455. Des eisernen Landgrafen Begängnis

455. Des eisernen Landgrafen Begängnis

Landgraf Ludwig der Eiserne fühlte sein Ende nahen und lag krank auf der Neuenburg, um die er einst den lebendigen Mauerring gestellt, da gebot er und ordnete an, daß alle die Ritter und Vasallen, die ihm widerspenstig gewesen, soviel ihrer noch am Leben, herbei sollten, und sollten ihn, wann er gestorben, auf ihren Achseln ehrbarlich tragen von Freiburg bis Reinhardsbrunn, so lieb ihnen ihr Leben wäre. Und das mußten sie ihm an die Hand geloben, und tätens auch, ob gern oder ungern, denn sie fürchteten ihn mehr als den Teufel und gedachten auch, er möchte sie etwa aber versuchen und prüfen, sich lebendig in den Sarg legen und tragen lassen, und so sie’s nicht täten, würde er herausfahren und über sie kommen mit seinem Zorn und seiner Strafe. Und da der Landgraf nun gestorben war, hielten sie getreulich das Gelübde und trugen ihn in Furcht und Zittern den langen, weiten Weg, über zehn Meilen, wechselten oft ab, und wo sie ruhten, setzten sie den Sarg in die Kirche und ließen vor des Landgrafen Seele beten, denn sie waren der Meinung, dieselbe bedürfe der Fürbitten sehr. Herrlich war des Landgrafen Begängnis zu Reinhardsbrunn im Kloster, viele deutsche Fürsten waren gekommen, diesem beizuwohnen. Der Erzbischof Wigmann aus Magdeburg hielt ihm das Seelenamt. Ludwig ward begraben in der Klosterkirche neben dem Altar des heiligen Kreuzes, und über sein Grab ward sein Bild gestellt, im vollen Harnisch, wie man gewohnt war, ihn im Leben zu sehen.

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456. Wie Reinhardsbrunn geschirmt ward

456. Wie Reinhardsbrunn geschirmt ward

Der eiserne Landgraf hinterließ einen ältesten Sohn, wieder Ludwig geheißen, außer diesem noch drei Söhne, Hermann, Friedrich, Heinrich, und eine Tochter Jutta. Ludwigs, des jungen Landgrafen, Gemüt war wieder mild und gütig, wie das seines Vaters zuvor auch gewesen war, ehe es der Menschen Schlechtigkeit und Gewalttaten kennenlernte, desgleichen fromm und freigebig gegen die Klöster. Er wohnte zumeist auf Wartburg und zog hernach mit Kaiser Friedrich in das Land Apulia. In dieser Zeit begann ein Herr von Salza aus dem Altenberge, der im Klostergebiet von Reinhardsbrunn lag, eine Burgfriede und Kemnate aufzubauen. Da nun der Landgraf wieder heimkam, klagte ihm solches der Abt von Reinhardsbrunn an einem Sonnabend. Da sandte der Landgraf Boten an die nächsten Vasallen und Dienstmannen, und am Sonntage früh war er schon mit Rittern und Reisigen in dem Kloster, hörten dort eine Messe. Dann gebot der Landgraf dem Abt, nicht eher das Hochamt zu beginnen, bis er mit den Seinigen zurück sei. Dann durchritt er mit seinem Haufen, der mit Sturmgerät wohl versehen war, die schweigenden Forste still hinauf zum Altenberge, darauf die neue Burg stand und der Herr von Salza ruhig saß. Bevor er nur an Arges dachte, war seine Burg berannt und eingenommen; er selbst wurde mit den Seinen als Gefangener nach Reinhardsbrunn geführt, wo nun das Hochamt begann, und mußte vor dem Kruzifix hergehen und Urfehde schwören auf ewige Zeiten. Am nächsten Tag ward die Burg bis auf den Grund zerstört und abgebrochen, und Holz und Steine wurden dem Kloster zuteil. Dort hatten die Mönche noch eine Klage. Sie hatten ein Fuder Wein in Würzburg gekauft, allwo der beste wuchs, aber im Herausführen nach dem Thüringer Walde hatte ein fränkischer Ritter, der nicht weit von der Straße saß, Wein und Wagen und die sechs Pferde an sich genommen, dieweil ihn auch durstete. Als das dem Landgrafen geklagt ward, ließ er dem Ritter um die Rückgabe schreiben, das däuchte dem spöttlich, was kümmerte ihn der Thüringer Landgraf und seine durstigen Mönche! Aber eines schönen Morgens wehten die thüringischen Fähnlein um die fränkische Ritterburg und war diese umstellt, daß weder Mann noch Maus herein oder hinaus konnte, und der Landgraf war selber da und schwur, der Ritter solle ob zu großen Durststillens im Wein der Reinhardsbrunner nun verhungern. Da mußte der Ritter gute Worte geben und sich und seine arme Seele lösen, und der Landgraf ließ ihm kund tun, was er zu tun habe. Im Büßerhemde, wie Kaiser Heinrich IV. zu Canossa, einen Strick um den Hals, ein blankes Schwert gegen seine Kehle haltend mußte der Ritter vor den Landgrafen treten und um Gnade und Leben flehen. Den Wagen mußte er herausgeben und die Pferde und den Wein, mußt‘ es auch alles selbst nach Reinhardsbrunn fahren und geleiten lassen, dann durfte er sein Leben und seine Burg behalten und zusehen, wie er auf andere Weise wieder zu Wein gelangte.

