Kapitel 17

 

17

 

»Ich weiß nicht, wie ich dir das alles erklären soll, Jack«, begann Barbara, während sie sich erschöpft auf das Sofa fallen ließ und ihn an ihre Seite zog. »Es hängt alles mit dem Diamanten der Göttin Kali zusammen.«

 

»Wie kommt denn der hierher?« erkundigte er sich erstaunt. »Ist das nicht der Diamant, von dem Lord Widdicombe neulich sprach?«

 

Sie nickte ernst.

 

»Der Stein ist aufs neue entwendet worden. Du kannst dir ja vorstellen, welche Anziehungskraft er für viele Leute hat. Einige Zeit wurde der Diebstahl nicht entdeckt, aber schließlich kam ein Oberpriester des Heiligtums dahinter und setzte sich sofort mit der Kriminalpolizei in Verbindung. Er wußte, welche Unruhen es geben würde, wenn der Stein an dem Feiertag nicht ausgestellt werden konnte. Als man den Dieb endlich faßte, hatte er den Stein schon verkauft. Mit verschiedenen anderen Brillanten hatte ihn ein Zwischenhändler nach Europa verschachert.

 

Wir bekamen schließlich heraus, daß der Diamant in London gelandet war. Nun bekam ich den Auftrag, ihn dort zu suchen, denn ich bin seit drei Jahren beim Geheimdienst des Auswärtigen Amtes beschäftigt.«

 

Sie lächelte belustigt, als sie sah, welche Überraschung diese Worte für Jack bedeuteten.

 

»Was, beim Geheimdienst bist du? Dann bist du …«

 

»Etwas Ähnliches wie du. Aber erst laß mich dir schnell fertig erzählen«, unterbrach sie ihn und legte ihre Hand auf seinen Arm. »Alle Steine wurden an die Juwelierfirma Streetley verkauft. Niemand hatte hier eine Ahnung, daß sich der berühmte Diamant der Göttin Kali darunter befand, denn die seltsame Inschrift war ja kaum zu erkennen. Nun wurde von Indien ein Beamter der Kriminalpolizei hergeschickt, der diesen Mr. Shing mitbrachte. Der ist nicht nur Anhänger der Kali-Sekte, der der Stein gehört, sondern auch ein hervorragender Juwelier. Er weiß genau, wie der Diamant aussieht.«

 

»Dann hatte also dieser Inder das Haus in der Birdin-Bush Road gemietet?« warf Jack ein.

 

»Ja, er wohnte dort, und ihm wurden alle gestohlenen Brillantnadeln gebracht.«

 

»Aber warum wurden denn die Nadeln gestohlen?«

 

»Wir haben sie nicht alle gestohlen«, setzte ihm Barbara auseinander. »Streetley hatte die Brillanten, die er von einem Inder kaufte, dazu benützt, die herrlichsten Brillantnadeln anzufertigen. Die Steine waren groß und schön und paßten vorzüglich in die von ihm entworfenen Fassungen. Als nun die Polizei bei ihm nach dem Verbleib der Steine forschte, stellte es sich heraus, daß wohl auch der Diamant der Göttin Kali in solch eine Nadel gearbeitet worden war. Die Firma wandte sich daher an alle Kunden, denen sie eine solche Nadel verkauft hatte, und versuchte, unter irgendeinem Vorwand die Nadeln zurückzubekommen. Meistens erklärten sich die Kunden einverstanden, aber in einigen Fällen weigerten sich die Eigentümer. Manche glaubten, daß man ihnen irrtümlicherweise einen teureren Stein verkauft hätte, den man ihnen nun wieder abnehmen wollte.

 

In solchen Fällen gab es nur einen Weg, die Brillantnadeln wiederzubekommen – man mußte sie stehlen, und ich erhielt diesen ehrenvollen aber wenig angenehmen Auftrag. Leider hatte ich Pech und mußte bis zur letzten Möglichkeit weitersuchen; erst seit dem Fest bei Lord Widdicombe wußte ich, daß er nur noch in Dianas zweiter Brillantnadel stecken konnte.«

 

»Also hatte Diana doch recht, als sie behauptete, die gestohlenen Schmuckstücke unter deinem Kopfkissen gefunden zu haben?«

 

Barbara nickte vergnügt.

 

»Der Chefinspektor wußte natürlich Bescheid! Als er hörte, daß Diana hinter meine Schliche gekommen war, setzte er sich sofort mit Mr. Smith in Verbindung. Der fuhr gleich in meine Wohnung, nahm die Juwelen an sich und hinterließ den Zettel mit dem schadenfrohen Gruß.«

 

Jack begriff nun, warum ihm sein Vorgesetzter nicht den Auftrag gegeben hatte, auch den Juwelendiebstahl zu klären.

 

Er zog Barbara an sich.

 

Kapitel 18

 

18

 

Am folgenden Nachmittag saß Diana in ihrem Wohnzimmer, als ihr Barbara gemeldet wurde.

 

»Ich habe meine Brillantnadel zurückbekommen, Barbara«, sagte sie zur Begrüßung. »Ich nehme an, daß die Polizei das Schmuckstück gefunden hat. Jack ist wirklich ein großartiger Kriminalbeamter – na, er wußte ja auch, wo er zu suchen hatte!«

 

»Und wo war die Nadel?« erkundigte sich Barbara zuckersüß.

 

»In Ihrer Wohnung, meine Liebe«, entgegnete Diana boshaft. »Und diesmal kann Jack die Sache nicht vertuschen. Ich halte es für meine Pflicht, Ihnen mitzuteilen, daß ich an alle unsere Freunde und Bekannten geschrieben und ihnen die näheren Umstände auseinandergesetzt habe.«

 

»Ach, Sie haben geschrieben, daß ich die Juwelendiebin bin?« erwiderte Barbara ruhig.

 

»Ja – Sie sind die Diebin! Es ist zwar ein häßliches Wort, aber – ich glaube, es entspricht doch den Tatsachen, nicht wahr?«

 

»Dann wäre also das erste Geheimnis aufgeklärt«, meinte Barbara. »Ich freue mich, daß alles vorüber ist und daß die Leute jetzt Bescheid wissen. Gleichzeitig können sie dann auch das zweite erfahren.«

 

»Das zweite …?« fragte Diana mißtrauisch.

 

»Die Öffentlichkeit wird erfahren, wer der anonyme Brief Schreiber ist.« – Barbara machte eine wirkungsvolle Pause. »Als ich Ihnen das Schlafmittel gab, fand ich nicht nur die Brillantnadel in Ihrer Schmuckkassette, sondern auch noch ein Bündel Briefe, die Sie geschrieben hatten und am nächsten Tag abschicken wollten.«

 

Ein peinliches Schweigen wurde schließlich durch Dianas kühle Feststellung unterbrochen: »Sie sind verrückt!«

 

»Meinen Sie? Die Briefe waren an die verschiedensten Leute gerichtet, und alle waren mit ›Ein aufrichtiger Freund‹ unterschrieben. Sie enthielten die frechsten und gefährlichsten Denunziationen über die besten Freunde der Empfänger.«

 

»Das ist eine unerhörte Lüge! Das können Sie nie beweisen!« rief Diana erregt aus.

 

»Als ich in Lord Widdicombes Haus zu Gast war, befand ich mich dort in meiner Eigenschaft als Beamtin des Geheimdienstes. Das wußten Sie wohl nicht?«

 

Barbara erklärte ihr ruhig und mit einer gewissen Genugtuung den Auftrag, der sie zuletzt beschäftigt hatte. Sie schloß: »Mir war bereits ziemlich klar, daß Sie die anonymen Briefe schrieben, als ich bei Lord Widdicombe weilte, und ich hatte mir schon vorgenommen, in Ihrem Zimmer danach zu suchen. Ich nahm sie dann mit.«

 

»Das ist auch wieder so eine Lüge!« rief Diana entrüstet, aber man merkte jetzt deutlich, daß sie am Ende ihrer Kräfte – und ihrer Weisheit war. »Es ist aus meiner Kassette nichts weiter gestohlen worden als die Brillantnadel.«

 

»Die Briefe habe ich später in der Nacht wieder zurückgebracht, nachdem ich sie fotografiert hatte. Ich hatte einen Spezialapparat mitgebracht und arbeitete fast die ganze Nacht daran. Und wenn Sie tatsächlich allen Beteiligten geschrieben haben, daß ich die Diebin der Juwelen bin, so muß ich jetzt leider die Konsequenzen daraus ziehen und den gleichen Leuten Fotokopien dieser Briefe schicken und erklären, wer sie verfaßt hat.«

 

Wieder folgte ein langes Schweigen.

 

»Sie brauchen es nicht zu tun, Barbara«, sagte Diana schließlich tonlos. »Ich habe die Briefe, in denen ich es allen mitteilen wollte, daß Sie die Diebin seien, noch nicht abgeschickt.«

 

»Nun, dann ist es wohl besser, wenn Sie sie jetzt vernichten.« Barbara nahm ihren Mantel und ging zur Tür. »Vielleicht finden Sie doch noch eine bessere Beschäftigung als Briefschreiben, Diana«, sagte sie schon im Hinausgehen. »Warum heiraten Sie eigentlich nicht? Als neugebackene Ehefrau kann ich Ihnen nur den Rat geben, es zu tun. Es gibt nichts Angenehmeres.«

 

»Was soll das heißen?« fragte Diana fassungslos. »Sie sind verheiratet?«

 

»Ja. Ich habe, mich heute morgen mit Jack standesamtlich trauen lassen … Aber Sie brauchen mir kein Hochzeitsgeschenk zu machen!«

 

Ende

 

Kapitel 1.

