462. Der Krieg auf Wartburg

462. Der Krieg auf Wartburg

Bei Landgraf Hermann und seiner Gemahlin Sophia waren auf Schloß Wartburg im Jahre 1206 eine Zahl meisterlicher Minnesinger, die hießen Walther von der Vogelweide, Reinhart von Zwetzen, auch Reimar Zweter genannt, Wolfram von Eschenbach, Heinrich von Ofterdingen, Meister Biterolf und Heinrich von Rispach, der tugendhafte Schreiber genannt, der war des Landgrafen Kanzellar und auch ein Ritter. Diese Sechse hielten ein Wettsingen miteinander, darin sie das Lob guter Fürsten priesen und vornehmlich das des gastlichen Landgrafen Hermann von Thüringen, der Grafen Poppo und Hermann des Weisen von Henneberg, auch des Markgrafen Otto von Brandenburg, zubenamt mit dem Pfeile, der selbst ein Minnesinger war. Besonders waren es die Henneberger, von denen Wolfram von Eschenbach und Heinrich von Rispach den Ritterschlag und Rosse und Gewande empfangen hatten, welche der genannte Heinrich, Biterolf und Wolfram von Eschenbach priesen, ebenso pries Heinrich von Rispach den Thüringer Landesherrn, aber Heinrich von Oferdingen, ein Osterreicher, obschon ihn alte Bücher einen Bürger von Eisenach nennen, und, wie viele glauben, der Dichter des hochwerten Nibelungenliedes, pries Leopold, Herzog von Osterreich, und sang, daß dieser vor allen Fürsten strahle gleich der Sonne vor allen Gestirnen. Da wurde der Sängerkampf also ernst und heftig, daß die Sänger beschlossen, es solle der Unterliegende durch die Hand des Henkers sterben. Alle waren gegen Heinrich von Ofterdingen erbittert und hätten ihn gern vom Thüringer Hofe weggehabt. Da nun alle gegen ihn, den einen, sangen, so unterlag er, und nur die gütige Landgräfin, zu der der Verfolgte sich flüchtete, schirmte ihn, indem sie ihren Mantel über ihn breitete, als er Rettung flehend zu ihren Füßen sank. Heinrich von Ofterdingen erbat sich ein Jahr Frist, er wolle von dannen reisen und einen größern Meister holen, der solle urteln und richten. Damit meinte er den berühmten Meister Klinsor vom Ungarland, der ein Minnesinger und ein Zauberer zugleich war. Ofterdingen zog nun von Wartburg fort, gen Österreich zu seinem gefeierten Herzog und von diesem nach Siebenbürgen zu Klinsor, der ihm seine Begleitung nach Thüringen zusagte, ihn bei sich behielt und sich und ihm mit Dichten, Singen und allerlei Kurzweil die Zeit vertrieb, so daß unvermerkt das Jahr verstrich und Ofterdingen endlich bange ward, er werde zur bestimmten Frist Wartburg nicht wieder erreichen. Da er nun gegen Klinsor ängstlich klagte, beruhigte ihn der und sagte: Wir haben starke Pferde und einen leichten Wagen, wir kommen wohl noch zeitig hin, und gab ihm einen Schlummertrunk, als es Abend geworden, legte ihn auf eine lederne Decke und sich dazu und ließ sich und ihn von den Geistern, denen er gebot, sänftiglich in der Nacht gen Eisenach in das beste Wirtshaus tragen, das war dazumal nicht der halbe Mond oder Rautenkranz, sondern der Hellegrafenhof am St. Georgentor linker Hand, wenn man zur Stadt ausging. Wie der Türmer den Tag anblies, erwachte Ofterdingen und hörte den Klang der Glocke, die zur Frühmesse läutete, von St. Georgen, und rief: Wie ist mir doch? Dieselbe Glocke hört‘ ich schon, ich meint‘, ich war‘ zu Eisenach, ist das nicht Sankt Jürgentor? – Klinsor lächelte und sprach: Siehe zu, ob du nicht träumest.

– Da nun die Kunde hinauf auf Wartburg kam, daß die zwei Meistersänger gekommen seien, gingen die Sänger alle herab, sie zu begrüßen und hinaufzugeleiten, und wurden gar herrlich von dem Fürstenpaare und seinem Hofstaate empfangen.

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463. Meister Klinsor weissagt aus den Sternen