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457. Von dem Hörseelenberge

457. Von dem Hörseelenberge

Mitten im Thüringerlande, zwischen Gotha und Eisenach, liegt ein hoher, schroffer, kahler Berg, von weitem recht anzusehen wie ein Sarg; dicht an seinem Fuße hin zieht die Eisenbahn, die schneidet durch ein Dorf des Namens Sättelstedt. Dieser Berg ward der Hörseelenberg geheißen schon in grauen Zeiten, darum, weil man in und aus ihm manch seltsamlich und grauenhaft Getön vernommen, absonderlich bei einer Felskluft hoch oben unterm steinigen Gipfelhorn nach Eisenach hinwärts, und das war das Geschrei der Seelen, das man allda hörte, neben dem Geräusch unterirdischer fallender Wasser und dem Geheul der Windsbraut, darum nannte man den Berg auch auf Latein Mons horrisonus. Von ihm hat auch das Talflüßchen, die Hörsel, seinen Namen, und er wird bis heute Hörselberg, das ist das alte Hörseelenberg, genannt. Viele wunderbarliche Sagen gehen bis auf den heutigen Tag von diesem Berge, der auch eine Wetterscheide ist; oft umwebern ihn meteorische Flammen, und die Blitze spielen um seinen kahlen Scheitel. Einst erhoben sich am hellen Tage bei Eisenach drei große Feuer, brannten eine Zeitlang in den Lüften, taten sich dann zusammen und wieder voneinander und fuhren endlich alle drei in den Hörseelenberg hinein.

Ein König in England hatte ein holdseliges Frauenbild aus geringem Stande zu sich erhoben, Reinssweig oder Rinswiga genannt, war aber bald hernach verstorben, und Reinssweig betrauerte ihren Herrn und Gemahl tief und sehr und ließ viel für ihn beten, damit seine Seele vom Fegefeuer erlöst werde. Da hatte sie zu einer Nacht ein Gesicht, und sie hörte ihres Gemahles Stimme und sah seine Gestalt und erfuhr von ihm, er leide Pein im fernen Thüringerlande in eines Berges Schoß mit andern armen Seelen, und ihre Fürbitten und Gebete überm Meere drüben frommten ihm nicht. Da erhob sich die Königin mit all ihren Schätzen, ihren Jungfrauen und ihrer Dienerschaft und fuhr über Meer nach Deutschland herüber, und der Schatten zeigte ihr die Straßen an, und sie kam an des Berges Fuß, wo er sanft nach Gotha zu sich abdacht, dort baute sie ein Kirchlein und ein klösterliches Haus, und da sie selbst zum öftern die Stimmen der gequälten Seelen zu vernehmen glaubte, so nannte sie den Ort Satans Stätte, daraus ist hernachmals Sättelstätt geworden, als sich Leute anbauten und den Ort bewohnten. Diese fromme Königin erbaute in jener Gegend der Kapellen noch mehrere und diente nebst ihren Frauen Gott im eifrigen Gebet, bis sie ihres Gemahles Seele aus dem Fegefeuersitz im Hörseelenberge erlöste. Als sie dann gestorben war, sind ihre Jungfrauen nach Eisenach gezogen, allwo Ludwig des Milden Tochter, Jungfrau Adelheid, das Nikolaikloster begründet hatte, und haben in diesem Kloster als Benediktinerinnen ihr Leben beschlossen.

