Der verhüllte König

 

In jenen Tagen, als Colhemos Kolonialminister war, regierte in Portugiesisch-Guinea ein gewisser Gouverneur, der nur ein geringes offizielles Einkommen, aber eine sehr vergnügungssüchtige Frau hatte. Diese vornehme Dame hatte eine Villa in Cintra, eine Loge im Theater in Sao Carlos, ein Auto, und sie gab für die Stadt- und Landaristokratie der ganzen Gegend Fünfuhrtees im Hotel Nunes.

 

Da das Gehalt ihres Mannes sich nur auf 66,50 Dollar wöchentlich belief, die Unterhaltung der Villa aber allein das Doppelte dieser Summe kostete, kann man leicht verstehen, daß Senor Bonaventura ein bemerkenswerter Mann war.

 

Eines Tages kam Kolonialminister Colhemos in das Auswärtige Amt und ließ Dr. Sarabesta rufen. Dieser Mann war sowohl ein Republikaner als auch ein Intrigant. Er besaß großen Ehrgeiz oder er hatte vielleicht auch idealistische Pläne. Aber das sind gefährliche Eigenschaften für einen Politiker, denn sie führen fast immer zu Revolutionen.

 

»Colhemos«, sagte Dr. Sarabesta dramatisch, »Sie ruinieren mich! Sie ziehen mich in den Staub hinunter und setzen mich dem Haß und der Verachtung der Mächte aus!«

 

Er verschränkte seine Arme und erhob sich von dem Stuhl. Seine Barthaare sträubten sich, und seine tiefliegenden Augen glänzten unheimlich.

 

»Was gibt es denn, Baptisa?« fragte Colhemos.

 

»Wir stehen vor dem Untergang!« rief Dr. Sarabesta aufgeregt und öffnete seine Ledermappe, die auf dem Tisch lag. Er nahm ein Aktenstück heraus. »Lesen Sie!« sagte er und sank wieder in seinen Armstuhl zurück.

 

Die Bogen trugen oben das englische Wappen. Colhemos hielt sich nicht damit auf, die vielen schönen heraldischen Tiere zu bewundern, sondern las das in französischer Sprache abgefaßte Schriftstück, das von den verwahrlosten Zuständen in Portugiesisch-Zentralafrika handelte, die eine dauernde und schwere Gefahr für die englischen Kolonien bedeuteten. Es wurde angedeutet, daß der Sklavenhandel in der portugiesischen Kolonie floriere und daß die Regierung Sr. Majestät des Königs von England Nachrichten erhalten habe, daß Kopfjagden von dem portugiesischen Gebiet aus in das englische unternommen würden, die sich wenig von Sklavenjagden unterschieden.

 

Dieses Schriftstück gründete sich auf eingehende Berichte des Distriktsgouverneurs Sanders, der die Territorien am Großen Strom verwaltete.

 

Colhemos las den Bericht von Anfang bis Ende durch und legte ihn dann nachdenklich wieder auf den Schreibtisch.

 

»Pinto hat die Sache wieder etwas übertrieben«, gab er zu. »Ich werde an ihn schreiben.«

 

»Was Sie an Pinto schreiben, mag ja sehr interessant sein, wenn man es gedruckt in der Zeitung liest«, sagte Dr. Sarabesta heftig. »Aber was soll ich denn nach London schreiben? Dieser Sanders ist ein glaubwürdiger Mann, und die englische Regierung wird auf Grund seiner Berichte handeln.«

 

Colhemos, der wirklich ein großzügiger Mann war – sein Vaterland erlitt einen Verlust, als er in den Revolutionstagen des Jahres 1910 bei den Straßenkämpfen umkam –, legte den Federhalter an die Nase. »Schreiben Sie, daß wir einen besonderen Kommissar nach dem M’fusi-Gebiet schicken werden, um über die Zustände zu berichten, und daß er dauernd dort bleiben wird, um den gesetzlosen Sklavenhandel zu unterdrücken.«

 

