496. Zauberkünste in Heinrichs

496. Zauberkünste in Heinrichs

Unter Suhla liegt der Stadtflecken Heinrichs, über diesem Ort aber eine Steinburg mit verzauberten Schätzen, die nicht wohl zu heben sind. Ein Hirte pflückte droben eine weiße Lilie, und es ging ihm wie seinen Kameraden, daß er im Bergesschoß das Beste vergaß. Die zuschlagende Türe des Felsengewölbes schlug ihm die Ferse wund, daß er lange daran kurieren mußte.

Nach Heinrichs sind einmal drei Wildschützen gekommen, die waren ihrer Kunst so gewiß wie der Hänsel Winkelsee, der zu Frankfurt am Main den Neuner durch die Eschenheimer Torturmfahne schoß, und kehrten im Gasthaus zum goldnen Hirsch ein, schon des Namens wegen, um hinten im Hofe, wo der Keller, ein Glas gutes Bier zu trinken, welches allda zu haben. Da kam unter den Gästen, die da zechten, die Rede auf die Schießfertigkeit und wurde manch hübsches Jägerstücklein erzählt, denn dortherum wimmelt es von Jägern, und zumal von Schützen, und dazumal gab es auch noch etwas zu schießen, trotz der vielen heimlichen Schützen, wie diese drei welche waren, obschon jedermann es wußte, und auf Kugeln besprechen, stets und sicher treffen und dergleichen anziehende Gesprächsgegenstände, und da rühmte sich der und jener und ward gesagt, die Drei sollten doch auch ihre Kunst einmal sehen lassen, wenn sie Wildschützen sein wollten, obgleich sie keine sein wollten. Da brach einer ein Kleeblatt ab, und der zweite langte eine Leiter und legte sie an die Steinwand des Gebäudes, das den Hof des goldnen Hirsches hinten beim Keller abschließt, und der dritte ging aus dem Hause über die Straße bis an die gegenüberstehende Häuserreihe, behielt aber, da die Torfahrt offenstand und die Flur hoch gewölbt und auch nach dem Hofe offen war, das Kleeblatt im Auge und zählte neunzig Gänge. Darauf haben die Schützen nach dem Kleeblatt geschossen, jeder nur eine Kugel, und wie einer schoß, schwand ein Blatt des Kleeblattes, aber die drei Kugelspuren nebeneinander sind noch sichtbar bis auf diesen Tag. Dann sind die drei Wildschützen stillschweigend zum Ort hinausgegangen.

Einigen Bauern in Heinrichs war das Vieh bezaubert, daß sie keine Butter mehr gewinnen konnten, da gingen sie zu einer alten Hexe und fragten diese um Rat, was sie dagegen tun sollten. Da unterwies das Hexenweib die Bauern, sie sollten in aller Teufel Namen zu einem Töpfer gehen, dort in gleichem Namen einen Topf bestellen, den solle der Töpfer auch in aller Teufel Namen fertig machen, und dann sollten sie den Topf ebenso auf einem vierspännigen Wagen abholen und dafür zahlen, was gefordert werde, ohne zu handeln. In diesen Topf sollte dann alle Milch nach und nach ein- und auch wieder ausgegossen werden. Diesen ganzen Hexen- und Teufelsrat befolgten die Bauern zu Heinrichs, wo das Hexenwesen, wie im ganzen Henneberger Land, in so voller Blüte stand, daß eine Herzogin zu Sachsen, deren Gemahl ein Landesteil dieser gefürsteten Grafschaft bei einer Erbverteilung zufiel, erklärte, sie gehe nicht in den Bereich der schwarzen Henne, und auch wirklich nicht hineinkam, denn sie starb, bevor ihr Gemahl Besitz nahm. Es wurde aber, bevor der Topf noch gebraucht ward, durch das auffallende Abholen desselben beim Töpfer, wo fünfzehn Groschen für den Topf bezahlt wurden, auf vierspännigem Wagen die Sache ruchbar, kam vor das Konsistorium und wurde der Teufelei ein Ende mit Schrecken gemacht. Die Bäuerlein mußten im Armsünderhemd Kirchenbuße tun und mehr Strafgeld zahlen, als alle Butter eines ganzen Jahres in Heinrichs wert war, den Topf zerschlug der Scharfrichter auf dem Schindersrasen, und an demselben angenehmen Ort wurde die Hexe verbrannt. Ein Glück für die Bäuerlein, daß der Topf noch nicht gebraucht war, sie hätten sonst mitbrennen müssen ohne Gnade.

