Erstes Kapitel.

Die Kreuzritter

Einige Tage wartete Macko geduldig auf Nachricht aus Zgorzelic, vornehmlich darüber, ob der Abt sich wieder beruhigt habe, bis er schließlich dieser Ungewißheit überdrüssig ward und beschloß, sich zu Zych zu begeben. Alles, was geschehen war, war ohne seine Schuld geschehen, indessen wollte er wissen, ob Zych auch gegen ihn Groll hege, denn was den Abt anbelangte, so zweifelte er nicht daran, daß dessen Zorn von nun an schwer auf Zbyszko und auf ihm lasten werde. Gleichwohl wollte er alles thun, was in seiner Macht stand, um seinen Verwandten zu besänftigen und den gestörten Frieden wieder herzustellen. So überlegte er denn schon unterwegs, was er in Zgorzelic sagen wolle, um das Mißverständnis aufzuklären und die alten nachbarlichen Beziehungen aufrecht zu erhalten. Doch seine Gedanken schweiften immer ab, und er war froh, als er anlangte und Jagienka allein traf.

Sie empfing ihn ebenso freundschaftlich wie sonst, verneigte sich und küßte ihm die Hand, sah aber ein wenig traurig aus.

»Ist Dein Vater zu Hause?« fragte er.

»Er ist mit dem Abte auf die Jagd gegangen. Wann sie zurückkehren, weiß ich nicht.«

So sprechend, führte sie ihn in die Stube, wo sie schweigend einige Zeit beisammen saßen. Dann nahm sie zuerst wieder das Wort: »Ihr langweilt Euch wohl, seitdem Ihr allein in Bogdaniec seid?«

»Ja,« erwiderte Macko. »Und Du weißt also schon, daß Zbyszko wieder in die Ferne gezogen ist?«

Jagienka seufzte leise.

»Ich weiß es,« sagte sie. »Ich wußte es schon am nämlichen Tage, und ich glaubte, er werde bei uns eintreten, um noch ein Abschiedswort zu sagen, aber er ist nicht gekommen.«

»Wie hätte er anders handeln können?« entgegnete Macko, »der Abt hätte ihn ja dann in Stücke zerrissen, und auch Dein Vater würde ihn nicht freundlich aufgenommen haben.«

Sie aber schüttelte den Kopf und sagte: »O ich hätte es nicht zugelassen, daß er von jemand gekränkt worden wäre.«

Obwohl nun Macko nicht weichherzig war, rührte ihn dies tief; er zog Jagienka zu sich heran und rief: »Gott sei mit Dir, Mädchen! Deine Kümmernisse sind auch die meinen, denn ich sage Dir nur das eine, daß weder der Abt noch Dein leiblicher Vater Dich mehr lieben kann, als ich Dich liebe. Wie gerne würde ich an der Wunde sterben, welche Du geheilt hast, wenn er Dich nähme und keine andere.«

Für Jagienka aber war jener Augenblick gekommen, da man Kummer und Leid nicht länger in sich zu verschließen vermag, und sie antwortete: »Ich werde ihn niemals wiedersehen, und wenn ich ihn wiedersehe, wird er Jurands Tochter an seiner Seite haben, zuvor aber werde ich mir die Augen ausweinen.«

Und sie verhüllte ihr Gesicht mit der Schürze, in ihren Augen standen helle Thränen.

Aber Macko entgegnete: »Sei nur ruhig! Wohl ist er in die Ferne gezogen, weil er nicht anders konnte, doch Gott in seiner Gnade wird uns beistehen, so daß er nicht mit Jurands Tochter zurückkehrt.«

»Weshalb sollte er ohne sie zurückkehren?« fragte Jagienka unter ihrer Schürze hervor.

»Weil ihm Jurand die Tochter nicht geben will.«

Nun zeigte Jagienka plötzlich ihr Gesicht wieder und sagte lebhaft: »Er erzählte es mir! Aber ist es auch wahr?«

»So wahr wie Gott im Himmel ist!«

»Und warum?«

»Kein Mensch weiß es! Vielleicht ist er durch irgend etwas gebunden, vielleicht durch ein Gelübde, und dem ist nicht abzuhelfen. Zbyszko gefiel ihm, zumal er sich anheischig gemacht hatte, mit Jurand Rache an dessen Feinden zu nehmen, aber auch dies half nichts. Umsonst war auch die Brautwerbung der Fürstin Anna. Weder auf Bitten, noch auf Vorstellungen, noch auf Befehle wollte Jurand hören. Er sagte, er könne nicht anders. Nun, offenbar ist ein Grund vorhanden, daß er nicht anders kann, auch ist er ein starrsinniger Mensch, welcher das, was er einmal gesagt hat, aufrecht erhält. Also verliere Du nicht den Mut, Mädchen, und bleibe standhaft. Um seine Pflicht zu erfüllen, mußte der Knabe in die Ferne ziehen, denn die Pfauenbüsche hat er jener andern in der Kirche eidlich versprochen. Sie hat ihn mit ihrem Schleier bedeckt, zum Zeichen, daß sie ihn zum Gatten nehmen wolle, sonst hätte sein Haupt fallen müssen – dafür ist er ihr Dank schuldig – das ist nicht zu leugnen. Wenn es Gottes Wille ist, wird sie nicht die Seine werden, aber tatsächlich hat sie ein Recht auf ihn. Zych ist ihm nun gram, der Abt wird sich gewiß auf furchtbare Art rächen und ich selbst bin unwillig über den Burschen, aber alles in allem genommen, was sollte er machen? Da er jenem Mädchen verpflichtet ist, mußte er sich auf die Fahrt begeben. Er ist doch ein Edelmann. Und ich sage Dir nur dies: Wenn ihn die Deutschen nicht tüchtig durchhauen, so kommt er wieder zurück, wie er ausgezogen ist, und nicht allein zu mir, seinem alten Oheim, nicht nur nach Bogdaniec kehrt er zurück, sondern auch zu Dir, weil Du ihm lieb geworden bist.«

»Ich ihm lieb geworden?« wiederholte Jagienka. Zugleich aber trat sie dicht zu Macko heran, und ihn mit dem Ellbogen anstoßend fragte sie: »Woher wißt Ihr das? Nun? Es ist gewiß nicht wahr!«

»Woher ich es weiß?« antwortete Macko. »Ich sah ja, wie schwer es ihm ward, in die Ferne zu ziehen. Und es war so. Als beschlossen wurde, daß er ziehen solle, und ich ihn fragte: ›Ist es Dir nicht leid um Jagienkas willen‹? sprach er: ›Möge Gott ihr Gesundheit verleihen und alles Gute zu teil werden lassen!‹ Und dann begann er zu seufzen und zu ächzen wie der Blasebalg eines Schmiedes!«

»Das ist gewiß nicht wahr!« sagte Jagienka ganz leise – »doch erzählt mir weiter.«

»Es ist wahr, so gewiß ich Gott liebe! Da er Dich jetzt kennt, wird ihm die andere nicht mehr so gut gefallen, denn Du weißt ja selbst, daß auf der ganzen Welt kein so kraftstrotzendes, schönes Mädchen mehr zu finden ist wie Du. Fürchte nichts – durch den Willen Gottes fühlt er sich zu Dir hingezogen – vielleicht mehr als Du zu ihm.«

»O wenn es doch so wäre!« rief Jagienka aus.

Und sich plötzlich bewußt werdend, was ihren Lippen unwillkürlich entflohen war, bedeckte Sie ihr wie in Glut getauchtes Gesicht mit ihren Händen, Macko aber lächelte, strich seinen Schnurrbart und sagte: »Ei, daß ich doch jung wäre! Aber bleibe Du nur stark, denn ich sehe schon, wie es kommen wird. Er macht sich auf die Fahrt, um sich die Sporen am masovischen Hofe zu verdienen, da von dort die Grenze nicht weit ist und ein Zusammentreffen mit einem Kreuzritter leicht herbeigeführt werden kann. Wohl weiß ich, daß es auch unter den Deutschen tapfere Ritter giebt, daher wird er wohl nicht mit heiler Haut aus dem Kampfe hervorgehen, aber ich denke mir, daß mancher ihm gegenüber den Kürzeren zieht, weil der Schelm im Kampfe sehr gewandt ist. Du weißt ja, wie er sich mit Cztan aus Rogow und Wilk aus Brzozowa gerauft hat, obgleich man sagt, daß es tüchtige Burschen sind und so wild wie Bären. Die Pfauenbüsche wird er wohl bringen, aber Jurands Tochter wird er mir nicht zuführen, denn auch ich habe mit diesem gesprochen und weiß, wie die Sache sich verhält. Nun, und was wird dann geschehen? Dann kehrt er hierher zurück, denn wohin sollte er sich wenden?«

»Ach, ob er wohl je zurückkehrt?«

»Na, harrst Du nur aus, so wirst Du gut dabei fahren. Und erzähle Deinem Vater und dem Abte das, was ich Dir sage, damit ihr Zorn über Zbyszko etwas nachläßt.«

»Aber was soll ich denn sagen? Das Väterchen ist eher betrübt als ärgerlich, aber in der Gegenwart des Abtes ist es gefährlich, auch nur von Zbyszko zu reden. Wie hat er mir und dem Vater zugesetzt, weil wir einen unserer Mannen zu Zbyszko geschickt haben.«

»Einen Euerer Mannen habt Ihr zu ihm gesandt?«

»Ja, wißt Ihr, bei uns lebt ein Böhme, welchen der Vater bei Boleslawicz gefangen nahm, ein guter und treuer Knecht. Hlawa wird er genannt. Väterchen überließ mir ihn zur Bedienung, weil er sagt, er sei ein Edelmann, und ich habe ihn jetzt passend ausgerüstet und zu Zbyszko gesandt, damit er ihm treu diene, ihn bei unglücklichen Zufällen beschütze, und damit er es verkünde, wenn geschehen würde, was Gott verhüten möge. Ich habe ihm auch eine Geldkatze mit auf den Weg gegeben, und er schwur mir bei seinem ewigen Heil, er werde Zbyszko bis zum Tode treu dienen.«

»Mein liebes Mägdlein! Gott lohne Dir dafür! Und hatte Dein Vater nichts dagegen einzuwenden?«

»Was hatte er nicht alles dagegen einzuwenden! Anfangs wollte er es nicht gestatten, aber als ich ihn kniefällig darum bat, ließ er mich gewähren. Mit dem Väterchen hat man niemals einen schweren Stand, doch als der Abt davon erfuhr, schimpfte und wetterte er, und wir verlebten einen trüben Tag. Erst am Abend erbarmte sich der Abt meiner Thränen, und er schenkte mir sogar einen Rosenkranz. Aber ich leide gern, wenn ich nur Zbyszko ein größeres Gefolge verschaffen kann.«

»So wahr ich Gott liebe, ich weiß nicht, ob ich ihm mehr zugethan bin oder Dir, aber er wird ohnedies ein ansehnliches Gefolge mit sich führen – und Geld habe ich ihm auch gegeben, obgleich er es nicht zugeben wollte. Nun, Masovien liegt ja nicht hinter den Bergen.«

Das Gespräch wurde durch Hundegebell, laute Rufe und Hörnerschall unterbrochen. Als sie dies hörte, sagte Jagienka: »Da kommt der Abt mit meinem Vater von der Jagd zurück. Gehen wir in die Vorhalle, denn es ist besser, wenn Euch der Abt zuerst von weitem als ganz unvermutet im Zimmer sieht.«

So sprechend geleitete sie Macko in die Vorhalle, von der aus sie dann im Hofe einen Troß von Menschen, auch viele Pferde und Hunde erblickten und die auf der Jagd erlegten Elentiere und Wölfe auf dem Schnee liegen sahen. Der Abt, welcher Macko schon erschaut hatte, bevor er noch vom Pferde gestiegen war, faßte nach dem Jagdspieß an seiner Seite, aber nicht um Gebrauch von dieser Waffe zu machen, sondern um auf diese Weise unverhohlen seinem Haß gegen die Bewohner von Bogdaniec an den Tag zu legen. Doch Macko schwenkte seine Mütze, wie wenn er gar nichts wahrnehme, und Jagienka bemerkte in der That nichts, da sie voll Verwunderung ihre beiden Freier unter dem Gefolge gewahrte.

»Cztan und Wilk!« rief sie aus. »Sie müssen mit dem Vater im Walde zusammengetroffen sein.«

Bei ihrem Anblick war es Macko, als ob die alte Wunde von neuem schmerze. Der Gedanke schoß ihm plötzlich durch den Kopf, einer von ihnen könne Jagienka, und als ihre Morgengabe Moczydoly, sowie des Abtes Gut, Wälder und Geld erhalten. Kummer und Aerger überkamen ihn, zumal jetzt etwas Neues seine Aufmerksamkeit fesselte. Obwohl Wilks Vater erst vor kurzem von dem Abte zum Kampfe herausgefordert worden war, sprang der junge Kämpe jetzt herbei, um letzterem vom Pferde zu helfen und der Abt stützte sich mit sichtlichem Wohlgefallen auf Wilks Schulter.

»Vielleicht hat sich der Abt mit dem alten Wilk dadurch ausgesöhnt, daß er dem Mädchen die Wälder und sein Gut als Brautschatz mitgiebt,« dachte Macko.

Aus diesen unangenehmen Gedanken riß ihn die Stimme Jagienkas, welche in demselben Augenblick sagte: »Die Wunden, welche Zbyszko ihnen schlug, sind jetzt wieder geheilt, aber wenn sie auch jeden Tag hierherkommen, für mich sind sie nicht vorhanden!«

Macko blickte sie an – das Gesicht des jungen Mädchens war von Zorn gerötet, und ihre blauen Augen funkelten vor Unwillen, obschon ihr wohl bekannt war, daß Wilk und Cztan nur um ihretwillen jenen Angriff in der Schenke gemacht hatten und um ihretwillen verwundet worden waren.

Doch Macko sagte: »Du wirst thun, was der Abt Dich heißt!«

Und sie entgegnete: »Der Abt thut, was ich will.«

»Lieber Gott,« dachte Macko, »und solch ein Mädchen wird von dem dummen Zbyszko verschmäht!«

Zweites Kapitel.

Der dumme Zbyszko hatte Bogdaniec in der That mit schwerem Herzen verlassen. Zuvörderst war ihm nicht wohl zu Mute ohne den Oheim, von dem er seit Jahren nicht getrennt gewesen und an den er so gewöhnt war, daß er jetzt gar nicht wußte, wie er sich auf seiner Kriegsfahrt ohne ihn behelfen solle. Dann ging ihm auch die Trennung von Jagienka nahe, denn obgleich er sich selbst sagte, daß er nun zu Danusia kommen werde, die er von ganzer Seele liebte, hatte er sich doch immer so glücklich bei Jagienka gefühlt, daß er jetzt erst empfand, welchen Frohsinn sie um sich her verbreitete, wie öde und leer ihm alles vorkam ohne sie. Er wunderte sich selbst über seinen Kummer, er fühlte sich sogar deshalb beunruhigt. Wenn er sich nach Jagienka gesehnt hatte, wie ein Bruder nach seiner Schwester, wäre es kein Unrecht gewesen. Er fühlte jedoch, daß ihn darnach verlangte, sie zu umfassen und auf das Pferd zu heben oder sie vom Sattel herabzunehmen, um sie durch den Bach zu tragen, daß ihn darnach verlangte, ihr das Wasser aus den Zöpfen zu winden, mit ihr durch die Wälder zu streifen, sie anzuschauen und mit ihr zu plaudern. Die Gewohnheit wirkte dabei so mächtig, und all diese Erlebnisse waren ihm eine solche Wonne gewesen, daß er sich jetzt vollständig in der Erinnerung verlor. Auch vergaß er ganz, daß er sich auf dem Weg nach Masovien befand, dagegen stand ihm fortwährend der Moment vor Augen. da Jagienka ihm im Walde zu Hilfe gekommen war, als er mit dem Bären gerungen hatte. Ihn dünkte, dies sei erst gestern gewesen, und erst gestern sei es gewesen, daß sie zur Biberjagd an den Ostapange-See gingen, damals hatte er ja nicht bemerkt, wie sie sich des Bibers wegen mutwillig in Gefahr begab, jetzt aber dünkte ihn, daß er sie vor sich sehe – und wieder überkam ihn ein Zittern, gerade wie vor einigen Wochen, als Jagienkas Gewand im Winde flatterte. Dann gedachte er auch des Tages, da sie sich prächtig gekleidet zur Kirche nach Krzesnia begeben hatte, er erinnerte sich, wie er sich gewundert hatte, daß solch ein Mädchen, das ihm anfangs so einfach erschienen war, jetzt gleich einem Hoffräulein aus vornehmem Geschlechte daherritt. All dies bewirkte, daß ein eigentümlicher Schwindel ihn erfaßte, daß ein seliges Wonnegefühl, Trauer und Verlangen sein Herz erfüllten, und während er noch darüber nachsann, daß sie vollständig in seiner Gewalt gewesen war, während er darüber nachsann, wie sie sich zu ihm hingezogen gefühlt, wie sie ihm in die Augen geblickt hatte, und wie sie ihm vollständig zu eigen gewesen war, konnte er kaum auf dem Pferde bleiben. »Wenn ich sie jetzt irgendwo träfe und wenigstens Abschied nehmen und sie mit meinen Armen umfassen könnte, würde mir leichter ums Herz werden,« sagte er sich, aber alsbald empfand er auch, daß er sich täusche, denn schon bei dem Gedanken an einen derartigen Abschied lief es wie Feuer durch seine Adern, obwohl die Nacht kalt war.

Schließlich erschrak er über seine eigenen verwegenen Gedanken, und er suchte sie von sich abzuschütteln, wie man Schneeflocken vom Mantel schüttelt. »Zu Danusia begebe ich mich ja, zu meiner geliebten Herrin!« sagte er sich.

Und zugleich erkannte er, daß dies eine andere Liebe war, eine ruhigere Liebe, die weniger sein ganzes Sein und Wesen durchdrang. Allmählich, je mehr seine Füße in den Steigbügeln erstarrten und der rauhe Wind ihm das Blut kühlte, wendeten sich seine Gedanken Danusia zu, ihr – ja ihr war er in der That Dank schuldig. Wäre sie nicht gewesen, so hätte ja sein Haupt auf dem Markte zu Krakau fallen müssen, da sie in Gegenwart der Ritter und Bürger ausrief: »Mein bist Du!« entriß sie ihn den Händen des Henkers, und seitdem gehörte er ihr an, wie der Sklave seinem Herrn. Nicht er hatte sie erwählt, sondern sie hatte ihn erkoren, daran konnte selbst Jurand nichts ändern. Sie allein hätte ihn verabschieden können, wie die Herrin den Diener verabschieden kann, gleichwohl hätte er sie aber auch dann nicht verlassen, weil ihn sein eigenes Gelübde band. Auch wußte er, sie werde ihn nicht von sich scheuchen, sondern eher den masovischen Hof verlassen und ihm folgen bis ans Ende der Welt. Und während er darüber nachsann, verherrlichte er sie unwillkürlich in seinem Innern, Jagienkas Bild hingegen ward in den Hintergrund gedrängt, als ob es ausschließlich ihre Schuld gewesen wäre, daß ihn zuweilen ein süßes Verlangen nach ihr überkam, und daß sein Herz sich im Zwiespalt befand. Daß Jagienka den alten Macko geheilt hatte, daß ohne ihr Dazwischenkommen der Bär ihm selbst in jener Nacht vielleicht die Haut vom Leibe gerissen hätte, kam ihm jetzt gar nicht in den Sinn. Absichtlich redete er sich in einen gewissen Zorn gegen Jagienka hinein, weil er meinte, daß er sich auf diese Weise Danusia gegenüber verdient mache, und weil er sich in seinen eigenen Augen rechtfertigen wollte.

Ein Reitersmann, der ein zweites, reichbeladenes Pferd am Zügel führte, weckte ihn aus seinen Gedanken. Es war der Böhme Hlawa.

»Gelobt sei Jesus Christus!« sagte er, sich tief verneigend.

Zwar hatte ihn Zbyszko schon in Zgorzelic gesehen, doch er erkannte ihn jetzt nicht und erwiderte: »Von Ewigkeit zu Ewigkeit! Wer bist Du denn?«

»Euer Knecht, edler Herr!«

»Wieso mein Knecht? Dies sind meine Knechte!« entgegnete Zbyszko, auf die beiden Türken, die er von Sulimczyk Zlawisza zum Geschenk erhalten, und auf zwei kräftige Bursche zeigend, die zu Roß saßen und die Hengste des Ritters am Zügel führten, »Wer hat Dich hierher geschickt?«

»Die Jungfrau Jagienka Zych aus Zgorzelic!«

»Die Jungfrau Jagienka?« Zbyszko, der sich soeben erst im Innern förmlich gegen sie aufgelehnt hatte, dessen Herz noch von Groll gegen sie erfüllt war, versetzte: »Kehre nach Hause zurück und danke Deiner Herrin in meinem Namen für ihre Gewogenheit, denn Du kannst nicht bei mir bleiben.«

Aber der Böhme schüttelte den Kopf: »Ich kehre nicht zurück, Herr! Euer bin ich jetzt, und ich habe geschworen, Euch zu dienen bis zum Tode.«

»Wenn ich Dich von ihr zum Geschenk erhalten habe, bist Du mein Diener!«

»Euer Diener, Herr!«

»Und ich befehle Dir, zurückzukehren.«

»Ich aber habe geschworen, und wennschon ich bei Boleslawicz zum Gefangenen gemacht wurde, wennschon ich als Knecht dienen muß, bin ich doch auch ein Edelmann.«

Nun geriet Zbyszko in Zorn: »Packe Dich fort! Wie, Du kannst mir doch nicht gegen meinen Willen dienen? Packe Dich fort, sonst lasse ich die Armbrust spannen.«

Der Böhme band ruhig einen mit Wolfspelz gefütterten Mantel auf, überreichte ihn Zbyszko und sagte: »Die Jungfrau Jagienka sendet Euch auch dies.«

»Willst Du, daß ich Dir die Knochen entzwei schlage?« fragte Zbyszko, seine Lanze aus der Hand eines Knechtes nehmend.

»Und hier ist auch eine Geldkatze, die Euch zu Gebot steht!« fügte der Böhme hinzu.

Zbyszko hatte schon die Lanze angelegt, doch nun erinnerte er sich, daß dieser Mann wohl ein Gefangener, aber aus adeligem Geschlechte war, und daß er offenbar nur deshalb hatte bei Jagienka bleiben müssen, weil er nichts besaß, um sich loszukaufen, daher ließ er die Lanze wieder sinken. Der Böhme aber neigte sich tief bis zu seinen Füßen herab und sagte: »Erzürnt Euch nicht, Herr! Da Ihr mir nicht befehlt, bei Euch zu bleiben, will ich einige hundert Schritte oder noch etwas mehr hinter Euch reiten, aber begleiten werde ich Euch, denn dies habe ich bei meinem Seelenheil geschworen.«

»Und wenn ich Dich totschlagen oder fesseln lasse?«

»Wenn Ihr mich totschlagen laßt, wird es nicht meine Sünde sein, und wenn Ihr mich fesseln laßt, werde ich es aushalten, bis gute Leute mich befreien oder die Wölfe mich auffressen.«

Zbyszko gab keine Antwort – er trieb sein Pferd an, und auch seine Leute setzten sich in Bewegung. Mit der Armbrust auf der Schulter, dem Beile im Arm, ritt der Böhme hinter ihnen her. Er hatte das zottige Fell eines Auerochsen um sich geschlagen, denn ein scharfer Wind wehte und führte dichte Schneeflocken mit sich.

Das Unwetter nahm mit jedem Augenblick zu. Trotz ihrer Schafpelze waren die Türken wie erstarrt vor Kälte, Zbyszkos Diener schlugen sich in die Hände, und da er selbst nicht warm genug gekleidet war, warf er hie und da einen verstohlenen Blick auf den mit Wolfspelz gefütterten Mantel, der ihm von Hlawa gebracht worden war, und schließlich gebot er einem der Türken, ihm den Mantel zu reichen. Und als er sich dicht hineingehüllt hatte, fühlte er bald eine wohlthuende Wärme, welche den ganzen Körper durchdrang. Den besten Dienst leistete ihm die Kapuze, welche seine Augen und einen großen Teil seines Gesichtes bedeckte, so daß er den Wind kaum mehr spürte. Nun sagte er sich unwillkürlich, daß Jagienka doch ein seelengutes Mädchen sei – und er hielt sein Pferd an, weil ihn die Lust überkam, den Böhmen nach ihr und nach allem auszuforschen, was sich mittlerweile in Zgorzelic zugetragen hatte.

Er winkte daher dem Boten Jagienkas und richtete an ihn die Frage: »Weiß denn der alte Zych, daß Dich die Jungfrau zu mir gesandt hat?«

»Er weiß es!« entgegnete Hlawa.

»Und er hat sich nicht widersetzt?«

»Ja, er hat sich widersetzt!«

»Erzähle mir ganz genau, wie es gewesen ist.«

»Der Herr rannte in der Stube herum und die Jungfrau hinter ihm her. Er war sehr ärgerlich und schrie, aber das Mädchen gab keinen Laut von sich – doch als er sich zu ihr umwandte, fiel sie zu seinen Füßen nieder, ohne ein einziges Wort zu äußern. Schließlich sagte der Herr: ›Du bist wohl taub geworden, daß Du gar nichts auf meine Vorstellungen erwiderst? Sprich Dich wenigstens aus, denn am Ende muß ich es ja doch gestatten. Aber wenn ich es gestatte, reißt mir der Abt den Kopf herunter!‹ Als nun die Jungfrau sah, daß sie ihren Willen durchsetzen werde, dankte sie unter Thränen. Der Herr machte ihr Vorwürfe, daß sie ihn überredet hatte, und klagte darüber, daß sie in allem ihren Willen durchsetzen wolle, zuletzt aber sagte er: ›Versprich mir, daß Du Dich nicht heimlich hinausstiehlst, um Dich von ihm zu verabschieden, dann gebe ich meine Einwilligung, sonst aber nicht!‹ Da wurde die Jungfrau sehr betrübt, aber sie versprach es – und der Herr war sehr froh darüber, weil er und der Abt eine furchtbare Angst gehabt hatten, ihr könne die Lust kommen, Euer Gnaden noch einmal zu sehen … das war aber noch nicht alles, denn die Jungfrau wollte, daß ich mich mit zwei Pferden zu Euch aufmache, und der Herr untersagte es, das Jungfräulein wollte Euch den Wolfspelz und die Geldkatze schicken, der Herr untersagte es. Doch was nützen solche Verbote? Wenn es ihr in den Sinn käme, das Haus anzuzünden, so würde der Herr es schließlich auch erlauben. So bin ich denn mit zwei Pferden, mit dem Wolfspelz und der Geldkatze zu Euch gekommen.«

»Welch gutes Mädchen!« sagte sich Zbyszko im Innern.