 

1.

 

Mr. John Parsons hielt im Schreiben inne. Sein Bürovorsteher betrat das Zimmer.

 

»Ich bin gerade dabei, an Miss Trent wegen ihrer Erbschaft zu schreiben«, sagte Mr. Parsons.

 

»Soll ich den Brief dann abtippen lassen, damit eine Kopie vorhanden ist?«

 

»Nein, danke, das ist nicht notwendig. Ich will ihr nur zu der Erbschaft gratulieren und ihr die nötigsten Informationen bezüglich des Testamentes geben.«

 

»Das ist doch ein glückliches Mädchen«, meinte der Bürovorsteher. »Mit einem Schlag verfügt sie über eine halbe Million Pfund. Der alte Glenmere hat Landbesitz in Kanada hinterlassen.«

 

»Jaja«, erwiderte Parsons ungeduldig. »Es ist schon gut, Jackson. Ich möchte jetzt den Brief fertigschreiben. Bitte schicken Sie meinen Sohn herein.«

 

Mr. Parsons war ein gerissener Rechtsanwalt und hatte ein untrügliches Gefühl dafür, was er tun durfte und was er lieber unterlassen sollte. Trotz vieler Versuchungen blieb er stets innerhalb der Grenzen des Erlaubten. Einmal machte er allerdings einen Fehler, und das kostete ihn fast sein ganzes Vermögen. Er hatte falsch spekuliert, war aber nicht vollkommen ruiniert und konnte seinen Beruf weiter ausüben. Nur mußte er seinen Sohn von der Militärakademie nehmen und ihm klarmachen, daß er sofort in die Firma eintreten müsse.

 

Kurz darauf starb der alte Glenmere und setzte Parsons als Testamentsvollstrecker ein. Es war ein sonderbares Testament. Einen ganzen Vormittag brachte der Anwalt damit zu, den Wortlaut genau zu studieren. Als er schließlich alle Möglichkeiten sorgfältig durchdacht hatte, ließ er sich an seinem Schreibtisch nieder und verfaßte einen zweiten Brief an Miss Dorothy Trent.

 

Währenddessen war sein Sohn eingetreten. Reginald sah äußerst gelangweilt und mißmutig aus. Er ließ sich seinem Vater gegenüber auf einen Stuhl fallen.

 

»Nun, wie geht es dir, mein Junge?« fragte Mr. Parsons gutgelaunt und schloß dabei den Briefumschlag, der das Schreiben an Miss Trent enthielt.

 

»Ach, es ist entsetzlich! Ich kann dieses Büro nicht ausstehen«, brummte der junge Mann. »Wirklich, Vater, es fällt mir sehr schwer. Ich habe gar nicht geahnt, daß es dir finanziell so schlecht geht.«

 

»Meine letzte Börsenspekulation ist ja leider gescheitert, wie du weißt – aber ich hoffe, daß du noch einmal zufrieden sein wirst, Reggie. Ich habe einen Plan, und wenn der klappt, wird es dir sehr gut gehen. Du kannst dann ein großes Vermögen und eine hübsche Frau bekommen würde dir das nicht gefallen?«

 

Reginald verzog das Gesicht.

 

»So was gibt’s ja nur im Roman«, entgegnete er ärgerlich.

 

»Nein, es kommt auch im lieben vor, du kannst es mir glauben.« Der Vater nickte zur Bekräftigung. »Aber nun bringe mir bitte den Brief zum Kasten.«

 

Reginald nahm den Brief und warf einen Blick auf die Anschrift.

 

»Wer ist denn das?« fragte er.

 

»Ein junges Mädchen – sie erbt das Vermögen des alten Glenmere. Eine halbe Million Pfund!« sagte der Alte mit besonderer Betonung.

 

Reginald warf ihm einen Blick zu.

 

»Ach, das ist wohl die junge Dame, die du für mich im Auge hast?«

 

Parsons nickte.

 

»Na, welche Aussichten hätte denn ich da?« rief der junge Mann spöttisch. »Sie als große Erbin wird natürlich gerade auf mich warten – von so vielen Männern umschwärmt, wie sie es jetzt sein wird. Und natürlich fällt sie auf den ersten Mann herein, der ihr einen Antrag und schöne Augen macht. Sie braucht ja nicht auf Geld zu sehen bei ihrer Heirat.«

 

Mr. Parsons lächelte.

 

»Reggie, verlaß dich auf deinen Vater. Geh jetzt lieber zum Briefkasten und wirf den Brief ein.«

 

Kapitel 11

 

11

 

Während der nächsten vier Tage gelang es Jack nicht, Barbara zu treffen, obwohl er jeden Morgen in den Hyde Park ging, um sie vielleicht beim Reiten zu sehen. Er ärgerte sich über sich selbst, daß er das tat und daß er jedesmal enttäuscht war, wenn er ihr nicht begegnete. Schließlich konnte er es nicht länger ertragen. Er mußte sie sehen und versuchen, den Verdacht zu entkräften, den er bis jetzt noch nicht hatte abschütteln können. Wenn sich aber seine schlimmsten Befürchtungen als berechtigt herausstellen sollten, konnte er ihr vielleicht helfen, den Folgen ihres gefährlichen, Tuns zu entgehen. Er war fest davon überzeugt, daß sie das Opfer einer Verbrecherbande geworden war und für andere die Kastanien aus dem Feuer holen mußte.

 

Zuerst hatte er vorgehabt, sie in ihrer kleinen Wohnung anzurufen und ihr anzukündigen, daß er sie besuchen würde, aber er fürchtete, daß sie sich dann vielleicht weigern würde, ihn zu empfangen.

 

So machte er sich selbst auf den Weg zu ihrer Wohnung, Als er den Flur des Mietshauses betrat, kam gerade der Fahrstuhl von oben herunter. Er wich ein paar Schritte hinter einen Vorsprung in der Wand zurück und hatte so Gelegenheit, unbemerkt die zwei Männer zu mustern, die den Fahrstuhl verließen. Der erste war der Herr, den Jack in dem Haus in der Bird-in-Bush Road gesehen hatte, der zweite der Geschäftsführer von Streetley. Sie sprachen leise miteinander.

 

Was konnte das nur bedeuten? Zu gerne hätte er sich eingehender mit dieser neuen Beobachtung beschäftigt, aber eine gewisse Scheu hielt ihn davor zurück, Barbara in irgendeiner Weise nachzuspionieren. Er hatte sich schon mehr als genug mit ihrem Privatleben beschäftigt.

 

Im dritten Stock öffnete ihm ein hübsches Hausmädchen die Wohnungstür und führte ihn gleich in das kleine, aber gut eingerichtete Wohnzimmer.

 

Ein paar Minuten später erschien Barbara May.

 

»Das ist aber eine große Überraschung, Mr. Danton«, sagte sie. »Ich freue mich sehr, Sie zu sehen. – Ist etwas passiert?« fügte sie hinzu, als sie sein bedrücktes Gesicht sah.

 

»Ja, die Sache ist ziemlich ernst«, erklärte er. Nach kurzem Zögern fuhr er fort: »Ich habe gesehen, daß zwei Herrn aus dem Fahrstuhl kamen. Waren das Bekannte von Ihnen?«

 

Sie errötete leicht. »Ich weiß nicht, von wem Sie sprechen. Zwei Herren waren allerdings gerade bei mir – in geschäftlichen Angelegenheiten.«

 

»Ich meine Mr. Smith, den Geschäftsführer der Juwelierfirma Streetley. Er war in Begleitung eines anderen Herren, der in der Bird-in-Bush Road wohnt«, antwortete Jack kühl. Barbaras Erröten war ihm nicht entgangen.

 

»Das klingt alles sehr geheimnisvoll, Mr. Danton«, erwiderte Barbara nach einer Pause. Sie sprach ruhig und sah ihn offen an. »Wollen Sie mir nicht etwas mehr darüber sagen? Bitte erklären Sie es mir doch.«

 

»Nun gut«, stimmte Jack ebenso ruhig zu. »Jedesmal, wenn einer dieser geheimnisvollen Juwelendiebstähle verübt wurde, waren Sie in dem betreffenden Haus anwesend. Ich selbst habe erlebt, wie Sie am Morgen nach dem Diebstahl in Lord Widdicombes Schloß mit mir zur Post gingen, um einen Eilbrief aufzugeben, von dem Sie mir aber nichts sagten. Im Gegenteil, Sie benutzten einen Vorwand, um noch einmal ins Postamt zurückzugehen. Wie ich nachher erfuhr, war der Brief an eine Adresse in London gerichtet, nämlich an das Haus in der Bird-in-Bush Road, in das ich Sie nach unserer Rückkehr nach London gehen sah. Wie ich dann feststellte, wohnt dort ein Inder.«

 

Barbara schwieg, und Jack fühlte, daß er ihr eine Erklärung für sein Vorgehen schuldig war.

