreißig Millionen Hektaren angeschlagen. Diese flüssige Masse enthält zwei Milliarden zweihundertundfünfzig Millionen Kubikmeilen, und würde eine Kugel mit einem Durchmesser von sechzig Lieues bilden, und einem Tonnengewicht von drei Quintillionen. Um diese Zahl zu begreifen, muß man sich sagen, daß die Quintillion sich zur Milliarde verhält, wie die Milliarde zur Einheit, d. h. daß eben so viel Milliarden in einer Quintillion enthalten sind, als Einheiten in einer Milliarde. Diese Wassermasse nun ist ungefähr eben so viel, als in allen Flüssen der Erde während vierzigtausend Jahren fließt.

Zur Zeit der geologischen Epochen folgte auf die Periode des Feuers die des Wassers. Der Ocean bedeckte Anfangs alles. Darauf traten in der Uebergangsepoche die Bergspitzen hervor, die Inseln tauchten auf, verschwanden wieder bei theilweisen Überschwemmungen, zeigten sich von Neuem, setzten sich an einander an, bildeten Continente, und endlich gewannen die Länder die feste Gestalt, wie wir sie jetzt geographisch kennen. Das Feste hatte dem Flüssigen siebenunddreißig Millionen, sechshundertsiebenundfünfzig Quadratmeilen abgewonnen im Betrag von zwölftausendneunhundertundsechzehn Millionen Hektaren.

Gemäß der Gestaltung der Continente wurden nun die Meere in die fünf großen Theile getheilt: das nördliche und südliche Polarmeer, der indische, atlantische und stille Ocean.

Der letztere, der sich von Norden nach Süden, zwischen den beiden Polarzirkeln, und von Osten nach Westen, zwischen Asien und Amerika hundertfünfundvierzig Längengrade weit erstreckt, ist von allen Meeren das ruhigste; seine Strömungen sind weit und langsam, Ebbe und Fluth mäßig, Regengüsse reichlich. Diesen Ocean sollte ich unter den seltsamsten Bedingungen zuerst durchfahren.

»Herr Professor, sprach der Kapitän Nemo zu mir, wenn es Ihnen beliebt, wollen wir den Ort, wo wir uns befinden, und den Punkt, von welchem wir abfahren, genau aufnehmen und feststellen. Es ist drei viertel auf zwölf Uhr Mittags. Ich will nun zur Oberfläche des Wassers aufsteigen.«

Der Kapitän drückte dreimal auf die elektrische Uhr. Die Pumpen begannen das Wasser aus den Behältern zu treiben; der Zeiger des Manometer gab durch den verschiedenen Druck die aufsteigende Bewegung des Nautilus an, dann stand er still.

»Wir sind oben angelangt,« sagte der Kapitän.

Ich begab mich zu der in der Mitte befindlichen Leiter, welche zur Plateform führte, kletterte die metallenen Sprossen hinauf und gelangte oben auf dem Nautilus an.

Die Plattform ragte nur um achtzig Centimeter hervor. Vorder- und Hintertheil des Nautilus zeigten die spindelförmige Gestalt, welche ihn einer langen Cigarre vergleichbar machte. Ich bemerkte, wie seine Eisenplatten mit dachziegelförmigem Aussehen dem Schuppenpanzer glichen, womit der Körper der großen Land-Reptilien bedeckt ist. Ich erklärte mir daher als sehr natürlich, daß trotz der besten Fernröhre dies Fahrzeug stets für ein Seethier gehalten wurde.

Um die Mitte der Plattform bildete das kleine Boot, welches zur Hälfte in den Schiffsrumpf eingelassen war, eine leichte Erhöhung. Vorne und hinten standen zwei Gehäuse von mäßiger Höhe vor, mit schiefen Wänden, die zum Theil mit dicken Linsengläsern geschlossen waren: das eine war für den Steuerer bestimmt, der den Nautilus leitete, das andere für die glänzende elektrische Schiffslaterne, welche die Fahrt mit Licht umgab.

Das Meer war prachtvoll, der Himmel rein. Das lange Fahrzeug spürte kaum die weiten Wogen des Oceans. Ein leichter Ostwind runzelte die Oberfläche der Gewässer. Der nebelfreie Horizont begünstigte die Beobachtungen trefflich.

Wir hatten nichts in Sicht. Keine Klippe, kein Eiland. Vom Abraham Lincoln keine Spur. Eine unermeßliche Oede.

Der Kapitän Nemo nahm mit Hilfe seines Sextanten den Höhestand der Sonne auf, woraus sich ihm die Breite ergab. Er wartete einige Minuten, bis das Gestirn am Rand des Horizonts in gleiche Ebene kam. Während er beobachtete, zitterte keine seiner Muskeln, das Instrument wäre in einer marmornen Hand nicht so unbeweglich gewesen.

»Zwölf Uhr Mittags, sagte er. Herr Professor, wann Sie belieben? …«

Ich warf einen letzten Blick auf dieses Meer, das in der Nähe der Japanischen Küste etwas gelblich war, und begab mich wieder hinab in den großen Salon.

Hier machte der Kapitän sein Besteck auf und berechnete mit Hilfe des Chronometers die Länge, welche er durch die vorausgehenden Beobachtungen der Stundenwinkel controlirte. Hierauf sagte er zu mir:

»Herr Arronax, wir befinden uns unter’m hundertsiebenunddreißigsten Grad und fünfzehn Minuten westlicher Länge …

– Von welchem Meridian aus, fragte ich lebhaft, in Hoffnung seine Antwort werde vielleicht seine Nationalität offenbaren.

– Mein Herr, erwiderte er, ich habe verschiedene Chronometer, die nach den Meridianen von Paris, Greenwich und Washington gestellt sind. Aber Ihnen zu Ehren will ich mich des Parisers bedienen.«

Aus dieser Antwort konnte ich nichts abnehmen. Ich machte eine Verbeugung, und der Commandant fuhr fort:

»Siebenunddreißig Grad und fünfzehn Minuten westlicher Länge vom Pariser Meridian ab, und dreißig Grad, sieben Minuten nördlicher Breite, d. h. etwa dreihundert Meilen vom Gestade Japans. Heute haben wir den 8. November, da zu Mittag unsere unterseeische Forschungsreise beginnt.

– Gott sei mit uns! erwiderte ich.

– Und jetzt, Herr Professor, fuhr der Kapitän fort, lasse ich Sie bei Ihren Studien. Ich habe die Richtung Ost-Nord-Ost bei fünfzig Meter Tiefe angegeben. Hier sind Karten, womit Sie dieselbe begleiten können. Der Salon steht Ihnen zur Verfügung und ich bitte um Erlaubniß mich zurück zu ziehen.«

Ich blieb nun allein in meine Gedanken vertieft. Sie waren alle beim Commandanten des Nautilus. Sollte ich jemals erfahren, welcher Nation der seltsame Mann angehört, welcher keiner anzugehören sich rühmt? Wodurch ist sein Haß gegen die menschliche Gesellschaft, ein Haß, der vielleicht auf schreckliche Rache ausging, hervorgerufen worden? War es einer der verkannten Gelehrten, ein Genie, dem sein Leben verkümmert, ein moderner Galilei, oder einer der Männer der Wissenschaft, deren Laufbahn durch politische Revolutionen zertrümmert wurde? Ich konnte noch nichts darüber sagen. Mich, den das Schicksal an seinen Bord verschlug, dessen Leben er in der Hand hat, nahm er kalt, aber gastlich auf. Nur ergriff er nie die Hand, welche ich ihm reichte. Mir reichte er nie die seine.

Eine volle Stunde blieb ich in diese Gedanken versunken, indem ich das mir so interessante Geheimniß zu durchdringen suchte. Darauf hefteten sich meine Blicke auf die große über den Tisch gebreitete Karte, und ich bezeichnete mit dem Finger den Punkt, wo die beobachtete Länge und Breite sich kreuzten.

Das Meer hat, wie die Festlande, seine Flüsse. Es sind besondere Strömungen, die an ihrer Temperatur und Farbe kenntlich sind; der merkwürdigste ist unter dem Namen Golfstrom bekannt. Die Wissenschaft hat auf der Erdkugel die Richtung der fünf Hauptströme bestimmt: einer ist im Norden, ein zweiter im Süden des Atlantischen, ein dritter im Norden, ein vierter im Süden des Stillen Oceans, ein fünfter im Süden des Indischen. Es ist sogar wahrscheinlich, daß ehemals noch ein sechster Strom im Norden des Indischen Oceans existirte, zur Zeit als der Caspische und der Aral-See, die nun zu den großen Seen Asiens gehören, nur eine einzige und dieselbe Wasserfläche bildeten.

An dem auf der Karte bezeichneten Punkt nun fließt einer jener Ströme, der Schwarze Fluß, von den Japanesen Kuro-Scivo genannt, welcher vom Bengalischen Golf her, wo die senkrechten Strahlen der tropischen Sonne ihn wärmen, durch die Enge von Malacca hindurch, längs der Küste Asiens fortläuft, dann im Norden des Stillen Oceans in runder Krümmung bis zur Aleutengruppe hinzieht, Stämme von Kampherbäumen und andere indische Producte mit sich fortwälzt und mit dem puren Indigo seiner warmen Gewässer von den Fluthen des Oceans absticht. Mit dieser Strömung war der Nautilus im Begriff zu fahren. Ich verfolgte ihn mit dem Blick, sah, wie er sich in der Unermeßlichkeit des Stillen Oceans verlor, fühlte mich mit ihm fortgetrieben, als Ned-Land und Conseil an der Thüre des Salons erschienen.

Meine wackeren Gefährten standen wie versteinert beim Anblick der vor ihren Augen aufgehäuften Wunder.

»Wo sind wir? Wo sind wir? rief der Canadier. Im Museum zu Quebec?

– Wenn’s meinem Herrn beliebt, versetzte Conseil, wäre es eher im Hotel Sommerard!

– Meine Freunde, erwiderte ich, indem ich ihnen winkte einzutreten, Sie sind weder in Canada, noch in Frankreich, sondern an Bord des Nautilus, fünfzig Meter unter dem Meeresspiegel!

– Ich muß meinem Herrn glauben, weil er’s versichert, erwiderte Conseil; aber offen gesagt, dieser Salon ist gemacht, selbst einen Flamländer, wie ich bin, in Staunen zu setzen.

– Staune nur, Freund, und schaue, denn für einen so starken Classificirer, wie Du, giebt’s hier zu thun.«

Ich brauchte Conseil nicht aufzumuntern. Der brave Junge, über die Glaskästen gebeugt, murmelte schon Worte aus der Naturforschersprache: Classe der Gasteropoden, Familie der Buccinoiden etc.

Während dessen fragte mich Ned-Land, der wenig Sinn für Conchylien hatte, über meine Unterredung mit dem Kapitän Nemo: Ob ich entdeckt habe, wer er sei, woher er komme, wohin er gehe, in welche Tiefen er uns hinabziehe? kurz, tausend Fragen, welche ich zu beantworten keine Zeit hatte.

Ich theilte ihm mit, was ich wußte, oder vielmehr, was ich nicht wußte, und fragte ihn, was er seinerseits gehört oder gesehen habe.

»Nichts gesehen, nichts gehört! erwiderte der Canadier. Ich habe nicht einmal die Mannschaft des Bootes gesehen. Sollte sie vielleicht auch elektrisch sein?

– Elektrisch!

– Wahrhaftig! man sollte versucht sein, es zu glauben. Aber Sie, Herr Arronax, fragte Ned-Land, der noch immer seine Idee hatte. Sie können mir nicht sagen, wie viel Mann an Bord sind? zehn? zwanzig? fünfzig? hundert?

– Ich kann darauf keine Antwort geben, Meister Land. Uebrigens, glauben Sie mir, geben Sie für jetzt die Idee auf, sich des Nautilus zu bemächtigen, oder zu fliehen. Dieses Fahrzeug ist ein Meisterwerk der modernen Industrie, und es wäre mir leid, hätte ich es nicht gesehen! Wie mancher würde sich gern unsere Lage gefallen lassen, sei es auch nur, um durch diese Wunder zu spazieren. Also halten Sie sich ruhig, und trachten wir zu sehen, was um uns herum vorgeht.