Dr. Sarabesta sah verwundert auf. »Pinto wird das sehr unangenehm sein. Außerdem sind die M’fusi sehr schwer zu behandeln. Als wir das letztemal eine Strafexpedition dorthin schickten, kostete das – Heilige Mutter Gottes! Und wieviel Soldaten sind bei der Sache gefallen …«

 

Colhemos nickte. »Der Herzog von Sargosta«, sagte der Minister langsam, »ist ein begeisterter junger Mann. Er gehört zu den Royalisten und ist mit Dr. Ceillo verwandt, dem bekannten freisinnigen Abgeordneten. Ferner ist er ein Freund der Engländer, obwohl seine Mutter eine Amerikanerin war. Den werden wir als Kommissar dorthin schicken, mein lieber Baptisa.«

 

Der liebe Baptisa richtete sich empört auf. »Einen Royalisten!« rief er atemlos. »Wollen Sie denn Portugal in eine neue Revolution stürzen?«

 

»Es gäbe Augenblicke, wo ich Ihre Frage glatt bejahen würde, aber im Moment wird es kein Feuerwerk geben. Es wird alles ruhig bleiben, wenn wir den jungen Mann in die Kolonien schicken. Einerseits wird die Linke im Parlament beruhigt, der Kirche wird damit ein Gefallen getan – außerdem ist es ein Zeichen von Großzügigkeit und liberaler Anschauung. Der junge Mann wird entweder umgebracht werden, oder er wird auch ein Opfer dieser unheimlichen, korrupten Zustände, die nun einmal in unserem Kolonialdienst eingerissen sind.«

 

So wurde denn Manuel Herzog von Sargosta nahegelegt, einen Besuch im Ministerium zu machen. Er kam spornstreichs herbei und eilte die Treppe hinauf, indem er immer zwei Stufen auf einmal nahm. Als er in das Büro des Ministers trat, war er außer Atem. »Sie werden verstehen, mein Herr«, sagte Colhemos, »daß ich mich mit ihrer Ernennung zum Kommissar sehr unpopulär mache. Aber darum kümmere ich mich nicht! Ich denke nur an das Wohl meines Vaterlandes, an die Ehre und den Ruhm unserer Flagge. Möglicherweise werden Sie später einmal Minister an meiner Stelle im Kabinett sein, und es ist sehr gut, wenn Sie dann genügend praktische Erfahrungen sammeln und für Ihre spätere Laufbahn mitbringen.«

 

Dann sprachen sie noch weiter und gestikulierten in der ausgiebigsten Weise.

 

Colhemos begleitete den jungen Mann selbst an den portugiesischen Dampfer, der zur afrikanischen Küste abfuhr.

 

»Ich nehme an, daß die Regierung nichts dagegen hat, wenn ich auf der Hinreise einen britischen Hafen anlaufe? Ich habe nämlich einen Freund in der englischen Armee – wir waren zusammen in Cliffton …«

 

»Mein Freund«, erwiderte Colhemos und drückte die Hand des jungen Mannes, »Sie müssen England stets als einen möglichen Verbündeten betrachten. Lassen Sie keine Gelegenheit außer acht, unseren englischen Freunden den Eindruck zu geben, daß hinter England unentwegt, ungebrochen und mit steter Bundestreue die bewaffnete Macht Portugals steht. Mögen die Heiligen Sie auf Ihren Wegen beschützen!«

 

Dann umarmte er ihn und küßte ihn auf beide Wangen.

 

*

 

Bones drillte gerade Rekruten auf dem Exerzierplatz, als Hamilton ihn von der Ecke der Veranda aus anrief. »Einer Ihrer Freunde ist hier angekommen, um Ihnen einen Besuch zu machen, Bones!«

 

Bones ging ruhig zu ihm hin und legte die Hand an den Helm. »Sir!«

 

»Einer Ihrer Freunde ist eben mit dem portugiesischen Dampfer angekommen.«

 

Bones wußte nicht, wer das sein könnte. Als er zur Veranda hinaufkam, fand er dort einen tadellos gekleideten jungen Mann, der sich mit Patricia Hamilton und Sanders unterhielt. Sanders sah sehr nachdenklich drein.

 

Der Herzog von Sargosta sprang auf, als er Bones sah. »Hallo, Conk!« rief er vergnügt.