Nach einer Weile fragte er: »Und hatten sie mit dem Abte nicht ihre liebe Not?«

Der Böhme lächelte wie ein verständiger Mann, welcher alles wahrnimmt, was um ihn her vorgeht, und erwiderte: »Die beiden verheimlichten es vor dem Abte, und was weiter geschah, weiß ich nicht, weil ich zeitig wegritt. Der Abt bleibt immer der Abt – zuweilen schreit er auch das Jungfräulein Jagienka an, aber dann betrachtet er sie unverwandt, um zu ergründen, ob er sie beleidigt hat. Ich war selbst einmal dabei, als er mit ihr zankte, gleich darauf jedoch an seine Truhe ging, eine Kette herausnahm, wie selbst in Krakau keine schönere zu finden ist, und sagte: »Hier, nimm!« Ja, auch mit dem Abte wird sie sich zu helfen wissen, denn der eigene Vater hat sie nicht lieber als er.«

»Gewiß, so ist es!«

»So wahr Gott im Himmel ist!«

Ein kurzes Schweigen folgte, und weiter ritten sie, inmitten des Sturmes und des Schneegestöbers. Da hielt Zbyszko sein Pferd an, denn plötzlich ließ sich eine klagende, durch das Rauschen des Waldes kaum hörbare Stimme vernehmen: »Christen, errettet einen Diener Gottes aus seiner Bedrängnis!«

Beinahe gleichzeitig erblickten sie einen Mann in halb geistlicher, halb weltlicher Tracht, der ihnen entgegeneilte und vor Zbyszko stehen bleibend, ausrief: »Wer Du auch seist, Herr, hilf Deinem Nebenmenschen in seiner schweren Not!«

»Was ist geschehen? Ist Euch etwas zugestoßen?« fragte der junge Ritter.

»Ich bin ein Diener Gottes, wenngleich ich nicht die Weihen empfangen habe, und mir ist das Unglück zugestoßen, daß mein Pferd, welches zwei Laden mit Heiligtümern trug, sich heute früh losriß. Allem, ohne Waffen bin ich zurückgeblieben, der Abend naht heran und bald werden sich die wilden Tiere im Walde vernehmen lassen. Ich gehe zu Grunde, wenn Ihr mich nicht rettet!«

»Wenn Du durch meine Schuld zu Grunde gingest, wäre ich ja für Deine Sünden verantwortlich,« entgegnete Zbyszko. »Aber woran erkenn‘ ich, daß Du die Wahrheit sagst, und daß Du nicht irgend ein Landstreicher oder ein Beutelschneider bist, wie sich deren so viele herumtreiben?«

»Meine beiden Schreine sollen Dir den Beweis liefern, Herr! Gar mancher würde gern einen Beutel voll Dukaten für das geben, was sich darin befindet. Du aber wirst umsonst etwas daraus bekommen, wenn Ihr mich und meine Schreine mitnehmt.«

»Du sagst, Du seist ein Diener Gottes und weißt nicht einmal, daß man nicht auf irdischen, sondern nur auf himmlischen Lohn rechnen darf, wenn man jemand aus der Not hilft? Aber wieso hast Du die Laden bei Dir behalten, wenn das Pferd, das sie trug, Dir entlaufen ist?«

»Weil das Pferd, ehe ich es fand, offenbar von den Wölfen auf einer Waldwiese zerrissen worden war, die Laden aber zurückblieben und ich sie hierher an den Weg schleppte, um zu warten, bis gute Menschen sich meiner erbarmen würden.«

Und als ob er zugleich den Beweis liefern wollte, daß er die Wahrheit redete, zeigte er auf zwei unter einem Fichtenbaum liegende Schreine.

Zbyszko betrachtete den Unbekannten mit mißtrauischen Blicken, zumal dessen Sprache zwar richtig war, aber doch den Ausländer verriet. Gleichwohl wollte er dessen Bitte um Hilfe nicht abschlagen und gestattete ihm, sich mit den beiden Laden, welche auffallend leicht waren, sich auf das herrenlose Pferd zu setzen, das der Böhme ihm zugeführt hatte.

»Möge Gott Deine Siege mehren, tapferer Ritter!« sagte der Unbekannte.

Und das jugendliche Gesicht Zbyszkos näher ansehend, fügte er hierauf halblaut hinzu: »Und Deine Barthaare gleichfalls.«

Dann ritt er neben dem Böhmen her. Während einiger Zeit vermochten sie nichts zu reden, weil der Sturm zu heftig tobte und ein starkes Rauschen durch den Wald ging, aber als es stiller geworden war, vernahm Zbyszko folgendes Gespräch der hinter ihm Reitenden.

»Darüber will ich nicht mit Dir streiten, ob Du in Rom gewesen bist, aber jedenfalls siehst Du aus, wie ein Biersaufer,« sagte der Böhme.

»Hüte Dich vor ewiger Verdammnis!« entgegnete der Unbekannte, »denn Du sprichst mit einem Menschen, der am letzten Osterfest harte Eier mit dem heiligen Vater verspeist hat. Sprich mir auch nicht bei solcher Kälte von Bier, oder wenigstens von gewärmtem, aber wenn Du irgendwo eine Flasche mit Wein bei Dir hast, so gieb mir zwei Schluck oder drei, dann sollst Du Ablaß für einen Monat Fegfeuer von mir bekommen.«

»Du hast die Weihen nicht erhalten – ich hörte ja, daß Du davon sprachst – wie kann ich also Ablaß für einen Monat Fegfeuer von Dir bekommen?«

»Nein, die Weihen habe ich nicht, aber mein Kopf ist geschoren, denn dazu habe ich die Erlaubnis erhalten und außerdem führe ich Ablaßzettel und Reliquien bei mir.«

»In diesen hölzernen Schreinen?« fragte der Böhme.

»Ja, in diesen hölzernen Schreinen. Ach, wenn Ihr alles sehen würdet, was ich habe, so würdet Ihr auf Euer Antlitz niederfallen und mit Euch würden alle Fichtenbäume im Walde samt den wilden Tieren niederknien.«

Aber der Böhme, der zwar noch jung, aber doch klug und erfahren war, sah den Verkäufer der Ablaßzettel mißtrauisch an und ließ sich also vernehmen: »Und die Wölfe haben also Dein Pferd aufgefressen?«

»Ja, ja sie haben es aufgefressen, weil sie sich wie die Teufel daraufstürzten, aber dann sind sie auch zerplatzt. Einen der zerplatzten Wölfe habe ich mit meinen eigenen Augen gesehen. Wenn Du Wein hast, so gieb her, denn obgleich der Wind nachgelassen hat, bin ich starr vor Frost, weil ich so lange am Wege saß.«

Doch der Böhme gab ihm keinen Wein, und wieder ritten sie schweigend weiter, bis der Reliquienhändler von neuem begann: »Wohin begebt Ihr Euch?«

»In ferne Lande. Einstweilen aber nach Sieradz. Geht Ihr mit uns?«

»Ich muß wohl. Im Stalle kann ich mich dann ausschlafen, morgen schenkt mir der gottesfürchtige Ritter vielleicht dies Pferd – und dann eile ich weiter.«

»Woher bist Du?«

»Unter preußischer Herrschaft stehe ich, bei Marienburg bin ich zu Hause.«

Als Zbyszko dies hörte, wandte er sich um und winkte dem Unbekannten, er möge sich nähern.

»Bei Marienburg bist Du zu Hause?« fragte er. »Kommst Du von dort?«

»Ja, von Marienburg!«

»Aber zweifellos bist Du kein Deutscher, da Du unsere Sprache so gut sprichst. Wie nennt man Dich?«

»Ich bin ein Deutscher und werde Sanderus genannt. Eure Sprache spreche ich, weil ich in Thorn geboren bin, wo alles Volk so spricht. Später wohnte ich in Marienburg, aber dort war es gerade so. Sogar die Ordensbrüder verstehen Eure Sprache.«

»Und seid Ihr schon lange aus Marienburg weg?«

»Herr, ich bin im heiligen Lande gewesen, dann in Konstantinopel und in Rom, von dort kehrte ich durch Frankreich nach Marienburg zurück. Von Marienburg begab ich mich nach Masovien, um die heiligen Reliquien feilzubieten, welche fromme Christen ihres Seelenheiles wegen gerne kaufen.«

»Bist Du in Plock gewesen? Oder vielleicht in Warschau?«

»Ich bin hier und dort gewesen. Möge Gott den beiden Fürstinnen Gesundheit verleihen! Nicht umsonst wird die Fürstin Alexandra auch von den preußischen Machthabern verehrt, denn sie ist eine gottesfürchtige Frau – und die Fürstin Anna, Januszs Gattin, ist nicht minder vortrefflich.«

»Hast Du in Warschau den Hof gesehen?«

»Nicht in Warschau, sondern in Ciechanow, wo das Fürstenpaar mich als Diener Gottes gastfreundlich aufnahm und mich freigebig mit einem Zehrpfennig versah. Aber ich ließ ihnen auch Reliquien zurück, welche den Segen Gottes auf sie herabrufen werden.«

Zbyszko stand schon im Begriff, nach Danusia zu fragen, aber plötzlich überkam ihn eine unbestimmte Scheu, und ein gewisses Schamgefühl hielt ihn davon ab, denn er sagte sich, das hieße einen Unbekannten von niederem Stande, einen Menschen, der zudem verdächtig aussah und ein gewöhnlicher Betrüger sein konnte, zum Vertrauten seiner Liebe machen.

Nach kurzem Schweigen fragte er daher: »Was für Reliquien führst Du denn mit Dir in der Welt herum?«

»Ablaßzettel und Reliquien biete ich feil, und die Ablaßzettel sind verschieden: es giebt solche für ewige Zeit und für fünfhundert, dreihundert, zweihundert Jahre und für kürzere Zeit, auch ganz billige, damit die armen Leute sie kaufen können, um sich dadurch die Höllenqualen zu verkürzen. Ich habe Ablaßzettel für die früheren und für die künftigen Sünden, aber denkt nicht, Herr, daß das Geld, welches ich einnehme, mir gehört. Ein Stückchen Schwarzbrot und ein Schluck Wasser, das ist alles, was ich brauche. Den Rest von dem, was ich zusammenbringe, sende ich nach Rom, auf daß mit der Zeit ein neuer Kreuzzug unternommen werden kann. Zwar gehen viele Schwindler auf der Welt herum, deren Ablaßzettel und Reliquien und Siegel und Zeugnisse gefälscht sind – und diese verfolgt der Heilige Pater mit Fug und Recht durch Steckbriefe, mir aber hat der Prior von Sieradz eine schwere Kränkung zugefügt, und sehr ungerecht ist er gegen mich gewesen – denn meine Siegel sind ganz echt. Betrachtet nur das Wachs, Herr, und sagt selbst, ob es nicht wahr ist!«

»Und was that der Prior von Sieradz?«

»Ach Herr, gebe Gott, daß ich unrecht hatte, wenn ich behauptete, der Prior sei durch die ketzerische Lehre Wikless angesteckt worden. Wenn Ihr Euch aber nach Sieradz begebt, wie mir der Knecht von Euer Gnaden sagte, will ich mich dem Prior gar nicht zeigen, um ihn nicht zur Sünde und zur Lästerung der heiligen Reliquien zu verleiten.«

»Dies soll, kurz gesagt, wohl heißen, daß er Dich für einen Betrüger und Beutelschneider hält?«

»Herr, wenn er mich dafür hielte, so würde ich ihm dies aus reiner Nächstenliebe verzeihen, ja, ich habe ihm sogar schon verziehen, aber er hat meine heilige Ware gelästert, wofür er, wie ich fürchte, ohne Rettung ewig verdammt bleiben wird.«

»Was für eine heilige Ware hast Du denn?«

»Eine Ware, von der man nicht mit bedecktem Haupte sprechen sollte, da ich aber diesmal die Ablaßzettel bereit halte, gebe ich Euch, Herr, die Erlaubnis, die Kapuze aufzubehalten, weil der Wind wieder anfängt zu blasen. Kauft dafür einen Ablaßzettel, sobald wir Rast machen, und die Sünde wird Euch nicht angerechnet werden. Was habe ich nicht alles feil! Ich habe den Huf des Eseleins, auf welchem die Flucht nach Aegypten unternommen wurde. Bei den Pyramiden ist dieser Huf gefunden worden, der König von Aragonien hat mir fünfzig Dukaten in gutem Golde dafür geboten. Aus den Flügeln des Erzengels Gabriel besitze ich eine Feder, welche er bei der Verkündigung verlor; ich habe zwei Köpfe von den Wachteln, welche den Israeliten in die Wüste herabgesandt wurden; ich habe das Oel, worin die Heiden Johannes braten wollten – und eine Sprosse der Leiter, von der Jakob träumte – und Thränen von der Aegyptischen Maria und ein wenig Rost von den Schlüsseln des hl. Petrus. Aber alles vermag ich nicht aufzuzählen, erstens weil ich ganz erstarrt vor Kälte bin und Dein Knappe, Herr, mir keinen Wein geben will, und zweitens darum, weil ich bis in die späte Nacht nicht damit fertig würde.«

Die Kreuzritter

Nach einiger Zeit brachten denn auch die Knechte ein neues Brett herbei und Sanderus begann zu schreiben.

»Das sind wertvolle Reliquien, wenn sie echt sind,« bemerkte Zbyszko.

»Wenn sie echt sind? Nimm die Lanze aus der Hand des Knechtes, Herr, und stoße zu, denn offenbar ist der Teufel in der Nähe und giebt Dir solche Gedanken ein. Herr, halte ihn Dir durch die Lanze vom Leibe! … Und wenn Du kein Unglück auf Dich herabbeschwören willst, so kaufe bei mir einen Ablaßzettel für diese Sünde – sonst wird innerhalb dreier Wochen das Wesen sterben, das Du am meisten auf der Welt liebst.«

Zbyszko erschrak über diese Drohung, denn unwillkürlich kam ihm Danusia in den Sinn, und er sagte daher: »Ich bin es ja nicht, der an der Echtheit Deiner Reliquien zweifelt, sondern der Prior der Dominikaner in Sieradz.«

»Betrachtet doch nur einmal das Wachs der Siegel, Herr – Wer weiß ob der Prior jetzt noch am Leben ist, denn Gottes Strafe bleibt nie lange aus.«

Doch als sie in Sieradz anlangten, zeigte es sich, daß der Prior noch am Leben war. Zbyszko wandte sich sogar an ihn um zwei Messen, die eine für Macko, die andere der Pfauenbüsche wegen lesen zu lassen, auf deren Eroberung er bedacht war. Der Prior, einer der Ausländer, die damals in Polen lebten, war in Cilli geboren, hatte sich aber durch seinen vierzigjährigen Aufenthalt in Sieradz die Polnische Sprache vollständig zu eigen gemacht und war ein ausgesprochener Feind der Kreuzritter. Als er Zbyszkos Absicht erfuhr, sagte er: »Gott wird wohl noch eine schwere Strafe über die Kreuzritter verhängen. Und Dir rate ich nicht ab, das auszuführen, was Du Dir vorgenommen hast, erstens weil Dein Eid Dich bindet und zweitens weil die Polen sich nicht genug für das rächen können, was die Kreuzritter in Sieradz gethan haben.«

»Was haben sie denn gethan?« fragte Zbyszko, welcher sich immer freute, wenn er etwas von den widerrechtlichen Thaten der Kreuzritter vernahm.

Da faltete der greise Prior die Hände und fing an laut für die ewige Ruhe der Seelen zu beten. Hierauf ließ er sich auf einen Sessel nieder, drückte eine Weile die Augen zu, wie wenn er alte Erinnerungen heraufbeschwören wolle, und begann folgendermaßen:

»Durch Wincenty aus Szamotor wurden sie hierhergeführt. Damals war ich zwölf Jahre alt und gerade aus Cilli angekommen. Mein Oheim Petzoldt hatte mich von dort mit hierher genommen. Des Nachts nun fielen die Kreuzritter in die Stadt ein und steckten sie in Brand. Von der Schutzwehr aus sahen wir, wie sie Männer, Frauen und Kinder köpften, wie sie Säuglinge in die Flammen warfen … Ja, ich sah es sogar mit an, wie sie auch Geistliche totschlugen, da sie in ihrer Wut niemand schonten. Der Zufall wollte es, daß der Prior Mikolaj aus Elbing den die Krieger anführenden Komtur Hermann kannte, daher ging er mit den älteren geistlichen Brüdern dem blutgierigen Ritter entgegen und vor ihm niederknieend, flehte er ihn in deutscher Sprache an, er möge sich seiner christlichen Nebenmenschen erbarmen. Doch der Komtur entgegnete: »Ich verstehe Euch nicht!« und befahl, die Menschen weiter zu schlachten. Damals tötete man auch die Klosterbrüder und mit ihnen meinen Oheim. Mikolaj aber ward einem Pferde an den Schwanz gebunden. Frühmorgens war kein einziger Lebender mehr in der Stadt außer den Kreuzrittern und mir. Denn ich hatte mich oben an der Kirchenglocke hinter einem Brett versteckt. Bei Plowce wurden sie von Gott für all dies bestraft, aber nun lauern sie beständig auf den Untergang unseres christlichen Reiches und sie werden so lange lauern, bis Gottes Arm sie ganz zerschmettert hat.«

»Bei Plowce sind fast alle Männer meines Stammes zu Grunde gegangen,« erwiderte Zbyszko, »aber ich beklage es nicht, weil Gott dem König Lokietek einen so großen Sieg verliehen hat und zwanzigtausend Deutsche gefallen sind.«

»Du wirst wohl noch größere Schlachten und noch größere Siege erleben!« sagte der Prior.

»Amen!« entgegnete Zbyszko.

Dann kam die Rede auf andere Dinge. Der junge Ritter fragte den Prior nach dem Reliquienhändler, den er unterwegs getroffen hatte, und erfuhr, daß sich viele solche Schwindler auf den Straßen umhertrieben, um leichtgläubige Leute zu bethören. Auch sagte ihm der Prior, durch eine päpstliche Bulle sei den Bischöfen geboten worden, diese Händler zu verfolgen und sofort Gericht über jeden zu halten, der nicht die richtigen Schriften und Siegel aufweisen könne. Weil nun die Zeugnisse jenes Landstreichers dem Prior verdächtig erschienen waren, hatte er ihn der Jurisdiktion des Bischofs überliefern wollen. Würde der Reliquienhändler damals die Echtheit seiner Ablaßzettel bewiesen haben, so wäre er straflos davongekommen, doch er hatte vorgezogen, sich durch die Flucht jeder Verantwortung zu entziehen. Vielleicht hatte er vornehmlich die Verzögerung seiner Reise befürchtet, jedenfalls war er aber durch sein Verschwinden nur noch verdächtiger erschienen.

Als Zbyszko im Begriff stand, sich zu entfernen, lud der Prior ihn ein, im Kloster zu übernachten, allein der Jüngling konnte nicht darauf eingehen. Er wollte an die Schenke eine Tafel hängen lassen, mit einer Herausforderung zum Kampfe »zu Fuß oder zu Pferd« an alle Ritter, welche es bestritten, daß die Jungfrau Danuta, Jurands Tochter, das schönste und tugendhafteste Mädchen im Königreiche sei – und eine solche Herausforderung an die Klosterpforten anzubringen, wäre durchaus nicht thunlich gewesen. Auch verstand sich weder der Prior noch einer der Klosterbrüder dazu, die Herausforderung zu schreiben, wodurch der junge Ritter in große Verlegenheit geriet und nicht wußte, wie er sich Rat schaffen solle. Erst als er die Schenke betrat, kam ihm der Gedanke, sich um Beistand an den Ablaßverkäufer zu wenden.

»Der Prior ist durchaus nicht klar darüber, ob Du ein Taugenichts bist!« erklärte der junge Ritter dem Händler, »denn er sagt: ›Weshalb sollte jener Mann das bischöfliche Gericht fürchten, wenn seine Zeugnisse nicht gefälscht sind‹?«

»Den Bischof fürchte ich auch nicht,« antwortete Sanderus, »sondern einzig nur die Mönche, welche sich nicht auf die Siegel verstehen. Jetzt wollte ich mich nach Krakau begeben, aber ich besitze kein Pferd und muß daher warten, bis mir jemand eines schenkt. Mittlerweile sende ich ein Schreiben ab, auf das ich mein eigenes Siegel drücken will.«

»Ei, wenn Du der Schrift kundig bist, so ist dies ein Beweis, daß Du nicht zu den einfältigen Menschen zählst. Und wie übersendest Du Deinen Brief?«

»Durch irgend einen Pilgrim oder einen fahrenden Bruder. Es wallfahren ja manche Leute ans Grab der Königin nach Krakau.«

»Könntest Du mir nicht die Herausforderung schreiben?«

»Herr, ich will alles, was Ihr verlangt, schreiben – ganz schön und ganz richtig, selbst wenn es auf einem Brette sein müßte.«

»Ein Brett wird am besten sein, weil man es nicht zerreißen kann und es mir auch später von Nutzen sein wird.«

Nach einiger Zeit brachten denn auch die Knechte ein neues Brett herbei und Sanderus begann zu schreiben. Was er schrieb, konnte Zbyszko zwar nicht lesen, gleichwohl befahl er, die Herausforderung sofort an dem Thore zu befestigen und darunter sein Schild aufzuhängen. Die beiden Türken mußten dies abwechselnd bewachen. Wer dann mit der Lanze darauf schlug, gab damit das Zeichen, daß er die Herausforderung annahm.

Indessen schien es in Sieradz offenbar an Leuten zu fehlen, welche an solchen Sachen Gefallen fanden, denn weder an diesem Tage noch am folgenden Morgen erklang der Schild auch nur ein einziges Mal. Etwas niedergeschlagen brach der Jüngling um die Mittagszeit wieder auf.

Bevor er aber Sieradz verließ, kam Sanderus zu ihm und sagte: »Herr, würdet Ihr den Schild in dem Gebiet der preußischen Machthaber heraushängen, so müßte Euch der Knappe schon jetzt die Riemen der Rüstung festziehen.«

»Wie wäre dies möglich! Ein Kreuzritter darf sich ja als Ordensbruder keine Herrin erkiesen, der er in Liebe dient. Dies ist ihm verboten.«

»Ob es ihnen verboten ist, weiß ich nicht, ich weiß nur, daß sie sich auch ihre Herrinnen erwählen. Das ist wahr, daß ein Kreuzritter sich nicht zum Zweikampf stellen kann, ohne Aergernis zu geben, weil er geschworen hat, daß er, gemeinschaftlich mit allen andern, nur für den Glauben kämpfen werde. Außer den Ordensbrüdern halten sich aber auch fremde weltliche Ritter dort auf, welche den preußischen Herren stets zu Hilfe kommen. Die warten nur auf eine Gelegenheit, sich mit irgend jemand im Kampfe zu messen, und besonders die französischen Ritter zeigen immer Lust dazu.«

»Traun! Ich habe sie bei Wilna gesehen und will’s Gott, werde ich sie auch in Marienburg sehen. Die Pfauenbüsche an den Helmen der Ritter muß ich erobern, denn ich habe es gelobt, verstehst Du?«

»Kauft mir zwei oder drei Tropfen von dem Schweiße ab, den der heilige Georg beim Kampfe mit dem Drachen vergossen hat. Mehr als alle andern ist einem Ritter diese Reliquie von Nutzen. Gebt mir dafür das Pferd, auf dem ich hierherritt, wie Ihr befahlt, dann lege ich Euch auch noch einen Ablaßzettel für das Christenblut hinzu, welches Ihr im Kampfe vergießen werdet.«

»Laß mich in Frieden, sonst werde ich böse. Von Deiner Ware werde ich nichts nehmen, ehe ich weiß, daß sie echt ist.«

»Nun, Herr, wie Ihr gesagt habt, begebt Ihr Euch ja an den masovischen Hof zum Fürsten Janusz. Fragt also dort darnach, wie viele Reliquien mir abgekauft wurden – auch von der Fürstin selbst – und von den Rittern und von den Jungfrauen bei den Hochzeiten, denen ich angewohnt habe.«

»Bei welchen Hochzeiten?« fragte Zbyszko.

»Vor dem Advent finden ja immer viele statt. Und ein Ritter nach dem andern vermählte sich, denn die Leute sprechen davon, daß ein Krieg zwischen dem polnischen König und den preußischen Herren aus dem Gebiete von Dobrzyn ausbrechen werde. Da sagt sich denn mancher: ›Gott weiß, ob ich am Leben bleibe!‹ und deshalb will er zuvor im glücklichen Besitz seines Weibes sein.«

Die Kunde von dem Kriege machte einen tiefen Eindruck auf Zbyszko, aber noch tieferen Eindruck machte das, was Sanderus von den verschiedenen Ehebündnissen berichtet hatte. Daher fragte er: »Welche Mägdlein sind es, die sich vermählt haben?«

»Hoffräulein der Fürstin. Ich weiß nicht, ob ein einziges übrig geblieben ist, denn ich hörte, wie die Fürstin sagte, sie müsse sich neue zu ihren Diensten heranziehen.«

Als Zbyszko dies hörte, schwieg er eine Weile, dann aber fragte er abermals mit ganz veränderter Stimme: »Und hat sich die Jungfrau Danuta, Jurands Tochter, deren Namen auf der Tafel steht, auch vermählt?«

Sanderus zauderte mit der Antwort, erstens deshalb, weil er nichts sicher wußte, und zweitens, weil er sich sagte, wenn er den Ritter in Ungewißheit lasse, werde er ein gewisses Uebergewicht über ihn erlangen und könne ihn dadurch besser ausnützen. Längst schon hatte er bei sich erwogen, ob er sich nicht zu diesem Kämpen halten solle, dessen Wohlhabenheit nicht nur das ansehnliche Gefolge, sondern auch das ganze Auftreten verriet. Sanderus verstand sich auf das Gefolge und auf die Ausrüstungen der Ritter. Die große Jugend Zbyszkos schien ihm auch eine Gewähr dafür zu leisten, daß sich dieser sehr freigebig erweisen und mit dem Gelde leicht um sich werfen werde. Dafür bürgten ja auch die kostbare Mailänder Rüstung und die mächtigen Kriegsrosse, die der erste beste nicht besitzen konnte. Demzufolge kam er daher zu der Ueberzeugung, das Anschließen an ein solches Herrlein werde ihm sowohl Gastfreundschaft auf den Höfen verschaffen, wie Sicherheit auf den Wegen bieten, und ihm mehr als eine Gelegenheit zum günstigen Verkaufe des Ablasses verbürgen, ganz abgesehen von dem reichlichen Essen und Trinken, um was es ihm ja vor allem zu thun war.

