Zehntes Kapitel

Eine neue Gefahr

Kasperle schlief an diesem Abend putzvergnügt ein; pardauz! fiel er ins Bett, und bums! da schlief er auch schon. Der gute Schullehrer von Waldrast aber, Herr Habermus, sagte noch sorgenvoll zu seiner lieben Frau: »Mit dem fremden Buben werden wir viel Sorge und Verdruß haben. Hätte ich ihn doch lieber nicht mit heimgebracht!«

Doch die Frau Schullehrerin antwortete heiter: »Mach’ dir keine Sorge, Mann! Ein lieber kleiner Kerl ist der Kasper doch, und mit der Zeit wird er schon ein rechter braver Schulbube werden.«

Danach sah es freilich am andern Morgen nicht aus. Kaum betrat das Kasperle die Schulklasse, gleich ging der Lärm los. Alle schrieen: »Du mußt uns was vorkaspern, bitte, bitte, bitte!«

Doch Kasperle dachte an das Verbot des Lehrers, auf dem Katheder dürfe er nicht kaspern, und darum kletterte er eins, zwei, drei auf den großen braunen Schulschrank hinauf. Die Buben schrien laut: »Hallo!« und die Mädel rissen vor Erstaunen den Mund weit auf. Jemine, so flink war noch nie jemand auf den Schulschrank gekommen! Das war ein Spaß! Herr Habermus hörte das Geschrei drüben in seiner Wohnung, und noch ehe die Base Mummeline die Klingel geschwungen hatte, lief er schon hinüber. Er riß die Türe auf und schrie: »Potzwetter, was ist das für ein Lärm!«

Platsch! fiel Kasperle vor Schreck vom Schulschrank herab. Er fiel auf einen Tisch gerade auf Heine Fistelmeyers neue Schiefertafel; die nahm das übel und ging mit einem lauten Krach kaputt. Kasperles Beine zappelten in der Luft herum, sie trafen Fritze Schrumps’ Nase, trafen ein Tintenfaß; das sauste in einem weiten Bogen herab, und auf der Mädelbank gab es ein lautes Gekreisch. Fünf gute Schulschürzen bekamen dicke schwarze Tintenkleckse. Ihre Besitzerinnen heulten, ihre Freundinnen heulten zur Gesellschaft mit, Heine Fistelmeyer heulte, Fritze Schrumps heulte, Kasperle heulte, etliche lachten und jauchzten, – es war wieder einmal ein Lärm wie bei Teufels Großmutter.

Da verlor der sonst so nachsichtige Lehrer die Geduld. Klatsch, klatsch, klatsch, ging es, Kasperle bekam seinen Teil, die ärgsten Schreier bekamen etwas ab, und schnell merkten es alle, mit ihrem Schullehrer war heute nicht gut Spaß zu machen. Nach und nach trat Ruhe ein, nur die fünf Mädel, die bekleckste Schürzen hatten, weinten ganz leise, und Kasperle heulte laut. Himmel, konnte der brüllen! Selbst die fünf Mädel verstummten schließlich, alle staunten sie das heulende Kasperle an, und allmählich erfaßte sie alle ein tiefes, tiefes Mitleiden mit dem kleinen Irrwisch. Herr Habermus faßte den am Kragen, zog ihn vor und stellte ihn in eine Ecke. »So,« sagte er streng, »da bleibst du stehen, bis du vernünftig geworden bist.«

Ach du lieber Himmel, heulte das Kasperle! Auf der Mädelbank hob ein leises Weinen an, eine nach der andern weinte, dann schluchzte einer auf der Bubenbank, erst heulten alle Kleinen, dann fielen die Großen ein, und nach ein paar Minuten weinte und schluchzte die ganze Schule mit Kasperle. Herr Habermus schüttelte erstaunt den Kopf. So etwas war ihm doch noch nie vorgekommen, daß alle heulten, weil einer gestraft wurde. Er wollte streng sein und nicht darauf achten, aber merkwürdig, Kasperles Weinen und das klägliche Echo rührten ihn sehr, er sagte endlich ganz freundlich: »Nun hört aber auf, Kinder, und du, Kasper, komm wieder an deinen Platz. Seid jetzt endlich stille!«

Flink trocknete Kasperle seine Tränen, er flitzte aus der Ecke heraus, und auf einmal begannen alle Kinder zu lachen, selbst Herr Habermus lächelte ein wenig. Er seufzte aber auch und dachte: Ach je, was wird es heute noch geben!

Kasperle wollte nun sehr artig sein, und er war es auch. Aber er gab wieder blitzdumme Antworten, und wenn er nur seinen Mund auftat, lachten wieder die andern Kinder, und in der Schulstube gab es wieder Lärm und Unruhe. Und nachher hallte die Dorfstraße wider vom jauchzenden Lachen der Kinder, und von den Müttern sagten etliche: »Den Buben hätte der Schullehrer nicht aufnehmen sollen. Ein Schlimmer ist’s, ein arger Unnützling!«

Die Base Mummeline hatte nämlich im Dorf allerlei herumgeredet, wie schlimm der kleine Gast im Lehrerhause sei. Kein gutes Härchen hatte sie an dem armen Kasperle gelassen, und manche glaubten ihr alles, manche die Hälfte. Ein wenig scheel sahen ihn die Erwachsenen alle an.

