603. Die Nägelstätter Weide

603. Die Nägelstätter Weide

Zwischen Langensalza und Groß-Vargula, allwo Winfried Bonifazius eine Kirche gründete und zum Zeichen der Wahrheit der Christuslehre seinen Stab in den Boden stieß, aus dem ein grünender Baum wurde, liegt das Dorf Nägelstätt und dabei eine Trift, die ist verrufen und heißt die Nägelstätter Weide. Zum öftern sind Geister dorthin gebannt worden. So lebte zu Langensalza ein wunderlicher Doktor, der von aller Welt sich abgeschieden hielt, doch ließ er reiche Gaben an die Armen durch seinen Diener austeilen. Er starb endlich alt und vielleicht auch lebenssatt; da es nun zu seinem Begräbnis kam und der Sarg schon in der Flur stand, sangen die Kurrendschüler vor dem Hause nach üblicher Weise ein Sterbelied – siehe, da schaute oben der alte tote Doktor in seiner weißen Zipfelmütze und mit einer grünen Brille zum Fenster heraus. Man eilte bestürzt in das Haus, öffnete den Sarg – da lag der Alte starr und steif; man erhob rasch den Sarg und trug ihn zum Gottesacker hin, während der Doktor wiederum gemütlich nachsah, wie man mit ihm dahinlief, als wäre er ein zu begrabender Jude. Von da an schaute von jedem Mittagsglockenschlag zwölf Uhr bis um ein Uhr der Geist des Doktors aus dem Fenster, und niemand wollte in das Haus ziehen. Da ließ man einen Hullen- und Pöpelsträger kommen, das war ein Jesuit vom Eichsfeld, der brachte einen Fuhrmannskober mit, bannte den Geist dahinein und trug ihn in die Nägelstätter Weide. Acht Tage darauf geschah es von ohngefähr, daß ein Brautpaar aus dem Dorfe durch die Weide ging, wollte in die Stadt und wollte Einkäufe zur Hochzeit machen, hatte aber des Geldes nicht gar viel, und da tat die Braut einen Wunsch: Ach, wenn wir doch einen Schatz fänden, da wäre unserer Sorge mit einem Male abgeholfen! – Jaja, sagte der Bräutigam, hat sich was mit Schatz finden! – Da aber gewahrte sein Blick an einer alten Eiche einen Kober, der mit Stricken fest umwunden war, der hing an einem Astrest, und da rief der Bräutigam scherzend: Fundus! hier hängt unser Schatz. – Rasch wurde der Kober vom Baume genommen, er war sehr schwer, gewiß enthielt er Geld – und wurde etwas seitab vom Wege geöffnet. Wie die fest geknoteten Stricke mühsam gelöst waren und der Deckel abgehoben war, siehe, da ging es dem Brautpaar wie dem Fischer im ersten Märchen der Tausendundeinen Nacht, der die alte Wärmflasche aufgefischt und aufgeschraubt, es stieg ein Qualm aus dem Kober, der roch wie Teufelsdreck, Baldrian und Moschus durcheinander, und aus diesem Qualm formte sich die Gestalt eines uralten hockeruckerigen Männleins, und das war der Langensalzer Doktor, der sprach gar freundlich: Habt Dank, ihr jungen Leutchen, daß ihr mich aus dem Kober erlöst habt, in den mich der gottverfluchte Jesuiter hineingebannt.

und empfanget zum Danke diesen Goldgulden, dafür mögt ihr kaufen, was ihr wollt, er wird immer wieder zu euch zurückkehren. Doch mißbraucht nie die Gabe meines Dankes. Da wurde das Brautpaar reich und glücklich. Der Geist des alten Doktors ging aber nicht wieder in das Haus nach Langensalza zurück, sondern blieb in der Nägelstätter Weide, wo er sich noch immer bisweilen sehen läßt. Eine ähnliche Sage wird vom Webicht, einem Walde bei Weimar, erzählt, wo es auch nicht geheuer sein soll, zumal an dieses Laubwaldes unterm Ende, nach Tiefurt zu, auch die Ilmnixe sich sehen läßt, ihr grünes Haar strählt und flicht und Leute in das Wasser lockt.