– Sehen! rief der Harpunier, man sieht ja nichts, man wird auch von diesem eisernen Gefängniß aus nichts sehen! Wir fahren, wir schiffen blind hinaus …«

Diese letzten Worte sprach Ned-Land, als es plötzlich stockfinster ward. Die Helle am Plafond erlosch, und zwar so rasch, daß meine Augen darüber Schmerz empfanden, gerade so, wie bei plötzlichem Uebergang aus dem Finstern zum blendenden Licht.

Wir blieben stille, rührten uns nicht, da wir nicht wußten, welche angenehme oder unangenehme Ueberraschung uns bevorstand. Da hörte man ein Hin- und Hergleiten, als wenn die Füllungen der Seitenwände sich verschöben.

»Jetzt ist alles aus! sagte Ned-Land.

– Ordnung der Hydromedusen!« murmelte Conseil.

Mit einemmale ward es auf beiden Seiten des Salons hell durch zwei längliche Oeffnungen. Das Gewässer zeigte sich durch elektrische Einwirkung lebhaft erleuchtet. Wir waren nur durch zwei Glasplatten vom Meere geschieden. Anfangs schauderte mir beim Gedanken an die Zerbrechlichkeit dieser Wand; doch war sie durch starke Kupfereinfassung befestigt, so daß sie fast unendlichen Widerstand zu leisten fähig war.

Das Meer war im Umfang einer Meile um den Nautilus herum klar zu durchschauen. Welch ein Anblick! Mit der Feder nicht zu beschreiben! Wer vermöchte die Lichteffecte durch diese erleuchteten Streifen, und der sanften allmäligen Abstufungen bis zu den unteren und oberen Schichten zu schildern!

Die Durchsichtigkeit des Meeres ist bekannt; man weiß, daß es weit klarer ist, als das Felsen-Quellwasser. Die mineralischen und organischen Bestandtheile, welche es in aufgelöstem Zustande enthält, erhöhen noch seine Durchsichtigkeit. In manchen Theilen des Oceans, bei den Antillen, kann man hundertfünfundvierzig Meter tief den sandigen Meeresgrund mit erstaunlicher Klarheit erkennen, und die durchdringende Kraft der Sonnenstrahlen scheint erst in einer Tiefe von dreihundert Meter aufzuhören. Aber in der flüssigen Umgebung des Nautilus wurde der elektrische Glanz im Schooße der Wogen selbst hervorgebracht: es war nicht erleuchtetes Wasser, sondern flüssiges Licht.

Nimmt man Ehrenberg’s Hypothese an, der an eine phosphorescente Erleuchtung der Meerestiefen glaubt, so hat die Natur gewiß den Bewohnern des Meeres die wundervollste Anschauung vorbehalten, ich konnte hier durch das tausendfache Lichtspiel ein Urtheil darüber gewinnen. Auf jeder Seite blickte ich durch’s offene Fenster in die unerforschten Abgründe. Das Dunkel im Salon hob die äußere Helle, und wir schauten, als sei dieses reine Spiegelglas das Fenster eines unermeßlichen Aquariums.

Der Nautilus schien nicht seine Stelle zu ändern, weil es an Merkpunkten fehlte. Mitunter jedoch ließen die durch seinen Schnabel vor unseren Augen zertheilten Wasserstreifen eine äußerste Schnelligkeit erkennen.

In Staunen versunken lagen wir vor diesen Glasscheiben, keiner unterbrach das bewundernde Schweigen. Dann sprach Conseil:

»Sie wollen schauen, Freund Ned, nun denn, schauen Sie!

– Merkwürdig! merkwürdig! rief der Canadier aus, der unwiderstehlich angezogen seinen Zorn und seine Entweichungsprojecte vergaß – man würde weit her kommen, so Wundervolles zu sehen!

– Ah! rief ich aus, jetzt begreife ich das Leben dieses Mannes! Er hat sich eine Welt für sich besonders geschaffen, die ihm erstaunliche Wunder vorbehält!

– Aber die Fische? bemerkte der Canadier. Ich sehe keine Fische!

– Was liegt Ihnen denn daran, Freund Ned, erwiderte Conseil, Sie kennen ja dieselben nicht.

– Ich, gewiß! Ein Fischer von Profession!« rief Ned-Land.

Und es erhob sich ein Streit zwischen den beiden Freunden, denn sie kannten beide die Fische, aber jeder in sehr verschiedener Weise.

Es ist Jedermann bekannt, daß die Fische die vierte und letzte Classe der Wirbelthiere ausmachen. Man hat sie richtig definirt: »Wirbelthiere mit kaltem Blut und doppeltem Umlauf, welche durch Kiemen athmen und im Wasser zu leben bestimmt sind.« Sie bestehen aus zwei Abtheilungen: Fische mit Knochen, d. h. deren Rückgrat aus knochenartigen Wirbeln gebildet ist; und Knorpelfische mit knorpeligen Rückgratswirbeln.

Conseil, der weit mehr Kenntnisse über den Gegenstand hatte, wollte nun aus Freundschaft nicht dulden, daß Ned darin so wenig Kenntnisse hatte. Er sprach:

»Freund Ned, Sie sind ein sehr geschickter Fischer, verstehen diese Thiere zu tödten. Sie haben sie in großer Menge gefangen, aber wie man sie eintheilt, wissen Sie wohl nicht.

– O ja! erwiderte der Harpunier. Sie werden eingeteilt in Fische, die man ißt, und solche, die man nicht ißt.

– Solch‘ eine Eintheilung macht ein Fresser, versetzte Conseil. Aber sagen Sie mir, ob Sie den Unterschied von Knochen- und Knorpel-Fischen wissen?

– Vielleicht wohl, Conseil.

– Und die Unterabtheilung dieser großen Classe?

– Hab‘ keinen Begriff davon, erwiderte der Canadier.

– Nun so hören Sie, Freund Ned, und behalten Sie. Die Knochenfische zerfallen in sechs Ordnungen:

Die erste, mit vollständigen beweglichen Oberkiefern, und Kiemen in Gestalt eines Kammes, begreift fünfzehn Familien, welche drei Viertel der bekannten Fische ausmachen, darunter der gemeine Barsch.

– Schmeckt ziemlich gut, erwiderte Ned-Land.

– Die der zweiten Ordnung, Afterflosser genannt, haben ihre Bauchflossen am Unterleib und hinter den Brustflossen, nicht an die Schulterknochen geheftet. Sie bildet fünf Familien, wozu die meisten Süßwasserfische gehören, darunter der Karpfen, der Hecht.

– Pfui! sagte der Canadier verächtlich, Süßwasserfische!

Drittens, fuhr Conseil fort, deren Bauchflossen unter den Brustflossen stehen, und unmittelbar an die Schulterknochen geheftet sind. Sie machen vier Familien aus, wozu die Butten, Plattfische, Meerzungen gehören.

– Vortrefflich! Vortrefflich! rief der Harpunier aus, der die Fische durchaus nur nach der Eßbarkeit schätzte.

Viertens, fuhr Conseil fort, ohne sich irre machen zu lassen, die Apoden, mit langem Leib, ohne Bauchflossen, und einer dichten, oft klebrigen Haut. Diese Ordnung bildet nur eine Familie, zu welcher der Aal gehört.

– Mittelmäßig! versetzte Ned-Land.

– Die der fünften haben vollständige und freie Kiefern, ihre Kiemen aber bestehen aus kleinen Trotteln, welche paarweise längs den Kiemenbögen stehen. Diese Ordnung ist nur eine Familie, wozu das Seepferd gehört.

– Nicht gut! nicht gut! versetzte der Harpunier.

– Bei einer sechsten Ordnung endlich ist der Kieferknochen an der Seite festgeheftet und die Gaumenwölbung durch eine Naht mit dem Schädel eingezahnt, so daß sie unbeweglich wird. Diese Ordnung hat keine eigentlichen Bauchflossen und besteht aus zwei Familien, wozu der Mondfisch gehört.

– Schande für eine Pfanne! rief der Canadier.

– Haben Sie begriffen, Freund Ned? fragte der gelehrte Conseil.

– Nicht das Mindeste, Freund Conseil, war die Antwort. Aber fahren Sie nur immer fort, Sie sind sehr interessant.

– Die Knorpelfische, versetzte Conseil mit unvergleichlicher Ausdauer, enthalten nur drei Ordnungen.

– Um so besser, sagte Ned.

– Bei den ersten sind die Kiefern in einem beweglichen Ring verwachsen, und die Kiemen öffnen sich in zahlreichen Löchern; zu dieser gehört nur die Familie der Lampretten.

– Die sind zu schätzen, erwiderte Ned-Land.

– Bei der zweiten ist der Unterkiefer beweglich. Die zwei Familien dieser Ordnung sind durch Rochen und Haifisch repräsentirt.

– Wie! rief Ned, Rochen und Hai in derselben Ordnung! Da ist’s räthlich, sie nicht in denselben Behälter zu thun!

– Die dritten haben wie gewöhnlich Kiemen, welche durch eine einzige mit einem Deckel versehene Spalte sich öffnen. Ein Muster dieser Ordnung ist der Stör.

– Ah, Freund Conseil, Sie haben das Beste bis zuletzt aufgehoben.

– Ja, wackerer Ned, erwiderte Conseil. Merken Sie aber, hiermit weiß man nichts, denn die Familien theilen sich in Gattungen, Arten, Varietäten.

– Aber, Freund Conseil, sagte der Harpunier, da sehen wir ja die Arten und Varietäten vor dem Fenster vorüberziehen!

– Ja! rief Conseil. Man sollte meinen, man wäre in einem Aquarium!

– Nein, erwiderte ich, denn das Aquarium ist ein Gefängniß, und diese Fische da sind frei, wie die Vögel in der Luft.

– Ei nun, Freund Conseil, nennen Sie sie doch bei Namen! sagte Ned-Land.

– Ich, erwiderte Conseil, verstehe mich nicht darauf! Das ist eine Sache meines Herrn!«

Und wirklich, trotz allem Classificiren war er kein Naturkundiger, und wußte wohl nicht einen Thunfisch von einem Bonit zu unterscheiden. Gerade im Gegentheil verstand der Canadier diese Fische alle zu benennen.

Ned und Conseil zusammen hätten einen ausgezeichneten Naturkundigen abgegeben.

»Ein chinesischer Hornfisch!« rief Ned-Land, und irrte nicht.

Ein Trupp Hornfische, mit plattem Körper, und einem Stachel auf dem Rücken, trieben sich munter um den Nautilus herum und bewegten die vier Reihen Stacheln, welche auf beiden Seiten ihres Schwanzes wie Borsten starren. Ihre Haut ist wunderschön, oben grau, unten weiß mit goldenen Flecken, die in den düsteren Wellen glänzten. Zwischen ihnen schwammen Rochen, und unter denselben bemerkte ich sehr erfreut den chinesischen Rochen, oben gelblich, unten am Bauch zart rosa, und hinter dem Auge mit drei Stacheln.

Zwei Stunden lang gab ein ganzes Heer von Wasserthieren dem Nautilus das Geleite. Mitten in ihrem Spiel, ihren Sprüngen, wie sie um die Wette an Schönheit, Glanz und Schnelligkeit sich hervorthaten, zeigten sie sich unseren Blicken in reizender Mannigfaltigkeit. Unsere Bewunderung hielt sich unausgesetzt auf ihrem Höhepunkt. Ned wußte sie zu benennen, Conseil zu classificiren, ich entzückte mich an ihren schönen Formen und lustigen Bewegungen. Diese Thiere lebend, frei in ihrem natürlichen Elemente zu schauen, war ein Genuß, der mir noch nie geworden war. Ich will alle die mannigfaltigen Gattungen nicht aufzählen, die, angelockt wohl vom elektrischen Licht, zahlreicher als die Vögel der Luft um uns her schwammen.