Als er daher Zbyszkos Frage vernahm, runzelte er zuerst die Stirne, zog die Brauen in die Höhe, als ob ihn das Denken anstrenge, und erwiderte erst dann in wichtigem Tone: »Das Jungfräulein Danusia, Jurands Tochter … Woher ist sie denn?«

»Jurands Tochter, Danusia, ist aus Spychow.«

»Ich habe wohl alle gesehen, aber gerade derer, nach welcher Ihr fragt, kann ich mich nicht erinnern.«

»Ein gar junges Ding ist sie noch, und sie spielt die Laute und singt zur Ergötzung der Fürstin.«

»Aha, ein gar junges Ding ist sie noch, und auf der Laute weiß sie zu spielen! Gar viele junge Dinger habe ich gesehen. Ist sie nicht dunkel wie Achat?«

Zbyszko holte tief Atem.

»Nein, das ist sie nicht! Die, welche ich meine, hat zart gerötete Wangen, ist weiß wie Schnee und blond.«

Darauf erwiderte Sanderus: »Die eine, die dunkle, ist bei der Fürstin geblieben, all die andern aber sind schon Eheweiber geworden.«

»Du sagtest aber doch, Du habest ›fast alle‹ gesehen, nicht nur eine einzige. Beim allmächtigen Gotte, Du willst wohl, daß ich Dein Gedächtnis durch irgend etwas auffrische!«

»Laß mir nur drei oder vier Tage Zeit, dann werde ich mir alles wieder in die Erinnerung rufen können – am liebsten aber hätte ich ein Pferd, damit es die geweihte Ware trage, mit der ich handle.«

»Das sollst Du bekommen, so Du die Wahrheit sprichst.«

Jetzt ließ sich aber der Böhme, welcher diesem Gespräch von Anfang an zugehört hatte, verächtlich lächelnd, also vernehmen: »Die Wahrheit wird an dem masovischen Hofe zu Tage kommen.«

Sanderus schaute den Sprechenden einen Augenblick an, dann sagte er: »Glaubst Du denn, ich fürchte mich vor dem masovischen Hofe?«

»Ich behaupte nicht, daß Du Dich vor dem masovischen Hofe fürchtest, ich sage Dir nur eins: weder sofort, noch in drei Tagen, wirst Du Dich auf dem Pferde aus dem Staube machen, und zeigt es sich, daß Du lügst, dann kommst Du auch nicht auf den eigenen Füßen davon, denn dann läßt sie Dir Seine Gnaden entzwei brechen.«

»So wahr ich lebe!« rief Zbyszko.

Sanderus sagte sich sofort, unter solchen Umständen sei es am besten, recht vorsichtig zu sein, und warf daher ein: »Wenn ich lügen wollte, hätte ich sofort erklärt: die ist längst vermählt, oder: die ist noch nicht vermählt. Was habe ich aber geantwortet? Ich sagte nichts als: ich erinnere mich ihrer nicht. Wenn Du daher Verstand hättest, würde Dir meine Antwort ein Beweis für meine Tugend sein.«

»Mein Verstand hat mit Deiner Tugend nichts Gemeinsames. Selbst ein Hund zeichnet sich zuweilen durch irgend eine Tugend aus.«

»Wenn Du meine Tugend schmähst, schmähst Du Deinen Verstand; wer aber im Leben die andern anknurrt, der heult gar häufig nach dem Tode.«

»Ganz gewiß. Aus Tugend wirst Du freilich nach dem Tode nicht heulen, sondern höchstens knirschen, vorausgesetzt, daß Du Deine Zähne nicht schon zu Lebzeiten im Dienste des Teufels eingebüßt hast.«

So zankten sich die beiden eine geraume Zeit hindurch, denn Hlawa hatte eine gewandte Zunge und blieb dem Deutschen keine Antwort schuldig. Zbyszko erteilte indessen den Befehl zum Aufbruch, und unverzüglich setzten sich alle in Bewegung, nachdem sie zuvor bei erfahrenen Leuten den Weg nach Leczyc erfragt hatten. Nicht weit von Sierads gelangten sie in dichte, finstere Wälder, die eine große Strecke Landes bedeckten. Aber inmitten derselben kamen sie auf eine Heerstraße, welche teilweise frisch aufgeschüttet, teilweise an schadhaften Stellen durch Einrammung runder Pfähle fahrbar gemacht worden war, Einrichtungen, die noch aus der Regierungszeit des Königs Kasimir herrührten. Wohl wurden nach seinem Tode, während der wilden Streitigkeiten der Naleczy und der Grzymalitezye die Landstraßen schlimm verheert, allein unter der friedfertigen Herrschaft Jadwigas regten sich wieder allenthalben geschickte Hände, die in den Sümpfen Spaten und Schaufel, in den Wäldern die Axt führten. Noch vor Ende ihres Lebens leitete der Kaufmann seine Frachtwagen von einer bedeutsamen Stadt zur andern, ohne die Angst hegen zu müssen, sie könnten in einen Graben stürzen oder im Sumpfe stecken bleiben. Wohl mochte man von wilden Tieren oder von Räubern auf den Fahrten überfallen werden, allein gegen die Bestien schützten bei Nacht die Pechpfannen, bei Tag die Armbrust, und Ueberfälle von Räubern waren weit seltener als in den angrenzenden Ländern. Was hatte daher der zu fürchten, welcher bewaffnet und mit einem Gefolge reiste?

Zbyszko empfand auch weder vor Räubern noch vor gewappneten Rittern die geringste Angst, er dachte nicht einmal an sie; ihn beunruhigten ganz andere Dinge – seine Gedanken weilten an dem masovischen Hofe. Befand sich Danusia noch am Hofe der Fürstin, war sie vielleicht schon das Weib irgend eines masovischen Ritters geworden, darüber grübelte er, diese Fragen beschäftigten ihn vom frühen Morgen bis in die späte Nacht. Zuweilen dünkte es ihm unglaublich, daß sie seiner vergessen habe – gleich darauf kam es ihm aber dann wieder in den Sinn, daß vielleicht Jurand aus Spychow sich an den Hof begeben und die Tochter mit irgend einem Nachbarn oder Freund verheiratet habe. Hatte dieser denn nicht schon in Krakau erklärt, Danusia werde ihm, Zbyszko, niemals angehören, ließ sich daher aus dieser Erklärung nicht darauf schließen, daß sich Jurand durch einen Eid gebunden, daß er sein Versprechen eingelöst hatte? Je mehr Zbyszko über diese Vorgänge grübelte, desto klarer wurde ihm eins: er werde Danusia nicht mehr als Mädchen antreffen. Und stets von neuem rief er dann Sanderus zu sich, um ihn auszuforschen, um ihn zu befragen. Aber dieser erhöhte durch seine Aussprüche nur noch die Spannung. Bald versicherte er, sich der Tochter Jurands und ihrer Hochzeit zu erinnern – bald steckte er den Finger in den Mund, sann und sann und meinte schließlich: »Möglich, daß es auch eine andere gewesen ist.« Selbst der Wein, der, wie er behauptete, stets sein Gedächtnis stärkte, blieb dieses Mal ohne Wirkung, der Händler erinnerte sich an nichts, und er hielt fortwährend den jungen Ritter zwischen tödlicher Furcht und Hoffnung.

Zur Einführung.

W Wenn man die Werke des großen polnischen Romanciers in ihrer chronologischen Ordnung überblickt, und dabei die in den Jahren 1884 bis 1888 entstandene Roman-Trilogie »Mit Feuer und Schwert«, »Sturmflut« und »Pan Wolodyjowski« als eine geschlossene Schöpfung betrachtet, so wird man gestehen müssen, daß Sienkiewicz in Bezug auf Stoffwahl und Behandlungsart eine geradezu überraschende Verwandlungsfähigkeit besitzt. Denn nachdem er 1880 mit der chronikalischen Erzählung »Tatarische Gefangenschaft« sich zum erstenmal an geschichtliche Stoffe herangewagt und hierauf mit der genannten Trilogie einen großartigen Befähigungsnachweis geliefert hatte, machte er in dem 1890 erschienenen Roman »Ohne Dogma« einen Riesenschritt aus den wilden, kraftstrotzenden Kriegszeiten des 17. Jahrhunderts mit ihren Kosaken- und Schweden-Kämpfen mitten in die nervenschwache Dekadenzepoche des ausgehenden 19. Jahrhunderts und schuf so nacheinander den besten historischen Roman und den besten psychologischen Roman aus der Gegenwart, den die Litteratur seines Volkes kennt. Größere Gegensätze, als diese beiden Werke, sind kaum denkbar. Im Jahre 1894 erschien der Roman »Die Familie Polaniecki«, dessen Abstand von dem vorhergehenden zwar nicht so groß ist, da er nur eine andere, gesündere Spielart des modernen Menschen vorführt und den Rahmen des zeitgenössischen Gesellschaftbildes erweitert zeigt, dafür aber bringt schon das nächste Jahr wieder ein neues protensartiges Kunststück und einen überraschenden Beweis von dem außerordentlichen historischen Sinn und der dichterischen Intuitionskraft Sienkiewicz‘. Denn der im Zeitalter Neros spielende Roman » Quo vadis?« ist in gewissem Betracht eine geniale historische Transskription des modernen Themas in »Ohne Dogma«, indem wir hier den überfeinerten und vergrübelten Kulturmenschen der Gegenwart, dort den typischen Vertreter des dekadenten Heiden- und Römertums vor uns haben. In beiden Romanen ist die Darstellung der kompliziertesten Lebens- und Seelenvorgänge, der verfeinertsten Instinkte und Stimmungen so meisterhaft und der Inhalt, wie man fast glauben muß, so dem eigenen Lebensinhalt und Wesen des Dichters selbst verwandt, daß es schwer zu fassen ist, wie er nun abermals den Sprung rückwärts in die Darstellung primitiverer Gefühlsweisen mit solchem Glück unternehmen konnte, wie es in seinem neuesten Roman » Die Kreuzritter« der Fall ist.

Der Stoff zu diesem Roman, oder sagen wir besser, die geschichtlichen Bedingungen, die besonderen Situationen und das Zeitkolorit sind der Geschichte des polnischen Volkes im 15. Jahrhundert entnommen, dem Zeitalter des Königs Wladislaw II. und seiner Gemahlin, der hl. Hedwig 1, einer Tochter des Königs Ludwig von Ungarn und Polen. Die Epoche ist eine der glänzendsten in der Geschichte des Landes, und ihr Ruhm gipfelt in den siegreichen Kämpfen der unter Wladislaw II. vereinigten litauischen und polnischen Stämme gegen die Ritter des hohen Deutschen Ordens.

Der Deutsche Orden, der ähnlich dem älteren Johanniter- und Templerorden in den Tagen der Kreuzzüge aus einem ursprünglichen Hospitalorden sich allmählich zu einem Ritterorden mit dem Zweck der Bekämpfung der Ungläubigen entwickelt hatte, verlegte im Jahre 1309 seinen ehemals in Venedig gelegenen Ordenshauptsitz nach Marienburg an der Nogat. War ihm die europäische Kultur für seine ausgedehnte und einschneidende Wirksamkeit schon lange Dank schuldig, so genoß nunmehr auch das preußische Ordensland längere Zeit hindurch die Früchte des kulturfördernden Wirkens der »Kreuzritter«. Sowohl als deutsche Vormacht gegen die vordringenden Stämme des Nordens und Ostens, wie als Förderer des Handels, der Kunst und Wissenschaft hat der Orden sich bleibende Verdienste erworben. Aber diese Blüte des Ritterstaates begann schon nach wenigen Jahren zu welken. Eine »unleidliche Eroberungssucht« 2 führte zu langwierigen und erbitternden Kämpfen mit den Litauern und Polen, bis sich der Orden, nach der für ihn unglücklichen Schlacht bei Tannenburg (1410), völlig erschöpft hatte. Das Verhältnis der »Kreuzritter« und ihrer östlichen Grenznachbaren zu einander war allmählich durch eine Reihe von gegenseitig verübten Gewaltthätigkeiten, Racheakten und Verrätereien unhaltbar geworden. Dazu kam, daß der Orden, durch die unter dem Großfürsten Jagiello, dem späteren König Wladislaw II. von Polen, vollzogene Christianisierung Litauens, sich die Grundlagen seiner Existenzberechtigung entzogen sah. Seine Aufgabe war der Kampf gegen Ungläubige gewesen, die es nun nicht mehr gab. Jagiello wurde im Gegenteil ein Schützling des Papstes und konnte von jetzt ab mit vollem Recht die Einmischung des Deutschen Ordens in seine inneren Angelegenheiten als unberechtigt zurückweisen. Das war für den Orden eine heikle Situation, über die sich viele seiner Mitglieder dadurch hinwegsetzten, daß sie die Bekehrung der heidnischen Litauer nicht ernst nahmen. Nun ist es ja allerdings richtig, daß bei vielen Litauern die Bekehrung eine bloß äußerliche war, und die Gebräuche und Sitten der Heiden bei dem ohnehin zum Aberglauben neigenden Sinn des litauischen Volkes fortbestanden. Wenn jedoch auch die Deutschordensritter sich dem Urteil der russischen Schismatiker anschlossen, die aus Verdruß darüber, daß Jagiello die Ehen zwischen schismatisch-griechischen und römischen Christen verboten hatte, die Litauer Heiden nannten, und wenn sie vor allem geringschätzig fragten, was denn überhaupt Jagiello für das Christentum gethan hätte, so war dies in hohem Grade ungerecht und mußte die zwischen den Kreuzrittern und den Litauern ohnehin bestehende Feindschaft nur noch verstärken. »Nicht ganz mit Unrecht, so sagt Schrödl in Welter und Wetzes »Kirchenlexikon« (6. B. Sp. 1264, Freiburg 1889), erwiderte hierauf Jagiello, solche Vorwürfe könne man eher den Deutschen Rittern machen, denn sie hätten seit fünf Jahren für die Bekehrung der Samaiten nichts gethan und bekümmerten sich auch sonst vorzüglich nur um ihre zeitliche Herrschaft; dagegen habe er in Litauen Kathedralen und viele Parrochien und Konventualkirchen errichtet und fundiert; die christliche Religion werde von den Neubekehrten in lobenswerter Weise geübt, es gebe übrigens auch in Preußen noch Aberglauben genug, kännte er jedoch diejenigen seiner Unterthanen gewiß, die nur Scheinchristen wären und heidnischem Aberglauben anhingen, so würde er es ihnen nicht hingehen lassen; im übrigen trage gerade der Deutsche Orden die meiste Schuld daran, wenn für die Sache des Christentums noch viel zu wünschen übrig bleibe, denn nie habe ihm der Orden Ruhe gelassen, um der Förderung der christlichen Religion noch erfolgreicher obliegen zu können.«

Als der Dominikaner Johann von Falkenberg auf Anstiften und im Interesse des Deutschen Ordens Mord und Empörung gegen die polnische Nation und Jagiello predigte, wandte sich dieser (1416) mit einer Beschwerde an das Konzil von Konstanz, das die Schrift Falkenbergs mit großer Entrüstung verwarf. 3 Von nun ab begann Ansehen und Einfluß des Ordens rasch zu sinken; er verlor 1457 durch Verrat der eigenen Leute sogar Marienburg und verlegte den Hochsitz nach Königsberg, woselbst der Hochmeister Albrecht von Brandenburg und mit ihm viele Ordensritter offen zum Protestantismus übertraten. Durch listige und gewaltsame Förderung und Einführung der neuen Lehre in seinen Landen wurde der Orden schließlich seinem ursprünglichen Zweck völlig entfremdet.

Zu dem Zeitpunkt, in welchem Sienkiewicz uns die »Kreuzritter« vorführt, waren nicht nur Ruhm und Macht des Ordens schon stark im Niedergang begriffen, sondern auch die Disciplin und der ritterliche Geist von ehedem hatten in den ewigen Fehden große Einbuße erlitten. In den Prophezeiungen der hl. Birgitta von Schweden (1302-72) werden dem Orden deshalb schwere Vorwürfe gemacht und sein Schicksal drohend vorausverkündet. So stimmt das Urteil der Geschichte und hervorragender Zeitgenossen über die Kreuzritter aus jener Zeit mit dem Urteil des polnischen Autors, wie es in der Darstellung konkrete Gestalt angenommen hat, im wesentlichen überein, mag Sienkiewicz auch, wie übrigens leicht begreiflich, eine gewisse Einseitigkeit der national-polnischen Stimmung und Auffassung nicht völlig überwunden haben.

Die Handlung unseres Romans setzt um das Jahr 1399 ein. Die Königin Hedwig, eine Tochter des Königs Ludwig von Ungarn, seit 1386 in kinderloser Ehe mit Jagiello verbunden, sieht zum erstenmal einem für ihr eheliches Glück und die Zukunft des neuen Königreiches hochbedeutsamen Ereignis entgegen. Die Kunde davon ist weit in die Lande gedrungen, und Tausende froher Menschen strömen schon seit Tagen und Wochen in dem festlich gestimmten Krakau zusammen.

Unter den Ankömmlingen befinden sich auch zwei Ritter, Macko von Bogdaniec und dessen Neffe Zbyszko (sprich Sbisko), die in dem Wirtshause in Tyniec mit der masovischen Fürstin Anna Danuta zusammentreffen. Hier begegnet Zbyszko der lieblichen Danusia, einer Tochter des grimmen Jurand von Spychow, um deretwillen er mit den Kreuzrittern in ernste, spannende Verwicklungen und Abenteuer hineingerät. Diese Verwicklungen und Abenteuer nehmen das Hauptinteresse des Romans in Anspruch, während die großen geschichtlichen Wandlungen zwar kräftig und bildmäßig in die Erscheinung treten, aber doch in der Hauptsache nur die Bedingungen abgeben, unter denen die planvoll angelegte Handlung ihren Verlauf nimmt. Sienkiewicz ist eben nicht nur ein mit dem poetischen Handwerkszeug keck ausgerüsteter Geschichtserzähler, sondern eine von den feinsten historischen Instinkten geleitete Künstlernatur. Anstatt geschichtlicher Belehrung über Staatsaktionen und Lebensumstände hervorragender Persönlichkeiten, wodurch der historische Roman eine Zeit lang in gerechten Verruf gekommen, giebt er somit nur historisch bedingte Menschenschicksale und Einzelerlebnisse auf der möglichst echten Grundlage einer gegebenen Zeit und höchstens in Anlehnung an markante Begebenheiten.

So kommt es, daß man zum Genuß und Verständnis seiner Schöpfungen keiner besonderen historischen Kenntnisse bedarf. Die notwendigen Voraussetzungen erfährt der Leser aus dem natürlichen Gang der Handlung, und dem übrigen folgt er mit jener schlicht menschlichen Teilnahme und jenem künstlerischen Genießen, die an kein Kopfwissen und an keine geschichtliche Gelehrsamkeit gebunden sind.

Karl Muth.

 

  1. Vergl. die Fußnote auf Seite 112.
  2. Vergl. Wetter und Welte’s Kirchenlexikon, Bd. 3, Sp. 1595. Freiburg, 1884.
  3. Vergl. ebend. Bd. 6, Sp. 1205

Fünftes Kapitel.

Am Tage nach ihrer Ankunft in Bogdaniec hielten Macko und Zbyszko Umschau auf ihrem alten Besitztum und überzeugten sich binnen kurzem, daß Zych aus Zgorzelic recht gehabt hatte, als er behauptete, daß sie anfänglich mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen haben würden.

Mit der Bewirtschaftung des Feldes ging es noch einigermaßen. Mehrere Hufen Ackerlandes waren von den früher ansässigen Bauern oder von den durch den Abt neu angesiedelten bebaut worden. Dereinst pflegten in Bogdaniec weit größere Länderstrecken bestellt zu sein, allein seit der Zeit, in welcher durch die Schlacht bei Plowce das Geschlecht der »Grade« fast gänzlich vernichtet worden war, fehlte es an Arbeitskräften, und nach den Einfällen der Deutsch-Schlesier, sowie nach den Kämpfen der Grzymaliten mit Naleczy entstanden auf den ehemals so fruchtbaren Gefilden von Bogdaniec zum größten Teile Wälder. Macko war dem allem ratlos gegenüber gestanden. Vergeblich hatte er Jahre hindurch versucht, freie Bauern aus Krzesnia herbeizuziehen. Diese zogen es aber vor, auf ihrem eigenen »Hufen« zu sitzen, statt fremden Ackerboden zu bestellen. Mit einigen heimatlosen Leuten war es ihm indessen besser gelungen, aus verschiedenen Kriegen hatte er auch Gefangene mitgebracht, die sich Weiber nahmen, die sich Hütten bauten – und auf diese Weise entstand aufs neue ein Dorf. So schwer war ihm dies aber alles geworden, daß Macko sofort ganz Bogdaniec verpfändete, sobald sich ihm die Gelegenheit dazu bot. Dabei ging er auch von zwei Voraussetzungen aus. Dem mächtigen Abte, so rechnete er, würde es erstens leichter fallen, das Land zu bebauen als ihm, und zweitens konnte er mittlerweile gemeinsam mit Zbyszko im Kriege Geld und Beute gewinnen. Der Abt wirtschaftete mit großer Umsicht. Die Arbeitskräfte in Bogdaniec vermehrte er um fünf Bauernfamilien, den Viehstand und die Zahl der Pferde vergrößerte er, und ließ nicht nur Speicher, sondern auch Vieh- und Pferdeställe aus Reisig errichten. Dagegen kümmerte der Abt sich nicht viel um die Gebäude, da er nur selten in Bogdaniec weilte, und Macko, der zuweilen geglaubt hatte, er werde bei seiner Heimkehr die Burg mit Wällen und Gräben umzogen finden, traf alles so an, wie es bei seinem Weggange gewesen war, vielleicht höchstens mit dem Unterschiede, daß einige der Pfeiler etwas schief standen, daß die Mauern niedriger erschienen, weil sie sich ein wenig gesenkt hatten.

Der Herrenhof bestand aus einer ungeheuern Halle, zwei geräumigen Stuben, aus Kammern und aus einer Küche. In den Stuben waren Fenster aus Schweinsblase, in der Mitte einer jeden, aus dem aus Lehm gebildeten Fußboden, standen Feuerherde, deren Rauch durch eine Spalte in der Decke seinen Ausgang fand. Diese völlig geschwärzte Decke diente in besseren Zeiten gewöhnlich auch als Rauchkammer, denn an den in das Gebälk geschlagenen Haken hingen dann Schweinskeulen, Keulen von Wildschweinen, von Bären, Elentieren, Hirsch- und Rehrücken, das Hinterteil von Ochsen und ganze Reihen Würste. In Bogdaniec freilich waren diese Haken jetzt leer, leer waren auch die in die Wände eingelassenen hölzernen Schäfte, auf welchen in andern »Höfen« Schüsseln aus Zinn oder Thon zu stehen pflegten. Nur die Wände unter den Schäften waren nicht mehr kahl, weil auf Zbyszkos Befehl hin die Leute sowohl die Panzer wie die Helme, kurze und lauge Schwerter daran aufgehängt hatten, nicht zu vergessen die Piken, die Bogen, die Lanzen, die Schilde, die Wappen und die Pferdedecken. Wohl mochte der Rauch nun mit der Zeit die Waffen schwärzen, so daß es häufiger nötig ward, sie zu putzen, aber dagegen hatte man sie auch rascher zur Hand, und der Wurm konnte dem Holze an den Lanzen, den Bogen und den Beilen nichts anhaben. Die kostbaren Gewänder ließ der fürsorgliche Macko jedoch in die Kammer bringen, in der er schlief.

In den vorderen Stuben standen in der Nähe der Fenster Tische aus Fichtenholz gezimmert und ebensolche Bänke, auf denen sich die Herren und die Knechte gemeinsam zum Speisen niederließen. Wenn nun aber auch die Leute durch die langen Kriegsjahre jede Bequemlichkeit entbehren gelernt hatten, gebrach es doch in Bogdaniec an Brot, Mehl und an den verschiedenen andern Vorräten, vornehmlich aber auch an Geschirr. Die Bauern trugen freilich herbei, was in ihren Kräften stand; außerdem rechnete Macko darauf, daß ihm die Nachbarn behilflich sein würden – und er täuschte sich nicht, wenigstens nicht in Betreff von Zych aus Zgorzelic.

Am Tage nach der Heimkehr saß der alte Edelmann just auf einen Baumstumpf vor dem Hause, um das herrliche Herbstwetter zu genießen, als Jagienka mit Wangen wie ein rotbäckiges Aepfelchen auf ihrem Rappen in den Vorhof sprengte. Ein Knecht, der in der Nähe des Zaunes Holz spaltete, wollte ihr vom Pferde helfen, allein sie sprang wie der Blitz zur Erde und eilte, ein wenig atemlos von dem schnellen Ritte, auf Macko zu.