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497. Die Harchelsbeerhecke

497. Die Harchelsbeerhecke

Von Heinrichs im Talgrunde der Hasel abwärts wird ein Dorf erreicht, des Name ist Dillstedt, da ist ein Platz, den nennen die Leute nur die Malscht, das ist Malstätte, darüberhin gingen sonst immer die Brautleute, wenn sie mit ihren Gästen in das Wirtshaus zum Tanze zogen, wie die Suhlaer an ihrem roten Stein vorbei zum fröhlichen Mann. Am Wege stand eine Harchels- (Stachel)beerhecke, und da einstmals auch ein Brautpaar mit aufspielender Musik dort vorbeizog, da sang ein Vögelein mit lauter Stimme aus der Hecke:

Heut werrschtde nauf g’klunge
un übbers Jaar nauf g’sunge!

Und wie das Jahr herum war, da ging mit Trauerliedergesang ein Leichenzug über die Malscht, und das war das junge Paar, sie waren beiderseits an einer schwinden Krankheit gestorben; seitdem geht kein Brautzug mehr über die Malscht, und sollte einer, um in das Wirtshaus zu gelangen, den größten Umweg nehmen.

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498. Das verwünschte Dorf

498. Das verwünschte Dorf

In der Flurmarkung von Dillstedt fliegt eine Wüstung, die heißt Germelshausen, da hat ein Dorf gestanden, steht auch noch, aber keiner sieht es, auch ist nicht gut, es zu sehen. Vor hundert Jahren ohngefähr kam der Feldscherer von Dietzhausen, zwischen Dillstedt und Heinrichs, durch den einsamen Grund zwischen Nora und Marisfeld, den der Görzbach durchfließt, und so kam er in ein Dorf hinein und sah da die Leute in die Kirche gehen und wunderte sich der altvaterischen Tracht, und als er nach Nor kam, wo man sich neumodisch trägt, fragte er, was denn das für ein Dorf sei, es konnte ihm aber niemand Bescheid geben, und die Leute sagten, da, wo er es beschrieb, am Görzbach, liege kein Dorf.

Zu derselben Zeit, es war Michaelis und in Dillstedt Kirmse, ging der Schuhmacher von Wichtshausen, zwischen Dillstedt und Dietzhausen, ein einfacher und schlichter Mann, nach Marisfeld zu, der kam zum erstenmal in jene Gegend und gelangte nahe an ein Dorf, darin krähten die Hähne und bellten die Hunde, und vor ihm her nahebei ging eine Frau, die eilte nach dem Dorfe. Der Mann rief sie an, um sich nach dem Wege zu befragen, aber sie hörte ihn nicht und schritt nach dem Dorfe auf einem ganz verraseten Fußpfad, des Mannes Weg aber führte ihn seitwärts vorbei und an einem ganz übergraseten Teich vorüber, und er wunderte sich, daß die Leute diesen Teich so ganz vernachlässigten. Als er sein Geschäft zu Marisfeld vollbracht und wieder heimwärtsging, war der Teich und das Dorf verschwunden.

Ein Nachbar, dem der Schuhmacher das erzählte, sagte ihm, er solle froh sein, daß er der Frau nicht nachgefolgt sei, da wäre er wohl nicht wieder heimgekommen. Er habe das verwünschte Dorf Germelshausen gesehen, und es sei dortherum gar nicht geheuer.