Plötzlich ward’s wieder hell im Salon. Die eisernen Tafeln schoben sich wieder vor. Das bezaubernde Schauspiel hörte auf. Aber ich war noch lange wie im Traum, bis meine Blicke auf die an den Wänden hängenden Instrumente fielen. Die Magnetnadel wies stets nach Nord-Nord-Ost, das Manometer zeigte einen Druck von fünf Atmosphären, was eine Tiefe von fünfzig Meter bedeutete, und das elektrische Log gab eine Schnelligkeit von fünfzehn Meilen die Stunde an.

Ich erwartete den Kapitän Nemo, aber er erschien nicht. Es war fünf Uhr. Ned-Land und Conseil begaben sich wieder in ihre Cabine, ich in mein Zimmer, wo ich mein Mahl aufgetragen fand. Es bestand aus einer Suppe von Caretschildkröte, Meerbarbe von weißem Fleisch, deren Leber besonders in köstlicher Zubereitung, und Stückchen Kaiser-Holocante, das mir schmackhafter als Salmen vorkam.

Den Abend brachte ich mit Lesen, Schreiben und in Gedanken hin. Als der Schlaf mir kam, streckte ich mich auf mein Seegraslager, und schlummerte tief, während der Nautilus quer durch die reißende Strömung des Schwarzen Flusses fuhr.

Siebenzehntes Capitel

Siebenzehntes Capitel

Ein unterseeischer Wald

Endlich waren wir am Saum dieser Waldung angekommen, welche ohne Zweifel zu den schönsten der ungeheuern Besitzung des Kapitäns Nemo gehörte. Er sah sie als sein eigen an und übte über dieselbe die nämlichen Rechte, welche die ersten Menschen in den ersten Tagen der Welt hatten. Uebrigens, wer hätte ihm den Besitz dieses unterseeischen Eigenthums streitig gemacht?

Dieser Wald bestand aus großen baumartigen Pflanzen, und sobald wir unter seine umfassenden Wölbungen kamen, fiel mir sogleich eine eigenthümliche Beschaffenheit ihrer Gezweigs auf, wie ich sie bisher noch nicht beobachtet hatte.

Keines von den Kräutern des Bodens, keiner von den Zweigen der Gebüsche rankte, bog sich oder wuchs in horizontaler Richtung. Sie stiegen alle aufwärts dem Meeresspiegel zu. Die dünnsten, faden- und bandartigen Pflanzen hielten sich gerade aufrecht, als seien die Stengel von Eisen. Schlingpflanzen und Meergräser nahmen beim Aufwachsen eine streng senkrechte Richtung, wie sie die Dichtigkeit des Elementes vorschrieb. Sonst unbeweglich nahmen sie, wenn ich sie mit der Hand auseinanderschob, sogleich ihre frühere Lage wieder ein.

Ich gewöhnte mich bald an diese sonderbare Neigung zum Senkrechten, wie an das verhältnißmäßige Dunkel um uns her. Der Boden des Waldes war mit spitzen Blöcken bedeckt, welchen man nicht leicht ausweichen konnte. Die unterseeische Flora schien mir sehr vollständig zu sein, reicher sogar als unter den arktischen und tropischen Zonen, wo die Producte aus dem Pflanzenreich minder zahlreich sind. Aber einige Minuten lang verwechselte ich unwillkürlich das Thierreich mit dem Pflanzenreich, Pflanzenthier mit Wasserpflanzen. Fauna und Flora stehen in der unterseeischen Welt dicht neben einander!

Ich machte die Beobachtung, daß alle diese Producte des Pflanzenreichs am Boden nur in einer dünnen Teigschichte hafteten. Ohne Wurzel, ohne Zusammenhang mit dem festen Körper, Sand, Muschel- oder Kieselgeröll, welches die Unterlage bildet, begehren sie von diesem nur einen Stützpunkt, nicht die Lebensquelle. Diese Pflanzen gehen aus sich selbst hervor, und das Princip ihres Daseins liegt im Wasser, das ihnen Kraft und Nahrung gewährt. Die meisten trieben, anstatt, Blätter, nur bandartige Streifen von grillenhaften Formen, umgrenzt von einer schmalen Farbenborte, die nur Rosa, Carmin, Grün, Olivenfarbig, Falb und Braun enthielt. Eine Menge dieser Seepflanzen sind ganz ohne Blüthen. »Merkwürdige Regelwidrigkeit, seltsames Element, sagt ein geistreicher Naturforscher, wo das Thierreich Blüthen treibt, das Pflanzenreich nicht!«

Unter diesen verschiedenen Gesträuchen, die so groß sind, wie die Bäume der gemäßigten Zone, und unter ihrem feuchten Schatten befanden sich massenweis wahre Gebüsche lebendiger Pflanzen, Hecken von Pflanzenthieren, und, was die Täuschung vollends beförderte – die Mückenfische flogen von Zweig zu Zweig, gleich einem Schwarm Colibris, während andere gleich einem Trupp Becassinen unter unseren Schritten aufzufliegen schienen.

Gegen ein Uhr gab der Kapitän Nemo das Zeichen zum Halt. Ich meines Theils war wohl zufrieden damit, und wir streckten uns nieder. Dieses Ausruhen schien mir köstlich, nur mangelte uns die Unterhaltung, denn das Anreden war so unmöglich als das Erwidern. Ich näherte nur meinen dicken Kupferkopf dem Conseil’s. Ich sah bei diesem wackeren Jungen die Augen glänzen vor Befriedigung, und um es kund zu geben, machte er in seiner Schale höchst komische Bewegungen.

Nach einem vierstündigen Spaziergang war ich sehr erstaunt, daß ich nicht heftigen Hunger empfand. Woher diese Stimmung des Magens kam, konnte ich nicht sagen, dagegen spürte ich eine unüberwindliche Neigung zum Schlafen, wie das bei allen Tauchern der Fall ist. Daher schlossen sich auch alsbald meine Augen hinter ihrem dichten Glas, und ich sank in eine unwiderstehliche Schlaftrunkenheit, welche bisher nur durch die Bewegung des Gehens zu bekämpfen möglich war. Der Kapitän Nemo nebst seinem kräftigen Genossen gaben uns hingestreckt im klaren Wasser das Beispiel zum Schlafen.

Wie lange ich in diesem Schlummer lag, konnte ich nicht schätzen; aber als ich aufwachte, schien mir die Sonne schon sich zum Horizont zu neigen. Der Kapitän Nemo war bereits aufgestanden, und ich fing an die Glieder zu strecken, als eine unerwartete Erscheinung mich rasch auf die Beine brachte.

Einige Schritte weit war eine riesenhafte, einen Meter hohe Meeresspinne, die bereit mich zu überfallen mit schielenden Augen mich ansah. Obwohl mein Skaphanderkleid dick genug war zum Schutz gegen die Bisse dieses Thieres, so konnte ich mich doch des Grauens nicht erwehren. In dem Augenblick erwachten Conseil und der Matrose des Nautilus. Der Kapitän Nemo zeigte diesen das häßliche Thier, er streckte es mit einem Kolbenschlag augenblicklich nieder, und ich sah die fürchterlichen Füße des Ungeheuers in gräßlichen Zuckungen sich winden.

Dieses Begegnen erregte bei mir den Gedanken, daß andere, furchtbarere Thiere in diesen dunkeln Gründen hausen könnten, gegen deren Angriff mein Skaphander mich nicht schützen würde. Bisher hatte ich nicht daran gedacht, und ich beschloß auf meiner Hut zu sein. Ich vermuthete übrigens, daß hier unser Spaziergang sich endigen würde; aber ich täuschte mich, der Kapitän Nemo setzte seinen kühnen Ausflug fort.

Der Boden wurde immer niedriger, und sein stärkerer Abhang führte uns in größere Tiefen hinab. Es mußte etwa drei Uhr sein, als wir in ein enges Thal zwischen hohen steilen Wänden kamen, in einer Tiefe von ungefähr hundertundfünfzig Meter. Die Vorzüglichkeit unserer Apparats machte es möglich, daß wir so neunzig Meter über die Linie hinaus gelangten, welche bisher die Natur selbst den unterseeischen Unternehmungen als Grenze gesteckt zu haben schien.

Ich sagte hundertundfünfzig Meter, obschon ich kein Instrument hatte, diese Distanz zu messen. Aber ich wußte, daß selbst in den Meeren vom klarsten Wasser die Sonnenstrahlen nicht tiefer dringen konnten. Nun wurde es aber völlig dunkel; man konnte nicht mehr auf zehn Schritte einen Gegenstand erkennen. Indem ich tastend vorwärts schritt, sah ich auf einmal ein weißes lebhaftes Licht erglänzen. Der Kapitän Nemo hatte seinen elektrischen Apparat in Thätigkeit gesetzt. Sein Genosse machte es ihm nach, und ich folgte nebst Conseil ihrem Beispiel. Durch Drehen einer Schraube, stellte ich die Verbindung der Inductionsröhre mit der gläsernen Serpentine her, und das Meer ward durch unsere vier Laternen bis auf fünfundzwanzig Meter weit im Umkreis erleuchtet.

Der Kapitän Nemo drang immer weiter in die Tiefen des Waldes, dessen Gesträuche allmälig seltener wurden. Ich bemerkte, daß das vegetale Leben weit schneller abnahm, als das animale. Die Meerpflanzen verließen bereits den trocken gewordenen Boden, während eine erstaunliche Menge von Thieren, Zoophyten, Wirbelthieren, Mollusken und Fischen daselbst wimmelten.

Während wir vorwärts schritten, fiel mir ein, daß das Licht unserer Ruhmkorffapparate nothwendig manche Bewohner dieser dunkeln Schichten herbei locken würde. Sie kamen uns zwar nahe, hielten sich aber doch in einer Entfernung, welche für Jäger nicht angenehm war. Manchmal bemerkte ich, daß der Kapitän Nemo stille stand und sein Gewehr anlegte; dann nachdem er eine Weile beobachtet, setzte er seinen Weg fort.

Endlich, etwa gegen vier Uhr, fand dieser merkwürdige Ausflug sein Ziel. Eine Wand prachtvoller Felsen von imponirender Masse ragte vor uns empor, riesenhafte Blöcke über einander gethürmt, ein ungeheurer steiler Granitabhang mit dunkeln Grotten, der aber keinen Aufgang, auf dem man irgend fortkommen konnte, darbot.

Der Kapitän Nemo machte plötzlich halt. Mit einem Wink hemmte er unsere Schritte, und so sehr ich gewünscht hätte, über diese Gebirgswand hinaus zu kommen, mußte ich mich darein ergeben. Die Besitzungen des Kapitäns Nemo hatten hier ein Ende. Darüber hinaus wollte er nicht.

Es begann also der Rückweg. Der Kapitän Nemo hatte sich wieder an die Spitze seiner kleinen Schaar gestellt und schritt sicher, ohne sich zu besinnen, voran. Ich glaubte wahrzunehmen, daß wir nicht den nämlichen Weg einschlugen, um wieder zum Nautilus zu kommen. Dieser neue, sehr steile und folglich mühevolle Weg brachte uns rasch in die Nähe der Meeresoberfläche. Doch geschah diese Rückkehr in die oberen Schichten nicht so rasch, daß der Druck von Oben zu stark gewesen wäre, was in unserm Organismus bedenkliche Störungen hätte veranlassen, und innere Verletzungen verursachen können, wie sie den Tauchern so nachtheilig sind. Sehr bald kam wieder das Sonnenlicht zum Vorschein und nahm zu, und da die Sonne bereits niedrig stand, so wurden durch die Brechung der Strahlen die Gegenstände abermals mit einem bunten Rand umgeben.

Bei zehn Meter Tiefe wandelten wir inmitten eines Schwarms kleiner Fische aller Art, die zahlreicher waren, als die Vögel in der Luft, auch weit beweglicher; aber ein Wildpret, das eines Schusses würdig gewesen wäre, war uns noch nicht aufgestoßen.