»Gelobt sei Jesus Christus! Ich bringe Euch Grüße vom Vater, der sich nach Eurer Gesundheit erkundigen läßt.«

»Nicht besser ist es mir, als es mir unterwegs ging,« antwortete Macko, »allein man schläft doch in seinen eigenen vier Wänden.«

»Ihr müßt aber ja große Beschwerden leiden, und ein Kranker bedarf der Pflege.«

»Wir sind hart gewöhnt. Freilich im Anfange muß man jeder Bequemlichkeit entbehren, allein es fehlt auch an Nahrungsmitteln. Ich gab indessen Befehl, einen Ochsen und zwei Schafe zu schlachten, dann haben wir genug Fleisch. Die Frauen der Bauern brachten übrigens Mehl und Eier, doch immerhin nur wenig, und vor allem gebricht es uns an dem gewöhnlichsten Geräte und Geschirr.«

»Zwei Wagen ließ ich für Euch voll laden. Auf dem einen kommen Polster für Euch beide zum Schlafen, Geräte und Geschirr, auf dem andern allerlei Nahrungsmittel. Und was habe ich nicht alles für Euch bestimmt! Fladen und Mehl, und Speck, und getrocknete Pilze, und ein Fäßchen Bier, und Honig, kurz, von allem, was wir im Hause haben, erhaltet Ihr etwas.«

Macko, dem jede Zufuhr willkommen war, streckte die Hände aus, strich Jagienka über das Haar und sagte: »Gott lohne es Dir und Deinem Vater. Sobald die Wirtschaft wieder in gutem Stande ist, geben wir alles zurück.«

»Was fällt Euch denn ein!«

»Nun, so möge Euch Gott reichlich dafür lohnen. Der Vater erzählte mir, wie gut Du zu wirtschaften verstehst. Du herrschst nun fast ein Jahr allein über Zgorzelic.«

»Je nun! Wenn Euch noch irgend etwas nötig ist, schickt jemand, jedoch nur einen, der weiß, um was es sich handelt, denn das ist doch thöricht, daß bisweilen ein Abgesandter kommt und nicht weiß, weshalb er geschickt wird.«

Nach diesen Worten sah Jagienka etwas zaghaft umher, und Macko, der dies bemerkte, fragte lächelnd: »Nach wem schaust Du umher?«

»Nach keinem Menschen.«

»Ich sende Zbyszko zu Euch. Er möge Zych und Dir in meinem Namen danken. Gefällt Dir Zbyszko? Wie?«

»Ei, ich habe ihn noch nie angesehen.«

»So thue das jetzt, denn just kommt er.«

In der That kam Zbyszko von der Tränke, zu der die Pferde geführt worden waren, zurück und verdoppelte seine Schritte, als er Jagienka gewahr wurde. In ein Gewand von Elentierhaut gekleidet, eine runde Mütze auf dem Haupte, wie sie unter dem Helme getragen zu werden pflegte, mit über der Stirn gerade geschnittenen, in goldenen Ringeln frei über die Schulter herabwallenden Haaren, die von keiner Netzhaube gehalten wurden, näherte er sich dem jungen Mädchen hoch aufgerichtet, stattlich, einem Schildknappen aus edlem Hause zu vergleichen. Jagienka wich unwillkürlich zu Macko zurück, wie um zu zeigen, daß sie nur zu ihm gekommen sei, allein Zbyszko begrüßte sie fröhlich, ergriff ihre Rechte und führte diese trotz des ihm geleisteten Widerstandes an die Lippen.

»Weshalb küßt Ihr mir die Hand?« fragte sie. »Bin ich denn ein Diener des Herrn?«

»Wehrt Euch nicht, das ist nun so einmal der Brauch.«

»Und selbst wenn er Dir auch noch die andere Hand küßte,« warf Macko ein, »wäre es nicht zu viel für das, was Du gebracht hast.«

»Was brachte sie denn?« rief Zbyszko, der, trotzdem er seine Blicke umherschweifen ließ, nichts sah, als das Mädchen und dessen an dem Zaune festgebundenen Rappen.

»Die Wagen sind noch nicht eingetroffen, aber sie kommen,« entgegnete Jagienka.

Nun begann Macko aufzuzählen, was ihnen alles zugeschickt werde, als er indessen die beiden Polster erwähnte, erklärte Zbyszko: »Wenn ich auch gern auf gereinigten Häuten liege, danke ich Euch doch, daß Ihr meiner gedacht habt.«

»Nicht ich that dies, sondern der Vater,« bemerkte Jagienka errötend. »Wenn Ihr aber lieber auf Häuten, als auf Polstern schlaft, so thut Euch keinen Zwang an.«

»Ich ziehe Häute vor. Mehr als einmal pflegte ich im Kriege, nach einem Kampfe, einen erschlagenen Kreuzritter unter dem Kopfe zu haben, wenn ich schlief.«

»Wenn Ihr aber einmal von den Kreuzrittern getötet werdet? Seid Ihr denn sicher, daß dies nie geschieht?«

Statt aller Antwort lachte Zbyszko laut auf, Macko aber entgegnete: »Danke dem Schöpfer, Mädchen, daß Du ihn nicht kennst! Nichts, nichts hat er gethan, als auf die Deutschen eingehalten, daß es nur so sauste. Mit der Lanze, mit dem Schwerte, mit allem möglichen schlug er zu, und wenn er nur einen Kreuzritter von weitem erblickte, stürzte er sich auf ihn, selbst wenn man ihn mit aller Gewalt zurückhalten wollte. Vor Krakau band er sogar mit dem Gesandten Lichtenstein an, und es hätte nicht viel gefehlt, so wäre er deshalb um seinen Kopf gekommen. So ist dieser Bursche! Und von zwei Friesen kann ich Dir erzählen, von denen wir so viel Knechte und Beute gewonnen, daß wir mit der Hälfte Bogdaniec auslösen könnten.«

Ausführlich schilderte nun Macko den Kampf mit den Friesen und kam dann auf andere Abenteuer, die sie bestanden, auf andere Thaten, die sie ausgeführt hatten, zu sprechen. Er berichtete, wie sie sowohl innerhalb der Wälle wie auf offenem Felde mit den hervorragendsten Rittern aus den entferntesten Ländern zusammengestoßen waren. Was erzählte er nicht alles! Sie kämpften mit Deutschen, sie kämpften mit Franzmännern, sie kämpften mit Engländern und mit Burgundern. So stürmisch ging es gar häufig in dem Streite zu, daß Pferde, Leute, Waffen und die Deutschen mit ihren Federbüschen geradezu einen einzigen Knäuel zu bilden schienen. Und was sie nicht alles gesehen hatten! Schlösser der Kreuzritter mit roten Ziegeldächern, litauische Burgen, aus Holz erbaut, Kirchen, wie es um ganz Bogdaniec keine gab, Städte und ungeheure Wüsteneien mit ihren Heidentempeln, durch die des Nachts der Wind heulte, und viele, viele andere Herrlichkeiten. Wo es aber auch zum Kampfe gekommen sein mochte, hei, da war Zbyszko stets der erste gewesen, ihn hatten die berühmtesten Ritter bewundert.

Auf dem Baumstumpfe neben Macko sitzend, lauschte Jagienka mit offenem Munde dieser Erzählung, indem sie ihr Köpfchen, gerade als ob es in einer Schraube wäre, bald zu Macko bald zu Zbyszko drehte. Auf dem jungen Ritter aber ruhten ihre Blicke stets mit der größten Bewunderung. Als Macko schließlich zu Ende gekommen war, atmete sie tief auf und rief: »Daß doch Gott einen solchen Menschen erschaffen hat!«

Zbyszko aber, der während der ganzen Erzählung das junge Mädchen fast forschend betrachtet hatte, dachte augenscheinlich jetzt an etwas ganz anderes, denn er rief mit einem Male: »Und auch ein so schönes Mädchen!«

Darauf erwiderte Jagienka halb ärgerlich, halb schmerzlich: »Ihr seid viel schöner als ich.«

Ohne sich indessen einer Lüge schuldig zu machen, konnte ihr Zbyszko erwidern, daß er noch nicht viele gesehen habe, die sich ihr vergleichen ließen, war doch Jagienka das Bild von Jugend, Gesundheit und Kraft. Der alte Abt pflegte nicht mit Unrecht zu sagen, sie sei schön wie die Holderblüte und schlank wie die Tanne.

Und schön war alles an ihr: ihre schlanke Gestalt, die breiten Schultern, die roten Lippen, die blauen, scharfblickenden Augen. Sie war auch weit sorgfältiger gekleidet als damals im Walde, ihren Hals schmückten rote Perlen, sie trug ein grünes, mit Pelz gefüttertes, nach vorn geöffnetes Obergewand, mit einem Unterkleid aus gestreifter Leinwand, ihre Füße staken in neuen Schuhen. Sogar dem alten Macko fiel die prächtige Kleidung auf, und indem er das junge Mädchen aufmerksam betrachtete, fragte er: »Weshalb hast Du Dich geschmückt wie zum Kirchgange?«

Statt jeder Antwort rief sie aber: »Die Wagen kommen, die Wagen kommen!«

Kaum waren diese vorgefahren, sprang sie darauf zu, und Zbyszko folgte ihr. Das Abladen währte bis Sonnenuntergang, zur großen Genugthuung Mackos, der jeden einzelnen Gegenstand persönlich in Augenschein nahm und für jeden Jagienka aufs neue pries. Es dämmerte schon vollständig, als das junge Mädchen sich zum Weggehen anschickte. Das Pferd ward vorgeführt, und ehe sie auch nur ein Wort des Widerspruchs erheben konnte, hatte Zbyszko sie umfaßt und in den Sattel gehoben. Eine tiefe Röte überzog ihr Antlitz, sie wendete sich von ihm ab und sagte mit einer etwas gepreßten Stimme: »Was seid Ihr für ein kräftiger Bursche!«

Er hingegen, der durch die Dunkelheit weder ihr Erröten, noch ihre Verlegenheit zu bemerken schien, lächelte fröhlich und fragte: »Fürchtet Ihr Euch nicht vor wilden Tieren? Es ist ja schon Nacht.«

»Auf einem der Wagen liegt mein Speer, holt mir ihn.«

Zbyszko eilte zu dem Wagen, holte die Waffe und überbrachte sie Jagienka.

»Lebt wohl!«

»Lebt wohl!«

»Der Herr lohne Euch alles! Morgen oder übermorgen komme ich nach Zgorzelic um mich bei Zych und bei Euch für Euer nachbarliches Thun zu bedanken.«

»Ihr kommt also! Wie froh werde ich darüber sein. Vorwärts!« Und das Pferd antreibend, war sie binnen kurzem im Dickicht verschwunden.

Zbyszko trat nun zu seinem Ohm. »Es ist wohl Zeit für Euch, ins Haus zurückzukehren.«

Ohne sich indessen von dem Baumstumpfe zu erheben, rief Macko: »Hei! Welch ein Mädchen! Bei ihrem Kommen scheint alles in Sonnenlicht getaucht zu sein.«

»Das ist wahr!«

»Und zu kleiden weiß sie sich, und zu wirtschaften versteht sie, trotzdem sie kaum fünfzehn Jahre zählt.«

»Nun!« rief Zbyszko, »der alte Zych liebt sie auch wie seinen Augapfel.«

»Und er sagte, Moczydoly falle ihr zu, und dort auf den Wiesen weideten viele Stuten und Hengste.«

»In den Wäldern von Moczydoly befinden sich wohl große Sümpfe?«

»In denen zahllose Biberbaue sind.«

Aufs neue trat Schweigen ein. Macko warf einen prüfenden Blick auf Zbyszko, dann fragte er: »Ueber was sinnst Du? An was denkst Du?«

»Ach, seht Ihr. Jagienka erinnert mich so sehr an Danusia, daß mir das Herz weh thut.«

»Kehren wir in das Haus zurück!« bemerkte jetzt der alte Edelmann. »Es ist spät geworden.«

Und sich mühsam erhebend, stützte er sich auf Zbyszko, der ihn in die Kammer geleitete.

Schon am folgenden Tage begab sich Zbyszko nach Zgorzelic, dem Drängen Mackos folgend, welcher den Bruderssohn auch veranlaßte, um die Bedeutung des Besuches zu erhöhen, zwei Knechte mitzunehmen und sich selbst in den höchsten Staat zu werfen. Damit sollte Zych, dem man darthun wollte, wie sehr man ihm zu Dankbarkeit verpflichtet sei, ganz besonders geehrt werden. Zbyszko hatte sich auch in der That wie zu einem Feste gekleidet, trug er doch die prächtige weiße Atlasjacke, mit goldenen Fransen geziert und mit goldenen Greifen bestickt. Singend und mit offenen Armen empfing ihn Zych, Jagienka hingegen, die gerade in die Stube trat, blieb wie angewurzelt auf der Thürschwelle stehen, und es hätte nicht viel gefehlt, so wäre ihr beim Anblick des Jünglings die Weinflasche aus den Händen gefallen, denn so wie er, dünkte ihr, könne nur ein Königssohn erscheinen. Mit ihrer sonstigen Kühnheit war es vorbei, still setzte sie sich nieder und rieb nur von Zeit zu Zeit die Augen, als ob sie eben aus dem Schlafe erwache. Der junge Ritter aber, dem es an Erfahrung gebrach, glaubte nicht anders, als daß sie aus einem ihm unbekannten Grunde ihn nicht gern hier sehe, und unterhielt sich infolgedessen ausschließlich mit Zych, dem er für seine nachbarliche Hilfsbereitschaft dankte und dem er sein Staunen über den Herrenhof in Zgorzelic aussprach, dem thatsächlich in nichts der in Bogdaniec verglichen werden konnte.

Allenthalben ließ sich hier Wohlstand, ja Reichtum erkennen. Die Scheiben der Stubenfenster bestanden aus Horn, welches so dünn und so glatt geschnitten war, daß es an Durchsichtigkeit fast dem Glase gleichkam. In der Mitte der Stuben befanden sich keine Herde, sondern es erhoben sich hohe Kamine, an deren Vorsprüngen Geweihe angebracht waren. Der reinlich gescheuerte Fußboden bestand aus Lärchenholz, an den Wänden hingen Waffen und eine Menge Schüsseln, glänzend wie die Sonne, abgesehen von dem schöngeschnitzten Löffelbrett mit einer Reihe von Löffeln, unter denen zwei silberne waren. Da und dort hingen auch Teppiche, teils im Krieg erbeutet, teils von wandernden Händlern gekauft. Unter den Tischen lagen ungeheure fahlgelbe Felle von Bisam, Auerochsen und Ebern. Voll freudigen Stolzes zeigte Zych seinen Reichtum und betonte dabei jeden Augenblick aufs neue, daß dies alles Jagienka bewirtschafte. Er führte Zbyszko auch in eine Seitenkammer, duftend nach Harz und Kräutern, in welcher an der Decke ganze Bündel Felle von Wölfen, Füchsen, Mardern und Bibern hingen. Dann zeigte er ihm das Käsehäuschen, den Aufbewahrungsort von Wachs und Honig, die Tonnen mit Mehl, den Aufbewahrungsort von gut gebackenem Brot, Flachs und getrockneten Pilzen. Auch in die Speicher führte er ihn, in die Viehställe, in die Pferde- und Schweineställe, in die Schuppen für die Wagen, für die Geschirre, für die Jagdgeräte, für die Fischnetze, und so sehr wußte er seinen Wohlstand Zbyszko vor Augen zu führen, daß dieser seinem Staunen unumwundenen Ausdruck verlieh. »Leben, nicht sterben möchte man in Eurem Zgorzelic!« rief er.

»In Moczydoly herrscht beinahe der gleiche Wohlstand,« bemerkte Zych. »Du kennst doch Moczydoly! Es liegt ganz nahe bei Bogdaniec. Früher stritten sich sogar unsere Väter wegen der Grenzen und schickten sich Forderungen zum Kampfe. Aber ich werde nicht streiten.«

Dann hielt er Zbyszko sein Glas mit Met entgegen und fragte: »Willst Du vielleicht etwas singen?«

»Nein,« sagte Zbyszko, »ich bin gespannt darauf, Euch zu hören.«

»Siehst Du, Zgorzelic werden die kleinen Bären bekommen, vorausgesetzt, daß sie deshalb nicht einander zerreißen.«

»Was für kleine Bären?«

»Na, die Bürschlein, Jagienkas Brüder.«

»Nun, die werden nicht nötig haben, an ihren Pfoten im Winter zu saugen.«

»Aber weshalb trinkst Du nicht? Jagienka schenke ihm und mir ein.«

»Ich esse und trinke soviel ich kann.«

»Wenn Du nicht mehr kannst, schnallst Du den Gurt ab. Ein schöner Gurt! Ihr müßt aus Litauen reiche Beute mitgebracht haben?«

»Wir können nicht klagen,« entgegnete Zbyszko, die Gelegenheit benützend, um zu zeigen, daß die Besitzer Bogdaniecs auch nicht zu unterschätzende Edelleute seien. »Einen Teil der Beute verkauften wir in Krakau und erhielten vierzig Mark Silber dafür.«

»Bei Gott dem Herrn, dafür kann man sich ja ein Dorf kaufen.«

»Es war eine mailändische Rüstung, welche der Ohm verkaufte, weil er sich selbst für verloren hielt, und daher …«

»Ich weiß! Nun, da lohnt es sich, nach Litauen zu gehen. Ich wollte seiner Zeit auch gehen, aber ich fürchtete mich.«

»Weshalb? Vor den Kreuzrittern?«

»Ach, wer fürchtet sich vor den Deutschen! So lange sie Dich nicht totschlagen, ist kein Grund vorhanden, sich zu fürchten, und wenn sie Dich totschlagen, hast Du keine Zeit mehr dazu.«

»Ich fürchtete mich vor den Heidengöttern, das heißt vor den Teufeln. In den Wäldern hausen wahrscheinlich so viele wie Ameisen.«

»Wo sollen sie denn sonst hausen, da die Heidentempel niedergebrannt worden sind? Früher schwelgten sie in Reichtum und jetzt leben sie von Pilzen und Ameisen.«

»Hast Du sie auch schon gesehen?«

»Ich selbst sah noch keine, aber ich hörte, daß sie von andern gesehen wurden. Mancher von ihnen streckt zuweilen hinter einem Baume eine zottige Tatze hervor und hält sie hin, damit man ihm etwas geben soll.«

»Macko sagte uns das Gleiche,« warf hier Jagienka ein.

»Freilich! Dir und mir hat er davon unterwegs erzählt,« fügte Zych hinzu. »Nun, das ist nicht zu verwundern. Bei uns ertönt doch zuweilen ein Lachen aus den Sümpfen, trotzdem das Land längst zum Christentum übergegangen ist, und wenngleich die Priester daher auch darüber schelten, ist es doch angebracht, für die Hausgeister des Nachts in irgend einen Winkel eine Schüssel mit Essen zu stellen, denn sonst kratzen sie an den Wänden, daß man kein Auge schließen kann … Jagienka, mein Töchterchen, gehe und stelle eine Schüssel auf die Schwelle!«

Jagienka brachte eine Schüssel voll Klößchen mit Käse und stellte sie auf die Schwelle, Zych aber fuhr fort: »Die Geistlichen schreien, strafen! Der Ruhm des Herrn Jesus wird aber durch ein paar Klöße nicht geschmälert, und wenn der Hausgott satt und zufrieden ist, dann schützt er vor Feuer und vor Diebstahl. – Willst Du jedoch nicht Deinen Gurt ablegen und ein wenig singen?« wandte er sich hierauf fragend an Zbyszko.

»Nein, Ihr müßt singen, denn ich sehe wohl, daß Ihr längst Lust dazu verspürt, oder vielleicht auch die Jungfrau Jagienka.«

»Wir werden der Reihe nach fingen,« rief Zych fröhlich. »Wir haben einen Knecht im Hause, der ganz nett zum Gesange auf einer hölzernen Pfeife zu quitschen versteht. Ruft mir ihn!«

Der Weisung ward Folge geleistet, der Knecht kam, setzte sich auf einen dreibeinigen hölzernen Schemel, steckte die Pfeife in den Mund und schaute, die Finger auf dem Instrumente ausbreitend, prüfend auf die Anwesenden, wie um sich zu vergewissern, wen er begleiten solle. Da jedoch keines den Anfang machen wollte, erhob sich zuerst ein lebhafter Streit. Endlich gebot Zych dem Töchterlein, mit gutem Beispiel voran zu gehen, und trotzdem sich Jagienka scheute, vor Zbyszko zu singen, stand sie doch von der Bank auf, steckte die Hände unter die Schürze und sang:

»Flügel hätt‘ ich so gerne
Wie ein Gänslein klein,
Nach Schlesien in die Ferne
Flög‘ ich zu Jasio mein.« …

Zbyszko machte anfänglich große Augen, dann sprang er mit gleichen Füßen empor und rief mit lauter Stimme: »Wer hat Euch dies Lied gelehrt?«

Jagienka sah ihn staunend an: »Das singen doch alle. Was ist mit Euch?«

Zych indessen, der glaubte, Zbyszko habe zu viel getrunken, wendete sich zu diesem und meinte: »Schnalle Deinen Gürtel auf, dann wird Dir gleich leichter werden.«

Doch auf Zbyszkos Antlitz spiegelten sich die widersprechendsten Empfindungen. Endlich jedoch ward er seiner Erregung Herr und sagte zu Jagienka: »Verzeiht! Mir kam plötzlich etwas in den Sinn. Singt weiter.«

»Vielleicht stimmt Euch aber mein Gesang traurig?«

»Ei, kein Gedanke!« erwiderte Zbyszko mit etwas bebender Stimme. »Ich könnte Euch die ganze Nacht zuhören.«

So sprechend, setzte er sich wieder nieder und die Augen mit der Hand beschattend, verfiel er in tiefes Sinnen.

Jagienka sang nun auch die zweite Strophe, doch kaum damit zu Ende gekommen, gewahrte sie eine große Thräne, die sich zwischen den Fingern Zbyszkos hervorstahl.

Rasch eilte sie nun auf ihn zu, nahm neben ihm Platz und stieß ihn mit dem Ellenbogen an.

»Nun?« flüsterte sie, »was ist Euch? Ich will nicht, daß Ihr weint. Sprecht, was ist Euch?«

»Nichts, nichts!« entgegnete Zbyszko seufzend, »es lohnt sich nicht, darüber zu reden … Es kam so über mich. Nun ist mir schon wieder leichter.«

»Möchtet Ihr vielleicht süßen Wein trinken?«

»Bei meiner Treu, Mädchen!« rief nun Zych, »weshalb redet Ihr Euch mit ›Ihr‹ an? Sage ›Du‹ zu ihm und nenne ihn Zbyszko, und Du, Zbyszko, nennst sie Jagienka. Ihr kennt Euch doch von Jugend an.« Und sich wieder zu der Tochter wendend, meinte er: »Daß er Dich einmal geprügelt hat, das schadet nichts. Jetzt wird er es nicht mehr thun.«

»Nein, das werde ich nicht mehr thun!« erklärte Zbyszko heiter. »Sie aber soll mir jetzt dafür Prügel geben, wenn sie Lust dazu hat.«

Daraufhin ballte Jagienka, in der Absicht, ihn recht lustig zu stimmen, die Hand zur Faust und gab sich lachend den Anschein, als ob sie Zbyszko schlagen wolle.

»Da hast Du es, für meine zerschundene Nase, da hast Du es, da hast Du es!«

»Wein her!« rief nun der Besitzer von Zgorzelic fröhlich.

Jagienka eilte in die Vorratskammer und erschien gleich darauf wieder mit einem steinernen Krug voll Wein, zwei schönen, von einem Breslauer Goldschmied gearbeiteten, in Silber getriebenen Bechern und einigen weithin duftenden Käschen.

Zych, der nicht mehr ganz nüchtern war, wurde bei diesem Anblick von Rührung übermannt; er ergriff den Krug, stellte ihn auf seinen Schoß und ohne Zweifel glaubend, dies sei Jagienka, fing er also zu reden an: »Ei, Du mein Töchterlein! O ich armer Verwaister! Was soll ich bedauernswerter Schlucker in Zgorzelic thun, wenn Du mir genommen wirst, was soll ich thun?«

»Und binnen kurzem werdet Ihr sie hergeben müssen!« rief Zbyszko.

Zychs Rührung hielt indessen nicht lange an, denn er brach gleich wieder in Lachen aus.

»Ha! ha! Das Mädchen ist erst fünfzehn Jahre alt, und es zieht sie schon zu den Burschen!«

»Väterchen! Du wirst sehen, daß ich fortgehe,« erklärte Jagienka.

»Nein, bleibe, mit Dir ist gut sein.«

Dann blinzelte er Zbyszko geheimnisvoll zu.

»Zwei schon haben sich hier eingestellt, der eine der junge Wilk, ein Sohn des alten Wilk aus Brzozowa, der andere Cztan aus Rogow. Wenn sie Dich hier erwischen, dann fallen sie Dich ebenso wütend an, wie sie sich wechselseitig anfallen.«

»Topp, es gilt!« rief Zbyszko.

Dann wandte er sich zu Jagienka, und sie der Aufforderung Zychs zufolge mit Du anredend, fragte er: »Und welchen wählst Du?«

»Keinen.«

»Wilk ist ein jähzorniger Bursche!« warf Zych ein.

»Möge er sich bei andern sein Mütchen kühlen!«

»Und Cztan?«

Jagienka lachte. »Cztan,« sagte sie hierauf, sich zu Zbyszko wendend, »dem fällt wie einem Schaf das Haar so zottig bis zur Nase, daß er kaum aus den Augen zu sehen vermag, und er ist so fett wie ein Bär.«

Bei diesen Worten schlug sich Zbyszko an die Stirn, als ob ihm plötzlich etwas einfiele, und er sagte: »Nun, das ist nur gut; ich möchte Euch nämlich um etwas bitten. Habt Ihr vielleicht Bärenfett im Hause? Dem Ohm soll es zum Heilmittel dienen, und in Bogdaniec fehlt es daran.«

»Wir hatten wohl,« entgegnete Jagienka, »aber die Bürschlein haben es in den Vorhof getragen, um die Bogen damit zu schmieren. Und den Rest, nun den haben die Hunde gefressen. Jetzt thut es mir leid.«

»Blieb nichts übrig?«

»Alles ist rein aufgeleckt!«

»Ei, da läßt sich eben nichts anderes thun, als im Walde nach anderem zu fahnden.«

»Stelle eine Treibjagd an, an Bären fehlt es nicht, und wenn Ihr die Jagdgeräte haben wollt, können wir sie Euch geben.«

»Weshalb sollte ich lange warten? Ich gehe des Nachts zu den Bienenstöcken.«

»Nimm fünf von unseren Knechten mit. Es sind tüchtige Bursche unter ihnen.«

»Mit einem solchen Haufen ist’s nichts. Damit verscheucht man nur die wilden Tiere.«

»Wie gedenkt Ihr es zu machen? Wollt Ihr die Armbrust mitnehmen?«

»Was sollte mir im dunkeln Walde die Armbrust nützen? Wir haben ja jetzt nicht Vollmond. Ich nehme eine vielzackige Heugabel mit, ein gutes Beil und gehe morgen allein.«

Jagienka schwieg einige Zeit; auf ihrem Gesichte drückte sich jedoch sichtliche Unruhe aus.