 

»Ich mache mir die größten Sorgen wegen dieser Sache. Bitte glauben Sie mir, daß ich nicht als Beamter von Scotland Yard zu Ihnen gekommen bin, sondern nur als – Ihr Freund, der verhindern möchte, daß Sie noch tiefer in Dinge verwickelt werden, die für Sie kein gutes Ende nehmen können.«

 

Sie warf ihm einen warmen Blick zu und legte impulsiv ihre Hand auf die seine.

 

»Das ist sehr lieb von Ihnen, Jack, aber ich glaube, Sie sorgen sich umsonst.«

 

Wieder trat eine Pause ein. Dann fügte sie hinzu: »Auf keinen Fall dürfen Sie sich meinetwegen in Ungelegenheiten bringen.«

 

»Aber wollen Sie mir denn nicht sagen, was das alles zu bedeuten hat? Barbara, haben Sie Dianas Diamantnadel an sich genommen?«

 

Sie antwortete nicht.

 

»Sagen Sie mir doch … Um Himmels willen, sprechen Sie offen mit mir. Diese Sache treibt mich zur Verzweiflung!«

 

Plötzlich erhob sie sich, und er sah, daß sie blaß geworden war.

 

»Ich kann Ihnen nichts erklären, Jack. Wenn Sie glauben, daß ich das Schmuckstück gestohlen habe und wenn Sie mich für eine Diebin halten – ich kann im Augenblick nichts daran ändern, sondern muß Sie bei Ihrem Glauben lassen. – Denken Sie vielleicht auch, daß ich die anonyme Briefschreiberin bin?« fragte sie dann und lächelte leicht.

 

»Nein, nein, das können Sie nicht getan haben! Barbara, sind Sie irgendwie Verbrechern in die Hände gefallen? Benützt man Sie als Werkzeug? Kann ich Ihnen nicht helfen?«

 

Er war so aufgeregt, daß er kaum noch klar denken konnte.

 

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, Sie können mir nicht helfen … Nur« – sie sprach die nächsten Worte ganz leise, so daß er sie kaum verstand –, »vertrauen Sie mir. – Und jetzt werde ich Tee bringen lassen, und Sie dürfen keine weiteren Fragen stellen.«

 

»Barbara«, beharrte er, »hängt dieses Geheimnis mit dem Diamanten der Göttin Kali zusammen?«

 

Sie wurde noch blasser und sah ihn fast furchtsam an.

 

»Was sagen Sie?« fragte sie hastig. »Was hat das alles mit dem Diamanten der Göttin Kali zu tun? Ich – ich verstehe Sie nicht, Jack.« Dann verließ sie schnell das Zimmer. Ein paar Minuten später kam ihr Mädchen herein.

 

»Miss May hat Kopfschmerzen und. läßt sich entschuldigen. – Soll ich Ihnen den Tee bringen?«

 

»Nein, danke vielmals«, entgegnete Jack und erhob sich unsicher. Seine Gedanken wirbelten durcheinander, als er auf die Straße hinaustrat. Wie im Traum ging er weiter.

 

Barbara May war eine Diebin!

 

Kapitel 12

 

12

 

Diana Wold besaß ein großes Vermögen. Es gehörte ihr außerdem ein prachtvolles Stadthaus in London, sie hatte ein Landgut in Norfolk, eine Villa in Cannes und ein kleines Chateau an einem Ufer des Comer Sees. Der Verlust der Brillantnadel machte ihr keine Kopfschmerzen. Im Gegenteil: Sie empfand eine gewisse Befriedigung über die Aufregung, die der Einbruch hervorgerufen hatte, und das Mitleid, das man ihr allgemein zollte. Sie langweilte sich und wußte nicht, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollte. Deshalb war sie für eine derartige Abwechslung fast dankbar.

 

Viele Männer hatten schon um Dianas Hand angehalten, aber allen gegenüber war sie gleichgültig und unzugänglich geblieben. Männer interessierten sie nur wenig. Zweifellos war sie sehr schön, und sie wußte das auch, aber niemals hatte sie den Wunsch gehabt, Eindruck auf Männer zu machen – bis sie mit Jack Danton zusammentraf, dessen gerades Wesen eine besondere Anziehung auf sie ausübte. Außerdem war er der einzige gutaussehende junge Mann ihres Bekanntenkreises, der ihr gegenüber nicht blasiert und eingebildet auftrat. Er hatte ihr nicht den Hof gemacht und ihr niemals geschmeichelt, und wenn er sie – wie sie glaubte – mit Absicht vernachlässigte, so hatte das für sie den Reiz der Neuheit.

 

Sie kannte ihn von früher her, als er noch beim Militär diente. Schon früher hatte er sich wenig um sie gekümmert. Damals hatte sie sich nichts daraus gemacht, aber nun hatte sie es plötzlich satt.

 

»Jack Danton behandelt mich, als ob ich irgendein elegantes, aber nutzloses Möbelstück wäre«, sagte sie zu Lord Widdicombe, als sie mit ihm in die Stadt fuhr. »Ich habe den begreiflichen Wunsch, als lebendes Wesen angesehen zu werden.«

 

»Das heißt bei dir so viel, daß er dir den Hof machen soll«, erwiderte der Lord kurz, »aber sein Verhalten kann dir doch höchstens angenehm sein. Jack Danton ist eben klug genug, sich eine Menge Enttäuschungen zu ersparen.«

 

Sie lachte spöttisch.

 

»Ich glaube nicht, daß er überhaupt imstande ist, eine Frau anzuhimmeln.«

 

Eigentlich hatte sie erwartet, daß Jack ihr einen Besuch machen würde, nachdem sie nun auch nach London zurückgekehrt war, aber er ließ sich nicht sehen. Schließlich schrieb sie ihm ein paar Zeilen und lud ihn zum Tee ein.

 

Er kam pünktlich auf die Sekunde, und schon diese Korrektheit ärgerte sie. Zu deutlich gab er zu erkennen, daß es sich, was ihn anging, hier nur um eine Formalität handelte.

 

»Jack«, sagte sie, nachdem sich die Unterhaltung eine Weile mühsam dahingezogen hatte, »man sollte meinen, daß Sie in einem Buch mit Anstandsregeln gelesen haben, wie man höflich, aber belanglos Konversation macht. Ich hatte gehofft, Sie würden mir interessante Neuigkeiten berichten. Können Sie mir nicht einmal einen kleinen Einblick in Ihre Tätigkeit geben? Sie haben doch Morde aufzuklären und kommen mit echten Verbrechern zusammen. Es muß ein aufregendes Leben sein, das Sie führen.«

 

Er sah sie so bestürzt an, daß sie lachen mußte.

 

»Aber Jack, Sie glauben doch nicht etwa, es hätte niemand eine Ahnung davon, daß Sie bei der Polizei sind? Wir wissen alle sehr gut, daß Sie für Scotland Yard arbeiten. Deshalb ist die Bekanntschaft mit Ihnen doch so faszinierend.«

 

Er lachte verlegen.

 

»Es tut mir leid, wenn ich Sie in dieser Beziehung enttäuschen muß, denn ich hatte bisher noch keine großen Fälle zu bearbeiten. Außerdem ist das Leben bei der Kriminalpolizei nicht so romantisch, wie Sie vielleicht denken. Wir arbeiten nach modernen und wissenschaftlichen Methoden, und im allgemeinen ist. die Sache nicht besonders anziehend oder unterhaltsam. Aufsehenerregende Verbrechen kommen nur hin und wieder vor.«

 

»Warum heiraten Sie eigentlich nicht?« fragte sie unvermittelt.

 

»Warum sollte ich denn heiraten?« erwiderte er erstaunt. »Aber meine liebe Miss Wold –«

 

»Bitte sagen Sie doch nicht immer Miss Wold zu mir. Früher haben Sie mich mit dem Vornamen angeredet, und wenn Sie das jetzt nicht mehr tun wollen, kann ich Sie auch nicht länger Jack nennen.«

 

»Dem kann abgeholfen werden, Diana«, gab Jack lächelnd nach. »Sie wollen also erfahren, warum ich noch nicht geheiratet habe? – Ja, das mag der Himmel wissen. Zunächst bin ich arm und habe nicht genug Geld, um eine Frau unterhalten zu können. Und zweitens …«

 

»Ja – und zweitens?« wiederholte sie, als er zögerte.

 

»… gibt es niemand, der mich heiraten will.«

 

»Haben Sie denn keine Frau gern?«

 

»Nein«, antwortete er kurz.

 

Sie sah auf das Taschentuch, das sie in der Hand hielt.

 

»Meiner Meinung nach sollte doch aber die Geldfrage entscheidend sein, wenn es sich um eine Heirat handelt. Warum wählen Sie nicht ein reiches Mädchen? Es gibt doch so viele.«

 

»Ich wüßte keine, die ich so liebte, daß ich sie heiraten möchte«, erklärte er lächelnd. »Außerdem würde ich es nicht ertragen, von dem Geld meiner Frau zu leben.«

 

»Darin irren Sie sich aber. Da sieht man wieder einmal Ihren unglaublichen Hochmut. Wenn Sie ein reicher Mann wären, würden Sie es sich doch keinen Augenblick überlegen, ein armes Mädchen zu heiraten, und ihr würde es auch nichts ausmachen. Sie würden sich dann wahrscheinlich wie ein Wohltäter vorkommen.«

 

Aber Jack schüttelte den Kopf.