463. Meister Klinsor weissagt aus den Sternen

Der Meister Klinsor behielt seine Herberge in Eisenach der Stadt bei und saß eines Abends im Garten seines Wirts, des Hellegrafen, wohin die Hofdiener und viele ehrbare Bürger aus Eisenach kamen, um ihren Abendtrunk zu trinken, die ehrten den Sänger, der ihnen viel aus fernen Landen sagte und stetig neue Zeitung wußte, die er aus den Sternen las, und waren gern um ihn. So baten sie ihn wieder, daß er ihnen neue Zeitung möge ansagen, und er ging eine Strecke von ihnen und blickte hinauf in den Sternenhimmel, kam wieder und sprach: Heint nacht wird meinem Herrn, dem Könige Andreas von Ungarn, eine Tochter geboren, die wird dem Sohn eures Herrn, des Landgrafen, verlobt werden und also heilig, daß ihr Lob sich über alle Lande der Christenheit verbreiten wird. Als diese Kunde nun auch vor den Landgrafen und seine Gemahlin kam, waren sie erfreut und entboten Klinsor aufs neue zu sich auf die Wartburg und an ihren Tisch, und nach dem Essen gingen die Fürsten und Herren und die Sänger in den hohen Palas, auf daß nun Klinsor ihr Streiten schlichte, was ihm auch gelang, nur mit Wolfram von Eschenbach hatte der Meister vom Ungarland selbst schwer zu kämpfen, so daß er einen Geist statt seiner herbeirief, der hieß Nasias, allein auch gegen den behauptete sich Wolfram in hohen Dingen so kundig und erfahren, daß jener weichen mußte und Klinsor erstaunte und vermeinte, Wolfram möge wohl kein ritterlicher Sänger, sondern heimlich ein Priester sein, und da Wolfram seine Wohnung auch in der Stadt hatte, beim Bürger Titzel Gottschalk am Brotmarkt, so sandte Klinsor ihm zur Nachtzeit noch einmal seinen Geist Nasias; der sah sehr grausenhaft aus und legte Wolfram so hohe Fragen vor, daß er sie nicht zu lösen vermochte, sondern verstummte. Da lachte der Geist laut auf, wie ein Teufel lacht, und schrieb mit seinem Finger in einen Stein an der Wand, als ob er ein weiches Wachs gewesen wäre:

Du bist ein laie snipen snâp –

und entwich. Die Schrift blieb in der Wand stehen und war zur Nacht feurig, da ward ein Gelaufe vom Volk in das Haus, und wollte jeder den Stein sehen, solches ärgerte den Hausbesitzer Gottschalk, und ließ den Stein aus der Wand brechen und in die Hörsel werfen.

Da nun Klinsor die Sänger versöhnt hatte, beurlaubte er sich von dem Landgrafen und ward mit Geschenken entlassen, darauf ist er wieder in seiner Lederdecke von dannen gefahren und hin, woher er gekommen war.

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464. Die kleine Braut aus Ungarn

464. Die kleine Braut aus Ungarn

Als der Sohn des Landgrafen Hermann von Thüringen und der Landgräfin Sophia, Ludwig geheißen, eilf Jahre und die Tochter des Königs Andreas von Ungarn vier Jahre alt war, sandte das Landgrafenpaar Boten nach Ungarn, für den Sohn um die Hand der kleinen Königstochter zu werben; die Gesandten waren sonderlich vornehme Männer, Frauen und Jungfrauen, nebst Ingesinde, und fuhren in vier Wagen und hatten vierzig Pferde. Dort an des Ungarköniges Hofe wurden sie stattlich empfangen, und als sie ihre Werbung getan, befragte sich der König bei Meister Klinsor über den Landgrafenhof, den jungen Fürstensohn und das Land. Da wußte Klinsor, der alles aus eigner Anschau kannte, viel Rühmens zu machen vom Hofe und von Land und Leuten, also daß er den König und die Königin von Ungarn zur Zusage bewegte zu dem, was er ja ohnehin in den Sternen als einen überirdischen Beschluß gelesen. Aber die Gesandtschaft hatte noch einen absonderlich wichtigen Auftrag, zeugend vom hochverständigen Sinne ihres Herrn und ihrer Herrin, denn sie wünschten, daß ihres Sohnes junge Braut und zukünftige Gemahlin nicht ungarisch, sondern deutsch erzogen werde, ganz entgegen der Unsitte späterer deutscher Fürsten, die ihre Kinder französisch erziehen ließen, damit sie ja recht frühzeitig das welsche Gebaren hoch-, ihr Vaterland aber mißachten lernten. Und das ungarische Königspaar sah ein, daß dieser Wunsch ein gerechter, denn wer über ein Land herrschen will, muß es kennen und lieben; die Liebe zu einer neuen Heimat kann aber nicht plötzlich und über Nacht kommen, sondern sie muß allmählich empfunden und anerzogen werden. Und die Eltern sagten auch dieses zu und gaben ihr liebes Elisabethlein dahin, ausgestattet mit einem überreichen Brautschatz und geleitet von einem zahlreichen und glänzenden Gefolge. Mit vier Wagen waren die thüringischen Gesandten gekommen, und mit dreizehn fuhren sie wieder ein in das Thüringerland, nebst vielen herrlichen Pferden mit prächtigen Geschirren zum Geschenk für den Landgrafen, denn es war eine alte Fürsten- und Völkersitte, sich gegenseitig viele Pferde zu schenken; schon der Thüringerkönig Irminfried oder Herminfried hatte an den Ostgotenkönig bei der Werbung um Amalberga eine stattliche Anzahl schneeweißer preiswerter Rosse zum Geschenk geschickt. Heutzutage denkt einer Wunders, was er Großes tut, wenn er einem ein Pferd oder zwei schenkt. Da nun die kleine Braut mit ihrem zahlreichen Gefolge und Geleite gen Eisenach gekommen war, war auf der Wartburg große Freude, und zogen der Landgraf und seine Gemahlin und der Hof herab in die Stadt, und begrüßten das Königskind, und holten es festlich ein, und führten es wie in einem Triumphzuge hinauf auf das Wartburgschloß.