Und dann fingen auf einmal alle Kinder an zu kaspern. Dummheiten hatten auch sonst die Waldraster Kinder genug gemacht, aber solche Hanswurstsprünge, ein solches Gesichterschneiden war sonst nicht Mode gewesen. Da fing zum Beispiel Fritze Schrumps bei Tisch an zu zappeln, hielt die Beine in die Luft und überschlug sich samt seinem Stuhl. Seine Mutter dachte, er hätte Bauchschmerzen, aber sein Vater gab ihm eins auf den Hosenboden, darüber vergaß er das Kaspern. Am Abend aber kam Frau Bimmelmann, die nächste Nachbarin, gelaufen und flehte, Frau Schrumps möchte mitkommen, ihr Peter habe die Krämpfe, er schneide fürchterliche Gesichter. Und auf der Gasse trafen sie Fistelmeyers alte Muhme Trine, die jammerte, bei ihnen sei der Heine übergeschnappt, sie wolle vom Schullehrer einen Tee holen.

»Was auf den Hosenboden,« schrie Vater Schrumps, »das wird schon helfen!«

Das Mittel von Vater Schrumps erwies sich in diesen Tagen als äußerst heilsam; und bald bekamen es die Waldraster Väter und Mütter heraus: ihre Buben und Mädel, aber besonders die unnützen Buben, wollten alle kaspern, wie des Schullehrers kleiner Schützling tat.

Das gab viel Ärger und Geschelte im Dorf, und der arme Herr Habermus bekam manches ungute Wort zu hören. Die Base Mummeline schürte noch das Feuer. Im Lehrerhaus selbst gab es alle Tage Lärm, immer hatte Kasper dies und das getan, so sagte wenigstens die Muhme. Und dabei wollte Kasperle wirklich brav sein, weil es ihm nämlich in Waldrast sehr gut gefiel. Er ging furchtbar gern in die Schule, und das Spielen mit seinen Kameraden machte ihm besonders Vergnügen, über das Geschrei der Base Mummeline wunderte er sich sehr; er fand es nur spaßig, wenn sie über den Scheuereimer purzelte, oder wenn alle Hühner in ihrer Stube herumgackerten, weil Kasperle sie hineingetrieben hatte. Auch brauchte die Base nicht so mörderlich zu schreien, weil sechs dicke Kröten in ihrem Bette saßen und allerlei Getier, Käfer und Tausendfüßler in ihrem Strickkorb herumkrabbelten oder gar ein Regenwurm sich in ihrer Kaffeetasse wand. Das war doch alles nur Spaß! Und über das Räubergesicht brauchte die Base auch nicht so zu erschrecken. So meinte wenigstens Kasperle, und seine Kameraden stimmten ihm zu.

Doch die Base zeterte und schrie. Herr Habermus schalt, Frau Habermus schalt, aber beide hatten dabei den unnützen kleinen Schelm von Herzen lieb. Der Schullehrer bekam es auch nicht fertig zu sagen: »Kasper, geh’ wieder in die weite Welt.« Dazu tat ihm der in seiner Verlassenheit zu leid.

So ging ein Tag nach dem andern hin, und Kasperle blieb in Waldrast. Die Dorfbuben lernten das Kaspern immer besser, und der gute Herr Habermus plagte sich weidlich mit den Kindern ab, und daheim hörte er auch noch die Base Mummeline den ganzen Tag schelten. Er war daher sehr froh, als die eines Tages sagte: »Ich geh’ morgen in die Stadt.«

Es war eine große Sache, wenn in Waldrast jemand in die Stadt ging. Der mußte dann viele Stunden abwärts steigen und zurück wieder lange, lange den Berg hinaufsteigen. Wenn darum jemand sagte: »Ich geh’ in die Stadt,« dann kamen gleich die Nachbarn und hatten diesen und jenen Wunsch, wollten allerlei gekauft haben und sagten auch: »Paß gut auf, was es Neues in der Welt gibt!« In jenen Tagen stiegen die Briefboten noch nicht täglich in das entfernteste Dorf, und in Waldrast empfing höchstens einmal im Jahr irgend jemand einen Brief. In das Schulhaus kamen darum auch noch am gleichen Mittag etliche Nachbarinnen, eine wollte Gewürz, die andere Nähnadeln, die dritte einen Kupfertopf besorgt haben; so ging es weiter, und zuletzt hatte die Base Mummeline einen langen Zettel, auf dem alle Wünsche verzeichnet standen.

»Das wird zuviel zu tragen,« sagte die Lehrersfrau; »Base, da tust du dir Schaden. Nimm den Kasper mit, der kann dir helfen.«

Ei du lieber Himmel, zeterte da die Base los! Mit dem schlimmen Buben sollte sie gehen! Na, da würde sie sicher vor Ärger unterwegs sterben, behauptete sie; der Kasper sollte ihr nur fern bleiben. Und die Base Mummeline rüstete ihren Korb, und Kasper blieb daheim. Der war arg froh darüber. Ja, schlimm genug, als er die Base in aller Morgenfrühe aufstehen hörte, schaute er ihr vom Fenster aus vergnügt nach, zog ihr eine lange Nase und schnitt, als sie sich noch einmal umdrehte, sein allerbösestes Räubergesicht.

