W Wenn man die Werke des großen polnischen Romanciers in ihrer chronologischen Ordnung überblickt, und dabei die in den Jahren 1884 bis 1888 entstandene Roman-Trilogie »Mit Feuer und Schwert«, »Sturmflut« und »Pan Wolodyjowski« als eine geschlossene Schöpfung betrachtet, so wird man gestehen müssen, daß Sienkiewicz in Bezug auf Stoffwahl und Behandlungsart eine geradezu überraschende Verwandlungsfähigkeit besitzt. Denn nachdem er 1880 mit der chronikalischen Erzählung »Tatarische Gefangenschaft« sich zum erstenmal an geschichtliche Stoffe herangewagt und hierauf mit der genannten Trilogie einen großartigen Befähigungsnachweis geliefert hatte, machte er in dem 1890 erschienenen Roman »Ohne Dogma« einen Riesenschritt aus den wilden, kraftstrotzenden Kriegszeiten des 17. Jahrhunderts mit ihren Kosaken- und Schweden-Kämpfen mitten in die nervenschwache Dekadenzepoche des ausgehenden 19. Jahrhunderts und schuf so nacheinander den besten historischen Roman und den besten psychologischen Roman aus der Gegenwart, den die Litteratur seines Volkes kennt. Größere Gegensätze, als diese beiden Werke, sind kaum denkbar. Im Jahre 1894 erschien der Roman »Die Familie Polaniecki«, dessen Abstand von dem vorhergehenden zwar nicht so groß ist, da er nur eine andere, gesündere Spielart des modernen Menschen vorführt und den Rahmen des zeitgenössischen Gesellschaftbildes erweitert zeigt, dafür aber bringt schon das nächste Jahr wieder ein neues protensartiges Kunststück und einen überraschenden Beweis von dem außerordentlichen historischen Sinn und der dichterischen Intuitionskraft Sienkiewicz‘. Denn der im Zeitalter Neros spielende Roman » Quo vadis?« ist in gewissem Betracht eine geniale historische Transskription des modernen Themas in »Ohne Dogma«, indem wir hier den überfeinerten und vergrübelten Kulturmenschen der Gegenwart, dort den typischen Vertreter des dekadenten Heiden- und Römertums vor uns haben. In beiden Romanen ist die Darstellung der kompliziertesten Lebens- und Seelenvorgänge, der verfeinertsten Instinkte und Stimmungen so meisterhaft und der Inhalt, wie man fast glauben muß, so dem eigenen Lebensinhalt und Wesen des Dichters selbst verwandt, daß es schwer zu fassen ist, wie er nun abermals den Sprung rückwärts in die Darstellung primitiverer Gefühlsweisen mit solchem Glück unternehmen konnte, wie es in seinem neuesten Roman » Die Kreuzritter« der Fall ist.

Der Stoff zu diesem Roman, oder sagen wir besser, die geschichtlichen Bedingungen, die besonderen Situationen und das Zeitkolorit sind der Geschichte des polnischen Volkes im 15. Jahrhundert entnommen, dem Zeitalter des Königs Wladislaw II. und seiner Gemahlin, der hl. Hedwig 1, einer Tochter des Königs Ludwig von Ungarn und Polen. Die Epoche ist eine der glänzendsten in der Geschichte des Landes, und ihr Ruhm gipfelt in den siegreichen Kämpfen der unter Wladislaw II. vereinigten litauischen und polnischen Stämme gegen die Ritter des hohen Deutschen Ordens.