 

Bones starrte ihn zuerst an. »Donnerwetter!« stammelte er dann, »das ist ja Mug!«

 

Die beiden schüttelten sich heftig die Hände, stellten einander viele Fragen, die nicht beantwortet wurden, und lachten herzlich. Jeder klopfte dem andern auf den Rücken und beschuldigte ihn, daß er dick geworden sei.

 

Sanders beobachtete die beiden jungen Leute mit großer Teilnahme.

 

»Das hier ist der alte Hamilton!« rief Bones. »Sie müssen vor allen Dingen Ham kennenlernen. Captain Hamilton, Sir, dies ist mein Freund, der Herzog von Sargosta – aber Sie können ihn ruhig ›Mug‹ nennen –, Miß Hamilton, dies ist Mug.«

 

»Wir sind einander bereits vorgestellt worden«, sagte sie lachend. »Aber warum gestatten Sie ihm denn, Sie ›Mug‹ zu nennen?«

 

»Oh, ich liebe diesen Namen. Er erinnert mich an frohe Tage, die ich einst in England verlebte.«

 

Er wurde zum Mittagessen eingeladen, denn der portugiesische Dampfer ankerte bis zum Nachmittag auf der Reede. Bones nahm seinen Freund mit zu seinem Quartier.

 

»Ein fröhliches Paar«, meinte Hamilton fast neidisch. »Gott, wenn ich doch auch noch einmal so jung sein könnte!«

 

Sanders schüttelte den Kopf.

 

»Haben Sie nicht auch diesen Wunsch?« fragte Patricia.

 

»Daran dachte ich eben nicht – ich dachte nur an den liebenswürdigen jungen Mann. Die Zustände im M’fusi-Gebiet sind keineswegs erfreulich, und ich kann mir gar nicht denken, warum die portugiesische Regierung ihn hierhergeschickt hat. Ihr Gebiet grenzt an das Land der Akasava, und deren Häuptling ist einer der größten Schufte auf Gottes Erdboden.«

 

»Aber er sagte doch, daß er mit dem ausdrücklichen Auftrag hierhergeschickt wurde, Reformen durchzuführen?« meinte Patricia.

 

Sanders lächelte. »Ich würde mich nicht scheuen, diese Aufgabe zu übernehmen – und doch…«

 

»Und doch …?«

 

»Ich könnte die Leute reformieren – auch Bones könnte es tun. Aber wenn diese schlimmen Verhältnisse bei den M’fusi tatsächlich geändert werden sollten, so würde das Bonaventura das Genick brechen, denn er kann sich hauptsächlich nur durch die Niedertracht ihres Häuptlings halten.«

 

Beim Mittagessen war Sanders ungewöhnlich still. Aber nur Patricia bemerkte es. Bones und sein Freund brauchten keine weitere Anregung, sie unterhielten sich laut und fröhlich. Als die Abfahrtszeit herbeigekommen war, begleiteten alle den jungen Herzog zum Strand, um ihm Lebewohl zu sagen.

 

»Also, laß es dir gut gehen, alter Mug!« brüllte Bones, als das Boot abfuhr. »Hollahio!«

 

»Sie machen ja einen teuflischen Lärm!« sagte Hamilton bewundernd.

 

Bones schwenkte noch lange seinen Helm.

 

Am Abend hatte er einen unerwarteten Besuch in seiner Wohnung. Denn als er sich gerade zum Essen ankleidete, kam Sanders zu ihm. Das war ein ganz außergewöhnliches Ereignis.

 

Was Sanders mit ihm zu besprechen hatte, soll nicht besonders erzählt werden, denn es war ganz inoffiziell. Aber während des Abendessens verhielt sich Bones so ruhig und reserviert und zeigte einen so ernsten Gesichtsausdruck, daß Hamilton wirklich den Eindruck hatte, er sei krank.

 

Der Herzog setzte seine Reise fort und kam bald zu einem Hafen, der nur aus einem kleinen Küstenstrich, einem Landungsplatz, einem großen weißen Haus und dem Ende der Straße nach Moanda bestand. Moanda selbst erreichte er mit der schlechtesten Eisenbahn, die es überhaupt auf der Welt gibt – er war nicht weniger als vier Tage unterwegs –, und begab sich sofort zum Gouverneur.