»Im vorigen Jahre,« begann sie endlich wieder, »ging der Jäger Bezduch von uns weg und wurde von einem Bären zerrissen. Es ist immer eine gefährliche Sache, sich allein des Nachts in den Wald zu wagen, denn sieht der Petz gar einen einzelnen Menschen bei den Bienenstöcken, dann stellt er sich sofort auf die Hinterbeine.«

»Wenn er davonlaufen würde, könnte man ihn ja nicht packen!« rief Zbyszko.

Jetzt erhob sich plötzlich Zych, der ein wenig geschlummert hatte, und begann zu singen:

»Kuba stets von der Arbeit kommt,
Mir, Maczek, nur die Lustbarkeit frommt;
Frühmorgens mit der Sichel wir ziehn in die Au,
Doch im Korn allein nur nach Kascha ich schau.
Juchhe, Juchhe!«

»Siehst Du,« wandte er sich hierauf an Zbyszko, »es sind ihrer zwei: Wilk aus Brzozowa und Cztan aus Rogow … Aber Du …«

Da trat Jagienka, wohl aus Furcht, Zych könne in seinen Worten zu weit gehen, rasch auf Zbyszko zu und fragte: »Und wann willst Du gehen? Morgen?«

»Morgen nach Sonnenuntergang.«

»Und zu welchen Bienenstöcken?«

»Zu den unsrigen, in Bogdaniec, nicht weit von Euren Grenzhügeln, nahe bei den Sümpfen von Rudzik. Man sagte mir, dort werde ich sicherlich mit einem Bären zusammenstoßen.«

Sechstes Kapitel.

Zbyszko traf alle Vorbereitungen, wie er gesagt hatte, denn Mackos Zustand verschlimmerte sich sichtlich. Anfänglich hielt diesen die Freude aufrecht über den Einzug in die Heimat, aber schon am dritten Tage änderte sich dies und der Schmerz in der Seite verschlimmerte sich dermaßen, daß sich der Kranke niederlegen mußte. Zbyszko ging zuerst bei Tag in den Wald, besichtigte die Bienenstöcke, entdeckte ganz in der Nähe der Sümpfe eine deutliche Spur und beredete sich mit dem Zeidler Wawrek, welcher des Nachts gewöhnlich, zusammen mit einigen grimmigen Hunden aus Podhale, in einer Hütte zu schlafen pflegte, just aber wegen der herbstlichen Kühle in das Dorf übergesiedelt war.

Beide rissen gemeinsam die Hütte ab, führten die Hunde hinweg, bestrichen da und dort die Baumstämme mit Honig, um durch den Geruch das Tier anzulocken, dann kehrte Zbyszko nach Hause zurück und traf die weiteren Vorbereitungen zu seinem Unternehmen. Er kleidete sich der Wärme wegen in einen Oberrock von Elendsleder, der jedoch keine Aermel hatte, das Haupt bedeckte er mit einer festen Mütze aus Eisendraht, um sich dagegen zu schützen, daß ihm der Bär die Kopfhaut zerreiße, und schließlich bewaffnete er sich mit einer gut geschmiedeten, doppelzinkigen Heugabel und mit einem stählernen, breiten Beil, das einen weit längeren eichenen Stiel hatte, als die Beile, deren sich die Zimmerleute zu bedienen pflegen.

Als der Abend anbrach, befand er sich schon an Ort und Stelle.

Nachdem er einen geeigneten Platz ausgesucht hatte, ließ er sich, das Zeichen des Kreuzes machend, nieder und harrte auf das, was kommen werde.

Die rötlichen Strahlen der untergehenden Sonne schimmerten zwischen den Aesten hervor. Ueber den Wipfeln der Föhren flatterten Krähen, krächzend und mit den Flügeln schlagend; hin und wieder schoß ein Hase einer Quelle zu und veranlaßte dadurch ein Rascheln der goldgelben Sträuche und der gefallenen Blätter; bisweilen huschte ein Marder durch die Buchen. Im Dickicht war noch immer das Gezirpe der Vögel zu hören, das jedoch allmählich verstummte.

Allein selbst beim Sonnenuntergang trat im Walde keine Ruhe ein. Bald kamen Rudel von Wölfen lärmend und heulend an Zbyszko vorüber, bald trabten Elentiere in langen Reihen vorbei, eines den Kopf dicht an dem Schwanze des andern haltend. Die dürren Zweige krachten unter ihren Hufen, jene aber, noch von den rötlichen Sonnenstrahlen getroffen, strebten den Sümpfen zu, wo sie sich des Nachts ruhig und sicher fühlten. Schließlich vergoldete die Abendröte das ganze Firmament, die Wipfel der Föhren schienen wie in Feuer getaucht zu sein, und eine tiefe Ruhe lagerte sich über alles. Der Wald versank in Schlaf. Dunkelheit breitete sich über die Erde aus und stieg zu der leuchtenden Abendröte empor, welche allmählich verblaßte, um dann ganz zu erlöschen.

»Jetzt, solange die Wölfe nicht heulen, wird es ruhig werden,« dachte Zbyszko. Er bedauerte gleichwohl, daß er die Armbrust nicht mitgebracht hatte, denn er hätte vielleicht mit Leichtigkeit einen Wolf oder ein Elentier erlegen können. Inzwischen drang von den Sümpfen her noch einige Zeit hindurch immer wieder ein dumpfer Ton, der wie schweres Stöhnen und Seufzen lautete. Mit einem gewissen Mißbehagen schaute Zbyszko nach dieser Richtung hin, war es doch auch ihm bekannt, daß der Bauer Radzik, welcher dort irgendwo in einer Lehmhütte gewohnt hatte, plötzlich mit seiner ganzen Familie verschwunden war, als ob ihn die Erde verschlungen hätte. Etliche Leute behaupteten, er sei von Räubern überfallen worden, andere dagegen wollten in der Nähe des Häuschens seltsame Spuren gesehen haben, die weder von Menschen noch von Tieren herrühren konnten, und diese Leute schüttelten den Kopf, ja, sie überlegten, ob es nicht wohl ratsam sei, den Geistlichen aus Krzesnia zu berufen, damit er die Hütte weihe. Dazu kam es freilich nicht, denn es fand sich niemand, der hier wohnen wollte, und das Häuschen, oder vielmehr der Lehm, mit dem die Reisigwände beworfen waren, wurde nach und nach von dem Regen ausgewaschen, von da an stand aber die Gegend in üblem Rufe. Der Zeidler Wawrek, der während des Sommers hier in einer kleinen Hütte nächtigte, kümmerte sich zwar nichts darum, allein gerade deshalb wurde auch viel über ihn gesprochen. Zbyszko, mit einer Heugabel und einem Beil bewaffnet, fürchtete sich zwar nicht vor wilden Tieren, allein es erfaßte ihn sofort ein gewisses Unbehagen bei dem Gedanken an unsichtbare Gewalten, und er war sehr froh darüber, als schließlich jene Töne verstummten.

Immer dunkler ward die Nacht. Kein Luftzug regte sich mehr, sogar das gewöhnliche Rauschen in den Wipfeln der Föhren ließ sich nicht mehr vernehmen. Eine solche Ruhe herrschte, daß wenn von Zeit zu Zeit da und dort ein Tannenzapfen zur Erde fiel, der Klang weithin tönte, eine so lautlose Stille umgab Zbyszko, daß er seinen eigenen Atem hören konnte.

Lange Zeit saß der junge Ritter unbeweglich auf seinem Platze und wartete auf den Bären. Nach und nach aber schweiften seine Gedanken ab; er gedachte Danusias, die mit Anna Danuta in ferne Gegenden fuhr. Lebhaft sah er sie vor sich, wie er sie in die Arme genommen hatte, als er sich von ihr und von der Fürstin verabschiedete, er erinnerte sich, wie ihr die Thränen über das Antlitz rannen, er erinnerte sich ihrer zarten Gesichtsfarbe, ihres goldhaarigen Köpfchens, ihres Kränzleins aus Kornblumen, ihres Gesanges, ihrer roten spitzen Schuhe, die er beim Abschied geküßt hatte. An seinem geistigen Auge zog all das vorüber, was sich seit der Zeit ereignet hatte, seit er und Danusa sich näher getreten waren, und ein solcher Schmerz über die Trennung, ein solches Sehnen nach dem geliebten Mädchen ergriff ihn, daß diese Gefühle alles andere aus seinem Gedächtnis verdrängten. Er vergaß, wo er war, er vergaß des Bären und sagte sich immer und immer wieder: »Ich werde zu Dir wandern, denn ohne Dich hat das Leben für mich keinen Wert!«

Ja, das wollte er thun, er mußte nach Masovien reisen, in Bogdaniec würde er zu Grunde gehen, das fühlte er. Und Jurand kam ihm in den Sinn und dessen auffälliger Widerstand, und er sagte sich, er müsse sich auch zu diesem begeben, um die geheimnisvollen Gründe zu erforschen, die sich seinem Werben hindernd entgegen stellten, die aber vielleicht durch eine Forderung zum Kampfe auf Leben und Tod beseitigt werden konnten. So lebhaft stürmten diese Gedanken auf ihn ein, daß ihm war, als ob Danusia ihm die Hände entgegenstrecke und rufe: »Zbyszko, komm, komm!« Weshalb sollte er diesem Rufe nicht Folge leisten? Nein, er schlummerte nicht, und doch sah er die Geliebte so deutlich vor sich, wie es nur im Traume möglich war. Wie wenn es Wirklichkeit wäre! Ja, da fährt Danusia jetzt neben der Fürstin dahin und läßt ihre Finger über die Laute gleiten und singt! Doch sie denkt an ihn. Sie weiß, daß sie ihn bald wiedersehen wird, und vielleicht blickt sie umher, ob er nicht hinter ihnen im Galopp daherreite. Aber es ist nicht so – er befindet sich im finsteren Walde.

Hier fuhr Zbyszko aus seinem Sinnen empor, aber nicht deshalb, weil er sich plötzlich erinnerte, wo er sich befand, sondern hauptsächlich darum, weil er ein Geräusch zu vernehmen glaubte. Er faßte die Heugabel fest in die Hand, neigte das Haupt vor und lauschte gespannt.

Das Geräusch dauerte an, und während einiger Zeit war es ganz deutlich zu vernehmen. Die dürren Aeste krachten wie unter äußerst vorsichtigen Schritten, die gefallenen Blätter und Sträuche knisterten … Irgend etwas Lebendiges näherte sich.

Zeitweise ließ indes das Geräusch nach, gerade als ob ein Tier durch die Bäume zurückgehalten werde, um gleich darauf so sachte und behutsam wieder anzuheben, daß Zbyszko es nur durch angestrengtes Horchen vernehmen konnte. Stets aufs neue aber ließen sich Schritte unterscheiden und immer wieder fragte sich Zbyszko vor Staunen, was das wohl sein könne, das so leise durch den Wald schleiche. Vielleicht fürchtet sich »der Alte« vor den Hunden, welche in der hier gestandenen Hütte gehalten wurden, sagte er sich nach kurzem Ueberlegen, oder vielleicht mag es auch ein Wolf sein, der mich wittert.

Mittlerweile hörten die Schritte auf. Zbyszko vernahm deutlich, daß irgend ein Wesen zwanzig oder dreißig Schritte vor ihm Halt machte – gerade als ob es sich niederkauere. Immer wieder strengte er seine Sehkraft an – allein, wenn er auch die Baumstämme trotz der Dunkelheit zu unterscheiden vermochte, er konnte nichts Auffälliges entdecken. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als geduldig zu warten.

Und er mußte so lange warten, daß er abermals von Staunen ergriffen ward.

Der Bär wird doch kaum zu den Bienenstöcken kommen, um zu schlafen, sagte er sich, ein Wolf aber würde mich längst gewittert haben und mich nicht bis früh morgens unbehelligt lassen.

Mit einem Male lief ihm ein Frösteln über den ganzen Körper.

Wie, so dachte er, wenn irgend ein Gespenst aus den Sümpfen emporgestiegen wäre, um sich ihm von hinten zu nähern? Oder was sollte er thun, wenn ihn die feuchtkalten Hände eines Ertrunkenen packen würden, wenn ihn ein Vampyr mit seinen grünen Augen zu durchbohren suchte, was sollte er beginnen, wenn plötzlich ein lautes Lachen hinter ihm ertönte, oder wenn ein Kopf auf Spinnenfüßen mit einem geisterhaften Antlitz hinter einer Tanne hervortreten würde? Er fühlte, wie sich ihm unter seiner Mütze von Eisendraht die Haare sträubten – da plötzlich ertönte das Geräusch vor ihm lauter und deutlicher als zuvor. Der junge Kämpe atmete erleichtert auf. Ohne Zweifel hatte ihn das Ungeheuer im Kreise umgangen, um sich ihm nun von vorn zu nähern. Das war ihm sehr erwünscht. Von neuem faßte er die Heugabel fest in die Hand, erhob sich leise und wartete gespannt.

Mit einem Male fuhr ein Rauschen durch die Wipfel der Föhren, von den Sümpfen her wehte ein leichter Luftzug, ein übler Geruch zog in die Nase des Harrenden.

Jetzt konnte kein Zweifel mehr herrschen, Meister Petz rückte heran.

Alle Furcht war von Zbyszko gewichen. Den Kopf vorbeugend, strengte er Augen und Ohren übermenschlich an. Schwere Tritte wurden deutlich vernehmbar, der üble Geruch verstärkte sich, und nach wenigen Sekunden ertönte ein lautes Schnauben und Brummen.

Wenn es nur nicht zwei sind! dachte Zbyszko.

Aber in diesem Augenblick gewahrte er den unförmigen Körper eines großen dunkeln Tieres, das von den Sümpfen kommend, ihn noch nicht gewittert haben mochte, weil es durch den Geruch des auf die Stämme gestrichenen Honigs angezogen wurde.

»Willkommen, Großväterchen!« rief Zbyszko, unter den Tannen hervortretend.

Der Bär stieß ein kurzes Gebrüll aus; zweifellos erschreckte ihn die unerwartete Erscheinung, allein er war schon zu nahe gekommen, um sich durch die Flucht zu retten. Ohne weiteres erhob er sich auf den Hinterfüßen und streckte die Vordertatzen wie zu einer Umarmung aus. Darauf hatte Zbyszko gewartet; er nahm einen Anlauf, sprang wie der Blitz vor, um dann mit aller Gewalt seiner kräftigen Arme dem Tiere die Heugabel in die Brust zu stoßen.

Ein schaudererregendes Gebrüll erfüllte jetzt den ganzen Wald. Der Bär, die Heugabel mit seinen Tatzen ergreifend, strengte sich vergeblich an, sie herauszuziehen, die scharfen Zinken saßen fest. Durch dies Bemühen vergrößerte daher das Tier nur den entsetzlichen Schmerz, und als es versuchte, seinem Gegner näher zu kommen, trug es abermals dazu bei, daß die Heugabel noch tiefer in seine Brust drang. Zbyszko aber, der sich nicht klar darüber war; ob er die Heugabel tief genug eingestoßen hatte, ließ den Stiel nicht los. So standen sich Mensch und Tier zerrend und zausend gegenüber. Voll Wut und Verzweiflung brüllte der Bär laut auf. Zbyszko war nicht im stande, das Beil zu erfassen, so lange er nicht das Ende des zugespitzten Stieles der Heugabel in die Erde zu stoßen vermochte, der Bär hingegen, als ob er verstünde, um was es sich handle, zerrte unaufhörlich mit den Vorderpfoten die Heugabel und mit ihr Zbyszko hin und her – und trotz der Qual, welche ihm bei jeder Bewegung die tiefeinbiegenden Zinken verursachten, widersetzte er sich so Zbyszkos Absicht. In solcher Weise zog sich der Kampf in die Länge, und Zbyszko fühlte immer deutlicher, daß seine Kräfte erlahmten. Gleichzeitig sagte er sich aber auch, daß er verloren wäre, sobald er stürzen würde. So nahm er sich denn nochmals zusammen, bot seine ganze Kraft auf, stemmte die Füße fest auf die Erde, bog sich, um nicht nach rückwärts zu stürzen, so weit vor, daß sein Rücken vollständig gekrümmt war und murmelte voll Wut durch die aufeinander gepreßten Zähne: »Einer von uns muß zu Grunde gehen, ich oder Du.«

Und es erfaßte ihn schließlich ein solcher Zorn, ein solcher Grimm, daß er eher sich selbst geopfert hätte, als die Bestie freigegeben. Doch siehe da, er strauchelte mit einem Male über eine Baumwurzel und würde sicherlich zu Boden gestürzt sein, wenn nicht in diesem Augenblicke eine zweite dunkle Gestalt vor ihm aufgetaucht wäre, wenn nicht eine zweite Heugabel die Bestie getroffen und ihm eine Stimme zugerufen hätte: »Das Beil!«

Die Kreuzritter

»Einer von uns muß zu Grunde gehen, ich oder Du.«

In der Hitze des Kampfes überlegte Zbyszko nicht erst, woher ihm die unerwartete Hilfe komme, sondern er ergriff das Beil und versetzte dem Bären einen wuchtigen Schlag. Die Heugabeln zerbrachen krachend unter der gewaltigen Schwere des in Konvulsionen sich krümmenden Tieres, das sich wie vom Blitz getroffen röchelnd auf der Erde wälzte. Aber schließlich hörte dies Röcheln auf. Die herrschende Stille ward nur durch das laute Atmen Zbyszkos gestört, der sich an eine Tanne lehnte, da seine Füße den Dienst zu versagen drohten. Gleich darauf erhob er jedoch das Haupt, erblickte eine neben ihm stehende Gestalt und fuhr erschreckt zusammen, sagte er sich doch, dies könne kein menschliches Wesen sein.

»Wer ist hier?« fragte er schließlich unruhig.

»Jagienka!« erwiderte eine zarte weibliche Stimme.

Zbyszko, von Staunen ergriffen, glaubte seinen Ohren nicht trauen zu dürfen. Allein jeder Zweifel mußte bald weichen, denn Jagienka ließ sich von neuem vernehmen: »Ich schlage jetzt Feuer an …«

Sofort ertönte das Zusammenschlagen des Feuersteines, die Funken sprühten, und bei ihrem flimmernden Scheine gewahrte Zbyszko die weiße Stirn, die dunkeln Brauen und die gespitzten Lippen des Mädchens, das den glimmenden Zunder anblies. Und als er sich sagte, daß dies junge Mädchen in den Wald gekommen war, um ihm beizustehen, daß er ohne dessen Hilfe elend zu Grunde gegangen wäre – da floß sein Herz über von Dankbarkeit. Ohne seine Handlungsweise lange zu erwägen, umfaßte er Jagienka und küßte sie auf beide Wangen.

Ihr aber fielen Zunder und Feuerstein aus den Händen.

»Verhalte Dich ruhig, hörst Du?« gebot sie mit etwas gedämpfter Stimme, allein trotzdem entzog sie ihm ihr Antlitz nicht, nein, im Gegenteil, sie näherte wie unwillkürlich ihren Mund den Lippen Zbyszkos.

Dieser gab sie indessen frei und sagte: »Gott wird Dir lohnen. Ich weiß nicht, was ohne Dich aus mir geworden wäre!«

Nun ließ sich Jagienka, die sich niederkauerte, um in der Dunkelheit Feuerstein und Zunder wieder zu finden, also vernehmen: »Ich fürchtete für Dich, weil Bezduch, trotzdem er wie Du mit der Heugabel und mit dem Beile auszog, von den Bären zerrissen ward. Gott verhütete dies. Was hätte aber auch Macko angefangen, er, der ja so schon nur schwer zu atmen vermag. Nun, ich bewaffnete mich mit der Heugabel und folgte Deiner Spur.«

»Demnach schlichst Du zwischen den Tannen hindurch?«

»Ja, ich.«

»Und ich glaubte, es sei der Böse.«

»Mich überkam auch keine geringe Furcht, denn gar unheimlich ist es in dunkler Nacht bei den Sümpfen von Rudzik.«

»Weshalb hast Du denn nicht gerufen?«

»Ach, ich fürchtete, Du könntest mich wegjagen.«

So sprechend, fing sie wieder von neuem an, Feuer zu schlagen. Dann legte sie auf den glimmenden Zunder ein Stückchen dürrer Rinde von einem Flachsstengel, das sofort in helle Flammen aufging.

»Ich habe zwei kleine scheite Holz bei mir,« rief sie hierauf, »Du aber mußt rasch einige dürre Aeste sammeln, dann werden wir gleich ein gutes Feuer haben.«

In der That knisterte auch schon nach wenigen Minuten ein lustiges Feuer, dessen Schein den in einer großen Blutlache liegenden schmutzig-braunen Körper des Bären grell beleuchtete.

»Ei, welch mächtiges Tier!« rief Zbyszko mit einer gewissen Selbstgefälligkeit.

»Aber sieh nur, der Kopf ist fast ganz gespalten. Ach, Herr Jesus!«

Nach diesen Worten bückte sie sich und fuhr mit der Hand in das zottige Fell des Ungetüms, um sich zu überzeugen, ob das Tier fett sei. Gleich darauf erklärte sie mit frohem Gesicht: »Auf wenigstens zwei Jahre hinaus werdet Ihr Fett haben.«

»Die Heugabeln sind aber ganz entzwei. Schau nur her!«

»Das ist einmal ein Unglück! Was soll ich nun zu Hause sagen?«

»Was ist denn, was hast Du denn?«

»Ach, das Väterchen hätte mir nicht erlaubt, des Nachts in den Wald zu gehen. Ich mußte daher warten, bis sich alle schlafen gelegt hatten. Erzähle keinem Menschen, daß ich hierher gekommen bin,« fügte sie nach kurzem Schweigen hinzu, »man könnte mich sonst verspotten.«

»Nach Hause werde ich Dich aber begleiten. Wie leicht könnten Dich Wölfe überfallen, und Du hast jetzt keine Heugabel mehr.«

»Ja, das ist mir recht.«

Noch eine geraume Zeit plauderten sie bei dem getöteten Bären, an dem lustig prasselnden Feuer stehend, und glichen in ihrer jugendlichen Schöne zwei holden Waldgeschöpfen.

Zbyszko blickte sinnend auf das liebliche, von der Flamme des Feuers hell beleuchtete Antlitz Jagienkas und sagte plötzlich voll unwillkürlicher Bewunderung: »Ein zweites Mädchen wie Du giebt es auf der ganzen Welt nicht mehr. Du solltest mit in den Kampf ziehen.«

Da schaute ihm Jagienka tief in die Augen und erwiderte fast traurig: »So sagen alle, doch verlache mich darob nicht!«

Siebentes Kapitel.

Jagienka ließ einen ganzen Topf Bärenfett aus. Macko trank anfänglich mit Lust davon, war es doch frisch, nicht angebrannt und duftete nach Angelicakraut, ein Heilmittel, welches dem Mägdlein bekannt war und von dem es etwas in den Topf geworfen hatte. Allmählich stärkten sich auch die Lebensgeister Mackos wieder, sodaß er neue Hoffnung faßte, zu gesunden.

»Das ist mir nötig gewesen,« erklärte er, »denn wenn der Mensch fett wird, dann arbeitet sich vielleicht der verfluchte Eisensplitter heraus.«

Wenn ihm aber nun auch mit der Zeit das Bärenfett weniger mundete, trank er es doch aus Vernunft. Jagienka redete ihm auch zu.

»Ihr werdet wieder gesunden,« erklärte sie. »Denkt nur, Zbeludow aus Ostrog, dem ein Glied seines Panzerhemdes tief in den Nacken eingedrungen war, ward auch durch Bärenfett gerettet. Sobald sich jedoch die Wunde öffnet, muß Biberfett aufgelegt werden.«

»Und habt Ihr welches?«

»Gewiß! Wenn Ihr jedoch ganz frisches haben wollt, gehe ich mit Zbyszko an einen Biberbau. An Bibern fehlt es nicht. Schaden könnte es aber auch nicht, wenn Ihr irgend einen Heiligen, welcher der Schutzpatron der Verwundeten ist, etwas geloben würdet.«

»Daran habe ich auch schon gedacht, nur weiß ich nicht recht, welchem. Der Heilige Jerzy ist der Schutzheilige der Ritter: er steht den Kriegern in ihren Abenteuern bei, überhaupt wenden sich die Kämpen in jeder Not an ihn, und es wird behauptet, er kämpfe oft in eigener Person auf seiten der Gerechten, um mit Gottes Hilfe die Schuldigen zu strafen. Aber die, welche selbst gern kämpfen, geben sich selten dazu her, Wunden zu heilen, und außerdem giebt es vielleicht auch andere, denen sie nicht in das Gehege kommen wollen. Jeder Heilige hat im Himmel sein besonderes Amt – das ist ja bekannt! Und der eine darf sich niemals in die Angelegenheiten des andern mengen, denn daraus könnte nur Zwietracht entstehen. Wäre es aber vielleicht schicklich, wenn die Heiligen im Himmel Streit anfingen oder sich bekämpften? Es giebt freilich auch noch andere große Heilige wie zum Beispiel Kosma und Damian, zu welchen die Aerzte beten, damit die Krankheiten nicht aus der Welt verschwinden, weil sie ja sonst nichts zu essen hätten. Dann die heilige Apollonia für die Zähne und der heilige Liborius für den Stein – aber davon ist keiner etwas für mich! Ich frage den Abt, der wird mir sagen, an wen ich mich wenden soll. Nicht alle Kleriker wissen unter den Heiligen Bescheid und können in einer solchen Sache Rat erteilen, wenn sie auch einen geschorenen Kopf haben.«

»Aber weshalb gelobt Ihr nicht dem Herrn Jesus selbst etwas?«

»Das ist ja sicher, daß er über alle gesetzt ist, trotzdem kann ich aber dies nicht thun. Wenn mir zum Beispiel Dein Vater ohne irgend welchen Grund einen Bauern erschlagen würde, könnte ich vielleicht mit meiner Klage sofort zum König nach Krakau gehen. Was würde mir der König antworten? Er würde so zu mir sprechen: ›Wohl regiere ich das ganze Königreich, allein weshalb kommst Du wegen Deines Bauern zu mir? Sind denn nicht dafür die Verwalter da? Warum gehst Du nicht auf die Burg zu meinem Kastellan und Stellvertreter?‹ Der Herr Jesus aber regiert sogar die ganze Welt, verstehst Du – für die einzelnen Angelegenheiten sind jedoch die Heiligen da.«

»Ich will Euch etwas sagen,« bemerkte jetzt Zbyszko, der mittlerweile hinzugetreten war, »gelobt doch unserer verstorbenen Königin eine Wallfahrt nach Krakau zu ihrem Grabe, so sie für Euch Fürbitte einlegen wird. Sind denn dort nicht schon vor unsern Augen Wunder geschehen? Weshalb wollt Ihr Euch an fremde Heilige wenden, wenn unsere Herrin allen andern vorzuziehen ist?«

»Traun, wenn ich nur wüßte, ob sie auch bei Wunden etwas nützen kann!«

»Nun, wenn sie auch nichts für Wunden thun kann! Aber kein Heiliger wird sie auch nur schief ansehen, und so er sie schief ansieht, wird ihm unser Herrgott eins versetzen, denn sie ist keine gewöhnliche Heilige, sondern die polnische Königin.«

»Welche die heidnischen Länder dem Christentum zugänglich gemacht hat. Du hast klug gesprochen,« entgegnete Macko. »In dem Rate der Himmlischen nimmt sie gewiß eine hohe Stellung ein, und sicher ist, daß keiner der andern Heiligen gegen sie aufkommt. So wahr als ich gesund sein soll, handle ich nach Deinem Rat.«

Auch Jagienka fand den Rat gut, ja Zbyszkos Klugheit erregte ihre höchste Bewunderung. Noch am gleichen Abend legte Macko ein feierliches Gelöbnis ab, das Bärenfett aber trank er von da mit noch größerer Hoffnungsfreudigkeit, indem er von Tag zu Tag seiner Gesundung entgegensah. Nach Verlauf einer Woche verlor er indessen wieder allen Mut. Er behauptete, das Fett gäre sofort in ihm, und unter der Haut an der letzten Rippe bilde sich etwas wie eine Geschwulst. Am zehnten Tage ward es noch schlimmer; die immer mehr um sich greifende Geschwulst rötete sich, Macko ward schwächer und schwächer, so daß er abermals dachte, dem Tode verfallen zu sein.