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465. Die heilige Elisabeth

465. Die heilige Elisabeth

Die heilige Elisabeth

Das Königskind Elisabeth erwuchs auf der Wartburg in Holdseligkeit, Frömmigkeit und Tugend zu aller Freude, ebenso ihr Verlobter, der junge Landgrafensohn, der früh den Vater verlor und die Herrschaft antrat und seine Verlobte immer lieber gewann, obgleich Elisabeth ob ihres frommen Sinnes und ihrer Demut manchen Spott und Hohn erleiden mußte, davon gar viel erzählt wird. Und als der Landgraf seine Hochzeitfeier mit ihr beging, da haben zwei edle thüringische Ritter, Graf Reinhard von Mühlberg und Ritter Walter von Vargula, die sie einst aus dem Ungarlande nach Thüringen abgeholt, sie im schönsten Schmuck in Sankt Georgs Kirche geführt. Als junge Frau lag die fromme Landgräfin vielleicht mehr, als ihrem Gemahl lieb sein konnte, frommen Werken und Bußübungen ob. Sie zerschnitt oder verschenkte ihre schönsten Kleider und ging einfach und ärmlich einher, aber wenn es nötig war, umkleidete sie der Himmel selbst mit reichen und königlichen Gewanden.

Elisabeth, die fromme Landgräfin, war eine wahrhafte Mutter der Armen und gegen diese schier allzu freigebig, so daß man sich sogar darüber aufhielt und es tadelte. Es war aber auch eine schwere Zeit gekommen, Mangel und Not, und die Scharen der Armen wuchsen zusehends. Da geschah es, daß Elisabeth, wie sie täglich tat, einmal wieder Speisen und Gaben hinabtrug an den Ort, wo die Lahmen und Blinden und Notleidenden sich einfanden, und ihr der Landgraf begegnete, der diesmal kein freundliches Gesicht zeigte, denn es war ihm eben frisch hinterbracht worden, wie sie alles verschenke. Da rief sie der Landgraf nicht gerade zärtlich an: Was trägst du da?, und sie sah in seinen Mienen den Wetterbaum seines Unwillens aufsteigen und erbebte und sprach mit unsicherer Stimme: Herr, Rosen! – Zeige her! rief der Landgraf und hob die Hülle von dem Korbe – siehe, da war der Korb eitel voll Rosen und andere blühende Blumen. Da stand der Landgraf beschämt vor ihr da, und wenn der und jener Diener wieder sich unterfing, gegen die milde Freigebigkeit der Herrin zu reden, so sprach der Landgraf: Lasset sie immer gewähren, da sie an Almosengeben ihre Freude hat, wenn sie uns nur Wartburg und Eisenach und die Niuwenburg nicht verschenkt. – In der Hand dieser edlen und frommen Spenderin mehrten sich auch alle Gaben gar wundersam, auch wurden ihre Gewande nicht naß und nutzten sich nicht ab. Da Agnes, Landgraf Ludwigs Schwester, mit einem Herzog von Österreich Hochzeit hielt, war die Wartburg voll Gäste, und alles prunkte im Festgewande, Elisabeth aber hatte am Tore einen armen preßhaften Greis, der halbnackt einherging, gefunden, der bat gar zu sehr um ein Gewand, seine Blöße zu bedecken, und da gab ihm die Landgräfin ihren Mantel; da man nun zu Tische gehen sollte, fragte der Landgraf seine Gemahlin, wo sie denn ihren Mantel habe, denn es war die Frauensitte so, im leichten Mantel bei Festen einherzugehen, und da antwortete sie kleinlaut und erschrocken: In meiner Kammer; so sendete der Landgraf eine Jungfrau hin, und siehe, da hing ein Mantel, schöner wie der einer Königin, himmelblau mit goldnen Bildchen überstreut, der Arme aber war verschwunden. Ein anderes Mal hatte Elisabeth gar einen Aussatzkranken mit herauf in das Haus genommen und ihn in ihr Bette legen lassen – das erregte ihr einen großen Sturm bei ihrer Frau Schwiegermutter, war auch just nicht appetitlich – allein als man nun kam, den Aussätzigen hinauszuwerfen, lag ein wunderbar schönes Kruzifix in dem Ehebette, überaus kunstvoll, aber leider nicht mehr auf der Wartburg vorhanden. Darüber vergoß der fromme Gemahl dieser überfrommen Frau heiße Tränen. Der Kranke aber war Eli geheißen, den Elisabeth so treulich wartete, er genas und wohnte hernach noch lange nahe der Wartburg in einer ganz engen Felskluft und lebte von Wurzeln und Kräutern, der bekannten Waldbruderkost. Die Höhle ist noch vorhanden.

Eines Tages ward die milde Herrin, da sie in Eisenach die Kirche besuchte, vor dem Portale von einer ganzen Schar Bettler umringt; sie gab, solange sie noch zu geben hatte, bis ihre Münze zu Ende war, aber da war immer noch ein armer Alter, einer von den beharrlichen, der bestand auf einer Gabe und drängte sich ihr bis in die Kirche nach; das erbarmte die freigebige Herrin, und sie zog einen ihrer reich mit Silber gestickten Handschuhe aus und reichte diesen dem unabweisbaren beharrlichen Greis. Das sahe ein Ritter, der auch zur Kirche einging, trat schnell herzu und gab dem Alten für den Handschuh vieles Geld. Hernach hat er selben Handschuh an seinen Helm als ein Kleinod befestigt und ist in das Heilige Land gezogen, hat auch allda ritterlich gekämpft, und der Handschuh hat ihn geschützt wie ein Talisman, daß er glücklich wieder die Heimat sah. Und dann hat er Elisabeths Handschuh in sein Wappen gesetzt.