 

Dieser Mann war bereits auf die Ankunft und die Mission des jungen Mannes vorbereitet, denn die Post war durch einen Eilboten einen Tag früher als der Herzog angekommen, und Pinto Bonaventura hatte Zeit genug gehabt, sich alles zu überlegen.

 

»Ich werde Ihnen jede mögliche Unterstützung angedeihen lassen«, sagte er, als sie beim Frühstück saßen. »Aber ich kann natürlich nicht für Ihre persönliche Sicherheit auf diesem exponierten Posten garantieren.«

 

»Persönliche Sicherheit?« fragte der Herzog erstaunt.

 

Senor Bonaventura nickte ernst. »Nichts widerstrebt mir mehr als der Sklavenhandel, höchstens noch das Laster des Trunks. Wenn ich diese beiden Übel in der Kolonie beseitigen könnte, würde ich es lieber heute als morgen tun, glauben Sie mir das. Aber ich kann auch keine Wunder wirken, und die Regierung gibt mir nicht genügend Truppen, um diese schrecklichen Laster zu unterdrücken, die wir beide aufs tiefste verabscheuen.«

 

»Aber ich soll doch zu dem Distrikt der M’fusi gehen, um dort die nötigen Reformen durchzuführen«, widersprach der Herzog ein wenig beunruhigt.

 

Der Gouverneur verschluckte sich beim Kaffee und entschuldigte sich. Er lachte nicht, sein langer Aufenthalt in Zentralafrika hatte ihm das abgewöhnt. Er besaß viel Selbstkontrolle in allen Dingen, nur trank er zu viel Marsala. »Bitte, fahren Sie nur fort«, sagte er und zeigte ein vollkommen gelassenes Gesicht.

 

»Es liegt doch im Interesse Portugals ebenso wie in dem Ihren«, sagte der junge Mann ernst und lehnte sich über den Tisch, »wenn ich durch meine Tätigkeit dort die Bedingungen zu Frieden, Wohlfahrt und Nüchternheit schaffen und in diesem verwilderten Gebiet dem portugiesischen Gesetz wieder zu Ansehen verhelfen kann.«

 

»Zweifellos«, gab der ältere Mann mit wichtiger Miene zu.

 

Im Gegensatz zu den Worten des Herzogs muß aber gesagt werden, daß eine Reform der M’fusi keineswegs im Interesse des Gouverneurs lag. Denn er erhielt acht Schillinge für jeden Mann, der ›zur Arbeit ausgehoben‹ wurde, ebenso bekam er von denselben interessierten Syndikaten, die kräftige Arbeiter exportierten, eine Provision von sechs Schilling für jede Kiste mit viereckigen Kognakflaschen und eine noch größere Summe für jedes Faß Rum, das ins Land eingeführt wurde.

 

Wenn die Trunksucht in der Kolonie unterdrückt und dem Gesetz Achtung verschafft worden wäre, dann hätte das die Liebhabereien der eleganten Dame beeinträchtigt, die eine schöne Villa in Cintra bewohnte. Auch das Bankguthaben des Senor Bonaventura auf der Bank von Brasilien hätte sich dann bedeutend vermindert. Ebenso wären gewisse portugiesische Minister betroffen worden, die ihren teuren Pinto nur insoweit kontrollierten, als sie von ihm Zahlungen an die Parteikasse erwarteten. In Wirklichkeit floß dieses Geld natürlich in ihre eigenen Taschen.