 

»In der Beziehung bin ich anderer Meinung. Ich eigne mich nicht zum Almosenempfänger.«

 

Diana ärgerte sich über diese Antwort. Sie hatte zwar keine Lust, Jack zu heiraten – sie wollte überhaupt nicht heiraten, wenn sie ehrlich war –, aber sie hätte es gern gesehen, daß Jack ihr einen Antrag machte, damit sie wieder einmal das Gefühl hatte, im Mittelpunkt zu stehen und jemand ihre Macht spüren lassen zu können. Aber Jack schien überhaupt nicht an dergleichen zu denken, und sie fing an, ihn deshalb zu hassen.

 

»Lieben Sie Barbara May?«

 

Jack zuckte zusammen.

 

»Gerade das hat der anonyme Brief Schreiber meinem Vorgesetzten mitgeteilt.«

 

»Ach, erzählen Sie mir doch etwas davon! Wissen Sie, wer diese unverschämten Briefe verfaßt?« fiel sie eifrig ein. »Glauben Sie, daß es ein Mann ist oder eine Frau? Also haben auch Sie sein Interesse auf sich gezogen. Und er behauptet, daß Sie in Barbara verliebt seien? Das finde ich gar nicht dumm von ihm.«

 

»Nun, mir kam es nicht besonders klug vor, und eines Tages werde ich den ›aufrichtigen Freund‹ festnehmen, und er wird nichts zu lachen haben, wenn er vor Gericht steht.«

 

Also – es stimmte: Jack liebte Barbara! Diana hatte sich nicht getäuscht. Sie hatte ihn durchschaut, und trotzdem ärgerte sie sich über diese Gewißheit. Sie konnte Barbara nicht leiden, und sie wußte, daß das auf Gegenseitigkeit beruhte. Sie hatte Barbara im Verdacht, die Diebin zu sein. Weiche Sensation würde es geben, wenn sich dieser Verdacht bestätigen sollte! Jack Danton würde als Beamter von Scotland Yard die Frau verhaften müssen, die er liebt. Der Gedanke gefiel ihr.

 

Nachdem Jack gegangen war, überlegte sie, was sie als nächstes tun müßte, um den Stein ins Rollen zu bringen.

 

Kapitel 13

 

13

 

Sie kannte Barbaras Adresse. Vor allem mußte sie sich Zutritt zu ihrer Wohnung verschaffen und bei einer günstigen Gelegenheit mit größter Genauigkeit die Räume durchsuchen. Sie war fest davon überzeugt, daß sie dort genug Beweise für Barbaras Schuld finden würde.

 

Diana telefonierte als nächstes mit einer Detektivagentur. Sie bat den Inhaber, sie aufzusuchen.

 

»Ich will ganz offen mit Ihnen sprechen, Mr. Day«, sagte Diana, als der Chef des Unternehmens bei ihr war. »Ich habe eine meiner Freundinnen in Verdacht, der anonyme Briefschreiber zu sein, von dem Sie sicher gehört haben.«

 

»Ach, Sie wissen, wer dieser ›aufrichtige Freund‹ ist?« erwiderte Mr. Day erstaunt.

 

Diana nickte.

 

»Ich möchte aber nicht, daß die Polizei sich mit der Sache befaßt, denn ich will verhüten, daß die Dame in der Öffentlichkeit bloßgestellt wird«, erklärte sie. »Es wäre mir furchtbar, wenn sie vor Gericht erscheinen müßte. Aber ich möchte doch feststellen, ob sich mein Verdacht bestätigt. Aus diesem Grund will ich ihre Wohnung durchsuchen, während sie und ihr Mädchen ausgegangen sind.«

 

Mr. Day gefiel die Sache nicht.

 

»Das ist aber eine sehr riskante Angelegenheit. Da kommen wir der Kriminalpolizei in die Quere. Ich darf so etwas nicht machen, denn ich war früher selbst Beamter von Scotland Yard und habe allen Grund, auf meinen guten Ruf zu achten.«

 

»Sie erhalten eine so hohe Belohnung, daß Sie Ihr Risiko nicht zu bereuen brauchen«, versicherte Diana schnell. »Außerdem erwarte ich von Ihnen gar nicht, daß Sie die Wohnung betreten. Sie brauchen mir nur den Schlüssel zu beschaffen.«

 

»Das ist etwas anderes«, entgegnete der Detektiv nun bereitwillig. »Einen Schlüssel zu der Wohnung kann ich Ihnen besorgen. Und ich kann Ihnen auch insofern behilflich sein, als ich herausbringe, wann die Dame und ihr Mädchen die Wohnung verlassen.«

 

»Mehr verlange ich auch nicht von Ihnen.« Diana öffnete ihren zierlichen Schreibtisch und nahm mehrere Banknoten und einen Zettel heraus. »Hier sind zunächst hundert Pfund als Anzahlung, Mr. Day, und die Anschrift der Dame.«

 

Hocherfreut verabschiedete sich der Detektiv.

 

Am nächsten Donnerstag, drei Tage später, ließ er sich wieder bei Diana melden. Den Schlüssel zu Barbaras Wohnung hatte er mitgebracht. Diana steckte ihn lächelnd ein.

 

Am nächsten Morgen wurde sie angerufen.

 

»Die Person, für die Sie sich interessieren, ist heute nach Sunningdale gefahren, wo sie Mrs. Mersham besucht. Sie hat ihr Mädchen mitgenommen.«

 

Diana suchte nun alle Schubladen- und Schrankschlüssel zusammen, die sie finden könnte, denn wenn irgendwelche Schuldbeweise in Barbaras Wohnung lagen, würden sie sicher eingeschlossen sein.

 

*

 

Als sie das Miethaus betrat, in dem Barbara wohnte, war niemand zu sehen. Leise stieg sie die drei Treppen hinauf, da sie das für sicherer hielt, als den Fahrstuhl zu benutzen. Oben schloß sie die Tür zu Barbaras Wohnung auf, die sie sofort wieder hinter sich zumachte.

 

Sie durchsuchte ein Zimmer nach dem anderen, fand aber keine verdächtigen Dinge, bis sie in das Schlafzimmer kam. Der Raum war groß und hell und modern möbliert. Nur eine Schublade war abgeschlossen, und als sie sie mit einem der mitgebrachten Schlüssel aufbekam, mußte sie feststellen, daß sie leer war.

 

Schon wollte sie das Zimmer verlassen, als ihr der Gedanke kam, das Bett zu untersuchen. Und tatsächlich – als sie unter das Kopfkissen faßte, spürte sie etwas Hartes unter dem Laken. Sie zog es weg und sah, daß in die Matratze ein viereckiger Ausschnitt eingearbeitet war, in dem sich eine Stahlkassette befand. Mit zitternden Händen hob Diana sie heraus und trug sie zu dem Tisch in der Nähe des Fensters.

 

Der Kasten war zwar verschlossen, aber das Schloß nicht besonders kompliziert. Schließlich gelang es ihr, es zu öffnen. Staunend sah sie mehrere Fächer in der Kassette und – die Brillantnadeln, die, immer zwei zusammen, darin lagen. An jeder Nadel war ein Zettel mit dem Namen des Eigentümers befestigt. Auch ihre eigene Nadel entdeckte sie. Zwei weitere Einsätze unter dem obersten enthielten das gleiche.

 

Was sollte sie jetzt tun? Sie befand sich in einer schwierigen Lage. Unmöglich konnte sie die Stahlkassette zur Polizei bringen. Sie könnte ja nicht zugeben, daß sie unerlaubterweise in Barbaras Wohnung eingedrungen war. Das hätte sie selbst in Verdacht gebracht. Und wenn die Sache herauskam, würden alle ihre Bekannten ihr Vorgehen scharf verurteilen, auch wenn es in bester Absicht geschehen war.

 

Aber plötzlich kam ihr ein guter Gedanke. Sie verschloß die Kassette sorgfältig wieder und stellte sie an ihren Platz in der Matratze zurück. Dann richtete sie das Bett und verließ die Wohnung.

 

Ein paar Minuten später fuhr sie mit ihrem Auto nach Hause. Sie war außer sich vor Freude, denn nun konnte sie sich an Barbara rächen.

 

Sie rief bei Scotland Yard an, und durch einen glücklichen Zufall erwischte sie Jack selbst.

 

»Ach, bitte, kommen Sie doch gleich zu mir«, sagte sie. »Ich muß Ihnen etwas Wichtiges mitteilen.«

 

»Es tut mir außerordentlich leid«, entschuldigte er sich, »aber ich habe im Augenblick keine Zeit.«

 

»Ich sagte Ihnen doch, daß es äußerst wichtig ist – es handelt sich um Barbara May.«

 

»Dann werde ich kommen«, erwiderte er kurz.