Ganze Bücher sind vollgeschrieben von den Taten und Wundern der frommen Landgräfin Elisabeth, die ein gottgefälliges heiliges Leben führte, darum sie auch nach ihrem Tode unter die Zahl der Heiligen aufgenommen worden ist.

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466. Der heilige Ludwig

466. Der heilige Ludwig

Landgraf Ludwig, der in noch sehr jungen Jahren schon die Regierung des Thüringerlandes überkommen, war fromm und gütig, und sein Gemüt stimmte in den meisten Dingen mit dem himmlischen Gemüt seiner Elisabeth überein. Er war ihr auch getreu wie Gold und ließ sich nicht zur Untreue verlocken, obschon in diesem Punkt jene Zeit nicht anders und nicht besser war als die heutige. Wie mild und gut und frommgesinnt dieser Fürst auch war, so war er doch auch ein strenger Schirmherr des Rechts und gar oft der geringen Leute Schutz und Trost. Einem armen Kleinkrämer, der ihn um freies Geleite bat, sicherte er dieses nebst der Zollfreiheit in allen thüringischen Städten und Ortschaften zu und fragte ihn freundlich, wie hoch er seinen Kram schätze. – Da sagte der Krämer: Zehn Schillinge, Herr, ist alles wert. – So! sagte der Landgraf, da wollen wir Kumpanei machen, du hast zehn Schillinge Waren, ich gebe zehn Schillinge bar dazu, nun warte deines Handels; hast du Gewinn, will ich ihn teilen, hast du Verlust, will ich dich schadlos halten. Der Begabte zog froh von bannen, sein Handel ging trefflich, er hatte guten Gewinn und führte redliche Rechnung. Er konnte immer mehr Einkäufe machen und endlich nicht alles selbst tragen, sondern schaffte einen Esel an, mit dem zog er bis gen Venedig und kaufte und tauschte dort kostbare Waren, als Glas, Metall, Elfenbein und Korallen, ein, auch Ringe, Perlen und Edelgesteine, und zog wieder heim und kramte von Stadt zu Stadt in Deutschland; da kam er auch nach Würzburg, der Bischofresidenz, und da sahen etliche fränkische Ritter von der Sorte, die gern ohne Geld kauft, den reichen Kram. Die nahmen auf dem Weiterwege den Esel samt den Waren und achteten des Geleitsbriefes vom Thüringer Landgrafen so wenig wie dessen Hofdienertracht, die der Kaufmann trug. Da nun der Krämer traurig heimkehrte und seinem Herrn die Unbill klagte, sprach dieser: Warte nur, mein Geselle, ich schaffe schon unsern Esel und unsere Waren wieder bei!, entbot alsbald seine Mannen zu einer Heerfahrt, kündigte von Stund an dem Bischof Fehde an und fiel in das Frankenland ein wie ein Hagelwetter, wobei freilich gar viele Unschuldige bitter leiden mußten, und ließ dem Bischof sagen, er suche seinen Esel. Da haben die fränkischen Ritter den Esel und die Waren herausgeben müssen, wie jener ihr Vorgänger an Ludwigs Ohm den Wein, und mußten den Landgrafen und des Bischofs Untertanen schadlos halten.

Ein anderes Mal fuhr der Landgraf auch in Kaufmannsangelegenheiten, da man Kaufleute gefangen hielt, die seine Untertanen waren, mit Heeresmacht bis nach Polen und eroberte und zerstörte dort das Schloß Lebus. Da Landgraf Ludwigs Schwester Agnes sich dem Herzog von Österreich vermählte, brachte dieser seinem Schwager als eine Seltenheit einen großen lebendigen Löwen mit, der ward im Wartburghofe verwahrt gehalten, wie jetzt der Fuchs. Da geschah es eines frühen Morgens, daß der Landgraf leicht bekleidet und ganz ohne Waffen hinab in den Hof ging, etwa zu beten oder der Morgenfrische zu genießen. Da stand plötzlich der schreckliche Löwe frei und ledig vor ihm da, denn aus Versehen des Wärters war die Käfigtüre nicht gut verschlossen, und der Löwe hatte sich herausbegeben, auch etwas frischer Luft zu genießen. Da nun die beiden Herren, der König der Tiere und der Landgraf von Thüringen, einander gegenüberstanden und sich ansahen, zeigte der Landgraf seinen rechten Mannesmut, er schrie den Löwen hart an, indem er ihm dräuend die geballte Faust entgegenwarf, darob erschrak der Löwe und legte sich auf die Erde und schlug mit dem Schweife. Das Geschrei des Herrn aber ward gehört und ward Lärm, und der Wärter, den der Löwe kannte, brachte das gewaltige Tier wieder in seinen Käfig zurück. Das geschah ein Jahr vorher, ehe Landgraf Ludwig zu großem Schmerz und Unglück der heiligen Elisabeth die Meerfahrt nach dem gelobten Lande antrat, von der er nicht wiederkehrte.