 

Aber der Herzog von Sargosta begab sich mit den besten Absichten in die wilden Gegenden. Er war für seine Mission begeistert, er wollte für den Fortschritt und die Zivilisation eintreten und hatte einen vollkommenen Glauben an sich und seine Vorgesetzten. Er nahm wirklich an, daß er die ganze moralische und physische Unterstützung des hochherzigen und patriotischen Gouverneurs genieße. Dieser Mann aber sah der Karawane seines neuen Assistenten nach, als sie in den Wäldern verschwand, die Moanda umgeben. Er gab in seiner blumenreichen Sprache und in vielen Verwünschungen seiner glühenden Hoffnung Ausdruck, daß der Schmutz, die Sümpfe, die Wälder und die Wildnis des M’fusi-Landes diesen jungen Mann für immer verschlingen möchten. Amen. Die Unbeliebtheit des neuen Kommissars war besiegelt, als der Gouverneur von seinem Besuch bei Sanders erfuhr, denn der Name des englischen Distriktsgouverneurs genügte, um bei Pinto Bonaventura einen Wutanfall hervorzurufen.

 

Der Vorgänger des Herzogs von Sargosta war gestorben. Sein Grab lag in dem Garten vor seiner Wohnung und war ganz mit Gras und Unkraut bewachsen. Der neue Ankömmling fand die Korrespondenz des Büros in vollkommener Ordnung, wie ihm ein gelblicher eingeborener Schreiber nachwies. Er entdeckte hundertdrei leere Kognakflaschen hinter dem Hause und verstand nun auch, daß dieses Grab in dem Garten lag. Er stellte fest, daß die letzte Indexnummer der Korrespondenz 951 war.

 

Es war bemerkenswert, daß der Mann, dessen Nachfolger er war, 951 Veranlassungen zum Schreiben gehabt hatte, aber diese Tatsache blieb bestehen. Wahrscheinlich hatten neunhundert Briefe mit dem schrecklichen Zustand der Residenz in Uango-Bozeri zu tun. Das Dach leckte, die Fundamente hatten sich gesenkt, und man konnte nicht eine einzige Tür im Hause schließen.

 

Am Tage seiner Ankunft fand der Herzog eine Mambaschlange in seinem Armsessel, die es sich dort bequem gemacht hatte. Diese Entdeckung ließ vermuten, daß eine ganze Kolonie dieser giftigen Tiere in der Nähe war. (Der Biß der Mambaschlange tötet in genau neunzig Sekunden.)

 

Die andern fünfzig Schreiben hatten wahrscheinlich mit dem ausgebliebenen Gehalt des Kommissars zu tun, denn Portugal befand sich in jener Zeit gerade wieder einmal in Unruhen, und die Minister wechselten in Lissabon so schnell, daß ein Scheck, der vom Auswärtigen Amt zur Bank gebracht wurde, unterwegs schon wieder ungültig wurde, weil inzwischen eine neue Regierung eingesetzt war.

 

Uango-Bozeri lag zweihundertzwanzig Meilen weit von der Küste entfernt und war das Zentrum des unschuldigen Volkes der M’fusi. Hier wohnte der Herzog als Regent über zweitausend Quadratmeilen Land und als Herrscher über einige Millionen Menschen, die noch Kannibalen waren und eine Leidenschaft für das feurige Getränk hatten, das die Händler als Rum bezeichneten. In Wirklichkeit war es etwas anderes, aber für den etwas rauhen Geschmack dieser Leute konnte es ja als Rum gelten.

 

Das ist alles, was von dem Herzog von Sargosta zu berichten ist. Die Häuptlinge beschwindelten ihn, seine Soldaten, mit denen er die Ordnung in dem Gebiet aufrechterhalten sollte, waren gewissenlose Eingeborene, die in seinem Namen plünderten und raubten, ohne daß er etwas davon wußte. Und sein Vorgesetzter, der Gouverneur in Moanda, war ein Schuft, der alle Regierungsgelder unterschlug, die in seinen Machtbereich kamen.

 

Der Herzog erfuhr nach einiger Zeit, daß das Leben auch bitter und demütigend sein kann.

 

In jenen Tagen, als es schon so weit gekommen war, daß er sich manchmal auf das Grab seines Vorgängers setzte, um Gesellschaft zu haben, überschritt eine kleine Gesellschaft vom englischen Territorium her die Grenze, um auf Abenteuer auszugehen.

 

Das Gebiet an der Grenze wurde von dem Häuptling der großen M’fusi beherrscht, der ein Kannibale und Trinker war und zwei Regimenter befehligte.