In dem Augenblick sah ich, wie der Kapitän Nemo lebhaft die Büchse anlegte und auf einen beweglichen Gegenstand im Gebüsch zielte. Der Schuß ging los, ich hörte ein schwaches Pfeifen, und ein Thier fiel in einer Entfernung von einigen Schritten nieder.

Es war ein prächtiger Seeotter, das einzige vierfüßige, nur im Meer lebende Thier. Dieses war ein und einen halben Meter lang. Sein Fell, oben braun und unten silberfarben, bildet einen der geschätztesten und gesuchtesten Artikel auf dem russischen und chinesischen Pelzmarkt, der mindestens zweitausend Francs gilt. Ich bewunderte das merkwürdige Säugethier mit rundem Kopf und kurzen Ohren, runden Augen, weißen Schnauzborsten, wie die Katzen haben, handförmigen Füßen mit Krallen und buschigem Schwanz. Dieser kostbare Fleischfresser, von den Fischern aufgetrieben und verjagt, wird äußerst selten, hat sich besonders in die nördlichen Gegenden des Stillen Oceans geflüchtet, wo die Gattung wahrscheinlich bald aussterben wird.

Der Genosse des Kapitäns Nemo nahm das Thier auf seine Schulter, und wir setzten unseren Weg fort.

Eine Stunde lang hatten wir eine Sandebene vor uns. Sie erhob sich oft bis auf zwei Meter unter dem Wasserspiegel. Dann sah ich unser Bild in klarem Wiederschein umgekehrt gezeichnet, und über uns zeigte sich eine ganz gleiche Truppe, die unsere Bewegungen abspiegelte, so wie wir gingen, nur Kopf unten, Füße in der Luft.

Ich hatte damals Gelegenheit, einen der schönsten Schüsse zu beobachten, die je einem Jäger das Herz erfreuten. Ein großer Vogel mit weit ausgespannten Flügeln, der sehr deutlich zu erkennen war, streifte mit schwebenden Fittigen nahe über dem Wasser. Des Kapitäns Genosse legte auf ihn an und schoß ihn, als er einige Meter über den Wogen sich befand. Getroffen sank das Thier herab, daß der gewandte Jäger es greifen konnte und mit sich nahm. Es war ein Albatros der schönsten Sorte.

Dieser Zwischenfall unterbrach nicht unseren Weg. Zwei Stunden lang gingen wir bald auf Sandflächen, bald auf Wiesen von Meergras, worauf schwer fortzukommen war. Offen gestanden, ich war erschöpft, als ich einen schwachen Lichtschein gewahrte, der eine halbe Meile weit durch die dunkeln Gewässer drang. Es war die Leuchte des Nautilus. Vor Ablauf von zwanzig Minuten mußten wir an Bord sein, wo ich wieder aufathmen konnte, denn mein Behälter schien mir eine Luft mit wenig Sauerstoff zu gewähren.

Aber es begegnete uns noch ein anderes Ereignis, das uns ein wenig aufhielt.

Ich war etwa zwanzig Schritt zurück geblieben, als ich den Kapitän Nemo hastig auf mich zukommen sah. Mit kräftiger Hand bog er mich nieder zur Erde, während sein Genosse es ebenso mit Conseil machte. Anfangs wußte ich nicht recht, was ich von dem barschen Anfall denken sollte, aber ich beruhigte mich, als ich sah, daß der Kapitän sich neben mich legte und sich unbeweglich hielt.

Ich lag also der Länge nach auf dem Boden und oben geschützt von einem Büschel Seegras, als ich den Kopf aufrichtete und bemerkte, wie ungeheure Massen mit lautem Getöse und phosphorescirendem Schein vorüberzogen.

Das Blut erstarrte mir in den Adern! Es waren fürchterliche Haifische mit ungeheuerm Schwanz und düsteren glasartigen Augen, die einen phosphorescirenden Stoff absondern, der durch Löcher um das Maul herum träufelt. Diese Ungeheuer konnten in ihren eisernen Rachen einen ganzen Menschen zerbröckeln!

Zu unserem Glück haben diese gefräßigen Thiere kein scharfes Gesicht. Sie tosten vorüber, ohne uns zu bemerken, streiften uns nur mit ihren bräunlichen Flossen, und wir entkamen wie durch ein Wunder einer Gefahr, die gewiß größer war, als wenn man einem Tiger im Walde begegnet.

Eine halbe Stunde nachher, geleitet von dem elektrischen Lichtstrahl, langten wir beim Nautilus an. Die äußere Thür war offen geblieben, und der Kapitän Nemo schloß sie wieder, sobald wir in das vordere Kämmerchen getreten waren. Darauf drückte er auf einen Knopf. Ich hörte die Pumpen im Schiff arbeiten, fühlte, wie das Wasser um mich herum sank, und in einigen Augenblicken war die Zelle ganz leer. Nun öffnete sich die innere Thüre und wir kamen in die Kleiderkammer.

Hier wurde uns, nicht ohne Beschwerde, die Skaphanderkleidung abgezogen, und ich begab mich, sehr abgemüdet, der Erschöpfung und dem Schlaf erliegend, wieder in mein Zimmer, voll Staunen über diesen merkwürdigen Ausflug auf dem Meeresgrund.

Achtzehntes Capitel

Achtzehntes Capitel

Viertausend Meilen unter’m Stillen Ocean

Am folgenden Morgen, den 18. November, hatte ich mich von meinen Strapazen völlig erholt, und ich begab mich auf die Plateform, als eben der Lieutenant seine tägliche Phrase sprach. Ich dachte mir damals, sie gebe die Beschaffenheit des Meeres an, oder vielmehr sie bedeute: »Wir haben nichts in Sicht.«

Und wirklich, der Ocean war leer; nicht ein Segel am Horizont. Die Spitzen der Insel Crespo waren während der Nacht verschwunden. Das Meer verschlang die Farben des Prisma mit Ausnahme der blauen Strahlen, warf deren Wiederschein in allen Richtungen und nahm eine wunderbare schöne Indigofarbe an.

Ich bewunderte das prachtvolle Aussehen des Oceans, als der Kapitän Nemo erschien. Er schien meine Anwesenheit nicht zu bemerken, und begann eine Reihe von astronomischen Beobachtungen. Als er damit fertig war, stützte er sich mit dem Ellenbogen auf das Gehäuse des Leuchtfeuers und seine Blicke schweiften über den Meeresspiegel.

Inzwischen waren etwa zwanzig Matrosen des Nautilus, lauter kräftige und rüstige Leute, auf die Plattform herauf gekommen. Sie hatten soeben die Fischergarne, welche die Nacht über ausgeworfen waren, herein gezogen. Die Seeleute gehörten augenscheinlich verschiedenen Nationen an, obwohl der europäische Charakter bei allen ausgedrückt war. Ich erkannte, irrte ich nicht, Irländer, Franzosen, einige Slaven, einen Griechen und einen Candioten. Uebrigens waren diese Leute wortkarg, und bedienten sich unter einander der seltsamen Sprache, über deren Ursprung ich nicht einmal eine Vermuthung haben konnte. Ich mußte also verzichten, sie zu fragen.

Die Garne wurden an Bord gezogen. Es waren eine Art Senknetze, weite Taschen, die mittelst einer schwimmenden Stange und eingestrickten Schnur offen gehalten und auf dem Meeresgrund fortgezogen den Boden kehrten und alle Erzeugnisse mit sich fortzogen. Damals förderten sie merkwürdige Musterexemplare jener fischreichen Gegenden zu Tage, auch einige größere, wie Skomber und Thunfische, und eine solche Menge, daß man den Fang auf tausend Pfund schätzen konnte. Ein trefflicher Fang fürwahr, so daß wir an köstlicher Nahrung keinen Mangel hatten. Und solche Fischzüge waren bei der Schnelligkeit des Nautilus und der anlockenden Kraft des elektrischen Lichtes täglich zu wiederholen.

Diese verschiedenen Meeresproducte wurden unverzüglich durch die Lücke in die Vorratskammern hinabgelassen, um theils frisch verspeist, theils aufbewahrt zu werden.

Als der Fischfang beendigt, die Luftvorräthe erneuert waren, dachte ich, der Nautilus werde nun seine unterseeische Fahrt fortsetzen, und ich war im Begriff, mich wieder in mein Zimmer zu begeben, als sich der Kapitän Nemo ohne weiteres, ohne Guten Morgen, Guten Abend, sich zu mir wendete und sprach:

»Sehen Sie diesen Ocean, Herr Professor, wie er mit wirklichem Leben begabt ist! Er schläft mit uns ein, die Sonne weckt ihn mit Liebkosungen wieder auf, und er gewinnt durch sie neues Leben jeden Tag. Es ist ein interessantes Studium, das Spiel seines Organismus zu verfolgen.«

Offenbar erwartete der Kapitän Nemo keine Antwort von mir; er sprach vielmehr mit sich selbst, er dachte laut.

»Ja, sagte er, es findet im Ocean eine wahre Circulation statt, und um sie hervorzubringen, hat der Schöpfer ihm vielfach mehr Wärmestoff, Salz und die kleinen Thierchen gegeben. Der Wärmestoff bringt verschiedene Dichtheit hervor, welche die Ströme und Gegenströmungen verursacht. Die Ausdünstung, in den Nordpolgegenden gleich Null, in den heißen Zonen sehr thätig, ist der Grund einer fortdauernden Wechselströmung der tropischen und polaren Gewässer. Ferner habe ich das Geheimniß der Strömungen von oben nach unten und von unten nach oben wahrgenommen, welche ein wahres Athmen des Oceans bildet. Ich habe bemerkt, wie das Elementartheilchen des Meerwassers, an der Oberfläche erwärmt, wieder in die Tiefe sinkt, bei zwei Grad unter Null seine größte Dichtheit erreicht, dann sich noch weiter abkühlt, wodurch es leichter wird und wieder aufwärts steigt. An den Polen sehen Sie die Folgen dieser Erscheinung, und begreifen, weshalb, nach diesem Gesetz der vorsorgenden Natur, das Gefrieren nur an der Oberfläche des Wassers vorgehen kann!«

Hierauf betrachtete der Kapitän schweigend dieses so vollständig und so unablässig von ihm studirte Meer. Dann fuhr er fort:

»Die Salze sind in beträchtlicher Menge im Meer vorhanden, Herr Professor, und wenn man alles, was dasselbe in aufgelöstem Zustand von Salzen enthält, herauszöge, so würde man eine Masse von vier und einer halben Million Kubik-Lieues bekommen, welche, auf die Erdoberfläche verbreitet, eine zehn Meter dicke Schicht bilden würden. Und glauben Sie nicht, daß diese Salze nur in Folge einer Laune der Natur im Meer vorhanden seien. Nein, sie machen, daß das Meerwasser wieder leicht verdunstet, und verhindern, daß die Winde demselben eine zu große Menge von Dünsten entziehen, welche, indem sie sich im Wasser auflösen, die gemäßigten Zonen in Überschwemmung versetzen würden. Diese bedeutende ausgleichende Rolle spielen die Salze bei dem allgemeinen wirthschaftlichen System des Erdballs!«

Der Kapitän brach hier ab, stand auf, ging einige Schritte auf der Plateform, kam dann wieder zu mir und fuhr fort:

»Was die Infusionsthierchen betrifft, diese Milliarden von Geschöpfen, welche millionenweis in einem Tropfen existiren, von denen achthunderttausend ein Milligramm wiegen, so ist ihre Rolle nicht minder bedeutend. Sie verzehren die Meersalze, gesellen sich die festen Theile des Wassers zu, und indem sie die kalkartigen Bestandtheile in Zusammenhang bringen, verfertigen sie Korallen und Madreporen! Wenn nun dem Wassertropfen seine mineralogische Nahrung entzogen ist, wird er dadurch leichter, steigt wieder zur Oberfläche auf, verschlingt da das durch Verdunstung aufgegebene Salz, wird dadurch schwer, sinkt wieder hinab und führt den Thierchen neue Elemente zum Verzehren zu. Daraus entsteht eine doppelte Strömung, aufwärts und abwärts, stets Bewegung, stets Leben! Das Leben tritt im Ocean innerlich stärker auf, üppiger strömend, unbegrenzter nach allen Richtungen sich verbreitend. Der Ocean, sagte man, ist ein Todeselement für den Menschen, ein Lebenselement für Myriaden Thiere, – und für mich!«

Bei diesen Worten verklärte sich des Kapitäns Angesicht, was in mir eine außerordentliche Rührung hervorrief. Darauf, als wolle er einen schlimmen Gedanken verscheuchen, wendete er sich hastig zu mir und sprach:

»Herr Arronax, wissen Sie, wie tief der Ocean ist?