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458. Des eisernen Landgrafen Seele

458. Des eisernen Landgrafen Seele

Ludwig der Milde, des eisernen Sohn, hätte gern gewußt, wie es um seines Vaters Seele beschaffen sei, denn er mußte hören, daß man seinen Vater nicht segne, obschon er dem Volke gegen den Druck seiner Edeln geholfen, denn dem Volke macht es auch der Beste nie zu Dank, nicht einmal der liebe Gott. Solches vernahm ein Ritter am Hofe, der hatte einen Bruder, und selber war ein Pfaffe zu Eisenach und in der schwarzen Kunst wohl erfahren. Da mußte der Pfaffe den Teufel beschwören und befragen, wo des Landgrafen Seele sei. – Da sagte der Teufel, wenn er mit ihm fahren wolle, solle er die Seele sehen, und verhieß, daß das ohne Schaden geschehen solle. – Das war der Pfaff zufrieden, und der Teufel setzte ihn auf seine Schultern und fuhr mit ihm stracklich in den Hörseelenberg hinein in gar kurzer Zeit, denn er hatte nicht weit zu fahren und fuhr viel schneller wie ein Dampfwagen. Da sah der Pfaff mit Grausen mancherlei Qual und Pein, und ein anderer Teufel hob von einer Grube einen ehernen Deckel und blies mit einer ehernen Posaune in die Grube, daß es also schallte, daß der ganze Berg und die Welt davon erzitterte. Darauf gingen Feuerfunken und Schwefelbrodem aus der Grube, dann kam die Gestalt des Landgrafen herauf, ganz hager und traurig, nur ein Schemen, und klagte sich an, er habe den geistlichen Stiftern zu wehe getan, sein Sohn solle doch ihnen das entzogene Gut, das er, der eiserne Landgraf, treuen Dienern zugewendet, den Stiftern zurückgeben, so werde er ihn aus der Pein erlösen. – Da sprach der Pfaffe: Wenn ich solche Mär ansage, werden sie sprechen, ich habe sie selbst erdichtet, und werden mich fragen: Gibt denn der Pfaff ein Opfer wieder? – Da sprach die arme Seele: Ich will dir ein Zeichen sagen, das geheim ist, da werden sie glauben. – Und sagte ihm also ein genaues Wahrzeichen, das niemand wußte, dann ward der Landgraf wieder zur Grube gesenkt, darüber wurde es dem Pfaffen grün und gelb vor den Augen, und gelb blieb er auch, nachdem er zurückgeführt worden war vom Teufel und alles, was er gesehen, und auch das Wahrzeichen treulich berichtete; aber die, welche die Güter inne hatten, glaubten dennoch nicht und behielten selbige inne und sagten, es möge wohl alles nicht wahr und nur ein angestelltes Pfaffenstücklein sein. – Der Pfaff aber wollte nichts mehr von Zauberei wissen, er gab Pfründe und Lehen auf und wurde ein Mönch im Kloster Volkenrode.