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467. Sophias Handschuh

467. Sophias Handschuh

Als Landgraf Ludwig auf der Fahrt zum Heiligen Lande gestorben, die heilige Elisabeth mit ihren Kindern durch ihren Schwager Heinrich Raspe schmachvoll von der Wartburg vertrieben war, dem dafür auch kein Segen blühte, denn er blieb von drei Gemahlinnen erbenlos, und als auch er dahin war, da erhob sich um das Thüringer- und Hessenland ein großes Streiten. Die älteste Tochter der heiligen Elisabeth, Sophia, hatte sich einem Herzog von Brabant vermählt, hatte von diesem einen Sohn, war aber schon Witwe; die machte gerechten Anspruch für ihren jungen Sohn an ihr Muttererbe. Aber eine Schwester des heiligen Ludwig und Heinrich Raspes, Jutta, hatte zum Gemahl Heinrich den Erlauchten, Markgrafen von Meißen, der hatte bereits für sich und seine Erben Besitz vom Thüringerlande genommen. Sophia zog in das Hessenland und gewann sich mächtigen Anhang; zudem war die kaiserlose Zeit, in der es gar wild durcheinander ging, zumal in Thüringen. Da wurde zu Eisenach ein Tag der Vergleichung anberaumt, auf dem erschienen Heinrich und Sophia in Person und waren beiderseits zur Einigung dahin geneigt, daß der künftige Kaiser den Streit entscheiden solle, ob der Sohn der Tochter oder der Sohn der Schwester des Thüringer Landgrafen mehr Anrecht an das Erbe habe: da sprachen der Marschall Helwig von Schlotheim und einige andere thüringische Edle zu Markgraf Heinrich dem Erlauchten: Herr, verheißet nicht zuviel! Stündet Ihr mit einem Fuße im Himmel und mit dem andern auf der Wartburg, so müßtet Ihr den aus dem Himmel ziehen und auch zu dem auf der Wartburg setzen. Da zog sich Heinrich zurück, die Sache zu bedenken, und hinterdrein beschwur er auf eine Rippe der heiligen Elisabeth nebst zwanzig Eideshelfern sein Recht auf Thüringen. Da weinte die Herzogin von Brabant Tränen des Zorns, zog ihren Handschuh aus und schleuderte ihn hoch in die Luft empor und schrie: Nimm hin, du Feind aller Gerechtigkeit, dich, Teufel, meine ich, nimm diesen Handschuh, und die falschen Ratgeber alle dazu! Und der Handschuh fiel nicht wieder aus der Luft herunter, und von jenen Räten und Eideshelfern soll keiner eines guten Todes gestorben sein, darum, daß sie das heilige Gebein entweiht und einen solchen Eid geschworen hatten. Und nun entbrannte ein heilloser Krieg, der ganz Thüringen verdarb. Einmal wollte die Herzogin von Brabant wieder nach Eisenach hinein, das Tor ward ihr aber nicht aufgetan, da nahm sie eine Spaltaxt und hieb in das Georgentor ein paar solche Kimmen in das Eichenholz, daß man sie noch nach zweihundert Jahren sah. In diesem Kriege zerstörte Markgraf Heinrich den Mittelstein, die alte schöne Burg der Frankensteiner, und auch andere Burgen um die Wartburg her und ließ einen treuen rechtskundigen Rat, genannt Heinrich Velsbach, der ihm hartnäckig entgegen war, und den er in seine Gewalt bekam, mittelst eines großen Wurfgeschosses durch die Luft hinab nach Eisenach schleudern. Als dieser Mann von der Blide aufflog, schrie er noch vernehmlich, daß es alle hörten: Thüringen gehört doch dem Kinde von Brabant! Neun Jahre lang dauerte der Krieg, und endlich erfolgte dennoch, wozu man ohne Krieg sich hätte einigen können, die Teilung des Landes in Thüringen und Hessen, welches letztere Hermann, der Sohn Sophias, das Kind von Brabant, zugeteilt bekam, und wurde also der erste Landgraf von Hessen und aller Hessenfürsten erster Ahnherr. Heinrich der Erlauchte aber hatte mehrere Söhne, da behielt er für sich und seinen jüngern Sohn Dietrich die Markgrafschaft Meißen und gab seinem ältesten Sohn Albrecht die Landgrafschaft Thüringen.