Meine Güte, erschrak die Base! Sie kollerte fast mit ihrem Korb den Berg hinab, so rannte sie davon, und erst als Waldrast schon ein Stück hinter ihr lag, wagte sie es, aufzuatmen. »Na, warte du!« Sie drohte mit der Faust dorthin, wo das Schulhaus lag, und dann wanderte sie bergab und dachte dabei: Könnte ich nur den Kasper aus Waldrast vertreiben! Die Base Mummeline ging auf einsamen Wegen durch tiefen Wald, über grüne Wiesen, an Felsen entlang bergab nach der fernen Stadt. In Waldrast aber kasperten die Buben an diesem Tage schlimmer als je, und das Kasperle war purzelvergnügt. Beim Mittagessen schalt keine Base, er hörte kein böses Wort, ja die Frau Schullehrerin lachte ein paarmal herzhaft über seine drolligen Gesichter. Der Schullehrer sah auch freundlich drein und Kasperle dachte: Wenn die Base doch nie wiederkäme!

Aber die Base Mummeline dachte gar nicht ans Fortbleiben. Die erlebte in der Stadt eine höchst seltsame Geschichte, und sie stieg am nächsten Tag, als sie alles eingekauft hatte, so schnell es nur ging, wieder nach Waldrast hinauf. Zu später Nachmittagsstunde kam sie im Dorfe an. Die Lehrersfrau war mit Lenchen und Lorchen bei der Pate Schönlein, der Lehrer saß in seiner Stube und arbeitete, und Kasperle wollte gerade aus dem Hause gehen zu seinen Kameraden, als er die Base daherkommen sah. Die sah ihn nicht, sie schritt aus, als hätte sie eine Schlacht gewonnen, und Kasperle schlüpfte ein wenig erschrocken in die Wohnstube. Als er draußen den Schritt der Base vernahm, da kroch er flink in einen dunklen Winkel am Ofen, die Hölle genannt. Warum er das tat, wußte der kleine Schelm selbst nicht genau. Der Gedanke an die lange Nase und das Räubergesicht bedrückte ihn etwas, und dann war die Base dahergekommen, als trüge sie den schönsten Rohrstock im Korb. Ein paar Minuten später tönte auch ihre Stimme durch das Haus, und der Lehrer kam eiligst aus seinem Zimmer heraus. Der Base erste Frage war: »Wo ist Kasper?«

Kasperle in der Hölle erschrak, und ganz leise schob er ein paar Holzscheite vor, damit ihn die Base nicht sehen sollte. Indem kam die Lehrerin zurück, sie begrüßte die Base, als wäre die von einer langen, langen Reise heimgekehrt. Aber die Base fragte auch sie flink: »Wo ist Kasper?«

»Ach, die Buben spielen alle am Bach, da wird er wohl dabei sein,« meinte die Frau. Sie hatte Kasperle erlaubt, zu seinen Gefährten zu gehen.

Doch die Base begann erst sich im Zimmer umzusehen; sie guckte unter das Sofa, schloß den großen Schrank auf und sah auch in die Hölle hinein. Da lagen die Holzscheite vorne dran, und die Base sah Kasperle nicht. »Er ist nicht da,« rief sie; »nun will ich euch erzählen, wer eigentlich der Kasper ist, na, ihr werdet staunen!«

Alle guten Geister, ja, da staunten Schullehrers wirklich, als die Base zu erzählen anfing! Und dem Kasperle im Ofenwinkel wurde es wind und weh, denn was hörte er? Seine ganze Geschichte erzählte die Base! Da war unten in der Stadt ein Kasperlemann gewesen, der hatte ein geschnitztes hölzernes Kasperle gezeigt und laut verkündet: »Wenn ihr einen findet, der so aussieht, dann fangt ihn; der Herzog von S. gibt dafür eine hohe Belohnung.« Und dann hatte er erzählt, daß Kasperle ein urechtes lebendiges Kasperle sei, und was der alles auf dem Schlosse angerichtet habe. »Seht ihr,« schrie die Base Mummeline, »ich hab’ es immer gesagt: mit dem Buben ist’s nicht richtig. Es ist gut, wenn er gefangen und fest eingesperrt wird. So will es der Herzog.«

Da seufzte der Schullehrer, und seine liebe Frau sagte mitleidig: »Armer kleiner Kerl!«

Dem Kasperle im Ofenwinkel liefen die Tränen über die Backen. Am liebsten wäre er vorgelaufen und hätte sich an die gute Frau angeschmiegt. Ach gewiß, die Schullehrersleute gaben ihn nicht her! Aber da sagte die Base Mummeline wieder laut und hart: »Der Kasperlemann kommt mir gleich nach; er bringt noch einige Landjäger mit, sie wollen das Kasperle gleich mitnehmen. Ich hab’ es nämlich gesagt, wo der Popanz steckt, und da, den schönen Goldgulden hab’ ich gleich bekommen. Ei, nun freue ich mich, daß der heillose Schelm aus dem Hause kommt und eingesperrt wird! Wir müssen nur sorgen, daß er nicht gar noch vorher ausreißt. Na, die Landjäger werden schon aufpassen!«

Und wieder sagte die gute Lehrersfrau: »Armes, armes Kasperle!« und ihr Mann seufzte mitleidig. Die Base aber stand auf, sagte, nun wolle sie flink ihren Korb auspacken und dann aufpassen, wann Kasperle heimkomme. Der Schullehrer möge aber zum Schulzen gehen, damit der wisse, warum die Landjäger kämen. Das tat der Schullehrer auch. Er und die Base verließen die Stube, nur die Lehrerin blieb darin zurück.