– Ich weiß wenigstens, Kapitän, was die hauptsächlichen Sondirungen ergeben haben.

– Könnten Sie mir diese angeben, um sie nöthigenfalls zu berichtigen?

– Ich will Ihnen einige mittheilen, erwiderte ich, die mir gerade einfallen. Irre ich nicht, so hat man eine mittlere Tiefe von zweihundert Meter im Norden des Atlantischen Meeres, und von zweitausendfünfhundert Meter im Mittelländischen angetroffen. Die merkwürdigsten Sondirungen sind im Süden des Atlantischen, nächst dem fünfunddreißigsten Grad vorgenommen worden, welche zwölftausend Meter, vierzehntausendeinundneunzig Meter, und fünfzehntausendhundertneunundvierzig Meter ergaben. Ueberhaupt genommen schätzt man, daß, wenn der Meeresgrund nivellirt wäre, seine mittlere Tiefe etwa sieben Kilometer betragen würde.

– Gut, Herr Professor, erwiderte der Kapitän Nemo, wir wollen Ihnen, hoffe ich, mehr zeigen, als dies. Was die durchschnittliche Tiefe in diesem Theil des Stillen Meeres betrifft, so will ich Ihnen zeigen, daß sie nur viertausend Meter beträgt.«

Nach diesen Worten ging der Kapitän Nemo zu der Lücke hin und verschwand die Leiter hinab. Ich folgte ihm nach und begab mich in den großen Saal. Die Schraube fing alsbald ihre Thätigkeit an, und das Log zeigte eine Schnelligkeit von zwanzig Meilen in der Stunde.

Während der folgenden Tage und Wochen war der Kapitän mit Besuchen sehr sparsam. Ich sah ihn nur in seltenen Zwischenräumen. Sein Lieutenant machte regelmäßig die Aufnahme, welche ich dann auf der Karte eingetragen fand, so daß ich die Fahrt des Nautilus genau bestimmen konnte.

Conseil und Land brachten viel Zeit bei mir zu. Conseil erzählte seinem Freunde die merkwürdigen Begebenheiten unseres Spazierganges, und nun that es dem Canadier leid, daß er uns nicht begleitet hatte. Doch hoffte ich, es werde sich noch einmal Gelegenheit ergeben, die Wälder des Oceans zu besuchen.

Fast täglich öffneten sich einige Stunden lang die Läden des Salons, und unsere Augen konnten sich nicht satt sehen an den Geheimnissen der unterseeischen Welt.

Die allgemeine Richtung des Nautilus war südöstlich, und er hielt sich in der Tiefe von hundert bis hundertundfünfzig Meter. Einmal jedoch, ich weiß nicht aus welcher Laune, kam er bis in die zweitausend Meter tiefen Schichten. Das Thermometer zeigte eine Temperatur von 4,25 Grad des Hunderttheiligen, welche Temperatur in dieser Tiefe unter allen Breitegraden gleich zu sein scheint.

Am 26. November, um drei Uhr früh, fuhr der Nautilus unter 172° Länge über den Wendekreis des Krebses. Am 27. hatte er die Sandwichinseln in Sicht, wo der Weltumsegler Cook am 14. Februar 1779 seinen Tod fand. Wir hatten damals seit unserer Abfahrt viertausendachthundertundsechzig Meilen zurückgelegt. Als ich Morgens früh auf die Plateform kam, bemerkte ich, zwei Meilen unter’m Wind, Hawai, die ansehnlichste von den sieben Inseln, welche diesen Archipel bilden. Ich erkannte deutlich ihren angebauten Küstenrand, die verschiedenen Bergketten, welche parallel mit der Küste laufen, und seine Vulkane, welche der Mouma Rea beherrscht, der fünftausend Meter über den Meeresspiegel ragt.

Die Richtung des Nautilus blieb fortwährend südöstlich. Er durchschnitt am 1. December den Aequator, unter 142° Länge, und am 4. desselben Monats, nach einer raschen Fahrt ohne Zwischenfall, bekamen wir die Gruppe der Marquesasinseln zu sehen. In einer Entfernung von drei Meilen, unter 8° 57′ südlicher Breite, und 139° 32′ westlicher Länge, gewahrte ich die Spitze Martin von Nukahiva, der Hauptinsel dieser Frankreich angehörigen Gruppe. Ich sah nur die bewaldeten Berge, welche sich am Horizont abzeichneten, denn der Kapitän Nemo hatte nicht Lust, dem Lande näher zu kommen.

Nachdem wir diese reizenden, unter’m Schutz der französischen Flagge stehenden Inseln verlassen hatten, legte der Nautilus vom 4. bis 11. December etwa zweitausend Meilen zurück. Bei dieser Fahrt stießen wir auf eine ungeheure Menge Kalmar, merkwürdige Mollusken, welche den Tintenfischen nahe kommen. Der Nautilus traf in der Nacht vom 9. zum 10. December auf dieses Molluskenheer; man konnte ihrer Millionen zählen. Sie zogen aus den gemäßigten Strichen nach den wärmeren, indem sie dem Zuge der Häringe und Sardinen folgten. Wir betrachteten sie durch die dichten Glasfenster, wie sie äußerst schnell rückwärts schwammen, mittelst ihrer Bewegungsröhre sich fortbewegten, die Fische und Mollusken verfolgten, indem sie die kleinen fraßen, von den großen gefressen wurden, und in einem unbeschreiblichen Gewimmel die zehn Füße bewegten, welche ihnen die Natur auf den Kopf gesetzt hat. Der Nautilus fuhr, ungeachtet seiner Schnelligkeit, doch mehrere Stunden lang mitten durch diese Truppe, und seine Garne fingen eine ungeheure Menge derselben.

Man sieht, während dieser Fahrt ließ uns das Meer unablässig seine Merkwürdigkeiten reichlich schauen, in unendlicher Abwechselung. Die Scenen und Decorationen änderten sich zu unserer Augenweide, und wir waren dadurch im Stande, nicht nur die Werke des Schöpfers mitten in ihrem Element zu betrachten, sondern auch in die gefürchtetsten Geheimnisse des Oceans zu dringen.

Während des 11. December war ich im großen Saal mit Lesen beschäftigt. Ned-Land und Conseil betrachteten die erleuchteten Gewässer durch die Fenster bei geöffneten Läden. Der Nautilus war unbeweglich. Als seine Behälter gefüllt waren, hielt er sich in einer Tiefe von tausend Meter, einer wenig bewohnten Region des Oceans, wo die großen Fische selten erscheinen.

Ich las eben ein reizendes Buch von Jean Macé, als Conseil mich mit einem sonderbaren Ton unterbrach.

»Herr, kommen Sie doch einen Augenblick, sagte er.

– Was giebt’s da, Conseil?

– Schauen Sie doch, mein Herr.«

Ich stand auf, setzte mich vor das Fenster, und schaute.

Umgeben vom elektrischen Licht schwebte eine große schwärzliche Masse mitten im Gewässer. Ich betrachtete sie aufmerksam, bemüht, die Beschaffenheit dieses riesenhaften Thieres zu erkennen. Da fuhr ein Gedanke plötzlich mir durch den Kopf.

»Ein Schiff! rief ich aus!

– Ja, erwiderte der Canadier, ein rhedeloses Fahrzeug, das untergesunken ist.«

Ned-Land irrte nicht. Wir hatten ein Schiff vor uns, dessen abgehauene Taue noch an ihren Ketten herabhingen. Sein Rumpf schien in gutem Zustand, und der Schiffbruch mußte erst vor wenigen Stunden erfolgt sein. Drei Reststücke der zwei Fuß über dem Verdeck abgehauenen Mäste zeigten, daß dies Schiff in seiner Noth hatte seine Mäste opfern müssen. Aber es hatte sich, auf der Seite liegend, gefüllt. Sein Verdeck zeigte den traurigen Anblick von vier Leichen, die im Tauwerk festgehalten, noch da lagen! Ich zählte deren vier, – vier Männer, von welchen einer am Steuerruder aufrecht stand, – sodann eine Frau, die halb aus der Lücke des Hinterverdecks heraus gekommen, ein Kind in den Armen hielt. Es war eine junge Frau. Ich konnte bei der hellen Beleuchtung durch den Nautilus ihre noch nicht entstellten Züge erkennen. Mit äußerster Anstrengung hatte sie ihr Kind über den Kopf gehoben. Die vier Matrosen sahen schrecklich aus, da sie mit krampfhaften Bewegungen von dem Tauwerk, das sie fesselte, sich loszumachen getrachtet hatten. Nur der Steuerer, mit ernstem Gesicht, ruhig das Steuerruder in der krampfhaften Hand, schien noch seinen Dreimaster zu leiten.

Stumm, mit klopfenden: Herzen starrten wir den hier gleichsam photographirten Schiffbruch an! Schon sah ich mit gierigen Blicken Haifische, vom Menschenfleisch herbeigelockt, heran kommen!

Indessen fuhr der Nautilus um das gesunkene Schiff herum, und ich konnte auf einem Schild lesen:

Florida, Sunderland.

Neunzehntes Capitel

Neunzehntes Capitel

Vanikoro

Dieser fürchterliche Anblick war das Vorspiel zu Katastrophen, welchen der Nautilus auf seiner Fahrt begegnen sollte. Seit er in mehr befahrenen Gegenden sich bewegte, gewahrten wir oft gescheiterte Schiffsrümpfe, welche ganz verfault waren, und mehr in der Tiefe Kanonen, Kugeln, Anker, Ketten, und tausend andere eiserne, von Rost zerfressene Gegenstände.

Inzwischen kamen wir, in ununterbrochener rascher Fahrt auf dem Nautilus isolirt, am 11. December zu dem Pomotou-Archipel, der früher »gefährlichen Gruppe« Bougainville, die sich über fünfhundert Meilen weit von Ost-Süd-Ost nach West-Nord-West hin erstreckt, zwischen 13° 30′ und 23° 50′ südlicher Breite, und 125° 30′ und 151° 30′ westlicher Länge. Dieser Archipel nimmt eine Fläche von dreihundertsiebenzig Quadrat-Lieues ein, und besteht aus etwa sechzig Inselgruppen, worunter die Gruppe Gambier, die unter französischem Protectorat steht. Diese Inseln sind aus Korallen entstanden. Die langsame, aber ununterbrochene Arbeit der Polypen wird sie einst mit einander in Verbindung bringen. Dann wird diese neue Insel später mit den benachbarten Archipelen zusammen wachsen, und von Neuseeland und Neu-Caledonien bis zu den Marquesas wird ein neuer Continent entstehen.

Als ich diese Ansicht dem Kapitän Nemo äußerte, entgegnete er kalt:

»Nicht neuer Continente bedarf’s auf der Erde, sondern neuer Menschen!«

Der Nautilus gelangte weiter auf seiner Fahrt zur Insel Clermont-Tonnère, einer der merkwürdigsten der im Jahre 1822 vom Kapitän Bell auf der Minerva entdeckten Gruppe. Da konnte ich recht studiren, wie die Inseln dieses Oceans aus Madreporen oder Seesternen entstanden sind.