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468. Der Wangenbiß

468. Der Wangenbiß

Albrecht, Heinrich des Erlauchten Sohn, nahm zur Gemahlin Margarethen, Kaiser Friedrichs II. Tochter. Da hallte nach langem lauten Lärm des Krieges die Wartburg von Freudenfesten wider. Es hatte aber die junge Landgräfin, die ihrem Gemahl mehrere Söhne schenkte, ihr Unglück selbst mit in das Haus gebracht in einem schönen Hoffräulein, das gefiel dem Mark- und Landgrafen nur allzuwohl und immer mehr, bis beide auf tückischen Verrat sannen, Margarethen aus dem Wege zu räumen. Der Knecht, welcher mit dem Wartburgesel täglich aus der Stadt mancherlei Bedarf heraufholte, ward heimlich gedungen, als ein Teufelsgespenst zur Nacht in das Gemach der Landgräfin zu treten und ihr das Genick zu brechen. Auch mußte er schwören, niemanden den Anschlag zu verraten. Aber diesem Knecht schlug das Gewissen, und traute sich nicht der ungeheuern ruchlosen Tat, eine unschuldige wehrlose Frau, die er nie anders als gütig gesehen, und die selbst ihn, den geringsten der Knechte auf dem Hofe, freundlich gegrüßt hatte, im Schlafe hinzumorden, zögerte daher und bedachte sich lange. Das merkte der Landgraf und fragte ihn eines Abends verblümt, aber streng: Hast du die Ernte geworben, die ich dir befohlen habe? – Des erschrak der Knecht und antwortete: Herr, ich will sie werben! – und dachte bei sich: Nun muß es geschehen – wie Gott will! – Und da es tiefe Nacht war, trat er in das Schlafgemach der Landgräfin, die ganz allein schlief, kniete an ihr Bette hin und rief: Gnädige Frau! Gnadet mir des Leibes! – Erschrocken fuhr Margaretha vom Schlummer auf und fragte: Wer ist da? Wer bist du? – Und da sagte der Knecht ihr alles an, daß sie auf das heftigste erschrak, doch sprach sie gefaßt: Rufe mir eilend den Haushofmeister, den Schenken Rudolf von Vargula! – Solches tat der Knecht, und Margaretha sprang vom Lager und kleidete sich eilend an. Und da der Schenk kam, fragte sie ihn heftig weinend um Rat. Den gab er ihr in Kürze. Sie solle an Gut und Geld einpacken, was tragbar sei. Dann wurden in aller Stille ihre Haushofmeisterin und eine ihrer Jungfrauen geweckt, die mußten eilend Bettgewand und Leinlaken in lange Streifen schneiden und aneinanderbinden, und Margarethe ging in Begleitung des Schenken auf das gemalte Haus bei dem Turme, wo ihre Söhne Friedrich und Diezmann schliefen, und fiel auf ihr Bette, und küßte sie unter heißen Tränen, und biß vor Liebe und grausamem Schmerz den ältesten, Friedrich, in die Wange, daß sie blutete, und fiel auf den zweiten, und wollte ihm auch also tun, doch der Schenk wehrte es ihr, und sie sprach unter strömenden Tränen: Ich will sie zeichnen, daß sie an dieses Scheiden gedenken, solange sie leben. – Nahm also den herzlichsten und schmerzlichsten Abschied von ihren Söhnen, davon Friedrich drei Jahre und Diezmann anderthalb Jahre alt war, und ward dann samt dem Knecht und den beiden Frauen von dem Gange am heutigen Ritterhause, das ist in der Vorderburg, wo des Kommandanten Wohnung ist, aus einem Fenster in dunkler Nacht die hohe steile Mauer hinabgelassen, und mußten den schroffen Felsenberg hinabklimmen und entwandern. Da gingen sie durch die Nacht und den grauenden Morgen südwestwärts durch die weiten Wälder, bis auf die Burg Krainberg bei Salzungen, die gehörte auch den Herren von Frankenstein, war aber jetzt halb dem Abte von Hersfeld, und dessen Burgmann nahm sie gastlich auf und ließ sie dann gen Fulda geleiten zu dem Abt; der empfing als der Kaiserin Erzkanzellar die Tochter seines Kaisers mit allen Ehren und geleitete sie gen Frankfurt in ein Frauenkloster, darin sie schon im nächsten Jahre vor Kummer und Herzeleid starb.

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46. Von den Dalbergen

46. Von den Dalbergen

Auch das Geschlecht der Dalberge, das dem Wormsgau entstammte, ist ein uraltes; es leitete die Wurzeln seiner mythischen Stammbäume tief hinab in die Zeitenfrühe, bis zur Wurzel Jesse. Ein Dalberg soll, nachdem Jerusalem durch Titus zerstört worden, mit der zweiundzwanzigsten Legion römischer Krieger nach Worms gekommen sein und dort den neuen Stamm begründet haben, auch Hauptmann der Stadt Worms geworden sein. Er brachte viele Juden als Sklaven mit und verkaufte ihrer dreißig um einen Silberling an die Stadt Worms. Im Mittelalter wurde den Dalbergen der Ehrentitel die Kämmerer von Worms, und sie wachten mit Ernst über ihres Geschlechts uralten Stamm. Einst wollte eine Dalbergin hinüber zum Stift auf Unser-Lieben-Frauen-Berge nahe bei Worms fahren, allwo der übervortreffliche Wein wächst, Liebfrauenmilch geheißen, der Kutscher aber wußte nicht, wohin sie fahren wollte, und fragte sie, da sprach sie ganz stolz: Zu meiner Muhme nach Liebfrauen – und meinte mit der Muhme die Jungfrau Maria. So sehr hob sich der Dalberge Geschlecht zur Blüte, daß zu Worms nach ihnen eine Gasse ausschließlich die Kämmerergasse hieß; auch standen unmittelbar unter diesen Kämmerern von Worms des Heiligen Reiches Kammerknechte, die Juden. Und wenn die deutschen Könige und Kaiser nach ihrer Krönung junge Edle durch den Ritterschlag erheben wollten, so mußte jedesmal vor allen andern der Herold ausrufen und fragen: Ist kein Dalberg da?