Kasperle in seinem Ofenwinkel zitterte vor Angst. Ach, wenn er nur fliehen könnte, dachte er, irgendwo sich verstecken, bis der Kasperlemann und die Landjäger wieder fort waren! Aber dazu mußte er zuerst aus der Stube heraus, denn in die Hölle würden die Verfolger sicher schauen. Die Lehrersfrau saß still am Tisch, so mild, so gütig sah sie drein, daß Kasperle dachte: Sie verrät mich nicht. Und plötzlich kam er schnell aus seinem Loch hervor, und die Frau am Tisch schrak zusammen. »Kasper,« rief sie, »da bist du ja! Hast du alles gehört?«

Kasperle nickte traurig. Er kam leise näher, umschlang die gute Frau und sah sie flehend an. »Ausreißen!« bettelte er. »Ausreißen!«

»Ja, ja.« Die Frau Lehrerin nickte. »Ich kann mir’s schon denken, daß du gern ausreißen möchtest, du armer kleiner Schelm, du!« Und sacht streichelte sie das Kasperle. Sie sann ein paar Minuten nach, dann nahm sie vom Tisch ein großes Stück Brot, steckte dem Kleinen die Taschen voll, gab ihm noch ein paar Batzen und sagte schnell: »Versuche dein Heil! Geh hinten zur Küchentüre hinaus! Mein guter Mann wird mir’s schon verzeihen, daß ich dir geholfen habe.«

Sie gab dem Kasperle noch einen Kuß und ließ ihn in die Küche witschen. Von dort aus führte eine Türe in den Garten; neben dem lag der Kirchhof, und wie Kasperle so hastig davonrannte, sah er, daß die Kirchtüre aufstand. Ich verstecke mich auf dem Turm, dachte er, und husch, war er schon drinnen. Es war aber auch die höchste Zeit, denn vom Schulhause her erklang Base Mummelines Stimme: »Sie kommen!«

Sie kamen wirklich. Der Kasperlemann voran, drei Landjäger hintendrein, und die Dorfleute, die sie kommen sahen, rannten eilig herbei. Was war geschehen? Warum kamen die Landjäger in ihr friedliches Dorf? Sie fragten es alle ganz erschrocken, und es gab ein lautes Hinundhergerede, bis die Base etlichen sagte, Kasper werde geholt, ob sie den nicht gesehen hätten.

»Die Buben spielen am Bach,« rief jemand, und gleich liefen ein paar hin, um dort das Kasperle zu fangen, denn die Base tat, als wäre der kleine Schelm ein schlimmer, schlimmer Bösewicht.

Aber wo war denn Kasperle?

Die Buben hatten ihn nicht gesehen, der Schulze hatte ihn nicht gesehen, der Schullehrer wußte nichts von ihm; niemand hatte das Kasperle gesehen. »Er ist ausgerissen!« riefen die Base und der Kasperlemann. »Wir suchen,« sagten die Landjäger. »Platz da, erst suchen wir das Haus ab.« »Alle müssen suchen helfen,« schrie der Schulze. »Na, das wäre doch eine Schande, wenn einer aus Waldrast ausreißen könnte, den unser Herzog fangen will! Vorwärts, alle müssen suchen!«

Und alle suchten. Kasperles Schulgefährten suchten am eifrigsten, und jeder dachte bei sich: Wenn ich ihn finde, lasse ich ihn ausreißen. Nur die Frau Schullehrerin suchte nicht, und niemand fragte sie. Still brachte sie Lenchen und Lorchen ins Bett, und als die bitterlich um ihren lieben Kasper weinten, tröstete sie die Kleinen und sagte linde: »Es wird ihm schon nichts geschehen!«

Die Bauern und Landjäger suchten in allen Häusern, Scheunen und Ställen, aber vergeblich, Kasperle war nicht zu finden. Endlich sagte einer: »Nun müssen wir noch in der Kirche nachsehen.«

»Sie ist ja verschlossen,« sagte ein anderer, »und die Fenster sind auch alle zu.«

Der alte Küster hatte nämlich inzwischen die Kirche verschlossen, und weil er alt und müde war, kümmerte er sich nicht um den Lärm im Dorf. Er saß in seinem Lehnstuhl und schlief, und die Landjäger gingen alle um die Kirche herum und sagten: »Darin kann er nicht sein, er ist sicher ausgerissen.« Aber wohin? War er in den Wald geflohen, saß er oben in den Bergeinöden? Auf dem Weg zur Stadt hätten sie ihn doch alle sehen müssen!

»Morgen früh wird die ganze Gegend abgesucht. Alles, was Beine hat, muß mitlaufen,« sagte der Schulze. »Na, die Schande, wenn der Kasper entwischt wäre!«

»Ja, gleich bei Tagesanbruch wird gesucht,« riefen alle, »und heute muß das Dorf bewacht werden; keine Katze darf hinaus und das Kasperle erst recht nicht.«

Und im Schulhaus sagte die Base Mummeline: »Ich bin zwar rechtschaffen müde, aber ins Bett gehe ich nicht. Ich wette, der Kasper geistert im Hause herum, und ich erwische ihn doch!«

Elftes Kapitel

Abenteuer über Abenteuer

Allmählich wurde es stiller und stiller im Dorf. Kasperle hörte drinnen im Kirchturmwinkel den Lärm verklingen, und nun wagte er sich erst einmal recht umzuschauen, wo er eigentlich war. Er saß in einer dunklen Vorkammer, eine Treppe neben ihm führte zum Turmaufgang, und von oben strömte noch ein matter Lichtschimmer herab.