In einer der Nächte weckte er plötzlich Zbyszko.

»Zünde rasch einen Kienspan an,« rief er, »denn mit mir hat’s eine Aenderung gegeben, ob zum Guten oder zum Schlimmen, das weiß ich nicht.«

Zbyszko sprang mit gleichen Füßen empor, blies in dem Kamin der nebenanliegenden Stube das Feuer an, hielt den Kienspan hinein und fragte zurückkehrend: »Was ist mit Euch?«

»Was mit mir ist? Irgend etwas Spitziges hat das Geschwür durchstochen. Gewiß der Splitter. Fassen kann ich ihn wohl, aber nicht herausziehen. Ich fühle, wie er unter meinen Nägeln klirrt.«

»Das ist der Splitter der Eisenspitze, nichts anderes. Packt ihn nur fest und zieht ihn heraus.«

Macko, vor Schmerz ächzend, wand sich hin und her. Trotzdem aber griff er mit den Fingern immer tiefer in die Wunde, versuchte stets aufs neue den harten Gegenstand zu erfassen, so daß es ihm schließlich auch in der That gelang, den Splitter herauszureißen.

»O Herr Jesus!«

»Habt Ihr ihn?« fragte Zbyszko.

»Ja, aber mich schauert. Der kalte Schweiß ist mir ausgebrochen. Doch sieh, da ist er.«

Mit diesen Worten zeigte er Zbyszko einen länglichen Splitter mit einer schlecht geschmiedeten Eisenspitze, der nun seit Monaten sich in seinem Körper befunden hatte.

»Gott sei gepriesen und die Königin Jadwiga, denn jetzt werdet Ihr gesunden.«

»Leichter ist’s mir wohl, der Schmerz aber, der ist fürchterlich,« sagte Macko, an dem Geschwür drückend, aus dem eine Menge Eiter und Blut floß. »Wenn sich all die unreinen Säfte entleeren, dann muß der Mensch von der Krankheit genesen. Doch jetzt ist es nötig, Biberfett auf die Wunde zu legen; Jagienka behauptete dies wenigstens.«

»Morgen machen wir uns auf, um einen Biber zu fangen.«

Schon am nächsten Tage hatte sich Mackos Befinden unendlich gebessert. Nach einem erquickenden Schlafe erwachte er sehr spät und verlangte sofort zu essen. Gegen Bärenfett empfand er indessen geradezu einen Abscheu, deshalb zerschlug man ihm zwanzig Eier in einen Tiegel – gegen mehr hatte Jagienka vorsichtshalber Einsprache erhoben – und er verzehrte sie gierig mit einem halben Laib Brot. Dazu trank er ein Maß Bier. Nachdem er jedoch sich also gestärkt hatte, gebot er, Zych herbeizuholen, denn, so erklärte er, ihm sei gar lustig zu Mute geworden.

Unverzüglich schickte Zbyszko einer seiner Türken zu Zych, der schon deshalb des Nachmittags angeritten kam, weil die jungen Leute an dem Ostapange-See auf die Biberjagd gehen wollten. Als dann Macko und Zych beim Meth zusammensaßen, da ging es anfänglich gar fröhlich zu, des Lachens und des Scherzens wollte es kein Ende nehmen. Schließlich aber kamen die beiden Alten auf Zbyszko und Jagienka zu sprechen, und ein jeder lobte sein Herzenskind.

»Das ist ein Bursche, der Zbyszko,« hub Macko an, »einen zweiten wie den giebt es überhaupt nicht auf der Welt. Tapfer ist er und behend und gewandt wie ein Luchs. Seht Ihr! Als man ihn in Krakau zum Tode führte, da heulten die Mädchen an den Fenstern dermaßen, als ob ihnen jemand den Buckel mit einer Pfrieme verhauen hätte. Und was für Mädchen waren das! Töchter von Rittern und von Burgvögten, ganz abgesehen von den wunderschönen Bürgertöchtern.«

»Ob das nun die Töchter von Burgvögten gewesen sind voll wunderbarer Schönheit – über meine Jagienka gehen Sie doch nicht,« warf Zych aus Zgorzelic ein.

»Als ob ich gesagt hätte, sie überträfen diese! Ein liebevolleres Wesen als Jagienka ist ja kaum zu finden!«

»Ich sage auch nichts gegen Zbyszko. Der spannt doch die Armbrust ohne Kurbel.«

»Und den Bären hat er allein erlegt. Wißt Ihr aber auch auf welche Weise? Er spaltete ihm mit einem einzigen Hieb den Kopf.«

»Den Kopf spaltete er ihm wohl, doch getötet hat er ihn nicht allein. Jagienka kam ihm dabei zu Hilfe.«

»Sie half ihm? … davon sagte er mir ja nichts.«

»Weil er es ihr versprach … denn das Mädchen schämte sich, weil sie des Nachts in den Wald gegangen ist. Andere hätten Ausflüchte ersonnen, sie aber kann die Wahrheit nicht verschweigen. Ernst gesprochen, es wäre mir nicht lieb, wenn das jemand wüßte … Ich wollte sie auch schelten, allein sie sprach also: Ich kann allein mein Kränzlein hüten, das ja auch Ihr, Väterchen, zu behüten sucht. Fürchtet nichts, Zbyszko weiß, was er seiner Ehre als Ritter schuldig ist.«

»Das ist gewiß. Doch heute sind sie wieder zusammen gegangen.«

»Aber sie kehren gegen Abend zurück. Des Nachts jedoch, da ist der Teufel los und in der Dunkelheit ist ein Mädchen leichter zu bethören.«

Macko schwieg eine Weile nachdenklich, dann sagte er wie zu sich selbst: »Und bei alledem sehen sie sich gern.«

»Freilich! Wenn er sich nur nicht einer andern angelobt hätte!«

»Ach, Ihr wißt doch, das ist ritterliche Sitte … Wer in der Jugend nicht seine Herrin hat, den betrachten die andern als einen einfältigen Tropf. Er gelobte ihr drei Pfauenbüsche, und die muß er sich erobern, denn das erfordert seine ritterliche Ehre. Auch dem Lichtenstein muß er sich stellen, von den andern Gelöbnissen kann ihn der Abt entbinden.«

»An einem der nächsten Tage trifft der Abt hier ein,« bemerkte Zych.

»Glaubt Ihr?« fragte Macko, dann hub er von neuem an: »Uebrigens, was nützt ihm ein Gelöbnis, da Jurand ihm geradeheraus sagte, er gebe ihm das Mädchen nicht! Ob er sie einem andern versprochen hat, ob er sie dem Dienste Gottes weihen will, das weiß ich nicht – daß er sie ihm aber nicht gebe, das sagte er geradeheraus …«

»Von mir hörtet Ihr aber doch schon,« warf jetzt Zych ein, »daß der Abt Jagienka wie sein eigenes Kind liebt. Jüngsthin hat er so zu ihr gesprochen: ›Blutsverwandte habe ich nur von mütterlicher Seite, aber von dem Erbe wird mehr für Dich herauskommen, als für sie‹.«

Daraufhin schaute Macko unruhig, ja mißtrauisch auf Zych und bemerkte gleich darauf: »Unsere Beeinträchtigung werdet Ihr doch nicht wollen …«

»Auf Jagienka geht Moczydoly über!« erklärte Zych beschwichtigend.

»Sofort?«

»Wenn es sein muß, sofort. Einer andern würde ich es nicht überlassen, aber ihr übergebe ich es gern.«

»Bogdaniec gehört zur Hälfte Zbyszko, und so mir der Herr die Gesundheit wiederschenkt, werde ich das Gut bewirtschaften, daß es sich sehen lassen kann. Gefällt Euch Zbyszko?«

Auf diese Frage hin blinzelte Zych lustig mit den Augen und bemerkte: »Schlimm genug ist’s, daß Jagienka sich sofort abwendet, sobald irgend jemand von ihm spricht.«

»Und wenn Ihr von einem andern redet?«

»Ich darf nur einen andern erwähnen, dann kehrt sie sich sofort um und fragt: ›Was habt Ihr gesagt‹?«

»Ei, da seht Ihr nun! Gebe Gott, daß er um dieses Mädchens willen die andere vergesse. Ich bin doch alt, aber mir fiele das nicht schwer … Nehmt Ihr noch einen Trunk Met?«

»Ja, schenkt nur ein.«

»Nun, was den Abt anbetrifft … das ist ein einsichtsvoller Mensch! Auch unter den Aebten giebt es, wie Ihr wißt, ganz weltliche Leute, aber wenn er auch nicht immer bei den Mönchen sitzt, ist er doch ein Geistlicher, und ein Priester weiß stets besseren Rat als ein gewöhnlicher Mensch zu erteilen, denn er kennt die Schrift und ist mit dem heiligen Geist vertraut. Daß Ihr dem Mädchen Moczydoly sofort überlassen würdet, da habt Ihr recht. Wenn mir aber der Herr Jesus die Gesundheit wiederverleiht, werde ich dem Wilk aus Brzozowa so viele Freibauern abspenstig machen, als ich kann. Auf Weihnachten mögen sie sich bei Wilk empfehlen und zu mir kommen. Oder steht ihnen das nicht frei? Mit der Zeit baue ich dann die Burg in Bogdaniec wieder neu auf; ein stattliches Kastell aus Eichenholz soll erstehen, ringsum von Gräben umzogen … Zbyszko und Jagienka mögen vorläufig mit einander auf die Jagd gehen … Meiner Ansicht nach läßt der Schnee nicht mehr lange auf sich warten … So gewöhnen sie sich aneinander – und sicherlich wird der Bursche die andere vergessen. Ja, ja, sie sollen miteinander jagen. Doch weshalb noch lange hin- und herreden! Würdet Ihr ihm Jagienka geben oder nicht?«

»Ich würde sie ihm geben. Längst haben wir uns doch schon darüber geeinigt, daß die beiden zusammengehören, daß Moczydoly und Bogdaniec einmal auf die Enkelchen übergehen.«

»Hagel!« rief Macko fröhlich. »Gott gebe, daß sie sich wie Hagel vermehren. Der Abt wird sie uns taufen.«

»Wenn er nur damit fertig wird!« scherzte Zych in lustigem Tone. »So fröhlich habe ich Euch aber schon lange nicht mehr gesehen.«

»Weil mir das Herz vor Freude hüpft … Von der Eisenspitze bin ich befreit, und was Zbyszko anbelangt, an dem wird nichts scheitern. Gestern, als Jagienka zu Pferde stieg, seht Ihr, da hub ein Sturm an … Und ich sagte zu Zbyszko: ›Was thust Du nun‹? Sofort aber zäumte er sein Roß. Außerdem habe ich auch wohl bemerkt, daß sie anfänglich nur wenig miteinander sprachen, jetzt aber verdrehen sie sich fast die Hälse, so viel schwatzen sie. Es wird schon werden … es wird schon werden! … Doch Ihr trinkt ja nicht!«

»Ich nehme noch einen Schluck!«

»Auf das Wohl von Zbyszko und Jagienka!«

Historischer Roman aus dem XV. Jahrhundert


Die Kreuzritter. Erstes Buch

Historischer Roman aus dem XV. Jahrhundert

Buchumschlag

 

Nach dem Polnischen übersetzt von E. u. R. Ettlinger.

Illustriert von A. Schwormstädt.

2. Auflage.

Verlagsanstalt Benziger & Co. A.G.

Einsiedeln – Waldshut – Köln a/Rh.

New-York, Cincinnati, Chicago bei Benzinger Brothers. 1901.

Alle Rechte und Uebersetzungsrechte vorbehalten

Titelblatt

Achtes Kapitel.

Macko und Zbyszko kehrten nach Bogdaniec zurück. Dem alten Ritter waren noch lange Jahre beschieden und Zbyszko erlebte in Gesundheit und voller Kraft die Zeit, in der aus einem Thore von Marienburg der Großmeister der Kreuzritter mit thränenfeuchten Augen auszog, während durch ein anderes Thor der polnische Wojwode an der Spitze des Kriegsheeres seinen Einzug hielt, um im Namen des Königs und des Königreiches die Stadt und das ganze Gebiet bis an die grauen Wogen des Baltischen Meeres in Besitz zu nehmen.

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Die Litauer trugen den Leichnam Ulryks von Jungingen herbei.

Siebentes Kapitel.

Der anbrechende Tag warf bereits seinen lichten Schein auf die Bäume, die Sträuche und auf die rings auf dem Gefilde zerstreut umher liegenden Kalksteine, als der gedungene Führer, der neben dem Pferde Jurands einherschritt, anhielt und sagte: »Vergönnt mir eine kurze Rast, Herr Ritter, damit ich mich ausschnaufen kann. Durch das Tauwetter ist es neblig, doch unser Ziel ist nicht mehr fern …«

»Geleite mich bis zur Landstraße, dann magst Du zurückkehren,« entgegnete Jurand.

»Die Landstraße liegt rechts neben dem Wäldchen, und vom Hügel aus werdet Ihr gleich die Burg sehen.«

So sprechend kreuzte der Bauer die Arme, schlug sich mit den Händen, die in der feuchten Morgenluft wohl ein wenig starr geworden sein mochten, fortwährend unter die Achselhöhlen und ließ sich schließlich auf einen Stein nieder, um sich besser ausruhen zu können.

»Weißt Du nicht, ob der Komtur in der Burg ist?« fragte Jurand nach kurzer Pause.

»Wo sollte er sonst sein, da er krank ist.«

»Was fehlt ihm?«

»Die Leute sagen, ein polnischer Ritter habe ihm eins versetzt,« antwortete der alte Bauer.

Und der Ton seiner Stimme bekundete eine gewisse Zufriedenheit. Er war freilich den Kreuzrittern unterthan, aber sein masurisches Herz freute sich über jedes Wagestück eines polnischen Ritters. So fügte er denn auch nach einer Weile hinzu: »Hei! Gar mächtig sind unsere Herren, aber nicht leicht ist mit ihnen auszukommen.«

Unverweilt blickte er aber nun prüfend auf den Ritter, wie wenn er sich vergewissern wolle, ob ihm aus diesen Worten, die ihm unbedacht entschlüpften, kein Schaden erwachse, und fügte hinzu: »Ihr, o Herr, seid nach der Art, wie Ihr unsere Sprache sprecht, kein Deutscher.«

»Nein,« erwiderte Jurand, »doch führe mich weiter.«

Der Bauer erhob sich und schritt wie zuvor neben dem Pferde her. Unterwegs griff er dann und wann in einen ledernen Beutel, holte ein Handvoll ungemahlenes Korn daraus hervor, das er in den Mund steckte, um damit den ersten Hunger zu stillen. Dabei unterließ er es nicht, zu erklären, weshalb er die Kerne roh esse, obwohl Jurand dies gar nicht bemerkt hatte, da er viel zu viel mit seinem eigenen Schicksal, mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt war.

»Gott sei Dank dafür!« sagte der Bauer. »Unter unsern deutschen Herren ist das Leben gar schwer. Solche Abgaben fordern sie für das Mahlen des Getreides, daß der arme Mann das Korn aus der Spreu fressen muß wie das Vieh. Und wenn sie eine Handmühle in einer Hütte finden, dann prügeln sie den Bauer und führen das Vieh hinweg. Traun, weder der Kinder noch der Frauen schonen sie … Ei, sie fürchten sich ebenso wenig vor Gott dem Herrn, wie vor dem Fürsten, ja, den Probst aus Wielborz, der ihnen Vorstellungen darüber machte, legten sie in Ketten. O, schwer lastet die Hand der Deutschen auf uns! Nur wenn man sich Korn zwischen zwei Steinen zermalmt, dann bekommt man eine Handvoll Mehl zur Speise für den heiligen Sonntag, am Freitag aber, da heißt’s wie ein Vogel essen. Doch gelobt sei Gott auch dafür, denn ehe die Ernte kommt, giebt’s nicht einmal das … der Fischfang ist verboten … die Jagd auf wilde Tiere auch. Nein, so ist’s nicht wie in Masovien.«

In solcher Weise klagte der unter der Herrschaft der Kreuzritter stehende Bauer, indem er halb zu sich selbst, halb zu Jurand sprach. Mittlerweile gelangten sie dann in ein Wäldchen, welches in dem fahlen Scheine des Frühmorgens fast grau schimmerte und in dem eine feuchte, durchdringende Kälte herrschte. Es war nun völlig Tag geworden; sonst wäre es für Jurand kaum möglich gewesen, auf dem Waldwege weiter zu kommen. Steil und so schmal stieg der Pfad empor, daß an manchen Stellen das Streitroß sich kaum durch die Stämme durchzuarbeiten vermochte. Doch das Wäldchen lichtete sich bald wieder, und schon nach kurzer Zeit gelangten sie auf den Gipfel des weißlich schimmernden Hügels, von dessen Höhe aus eine gute Landstraße nach Szczytno führte.

»Von hier aus ist’s nicht mehr weit,« bemerkte der Bauer, »Ihr findet Euch nun allein zurecht.«

»Ja, ich finde mich nun allein zurecht,« entgegnete Jurand. »Kehre Du nun wieder heim, Mann.«

Mit der Hand in einen ledernen Sack greifend, der vorn am Sattel befestigt war, holte er mehrere Silbermünzen hervor und gab sie dem Führer. Der Bauer, weit mehr an Schläge als an Belohnung von seiten der ansässigen Kreuzritter gewöhnt, glaubte seinen Augen nicht trauen zu dürfen. Rasch das Geld entgegennehmend, beugte er sich bis zu den Steigbügeln Jurands und umfaßte dessen Knie.

»O Jesus, Maria!« rief er. »Gott der Herr möge Euer Gnaden dafür lohnen.«

»Gott sei mit Dir!«

»Gott möge Euch Macht und Stärke verleihen. Szczytno liegt vor Euch.«

Jurand blieb allein auf dem Hügel zurück und schaute in der ihm von dem Führer angegebenen Richtung auf die graue, feuchte Nebelwand, welche den freien Ausblick verhinderte. Jenseits dieses Nebels lag ja die unheilvolle Burg, in die er gegen seinen Willen ziehen mußte. Nahe, ganz nahe lag sie vor ihm! Was von ihm gefordert ward, ohne Aufschub mußte es geschehen! Schwer bedrückte dieser Gedanke Jurands Herz. Zu der Unruhe, zu der Angst um Danusia, für die er selbst sein Herzblut hingegeben hätte, gesellte sich nun auch noch eine unbegrenzte Bitterkeit, ein ihm bis jetzt unbekannt gewesenes Gefühl der Demütigung. Er, Jurand, bei dessen Namen allein schon alle an der Grenze ansässigen Komture gezittert hatten, beugte sich nun deren Befehl! Er, der schon so viele von ihnen besiegt und mit Füßen getreten hatte, sollte nun von ihnen besiegt und mit Füßen getreten werden. So unerhört dünkte ihm dies, daß ihm schien, die ganze Welt müsse aus ihren Fugen gehen. War es denn denkbar, daß er sich vor den Kreuzrittern demütigen sollte, er, der es mit dem ganzen Orden aufgenommen haben würde, wenn es sich nicht um Danusia gehandelt hätte? Mehr als einmal schon hatte ein Ritter, dem nur die Wahl zwischen Schmach und Tod geblieben war, sich kämpfend auf ein ganzes Kriegsheer gestürzt! Ach, seiner harrte auch nur Schmach und Schande! Diese Ueberzeugung verursachte ihm einen so grimmen Schmerz, wie ihn der Wolf empfindet, den die Spitze eines Speeres trifft.

Doch über Jurands stählernen Körper gebot auch ein eiserner Wille. Ebenso wie er den Widerstand anderer zu brechen wußte, vermochte er sich selbst zu bezwingen.

»Nicht eher rühre ich mich von dieser Stelle,« sagte er sich, »bevor ich nicht Herr über diesen grimmen Haß geworden bin, der weit eher das Verderben des Kindes als dessen Rettung herbeiführen könnte.«

Und mit aller Kraft kämpfte er gegen sein stolzes Herz, gegen seinen Haß, gegen seine Streitlust an. Wer ihn auf jenem Hügel gesehen hätte, wie er auf seinem gewaltigen Rosse in voller Rüstung wie erstarrt saß, der würde ihn für einen aus Erz gegossenen Riesen gehalten und nicht geglaubt haben, daß in diesem unbeweglichen Ritter in dem Augenblicke der schwerste Kampf tobte, den das Leben entfachen konnte. Und so lange lag er im Streite mit sich selbst, bis er fühlte, daß er den Sieg über sich gewonnen hatte.

Mittlerweile wurde der Nebel durchsichtiger. Er verschwand zwar noch nicht vollständig, allein man konnte doch in der Ferne dunkles Gemäuer erkennen. Jurand bezweifelte keine Minute, daß dies die Mauern der Burg von Szczytno waren. Trotz dieses Anblickes rührte er aber noch immer kein Glied, sondern hub zu beten an, so heiß und inbrünstig, wie ein Mensch betet, der nur noch auf Gottes Barmherzigkeit baut.

Als er dann schließlich sein Pferd antrieb, da regte sich in seinem Herzen frischer Mut. Er war jetzt bereit, alles über sich ergehen zu lassen, was ihm auch zustoßen mochte. Der heilige Georg kam ihm jetzt in den Sinn, der Abkömmling eines der größten Geschlechter in Kappadocien. Auch dieser hatte schmachvolle Marter erleiden müssen, allein nicht zur Unehre hatte ihm dies gereicht, nein, nach göttlichem Gesetz ward er zum Schutzpatron aller namhaften Ritter erkoren. Von dessen Prüfungen hatte Jurand gar häufig von den Pilgern gehört, die aus fernen Ländern kamen, und die Erinnerung daran wirkte tröstend auf ihn ein.

Allmählich begann er aber wieder Hoffnung zu schöpfen. Die Krenzritter waren freilich wegen ihrer Rachsucht bekannt, er zweifelte daher auch nicht daran, daß sie sich für all die Niederlagen rächen würden, die er ihnen beigebracht, für all die Schmach, welche er ihnen bei jedem Zusammentreffen angethan, und für die Furcht, die er ihnen lange Jahre hindurch eingeflößt hatte.

Allein gerade diese Erwägung verlieh ihm nun Willenskraft. Er sagte sich, Danusia sei sicherlich nur deshalb von den Ordensbrüdern entführt worden, um Gewalt über ihn zu bekommen. Wenn er sich aber ihnen stellte, weshalb sollten sie dann noch länger Danusia der Freiheit berauben? Sicherlich Planten sie Schlimmes, weil sie aber in der Nähe von Masovien nichts gegen ihn zu unternehmen wagten, zwangen sie ihn, sich nach ihrer ferngelegenen Burg aufzumachen. Vielleicht legten sie ihn in Ketten, vielleicht drohte ihm lebenslängliche Haft in einem unterirdischen Kerker! Doch was wollte dies heißen, wenn er die Freiheit seines Kindes damit erkaufte? Sollte es auch ans Tageslicht kommen, daß man ihn in einen unterirdischen Kerker geworfen hatte, weder der Großmeister noch das Kapitel würde es den Kreuzrittern allzusehr verargen, denn seine, Jurands, Hand hatte in der That schwer auf ihnen gelastet, von ihm hatten sie weit Schlimmeres zu erdulden gehabt, als von irgend einem andern Ritter auf der Welt. Sofort aber würde sie der Großmeister für die Festhaltung des unschuldigen Mägdleins bestrafen, der Schutzbefohlenen des Fürsten, um dessen Freundschaft sich jener in Anbetracht des drohenden Krieges mit dem König von Polen eifrigst bemühte.