Die Madreporen, welche man ja nicht mit den Korallen verwechseln darf, haben ein mit Kalküberzug bekleidetes Gewebe, und nach Verschiedenheit der Structur desselben hat Milne-Edwards sie in fünf Abtheilungen geordnet. Die kleinen Thierchen, welche diese Polypengehäuse durch Absonderung bilden, leben zu Milliarden im Inneren ihrer Zellen, und was sie an Kalkgebilden absetzen, wird zu Felsen, Rissen, Eilanden, Inseln. Hier bilden sie einen kreisrunden Ring, welcher einen Binnensee umgiebt, der durch Lücken mit dem Meer in Verbindung gesetzt ist; dort gestalten sich Schutzmauern von Riffen gleich denen, welche sich an den Küsten Neu-Caledoniens und verschiedener Pomotou-Inseln finden. An anderen Stellen, wie bei Réunion und St. Moritz, errichten sie ausgezackte Riffe, hohe, gerad aufgebaute Felswände neben unergründlichen Tiefen des Oceans.

Indem wir nur einige Kabellängen weit von den steilen Küsten der Insel Clermont-Tonnère vorüberfuhren, konnte ich das Riesenwerk, welches diese mikroskopischen Arbeiter vollführten, staunend bewundern. Diese Felswände waren speciell das Werk von Madreporenarten, welche mit besonderen Namen Milleporen, Poriten, Mäandrinen genannt werden. Diese Polypen entwickeln sich vorzugsweise in den bewegten Schichten der Meeresoberfläche, und folglich fangen sie ihre unterseeischen Bauten von oben an, und dieselben dringen mit den Trümmern von Ablagerungen, welche die Grundlagen bilden, allmälig immer tiefer. Dies ist wenigstens die Theorie Darwin’s, welche die Bildung der Atolle erklärt, – eine Theorie, welche meines Erachtens den Vorzug vor derjenigen hat, welche von der Annahme ausgeht, die Basis der madreporischen Arbeiten seien Gipfel von Bergen oder Vulkanen, welche einige Fuß unter dem Meeresspiegel sich befänden.

Ich konnte diese merkwürdigen Felswände ganz aus der Nähe beobachten, denn an ihrer senkrechten Seite ließ die Sonde mehr als dreihundert Meter Tiefe erkennen, und in unseren elektrischen Streiflichtern erglänzte der schimmernde Kalkstein.

Conseil fragte mich über die Dauer, seit diese kolossalen Felswände aufgewachsen sein, und gerieth in großes Staunen, als ich ihm sagte, die Gelehrten schlügen diesen Zuwachs auf den achten Theil eines Zolls binnen einem Jahrhundert an.

»Also, um diese Wände aufzubauen, sagte er, bedurfte es …?

– Hundertzweiundneunzigtausend Jahre, mein wackerer Conseil, wodurch die Tage der Bibel sehr lange werden. Uebrigens hat die Braunkohlenbildung, d. h. die Mineralisation der von den Überschwemmungen versunkenen Wälder, eine weit beträchtlichere Zeit erfordert. Aber ich füge bei, daß die in der Bibel als Tage bezeichneten Zeiträume nur Epochen bedeuten, und nicht die Zeit von einem Sonnenaufgang bis zum folgenden, denn laut eben dieser Bibel war die Sonne am ersten Schöpfungstage noch nicht vorhanden.«

Als der Nautilus wieder zur Meeresoberfläche kam, konnte ich die Insel Clermont-Tonnère, die niedrig und bewaldet ist, in ihrer ganzen Ausdehnung überblicken. Ihre madreporischen Felsen wurden offenbar durch Tromben und Stürme zur Fruchtbarkeit gebracht. Einst fiel ein Samenkörnlein, vom Sturmwind aus benachbartem Festland hergetragen, auf Kalkgrund vermischt mit verwesten Theilen von Fischen und Seepflanzen, welche pflanzennährenden Humus bildeten. Eine Kokusnuß trieb auf den Wellen an diese neue Küste. Der Keim wurzelte. Der heranwachsende Baum hemmte die Wasserverdünstung. Es entstand ein Bach. Allmälig nahm die Vegetation zu. Einige Thierchen, Würmer, Insecten kamen auf Baumstämmen, welche der Wind von den Inseln weggetrieben hatte. Es kamen Schildkröten und brüteten ihre Eier aus. Vögel nisteten in dem jungen Baumschlag. Dergestalt kam das animale Leben zur Entwicklung, und angezogen vom Grünen und der Fruchtbarkeit, erschien der Mensch. Also bildeten sich diese Inseln, unermeßliche Werke mikroskopischer Thiere.

Gegen Abend schwand Clermont-Tonnère in der Ferne aus den Augen, und die Fahrt des Nautilus änderte merklich ihre Richtung. Nachdem derselbe unter’m hundertfünfunddreißigsten Grad der Länge den Wendekreis des Steinbocks berührt hatte, wendete er sich nach West-Nord-West, und durchlief nochmals die ganze tropische Zone. So reichlich die Sommersonne ihre Strahlen warf, so hatten wir durchaus nicht von der Hitze zu leiden, denn dreißig bis vierzig Meter unter’m Wasserspiegel stieg die Temperatur nicht über zehn bis zwölf Grad.

Am 15. December ließen wir östlich den reizenden Archipel der Gesellschaftsinseln, und das anmuthige Tahiti. Früh Morgens erblickte ich einige Meilen unter’m Wind die hohen Gipfel dieser Insel. Ihre Gewässer lieferten den Tafeln an Bord köstliche Fische, Makrelen, Bonite und Varietäten einer Meerschlange, Munerophis genannt.

Der Nautilus hatte damals achttausendeinhundert Meilen zurückgelegt. Als das Log neuntausendsiebenhundertundzwanzig Meilen zeigte, fuhr er durch den Archipel von Tonga-Tabou, wo die Mannschaften des Argo, des Port-au-Prince und des Duke of Portland umkamen, und den Archipel der Schifferinseln, wo La Pérouse’s Freund, der Kapitän de Langle, seinen Tod fand. Darauf bekam er den Archipel Viti in Sicht, wo die Matrosen der Union und der Commandant der Aimable Josephine, Kapitän Bureau, von den Wilden erschlagen wurden.

Dieser Archipel, welcher aus einer Anzahl Inseln, Eilande und Klippen besteht, worunter Viti-Levou und Vanoua-Levou bemerkenswerth, liegt zwischen 6° und 20° südlicher Breite, und 174° bis 179° westlicher Länge. Die Gruppe wurde von Tasman im Jahre 1643 entdeckt, dem Jahre der Thronbesteigung Ludwigs XIV., und der Erfindung des Barometer durch Toricelli. Welches von diesen drei Ereignissen der Menschheit nützlicher gewesen, steht zu erwägen. Darauf kamen Cook im Jahre 1714, d’Entrecasteaux 1793, und endlich entwirrte Dumont d’Urville 1827 das ganze geographische Chaos dieses Archipel. Der Nautilus näherte sich der Bai Wailon, dem Schauplatz der fürchterlichen Erlebnisse des Kapitän Dillon, welcher zuerst das Geheimniß von La Pérouse’s Schiffbruch aufklärte. Diese Bai liefert treffliche Austern in reichlicher Menge. Wir genossen sie im Uebermaß, und wenn Meister Ned dabei nicht seine Gefräßigkeit zu bereuen hatte, so kam es daher, weil, die Auster das einzige Gericht ist, welches niemals Verdauungsbeschwerden macht. Und wirklich bedarf es nicht weniger als sechzehn Dutzend dieser Mollusken, um die dreihundertundfünfzehn Gramm Stickstoff zu liefern, welche ein einziger Mensch zur Tagesnahrung braucht. Sie gehören zu der bekannten, in Corsika sehr häufigen Gattung Ostrea lamellosa. Diese Austernbänke, welche bedeutende Anhäufungen bilden, sind im Stande, wenn nicht vielfache Ursachen ihre Zerstörung bewirken, die Baien auszufüllen, denn man zählt in einem einzigen Stück bis zwei Millionen Eier.

Am 25. December schiffte der Nautilus mitten durch den Archipel der Neu-Hebriden, welche 1606 von Quirot entdeckt, 1768 von Bougainville erforscht wurden, und von Cook 1773 ihren jetzigen Namen bekamen. Diese Gruppe besteht hauptsächlich aus neun großen Inseln, die in einer Reihe zwischen 15° und 2° südlicher Breite, und 164° bis 168° Länge liegen. Wir kamen ziemlich nahe bei der Insel Aurou vorbei, welche mir wie eine Masse grüner Waldung vorkam, woraus ein hoher Pik hervorragte.

Es war diesen Tag Weihnachten und Ned-Land schien mir sehr das Christfest zu vermissen, diese Familienfreude, worauf die Protestanten so viel halten.

Seit acht Tagen hatte ich den Kapitän Nemo nicht gesehen, als er am 27. Morgens früh in den großen Salon trat, wie ich eben auf der Karte die Fahrt des Nautilus zu verfolgen beschäftigt war. Der Kapitän trat herzu, legte einen Finger auf einen Punkt der Karte und sprach nur das Wort:

»Vanikoro.«

Dieser Name wirkte magisch. Er bezeichnete die Eilande, wo einst La Pérouse’s Schiffe verloren gingen. Ich stand augenblicklich auf.

»Der Nautilus fährt nach Vanikoro? fragte ich.

– Ja, Herr Professor, erwiderte der Kapitän.

– Und ich könnte die berühmten Inseln besuchen, wo die Boussole und Astrolabe zu Grunde gingen?

– Wenn es Ihnen beliebt, Herr Professor.

– Wann werden wir zu Vanikoro anlangen?

– Wir sind schon da, Herr Professor!«

Ich begleitete den Kapitän Nemo auf die Plateform, wo meine Blicke begierig über den Horizont schweiften.

Nordöstlich kamen zwei vulkanische Inseln von ungleicher Größe zum Vorschein, um welche sich ein Korallenriff von vierzig Meilen Umfang zog. Wir befanden uns vor der eigentlich Vanikoro genannten Insel, welcher Dumont d’Urville den Namen Recherche gab, und gerade vor dem kleinen Hafen Vanou, unter 16° 4′ südlicher Breite und 164° 32′ Länge. Das Land schien von der Küste bis zu den Gipfeln des Innern mit Grün bedeckt, welche der zweitausendachthundertundfünfzig Fuß hohe Kapogo überragt.

Nachdem der Nautilus durch eine enge Fahrt in den äußersten Felsengürtel eingefahren, befand er sich innerhalb der Brandung, wo das Meer dreißig bis vierzig Klafter tief war. Unter dem grünen Schatten üppigen Baumwuchses gewahrte ich einige Wilde, die bei unserer Annäherung eine außerordentliche Bestürzung zeigten. Sie sahen wohl in dem langen schwärzlichen Körper, welcher auf dem Meeresspiegel heran kam, nur ein fürchterliches Seethier, das sie mit Mißtrauen ansahen.

In dem Augenblick fragte mich der Kapitän Nemo, was ich von La Pérouse’s Schiffbruch wisse.

»Was Jedermann weiß, Kapitän, erwiderte ich.

– Und können Sie mir sagen, was Jedermann weiß? fragte er mit etwas ironischem Ton.

– Sehr leicht.«

Ich erzählte ihm, was die letzten Arbeiten Dumont d’Urville’s mitgetheilt hatten, wie ich kurz hier berichten will.

La Pérouse und sein Unterbefehlshaber, Kapitän de Langle, wurden von Ludwig XVI. im Jahre 1788 ausgeschickt, um eine Weltumsegelung vorzunehmen Sie fuhren mit den Corvetten Boussole und Astrolabe ab, kehrten aber nicht wieder zurück.

Im Jahre 1791 rüstete die französische Regierung, die mit Recht um das Schicksal der beiden Corvetten besorgt war, zwei große Meuten aus, Recherche und Espérance, welche am 28. September unter dem Commandanten Bruni d’Entrecasteaux von Brest absegelten. Zwei Monate nachher vernahm man durch die Aussage eines gewissen Bowen, Commandanten des Albermale, daß die Trümmer gescheiterter Schiffe an den Küsten Neu-Georgiens gesehen worden waren. Aber d’Entrecasteaux, der von dieser – zudem ziemlich unbestimmten – Mittheilung nichts wußte, fuhr in der Richtung der Admiralitätsinseln, welche in einem Bericht des Kapitän Hunter als die Gegend des Schiffbruches La Pérouse bezeichnet waren.