Gerade dachte Kasperle, es wäre gut, bis hinauf zu steigen, als jemand draußen sagte: »Aber morgen müssen wir doch einmal in der Kirche nachsehen.« Es waren die zwei Landjäger. Sie gingen vorbei, um mitten auf der Dorfstraße Wache zu halten. Da kletterte innen Kasperle angsterfüllt die ganz schmale, steile Treppe zum Turm hinauf. Er dachte: Dort oben suchen sie vielleicht nicht.

Im Turm der Waldraster Kirche wohnten seit vielen, vielen Jahren Eulen. Eine alte Eulenurgroßmutter, die gerade zur Zeit lebte, erzählte, schon ihre Urgroßmutter habe erzählt, daß ihrer Urgroßmutter Urgroßmutter im Turm gewohnt habe. Niemand störte je die Eulen. Wenn unten die Waldraster Buben den Strick zogen, um die Glocke zu läuten, immer die brävsten durften das tun, dann huschelten sich die Eulen nur tiefer in ihre Nester hinein. Die Glockenklänge waren ihnen vertraut, und wenn die Glocke auf- und abschwang, dann freuten sie sich nur. Nie stieg jemand in den Turm hinauf, denn die Treppe war morsch und das Hinaufklettern gefährlich.

Davon wußte Kasperle nichts. Er stieg immer höher, und die Eulen, die sich gerade ihren Tagesschlaf aus den Augen rieben, sahen erstaunt auf den kleinen, sonderbaren Kerl, der da die Treppe heraufkam. Sie erschraken sehr. Die alte Urgroßmutter schrie heiser: »Nehmt euch in acht, der hat es auf die Kleinen, die Nestlinge abgesehen!« Da schrien alle Eulen; unheimlich klang es, und alle schwirrten empor. Und auf einmal flatterte und rauschte es Kasperle um den Kopf, und er sah in viele funkelnde, böse Eulenaugen. Er erschrak ganz fürchterlich. Eine ganz unbeschreibliche Angst vor diesen fremden, unheimlichen Vögeln ergriff ihn, und er wollte die Treppe eiligst wieder hinabsteigen. Doch er trat fehl und fiel, die Eulen kreischten laut, und das purzelnde Kasperle erfaßte in seiner Angst den Glockenstrick, der ihm vor der Nase herumbaumelte.

»Bum, bum, bum!« tönte es dumpf.

Nun erschraken auch die Eulen, denn Glockenklänge um diese Zeit waren ihnen ganz ungewohnt. Sie flatterten immer aufgeregter hin und her, Kasperle klammerte sich fester an den Strick, und die Glocke geriet ins Schwingen. »Bum, bum, bum, bimbam, bimbam!« Die Glocke begann lauter und lauter zu rufen. Kasperle wollte den Strick loslassen, aber die Glocke schwang heftiger hin und her, die Eulen flatterten wild und Kasperle hing am Strick und flog hin und her, flog zum Turmfenster hinaus, er konnte seine Füße nicht mehr auf den Boden setzen.

»Bum, bum, bum! Bimbam, bimbam!« Über das schlafende Dorf rauschten die Glockenklänge. Die Hunde begannen zu bellen, die Menschen fuhren erschrocken in ihren Betten empor. Die Glocke läutete, was war das? Der Schneidermeister Pimperling sprang zuerst auf die Dorfstraße hinaus. »Feuer!« schrie er, »Feuer! Feuer!«

Der Ruf fand Widerhall. Aus den Häusern stürzten die Leute, und alle schrien sie: »Feuer! Feuer!« Und alle sahen sie sich um, wo es denn eigentlich brennen könnte. »Die Wassereimer her, die Wassereimer her!« schrie der Schulze, denn eine Feuerspritze gab es damals noch nicht in Waldrast. Und alles lief und rannte, um Wassereimer zu holen, und einer fragte den andern, wo denn das Feuer sei, bis einer auf den Gedanken kam, das müßte doch der wissen, der die Glocke läutet. Ja, wer läutet sie denn?

Dem Kasperle aber im Glockenstuhl war es himmelangst geworden. Er hielt sich schließlich verzweifelt am Gebälk fest, ließ den Strick fahren und sauste nun etwas unsanft die Treppe hinab. Auf halber Höhe blieb der zuletzt liegen. Ganz verdattert von dem Geschehenen war er, und als er von draußen, von der Dorfstraße her, Lärm hereindringen hörte, wußte er erst gar nicht, was der bedeuten sollte, bis es dem dummen Kasperle endlich einfiel: die Glockentöne hatten alle aus dem Schlafe geweckt. Er hörte »Feuer! Feuer!« schreien, er hörte lautes Rufen und Fragen vor der Kirchentüre, und da – Kasperle kugelte gleich die ganze Treppe hinab, jemand hatte draußen laut gerufen: »Ich wette, das ist der Kasper gewesen, der hat sich in der Kirche versteckt.« Es war die Base Mummeline, die das rief.