Eine immer größere Ruhe bemächtigte sich Jurands. Er zweifelte jetzt keinen Augenblick mehr, daß Danusia nach Spychow zurückkehren, daß sie unter Zbyszkos mächtigem Schutze gegen jede Gefahr gesichert sein werde. Das ist ein tapferer Bursche, sagte er sich, er wird ihr kein Leid widerfahren lassen. Und er rief sich mit einer gewissen Rührung all das ins Gedächtnis zurück, was er von Zbyszko wußte. »Gegen die Deutschen hat der junge Ritter bei Wilna gekämpft, im Zweikampfe hat er sich mit ihnen gemessen, er besiegte die Friesen, gegen die er mit dem Oheim stritt, gegen Lichtenstein ist er vorgegangen, vor dem Auerochsen hat er Danusia gerettet, den vier Kreuzrittern schickte er eine Herausforderung, von der er niemals abstehen wird.«

Hier erhob Jurand die Augen gen Himmel und rief: »Ich wollte sie Dir weihen, o Gott, Du aber schenktest sie Zbyszko.«

Würde sie aber Gott dem jungen Ritter zum Weibe gegeben haben, so fragte er sich weiter, um sie dann in den Händen der Kreuzritter zu Grunde gehen zu lassen? Nein, ihre Rettung war gewiß, dagegen vermochte keine Macht der Welt sich aufzulehnen. Und Zbyszko! Er war ja nicht nur tapfer, er war auch treu wie Gold. Bei ihm wird sie behütet sein, bei ihm wird sie heiße Liebe finden. »O Jesu!« betete er plötzlich laut, »gewähre dem Kinde ein frohes Geschick und laß mich hoffen, daß sie bei ihm weder den fürstlichen Hof, noch die väterliche Liebe vermißt.« Thränen traten bei diesen Worten in die Augen des Gebieters von Spychow und sein Herz krampfte sich schmerzlich zusammen. Ach, wie sehnte er sich, sein Kind wiederzusehen, wie wünschte er, wenn er denn doch aus dem Leben scheiden sollte, in Spychow bei den beiden ihm so teuern Wesen zu sterben und nicht in den dunkeln Kerkern der Kreuzritter den letzten Atemzug aushauchen zu müssen. »Doch der

.

Aus dem erleuchteten Fenster des Turmes ertönte der anfänglich kaum vernehmbare Klang einer Laute.

Wille Gottes geschehe!« murmelte er vor sich hin. Szczytno war bereits zu sehen. Der Nebel ward lichter und lichter, immer deutlicher traten die Mauern der Burg hervor. Die Stunde von Jurands Demütigung rückte heran. Er aber erstarkte mehr und mehr und sprach also zu sich: »Wohlan, der Wille Gottes geschehe! Ich stehe am Abend meines Lebens. Einige Jahre mehr, einige weniger, was will das heißen! Hei! Wohl möchte ich noch einmal die beiden Kinder sehen, allein jedem Menschen ist ein Lebensziel gesteckt. Was mir beschieden ward, das habe ich genossen und ertragen, an wem ich Rache üben wollte, an dem rächte ich mich. Mein Geschick hat sich erfüllt. Bei Gott ist’s besser sein als auf der Welt, was er uns auferlegt, das wird sich auch erfüllen. Danusia und Zbyszko, sie werden meiner nicht vergessen, wenngleich es besser für sie wäre, sie vergäßen meiner. Gewiß, wohl mehr als einmal werden sie sich fragen: Wo ist er jetzt? Lebt er noch oder ist er schon in die himmlische Heimat eingezogen? Sie werden nach mir fragen, nach mir forschen. Auf Rache sind die Kreuzritter stets bedacht, doch Lösegeld verschmähen sie nie. Und Zbyszko wird damit nicht sparen, selbst wenn er auch nur meine Gebeine loskaufen könnte. Und mehr als eine Messe werden sie für mich lesen lassen, das ist gewiß. Ein dankbares, liebevolles Herz besitzen beide. O segnet sie dafür, Du, o Gott, und Du, o heilige Mutter Gottes!«

Die Landstraße wurde indessen nicht nur immer breiter, sondern auch immer belebter. Unablässig zogen Wagen mit Holz und Strohbündeln beladen der Stadt zu, Viehhirten trieben ihre Herden dahin. Auch ein Bauer in Ketten wurde von vier Bogenschützen des Weges geleitet. Augenscheinlich sollte er eines Vergehens wegen vor Gericht gebracht werden, denn die Hände waren ihm auf den Rücken gebunden, an den Füßen aber trug er Fesseln, die auf dem Schnee schleifend, ihm das Gehen erschwerten. Mühsam und keuchend schleppte er sich weiter, während seine Wächter, die ihn beständig vorwärtstrieben, laut sangen. Als letztere Jurand erblickten, schauten sie ihn voll Neugierde an, offenbar ganz erstaunt über den mächtigen Reiter und das gewaltige Schlachtroß. Kaum bemerkten sie indessen die goldenen Sporen und den Rittergürtel, so senkten sie die Armbrust zur Erde als Zeichen der Ehrerbietung und zur Begrüßung. In dem Städtchen ging es schon äußerst lebhaft zu. Ein jeder wich jedoch vor dem bewaffneten Ritter zur Seite, welcher die Hauptstraße einschlagend, sich zur Burg wendete, die noch immer in nebligem Dunste lag, und in der noch alles zu schlafen schien.

Außerhalb der Burg herrschte indessen nichts weniger als Ruhe. Ganze Schwärme von Krähen und Raben flogen, aufgescheucht durch den des Weges ziehenden Reiter, krächzend und mit den Flügeln schlagend, umher. Bald genug begriff Jurand, weshalb sich hier eine solch große Zahl dieser Vögel angesammelt hatte. Seitwärts am Wege, der zu dem Burgthore führte, stand ein hoher, breiter Galgen, an dem die Leichname von vier masurischen Bauern hingen, die wohl den Kreuzrittern unterthan gewesen sein mochten. Da es völlig windstill war, hingen die Toten, die auf ihre Füße herab zu schauen schienen, fast ganz bewegungslos da und schaukelten nur dann hin und her, wenn die auf ihren Schultern und auf ihren Köpfen sitzenden Vögel sich gegenseitig zu vertreiben suchten, aufflogen, wieder zurückkehrten und mit ihren Schnäbeln auf die gesenkten Häupter einhackten. Die Bauern mußten schon lange an dem Galgen hängen, denn stellenweise lagen die Knochen an ihren Körpern ganz bloß, während sich die Beine unermeßlich in die Länge gezogen hatten. Beim Nahen Jurands schwang sich ein neuer Schwarm von Raben und Krähen mit lautem Gekrächze in die Luft, ließ sich aber dann bald wieder auf dem Querbalken des Galgens nieder. Das Zeichen des Kreuzes machend, ritt der Herr aus Spychow vorüber, hielt vor dem Graben an der Stelle an, an welcher die Zugbrücke über dem Thore aufgezogen war, und stieß in das Horn.

Ein zweites, ein drittes mal ließ er sein Horn ertönen. Alles blieb ruhig. Kein lebendes Wesen war auf den Wällen zu sehen, kein Laut drang aus dem Thore hervor. Endlich, nach minutenlangem Warten, öffnete sich hinter einem, neben dem Burgthore eingemauerten Gitter knirschend eine Klappe und das bärtige Gesicht eines deutschen Kriegsknechtes ward sichtbar.

»Wer da?« rief eine rauhe Stimme.

»Jurand aus Spychow!« antwortete der Ritter.

Daraufhin fiel die Klappe wieder rasch zu, und es trat abermals tiefes Schweigen ein.

Die Zeit verstrich. Auch nicht das geringste Geräusch drang aus dem Thore hervor. Dagegen ward das Gekrächze der um den Galgen fliegenden Vögel immer lauter.

Eine geraume Zeit hindurch wartete Jurand geduldig, dann setzte er das Horn aufs neue an die Lippen.

Keine Antwort erfolgte. Es herrschte eine lautlose Stille. Allgemach ward es Jurand klar, weshalb er vor dem Thore stehen mußte. Er kannte die Kreuzritter, er wußte, mit welch grenzenlosem Hochmute sie die Besiegten behandelten. Wie ein Bettler sollte er gedemütigt werden. Keine Minute zweifelte er daran, daß er vielleicht bis zum Abend oder noch länger zu warten habe. Im ersten Augenblick drohte ihn der Zorn zu übermannen. Am liebsten wäre er vom Pferde gestiegen und hätte einen der Steine, welche an dem Graben lagen, gegen das Gitter geschleudert. In einem andern Falle würde sowohl er wie jeder masovische oder polnische Ritter dies gethan haben, dann hätten sie hinter dem Thore hervorbrechen und sich ihm zum Kampfe stellen müssen. Jetzt bezwang er sich indessen abermals, indem er sich ins Gedächtnis zurückrief, weshalb er hierhergekommen war.

»Giebt es ein Opfer, das ich nicht für das Kind bringen würde?« fragte er sich.

Und geduldig wartete er vor der Burg.

Mittlerweile war es auf den Zinnen lebendig geworden. Da und dort tauchten Köpfe in Pelzumhüllung, in dunkeln Kapuzen, ja, in Blechhauben empor, und mehr als ein Augenpaar warf neugierige Blicke auf den Ritter. Mit jeder Minute vermehrte sich die Zahl dieser Beobachter, war es doch für die Besatzung ein unerhörter Anblick, den gefürchteten Gebieter von Spychow einsam vor dem Burgthore auf seinem Streitroß halten zu sehen. Wer sich ihm früher genähert hatte, der ging einem sicheren Tode entgegen, nun aber konnte man ihn gefahrlos, nach Herzenslust betrachten. Nach und nach wurden all diese Neugierigen immer sichtbarer, so daß schließlich die Zinnen in der Nähe des Thores geradezu mit Kriegsknechten bedeckt waren. Jurand glaubte nicht anders, als daß auch die Vorgesetzten durch das Gitterfenster in dem an das Thor angebauten Turm auf ihn blickten. Er schaute daher empor, überzeugte sich aber sofort von seinem Irrtume. Aus diesem, tief in die dicken Mauern eingefügten Fenster vermochte man nur in die Ferne zu sehen. Dagegen begann nun die auf der Brustwehr angesammelte Schar, die sich bis jetzt ganz still verhalten hatte, lauter und lauter zu werden. Dieser und jener nannte Jurands Namen, rohes Lachen ertönte, ein heiseres Geschrei, ein wüstes Geheul wie von Wölfen erhob sich, stets rücksichtsloser, stets verwegener wurden die Rufe, und da kein Mensch diesen Ausschreitungen steuerte, ward schließlich der Gebieter von Spychow mit Schnee beworfen. Kaum setzte indessen letzterer sein Roß, wie unwillkürlich, leise in Bewegung, so hörte sofort das Werfen mit Schnee auf, das Geschrei verstummte, ja, etliche der Helden verschwanden hinter den Mauern. In solcher Weise war Jurands Name gefürchtet. Nur zu bald kam es jedoch den feigherzigen Memmen zum Bewußtsein, daß sie ja durch Gräben und Wälle von dem Schrecken einjagenden Masuren getrennt waren, sie huben daher nicht nur von neuem an, den Harrenden mit Schnee zu bewerfen, sondern sie schleuderten ganze Eisschollen, Mörtel und Steine auf ihn, die mit lautem Geklirr von der Rüstung des Ritters, von dem Sattelzeuge des Rosses absprangen.

»Für das Kind ist mir kein Opfer zu schwer,« sagte sich Jurand.

Und er wartete und wartete. Die Mittagszeit nahte heran. Die Zinnen verödeten, denn die Söldner begaben sich zum Mahle. Nur etliche, welche die Wache hatten, aßen auf der Brustwehr und vergnügten sich dabei, den hungrigen Ritter mit den abgenagten Knochen zu bewerfen. Dann verhöhnten sie sich gegenseitig, indem einer den andern fragte, wer wohl von ihnen den Mut haben werde, zu jenem hinabzusteigen, um ihm mit der Faust einen Schlag in den Nacken oder mit dem Speere einen Stoß zu versetzen. Verschiedene, die von dem Mahle zurückkehrten, riefen ihm zu, er möge es nur sagen, wenn er des Wartens müde sei, an dem Galgen befinde sich noch ein freier Haken, an dem auch schon der Strick hänge. Und unter solchen Spottreden, unter solch wüstem Geschrei schwanden die Stunden dahin, der kurze Wintertag neigte sich seinem Ende zu. Der Abend brach an. Allein die Zugbrücke ward nicht herabgelassen, das Thor blieb geschlossen.

Plötzlich erhob sich ein Wind, der den Nebel zerteilte. Das von der Abendröte vergoldete Firmament ward sichtbar. Bläulich violett schimmerte der Schnee. Der Frost ließ nach, die Nacht versprach, schön zu werden. Nur die Wache befand sich noch auf der Zinne; die Krähen und Raben flogen von dem Galgen hinweg, dem Walde zu. Dunkler und dunkler wurde es, eine völlige Stille trat ein.

»Erst in der Nacht werden sie mir das Thor öffnen,« dachte Jurand.

Während eines Augenblickes erwog er es ernstlich, ob er nicht in das Städtchen zurückkehren solle, rasch verwarf er aber wieder diesen Gedanken. Es ist ihr Wille, daß ich hier stehe, sagte er sich. Wenn ich mich auch jetzt von hier entferne, lassen sie mich doch nicht wieder ziehen. Sie werden mich umzingeln, und weil sie sich dann meiner gewaltsam bemächtigt haben, erklären, sie seien mir zu nichts verpflichtet. Was nützt es daher, hinweg zu reiten, ich muß ja doch wieder zurückkehren.

Die von fremden Chronisten gerühmte, erstaunliche Ausdauer der polnischen Ritter im Ertragen von Kälte, Hunger und Beschwerden aller Art, befähigte diese häufig zum Vollbringen von Thaten, welche auszuführen die verweichlichteren Bewohner des Westens niemals im stande gewesen wären. Jurand aber besaß diese Ausdauer in noch höherem Maße als alle andern. Wenn sich ihm daher auch vor Hunger die Eingeweide zusammenzogen, wenn ihn auch die nächtliche Kühle trotz des über die Rüstung geworfenen Pelzes erschauern machte, er hielt auf seinem Posten aus, er hätte selbst dem Tode zu trotzen gewagt.

Plötzlich indessen – es herrschte schon fast tiefe Nacht – hörte er hinter sich feste Schritte auf dem knirschenden Schnee.

Sich umschauend, gewahrte er sechs Männer von der Stadt her des Weges kommend. Sie alle waren mit Lanzen und Hellebarden bewaffnet, während ein siebenter, der in ihrer Mitte einherging, ein Schwert trug. »Vielleicht wird jetzt das Thor geöffnet, und ich komme auch hinein,« dachte Jurand. »Mit Gewalt werden sie mich doch nicht ergreifen wollen, sie werden auch nicht versuchen, mich zu töten, denn ihre Zahl ist zu gering dazu. Planen sie aber doch einen Angriff auf mich, so dient mir dies als Beweis, daß sie ihr Versprechen nicht zu halten gedenken, und dann wehe ihnen.«

Unverweilt ergriff er die stählerne Streitaxt, welche am Sattel hing und welche so schwer war, daß jeder andere Mann sie nur mit zwei Händen hätte fassen können, und wendete sein Roß ihnen zu.

Jene aber dachten nicht daran, ihn zu überfallen. Im Gegenteile, die Kriegsknechte stießen sofort die Lanzen und Hellebarden in den Schnee, wobei ihnen indessen, wie Jurand, da er sich ganz in ihrer Nähe befand, deutlich bemerkte, die Hand doch ein wenig zitterte.

Der siebente Kriegsknecht, welcher außerdem der älteste zu sein schien, streckte sofort den linken Arm aus und fragte, mit dem Finger vor sich deutend: »Seid Ihr, Herr Ritter, Jurand aus Spychow?«

»Ich bin es.«

»Wollt Ihr hören, weshalb ich hierher gesandt ward?«

»Ich höre.«

»Der tapfere und mächtige Komtur von Danveld befahl mir, Euch zu sagen, o Herr, daß wenn Ihr nicht vom Pferde steigt, Euch das Thor nicht geöffnet werde.«

Während einiger Minuten saß Jurand ganz bewegungslos da, dann stieg er rasch vom Pferde, auf das sofort einer der Lanzenträger sprang.

»Die Waffen müßt Ihr uns auch ausliefern,« ließ sich aufs neue der Söldner mit dem Schwerte vernehmen.

Der Gebieter von Spychow zauderte eine geraume Zeit. »Wie,« so fragte er sich, »wenn sie dann auf mich Unbewaffneten stürzen, wenn sie mich wie ein wildes Tier niederstoßen? Oder könnten sie mich nicht auch ergreifen und in einen unterirdischen Kerker werfen? Doch nein, wenn sie einen Ueberfall planten, wären sie dann nicht in größerer Zahl erschienen, hätten sie es nicht unterlassen, ihre Waffen so nahe bei mir in den Schnee zu stoßen? Würde es dann nicht ein Leichtes für mich sein, die erste beste Waffe an mich zu reißen und alle zu erschlagen, bevor Hilfe eintreffen kann? Nein, dazu kennen sie mich zu gut.«

»Doch wenn dies auch der Fall wäre,« fragte er sich weiter, »wenn mein Blut fließen soll, was zaudere ich? Habe ich denn etwas anderes erwartet, als ich mich hier einstellte?«

Ohne noch lange zu zögern, warf er nun zuerst die Streitaxt, dann sein Schwert und schließlich das Misericordia von sich und harrte abermals der Dinge, die da kommen sollten. Rasch nahmen die Lanzenträger und Hellebardiere die Waffen an sich, während jener, der Jurand zuvor angeredet hatte, sich diesem noch mehr näherte, vor ihm stehen blieb und mit erhobener Stimme kühn also zu sprechen anhub: »Für all die Beschimpfungen, welche Du dem Orden zugefügt hast, sollst Du Dich nun, so lautet der Befehl des Komturs, in diesen härenen Sack hüllen, die Scheide dieses Schwertes an einem Stricke um den Hals hängen, und so lange vor dem Thore wartend stehen, bis es Dir durch die Gnade des Komturs geöffnet werden wird.«

Kaum waren diese Worte verklungen, so stand Jurand wieder allein in der Dunkelheit und in der nächtlichen Stille. Vor ihm auf dem Schnee lagen das Bußgewand und der Strick. Lange schaute er darauf. Ihm war es, als ob in ihm etwas entzwei gegangen, als ob etwas in ihm vernichtet und erstorben sei, ihn dünkte, er sei nicht mehr der gewaltige Ritter, nicht mehr Jurand aus Spychow, sondern ein armseliger Sklave ohne Namen, ohne Ruhm, ohne Ehre.

Erst nach Verlauf einiger Minuten machte er etliche Schritte vorwärts, indem er laut sagte: »Was soll ich thun? Du, Christus, Du weißt es: mein unschuldiges Kind erwürgen sie, wenn ich nicht alles ausführe, was sie befehlen. Und Du weißt es auch, daß ich um des eigenen Lebens willen mich niemals zu einem solchen Thun verstanden hätte! Bitter ist’s, Schmach und Schande auf sich zu nehmen! Schmerzlich ist es! Doch auch Du hast vor dem Kreuzestode Schmach und Schande erlitten. Es sei denn … Im Namen des Vaters und des Sohnes.«

Rasch beugte er sich nieder, hüllte sich in den Sack, in dem Löcher für den Kopf und die Arme eingeschnitten waren, schlang sich den Strick mit der Scheide des Schwertes um den Hals und schleppte sich an das Thor.

Doch nach wie vor blieb dasselbe geschlossen. Was kümmerte es aber nun noch den Gebieter von Spychow, ob das Thor ihm früher oder später geöffnet werde! In nächtlichem Schweigen lag die Burg. Dann und wann nur zeigte sich die Wache auf der Brustwehr. Ein einziges, hoch oben gelegenes Fenster des am Thore stehenden Turmes war erhellt, aus keinem der andern erstrahlte auch nur der geringste Lichtschein.

Langsam schwanden die Stunden dahin. Am Himmel stieg die Mondsichel empor und warf ihren silbernen Schimmer auf die finstere Burg. Eine solche Stille herrschte, daß Jurand das Klopfen des eigenen Herzens hätte hören können. Allein er schien wie erstarrt, wie versteinert zu sein. Ueber nichts vermochte er sich Rechenschaft zu geben, ihm war, als ob seine Seele schon entflohen sei. Ein Gedanke allein verfolgte ihn … Nein, er war nicht mehr der gewaltige Ritter Jurand aus Spychow – zu was er aber herabgesunken war – darüber konnte er nicht klar werden … Zuweilen kam es mich über ihn, als ob von jenem Galgen her der Tod leise, leise über den Schnee zu ihm heran schleiche …

Plötzlich indessen erbebte er am ganzen Körper und fuhr aus seiner Erstarrung empor: »O allbarmherziger Christus! Was ist das?«

Aus dem erleuchteten Fenster des Turmes ertönte der anfänglich kaum vernehmbare Klang einer Laute. Auf seinem Ritte nach Szczytno war Jurand der festen Ueberzeugung gewesen, Danusia befinde sich nicht in der Burg, doch dieser Lautenklang in der Stille der Nacht erschütterte ihn aufs höchste. Nur zu gut kannte er diese Weise. Wer sollte sie denn sonst spielen als sein Kind, sein einziges, geliebtes Kind! … Wie in Fieberhitze zitternd, stürzte er auf die Knie, faltete die Hände zum Gebete und lauschte und lauschte.

Inzwischen hub eine halb kindliche, halb sehnsüchtig klingende Stimme zu singen an:

Wie wär‘ ich gerne
Ein Gänslein klein,
Ich flög‘ in die Ferne
Zu Jasio mein!

Jurand wollte aufschreien, wollte den geliebten Namen rufen, allein die Worte erstarben ihm in der wie von einer eisernen Klammer zusammengepreßten Kehle. Der plötzlich mit aller Macht hervorbrechende Schmerz, die Thränen, die Sehnsucht, der Jammer drohten ihm die Brust zu zersprengen. Sich mit dem Gesichte auf den Schnee werfend, rief er mit der leidenschaftlichen Inbrunst, mit der man ein Dankgebet spricht: »O Jesu! So höre ich denn noch einmal die Stimme meines Kindes! O Jesu! …«

Ein heftiges Schluchzen erschütterte den gewaltigen Körper Jurands. Aus dem Turme aber ertönte wiederum der sehnsüchtige Gesang in die Stille der Nacht hinaus:

In Schlesien flög‘ ich nieder
Auf grünem Rain,
Die Waise sieh wieder,
O Jasienko mein!

Da plötzlich erhielt der vor dem Thore liegende Ritter von der rohen Hand eines bärtigen deutschen Kriegsknechtes einen heftigen Stoß in die Seite.

»Auf die Beine, Hund! … Das Thor ist offen, der Komtur befiehlt Dir, vor ihm zu erscheinen.«

Jurand fuhr wie aus einem Traume empor. Doch er ergriff weder den Söldner an der Kehle, noch zermalmte er ihn mit seinen eisernen Händen, nein, mit einem ergebenen, fast demütigen Gesichtsausdrucke erhob er sich und folgte, ohne ein Wort zu sprechen, seinem Führer durch das Thor.

Gleich darauf vernahm er hinter sich das Klirren von Ketten, die Zugbrücke wurde in die Höhe gezogen, das schwere, eiserne Gitter des Thores fiel herab.

– – – – – –

Erstes Kapitel.

.

Im Vorhofe der Burg angelangt, wußte Jurand anfangs nicht, wohin er sich wenden solle, da der Kriegsknecht, welcher ihn durch das Thor geführt hatte, ihn dann verließ und sich den Stallungen zuwandte. Allüberall auf den Zinnen standen Söldner, da und dort befand sich ein einzelner, an andern Stellen waren mehrere beisammen, allein ihre Mienen waren so frech, ihre Blicke so höhnisch, daß der Ritter sich sagen mußte, sie würden ihm den Weg nicht zeigen, und wenn sie seine Fragen überhaupt beantworteten, dies nur auf grobe und verächtliche Weise thun.

Manche lachten, indem sie mit den Fingern auf ihn zeigten, von andern ward er mit Schnee beworfen, gerade wie am Tage zuvor. Er aber, der jetzt eine Thüre gewahrte, die höher und breiter war als alle andern und über der ein Christusbild aus Stein angebracht war, schritt darauf zu, weil er dachte, wenn der Komtur und die Aeltesten sich in einem anderen Teile der Burg befänden, müsse ihn doch jemand über seinen Irrtum aufklären und auf den richtigen Weg weisen.

Und so geschah es auch. Im Augenblick, da Jurand sich jener Thüre näherte, öffneten sich plötzlich die beiden Thürflügel, und ein Jüngling trat hervor, dessen Haupt wie das eines Klerikers geschoren war, der aber weltliche Kleidung trug.

»Seid Ihr Jurand, der Herr aus Spychow?« fragte er.

»Ich bin es!«

»Der Komtur befahl mir, Euch zu geleiten. Folget mir!«

Und er führte ihn durch den gewölbten Gang der Treppe zu. An den Stufen blieb er indessen stehen und Jurand mit dem Blicke messend, fragte er: »Ihr tragt doch keine Waffen bei Euch? Man befahl mir, Euch zu durchsuchen.«

Da richtete sich Jurand hoch auf, so daß der Jüngling seine kraftvolle Gestalt so recht ins Auge fassen konnte, und entgegnete: »Gestern habe ich alle ausgeliefert.«

Jetzt dämpfte der Führer die Stimme und sagte beinahe im Flüstertone: »Dann hütet Euch, Euerem Zorn die Zügel schießen zu lassen, denn einer mächtig waltenden Hand seid Ihr anheim gegeben!«

»Aber durch den Willen Gottes!« antwortete Jurand.

Bei diesen Worten betrachtete er seinen Führer aufmerksam, und da er in dessen Antlitz etwas wie Mitgefühl wahrnahm, fügte er hinzu: »Offenheit und Redlichkeit schauen Dir aus den Augen, o Jüngling! Willst Du mir daher aufrichtig das beantworten, was ich Dich frage?«

»Sprecht schnell!« sagte der Führer.

»Werden sie nun, da ich gekommen bin, mein Kind freigeben?«

Der Jüngling zog verwundert die Brauen zusammen.

»Euer Kind ist es also, das sich hier befindet?«

»Meine Tochter.«

»Die Jungfrau in dem Turme am Thore?«

»Ja! Sie versprachen, das Kind zurückzuschicken, wenn ich mich selbst stelle.«

Der Führer machte eine Bewegung mit der Hand, zum Zeichen, daß er nichts wisse, aber sein Gesicht drückte Besorgnis und Zweifel aus.