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45. Die Juden in Worms

45. Die Juden in Worms

Mitten im Wein- und Wonnegau am gesegneten Rheinstrom, im Mark der Pfalz, erbauten Völker der Frühzeit das uralte Worms; dort haben schon Juden gewohnt nahe sechshundert Jahre vor Christi unsers Herrn Geburt. Die waren in Verbindung geblieben mit dem Lande ihrer Väter, mit Palästina, als aber den Priestern zu Jerusalem einfiel, ihnen zu befehlen, sie sollten hinwegziehen aus dem allzufernen Lande, damit die Männer nach Jehovas Gebot die drei hohen Feste zu Jerusalem mitfeiern könnten, und wenn sie nicht kämen, würde die Strafe ihres Gottes sie treffen – da schrieben die Juden zu Worms an den hohen Rat zu Jerusalem zurück: Ihr wohnet im gelobten Lande; ihr habt einen Tempel, und wir haben einen Tempel; ihr habt eine Gottesstadt, und wir haben eine. – Und der Totenhof dieser Juden hieß der Heilige Sand, der war hoch mit Sand bestreut, welcher aus Jerusalem gen Worms geschafft worden war, so viel vermochte ihr Reichtum. Als die Juden zu Jerusalem den Weltheiland kreuzigen wollten, hatte die Judengemeinde zu Worms nicht dazu gewilligt, vielmehr in einem ernsten Schreiben davon abgemahnt, das hat ihr hernachmals gute Frucht getragen, denn die Kaiser haben sie mit großen Freiheiten begabt, und es ist das Sprüchwort im Reich ergangen: Wormser Juden, fromme Juden. Sie hatten einen Vorsteher aus ihrer Mitte, der hieß der Judenbischof. Er war der erste der drei obersten Rabbiner, die es in Deutschland gab, zu Worms, zu Prag und zu Frankfurt am Main.

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459. Von Frau Venus und dem wilden Heer

459. Von Frau Venus und dem wilden Heer

Zu denselben Zeiten war es offenbar und landkundig, daß im Hörseelenberg auch ein heidnisch Frauenbild verwünscht worden, die erschien den Leuten voller Huld und lockte sie in den Berg mit buhlerischem Liebeszauber, darum ward sie Hulda geheißen, und war solch Götterweib kein anderes als Frau Venus, die Göttin aller Liebe, in den Berg gebannt zu scheinbarer Freude und doch zu ewiger Pein, denn sie, die Schönste, warmer weicher Lust gewohnt, mußte als Schreckgespenst und Schauerholle in den kältesten Winternächten mit all ihrer Buhl- und Genossenschaft in greulicher Larvengestalt über Berge und Wälder hinjagen, mit Halloh und Hussa und dem ganzen Lärm und Geschrei und Gejohle des wütenden Heeres. Da sahe man Geköpfte, die ihre Köpfe unterm Arm trugen, daherfahren, andere wälzten sich, auf Räder geflochten, um, wie Ixion in der heidnischen Mythe, manche hatten das Angesicht im Nacken, andere hatten es auf der Brust, manche hatten Schlangenschwänze und Eidechskrallen; manche tanzten und hüpften auf einem Bein daher, andere schlugen Räder wie die Betteljungen, und allerlei Wild und Hatzhunde jagten mit. Vor dem Heere her schritt ein Greis am weißen Stabe, der hieß die Leute aus dem Wege gehen, daß sie nicht Schaden litten, den nannte man den treuen Eckart, und brachte das Sprüchwort von ihm auf: Du bist der treue Eckart, du warnest jedermann. Manche nennen auch die Frau Hulda oder Frau Venus Herodias, des Herodes Tochter, die Johannis des Täufers Haupt forderte und zu ewiger Wanderung verflucht ward gleich dem laufenden Juden. Wann es schneit, sagen die Kinder in Thüringen: Frau Holle schüttelt ihr Federbett aus; verlarvte Gespenster heißen nach ihr Hullenpöpel. Gleich der wilden Jägerin Bertha oder Berchta belohnt sie fleißige Mägde und bestraft die Faulen, zerzaust und verwirrt auch letzteren den Rocken. Vom treuen Eckart ging der Glaube, daß, wenn das wilde oder wütende Heer nicht ziehe, so sitze er außen an der Höhle und warne jedermann, hineinzugehen, als ein Engel in Menschengestalt von Gott an diesen Ort geordnet.

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451. Wie die Wartburg erbauet ward