Seine Nachforschungen waren fruchtlos. Die Espérance und Recherche fuhren selbst vor Vanikoro vorüber, ohne dort anzuhalten, und überhaupt war diese Fahrt sehr unglücklich, denn sie kostete das Leben des Commandanten, zweier Unterbefehlshaber und einiger Leute von der Bemannung.

Ein alter, im Stillen Ocean sehr bewanderter Kapitän, Dillon, fand zuerst unbestreitbare Spuren der Schiffbrüchigen. Am 15. Mai 1824 fuhr er auf dem St. Patrick bei der Insel Tikopia vorüber, die zu den Neu-Hebriden gehört. Hier kam ein Laskare auf einem Boot, und verkaufte ihm einen silbernen Degengriff mit einer eingegrabenen Inschrift. Derselbe versicherte auch, er habe sechs Jahre zuvor, während eines Aufenthaltes zu Vanikoro zwei Europäer gesehen, welchen Schiffe angehörten, die vor langen Jahren an den Riffen der Insel gescheitert seien.

Dillon vermuthete, daß es sich um die Schiffe La Pérouse’s handle, an deren Verschwinden die ganze Welt Antheil genommen hatte. Er wollte sich nach Vanikoro begeben, wo nach Angabe des Laskaren zahlreiche Reste von dem Schiffbruch her sich finden sollten; aber die Winde und Strömungen verhinderten es.

Dillon kam nach Calcutta zurück, wo er die Asiatische Gesellschaft und die Indische Compagnie für seine Entdeckung zu interessiren wußte. Es wurde ihm ein Schiff, dem er den Namen Recherche gab, zur Verfügung gestellt, und er fuhr am 23. Januar 1827 in Begleitung eines französischen Agenten ab.

Die Recherche warf, nachdem sie an verschiedenen anderen Punkten angehalten, am 7. Juli 1827 vor Vanikoro Anker in dem nämlichen Hafen Vanou, wo der Nautilus eben lag.

Hier sammelte er zahlreiche Reste des Schiffbruchs, eiserne Geräthe, Anker, Steinpöller, eine achtzehnpfündige Kugel, Trümmer von astronomischen Instrumenten, eine bronzene Glocke mit der Inschrift: »Bazin hat mich verfertigt,« welche das Kennzeichen der Gießerei des Arsenals zu Brest um 1785 war. Es war also ferner kein Zweifel mehr statthaft.

Dillon blieb zur Vervollständigung seiner Nachforschungen noch bis zum Oktober auf der Unglücksstätte, darauf verließ er Vanikoro, fuhr über Neuseeland nach Calcutta, wo er am 7. April 1828 ankerte, und kehrte nach Frankreich zurück, wo er von Karl X. höchst freundlich empfangen wurde.

Bereits aber war Dumont d’Urville, ohne daß er von Dillon’s Bemühungen etwas wußte, abgesegelt, um den Schauplatz des Schiffbruchs anderwärts zu suchen. Und in der That hatte man aus Berichten eines Wallfischfängers entnommen, daß sich Medaillen und ein Kreuz des heiligen Ludwig in Händen der Wilden Neu-Caledoniens und der Louisiade befänden.

Dumont d’Urville, Commandant des Astrolabe, war also auf der Fahrt und ankerte, zwei Monate nachdem Dillon Vanikoro verlassen hatte, vor Hobart-Town. Hier bekam er Kunde von den Resultaten der Bemühungen Dillon’s, und erfuhr weiter, ein gewisser James Hobbs, Unterbefehlshaber der Union zu Calcutta, habe bei einer Landung auf einer Insel unter 8° 18′ südlicher Breite und 156° 30′ östlicher Länge, eiserne Stangen und rothe Stoffe in den Händen der Eingeborenen jener Gegenden wahrgenommen.

Dumont d’Urville, etwas verlegen, da er nicht wußte, ob den wenig zuverlässigen Zeitungs-Berichten Glauben beizumessen sei, entschloß sich, Dillon’s Spur zu folgen.

Am 10. Februar 1828 erschien der Astrolabe vor Tikopia, nahm zum Führer und Dollmetscher einen auf dieser Insel seßhaften Deserteur, fuhr weiter nach Vanikoro, das er am 12. Februar in Sicht bekam, hielt sich etwas auf den Riffen auf, und kam erst am 20. im Hafen von Vanou an, wo er ankerte. Am 23. begaben sich einige Officiere auf die Insel und brachten einige unbedeutende Trümmer mit. Die Eingeborenen verlegten sich auf Ausflüchte und Ableugnen, und wollten sie nicht an die Unglücksstätte führen. Dies verkehrte Benehmen ließ glauben, sie hätten die Schiffbrüchigen mißhandelt; und sie schienen in der That Angst zu haben, Dumont d’Urville sei gekommen, um La Pérouse und seine Unglücksgenossen zu rächen.

Doch ließen sie sich am 26. durch Geschenke und beruhigende Versicherungen bestimmen, den Unterbefehlshaber Jacquinot auf die Stätte des Schiffbruchs zu führen.

Daselbst lagen drei bis vier Klafter tief, zwischen den Riffen Pacou und Vanou, Anker, Kanonen, Blöcke, Eisen und Blei, von Kalksteinmasse umgeben. Die Schaluppe und das Wallfischboot des Astrolabe wurden an dieser Stelle entsendet, und es gelang der Bemannung nur nach langen Beschwerden, einen Anker von achtzehn Centnern, eine Kanone von acht, Bleiblöcke und zwei kupferne Steinmörser heraus zu ziehen.

Dumont d’Urville vernahm auf Befragen der Eingeborenen, daß La Pérouse, nachdem er seine beiden Schiffe auf den Riffen der Insel verloren, ein kleineres Fahrzeug bauen ließ, um damit abermals zu Grunde zu gehen. … Wo? wußte man nicht.

Der Commandant des Astrolabe ließ darauf unter einem Buschwerk von Mangobäumen ein Denkmal zum Andenken an den berühmten Seefahrer und seine Genossen errichten. Es bestand in einer einfachen vierseitigen Pyramide auf einer Korallenbasis; und es wurde nichts von Eisen dabei angebracht, was die Begierde der Eingeborenen reizen konnte.

Als darauf Dumont d’Urville abreisen wollte, wurde er durch Krankheiten seiner Mannschaft zurück gehalten, und selbst sehr krank, so daß er erst am 17. März unter Segel gehen konnte.

Inzwischen hatte die französische Regierung, in Besorgniß, Dumont d’Urville habe keine Kenntniß von Dillon’s Arbeiten, die Corvette La Bayonnaise unter dem Commando von Legoarant de Tromelin nach Vanikoro geschickt. Sie kam dort einige Monate nach der Abfahrt des Astrolabe an, und überzeugte sich, daß die Wilden das Grabdenkmal La Pérouse’s unverletzt gelassen hatten.

Dies ist der Inhalt dessen, was ich dem Kapitän Nemo berichtete.

»Also, sagte er, man weiß noch nicht, wo das dritte von den Schiffbrüchigen erbaute Schiff zu Grunde gegangen ist?

– Nein.«

Der Kapitän Nemo, ohne mir zu antworten, winkte mir, ihm in den großen Saal zu folgen. Der Nautilus tauchte einige Meter unter das Wasser, und die Läden öffneten sich.

Ich eilte an das Fenster, und erkannte unter Korallen versenkt, mit Seepflanzen überdeckt, mitten unter zahllosen reizenden Fischen, etliche Trümmer, welche die Suchmaschinen nicht hatten fassen können, lauter Gegenstände gescheiterter Schiffe.

Und während ich diese öden Reste anschaute, sprach der Kapitän Nemo mit ernster Stimme:

»Der Commandant La Pérouse fuhr am 7. December 1785 mit seinen Schiffen Boussole und Astrolabe ab. Er ankerte zuerst in der Botany-Bai, besuchte den Freundschafts-Archipel, Neu-Caledonien, wendete sich dann gegen Santa-Cruz und hielt zu Namouka an, einer Insel der Hapaï-Gruppe. Darauf geriethen seine Schiffe auf die ihm unbekannten Riffe von Vanikoro. Die Boussole, welche voran fuhr, blieb bei der südlichen Küste stecken. Der Astrolabe kam ihr zum Beistand, und scheiterte ebenfalls. Das erstere Schiff ging fast unverzüglich in Trümmer. Das zweite, welches unter’m Wind fest saß, widerstand einige Tage. Die Eingebornen nahmen die Schiffbrüchigen ziemlich gut auf. Diese richteten sich auf der Insel ein und erbauten ein anderes, kleineres Schiff aus den Trümmern der beiden großen. Einige Matrosen blieben freiwillig zu Vanikoro zurück; die anderen, erschöpft und krank, fuhren mit La Pérouse. Sie wendeten sich zu den Salomons-Inseln, und gingen sammt und sonders auf der Ostküste der Hauptinsel dieser Gruppe, zwischen den Cap Deception und Cap Satisfaction zu Grunde!

– Und woher wissen Sie dies? rief ich aus.

– Hier sehen Sie, was ich an der Stelle des zweiten Schiffbruchs gefunden habe!«

Darauf zeigte mir der Kapitän Nemo eine blecherne Büchse, die mit dem Wappen Frankreichs gestempelt und ganz von Salzwasser zerfressen war. Er öffnete sie, und ich sah einen Pack vergilbter, doch noch lesbarer Papiere.

Es waren die Original-Instructionen des Marineministers für den Commandanten La Pérouse, mit Randbemerkungen von der Hand Ludwig’s XVI.

»Ach! ein schöner Tod für einen Seemann! sagte darauf der Kapitän Nemo. Dieses Korallengrab ist eins ruhige Gruft, und gebe der Himmel, daß ich mit meinen Gefährten nie ein anderes bekomme!«

Erstes Capitel

Erstes Capitel

Eine schweifende Klippe

Ein seltsames Ereigniß, ein unerklärtes, und eine unerklärbare Naturerscheinung, die sich im Jahre 1866 begab, ist ohne Zweifel noch unvergessen. Nicht allein die Bevölkerung der Hafenstädte war durch Gerüchte beunruhigt, im Binnenlande der öffentliche Geist aufgeregt, besonders die Seeleute geriethen in Bewegung. Die Kaufleute und Rheder, Schiffsherren, Patrone und Kapitäne in Europa und Amerika, Officiere der Kriegsmarine aller Länder, und dann die Staatsregierungen der beiden Welttheile widmeten der Sache im hohen Grade ihr Interesse.

Die Thatsache ist, daß seit einiger Zeit manche Schiffe auf hoher See einem »enormen Gegenstand« begegneten, lang, spindelförmig, mitunter phosphorescirend, unendlich größer und rascher als ein Wallfisch.

Die Angaben über diese Erscheinung, wie sie in den Schiffsbüchern verzeichnet wurden, betrafen mit ziemlicher Genauigkeit die Structur des fraglichen Gegenstandes oder Geschöpfes, die unerhörte Schnelligkeit und erstaunliche Kraft seiner Bewegungen, die besonderen Lebensäußerungen, welche ihm eigenthümlich schienen. War es ein Thier von der Wallfischgattung, so übertraf es an Umfang weit alle von der Wissenschaft bisher verzeichneten. Cuvier, Lacépède, Dumeril, Quatrefages – hätten sicher die Existenz eines solchen Ungeheuers nicht gelten lassen – sofern sie es nicht selbst gesehen, d. h. mit eigenen kundigen Augen gesehen.