 

Sie konnte seine Ankunft kaum erwarten, im Vorgefühl ihrer Genugtuung. Welch niedriger Gefühle, sie fähig war, konnte Jack nicht ahnen, und es würde noch eine Weile dauern, bis er dahinterkam.

 

Als er eintrat, saß sie am Teetisch.

 

»Ich bin aber nicht zum Tee gekommen, Diana«, erklärte er ärgerlich.

 

»Sie werden aber doch Tee mit mir trinken«, entgegnete sie liebenswürdig. »Ich muß Ihnen etwas Wichtiges sagen, und am Teetisch komme ich in die richtige Stimmung, Ihnen Skandalgeschichten zu erzählen.«

 

Zögernd setzte er sich und wartete. Er war gespannt, was sie ihm mitzuteilen hatte.

 

»Sie sind doch Kriminalbeamter, Jack?« erkundigte sie sich, während sie ihm eine Tasse reichte.

 

»Ja, das wissen Sie doch«, antwortete er fast schroff.

 

»Sie haben also einen Diensteid abgelegt, und soviel ich weiß, müssen sich Beamte ebenso an ihren Eid halten wie Soldaten.«

 

Er stellte die Tasse auf den Tisch zurück.

 

»Worauf wollen Sie eigentlich hinaus, Diana?«

 

»Ich habe herausgebracht, wer der Juwelendieb ist«, rief sie triumphierend, »und ich kann Ihnen auch sagen, wo die gestohlenen Schmuckstücke liegen – in der Wohnung von Barbara May! Sie befinden sich in einer Stahlkassette unter ihrem Kopfkissen.«

 

Er war wie vom Donner gerührt.

 

»Wo ist Barbara?« fragte er heiser.

 

»Ich weiß es nicht – und es interessiert mich auch nicht. Aber ich sage Ihnen noch einmal, Jack, daß sich die Juwelen in ihrer Wohnung befinden. Es ist Ihre Pflicht, das Ihrem Vorgesetzten zu berichten.«

 

Zögernd erhob er sich.

 

»Ja, das muß ich wohl«, gab er zu, und Diana war sicher, daß er es tun würde.

 

Der Chefinspektor hörte Jacks Bericht an, aber er schien ihn nicht sonderlich zu beeindrucken.

 

»Woher weiß denn Miss Wold, daß die gestohlenen Schmuckstücke in Miss Mays Wohnung liegen?«

 

»Ich habe keine Ahnung, wie sie es erfahren haben könnte«, entgegnete Jack müde. »Ich habe die Sache gemeldet und damit meine Pflicht getan.«

 

»Nun gut.« Der Chefinspektor drückte auf eine Klingel. »Da Sie nun einmal in den Fall verwickelt sind, ist es wohl am besten, wenn Sie die Durchsuchung der Wohnung selbst übernehmen. Ich lasse den Haussuchungsbefehl jetzt ausfertigen, dann werden Sie weiter keine Schwierigkeiten haben, hineinzukommen. Und da Miss Wold sich so dafür interessiert, ist es wohl besser, wenn sie dabei ist.«

 

»Muß das sein?«

 

»Ja«, entschied der Chef Inspektor. »Die Dame hat eine schwere Beschuldigung gegen Miss May erhoben, und ich bestehe darauf, daß das Schlafzimmer in ihrer Gegenwart durchsucht wird.«

 

Jack Danton war wütend, aber es blieb ihm nichts anderes übrig, als Diana anzurufen.

 

Sie hörte, daß seine Stimme vor Erregung zitterte, und lächelte siegesgewiß.

 

»Wann soll das denn sein?« fragte sie liebenswürdig.

 

»Ich fahre jetzt gleich: hin«, sagte er und hängte ein.

 

Sie wartete bereits am Eingang des Hauses, als Jack in Begleitung zweier Kriminalbeamter dort eintraf. Er beachtete sie kaum.

 

»Sie benehmen sich aber nicht sehr korrekt«, meinte sie, als sie zusammen im Fahrstuhl nach oben fuhren. »Ich habe doch wohl das Recht, mich darum zu kümmern, wer meine Brillanten gestohlen hat!«

 

Er überhörte ihre Worte.

 

Es war den Beamten ein leichtes, die Wohnung zu öffnen. Diana führte Jack zum Schlafzimmer.

 

»Vor allem muß ich jetzt wissen, woher Sie erfahren haben, daß sich die gestohlenen Juwelen hier befinden«, sagte Jack und vertrat ihr die Tür.

 

»Es ist mir eine entsprechende Mitteilung zugegangen«, antwortete sie gleichgültig. »Mehr kann ich Ihnen leider nicht sagen.«

 

»Gut, dann zeigen Sie uns jetzt, wo sich die gestohlenen Schmuckstücke befinden.«

 

»Mit dem größten Vergnügen.« Sie ging voran ins Zimmer, schlug das Bett auf und zog Kissen und Laken fort. »Sehen Sie her«, sagte sie triumphierend und zeigte auf die schwarze Stahlkassette.

 

Tief betroffen nahm Jack den Kasten heraus und setzte ihn auf den Tisch, wo Diana ihn erst vor kurzem geöffnet hatte.

 

Einer der Kriminalbeamten zog einen Bund Nachschlüssel aus der Tasche und machte die Kassette auf.

 

»Hier haben Sie die gestohlenen Sachen!« rief Diana.

 

»Wo denn?« fragte Jack.

 

Sie starrte in das Innere des Kastens und wollte ihren Augen nicht trauen.

 

Der oberste Einsatz war leer.

 

Kapitel 14

 

14

 

Hastig nahm Diana den zweiten Einsatz heraus. Er enthielt auch nichts, und im dritten lag nur ein Stück Papier, auf dem mit Schreibmaschine eine Zeile geschrieben war. Jack las sie und konnte ein Grinsen nicht unterdrücken, als er Diana den Zettel reichte.

 

›Tut mir leid, daß ich Sie enttäuschen muß‹, stand darauf.

 

Das war fast zuviel für Jack. Eine Stunde lang hatte er das Schlimmste befürchtet – und nun dies!

 

Er lachte schallend. »Nun, Miss Wold, wo ist denn Ihre Nadel?« fragte er nach einer Weile.

 

»Noch vor einer Stunde war sie hier – darauf kann ich einen Eid leisten«, gab sie wütend zurück. »Ich habe sie doch mit eigenen Augen gesehen.«

 

»Ach – gesehen haben Sie die Nadel? Sehr interessant! Dann haben Sie also das Zimmer durchsucht? Das hätte ich aber an Ihrer Stelle nicht getan!«

 

»Ich habe es aber getan«, entgegnete sie trotzig. »Es hat keinen Zweck, daß Sie mich so entrüstet anstarren. Ich sage Ihnen, daß ich alle gestohlenen Nadeln noch vor einer Stunde hier in der Wohnung gesehen habe. Sechs Stück!«

 

Ohne noch ein Wort zu verlieren, wandte sie sich ab und verließ das Schlafzimmer.

 

»Also, das wäre erledigt«, meinte Jack abschließend, nachdem sie gegangen war. »Und nun muß ich Miss May erklären, wie ich in ihre Wohnung kam jedoch dazu mit einem Haussuchungsbefehl. Das wird nicht leicht werden.«

 

Er konnte es nicht verstehen. Etwas mußte doch an der Sache gewesen sein. Er war fest davon überzeugt, daß Diana niemals eine so schwere Anklage gegen Barbara May erhoben hätte, wenn sie nicht sicher gewesen wäre, daß sich die Juwelen in der Wohnung befanden.

 

Das Vorhandensein des Zettels auf dem Boden der Kassette bewies außerdem, daß etwas dringewesen sein mußte und entfernt worden war, bevor er mit den Beamten die Wohnung betrat.

 

Aber Barbara war doch gar nicht in London. Sie besuchte Bekannte auf dem Lande und konnte daher die Juwelen nicht fortgeschafft haben – immer vorausgesetzt, daß sie überhaupt in der Wohnung versteckt gewesen waren.

 

*

 

Als Jack hörte, daß Barbara nach London zurückgekehrt war, machte er ihr einen Besuch, aber noch bevor er sich bei ihr entschuldigen konnte, unterbrach sie ihn mit einem Lächeln.

 

»Ich weiß genau, was geschehen ist, Mr. Danton, und ich weiß auch, daß Sie nicht dafür verantwortlich sind. Aber ich mache Ihnen einen Vorschlag. Wie wäre es, wenn Sie Diana eine Stellung bei Scotland Yard verschafften? Sie scheint ein ausgezeichneter Detektiv zu sein.«

 

»Sie ist nicht allein schuld«, entgegnete Jack. »Es war nicht recht von mir, daß ich meinem Vorgesetzten die Meldung machte.«

 

»Nein, so dürfen Sie die Sache nicht ansehen. Es war doch Ihre Pflicht, und Sie konnten nicht anders handeln.« Sie lachte zufrieden. »Es muß für die arme Diana eine furchtbare Enttäuschung gewesen sein, als sie entdeckte, daß ich nicht die Juwelendiebin bin.«

 

Sie sah Jack an. Beide mußten lachen.