451. Wie die Wartburg erbauet ward

Über Eisenach, wo der alten Sage nach in grauen Zeiten ein König des Namens Günther soll gesessen haben, dessen Tochter Chrimhilde Etzel, der Hunnenkönig, freite und stattliche Hochzeit allda hielt, hob ragend über alle Nachbarberge ein felsreicher Gipfel sein vom Fuße der Menschen selten betretenes Haupt. Wohl umgürtete auch bereits eine Burgenkette das Thüringerland, denn es standen schon die alten Dispargen der Frankenkönige auf götterheiligen Höhen, Kyffhausen, Disburg, Merwigsburg, Scheidungen und andere, und es schirmten die Trutzfesten Heldburg, Koburg, Sorbenburg, Rudolfsburg, Eckartsburg, Freiburg, Giebichenstein, Sachsenburg, gleich den Geschlechterwiegen Greiffenstein (Blankenburg), Schwarzburg, Käfernburg, Gleichen, Blankenburg am Harz, Anhalt, Mansfeld, Stolberg, Frankenstein, Frankenberg, Henneberg u.a. neben so manchem Dynasten- und Herrensitz. Einen solchen hatten jenseit des Waldes die Herren von Frankenstein über Eisenach, das war der Mittelstein, ihr Stammschloß aber lag überm Walde drüben im Werratale. Da nun Graf Ludwig, Ludwig des Bärtigen Sohn und später zubenamt der Springer, von seiner Schauenburg durch das Tal ritt, in dem er hernachmals das Kloster Reinhardsbrunn gründete (nach einem Töpfer also genannt, dem an einer gewissen Stelle wunderbare Flämmchen erschienen), so kam er das Hörseltal entlang, der Spur eines Wildes folgend, und ward durch den Anblick eines Felskegels überrascht, der, sonnig angestrahlt, sich hoch über die Nebel hob, welche die Täler umschleierten. Der junge Graf hielt sein Roß an, sann und dachte und sprach es laut: Wart Berg, du sollt mir eine Burg werden! und erwartete sein Gefolge. Da vernahm er nun von ältern Jagdbegleitern, daß jener Berg nicht sein und seines Vaters Eigen sei, sondern der Frankensteiner, deren Gebiet an das seine grenze. Aber das irrte den Grafen Ludwig nicht, er ersann eine sonderliche List, ließ von seines Vaters nahem Gebiete heimlich und zur Nachtzeit Erde in Körben auf den Gipfel schaffen, sie droben handhoch übern Boden breiten, dann begann er Wälle aufzuwerfen und Grund graben zu lassen. Spät genug wurden die Herren von Frankenstein inne, daß hoch über ihrem Mittelstein jemand baue, ohne sie zu fragen. Ob sie das nun schon nicht leiden wollten, so ging es ihnen wie dem Knaben im Liede, der das Röslein brach, sie mußten es eben leiden, denn wenn sie den Grafen angriffen, so konnte er von seiner Höhe herab mitten in ihren Mittelstein ganze Fuder von Steinen schleudern lassen. Nun war gerade eine Zeit grausamer Hungers- und Durstnot, als dieses sich im Jahre 1067 zutrug; es gab so wenig Wein, daß er an manchen Orten sogar zum Abendmahl fehlte, welches sehr schrecklich war. Da nun die Armen allerorten hörten, daß der Thüringer Graf eine Feste baue, so strömten sie in Scharen herzu und schleppten Steine und halfen arbeiten, nur um das tägliche Brot zu gewinnen und nicht Hungers zu sterben, denn es hatte sich schon zu dieser Zeit zugetragen, daß ein Mann aus dem Grabfeld, der auch mit seiner Frau und einem zarten Kinde nach Thüringen herein zum Burgbau zog, sein Kind hatte schlachten und essen wollen, welches auch geschehen wäre, wenn ihm nicht Gott zwei Wölfe gezeigt, die soeben eine Hinde zerrissen hatten. Da scheuchte er die Wölfe von ihrer Beute und führte die Hinde zur Sättigung mit sich fort.