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604. Blutgraben

604. Blutgraben

Im Jahre 1555 am 6. des Heumonds hat der Schloßgraben zu Weimar an einer Stelle hinten bei der Rentnerei angefangen zu wallen und überzuquellen, als ob das Wasser siede. Und war dessen Farbe fleischfarb, ja bisweilen gar rot wie Blut, daß sogar der Schatten, so von dem Sonnenschein an das Schloß gefallen, am Gemäuer feuerrot gesehen wurde. Bisweilen hat sich dieses Aufwallen an einer Stelle, bisweilen auch an mehreren erhoben und ist mit Gewalt mitten im ruhigen Flusse emporgedrungen, obschon im Grunde keine Quelle vorhanden war. Das hat für und für angehalten bis an den dritten Tag, und da hat man den Graben abgelassen, aber keine Ursache des Aufwallens und der Farbe gefunden; am Erdreich aber hing es wie Blutstropfen, und in Gefäßen aufbewahrt blieb das Wasser klar wie roter Wein. Zu Erfurt wurde damals auch ein Brunnen blutrot, und ein Feldwegs von Weimar begann eine Brunnquelle, die das Jahr vor dem Bauernkrieg auch in Blut verwandelt worden, aufs neue rötlich über sich zu sprudeln, wie auch noch ein Brunnen im Thüringerland in gleicher Gestalt gesehen worden. Was es bedeute, wußte man damals nicht zu sagen, hernachmals aber ist es klar geworden mit Schrecken, denn in dieser Zeit hoben sich die Grumbachischen Händel an, welche auf thüringischer Erde gar manchem Mann das Leben kosteten und die beiden Brüderherzoge zu Sachsen, Johann Friedrich den Mittlern und Johann Wilhelm, auf den Tod entzweiten, auch den ersteren guten, glaubenseifrigen und freundestreuen Fürsten in lebenslängliches Gefängnis brachten.

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605. Das Schwedenglöckchen

605. Das Schwedenglöckchen

Zu Weimar auf dem Stadtkirchturm hängt ein altes, später aber umgegossenes Glöckchen, das hat zu zweien Malen in der Nacht um zwei Uhr plötzlich von selbst Sturm zu läuten begonnen, und das geschah das erstemal im spanischen Kriege, da der Alba in Thüringen hauste, und da hatten die Spaniolen einen Anschlag gemacht, die Stadt Weimar zu überfallen; da sie aber die Wächterglocke hörten, so die Bürgerschaft ins Gewehr brachte, brachen sie wieder auf und zogen von bannen. Zum zweiten Male geschah es im Dreißigjährigen Kriege, als die Schweden unversehens der Stadt zur Nachtzeit sich näherten und auf dem Acker hinter der alten Burg, den man noch die Schwedenschanze nennt, andere sagen, am Ettersbergs, Lager schlugen. Da trat zu dem jungen Herzogssohn Johann Ernst ein kleines weißgekleidetes Knäblein, rief den Prinzen wach und sagte ihm, es sei große Gefahr vorhanden, er solle es seinem Vater ansagen. Zugleich schlug hell vom Turme das Glöcklein an; da wurden die Bürger wach und rüsteten sich zu guter Hut und Abwehr, denn die Schweden waren auch in Freundes Landen ein wüstes verderbliches Kriegsvolk und hätten Weimar nicht geschont, obgleich die heldenmütigen Brüder Wilhelm und Bernhard, Herzoge zu Sachsen-Weimar, mit dem Schwedenkönige Gustav Adolf im Bündnis, ja dessen berühmte Feldherren waren. Zum Angedenken jenes Läutens, das von einem Engel geschehen sein soll, wurde hernach, wohl zwei Jahrhunderte lang, in jeder Nacht um zwei Uhr das Schwedenglöckchen eine Weile geläutet, nunmehr aber ist solches Läuten abgestellt worden, wie so mancher andere alte Brauch, vornehmlich aber an vielen Orten die dankbare Erinnerung.