Lassen wir die ängstlichen Schätzungen, welche diesem Gegenstand zweihundert Fuß beimaßen, bei Seite, verwerfen die übertriebenen Angaben von der Breite einer Meile und der Länge dreier – und halten uns an das Durchschnittliche der wiederholt gemachten Beobachtungen, so könnte man doch behaupten, daß dieses phänomenale Wesen – sofern es existirte – alle von den Ichthyologen bisher angenommenen Dimensionen bei Weitem übertraf.

Aber es existirte; die Thatsache an sich war nicht in Abrede zu stellen, und bei der Neigung, womit sich die Menschen dem Wunderbaren zuwenden, begreift man leicht die Bewegung, welche diese übernatürliche Erscheinung in der ganzen Welt hervorbrachte. Sie in’s Reich der Fabeln zu verweisen, ging schon nicht mehr an.

In der That begegnete am 20. Juli 1866 das Dampfboot Governor Higginson, der Calcutta and Burnach steam navigation Company gehörig, dieser schwimmenden Masse fünf Meilen östlich von den Küsten Australiens. Der Kapitän Baker glaubte anfangs auf eine unbekannte Klippe zu treffen; er war auch bereits im Begriff, die Lage derselben genau zu bestimmen, als von dem unerklärlichen Gegenstand aus zwei Wasserstrahlen hundertundfünfzig Fuß hoch zischend in die Luft emporschossen. Demnach, sofern nicht auf dieser Klippe intermittirende Quellen eines Geyser sich befanden, hatte es der Governor Higginson mit nichts Anderm zu thun, als einem bisher unbekannten Seesäugethier, welches durch seine Luftlöcher Wasserstrahlen mit Luft und Dunst gemischt, ausstieß.

Die gleiche Thatsache wurde am 23. Juli desselben Jahres in den Gewässern des Stillen Oceans, von dem Christobal Colon der West India and Pacific steam navigation Company beobachtet. Demnach war dieses außerordentliche Seethier im Stande, mit erstaunlicher Schnelligkeit seine Stellung zu wechseln, da es vom Governor Higginson und Christobal Colon nach Verlauf von drei Tagen an zwei Punkten beobachtet wurde, welche der Karte nach über siebenhundert Seemeilen von einander entfernt sind.

Vierzehn Tage später als zweitausend Meilen von da die Helvetia, von der Company Nationale, und der Schannon, von der Royal-Mail, in dem zwischen den Vereinigten Staaten und Europa gelegenen Theil des Atlantischen Meeres in entgegengesetzter Richtung fuhren, signalisirten sie sich das Ungeheuer unterm 42° 15′ nördl. Breite und 60° 35′ westl. Länge vom Meridian zu Greenwich aus. Bei dieser gleichzeitigen Beobachtung glaubte man die Länge des Thieres zum Mindesten auf etwa dreihundertfünfzig engl. Fuß (ca. 106 Meter) anschlagen zu können. Die größten Wallfische aber, wie sie in der Gegend der Aleuten vorkommen, haben die Länge von hundertundfünfzig Meter niemals überschritten.

Als diese Nachrichten Schlag auf Schlag eintrafen, machten neue an Bord des Pereira gemachte Beobachtungen, ein Zusammenstoßen des Aetna mit dem Ungeheuer, ein von den Officieren der französischen Fregatte La Normandie vorgenommenes Protokoll, eine sehr ernste, vom Generalstab des Commodore Fitz-James an Bord des Lord Clyde gemachte Aufnahme – auf die öffentliche Meinung den tiefsten Eindruck. In den Ländern leichten Humors scherzte man über das Phänomen, aber die ernsten und praktischen Länder, England, Amerika, Deutschland, befaßten sich lebhaft damit.

Ueberall in den großen Verkehrsmittelpunkten kam das Ungeheuer in Schwung; man besang es in den Kaffees, man verspottete es in den Journalen, man spielte es in den Theatern. Die Enten bekamen eine hübsche Gelegenheit, Eier in allen Farben zu legen. Die Journale gaben in Abbildungen alle riesenmäßigen Phantasiebilder zum Besten, vom weißen Wallfisch, dem erschrecklichen »Moby-Dick« der Hyperboräerländer bis zum maßlosen Kraken, der mit seinen Fühlhörnern ein Fahrzeug von fünfhundert Tonnen umwickeln und in den Abgrund des Oceans hinabziehen kann. Man citirte sogar Stellen aus dem Alterthum, die Ansichten des Aristoteles und Plinius, welche für die Existenz solcher Ungeheuer sprachen, sodann die norwegischen Berichte des Bischofs Pontoppidan, die Erzählungen Paul Heggede’s, und endlich die Berichte Harrington’s, dessen Ehrlichkeit nicht anzufechten ist, wenn er behauptet, er habe an Bord des Castillan im Jahre 1857 diese enorme Schlange gesehen. –

Darauf begann eine unendliche Polemik der Gläubigen und Ungläubigen in den gelehrten Gesellschaften und den wissenschaftlichen Journalen. Die »Frage des Ungeheuers« erhitzte alle Gemüther. Die Journalisten, welche wetteifernd mit den Schöngeistern die Wissenschaft vertraten, vergossen, verbrauchten in diesem merkwürdigen Feldzug tonnenweise Tinte; manche sogar etliche Tropfen Blut, denn von der Seeschlange gingen sie zu beleidigenden Persönlichkeiten über.

Sechs Monate lang wurde der Krieg mit abwechselndem Erfolg geführt. Auf die gründlichen Artikel des Geographischen Instituts in Brasilien, der Königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin, der Britischen Gesellschaft, der Smithson’schen Anstalt zu Washington, auf die Erörterungen des Indian Archipelago, des Cosmos des Abbé Moigno, der Petermann’schen Mittheilungen, auf die wissenschaftliche Chronik der großen Journale entgegnete die kleine Presse mit unerschöpflicher Laune. Die geistreichen Schriftsteller parodirten ein von den Gegnern des Ungeheuers citirtes Wort Linné’s, indem sie behaupteten, »die Natur schaffe keine Dummköpfe«, und beschworen ihre Zeitgenossen, nicht die Natur Lügen zu strafen, indem sie die Existenz des Kraken, der Seeschlangen, des »Moby-Dick« und andere Hirngespinnste irrsinniger Seeleute gelten ließen. Endlich versetzte, in einem Artikel eines sehr gefürchteten satirischen Journals, der beliebteste seiner Redacteure, bei einem Ueberblick über das Ganze, dem Ungeheuer einen letzten Streich, und erlegte es inmitten allgemeinen hallenden Gelächters. Der Geist siegte über die Wissenschaft.

Während der ersten Monate des Jahres 1867 hielt man die Frage für beseitigt, und es schien nicht, als solle dieselbe wieder auftauchen, als neue Thatsachen zur Kenntniß des Publicums kamen. Es handelte sich dabei nicht mehr um die Lösung eines wissenschaftlichen Problems, als die Vermeidung einer wirklichen, ernsten Gefahr. Die Frage nahm eine andere Gestalt an. Das Ungeheuer wurde wieder Inselchen, Felsen, Klippe, aber eine bewegliche, unbestimmbare und unfaßbare.

Am 5. März 1867 stieß der Moravian von der Montreal Ocean Company, unter 27° 30′ Breite und 72° 15′ Länge, bei Nacht wider einen Felsen, der in jener Gegend von keiner Karte verzeichnet war. Nur durch die ausgezeichnete Beschaffenheit seines Rumpfes und seine Schnelligkeit bei vierhundert Pferdekraft entging er der Gefahr, mit seinen zweihundertsiebenunddreißig Passagieren unterzugehen.

Der Vorfall ereignete sich Morgens früh, als schon der Tag graute. Man untersuchte das Meer genau, sah aber nichts, als ein starkes Kielwasser, welches auf drei Kabellängen das Gewässer brach. Ob der Moravian wider einen Felsen gestoßen, konnte man nicht wissen; aber als man ihn im Ausbesserungsbassin untersuchte, fand sich, daß ein Theil seines Kiels zerbrochen war.

Diese so bedeutende Thatsache wäre vielleicht vergessen worden, hätte sie sich nicht drei Wochen später unter gleichen Bedingungen wiederholt. Nur daß diesmal durch die Nationalität des betroffenen Schiffes und den Ruf der Gesellschaft, welcher es gehörte, das Ereigniß das größte Aufsehen bekam.

Der berühmte englische Rheder Cunard ist weltbekannt. Derselbe gründete im Jahre 1840 einen Postcours zwischen Liverpool und Halifax mit drei hölzernen Schiffen von vierhundert Pferdekraft und elfhundertundzweiundsechzig Tonnen Gehalt. Dieses Material vergrößerte sich mit den wachsenden Geschäften nach und nach bedeutend; besonders im Jahre 1853 mit einer Reihe von Schiffen ersten Ranges, Arabia, Persia, China, Scotia etc. etc.; und im Jahre 1867 besaß sie zwölf Fahrzeuge, worunter vier Schraubendampfer. Die Unternehmung ward mit größter Geschicklichkeit geleitet, und ihre Geschäfte waren vom besten Erfolg gekrönt. Seit sechsundzwanzig Jahren, da die Schiffe der Gesellschaft Cunard das Atlantische Meer befuhren, ist von zweitausend Fahrten nicht eine einzige mißglückt, nie kam eine Verspätung vor, nie ist ein Brief, ein Mensch oder ein Schiff abhanden gekommen oder zu Grunde gegangen. Darum erregte auch der Unfall, welcher einem seiner besten Schiffe widerfuhr, so großes Aufsehen.

Am 13. April 1867 fuhr der Scotia unter 15° 12′ Länge und 45° 37′ Breite, bei ruhigem Meer und günstigem Wind mit einer Schnelligkeit von dreizehn Knoten und vollkommen regelmäßiger Radbewegung. Am Abend, als eben die Passagiere im großen Salon ihr Vesper nahmen, verspürte man einen wenig merkbaren Stoß. Derselbe kam eher von einem schneidenden Instrument her, als von einem bohrenden oder stoßenden, und schien so leicht, daß kein Mensch an Bord dadurch beunruhigt wurde, bis die Leute des Schiffsraumes auf’s Verdeck stürzten mit dem Geschrei: »Wir gehen unter!«

Augenblicklich geriethen die Passagiere in großen Schrecken; aber der Kapitän Anderson war im Stande sie unverzüglich zu beruhigen. In der That konnte die Gefahr nicht bedeutend werden, da der Scotia durch wasserdichte Verschläge in sieben Abtheilungen getheilt war, so daß er leicht einem Eindringen des Wassers gewachsen war. Der Kapitän begab sich sofort in den Schiffsraum und erkannte, daß das Wasser in das fünfte Gefach durch einen beträchtlichen Leck eindrang. Dieses Fachwerk war zum Glück nicht dasjenige, welches die Kessel enthielt, sonst wären die Feuer mit einem Male ausgelöscht worden.

Der Kapitän ließ sogleich halten, ein Matrose tauchte unter, um den Schaden zu untersuchen, und es fand sich ein zwei Meter breites Loch im Kiel. So konnte es nur mit halber Schnelligkeit weiter fahren, und kam um drei Tage verspätet in Liverpool an.

Bei der Ausbesserung fand sich ein regelmäßiger Riß in Form eines gleichschenkeligen Dreiecks. Der Bruch des Eisenblechs zeigte, daß das durchbohrende Werkzeug ausnehmend hart gewesen sein mußte; auch mußte es, nachdem es mit enormer Gewalt eingedrungen, sich durch eigene Bewegung, in unerklärbarer Weise wieder herausgezogen haben.

Diese Thatsache setzte die öffentliche Meinung in leidenschaftliche Bewegung. Von nun an wurden Unfälle zur See, von welchen man nicht eine bestimmte Ursache wußte, auf Rechnung des Ungeheuers gesetzt, und das phantastische Thier mußte alle solche Schiffbrüche sich zuschreiben lassen.

Da nun, mit Recht oder Unrecht, die Beschuldigung sich erhob, daß der Verkehr in gefährlicher Weise gestört sei, so verlangte das Publicum auf’s Entschiedenste, daß die Meere endlich um jeden Preis von dem fürchterlichen Ungethüm befreit würden.