Mittlerweile klagten nun die Herren von Frankenstein bei Kaiser und Reich, daß der Graf auf das Ihre baue, und da auch zu jener Zeit die Prozesse schon die längliche Natur hatten, die ihnen zum großen Nutzen und Frommen der Gerichte und Anwälte bis auf unsere Tage wohlweislich erhalten worden ist, so wurde der Bau unterdessen fertig, und der Graf nannte die neue Burg Wartburg, von dem Wort, so er damals gesprochen, als er den Berg zum ersten erblickt hatte. Wie nun endlich ein Spruch geschehen sollte, da erbot sich der Graf zum Beweise gegen die Frankensteiner, daß er nicht auf das Ihre, sondern auf das Seine baue, erkor sich nach der Sitte zwölf Eideshelfer, das an Ort und Stelle eidlich zu erhärten, trat mit diesen Ehrenmännern hin, zogen ihre Schwerter, steckten sie in den aufgeschütteten Boden und schwuren mit ihm einhelliglich, daß sie auf des Grafen eigner Erde und auf seinem Boden ständen. Gegen die Eidesleistung solcher Schwurhelfer und Geschwornen galt nun keine Einrede, und die Herren von Frankenstein mußten vom Gericht von Rechts wegen das höchste Unrecht leiden. Also ist die Wartburg erbaut und benamt worden. In neuerer Zeit sind auf ihr tief unterm Schutt zwölf große eiserne Schwertklingen, stark gerostet, überkreuzt beisammenliegend, aufgefunden worden, und wird dafür gehalten, daß das die Schwerter der Eideshelfer Graf Ludwigs gewesen, die in den Boden eingesenkt worden, diesen noch mehr zu festen.

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452. Der Schmied in Ruhla

452. Der Schmied in Ruhla

Der Schmied in Ruhla und der Edelacker

Graf Ludwig, der die Wartburg bauete und auch Eisenach, die Stadt, mit Mauern umgab, der Reinhardsbrunn, das Kloster, gründete und in demselben als Mönch büßte, verließ einen Sohn, auch Ludwig geheißen, den machte der Kaiser zum Landgrafen in Thüringen, und derselbe war, da er noch ein Jüngling war, gar gütig und demütig gegen Edle und Unedle und von mildem Wesen; solches ward ihm von seinen Vasallen für Schwäche und Torheit ausgelegt. Er strafte nicht gern und hörte nicht gerne klagen, hatte zu allen Menschen das beste Vertrauen und wußte nicht, daß die Edeln seine Untertanen schmählich bedrückten, und daß Bürger und Bauern von ihnen viel böser Gewalt erleiden mußten, zumal die, so um ihn waren, zu verhindern wußten, daß Beschwerden an den Herrn gelangten.

Da geschah es, daß der junge Landgraf eines Abends auf einem Jagdritt sich im Forste verirrte und in die Nähe des Ortes Ruhla kam, da sah er das helle Feuer einer Waldschmiede durch die Nacht leuchten, ging darauf zu und bat den Schmied um Herberge. Der Schmied kannte ihn nicht und fragte ihn, wer er sei. – Ich bin Eures Herrn, des Landgrafen, Jäger einer. – Pfui des Landgrafen! rief der Schmied und spuckte aus und wischte sich. Wer ihn nennt, muß sein Maul wischen, daß er es nicht verunreint mit dem Namen. Pfui des übelbarmherzigen Kunzenherrn! Um deines Herrn willen herberge ich dich wahrhaftig nicht! Geh, ziehe nur dein Pferd in den Schoppen, dann komme her und sitze nieder, iß und trink, was da ist, und ruhe auf dem Heu, denn Bettgewand ist hie nicht vorhanden. – Der Landgraf, ganz verwundert ob dieser groben Rede, schwieg ganz still, ging und brachte sein Pferd unter Dach und kam wieder in die Schmiede. Der Schmied kümmerte sich so viel als gar nicht um ihn, schürte sein Feuer, zog den Blasebalg, hitzte und hetzte, glühte sein Eisen, löschte es, glühte wieder und hämmerte und rief bei den Schlägen fort und fort: Landgraf Ludwig, werde hart, werde hart! und schlug mit dem gewichtigen Hammer, daß die Funken stoben, und erzählte alles nach der Schnur her, worüber die Untertanen klagten, und schob alle Schuld und alles Unrecht, was im Lande geschah, auf den Landgrafen und verwünschte und verfluchte ihn in die unterste Hölle. Er sang das alte Lied von den dünkelvollen Räten, die alles besser wissen, sich und ihre Weisheit für unfehlbar halten, die Fürsten glaubend machen, es stehe alles gut im Lande, und hinterdrein ist’s Lug und Trug, und der Aufruhr schlägt in hellen Flammen aus, und alles Unglück, das daraus entsteht, wird hernach den Fürsten in die Schuhe geschoben. Dem Landgrafen erschrak das Herz im Leibe, als er aus dieser harten Stimme des Schmiedes des Volkes Stimmung gegen sich vernahm, und er nahm sich vor, dem Unfug, den seine Edeln verübten, ein Ende mit Schrecken zu machen. Ganz hart geschmiedet verließ er, nachdem er kein Auge zugetan, die Ruhlaer Waldschmiede, und sein milder Sinn war in einen eisernen verkehrt. Er nahm die Zügel der Regierung in die eigne Hand und zog sie so straff, daß die edeln Rosse schäumten und knirschten und sich bäumten, aber das Volk atmete freier auf, und ward ihm wohler, denn die ritterlichen Vasallen durften es nicht mehr placken und schinden.