Und Jurand fragte weiter: »Es ist doch wahr, daß sie unter dem Schutze von Szomberg und Markwardt steht?«

»Die beiden befinden sich gar nicht in der Burg. Bringt die Jungfrau fort, Herr, ehe der Starost Danveld wieder gesundet.«

Als Jurand dies vernahm, begann er zu zittern, aber er hatte keine Zeit, noch mehr zu fragen, da sie nun in den oberen Stock und zu dem Saal gelangt waren, wo Jurand vor das Antlitz des Starosten von Szczytno treten sollte. Der Jüngling öffnete die Thüre und zog sich dann sofort wieder zurück.

Der Gebieter von Spychow überschritt die Schwelle und befand sich in einer ungewöhnlich großen, aber düsteren Kemenate, da die in Blei gefaßten Fensterscheiben nur wenig Licht zuließen, der Tag aber trübe und winterlich war. Am äußersten Ende des Saales brannte zwar ein Feuer in dem großen Kamine, allein die feuchten Holzscheite leuchteten kaum. Erst nach einer gewissen Zeit, als Jurand sich an das Halbdunkel gewöhnt hatte, gewahrte er im Hintergrund einen Tisch, woran einige Ritter saßen, und hinter diesen eine ganze Schar bewaffneter Knappen, sowie bewaffneter Knechte, unter denen sich der Hofnarr befand, der einen zahmen Bären an der Kette hielt.

Schon in früherer Zeit war Jurand mit Danveld zusammengetroffen, dann hatte er ihn zweimal am Hofe des Fürsten von Masovien als Gesandten gesehen, seitdem waren einige Jahre verflossen. Trotz des Halbdunkels erkannte er ihn daher sofort wieder an den Umrissen seiner feisten Gestalt und seines Gesichtes, sowie auch daran, daß er in der Mitte auf einem Armstuhl saß und die geschiente Hand auf die Lehne stützte. An seiner rechten Seite saß der alte Zygfryd de Löwe aus Insburk, der unversöhnliche Feind Jurands und des polnischen Stammes überhaupt, an seiner linken die jüngeren Brüder Godfryd und Rotgier. Danveld hatte sie absichtlich herbeschieden, damit sie seinen Triumph über diesen furchtbaren Widersacher mitansehen konnten. So saßen sie denn gemächlich da, in weiche, dunkle Tuchgewänder gekleidet, mit leichten Schwertern an der Seite, froh erregt und voll Selbstbewußtsein.

Lange Zeit herrschte tiefes Schweigen, denn sie wollten sich weiden an dem Anblick des Mannes, den sie früher geradezu gefürchtet hatten, und der jetzt tief gebeugt vor ihnen stand, der jetzt in einen härenen Sack gehüllt war und um den Hals einen Strick trug, an dem die Scheide eines Schwertes hing.

Offenbar wünschten sie auch, daß eine große Anzahl von Leuten seine Demütigung mitansehe, denn durch die in die andern Stuben führenden Seitenthüren konnte eintreten, wer Lust hatte, und bald war der Saal fast zur Hälfte mit Bewaffneten angefüllt. Alle schauten mit unendlicher Neugierde auf Jurand, sprachen laut und machten Bemerkungen über ihn. Er aber faßte wieder Mut bei ihrem Anblick, denn er sagte sich, wenn Danveld nicht halten wollte, was er versprach, so hätte er nicht so viele Zeugen geladen.

Da gebot Danveld durch eine Handbewegung Schweigen und gab einem der Knappen ein Zeichen, worauf dieser sich Jurand näherte und den Strick an dessen Hals erfassend, ihn um einige Schritte näher zu dem Tische heranzog.

Jetzt nahm Danveld das Wort und sagte zu dem Gefangenen: »Du hast Dich mit dem Orden herumgebissen wie ein wütender Hund, deshalb fügte es Gott, daß Du wie ein Hund mit einem Strick um den Hals vor uns stehst und unserer Gnade, unserem Erbarmen anheim gegeben bist.«

»Vergleiche mich nicht mit einem Hunde, Komtur,« entgegnete Jurand, »denn damit nimmst Du auch all denen die Ehre, welche mit mir kämpften und durch meine Hand fielen.«

Auf diese Worte hin erhob sich ein Gemurmel unter den bewaffneten Mannen, doch wäre es schwer zu sagen gewesen, ob sie über diese kühne Antwort erzürnt oder von ihrer Richtigkeit betroffen waren.

Aber eine derartige Wendung des Gespräches behagte dem Komtur nicht und er sagte: »Seht, sogar hier besudelt er uns voll Hochmut und voll Hoffart mit seinem Geifer.«

Und Jurand hob die Hände empor wie ein Mensch, welcher den Himmel zum Zeugen anruft, und entgegnete, das Haupt schüttelnd: »Gott weiß, daß meine Hoffart mich verließ, als ich den Fuß in diese Burg setzte. Gott weiß aber auch und wird darüber richten, ob Ihr Euch nicht selbst beschimpft und in mir den ganzen Ritterstand, indem Ihr mich beschimpft. Denn die Ritterehre ist das, was jeder Gegürtete hochhalten sollte.«

Danveld runzelte die Stirne, aber in diesem Augenblick bewegte der Narr die Kette, woran er den Bären festhielt, so daß sie laut klirrte, und rief aus: »Eine Strafpredigt! Eine Strafpredigt! Ein Prediger aus Masovien ist zu uns hierher gekommen! Hört! Eine Strafpredigt! …«

Dann wendete er sich zu Danveld:

»Herr,« sagte er, »als Graf Rosenheim durch den Glöckner wegen der Predigt allzu früh erweckt ward, befahl er ihm, die Schnur des Glockenturmes von einem Knoten zum andern aufzuessen. Dieser Prediger hat ein Seil um den Hals, befiehl ihm, es aufzuessen, bevor die Predigt zu Ende ist.«

Während er so sprach, blickte er indessen mit einer gewissen Unruhe auf den Komtur, weil er nicht sicher war, ob jener lachen oder ihn wegen der unzeitigen Bemerkung auspeitschen lassen werde.

Als er jedoch sah, daß Danveld über seine Scherze durchaus nicht ungehalten war, wurde er kühn und schrie: »Hole den Striegel und kämme den Bären, dann mag er Dir als Gegendienst die Haarzotteln kämmen!«

Daraufhin ließ sich da und dort Gelächter vernehmen, und aus den Umherstehenden rief jemand: »Im Sommer wirst Du das Rohr am See schneiden!«

»Und mit Aas Krebse fangen,« rief ein anderer.

Ein dritter aber fügte hinzu: »Und jetzt fange an, die Krähen von dem Galgen zu verscheuchen. An Arbeit soll es Dir hier nicht mangeln.«

So verhöhnten sie Jurand, der ihnen einst so furchtbar erschienen war. Allmählich überkam eine gewisse Fröhlichkeit die ganze Versammlung. Manche traten hinter dem Tisch hervor, näherten sich dem Gefangenen, um ihn genau zu betrachten, und sagten: »Dies ist also der wilde Eber, dem unser Komtur die Hauzähne ausschlug. Er hat gewiß Schaum vor dem Maule, gar gerne würde er beißen, aber er kann nicht!« Danveld und die andern Ritter, welche anfangs dieser Vernehmung des Gefangenen den Anschein einer feierlichen Gerichtssitzung hatten geben wollen und nun sahen, daß die Sache eine andere Wendung nahm, erhoben sich alle von den Bänken und gesellten sich zu denen, welche bei Jurand standen.

Der alte Zygfryd aus Insburk sah dies ungern, doch der Komtur sprach zu ihm: »Runzelt die Stirne nicht, es wird noch größere Lustbarkeit geben!« Und auch sie begannen Jurand zu betrachten, da sich eine solche Gelegenheit selten bot, denn war einer der Ritter oder Knechte ihm zuvor so nahe gekommen, so schlossen sich meist dann seine Augen für immer.

Manche sagten: »Breitschultrig ist er, wenn schon er ein dickes Fell unter dem Sacke hat, man könnte ihn mit Erbsenstroh umwinden und auf den Jahrmarkt führen.« Wieder andere riefen nach Bier, damit der Tag sich noch fröhlicher für sie gestalte.

In der That vernahm man nach wenig Augenblicken das Klappern der gefüllten Krüge, und der düstere Saal erfüllte sich mit dem Geruch des unter den Deckeln hervorquellenden Schaumes. Der aufgeheiterte Komtur erklärte laut: »So ist es gerade recht, er soll nicht denken, daß sein Verhör eine wichtige Sache für uns ist.« Deshalb näherten sie sich ihm wieder und ihn mit ihren Krügen unter das Kinn stoßend, sagten sie: »Du würdest wohl gerne trinken, Du massurischer Rüssel?« Manche gossen sich Bier in die Hand und spritzten es ihm in die Augen, er aber stand da wie vernichtet, zuletzt aber stürzte er auf den alten Zygfryd zu, und offenbar fühlend, daß er sich nicht länger beherrschen könne, schrie er laut genug, um den im Saal herrschenden Lärm zu übertäuben: »Bei dem Leiden Christi und Euerm ewigen Seelenheil, gebt mir mein Kind zurück, wie Ihr versprochen habt!«

Und er wollte die Hand des alten Komturs ergreifen, allein dieser wich rasch zurück und rief: »Fort von mir, Sklave, was begehrst Du?«

»Ich entließ Bergow aus der Gefangenschaft und bin selbst hierhergekommen, weil Ihr verspracht, daß Ihr mir dafür meine Tochter wiedergebt, die sich hier befindet.«

»Wer versprach Dir dies?« fragte Danveld.

»Auf Glauben und Gewissen, Du, Komtur!«

»Zeugen hast Du jedoch nicht und in diesem Falle könnte von einer Berufung auf Zeugen auch nicht die Rede sein, da es sich um mein Versprechen und um meine Ehre handelt!«

»Ich beschwöre Dich bei Deiner Ehre! Bei der Ehre des Ordens!« rief Jurand.

»Die Tochter soll Dir wiedergegeben werden,« antwortete Danveld. Dann wendete er sich zu der Versammlung und sprach: »Alles, was ihm hier widerfuhr, ist unschuldiger Zeitvertreib und steht nicht in richtigem Verhältnis zu seinen Verbrechen. Dieweil wir aber versprachen, ihm die Tochter wiederzugeben, sobald er sich stelle und sich vor uns demütige, soll es sich auch zeigen, daß wir unser Wort halten, indem wir jenes Mädchen, das wir den Händen der Ränder entrissen, frei lassen und nach des Gefangenen strenger Buße wegen seiner Sünden gegen uns, auch ihm gestatten, sich in seine Burg zu begeben.«

Diese Rede setzte viele in Erstaunen, da sie Danveld und seinen langjährigen Haß auf Jurand kannten und solche Zugeständnisse nicht von ihm erwartet hatten. Der alte Zygfryd sowie Rotgier und Bruder Godfryd schauten ihn daher voll Verwunderung an, indem sie die Stirne runzelten, jener indessen that, als ob er die fragenden Blicke nicht sehe, und setzte hinzu: »Deine Tochter werden wir unter Bedeckung zurücksenden. Du aber bleibst hier, bis ihre Begleiter ungefährdet wiedergekehrt sind und Du das Lösegeld bezahlt hast.«

Jurand selbst war ein wenig erstaunt, denn er hatte schon die Hoffnung aufgegeben, daß sein Opfer Danusia etwas nützen werde. Deshalb schaute er fast dankbar auf Danveld und erwiderte: »Gott lohne Dir, Komtur! Da ich aber das Kind lange Zeit nicht gesehen habe, gestatte mir, es zu umarmen und ihm meinen Segen zu geben.«

»Wohl, doch nur in Gegenwart all der Unsrigen, daß sie Zeugen unserer Treue und unserer Gnade sind!«

So sprechend, gebot er einem auf der Seite stehenden Knappen, Danusia hereinzuführen, er selbst aber trat zu Zygfryd de Löwe, Rotgier und Godfryd heran, die ihn sofort umringten und eifrig auf ihn einzureden begannen.

»Ich werde keinen Einspruch erheben, obgleich ich ganz andere Absichten hatte,« erklärte der alte Zygfryd.

Und der heißblütige, wegen seiner Tapferkeit und Grausamkeit berüchtigte Rotgier sagte: »Wie! Nicht nur das Mädchen, sondern auch diesen verteufelten Hund läßt Du frei, auf daß er uns wiederum beißen kann?«

»Nun wird er sich noch toller gebärden!« rief Godfryd aus.

»Das Lösegeld wird er jedenfalls bezahlen!« entgegnete Danveld in sorglosem Tone.

»Und wenn er auch alles hingiebt, so stiehlt er in einem Jahre wieder zweimal soviel zusammen.«

»Ich erhebe keinen Einwand wegen des Mädchens,« wiederholte Zygfryd, »aber ist der Wolf frei, so müssen die Schäfchen des Ordens dafür büßen.«

»Und unser Wort?« fragte Danveld lachend.

»Du hattest früher andere Ansichten …«

Danveld zuckte die Achseln: »Habt Ihr Euch noch nicht genug ergötzt?« fragte er. »Verlangt Euch nach größerer Belustigung?«

Die andern umringten Jurand abermals, und überzeugt, daß von dem Lobe, welches Danveld ob seiner Redlichkeit gezollt ward, ein Abglanz auch auf sie falle, überboten sie sich dem Gefangenen gegenüber in Prahlereien.

»Was meinst Du, Steinadler,« sagte der Hauptmann der Bogenschützen, »Deine heidnischen Brüder würden doch mit unsern christlichen Rittern nicht so verfahren?«

»Du aber hast Dich in unserm Blute berauscht.«

»Und für Steine gaben wir Dir Brot.«

Doch Jurand achtete kaum auf den Hochmut, die Verachtung, welche in diesen Worten lagen. Sein Herz war allzuvoll, in seinen Augen standen Thränen. Dachte er doch, daß er innerhalb weniger Minuten Danusia wiedersehen werde, und daß er dies Wiedersehen der Gnade der Kreuzritter verdanke. Deshalb blickte er beinahe reuevoll auf die Sprechenden und schließlich sagte er: »Das ist die Wahrheit! Das ist die Wahrheit! Schwer bedrückte ich Euch, aber … Hinterlist kannte ich nicht.«

In diesem Augenblick rief eine Stimme am andern Ende des Saales: »Sie bringen das Mädchen!« und sofort trat tiefe Stille ein. Die Söldlinge stellten sich in zwei Reihen einander gegenüber auf, und da keiner von ihnen bisher Jurands Tochter gesehen hatte, ward ihr Interesse um so größer, als Danveld seine That in den Schleier des Geheimnisses gehüllt hatte und ihnen bisher nichts von der Ankunft des Mädchens in der Burg bekannt gewesen war. Die wenigen unter den Anwesenden, welche schon davon wußten, teilten flüsternd Bemerkungen über die wunderbare Schönheit der Erwarteten aus, aller Augen richteten sich daher mit außerordentlicher Neugier auf die Thüre, durch welche sie eintreten sollte.

Zuerst erschien ein Knappe, hinter ihm die allen wohlbekannte Dienerin des Ordens, dieselbe, welche sich einige Zeit in dem Jagdschlößchen aufgehalten hatte, und dieser folgte ein weißgekleidetes Mädchen mit aufgelösten, durch eine Stirnbinde festgehaltenen Haaren.

Und plötzlich ließ sich ein lautes Gelächter im ganzen Saale vernehmen. Jurand, welcher auf seine Tochter zugeeilt war, fuhr sofort wieder zurück und stand wie erstarrt, mit totenbleichem Antlitz da, indem er voll Verwunderung auf den spitzen Kopf, die bläulichen Lippen und blöden Augen der Jammergestalt sah, welche für Danusia galt.

»Das ist nicht meine Tochter!« sagte er mit bebender Stimme.

»Nicht Deine Tochter?« rief Danveld. »Beim heiligen Liborius von Paderborn, dann ist es entweder nicht Deine Tochter gewesen, die wir den Händen der Räuber entrissen, oder irgend ein Schwarzkünstler hat sie verzaubert, denn eine andere Jungfrau befindet sich nicht in Szczytno.«

Der alte Zygfryd, Rotgier und Godfryd wechselten Blicke miteinander, welche das größte Staunen über Danvelds Schlauheit und Verschlagenheit ausdrückten, doch keiner von ihnen hatte Zeit, sich zu äußern, da Jurand in diesem Augenblick mit furchtbarer Stimme ausrief: »Ja! Es befindet sich noch eine Jungfrau in Szczytno. Ich hörte wie sie sang, ich hörte Danusias Stimme!«

Nun wendete sich Danveld zu den Versammelten, indem er in ruhigem, entschiedenem Tone erklärte: »Ich rufe Euch, die hier Anwesenden, besonders aber Dich, Zygfryd aus Insburk und Euch Rotgier und Godfryd zu Zeugen darüber auf, daß ich meinem Worte und Versprechen gemäß diese Jungfrau, welche nach der Aussage der durch uns überwältigten Räuber die Tochter Jurands aus Spychow ist, zurückgebe. Ist diese Aussage unrichtig – dann darf man uns keine Schuld beimessen, wohl aber eine glückliche Fügung darin sehen, daß durch dies Mittel Jurand in unsre Gewalt gekommen ist.«

Zygfryd, sowie die beiden jüngeren Brüder neigten ihre Häupter zum Zeichen, daß sie seine Worte gehört hatten und Zeugnis ablegen wollten, wenn es nötig sei. Und abermals wechselten sie rasche Blicke – war dies doch mehr als sie selbst hatten erwarten können, denn welcher andere wäre im stande gewesen, Jurand festzunehmen, ihm die Tochter vorzuenthalten und den Anschein zu wahren, als ob er das gegebene Versprechen einlöse?

Aber Jurand warf sich auf die Knie nieder und beschwor Danveld bei allen Reliquien von Marienburg sowie bei der Asche seiner Väter, ihm die Tochter zurückzugeben und nicht wie ein Betrüger, ein Verräter an ihm zu handeln, der sich durch keinen Eid, kein Versprechen gebunden glaube. In seiner Stimme lag soviel ungeheuchelte Verzweiflung, daß manche der Anwesenden sich sagten, hier müsse ein Geheimnis im Spiele sein, wieder andere hingegen auf den Gedanken kamen, irgend ein Schwarzkünstler müsse in der That die Gestalt des Mädchens verwandelt haben.

»Gott sieht auf Deinen Verrat hernieder!« rief Jurand. »Bei den Wundmalen des Erlösers! Bei Deiner Todesstunde! Gieb mir mein Kind zurück!«

Und sich erhebend, schritt er tiefgebeugt auf Danveld zu, wie wenn er dessen Knie umfassen wolle, während seine Augen glühten wie im Wahnsinn, und er in abgerissenen Lauten bald seinen Schmerz, seine Angst und Verzweiflung äußerte, bald in unverhohlene Drohungen ausbrach. Als Danveld hörte, daß er vor der ganzen Versammlung der Verräterei und des Betrugs beschuldigt ward, begann er förmlich zu schnauben, gleich einer Flamme brach sein Zorn plötzlich hervor, er wollte den Unglücklichen nun vollständig vernichten, trat daher dicht zu ihm heran und sich zu dessen Ohr herabbeugend, stieß er leise zwischen den zusammengepreßten Zähnen hervor: »Wenn ich sie Dir je zurückgebe – dann kehrt sie mit einem Bastard von mir zurück!«

Aber im nämlichen Augenblick brüllte Jurand wie ein Stier, ergriff Danveld mit beiden Händen und hob ihn in die Höhe. Im Saale vernahm man noch den durchdringenden Ruf: »Erbarmen!« – dann schlug der Körper des Komturs mit solcher Gewalt auf den steinernen Fußboden auf, daß durch die zerschmetterte Hirnschale Zygfryd und Rotgier, welche in der Nähe standen, bespritzt wurden. Jetzt sprang Jurand auf die Rüstungen und Waffen zu, welche sich an einer Seitenwand befanden, ergriff ein riesiges Schwert und fiel, dem Sturmwind gleich, über die vor Schrecken wie versteinerten Ritter her.

Den an Kampf, Gemetzel und Blutbad gewöhnten Mannen sank der Mut so sehr, daß sie, als die Erstarrung schon von ihnen gewichen war, sich dennoch zurückzogen und die Flucht ergriffen wie eine Herde Schafe die Flucht vor den Wölfen ergreift. Der ganze Saal hallte wider von den Ausrufen des Entsetzens, dem Stampfen der Füße, von dem Klirren der umgestürzten Geräte, von dem Geheul der Knechte, dem Gebrüll des Bären, welcher sich von der Hand des Führers losgerissen hatte und nun auf das hohe Fenster hinaufzuklettern begann, von den verzweifelten Rufen nach Rüstungen, nach Schildern, nach Schwerten, nach Armbrüsten. Schließlich blitzten die Waffen und manche scharfe Klinge ward gegen Jurand gerichtet, er aber sah und hörte nichts mehr, halb von Sinnen stürzte er sich auf seine Feinde, und nun begann ein wilder Kampf, der eher einer Metzelei als irgend einem Waffengange glich. Der junge heißblütige Godfryd vertrat Jurand zuerst den Weg, allein dieser schlug ihm schnell wie der Blitz das Haupt samt der Schulter mit seinem Schwerte ab. Nach diesem fielen durch seine Hand der Hauptmann der Bogenschützen, sowie der Schloßverwalter von Bracht und der Engländer Hugues, die, ohne recht zu begreifen, um was es sich eigentlich handelte, anfangs Mitleid mit Jurands Qual gehabt und erst nach Danvelds Tötung zu den Waffen gegriffen hatten. Wieder andere, die erkannten, welch furchtbare Kraft diesem Manne innewohnte, wenn seine Leidenschaft entfesselt war, drangen scharenweise auf ihn ein, um gemeinsam seinen Widerstand zu brechen, aber durch diese Kampfesart wurden ihnen noch größere Verluste beigebracht, da Jurand mit gesträubten Haaren, wirren Blicken, ganz mit Blut überströmt und Blut schnaubend, rasend, tobend, mit triefendem Schwert in diesen zusammengewürfelten Haufen hineinschlug, ihn trennte und sich mit seinen Gegnern auf dem befleckten Boden wälzte, in seiner Wut dem Sturmwind gleichend, der mächtig an Gesträuchen und Bäumen rüttelt. Wieder überkam nun alle eine entsetzliche Angst, denn allem Anscheine nach waren sie diesem furchtbaren Masuren gegenüber, der sie darniederstreckte und mordete, völlig machtlos, und ebensowenig wie die bellende Meute ohne Hilfe der Bogenschützen den grimmigen Eber zu verscheuchen vermag, ebensowenig konnten sie ohne Hilfe gegen die tolle Wut Jurands aufkommen, weil der Kampf mit ihm ihnen nur Tod und Verderben brachte.

»Zerstreut Euch! Umzingelt ihn! Von rückwärts geht auf ihn los!« rief der alte Zygfryd de Löwe.

Und sie zerstreuten sich im Saale wie eine Vogelschar auf freiem Felde, auf welche sich plötzlich der Habicht von oben herabstürzt, doch ehe sie ihn noch umzingelt hatten, begann er sie in toller Raserei zu verfolgen, anstatt für sich selbst Deckung zu suchen, und wen er einholte, der sank hin wie vom Donner gerührt. Seine Demütigung und Verzweiflung, all seine getäuschten Hoffnungen äußerten sich nun in dem einen Verlangen nach Blut und schienen seine angeborene außerordentliche Kraft noch um das Zehnfache zu erhöhen. Ein Schwert, das die Stärksten, Gewaltigsten unter den Kreuzrittern nur mit beiden Händen gebrauchen konnten, führte er mit der einen wie wenn es eine Feder gewesen wäre. Ihm lag nichts mehr am Leben, nichts mehr an Befreiung, sogar nichts mehr an seinem Sieg, er dachte nur an Rache, und wie loderndes Feuer oder wie ein Strom, der, nachdem er die Dämme zerrissen, blindlings alles vernichtet, was sich seinem reißenden Laufe entgegensetzt, so ergriff auch er, der furchtbare Zerstörer, alles – so zerbrach er es, trat es mit Füßen, mordete es und löschte alles menschliche Leben aus.

Es war unmöglich, ihm auf irgend eine Weise beizukommen, denn die Söldner fürchteten sich sogar, ihn im Rücken anzugreifen. Wußten sie doch, wenn er sich gegen sie wende, würde keine Macht der Welt sie vor einem sicheren Tode retten. Gar manche wurden von Schrecken und Bestürzung ergriffen bei dem Gedanken, daß ein gewöhnlicher Mensch nicht im stande gewesen wäre, ihnen eine solche Niederlage beizubringen, und daß sie es mit einem Manne zu thun hatten, dem irgend eine übernatürliche Macht innewohne.

Aber der alte Zygfryd und Bruder Rotgier eilten auf die Galerie, welche längs des großen, mit vielen Fenstern versehenen Saales hinlief, und riefen den andern zu, ihnen zu folgen, dabei gingen aber alle so hastig zu Werke, daß sie sich auf den engen Stufen stießen und drängten, weil jeder zuerst oben anlangen wollte, um von dort aus den Gewaltigen niederzustrecken, der im Kampfe nicht zu besiegen war. Schließlich schlug der Letzte die zur Empore führende Thüre hinter sich zu, und Jurand blieb allein. Ein triumphierendes Freudengeschrei ließ sich nun auf der Galerie vernehmen, und sofort wurden schwere Schemel und Bänke aus Eichenholz, sowie die eisernen Behälter der Fackeln auf den Ritter niedergeschleudert. Er ward an der Stirne über den Brauen getroffen, und das Blut strömte ihm über das Gesicht. Gleichzeitig öffnete sich die große Eingangsthüre des Saales und scharenweise stürzten die durch die oberen Fenster herbeigerufenen Knechte herein, welche sich mit Speeren, Hellebarden, Beilen, Armbrüsten, mit Pfählen, Stangen, Stricken, kurz mit allem bewaffnet hatten, was ihnen in der Eile in die Hände gekommen war.

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Aber im nämlichen Augenblick brüllte Jurand wie ein Stier, ergriff Danveld mit beiden Händen und hob ihn in die Höhe.

Und der rasende Jurand wischte sich mit der linken Hand das Blut vom Gesicht, auf daß es ihm nicht den Blick verdunkle, raffte sich auf und stürzte sich auf den ganzen Menschenschwarm. Im Saale vernahm man wieder Aechzen und Stöhnen, das Klirren der Waffen, Zähneknirschen und das durchdringende Geschrei der zu Tode getroffenen Mannen.