 

»Wissen Sie«, sagte Jack dann ernst werdend, »daß alle gestohlenen Brillantnadeln ihren Eigentümern wieder zurückgegeben wurden? Auch Diana hat ihre Nadel wieder erhalten.«

 

»Ach, sieh mal einer an, das ist ja interessant«, murmelte sie. »Und man hat tatsächlich alle Brillantnadeln zurückgegeben?«

 

Er nickte.

 

Barbara brachte das Gespräch auf andere Dinge. Jack schien es plötzlich, als ob sie blaß und angegriffen aussähe. Ihre Augen hatten den strahlenden Ausdruck verloren, und sie schien nervös zu werden.

 

Kurz bevor er ging, erwähnte sie Diana noch einmal.

 

»Zum Zeichen, daß ich ihr nichts nachtrage, will ich auf die Gesellschaft gehen, die sie heute abend gibt. – Werden Sie auch dasein?«

 

Jack hatte ebenfalls eine Einladung erhalten, sie aber ignoriert. Daß Barbara auch dort hingehen würde, änderte die Sache natürlich.

 

»Es ist wirklich großzügig von Ihnen, daß Sie Diana verzeihen wollen«, sagte er herzlich. »Wenn Sie kommen, werde ich natürlich auch dort sein.«

 

»Jack, wissen Sie auch, daß Diana zwei Brillantnadeln hat? Nun werde ich Gelegenheit haben, auch die andere Nadel zu stehlen. Aber verraten Sie mich nicht«, vertraute sie ihm augenzwinkernd an.

 

Jack war entsetzt.

 

»Barbara, Sie wissen nicht, was ich in den letzten Tagen alles durchgemacht habe. Bitte regen Sie mich nicht mehr auf!«

 

*

 

Diana gab stets glänzende Gesellschaften. Jack hatte zwar erwartet, viele berühmte Leute dort zu treffen, aber dies Aufgebot an gesellschaftlichen Größen überraschte ihn doch.

 

Als er die breite Treppe hinaufstieg, sah er Diana, die die Gäste oben begrüßte. Sie trug ein kostbares Kleid aus Silberlamé, und ihre blonden Locken türmten sich zu einer kunstvollen Hochfrisur auf ihrem kleinen Kopf. Sie sah blendend aus. In der Haltung einer Dame von Welt begrüßte sie Minister, Botschafter, deren Gattinnen – und auch Jack empfing sie mit einem strahlenden Lächeln.

 

»Ich freue mich, daß gerade Sie gekommen sind«, sagte sie leise. »Haben Sie mir verziehen?«

 

»Ich brauche Ihnen doch nichts zu verzeihen«, erwiderte er ablehnend, denn im Grunde genommen konnte er ihr ihre niedrige Handlungsweise durchaus nicht verzeihen.

 

»Ich sehe, Sie sind mir noch böse«, sagte sie und lachte leicht. »Nun, gehen Sie in den Saal und suchen Sie Barbara. Sie sieht heute abend bezaubernd aus.«

 

Er entdeckte Barbara in einer Ecke des Ballsaales. Sie unterhielt sich lebhaft mit einem Bekannten, aber als sie Jack erblickte, entschuldigte sie sich und kam auf ihn zu.

 

»Ich möchte mit Ihnen sprechen, Jack«, sagte sie und lächelte freundlich. »Kommen Sie doch mit in Dianas Wohnzimmer. Dort sind wir allein. Sie hat mir vorhin angeboten, es zu benutzen, wenn ich wollte.«

 

Diana sah sofort, daß die beiden sich zurückzogen, und ihr Blick wurde hart. Natürlich liebten sie sich und suchten jetzt einen Raum, wo sie sich aussprechen konnten, ohne eine Unterbrechung befürchten zu müssen.

 

Sie wäre sehr erstaunt gewesen, wenn sie gehört hätte, was Barbara soeben zu Jack sagte.

 

»Jack, Sie müssen mir einen großen Gefallen tun«, bat sie, als sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte. Ihre Worte klangen dringend, fast wie ein Befehl.

 

»Selbstverständlich. Es ist mir ein Vergnügen, etwas für Sie tun zu können, Barbara«, erwiderte er eifrig.

 

»Es handelt sich um eine außergewöhnliche Sache. Ich muß zehn Minuten ungestört in Dianas Schlafzimmer bleiben können, denn ich habe dort etwas zu erledigen.«

 

Er erschrak. Sollte sie das, was sie kürzlich gesagt hatte, doch ernst gemeint haben?

 

»Diana hat dem Personal erlaubt, um zwölf Uhr auf die Galerie zu gehen und von dort dem Fest zuzusehen«, fuhr Barbara schnell fort. »Das ist eine günstige Gelegenheit, die ich nicht ungenutzt vorübergehen lassen darf. Nun möchte ich Sie bitten, auf der Treppe zu bleiben und aufzupassen. Wenn jemand kommen sollte, müssen Sie mich warnen.«

 

»Aber – aber – was haben Sie denn …«

 

»Im ersten Stock neben der Treppe ist ein Lichtschalter«, unterbrach sie ihn kurz, »mit dem man das Licht vor der Tür von Dianas Zimmer im zweiten Stock andrehen kann. Damit können Sie mich warnen! Daneben befindet sich das Billardzimmer, und wenn Sie jemand fragen sollte, so sagen Sie einfach, Sie wollten ein wenig Billard spielen, weil es Ihnen auf dem Fest ein bißchen langweilig sei.«

 

»Aber Barbara, was hat das zu bedeuten? Ich verstehe Sie, offen gestanden, nicht ganz. Was wollen Sie denn in Dianas Zimmer tun?«

 

»Bitte kümmern Sie sich nicht darum. Ich möchte nur wissen, ob Sie mir helfen werden«, sagte sie leise. Sie sah ihn mit ihren großen Augen bittend an. Er schwankte. Wie hübsch saß sie vor ihm in ihrem lichtblauen Kleid! Das dunkle Haar, auf dem rötliche Reflexe spielten, wurde von einem Band zusammengehalten. Ihre Hand spielte mit einem Theatertäschchen. Plötzlich drang ihre Stimme wieder in sein Bewußtsein.

 

»Wissen Sie denn nicht, daß heute der Vierzehnte ist? – Aber nein, das können Sie ja nicht wissen – es bedeutet für Sie auch nichts. Aber ich muß wissen, ob Sie mir helfen wollen«, fügte sie drängend hinzu. Einen Augenblick zögerte er.

 

»Ja«, erwiderte er dann heiser. »Ich weiß zwar nicht, was Sie in Dianas Schlafzimmer wollen, aber ich vertraue Ihnen.«

 

Plötzlich neigte sie sich zu ihm, und er fühlte, daß ihre Lippen die seinen berührten – nur für den Bruchteil einer Sekunde –, dann lief sie hinaus.

 

Kapitel 15

 

15

 

»Nun, haben Sie sich jetzt genügend ausgesprochen?« erkundigte sich Diana spitz, als Jack und Barbara in den Ballsaal zurückkehrten. Kurz davor hatte er Barbara eingeholt und mit einem Lächeln ihren Arm genommen.

 

»Jedenfalls haben wir Sie mit keinem Wort erwähnt, liebe Diana«, antwortete Barbara ebenso spitz.

 

Frauen sind doch merkwürdige Wesen, dachte Jack und wartete von da ab mit Ungeduld, daß es Mitternacht würde.

 

Allmählich versammelten sich die Hausangestellten und Diener auf der Galerie. Als sich gegen zwölf Uhr seine und Barbaras Blicke trafen und sie ihm zunickte, ging er langsam aus dem Saal.

 

Der Ballsaal befand sich im Erdgeschoß, das Billardzimmer im ersten Stock, die Schlafzimmer im zweiten Stock.

 

Jack schlenderte die Treppe hinauf und war froh, daß er niemandem begegnete. Im Billardzimmer brannte eine Deckenlampe, und er drehte auch alle Wandleuchten an. Dann nahm er einen Billardstock und legte ihn auf den grünbespannten Tisch. Vorsichtig schlich er dann zum Treppenabsatz zurück, gerade als Barbara heraufkam. Sie sagte kein Wort, nickte ihm aber freundlich zu und eilte die Treppe zum zweiten Stock hinauf.

 

Ihm war nicht wohl in seiner Haut, denn er fürchtete, durch einen Zufall könnte doch jemand heraufkommen. Es vergingen fünf Minuten – zehn Minuten, da bemerkte er eine Gestalt am Fuß der Treppe und erkannte zu seinem Schrecken, daß es Diana war. Er hatte gerade noch Zeit genug, den Lichtschalter anzudrehen, bevor sie ihn sehen konnte.

 

»Aber Jack, was machen Sie denn hier oben?« fragte sie verwundert.

 

»Ich wollte eine Partie Billard spielen, aber ich kann keinen Partner finden«, entgegnete er so ruhig wie möglich. Er stand wie auf glühenden Kohlen, denn jeden Augenblick konnte Barbara herunterkommen.