»Die Türe ist aber verschlossen!« rief jemand anders.

»Man muß den Küster holen, er muß aufschließen,« verlangten ein paar Stimmen. »Flink, holt ihn!«

»Bim – bam, bim – bam!« Das Läuten oben wurde schwächer, aber Kasperle hörte noch immer die Eulen oben kreischen und flattern. Wohin sollte er fliehen? Auf dem Turm waren die Eulen, die hackten ihm wohl gar die Augen aus; unten standen die Dorfleute, wehe wenn die ihn erwischten! Er hörte jemand rufen: »Da kommt der Küster, nun aufgepaßt, jetzt müssen wir den Kasper fangen!«

Es war wieder die Base Mummeline, die so rief, und das Kasperle sah sich ganz verzagt um. Wohin sollte er denn nur fliehen? Da sah er plötzlich neben sich eine lange Stange stehen, und – ein ganz unnützer Gedanke kam dem Kasperle.

Der Schlüssel knirschte im Schloß, die Türe ging auf. »Uje, ist’s hier aber dunkel! Holt flink ein paar Laternen!« rief jemand. Und dann gab es einen Plumps, ein lauter Schrei erklang, die Base Mummeline war über die Stange gefallen, die Kasperle quer vor die Türe hielt.

»Au, Donnerwetter!« Da lag der dicke Schulze.

»Himmel, Hagel, was ist das!« Der eine Landjäger fiel dem Schulzen nach, und der Schneidermeister Pimperling quiekte: »Potz Hosenknopf und Ellenmaß, hier spukt’s!«

»Ich werde totgedrückt!« kreischte die Base Mummeline.

»Laternen her, Laternen her!« Einer nach dem andern fiel in den Vorraum hinein, und in diesem allgemeinen Gepurzele, in dem lauten Lärm gelang es Kasperle, sich sacht an der Wand hin ins Freie hinauszuschleichen. Er drückte sich ganz eng an die Mauer an und wutschte um den Turm herum, und er war gerade auf der andern Seite angelangt, als etliche Leute mit Laternen daherkamen. Das ganze Dorf versammelte sich am Turm, mit den Laternen wurden die hingepurzelten Leute beleuchtet, und alle riefen: »Das ist ein Streich von Kasper.«

»Man muß den ganzen Turm absuchen,« sagte der Schulze, der sich stöhnend aufgerichtet hatte, und die Base kreischte: »Der darf uns nicht entwischen, dieser heillose Bösewicht!«

Der Schneidermeister Pimperling, der sehr klein, dünn und mutig war, erbot sich, auf den Turm zu steigen. Er nahm einen alten Nachtwächterspieß und eine Laterne und kletterte vorsichtig die Treppe hinauf. Er schaute dabei in jede Mauerritze, unter jede Treppenstufe, ob sich das Kasperle da nicht versteckt hätte, und unterdessen suchten unten etliche den Vorraum, die Kirche, alles ab, – kein Kasperle war zu finden.

Die Eulen erschraken, als das Licht in ihre Wohnstuben drang. Das blendete sie, und sie versteckten sich scheu. Die Glocke zitterte noch hin und her, aber soviel der Meister Pimperling auch herumleuchtete, Kasperle fand er nicht.

Unten sagte der Kasperlemann: »Wir müssen ihn finden, er muß doch da sein!« Und er erzählte von der hohen Belohnung, die der Herzog geben wollte, und alle suchten noch eifriger, alle sagten: »Er muß doch da sein! Wer soll sonst die Glocke geläutet haben?«

Inzwischen rannte Kasperle sehr eilfertig dem Walde zu. Weil alle nach der Kirche liefen, bewachte keiner die Wege, die nach auswärts führten, und Kasperle gelangte ungesehen in den Wald. Er schlug nicht den Weg ein, der zur Stadt hinabführte, sondern lief seitwärts; dort wußte er, dehnte sich der Wald viele, viele Stunden weit aus. Durch diesen Wald hindurch führte der Weg in ein anderes, fremdes Tal, in das die Leute aus Waldrast nie gingen. In der tiefen Dunkelheit verlor Kasperle nun bald den Weg; er mußte wieder mühsam über Steine klettern und fiel über Wurzeln und umgestürzte Bäume, und als er so ein paar Stunden dahingelaufen war, sank er todmüde zu Boden. Er schlief auch gleich ein, und als er erwachte, sah er die Sonne durch das Gezweig uralter, hoher Tannen glitzern. Soweit er blicken konnte, war dichter Wald um ihn her, und ganz still war es.

Kasperle setzte sich auf einen moosbewachsenen Stein und sah sich traurig um. Nun war er wieder mutterseelenallein in der weiten, weiten Welt, nun hatte er keine freundlichen Pflegeeltern mehr und keine lustigen Kameraden. Er dachte an das Waldhaus; ach, wäre er doch dort geblieben und nicht fortgelaufen! Dort war doch seine Heimat. Er wäre gern zurückgekehrt, aber wie sollte er den Weg finden? Er mußte dann doch an dem Schloß vorbei, in dem die liebliche Rosemarie wohnte! Aber dort kannten ihn alle, man würde ihn fangen und ins Gefängnis setzen. Kasperle hatte davor eine ganz schreckliche Angst. Der Herzog und die Base Mummeline, das waren seine Feinde, und als er nur an sie dachte, sprang er gleich auf und lief weiter durch den Wald. Er wanderte und wanderte, viele Stunden lang, der Wald nahm kein Ende; ganz undurchdringlich schien er zu sein.