 

Der Herzog hatte Anweisung erhalten, sich nicht in die Angelegenheiten dieses Mannes zu mischen, und nachdem er einmal einen unangenehmen Fehlschlag in dieser Beziehung erlebt hatte, folgte er dem Rat seiner Vorgesetzten und war mit der gesandten Hüttentaxe zufrieden, obgleich sie im Verhältnis zu dem großen Gebiet lächerlich klein war.

 

Kein weißer Mann reist ohne Einladung des Häuptlings nach der Stadt der M’fusi, und da Karata niemals eine Einladung ergehen ließ, so war das Gebiet der Großen M’fusi eine Terra incognita, selbst für Seine Exzellenz den Generalgouverneur der mittleren und westlichen Provinzen.

 

Karata war durch sein vieles Trinken schon fast um den Verstand gekommen. Er hatte ganz merkwürdige Launen. Wochenlang war es seine Schrulle gewesen, eine Ziegenmaske zu tragen, ein andermal hatte er sich zum Zeichen, daß er an Teufel glaubte, hinter einem geflochtenen Strohpanzer verborgen, der ihn von Kopf bis zu Fuß bedeckte. Er hatte auch noch andere Lebensgewohnheiten, die hier nicht geschildert werden können, aber vor allem hielt er daran fest, niemals Fremde zu empfangen.

 

Unglücklicherweise führte nun die Straße von den englischen Gebieten durch eine Talsenke der M’fusi. Eines Tages kam ein keuchender Bote in den Kral des Häuptlings und warf sich zu dessen Füßen nieder.

 

»O König«, sagte er, »ein weißer Mann ist auf dem Wege hierher, und mit ihm kommt ein gewisser Häuptling mit seinen Leuten.«

 

»Nehmt den Mann gefangen und bringt ihn mit all seinen Leuten gebunden hierher«, befahl Karata, der den Boten mit glasigen Augen anschaute und dem die Zunge schon schwer wurde, denn er hatte eben die zweite Flasche ausgetrunken.

 

Der Bote kehrte zurück und traf die Gesellschaft auf dem Wege. Wie er sich ihr gegenüber verhielt, läßt sich nicht sagen. Vielleicht wurde er beleidigend und anmaßend, da er sich als Vertreter eines so großen Königs sicher fühlte. Es mag auch sein, daß er sich auf einen Kampf einließ in der falschen Ansicht, daß die sechs Krieger, die ihm beigegeben waren, genügten, um den Willen Karatas durchzusetzen. Sicher ist nur, daß er niemals zurückkehrte.

 

An seiner Stelle kam eine kleine, aber furchtbare Schar unter Führung eines weißen Mannes in den Kral des Königs. Und sie kamen im richtigen Augenblick, denn auf dem Boden vor der großen Hütte standen viele viereckige Flaschen, und der große Raum vor dem »Palast« war voll von unglücklichen Leuten, die eiserne Ringe um den Hals trugen und mit Ketten aneinandergefesselt waren. Sie sollten nach der Küste gebracht und in die Sklaverei verkauft werden.

 

Der weiße Mann schob seinen Tropenhelm in den Nacken. »Zum Donnerwetter!« rief er, »das ist ja schrecklich, Bosambo. Das verstößt gegen jedes Gesetz.«

 

Der Häuptling der Ochori schaute sich um. »Diesen Kerl, verdammter Hund!« sagte er auf englisch.

 

Bones schritt gemächlich zu dem schattigen Baldachin, unter dem der König saß und böse auf diese unerwartete Erscheinung schaute.

 

»O König«, sagte Bones in der Akasava-Sprache, die man von Dacca bis zum Kongo spricht, »das ist etwas entsetzlich Böses, was du da tust! Das verstößt gegen jedes Gesetz!«

 

Karata antwortete nicht, sondern starrte ihn nur mit offenem Munde an.

 

In dem Kral waren viele Menschen, Gefangene, Krieger, Ratgeber und Tanzmädchen. Aber als Bones gesprochen hatte, herrschte Totenstille.

 

Alle hörten diese Worte in der ihnen geläufigen Sprache und wunderten sich, daß ein weißer Mann so reden konnte. Bones trug einen Stock und zielte in aller Ruhe. Nachdem er zweimal ausgeholt hatte, schlug er zu.