 

»Aber warum wollen Sie denn Billard spielen? Dann brauchen Sie doch nicht auf einen Ball zu kommen! Warum tanzen Sie nicht, und wo haben Sie Barbara gelassen?«

 

»Sie ist wahrscheinlich gescheiter als ich und amüsiert sich. Ich habe sie kurz vorher noch unten im Ballsaal gesehen.«

 

»Also kommen Sie, dann werde ich mit Ihnen Billard spielen«, erwiderte sie und trat in das Billardzimmer.

 

Er folgte ihr und schloß die Tür.

 

»Ach, bitte nicht, Jack, es ist so heiß hier drinnen.«

 

Er ging zur Tür zurück und öffnete sie eine Handbreit.

 

»Nein, machen Sie sie weit auf. Denken Sie an meinen guten Ruf«, sagte sie spöttisch.

 

Zögernd öffnete er die Tür etwas weiter.

 

»Ach, ich möchte eigentlich ebensowenig Billard spielen wie Sie«, meinte Diana plötzlich und stellte den Stock wieder zurück, den sie schon in der Hand hielt. »Billard ist so entsetzlich langweilig. Aber was ist denn mit Ihnen? Sie schauen ja aus, als hätten Sie ein Gespenst gesehen.«

 

Er lachte nervös.

 

»Ich habe den ganzen Tag über Gespenster verfolgt. Kommen Sie, Diana, wir wollen wenigstens ein Spiel machen.«

 

Er wollte sie ablenken und hoffte, Barbara hätte Gelegenheit vorbeizuhuschen, wenn Diana beim Spiel der Tür den Rücken zukehrte.

 

»Nein, ich habe wirklich keine Lust, Billard zu spielen«, beharrte sie. »Ich wollte eigentlich auf mein Zimmer gehen und etwas Aspirin holen. Molly Banton hat furchtbare Kopfschmerzen, und ich habe es ihr versprochen.«

 

»Ach, die junge Dame kann ein wenig warten«, sagte er, aber Diana war schon auf der Treppe nach oben. Gleich darauf hörte er, daß sie einen Schrei ausstieß.

 

»Jack! Jack!«

 

»Was ist denn?« rief er heiser.

 

»Kommen Sie schnell herauf!«

 

Er stürzte nach oben und trat in das luxuriös ausgestattete Schlafzimmer. Diana stand vor ihrem Toilettentisch.

 

»Schauen Sie her!« rief sie atemlos. »Jemand hat den Safe geöffnet. Nun ist mir auch noch die andere Brillantnadel gestohlen worden!«

 

Er war so bestürzt, daß er keinen klaren Gedanken fassen konnte.

 

»Was, die andere Brillantnadel ist Ihnen gestohlen worden?« fragte er, und während der ganzen Zeit überlegte er, wo sich Barbara versteckt haben mochte. Sie mußte an der Treppe gelauscht haben, als Diana ins Billardzimmer kam. Dann hatte sie sicher die Gelegenheit benützt, als er die Tür für einen Augenblick schloß, um hinunterzueilen. Er atmete erleichtert auf, als ihm dies klar wurde. Nun war ihm alles gleich. Er hätte auch sofort den ganzen Raum durchsucht, wenn Diana es von ihm verlangt hätte.

 

»Haben Sie gesehen, daß jemand die Treppe hinauf« ging?« fragte sie argwöhnisch.

 

»Nein, ich habe niemand gesehen.«

 

»Jack, sagen Sie auch die Wahrheit? War Barbara hier oben?« Sie sah ihn vorwurfsvoll an.

 

»Nein, ich schwöre es Ihnen, daß sie nicht oben war.«

 

»Warum waren Sie im Billardzimmer? Sie spielen doch sonst nie Billard, Jack. – Wo ist Barbara?«

 

»Im Ballsaal. Das habe ich Ihnen doch schon gesagt.«

 

»Gut. Dann wollen wir sehen, ob wir sie dort finden«, entgegnete sie entschlossen.

 

Zusammen gingen sie die Treppe hinunter, und als ihnen der Butler begegnete, fragte sie ihn sofort nach Miss May.

 

»Miss May ist schon nach Hause gegangen. Ich sah, daß sie vor etwa vier Minuten das Haus verließ. Sie kam in die Garderobe, um ihren Mantel zu holen.«

 

»Ach so«, sagte Diana langsam. Dann wandte sie sich an Jack. »Bitte suchen Sie sofort Barbara auf. Aber vermeiden Sie einen Skandal!«

 

Kurz darauf stand Jack auf der Straße und ließ sich von einem Taxi zu Barbaras Wohnung fahren.

 

Wieder einmal klingelte er an ihrer Wohnungstür. Lange Zeit kam niemand, aber schließlich hörte er Schritte. Barbara öffnete die Tür, doch sie zog unwillig die Brauen zusammen, als sie Jack erblickte.

 

»Ich kann Sie jetzt nicht brauchen, Jack. Gehen Sie bitte wieder.«

 

»Ich muß Sie etwas fragen, Barbara.«

 

»Ach, gehen Sie doch bitte!« rief sie verzweifelt.

 

»Nein, ich denke nicht daran«, erklärte er hartnäckig. »Ich muß wissen, was hier gespielt wird.« Er schob sie beiseite, trat in den Flur und ging geradewegs ins Wohnzimmer. Bestürzt blieb er stehen, als er einen Blick in den Raum warf. An dem großen Tisch in der Mitte unter der Lampe saßen drei Männer. Der eine war der Herr, den er in der Bird-in-Bush Road gesehen hatte, der zweite Mr. Smith, der Geschäftsführer von Streetley, der dritte ein hagerer, kleiner Inder mit einem weißen Turban.

 

Der Inder hielt die gestohlene Brillantnadel in der Hand und bog gerade die Goldfassung des mittleren großen Brillanten zurück, so daß sich der Stein lockerte.

 

Kapitel 16

 

16

 

»Was hat das zu bedeuten?« fragte Jack heiser.

 

Der große Mann schaute erschrocken auf.

 

»Rühren Sie sich nicht von der Stelle – und nehmen Sie die Hände hoch!« befahl er nach einer Sekunde des Zögerns.

 

Plötzlich hielt er eine Pistole in der Hand und richtete sie auf den Inspektor.

 

Jack kam der Aufforderung nach.

 

»Smith, legen Sie ihm Handfesseln an.«

 

Bevor Jack wußte, wie ihm geschah, waren seine Hände gefesselt.

 

»Setzen Sie sich dort auf den Stuhl, und verhalten Sie sich ruhig. – Und glauben Sie mir, daß mir dieser Zirkus peinlicher ist als Ihnen, Mr. Danton«, fügte der Mann aus dem Haus des Inders noch hinzu.

 

Barbara war nicht ins Zimmer gekommen. Jack glaubte zu hören, daß sie im Flur leise schluchzte.

 

Nachdem die drei ihn gefesselt hatten, kümmerten sie sich nicht weiter um ihn.

 

»Sind Sie Ihrer Sache sicher?« fragte Smith.

 

»Es kann kein Irrtum mehr bestehen«, antwortete der kleine Inder und betrachtete fasziniert den großen Diamanten, den er in der Hand hielt. Sein Feuer strahlte bis zu Jack. Der große Mann sah auf die Uhr.

 

»Es ist ein Uhr, Jim. Bitte rufen Sie sofort im Flughafen an, daß man eine Maschine für uns bereitstellt. Um halb fünf werden wir abfliegen. – Wann sind wir dann in Kalkutta?«

 

»Übermorgen – wenn alles klappt.«

 

Jack hörte erstaunt zu.

 

»Es geht hart auf hart«, meinte der große Mann skeptisch. »Also, Mr. Shing, sehen Sie zu, daß Sie die Brillantnadel wieder in Ordnung bringen, damit wir fertig werden.«

 

Smith zog ein langes Etui aus der Tasche und öffnete es. Jack sah, daß es eine Anzahl von losen Brillanten enthielt.

 

»Hier ist ein Stein, der passen könnte. Er ist nur ein wenig größer als der andere. Können Sie den in die Fassung einsetzen?«

 

Er reichte dem Inder den Brillanten, der ihn mit einer Pinzette packte und an der Stelle des vorigen einpaßte. Schweigend beobachteten die anderen ihn bei seiner Arbeit. Der Inder war sehr geschickt und hatte schon nach wenigen Griffen die Brillantnadel repariert. Er gab sie dem großen Mann, der sie kurz betrachtete und dann Smith weiterreichte.

 

»Bringen Sie das noch heute zu Miss Wold. Sie können ihr ja sagen, daß wir den Dieb gefaßt hätten«, fügte er lächelnd hinzu.

 

»Es tut mir sehr leid, daß ich Sie so behandeln mußte«, wandte er sich dann an Jack. Er stand auf, trat an dessen Stuhl und begann, die Handschellen aufzuschließen. »Ich hoffe, es wird Ihnen eine kleine Beruhigung sein zu hören, daß ich der indischen Kriminalpolizei angehöre.«

 

»Jetzt habe ich es aber satt! Zu allem Überfluß auch noch faustdicke Lügen!« rief Jack wütend.

 

»Mr. Danton, glauben Sie mir, die letzten Monate waren die aufregendsten meines Lebens. Lassen Sie sich von Miss May erzählen, wie alles zusammenhängt. Ich muß jetzt gehen.«

 

»Dann hat sie also doch die Brillantnadeln entwendet?« fragte Jack entsetzt.