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4. Die St. Galler Mönche erbeten Wein

4. Die St. Galler Mönche erbeten Wein

Die St. Galler Mönche erbeten Wein

In der stattlichen Abtei St. Gallen war große Sorge um den lieben Wein. Es war eben ein durstiges Jahr gewesen und lange Jahre nichts Erkleckliches nachgewachsen; nur noch zween Ohmfässer lagerten voll in dem großen Abteikeller, die reichten voraussichtlich nicht mehr weit, und dann wäre den frommen Vätern eine weinlose, schier schreckliche Zeit gekommen. Da wendete Gott das Herz eines frommen und heiligen Mannes, des Bischof Adalrich in der alten Stadt Augsburg, daß er den nicht weniger frommen Vätern zu St. Gallen ein ganzes Stückfaß voll Wein in ihre Abtei verehrte. Da kam aber die Nachricht nach St. Gallen, das Faß sei unterwegs im Rhein ertrunken, der Fuhrmann habe auf der steilen Brücke über den Fluß in der Nähe des Bodensees die Pferde allzuhart angetrieben, da sei die Achse gebrochen und das Faß hinab in den Strudel gestürzt. Das war ein Schrecken! Ohne Säumen berief der Abt den Konvent, und bald wallte eine lange Prozession mit Kreuz und Kirchenfahnen und Heiligenbildern von St. Gallen herab, sang und betete und kniete am Strudel, und die Küper des Klosters suchten mit Stricken das Faß zu fahen, das glücklicherweise noch unversehrt war und im Strudel tanzte. Wäre der Strudel nicht gewesen, so wäre das Stückfaß längst in den Bodensee geflossen, und ward allda ersichtlich, wozu manchmal ein Strudel gut ist. Nach mancher Mühe gelang es unter Gebet und Fürbitte der lieben Gottesheiligen, das Stückfaß an den Strand zu ziehen, und nun wurde es bekränzt und im Triumphe nach der Abtei geführt, allwo ein Dankfest mit einem Te Deum laudamus und vielen Trankopfern gefeiert ward.

Solches ist wahr und wahrhaftig geschehen, aber »das Märlein gar schnurrig« vom Abt von St. Gallen und dem Kaiser mit den drei Fragen hat sich mitnichten alldort begeben, sondern mit einem Abt von Kentelbury in Altengland, und ward nur durch Dichtermund auf deutschen Boden verpflanzt.

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490. Asolverod

490. Asolverod

Einige Stunden weit von Ohrdruf, eine halbe Stunde hinter Arnstadt, stand die Käfernburg, allda wohnte ein frommer Graf des Namens Sizzo, dem gehörte das Land bis zu den Waldstrecken um den Altenberg, der erbaute hinter der Sankt Johanniskirche auch ein Kirchlein, das ward dem heiligen Georg geweiht, und seine Stätte nennen die Waldleute noch bis heute Sinngörgen. Da kam Eberhard, Graf von der Mark und Herr zu Berg, zum Besuch auf die Käfernburg, dessen oben die Sage Nr. 107 gedenkt, und sprach gar viel über fromme Werke mit dem Grafen Sizzo, dessen Gemahlin Gisela und beider Söhnen Heinrich und Günther, denn er war begriffen auf einer Bußfahrt und hatte sich allen ritterlichen Prunkes und Wesens abgetan. Da wurden sie überein Rates, die Georgenkirche auf dem Altenberge in ein Tal zu verlegen und dabei ein Kloster zu begründen, und fanden gar ein schönes Tal, fast so schön wie das zu Reinhardsbrunn, gegen die Ebene nach Gotha und Erfurt zu offen und rings von Bergen und Waldungen traulich umfriedet, von einem muntern Bach durchrollt, wo sich für die frommen Väter die schönsten Fischteiche anlegen ließen. Ein Mann des Namens Asolv hatte dort bereits gerodet und urbar gemacht, nach diesem nannte man den neuen Anbau Asolverod. Da aber St. Georgenkirche herab ins Tal kam, die sich nicht so sträubte, den Altenberg zu verlassen, wie Sankt Johanniskirche, so gewann der Name Georgenthal die Oberhand. Nun wurde das Kloster mit Zisterzienserordensbrüdern besetzt, und Eberhard wurde sein erster Abt, bis diese Würde ihm zu hoch und zu anmaßlich vorkam und er sie niederlegte und fortging und ein Hirte wurde zu Kloster Morimont in der Champagne. Georgenthal aber wurde neben Reinhardsbrunn eins der berühmtesten Klöster Thüringens und ist jetzt, nachdem vom Kloster bis auf die Umfassungsmauer und den schönen Fischteich das meiste verschwunden, gar ein schöner, stattlicher Ort. Innerhalb des Umfanges der alten Klostermauer steht noch als Fruchthäuschen der Rest einer mutmaßlichen Kapelle, das zeigt eine kunstvoll gearbeitete gotische Rose als ehemaliges Fenster, und es geht die Rede, daß deren Kreisumfang genau übereinstimme mit dem Kreisumfang des Glockenrandes der großen Maria gloriosa im Dom zu Erfurt. Unter der Rose liegt ein großmächtiger Schatz vergraben, sub rosa – unter dem Rosensiegel des Geheimnisses! Die jetzige Kirche zu Georgenthal soll nur des ehemaligen Klosters Schafstall gewesen sein; die alte Kirche ist ganz hinweg, der Bauernkrieg verheerte und zertrümmerte das reiche Stift.