Endlich setzte sich Kasperle wieder müde auf den Boden nieder. Er zog das Brot heraus, das ihm die gute Lehrersfrau noch gegeben hatte, und begann traurig zu essen. Und wie er so saß, vernahm er ein Plätschern und Rauschen; ein Bächlein mochte nicht allzu ferne fließen. Weil Kasperle durstig war, stand er auf und ging dem Rauschen nach. Nach einem Weilchen sah er den Wald sich lichten, und er kam an einen Bergbach, der kam mit viel Gebrause aus einer hohen, hohen Felsspalte herabgestürzt. Am Bach war der Wald etwas zurückgetreten, nur Himbeerbüsche wuchsen dicht an seinem Rand. Von ihnen waren viele reife Früchte in das Wasser gefallen, sie schimmerten rot aus den weißen Kieselsteinen heraus. Und hohe Stauden blauen Eisenhutes standen am Bachrand, mitten im Wasser aber lag eine winzige Insel. Da wuchsen große, weiße Blütendolden, auf denen lauter schimmernde, goldbraune Schmetterlinge saßen. Und im schäumenden Wasser, das aus der Felsspalte stürzte, glitzerte die Sonne. Das leuchtete, funkelte und glänzte in allen Farben, und Kasperle staunte verwundert; wie ein Märchenwinkel kam es ihm vor. Auch schien alles zu rufen und zu locken: »Komm, Kasperle, komm!« Das Wasser spritzte ihm an die Nase, die Himbeerbüsche bogen sich unter der Last ihrer reifen Früchte, und da war Kasperle denn auch nicht faul. Er setzte sich hin und schmauste, trank erst vom klaren Wasser, aß dann zum Brot die Himbeeren und wurde plumpsatt. Da legte er sich an das Ufer des Baches, lauschte dem Tosen, mit dem der aus der Felsspalte hervorstürzte, und ließ sich die Sonne auf das Bäuchlein scheinen.

Sehr lange dauerte es nicht, bis Kasperle schlief. Er schlief und schlief in die warme, Sommernacht hinein. Einmal wachte er auf, da stand eine ganz schmale Mondsichel gerade über dem Waldwinkel, und das Bächlein rann wie ein Silberstrom aus seiner Felsspalte hervor. Ein Weilchen sah Kasperle zu, er sah die silbernen Lichter auf dem Wasser glitzern und sah über sich am dunklen Nachthimmel die feine Sichel und viele, viele Sterne. Das war schön und friedsam. Kasperle reckte und streckte sich und schlief weiter.

Auf einmal tönte laut eine Stimme in seinen Schlaf hinein: »Hallo, he, aufgewacht du!«

Kasperle richtete sich erschrocken auf und sah sich verwirrt um. Da stand neben ihm ein Bub, nicht viel größer als er, der trug ein Hemd und ein Höslein, geflickt wie eine Musterkarte, auf seinem Kopf saß ein verbeultes, verblichenes Hütlein mit einem mächtigen Busch Hahnenfedern daran. Es sah beinahe aus wie der Kopfschmuck, den der Räuberhauptmann im Kasperletheater zu tragen pflegte. Des Buben Augen blitzten lustig; der ganze kleine Kerl sah überhaupt so vergnügt in die Welt, daß Kasperle auch gleich lachen mußte.

Und wenn Kasperle lachte, das steckte an. Erst machte der fremde Bube Kulleraugen vor Erstaunen, als Kasperle seinen Mund von einem Ohr zum andern zog, aber dann lachte er laut heraus. Sein Lachen steckte wieder das Kasperle an, und so lachten sie eine gute Zeit um die Wette, und die Felswand gab vergnügt das Echo zurück. Sonst hörten es nur noch eine Anzahl Geißen, die kamen zierlich über die Steine geklettert und umringten die beiden Buben. Aber plötzlich sprang der fremde Bube auf und schrie: »Rosemarie fehlt!« Und dann rannte er mit schnellen Sprüngen davon.

Rosemarie! Kasperle vergaß das Lachen vor Staunen. War das liebliche Grafenkind hier im Walde, und war er gar wieder dem Schlosse näher gekommen? Die Geißen umschnupperten ihn ganz zutraulich, er aber saß da, als wäre er aus allen Wolken gefallen. Doch da kam der fremde Bub schon wieder zurück, er trieb ein schneeweißes Zicklein vor sich her und rief schon von weitem: »Das ist Rosemarie; beinahe hätte sie sich verlaufen.«

Kasperle schüttelte den Kopf. »Nä,« brummelte er entrüstet, »Rosemarie ist eine Grafentochter, keine Geiß!«

Der fremde Bube lachte hell auf. »Freilich, ein Geißenname ist’s nicht,« rief er. »Rosemarie stammt aber auch von einem Schlosse; die alte Einöderin Bärbe hat sie dort geholt.«

»Ist das weit?« fragte Kasperle scheu. Er dachte gar, das Schloß müßte ihm vor der Nase liegen.