 

Eine viereckige Flasche splitterte in tausend Stücke, und die dicke heiße Luft wurde von dem Geruch schlechten Alkohols durchtränkt. König Karata, der nicht ohne Grund »Der Schreckliche« hieß, saß verdutzt, schweigend und bewegungslos da und beobachtete, wie Bones eine Flasche nach der anderen zertrümmerte.

 

Aber plötzlich wurde ihm in seinem umnebelten Hirn klar, daß das eine tiefe Verletzung seiner Würde sei. Er erhob sich und brüllte wie ein wildes Tier. Bones wandte sich schnell nach ihm um. Aber Bosambo war noch schneller, mit einigen Schritten war er an der Seite des Königs.

 

»Setze dich sofort nieder, du Hund!« fuhr er ihn an. »Karata, du bist der mit bunten Farben gezierten Hütte sehr nahe, in der die toten Könige liegen.«

 

Karata setzte sich wieder und sah von einem zum anderen. Sein Instinkt sagte ihm, daß er in großer Gefahr schwebte. Er fürchtete den Tod, der in dem erbarmungslosen Lächeln dieses weißen Mannes lag, und er fühlte sich von der Nähe dieses großen Eingeborenen bedroht, der die Affenschwänze als Zeichen seiner Häuptlingswürde trug. Wären diese Leute nur außer seiner Reichweite gewesen, so hätte ein kurzer Ruf, ein Befehl genügt, um sie blutend zur Erde sinken zu lassen, durchbohrt von den scharfen Speeren seiner Krieger. Ihre Leiber hätten noch krampfhaft gezuckt, während ihr Blut bereits die Erde tränkte.

 

Aber sie standen zu nahe bei ihm, und ein solcher Befehl hätte seinen eigenen Tod bedeutet.

 

»O weißer Mann«, begann er.

 

»Du sollst mich ›Herr‹ nennen«, sagte Bones zu Karata.

 

»Herr«, sagte der König düster, »das ist eine merkwürdige Sache – denn ich sehe, daß du ein Engländer bist, und wir sind die Diener eines anderen Königs. Es ist auch verboten, daß ein Weißer – daß irgendein Herr in meinen Kral kommt, ohne mein Wort zu haben, und ich habe selbst Igselensi fortgetrieben.«

 

»Das ist ein törichtes Geschwätz, Karata«, erwiderte Bones, »aber das ist eine gute Rede: Soll Karata leben oder soll er sterben? Auf diese Frage sollst du mir antworten. Wenn du die Leute fortschickst, und wenn du ihnen sagst, daß wir im Schatten deiner Königshütte wohnen werden, dann sollst du leben. Wenn er aber etwas anderes sagt, Bosambo, dann töte ihn schnell.«

 

Der König sah wieder von einem zum anderen. Bones hatte seine Hand in die Uniformtasche vergraben, und Bosambo balancierte seinen kurzen Wurfspeer in der Hand. Der Häuptling schielte zu ihm hinüber und sah sofort, daß die Spitze haarscharf war.

 

Dann wandte er sich zu den Umstehenden, die vor Bones zurückgewichen waren, als er zuerst zum König sprach.

 

»Dieses Palaver ist aus, und der weiße Herr wird in meiner Hütte für diese Nacht wohnen.«

 

»Gott sei Dank!« sagte Bones, als sich die Menge allmählich zerstreute.

 

Senor Bonaventura hörte von der Ankunft eines Weißen im Kral des Königs der M’fusi. Aber er legte der Nachricht keine weitere Bedeutung bei, denn es gab gewisse bevorzugte Händler, die von Zeit zu Zeit Karata besuchten. Er war nur besorgt, weil eine Sendung von achthundert Arbeitern, die ihm Karata versprochen hatte, noch nicht in Moanda eingetroffen war. Aber plötzlich kam panischer Schrecken über ihn, als ein Brief seines Kommissars eintraf, der über das ungewöhnliche Verhalten Karatas berichtete.