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491. Luthersbrunnen

491. Luthersbrunnen

Eine Stunde oberhalb Georgenthal in demselben Tale liegt der große und häuserreiche Flecken Tambach, in dessen Nähe gibt es auch der örtlichen Sagen gar viele. Da hat es kleine Schlösser gehabt fast auf allen Felsen umher, den Waldenfels, die Krahenburg, die Hohe Warte, den Falkenstein, von dem ein Ritter seine Gefangenen stürzte, die sich nicht lösen konnten, von deren verspritztem Blut wurden die weißen Blumen am Fels betaut und wurden rot, die heißen jetzt Blutnelken. Reicher Bergsegen war auch allda, es ist aber jetzt alles auflässig geworden, und allenden herrliche Quellen und Brunnen. Als Doktor Luther in Schmalkalden 1537 auf dem Fürstentage war, erkrankte er so heftig, ja tödlich, daß er darauf bestand, fort und zu den Seinen zu reisen, und gab ihm der Kurfürst von Sachsen seinen Wagen und seine Pferde und sein Geleite; fuhr die lange Höhe bis zum Rennstieg hinan, da man es droben auf der Fläche den Rosengarten nennt, und wieder zu Tale, empfand brennenden Durst und ließ halten an einem Quellbrunnen nahe am (alten) Weg, fühlte sich auf den Trunk merklich erleichtert, und im Gasthaus zu Tambach nahm er eine Kohle und schrieb damit an die Wand: Tambach est mea Pniel – den Namen der Stätte, wo Jakob mit Gott gerungen – ibi apparuit mihi dominus. M. L. Das hat lange in jenem Hause gestanden, und jener Brunnen, aus dem Lutherus Genesung trank, heißt heute noch der Luthersbrunnen.

So wasserreich wird der Schoß der Berge in jener Gegend geglaubt, daß im Volke die gemeine Rede geht, für den Sperrhügel werde in Erfurt alljährlich noch gebetet, daß er seinen Schoß nicht auftue, denn es sei eine alte Sage und Prophezeiung, daß dieses dereinst geschehen werde – wenn es aber geschehen werde, so würde die Wassermasse in den Wedelbach fallen, dann in die Apfelstedt, die mit der Ohre vereinigt als die Koller – weil selber Bergfluß bisweilen ohnehin gewaltig braust, kollert und toll tut – in die Gera fällt, und das ganze Gefilde von Erfurt weit und breit überschwemmen. Deshalb sei zu Erfurt eine ewige Messe gestiftet, daß fort und fort für den Sperrhügel gebetet werde, und sei dem Stift St. Petri alldort dafür ein Stück Waldung zu eigen gegeben. Über den ganzen langen Rücken des Sperrhügels zieht der alte Rennweg hin.