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5. Dagoberts Zeichen

5. Dagoberts Zeichen

Es war ein König im Frankenreiche, Dagobert, ein Sohn Chlotars und Herr über Austrasien. Von dessen Taten leben noch in Sagen viele Kunden. Er führte große Kriege gegen die Sachsen und war dabei fromm und kostfrei. Selbst gegen Tiere übte er Milde, und es ging von ihm das Sprüchwort im Volke um: Wann König Dagobert gegessen hat, so läßt er auch seine Hunde essen, und eine andere Rede ward ihm nachgesagt, daß er auf seinem Sterbelager zu seinen Hunden gesprochen habe: Ihr guten Hunde, es ist doch keine Gesellschaft im Leben also gut, daß man sie nicht verlassen und von ihr abscheiden müsse. – Auf seinen Zügen drang König Dagobert auch bis in das Schweizer Alpenland und bis dahin, wo man die Landschaft vorzugsweise das Rheintal nennt, und ließ dort in die Talfelsen einen großen halben Mond einhauen, als Grenzzeichen seines Reiches.

Da es mit dem guten Könige Dagobert zum Sterben gekommen war, erfaßten die Teufel seine Seele und brachten sie auf ein Schiff, mit ihr von dannen zu fahren. Solches ließ Gott der Herr geschehen, weil der König noch nicht gereinigt und gelöset war von aller Schuld. König Dagobert hatte aber einen Freund am heiligen Dionysius, dessen Gebeine er dereinst aufgefunden mit Hülfe seiner so sehr geliebten Hunde, und welchen Heiligen der König stets in stärksten Ehren hielt, dafür dieser ihn auch stetiglich schirmte und schützte. Da nun, als Dagobert verstorben war, erbat der Heilige die Erlaubnis von Gott dem Herrn, des Königs Seele zu retten, und als er die erhalten, fuhr er im Geleite anderer Gottesheiligen und vieler Engel zur See und dem Schiffe nach, darauf die Teufel mit Dagoberts Seele waren. Darauf entspann sich ein harter Kampf zwischen Engeln, Heiligen und Teufeln um des Königs Seele, in welchem die ersteren Sieger blieben, und trugen alsbald die Engel die Seele Dagoberts in den Schoß der ewigen Gnade, die Heiligen aber kehrten in das Himmlische Paradies zurück.

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59. Das versunkene Kloster

59. Das versunkene Kloster

Ohnweit des Fleckens Neuenkirchen im Odenwalde liegt ein stilles einsames Wiesental mit einem kleinen Weiher ohne Zufluß und ohne Abfluß. Dort hat vorzeiten ein Nonnenkloster gestanden, und darinnen war eine junge Novize, die hatte das Gelübde noch nicht abgelegt. Sie war zum Kloster gezwungen worden und liebte einen Ritter von einer der nahen Burgen, der oft zur Nachtzeit, wenn alles ruhte, heimlich in den Klostergarten kam und die Geliebte sah und sprach. Eines Abends kam ein müder greiser Pilger an die Klosterpforte und begehrte Einlaß und Obdach über Nacht, allein die Priorin und der ganze Konvent wiesen ihn ab. Nur die Novize bat, des alten Mannes Bitte doch zu gewähren, allein da sie noch nicht Nonne war, stand ihr nicht einmal zu, einen Rat zu geben, und die Pforte des Klösterleins blieb dem Pilger verschlossen. Da murmelte derselbe einen Fluch, schwang seinen Stab, schlug dreimal damit an die Pfortenmauer, und da versank das Kloster mit Kirche und Konventhaus lautlos in die Tiefe, und wo es gestanden, breitete eine stille Wasserfläche geheimnisvoll sich aus. Der Pilger aber schwand hinweg, an seine Stelle trat der liebende junge Ritter – und traute gar nicht seinen Sinnen, als er nichts mehr vom Kloster sah. Laut rief er den Namen der Geliebten durch die öde Stille, die ihn umschauerte, da scholl es aus der Tiefe herauf: Morgen zu dieser Stunde kehre wieder zu dieser Stätte! Einen roten Faden, der auf dem Wasser schwimmen wird, erfasse dann!