Der Deutsche Orden, der ähnlich dem älteren Johanniter- und Templerorden in den Tagen der Kreuzzüge aus einem ursprünglichen Hospitalorden sich allmählich zu einem Ritterorden mit dem Zweck der Bekämpfung der Ungläubigen entwickelt hatte, verlegte im Jahre 1309 seinen ehemals in Venedig gelegenen Ordenshauptsitz nach Marienburg an der Nogat. War ihm die europäische Kultur für seine ausgedehnte und einschneidende Wirksamkeit schon lange Dank schuldig, so genoß nunmehr auch das preußische Ordensland längere Zeit hindurch die Früchte des kulturfördernden Wirkens der »Kreuzritter«. Sowohl als deutsche Vormacht gegen die vordringenden Stämme des Nordens und Ostens, wie als Förderer des Handels, der Kunst und Wissenschaft hat der Orden sich bleibende Verdienste erworben. Aber diese Blüte des Ritterstaates begann schon nach wenigen Jahren zu welken. Eine »unleidliche Eroberungssucht« 2 führte zu langwierigen und erbitternden Kämpfen mit den Litauern und Polen, bis sich der Orden, nach der für ihn unglücklichen Schlacht bei Tannenburg (1410), völlig erschöpft hatte. Das Verhältnis der »Kreuzritter« und ihrer östlichen Grenznachbaren zu einander war allmählich durch eine Reihe von gegenseitig verübten Gewaltthätigkeiten, Racheakten und Verrätereien unhaltbar geworden. Dazu kam, daß der Orden, durch die unter dem Großfürsten Jagiello, dem späteren König Wladislaw II. von Polen, vollzogene Christianisierung Litauens, sich die Grundlagen seiner Existenzberechtigung entzogen sah. Seine Aufgabe war der Kampf gegen Ungläubige gewesen, die es nun nicht mehr gab. Jagiello wurde im Gegenteil ein Schützling des Papstes und konnte von jetzt ab mit vollem Recht die Einmischung des Deutschen Ordens in seine inneren Angelegenheiten als unberechtigt zurückweisen. Das war für den Orden eine heikle Situation, über die sich viele seiner Mitglieder dadurch hinwegsetzten, daß sie die Bekehrung der heidnischen Litauer nicht ernst nahmen. Nun ist es ja allerdings richtig, daß bei vielen Litauern die Bekehrung eine bloß äußerliche war, und die Gebräuche und Sitten der Heiden bei dem ohnehin zum Aberglauben neigenden Sinn des litauischen Volkes fortbestanden. Wenn jedoch auch die Deutschordensritter sich dem Urteil der russischen Schismatiker anschlossen, die aus Verdruß darüber, daß Jagiello die Ehen zwischen schismatisch-griechischen und römischen Christen verboten hatte, die Litauer Heiden nannten, und wenn sie vor allem geringschätzig fragten, was denn überhaupt Jagiello für das Christentum gethan hätte, so war dies in hohem Grade ungerecht und mußte die zwischen den Kreuzrittern und den Litauern ohnehin bestehende Feindschaft nur noch verstärken. »Nicht ganz mit Unrecht, so sagt Schrödl in Welter und Wetzes »Kirchenlexikon« (6. B. Sp. 1264, Freiburg 1889), erwiderte hierauf Jagiello, solche Vorwürfe könne man eher den Deutschen Rittern machen, denn sie hätten seit fünf Jahren für die Bekehrung der Samaiten nichts gethan und bekümmerten sich auch sonst vorzüglich nur um ihre zeitliche Herrschaft; dagegen habe er in Litauen Kathedralen und viele Parrochien und Konventualkirchen errichtet und fundiert; die christliche Religion werde von den Neubekehrten in lobenswerter Weise geübt, es gebe übrigens auch in Preußen noch Aberglauben genug, kännte er jedoch diejenigen seiner Unterthanen gewiß, die nur Scheinchristen wären und heidnischem Aberglauben anhingen, so würde er es ihnen nicht hingehen lassen; im übrigen trage gerade der Deutsche Orden die meiste Schuld daran, wenn für die Sache des Christentums noch viel zu wünschen übrig bleibe, denn nie habe ihm der Orden Ruhe gelassen, um der Förderung der christlichen Religion noch erfolgreicher obliegen zu können.«

Als der Dominikaner Johann von Falkenberg auf Anstiften und im Interesse des Deutschen Ordens Mord und Empörung gegen die polnische Nation und Jagiello predigte, wandte sich dieser (1416) mit einer Beschwerde an das Konzil von Konstanz, das die Schrift Falkenbergs mit großer Entrüstung verwarf. 3 Von nun ab begann Ansehen und Einfluß des Ordens rasch zu sinken; er verlor 1457 durch Verrat der eigenen Leute sogar Marienburg und verlegte den Hochsitz nach Königsberg, woselbst der Hochmeister Albrecht von Brandenburg und mit ihm viele Ordensritter offen zum Protestantismus übertraten. Durch listige und gewaltsame Förderung und Einführung der neuen Lehre in seinen Landen wurde der Orden schließlich seinem ursprünglichen Zweck völlig entfremdet.