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453. Der Edelacker

453. Der Edelacker

Da nun in Thüringen der mannliche Landgraf zu seinem Volke hielt und ihm die Last abnahm, mit der es die Räte und die Amtleute bedrückt, von denen der Schmied gesagt hatte, daß sie als schlaue Jäger die roten Füchse – nämlich die Goldstücke – in ihre Beutel trieben, wurden ihm seine Edeln allzumal mächtig gram, denn des Fürsten Tun dünkte sie eine unerhörte Neuerung, und lehnten sich auf gegen ihn und sprachen: Wir wollen das nicht fürder leiden. Als solches dem Landgrafen hinterbracht ward, daß sie als widerspenstige Vasallen einen Willen für sich apart haben wollten, tat er einen eisernen Panzerrock an und zog nach der Numburg über Freiburg mit Heeresmacht und nahm die, so sich zusammengerottet, gegen ihn zu streiten, alle gefangen und führte sie über der Burg auf ein flaches Feld und hielt ihnen dort eine Rede, in der er ihnen alles sagte, was er auf dem Herzen hatte, daß sie lehenseidbrüchige Rebellen seien, und daß ihre Köpfe eigentlich jetzt vor ihre Füße gehörten. Er wolle aber nicht, daß man ihm nachsage, er töte seine eigenen Diener; Schätzung ihnen auflegen wolle er auch nicht, er wolle sich nicht, wie sie getan, mit der Untertanen Gut bereichern, sie aber ungestraft entlassen, würde Ursachen, daß sie fürder seinen Zorn verlachten, so wolle er ein Beispiel geben zur Nachachtung für die künftigen Zeiten. Ließ sich Stränge und Halftern reichen, spannte die Edeln je vier und vier an einen Pflug, den die Diener halten mußten, und trieb sie, mit einer Geißel nebenhergehend wie ein Ackersmann, eine lange Furche zu ahren. Und als eine Furche gezogen war, da ließ er den Pflug wenden und vier andere einspannen und ahrete also einen ganzen Acker, wie mit Pferden, und ließ dann den Acker mit großen Steinen zeichnen, zum ewigen Gedächtnis, und machte ihn zu einem Asyle. Daraus nannte er den Acker den Edelacker, und derselbe heißt heute noch so und liegt nahebei hinter der alten Numburg auf freier Höhe. Die so schwer gedemütigten Vasallen aber mußten ihm aufs neue schwören und hulden, sie mußten, oder der Zorn ihres Herrn kam über sie wie ein Ungewitter.

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442. Der kleine Schneider

442. Der kleine Schneider

Zu Duderstadt in der goldnen Mark lebte ein Gewandschneiderlein, das war nicht höher als viertehalb Fuß, hatte aber eine große dicke Frau, und die wollte einstmals in die Wochen kommen. Da nun die Kindermuhme kam, so sprach sie leise mit der Frau und drehte sich dabei immer vorsichtig nach dem kleinen Manne um, der dort saß und eine Schneidersrechnung schrieb, und den sie nicht kannte. Endlich aber fand sie es doch ganz und gar unpassend, daß selber Kleine Ohrenzeuge ihrer Verhandlungen mit der Wöchnerin sei, und wendete sich zu ihm und sagte: Lütje Jonge, ga dog an beten met dinen Schrybebouke weg, oder spele buten; ek hevve met diner Moime tau spräken, un dat schikt sek nich vor lütje Krabben, tau horken. Auf diese Rede ward dem Schneiderlein heiß und kalt, es begann zu greinen und sagte: Ick ben ja der Egtemann sülvest! – Da erschrak die langfingerige Frau und bat tusendig umme Unveröbelunge.

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