 

Das Schreiben des Herzogs lautete:

 

Exzellenz,

 

ich freue mich, von der Besserung des Königs Karata berichten zu können. Ich habe Nachricht erhalten, daß er eine Anzahl Besucher empfing, deren Besuch keinen offiziellen Charakter hatte. Und obwohl ich, wie ich schon in meinem früheren Brief erwähnte, die unangenehmsten Erfahrungen machte, als ich die Stadt der Großen M’fusi betreten wollte, hielt ich es doch für ratsam, dorthin zu gehen und mich einmal persönlich umzusehen.

 

Ich stellte fest, daß tatsächlich Fremde dorthin gekommen waren, daß sie aber gerade an dem Morgen meiner Ankunft wieder abgereist waren. Sie mußten einen ihrer Leute mit sich forttragen, weil er krank war. Bei der Expedition befand sich auch ein Weißer. Das merkwürdigste an der ganzen Sache aber war, daß der König um Mitternacht ein Palaver der Ratgeber und Ersten seines Volkes einberief und ihnen erklärte, daß er von dem Fremden so traurige Nachrichten erhalten hätte, daß es für vier Wochen verboten sein solle, sein Gesicht zu sehen. Am Ende dieser Zeit wolle er von der Erde verschwinden und als Gott unter die Sterne versetzt werden. Bei diesen Worten nahm der König zögernd aus der Hand eines Fremden einen Sack, in den zwei Löcher geschnitten waren, zog ihn über den Kopf und ging so in seine Hütte zurück.

 

Seitdem hat er manche merkwürdigen Dinge ausgeführt. Er hat die Einfuhr von alkoholischen Getränken verboten, hat alle Hörigen und Sklaven befreit und zu ihren Hütten zurückgeschickt und Zifingini, einen der ältesten Häuptlinge der M’fusi, dazu bestimmt, an seiner Stelle König zu sein, wenn er gegangen sei. Außerdem hat er ein neues Regiment von Kriegern aufgestellt.

 

Er hat seine Lebensgewohnheiten völlig geändert. Und obwohl die M’fusi sein Gesicht nicht sehen können und er alle Weiber, Verwandten und Ratgeber in ein entferntes Dorf verbannt hat, ist er doch bei seinen Leuten beliebter als je zuvor.

 

Erhabene Exzellenz, ich sehe, daß die alten Zustände sich nun ändern und daß das Volk der M’fusi bald einer glücklicheren Zeit entgegengehen wird.

 

Genehmigen Sie, erhabene Exzellenz, den Ausdruck meiner außerordentlichen Verehrung.

 

*

 

Der Gouverneur wurde dunkelrot, dann kreidebleich. »Heilige Muttergottes!« stieß er hervor, beinahe vom Schlage gerührt. »Das ist unser Untergang.«

 

Mit zitternder Hand schrieb er ein Telegramm. In gewöhnlicher Sprache übersetzt hatte es folgenden Sinn:

 

*

 

›Sofort de Sargosta abberufen oder kein Geld am nächsten Zahltag.‹

 

*

 

Er überwachte persönlich die Absendung der Depesche, dann ging er in sein Büro zurück, nahm den Brief des Herzogs in die Hand und las ihn noch einmal durch. Plötzlich entdeckte er auf der anderen Seite des Schreibens noch eine Nachschrift.

 

*

 

P. S. I. – Mit Bezug auf die Fremden, die den König besuchten, muß noch erwähnt werden, daß der Mann, den sie in der Sänfte forttrugen, nach allen Berichten der Holzfäller, die die Expedition beobachteten, sehr krank gewesen sein muß, denn er brüllte den ganzen Weg furchtbar, aber der weiße Mann sang noch lauter.«

 

*

 

P. S. II. – Ich höre soeben, Exzellenz, daß »Der verhüllte König«, wie sein Volk ihn jetzt nennt, alle seine Schätze und Reichtümer und noch viele andere Dinge, die er aus den Hütten seiner verbannten Verwandten genommen hat, einem gewissen Bosambo, der Häuptling der Ochori ist, geschickt hat. Er regiert in der benachbarten englischen Kolonie und ist weitläufig mit Senor Sanders verwandt, dem Distriktsgouverneur des englischen Gebietes.«