 

»Ja, das hat sie getan. Sie ist die gerissenste und erfolgreichste Diebin von ganz London – und auch die schönste.« Lächelnd ging er aus dem Zimmer.

 

Kapitel 1

 

1

 

›Fragen Sie nur Ihre Frau, wo sie am Sonnabend, dem 23. war! Jeder nahm an, daß sie aufs Land gefahren sei, aber ich kann Ihnen verraten, daß sie allein mit einem jungen Gardeoffizier in dessen Wohnung zu Abend speiste.

 

Mit besten Empfehlungen Ein aufrichtiger Freund‹

 

Lord Widdicombe legte den Brief auf den Tisch und lächelte verächtlich. Im ersten Augenblick wollte er das Schreiben mit diesen niederträchtigen Beschuldigungen zerreißen und ins Feuer werfen, aber dann überlegte er es sich anders und klingelte seinem Kammerdiener.

 

»Frank, sagen Sie bitte meiner Frau, sie möchte so liebenswürdig sein, einen Moment zu mir zu kommen.«

 

Ein paar Minuten später trat Lady Widdicombe ins Zimmer. Sein Gesicht hellte sich auf, als er ihr entgegenging. Sie mochte wohl zwanzig Jahre jünger sein als ihr Mann, aber trotzdem führten die beiden eine harmonische Ehe.

 

»Liebling«, sagte der Graf und zwinkerte ihr verschmitzt zu, »jemand hat den Versuch gemacht, unser Glück zu stören.« Er reichte ihr den Brief und beobachtete schmunzelnd, wie sie vor Ärger rot wurde, während sie das Schreiben las.

 

»Was für eine Gemeinheit«, sagte sie zornig. »Am dreiundzwanzigsten! Natürlich habe ich an dem Abend mit Ronnie gegessen!«

 

»Der Mann hat also recht, siehst du! Ronnie ist ein junger Gardeoffizier – und außerdem mein Stiefsohn«, erwiderte Lord Widdicombe und lachte vergnügt. Dann trat er zu ihr und fuhr ihr zärtlich übers Haar.

 

»Du bist wirklich eine böse Frau, und ich bin dir nun auf die Schliche gekommen«, scherzte er. »Aber, zum Kuckuck, wer mag diesen verleumderischen Brief geschrieben haben?«

 

Sie schüttelte den Kopf.

 

»Ach, es ist abscheulich – entsetzlich!« entgegnete sie heftig. »Natürlich kann so etwas bei uns kein Unheil anrichten; aber welchen Schaden kann es stiften, wenn solch ein Brief in die Hände von Ehegatten kommt, die bereits auf einander eifersüchtig sind! – Übrigens ist der Einbrecher wieder an der Arbeit gewesen, Willie: Mrs. Crewe-Sanders ist eine wertvolle Brillantnadel gestohlen worden.«

 

Der Lord sah seine Frau erstaunt an und zog die Augenbrauen hoch.

 

»Wieder eine Nadel? Wie merkwürdig! Schon die vierte in diesem Monat! Der Mann ist konsequent! Aber verglichen mit diesem ›aufrichtigen Freund‹ ist er noch ein anständiger Kerl. Sag nur Diana nichts von dem Diebstahl, sie macht sich sonst nur unnötige Sorgen.«

 

Lady Widdicombe starrte durch die hohen Glastüren in den Park hinaus, auf den immer neue Regenschauer niedergingen. Aber ihr Mann sah, daß ihre Gedanken nicht mit der trostlosen Landschaft beschäftigt waren.

 

»Ich möchte nur wissen, warum Diana eigentlich Barbara May so wenig leiden kann?« fragte sie nachdenklich.

 

Er grinste.

 

»Es ist so erfreulich, daß sie wenigstens einmal bei einer Ansicht bleibt, daß man ihr in diesem Fall sogar verzeiht, wenn sie Barbara nicht mag. Aber, wie gesagt, erzähle ihr nichts von dem Brief – ich werde ihn heute noch Scotland Yard schicken. Und da wir gerade bei der Polizei sind, möchte ich dir noch sagen, daß ich Jack Danton eingeladen habe, während der Kricketwoche unser Gast zu sein. – Sonderbar, daß ein solcher Mann bei der Polizei ist.«

 

Aber Lady Widdicombe dachte bereits an andere Dinge, als sie die Bibliothek verließ. Sie ging in eines der kleinen Wohnzimmer und traf dort Diana Wold, die in einem Sessel am Fenster saß und in den Rosengarten schaute. Im Regen sah auch er traurig aus, obwohl es sonst dort so schön war. Diana trug ein duftiges weißes Kleid, und auf ihren Knien lag ein offener Gedichtband.

 

Sie schaute auf, als ihre Kusine ins Zimmer trat, und legte das Buch beiseite.

 

Diana war schön, aber sie besaß die zerbrechliche Schönheit einer feinen Porzellanfigur, und in ihrem Lächeln lag eine leise Melancholie.

 

Sie erhob sich und ging Lady Widdicombe entgegen. Fast schien es, als fürchte sie sich ein wenig vor ihrer Kusine, die so selbstbewußt und formvollendet auftrat.

 

»Was hast du eigentlich an Barbara auszusetzen?« fragte Elsie Widdicombe unvermittelt.

 

Diana lachte. In solchen Augenblicken sah sie bezaubernd aus.

 

»Das ist aber eine sonderbare Frage, Elsie. Habe ich denn überhaupt etwas an Barbara auszusetzen? – Vielleicht … Nein, ich kann nicht viel mit ihr anfangen – das ist alles. Ich gebe zu, daß sie ein entzückendes Mädchen ist, aber wir verstehen uns nun einmal nicht. Sie haßt Gedichte – und ich schwärme dafür; sie begeistert sich für Jagd und Golf – und ich fahre gern Auto und spiele Tennis. Ich bin meiner Veranlagung nach zurückhaltend und nicht sehr aktiv, während sie vor Energie nicht weiß, was sie alles unternehmen soll. – Aber warum fragst du eigentlich danach? Hat Willie Barbaras Vorzüge wieder einmal aufgezählt? Er kann sie ja recht gut leiden.«

 

Lady Widdicombe setzte sich auf die große, breite Couch. »Ich dachte nur im Augenblick daran. Du hast heute morgen doch auch einen Brief von Mrs. Crewe-Sanders erhalten, wie ich gesehen habe. Sie hat mir ebenfalls geschrieben. Hat sie dir mitgeteilt …«

 

Diana nickte lächelnd und warf ihrer Kusine einen vielsagenden Blick zu. »Jetzt weiß ich auch, warum du Barbara erwähntest – sie war bei den Crewe-Sanders‘ eingeladen.«

 

Lady Widdicombe versuchte zu widersprechen, aber ihr Protest war nur schwach.

 

»Barbara war dort zu Besuch«, fuhr Diana fort. »Sie war auch bei den Colebrooks eingeladen, als Mrs. Carter ihre Brillantnadel verlor. Ebenso war sie bei der Gesellschaft, die die Fairholms gaben. Die Dame des Hauses vermißt seitdem ihre Brillantbrosche.«

 

»Aber Diana!«

 

»Ach ja, ich weiß! Aber an den Tatsachen läßt sich doch nichts ändern.« Das Lächeln verschwand aus Miss Wolds Zügen, während sie langsam weitersprach und jedes Wort betonte. »Und sind nicht auch alle diese entsetzlichen anonymen Briefe des ›aufrichtigen Freundes‹ immer nur an Leute gerichtet, die Barbara May persönlich kennt?«

 

Lady Widdicombe erhob sich und rief empört aus: »Diana, ich hätte niemals geglaubt, daß du so gehässig sein könntest! Ich fürchte, du weißt nicht, was du sagst. Eben hast du die Vermutung ausgesprochen, daß Barbara nicht nur eine Diebin ist, sondern auch …«

 

»Ich weiß wohl, daß es eine schwere Anschuldigung ist.« Diana nickte. »Aber wir müssen doch den Tatsachen ins Auge sehen.«

 

Lady Elsie sah ihre Kusine vorwurfsvoll an.

 

»Was redest du von Tatsachen! Das ist doch geradezu abscheulich! Wie kannst du Barbara so verdächtigen … Sie ist doch noch fast ein Kind. Aber jetzt kann ich mir gut vorstellen, wie du sie haßt.«

 

Diana schüttelte den blonden Kopf und sah Elsie belustigt an.

 

»Das stimmt nicht. Aber ich kann doch mein logisches Denken nicht ausschalten. Ich bin eben zu diesem Ergebnis gekommen.«

 

Doch dann warf sie den Kopf zurück, als ob sie die häßlichen Gedanken abschütteln wollte, legte den Arm um ihre Kusine und gab ihr einen Kuß.

 

»Darling, nimm es nicht so tragisch! Es war wirklich nicht böse gemeint – was kann ich dafür, daß Barbara mir so schrecklich auf die Nerven fällt.«

 

Lady Widdicombe ließ sich jedoch nicht so leicht beruhigen. Dianas Worte hatten sie tief getroffen – weil ihr schon derselbe Verdacht gekommen war.