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486. Fische auf Bäumen

486. Fische auf Bäumen

Die freundliche Stadt Waltershausen am Fuße des Thüringer Waldes, nicht weit von Reinhardsbrunn, Schnepfental und dem Inselberge, führt in ihrem sehr alten Stadtwappen einen Karpfen auf drei Bäumen. Dort war vorzeiten oben vor dem Walde am Fuße des Strömelberges eine schöne Quelle, welche in die Stadt geleitet war. Eines Tages aber ergoß sie einen so furchtbar starken Wasserstrom, daß die Stadt und die ganze Gegend völlig überschwemmt wurde und alles zitterte und zagte, denn in vielen Häusern füllte das Wasser die untern Stockwerke, und da sie zum Teil keine obern hatten, war das gar schrecklich. Als das wilde Wasser sich in etwas verlaufen hatte, fand man Fische, Karpfen, Aale und Forellen, auf den Bäumen, und darum nahm zum ewigen Gedächtnis dieser Flut die Stadt den Karpfen auf Bäumen zum Wappen und Wahrzeichen an. Damit nun solche Wassersnot nicht wiederkehre, denn die Quelle quoll noch immer überstark, ließ der Stadtrat einen Klostermönch von Reinhardsbrunn herüberkommen, daß er die Quelle stopfe. Der ging hinauf, stopfte einen Samt- oder Kuttenärmel hinein und versprach sie, da hörte sie gar auf zu fließen; der Ort heißt noch bis heute der Samtärmel oder der Kuttenärmel. Da nun der Ärmel kein Tröpflein Wassers mehr ausfließen ließ, war guter Rat wieder teuer, und es hat hernach die Stadtgemeinde der Dorfschaft Wahlwinkel ihren Bach abgetauscht um ein Stück Tannenwald und ihn nach der Stadt geleitet. Selbiges war klug und weise, sonst gäbe es kein Wasser zu Waltershausen und könnte das dortige gute Bier nicht gebraut werden.

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487. Die weiße Frau auf Tenneberg

487. Die weiße Frau auf Tenneberg

Dicht über der Stadt Waltershausen liegt Schloß Tenneberg, dahin Landgraf Friedrich der Freudige sein neugeborenes Töchterlein von der Wartburg brachte und es taufen ließ; dies Schloß hat auch Landgraf Albrechts Sohn von der Kunne von Eisenberg eine Zeitlang innegehabt, mußte es aber bald wieder räumen. Auf Tenneberg geht ein Gespenst um in Gestalt einer weißen Frau; sie tritt aus einem Turme, darinnen bisweilen Lichtschein erblickt wird, und wandelt durch die Gemächer und hebt die Hand zum Haupt, als wolle sie dort etwas fassen, etwa eine Krone, und den Blick richtet sie suchend nach dem Boden. Einst kam eine Dame unter fürstlichem Geleite auf das Schloß, die blieb allda und durfte nimmer wieder einen Fuß in das Freie setzen. Sie saß in jenem Turme und trug ein langes weißes Kleid. Wer sie war, wußte niemand, dunkle Gerüchte nur liefen um, sie sei König Heinrichs von England für tot ausgegebene Gemahlin Anna, geborene Prinzeß von Cleve. Andere sagten, sie sei nicht die währe Königin Anna, sondern eine andere, die für jene sich ausgegeben, und deshalb werde sie gefangen gehalten. Viele aber waren der Meinung, wenn sie eine gemeine Betrügerin sei, so würde man von ihr nicht so viel Aufhebens machen, sondern ihr den Staupbesen verabreichen lassen und sie Landes verweisen. War jene Frau nun eine Königin oder war sie keine, das ist nie an den Tag gekommen, aber gequält ist sie worden und gemartert, irrsinnig ist sie geworden, und der Teufel hat sie auch gepeinigt und ihr hart zugesetzt, bis sie elend in ihrer Gefangenschaft gestorben. Nun wandelt sie als weiße Frau durch das schier öde Schloß und seine weiten Zimmer voll alter Jagdbilder und altmodischen Gerumpels und sucht – ihre verlorene Krone.

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488. Ohr druff

488. Ohr druff

Nicht weit von Waltershausen liegt die Stadt Ohrdruf, über der liegt auch ein Schloßberg, aber das Schloß ist längst verschwunden. Am Fuße des Schloßbergs quillt der Herlings- oder Hörlingsbrunnen. Zuzeiten wandelt in der Mittagsstunde eine weiße Jungfrau, die ein großes Gebund Schlüssel trägt, vom Schloßberg zum Hörlingsbrunnen herab, badet sich in dem Brunnen und geht dann wieder hinauf. An welche Bedingung ihre Erlösung geknüpft ist, weiß niemand. Wenn einer in die Nähe des verrufenen Ortes kommt, so kommt ihn schon ein Grauen an; die Leute sehen oft die Geister, aber sie weichen ihnen schweigend aus. Im Tale fließt aus dem Thüringer Walde heraus das rasche Flüßchen, die Ohre, deren Quelle hoch oben in der Nähe von Oberhof entspringt. Vorzeiten mangelte der Gegend Wasser, da stieg ein bekutteter Mönch hinauf auf die Berge, der hatte die Wünschelrute und suchte, und da sie schlug, legte er sich mit seinem Ohr auf den Boden (Ohr druff), da hörte er der Bergquelle Getön unterm Boden, grub nach und brachte die Ohrequellen zu Tage.