Der Ritter tat in der folgenden Nacht, wie ihm geboten war, er faßte den Faden und zog an ihm, und da stand sein liebes Lieb vor ihm und küßte ihn und sprach zu ihm: Unschuldig muß ich mit den andern büßen, doch ist mir vergönnt, dich zu dieser Nachtstunde zu sehen, nur darf ich nicht über ihren letzten Schlag verweilen. Der rote Faden, an dem du mich emporziehst, ist mein Lebensfaden, darum halte mich nicht über die Zeit. – Lange sahen sich so die Liebenden fast in jeder Nacht, bis sie einmal allzu lange Herz am Herzen ruhten – da hatte der Ritter sein Lieb zum letzten Male in seinen Armen gehabt. Als er in folgender Nacht wiederkam und den Faden faßte, da war er nicht mehr rot – er war durchschnitten – wohl aber war rot der ganze See, vom Blute der Geliebten gefärbt. Andere sagen, der Nonnen Mißgunst habe ihn durchschnitten. Der Liebende blickte traurig in den See und versenkte sich selbst hinab in die Tiefe. In Mondnächten rauschen die versunkenen Nonnen bisweilen herauf und tanzen als Nixen mit Skapulier und Stola lustigen Ringelreigen am grünen Ufer, und Irrlichter mischen sich in ihren Reigen.

Der Sagen von Jungfrauen, die aus Weihern emporsteigen und im Arm der Liebe oder der Freude des Tanzes die bestimmte Stunde vergessen, worauf von ihrem Blute die Seen und Weiher gerötet erblickt werden, gibt es in Deutschland wohl an die tausend.

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599. Der Mordgarten

599. Der Mordgarten

Unter der Burg Gleichen beim Freudentale liegt ein vormals von alten Bäumen umschatteter Platz, der wird der Mordgarten genannt; er war ein Ort der Zweikämpfe. Es ist nun weit über hundert Jahre her, daß zwei junge Männer zugleich eine schöne Arnstädterin liebten, die nur einen von ihnen begünstigte. Der verschmähte Nebenbuhler suchte Händel mit dem Beglückten, die sich beim Spiele leicht fanden; man forderte sich und schlug sich im Mordgarten auf Pistolen. Die Geliebte sandte ahnungsvoll am Morgen des Kampftages ihrem Liebsten das übliche Brauthemde – es wurde sein Totenhemd, er wurde darin begraben, denn er fiel auf den ersten Schuß. Darauf hat die Jungfrau ihrem Freund im Freudentale, das ihr ein Jammertal ward, gleich jener Käfernburgerin Sibylle ein Kreuz an der Stätte errichten lassen, an welcher er um sie den Tod empfangen. Dies alte Kreuz mag wohl noch stehen; im Jahre 1820 stand es noch und wurde darauf gelesen der Name und die folgende Schrift:

Herr Christian
Friedrich Carl v. Bote
ward hier getödtet den 9. Marty
Anno 1717.

Christi Blut hat mich befreit von der Höllen
Rachen
Mein Blut
Umb Rache
schreyt
Gott befehl ich mein
Sachen.

Die Bäume des vormaligen sogenannten Baum- und Mordgartens sind verschwunden. Das Steinkreuz steht einsam am Saume eines unbebauten Hügels unterhalb der Burgruine, südlich von dem Freudentale.

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594. Kurzer Prozeß

594. Kurzer Prozeß

Absonderlich kurzen Prozeß machte der Erfurter Stadtrat mit Mordbrennern, sie mochten solche scheußliche Tat getan oder auch nur ausführen gewollt haben. Nach Donndorf, einem erfurtischen Dorfe, kam ein Mann, der bot von Haus zu Haus Gänse feil, die Bauern argwohnten aber in besagtem Gänsemann einen Auskundschafter, verstrickten ihn und führten ihn nach Erfurt, dort ward er scharf befragt und bekannte, er habe des Dorfes Gelegenheit allerdings auskundschaften und verraten wollen, sei auch dabei gewesen, wie das Dorf Berlstett angesteckt worden. Darauf ward er wieder nach Donndorf geführt, ihm alldort der Kopf abgeschlagen und der Leib gevierteilt.