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469. Friedrich des Gebissenen Taufritt

469. Friedrich des Gebissenen Taufritt

Es ist gar nicht zu sagen, was für Kampf und Streit und Unglück sich im Thüringerland und um dasselbe erhob durch den Treuebruch Landgraf Albrecht des Entarteten, denn die Söhne Margarethens stritten, als sie zu ihren Jahren gekommen, gegen ihren Vater, und der Vater stritt gegen die Söhne. Landgraf Albrecht hatte seine Kebse gefreit und wollte gar das Land seinen rechten Söhnen abdringen und dem Apitz, seinem Bastard, zuwenden. Einmal hatte er sogar seinen ältesten Sohn als Gefangenen lange im Turm der Wartburg liegen, der ward aber heimlich befreit. Endlich verkaufte Albrecht ganz Thüringen für zwölftausend Mark Silber an Kaiser Adolf von Nassau, dem widersetzten sich die jungen Markgrafen samt der ganzen Ritterschaft, darüber erwuchsen neue schwere Kämpfe, und des Kaisers Volk hausete gar schlimm und übel in Thüringen, davon noch ein altes Lied geht, wie eine ganze Schar dieses Heeres, das in Rastenberg ein Kloster zerstört und die Nonnen geschändet, dafür von den Thüringern und Hessen kapaunt worden. Indessen starb Albrechts Kebse, Kunne von Eisenberg, und ihr Apitz folgte ihr noch im selben Jahre nach, da freite baldmöglichst seinen Söhnen zum Trotz Albrecht die reiche Witwe eines Grafen von Arnshauk, Adelheid, die nur eine einzige Tochter hatte, so Elisabeth hieß, diese blieb auf ihrer väterlichen Burg zurück, war vierzehn Jahre alt und ein gar tugendsames und holdseliges Jungfräulein. Die sahe Friedrich mit dem Wangenbiß und entbrannte in Minne gegen sie, und nach einer Zeit entführte er sie unversehens, brachte sie auf sein Schloß Gotha, den festen Grimmenstein, und schrieb an seine Stiefmutter und warb um Elisabeth, die ihm, da sie schon in seinen Händen war, nicht füglich versagt werden konnte, ward also seiner beiden Eltern Schwiegersohn. Das hinderte aber keineswegs, daß Streit und Krieg sich fortspannen, in welchem die Zwingburg Klemme, ein Bau Heinrichs des Erlauchten zu Eisenach, abgebrochen wurde und zwei schöne Türme der Frauenkirche ihrer Glocken beraubt und auch niedergerissen wurden. Bald darauf erhielt Landgraf Friedrich heimliche Sendung von der Wartburg, nahm nur fünfzehn tapfere Mannen mit sich, bargen sich in der Nähe der Wartburg in einer seitab des Tales gelegenen waldigen von Felsen umgebenen Schlucht, die heute noch das Landgrafenloch heißt, klimmten dann empor, kamen zur Burg an der hintern Seite, wo jetzt der Turm steht, und da waren schon Mannen, die ihnen die Mauern ersteigen halfen. Da fing Friedrich seinen Vater ohne Schwertschlag und entsandte ihn nach Erfurt. Die Landgräfin blieb aber bei ihrem Sohne auf der Wartburg, dahin dieser seine junge Gemahlin Elisabeth eilend kommen ließ. Aber mit der Wartburg hatte Friedrich noch nicht das Land, denn das gehörte doch noch dem Vater oder aber dem Kaiser, der es gekauft, und selbst die Bürger von Eisenach wollten nichts von dem jungen Landgrafen wissen, und da wurde die Wartburg enger umlagert und bedrängt als je, und rings um dieselbe wurden kleine Bergfrieden aufgeführt, Schanzen und Blockhäuser, und aller Zugang und alle Zufuhr ihr abgeschnitten, was das Schlimmste war, denn mit Stürmen war der Burg nichts anzuhaben, auch nicht viel mit Steinschleudern, da sie himmelhoch über alle den Lagern der Feinde sich erhob. In diesen Zeiten gebar Frau Elisabeth die Jüngere auf Wartburg ein Töchterlein, und da kein Pfaffe auf der Burg war, war guter Rat teuer, das Kind zu taufen, denn damals war nicht Sitte, vier oder sechs Wochen oder noch länger damit in Gottes Namen zu warten, auch beschäftigten sich nicht, wie in unsern Zeiten, Personen, die keinerlei priesterliche Weihen empfangen, mit dem Vollzug der heiligen Taufhandlung. Der Landgraf aber, schnellen Entschlusses und freudig zu jeder raschen Tat, hieß die Amme samt dem Kinde zu Roß steigen, erkor zwölf tapfre Kampfgesellen, ritt mit ihnen den Berg herab, um die Stadt herum, über den Gaulanger und Sengelbach, und erst da vernahmen die Wächter ihren Ritt und bliesen Lärm. Rasch ritten Friedrich und die Seinen nun den Talweg entlang, nach Tenneberg zu, doch hörten sie nach einer Weile, daß sie verfolgt wurden. Auf einmal ließ die Amme ihr Zelterlein ruhiger traben und die Ritter an sich vorbeireiten: das Kind schrie, der Landgraf blieb neben ihr halten und fragte: Was ist’s? Warum eilst du nicht? Was fehlt dem Kinde? Schweige es! – Herr, sprach die Amme, es will gestillet sein, es schweiget nicht, es sauge denn! – Da rief der Landgraf den Seinen zu: Haltet! Meine Tochter soll ob dieser Jagd nichts entbehren, und sollte es das Thüringerland kosten! – Und da scharten sich alle um die Amme her, in Willens, wenn die Feinde herankämen, das Kind und sie auf Leben und Tod zu verteidigen – aber die Feinde ließen ab von ihrer Verfolgung, obwohl Friedrich schier zwei Meilen weit immer hinter sich den Hufschlag ihrer Pferde vernommen hatte, und so kamen die Reiter mit Kind und Amme glücklich nach Schloß Tenneberg, wohin der Abt von Reinhardsbrunn, das nahe dabei gelegen, entboten wurde, der mußte die Tochter taufen und nach der Mutter Elisabeth nennen. Danach hat Friedrich sich Hülfe gewonnen, die Wartburg stattlich gespeist, die Belagerung tapfer abgewehrt und alle Grafen und Herren Thüringens auf seine Seite gebracht. Darob ergrimmte Kaiser Albrecht gar sehr und wollte das Thüringerland wiederum mit Heeresmacht überziehen und bezwingen, wie er zu gleicher Zeit die Schweiz bezwingen wollte. Da geschah es, daß all seinem Wollen ein Ziel gesetzt ward durch seines Neffen, Herzog Johanns von Schwaben, meuchelmörderische Hand, und gewann das Land hernach durch selben Landgrafen Friedrichen mit dem Wangenbiß, den man auch den Freudigen nennt, guten Frieden.