In diese Gegend kam Bonifazius, der Thüringer Apostel, bekehrte die Bewohner und empfing Land und Waldung. Am Ohreufer ist dem heiligen Manne der Erzengel Michael erschienen mit großem Glanze und hat ihn ermutigt zur Ausdauer in seiner Sendung. Am Ohreufer hat ihm ein Fischaar Speise zugetragen, da alle Nahrung in den öden Forsten ihm und seinen Begleitern mangelte, und in Ohrdruf hat der Heilige dem Erzengel Michael eine Kirche und ein Kloster geweiht und gegründet, welche im Jahre 909 von den Hunnen zerstört, Hernachmals aber um so schöner wieder aufgebaut wurden.

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48. Die Königstochter vom Rhein

48. Die Königstochter vom Rhein

Vor grauen Zeiten soll das alte Worms auch die Hauptstadt des burgundischen Reiches gewesen sein. Ein Zigeunerweib stahl aus der Insel des Rosengarten eine Königstochter in einem kleinen Badewännlein und trug sie über den Rhein. Niemand wußte, wo das Kind hingekommen. Sein Vater grämte sich zu Tode, und seine Mutter starb fast vor Herzeleid. Achtzehn Jahre gingen darüber hin, da ritt der Königssohn durch einen Wald, fand dort ein Wirtshaus und kehrte ein; den Wein, den er begehrte, brachte ihm eine schöne Jungfrau, die ihm über alle Maßen wohlgefiel. Da er nun eines Fußbades begehrte, so rüstete ihm das die Maid mit frischen grünen Kräutern und brachte es in einem Badewännlein dargetragen. Die Wirtin aber war ein häßliches, altes, braunes Weib, die gab der Maid böse Rede und sagte dem jungen Rittersmann, den sie nicht kannte, daß jene nur ein Findelkind sei, vor langen Jahren von ihr angenommen und auferzogen zu einer Dienstmagd. Wie aber der Königssohn sich das Badewännlein ansah, gewahrte er mit Staunen daran das burgundische Wappenschild und dachte bei sich selbst: Wie kommt dieses Wännelein mit dem Wappen meines Stammes in dieses schlechte Wirtshaus? Und da fiel ihm bei, gehört zu haben, daß vor langen Jahren sein Schwesterlein zusamt dem Wännchen, in dem es gebadet worden, aus dem Rosengarten verschwunden sei, und daß seine Mutter ihm oft erzählt, das Schwesterlein habe ein Malzeichen am Halse gehabt, und dasselbe Zeichen entdeckte nun alsobald der Königssohn am Halse der Dienerin. Da grüßte und umfing er sie als seine liebe Schwester, und als die Wirtin hereintrat, fragte er diese, von wem und von wannen sie diese edle Jungfrau habe. Die Wirtin erschrak gar sehr, zitterte und erbleichte und fiel auf die Kniee. Sie hatte, da die Wärterin nur auf eine kurze Zeit sich entfernt, Kind und Wännlein davongetragen und war eilend in einem Kahn über den Rhein hinübergefahren.

Da zog der Königssohn sein Schwert, das war sehr spitz und scharf, und stach die böse Wirtin damit in das Ohr, daß die Spitze zum andern Ohr wieder heraustrat, hob die Maid samt dem Wännelein auf sein Roß und ritt gen Worms zu seiner Frau Mutter. Die Königin wunderte sich baß, als sie das Paar so seltsam daherreiten sah, und fragte ihren Sohn: Welch eine Dirne bringst du uns daher? Sie führt ja ein Wännelein mit sich, als wenn sie mit einem Kinde ginge. – Frau Mutter, ich bringe keine Dirne, sondern Euer verlorenes Kind, mein lieb Schwesterlein, samt dem Wännelein, darin es Euch geraubt ward vor achtzehn Jahren! – Bei dieser Rede fiel die Königin vor Freude in Ohnmacht, und als sie wieder in den Armen ihrer Kinder erwacht war, priesen alle drei den Herrn.

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