Zu dem Zeitpunkt, in welchem Sienkiewicz uns die »Kreuzritter« vorführt, waren nicht nur Ruhm und Macht des Ordens schon stark im Niedergang begriffen, sondern auch die Disciplin und der ritterliche Geist von ehedem hatten in den ewigen Fehden große Einbuße erlitten. In den Prophezeiungen der hl. Birgitta von Schweden (1302-72) werden dem Orden deshalb schwere Vorwürfe gemacht und sein Schicksal drohend vorausverkündet. So stimmt das Urteil der Geschichte und hervorragender Zeitgenossen über die Kreuzritter aus jener Zeit mit dem Urteil des polnischen Autors, wie es in der Darstellung konkrete Gestalt angenommen hat, im wesentlichen überein, mag Sienkiewicz auch, wie übrigens leicht begreiflich, eine gewisse Einseitigkeit der national-polnischen Stimmung und Auffassung nicht völlig überwunden haben.

Die Handlung unseres Romans setzt um das Jahr 1399 ein. Die Königin Hedwig, eine Tochter des Königs Ludwig von Ungarn, seit 1386 in kinderloser Ehe mit Jagiello verbunden, sieht zum erstenmal einem für ihr eheliches Glück und die Zukunft des neuen Königreiches hochbedeutsamen Ereignis entgegen. Die Kunde davon ist weit in die Lande gedrungen, und Tausende froher Menschen strömen schon seit Tagen und Wochen in dem festlich gestimmten Krakau zusammen.

Unter den Ankömmlingen befinden sich auch zwei Ritter, Macko von Bogdaniec und dessen Neffe Zbyszko (sprich Sbisko), die in dem Wirtshause in Tyniec mit der masovischen Fürstin Anna Danuta zusammentreffen. Hier begegnet Zbyszko der lieblichen Danusia, einer Tochter des grimmen Jurand von Spychow, um deretwillen er mit den Kreuzrittern in ernste, spannende Verwicklungen und Abenteuer hineingerät. Diese Verwicklungen und Abenteuer nehmen das Hauptinteresse des Romans in Anspruch, während die großen geschichtlichen Wandlungen zwar kräftig und bildmäßig in die Erscheinung treten, aber doch in der Hauptsache nur die Bedingungen abgeben, unter denen die planvoll angelegte Handlung ihren Verlauf nimmt. Sienkiewicz ist eben nicht nur ein mit dem poetischen Handwerkszeug keck ausgerüsteter Geschichtserzähler, sondern eine von den feinsten historischen Instinkten geleitete Künstlernatur. Anstatt geschichtlicher Belehrung über Staatsaktionen und Lebensumstände hervorragender Persönlichkeiten, wodurch der historische Roman eine Zeit lang in gerechten Verruf gekommen, giebt er somit nur historisch bedingte Menschenschicksale und Einzelerlebnisse auf der möglichst echten Grundlage einer gegebenen Zeit und höchstens in Anlehnung an markante Begebenheiten.

So kommt es, daß man zum Genuß und Verständnis seiner Schöpfungen keiner besonderen historischen Kenntnisse bedarf. Die notwendigen Voraussetzungen erfährt der Leser aus dem natürlichen Gang der Handlung, und dem übrigen folgt er mit jener schlicht menschlichen Teilnahme und jenem künstlerischen Genießen, die an kein Kopfwissen und an keine geschichtliche Gelehrsamkeit gebunden sind.

Karl Muth.

 

  1. Vergl. die Fußnote auf Seite 112.
  2. Vergl. Wetter und Welte’s Kirchenlexikon, Bd. 3, Sp. 1595. Freiburg, 1884.
  3. Vergl. ebend. Bd. 6, Sp. 1205