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457. Von dem Hörseelenberge

457. Von dem Hörseelenberge

Mitten im Thüringerlande, zwischen Gotha und Eisenach, liegt ein hoher, schroffer, kahler Berg, von weitem recht anzusehen wie ein Sarg; dicht an seinem Fuße hin zieht die Eisenbahn, die schneidet durch ein Dorf des Namens Sättelstedt. Dieser Berg ward der Hörseelenberg geheißen schon in grauen Zeiten, darum, weil man in und aus ihm manch seltsamlich und grauenhaft Getön vernommen, absonderlich bei einer Felskluft hoch oben unterm steinigen Gipfelhorn nach Eisenach hinwärts, und das war das Geschrei der Seelen, das man allda hörte, neben dem Geräusch unterirdischer fallender Wasser und dem Geheul der Windsbraut, darum nannte man den Berg auch auf Latein Mons horrisonus. Von ihm hat auch das Talflüßchen, die Hörsel, seinen Namen, und er wird bis heute Hörselberg, das ist das alte Hörseelenberg, genannt. Viele wunderbarliche Sagen gehen bis auf den heutigen Tag von diesem Berge, der auch eine Wetterscheide ist; oft umwebern ihn meteorische Flammen, und die Blitze spielen um seinen kahlen Scheitel. Einst erhoben sich am hellen Tage bei Eisenach drei große Feuer, brannten eine Zeitlang in den Lüften, taten sich dann zusammen und wieder voneinander und fuhren endlich alle drei in den Hörseelenberg hinein.

Ein König in England hatte ein holdseliges Frauenbild aus geringem Stande zu sich erhoben, Reinssweig oder Rinswiga genannt, war aber bald hernach verstorben, und Reinssweig betrauerte ihren Herrn und Gemahl tief und sehr und ließ viel für ihn beten, damit seine Seele vom Fegefeuer erlöst werde. Da hatte sie zu einer Nacht ein Gesicht, und sie hörte ihres Gemahles Stimme und sah seine Gestalt und erfuhr von ihm, er leide Pein im fernen Thüringerlande in eines Berges Schoß mit andern armen Seelen, und ihre Fürbitten und Gebete überm Meere drüben frommten ihm nicht. Da erhob sich die Königin mit all ihren Schätzen, ihren Jungfrauen und ihrer Dienerschaft und fuhr über Meer nach Deutschland herüber, und der Schatten zeigte ihr die Straßen an, und sie kam an des Berges Fuß, wo er sanft nach Gotha zu sich abdacht, dort baute sie ein Kirchlein und ein klösterliches Haus, und da sie selbst zum öftern die Stimmen der gequälten Seelen zu vernehmen glaubte, so nannte sie den Ort Satans Stätte, daraus ist hernachmals Sättelstätt geworden, als sich Leute anbauten und den Ort bewohnten. Diese fromme Königin erbaute in jener Gegend der Kapellen noch mehrere und diente nebst ihren Frauen Gott im eifrigen Gebet, bis sie ihres Gemahles Seele aus dem Fegefeuersitz im Hörseelenberge erlöste. Als sie dann gestorben war, sind ihre Jungfrauen nach Eisenach gezogen, allwo Ludwig des Milden Tochter, Jungfrau Adelheid, das Nikolaikloster begründet hatte, und haben in diesem Kloster als Benediktinerinnen ihr Leben beschlossen.

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