In Erfurt selbst ward einer gesehen, der trug einen Strohwisch und ging damit zum Tore hinaus. Das erregte Verdacht, es ward ihm nachgesendet, und er wurde gefangen eingebracht. Befragt, und ohne Zweifel mit der scharfen Frage, bekannte der Mann, er habe erfurtische Dörfer anstecken wollen, worauf man ihm, erzählt die Chronik, den Kopf abschlug und ihn hingehen ließ, wohin er wollte.

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595. Sibyllentürmchen

595. Sibyllentürmchen

Unter der Feste Cyriaksburg nahe bei Erfurt, links an der alten Fahrstraße nach Gotha, steht ein großer steinerner Bildstock mit altgotischer Zier und erhabener Steinhauerarbeit, der wird das Sibyllentürmchen genannt. Mehr als eine Sage wird davon erzählt, doch ist die nachstehende die am meisten bekannte. Es war ein junger Graf von Gleichen, der liebte eine junge Gräfin von Käfernburg, und der Tag ihrer Verbindung war schon anberaumt und nahe. Sehnsuchtsvoll erwartete ihn sein Lieb, allein er kam nicht. In Begleitung von zwei Knappen war er von seiner Burg herein nach Erfurt geritten, allda Schmuck für seine Braut zu kaufen; ein ihm feindlich gesinnter Schnapphahn aus der Gegend hatte davon Kundschaft erhalten, lauerte dem Grafen mit einigen Mordgesellen unten am Fuße der Cyriaksburg, an deren Stelle damals ein Nonnenkloster stand, und erschlug nach kurzem Kampfe den jungen Grafen samt den beiden Knappen. Da ward groß Trauern und Herzeleid bei der Braut auf der Käfernburg; sie verließ ihre Burg und ihr Erbe, ließ dem Geliebten, der an jener Stelle mit seinen Begleitern begraben ward, ein Kreuz setzen und auch auf jedes Knappengrab ein Kreuz und daneben den großen und hohen Bildstock errichten, nahm den Nonnenschleier im Kloster St. Cyriaki auf dem Berge und ging alltäglich herab zu dem Bildstock, der ihren Namen bis auf die gegenwärtige Zeit brachte, um am Grabe ihres Liebsten zu beten, bis der Tod sie von ihrem stillen Gram erlöste.

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596. Der zärtliche Wolf

596. Der zärtliche Wolf

Im Jahre 1555 im Sommer lief etliche Wochen lang im Weichbild der Stadt Erfurt ein Wolf herum, der lief den Leuten auf dem Felde nach, umarmte, herzte und drückte sie, absonderlich die Weibspersonen, tat ihnen aber sonst kein Leides und biß niemand. Wenn er aber so eine oder die andere umschlungen hielt und den Rachen aufriß, der von einer ungewöhnlichen Größe war, ist sie doch so erschrocken, daß sie fast den Tod davon hatte. Glaubwürdige Leute sollen das gesehen und ausgesagt haben.

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597. Der Wolfram

597. Der Wolfram

Im hohen Chor des Domes zu Erfurt steht, gegen den Hochaltar gekehrt, ein ehern Bildnis, eine Mannesgestalt von der Größe eines Knaben, das wird der Wolfram genannt; es hält in jeder Hand einen Kirchenleuchter und soll, wie die Mesner sagen, aus Heidenzeiten herrühren; doch dem ist nicht also. Ein junger Patrizier des Namens Wolfram beging ein großes fleischliches Vergehen; solches zu sühnen, verurteilte ihn der Papst zu harter und langer Kirchenbuße, daß er ein ganzes Jahr lang täglich, in der Hand einen Leuchter mit zwei brennenden Kerzen, vor dem Altar stehen sollte, und zwar so lange, als der Dienst der Messe daure. Dies tat nun auch Wolfram, aber er fiel darob ganz von Kräften und vermochte sich kaum aufrecht zu erhalten. Da ward heftig für ihn gebeten, bis ihm die Strafe erlassen wurde, doch stiftete er noch zur Sühne und zum Gedächtnis seiner Reue und Buße das metallene Bild und trat darauf in einen strengen Orden, darin er bald hernach Todes verblichen ist.

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