»Weit – das Schloß?« Der fremde Bube sah ihn erstaunt an, die Frage kam ihm sehr schnurrig vor. Was ging den andern das Schloß an? »Weit ist’s schon,« sagte er; »die Einöderin braucht immer ein paar Tage dazu, sie stammt von dort.«

Da war Kasperle wieder zufrieden. Nun fiel ihm auch ein, es war eigentlich längst Frühstückzeit vorbei, und er kramte sein letztes Stück Brot aus der Tasche. »Ich hab’ Hunger,« sagte er seufzend.

»Ich auch.« Der fremde Bube zog auch ein Stück Brot aus der Tasche und sagte: »Ich komm’ hierher wegen der Himbeeren. So schön sind sie nirgends, und niemand weiß den Ort, selbst der brummige Matthias nicht.«

»Wer ist denn das?« Kasperle setzte sich auch an einen Himbeerbusch, wie es der andere tat. Beide schmausten los, und dabei erzählte der fremde Bube, der brummige Matthias sei ein Förster; er wohne neben des Herzogs Jagdschloß Hirschsprung, das ganz nahe sei.

»Wohnt der Herzog hier?« Kasperle ließ vor Schreck eine dicke Himbeere und sein Brot dazu ins Wasser fallen, und er fischte erst beides wieder heraus, als der fremde Junge sagte: »Bist du aber dumm! Der Herzog wohnt doch in seiner Residenzstadt, weit, weit von hier! Er kommt nur alle Jahre zweimal hierher, sonst steht das Schloß immer leer. Du weißt aber auch gar nichts! Woher kommst du eigentlich? Wie heißt du? Wer bist du?«

Kasperle seufzte tief. Er wollte schon wieder sein Sprüchlein sagen, aber des fremden Buben helle, klare Augen schauten ihn so ernsthaft an, da senkte er verwirrt seine Nase.

»Hast du was Schlimmes getan?« fragte plötzlich der andere fast streng.

Kasperle schüttelte den Kopf, und dann erzählte er dem Buben, wer er sei. Alles erzählte er, und der andere lachte mit und sah mit traurig drein, und als Kasperle zu Ende war, streckte er ihm seine kleine, braune Hand hin und rief: »Armes Kasperle! Aber weißt du, ich will dein Freund sein. Ich bin das Geißenmichele und wohne in Hochdorf. Da, willste mein Brot?« Michele wußte in aller Geschwindigkeit nämlich nicht, was er aus Mitleid dem Kasperle Gutes antun sollte, darum gab er ihm sein Brot. Dabei war des Michels Brotvorrat für seinen rechtschaffenen Bubenhunger gerade nicht sehr groß. Michele meinte aber, für einen Freund, den man so unversehens im Walde finde, müßte man auch einmal hungern können. Kasperle aber sah, mehr Brot war nicht im Säcklein, und schlug vor, sie wollten teilen. Also teilten sie, schmausten viele, viele Himbeeren dazu und berieten dabei, was aus Kasperle werden sollte.

Michele hätte das Kasperle am liebsten mit heimgenommen, doch das ging nicht; er hatte nämlich selbst kein rechtes Zuhause. Er war einer armen Witwe Sohn, die wohnte stundenweit ab in einem kleinen Dorf, und er hatte sich als Geißenbub verdingt, um der Mutter zu helfen, die noch für drei kleinere Kinder sorgen mußte. Bei einem Bauern schlief er auf dem Heuboden, dahin durfte er keinen fremden Buben mitbringen. Und Kasperle tat einen tiefen Seufzer und sagte traurig: »Ich muß weiterziehen.«

Doch da kam wie ein Blitz dem Michele ein guter Gedanke, und er überkugelte sich gleich einmal vor Freude und schrie dabei: »Hurra, das wird fein, fein, fein!«

Kasperle wollte natürlich gleich wissen, was fein würde, und da vertraute ihm Michele an, das Schloß sollte seine Wohnung sein. Und als Kasperle darob vor Erstaunen so steif und stumm wie ein Bäumlein wurde, erzählte Michele, im Schlosse wohne niemand, und der böse Matthias und seine Frau gingen selten hinein, auch sei das dann ja zu hören. Er aber wußte, daß eine ganz kleine Seitenpforte seit langer Zeit unverschlossen sei, wohl weil der brummige Matthias den Schlüssel verloren habe. »Ich bin schon manchmal drin gewesen; fein ist’s drin!« tuschelte Michele seinem neuen Freunde geheimnisvoll zu. »Du kannst drin wohnen, und dann treffen wir uns alle Tage und hüten die Geißen zusammen. Wenn ich sage, ich hab’ arg großen Hunger, dann gibt mir die Bäuerin schon mehr Brot, dann langt es für uns beide.«

»Aber der Herzog!« Kasperle sah so ängstlich drein, als spaziere der Herzog schon um die Ecke herum.

Michele lachte ihn aus. »Bist ein Hasenfuß; der Herzog, kommt höchstens zweimal im Jahr nach Hirschsprung, na, und das merkst du ja vorher. Komm jetzt rasch, ich zeige dir die Türe!« Er sprang auf und sah nach den Geißen. Die zeigten keine Lust zu großen Klettereien; satt und faul lagerten sie auf einem Wiesenfleck, und die beiden Freunde konnten beruhigt zum Schlosse wandern. Weit war das nun wirklich nicht. Kasperle staunte. Ein paar Schritte ging es durch den Wald, da waren sie da. Auf einer Wiese, rings von Wald umschlossen, lag ein graues Schloß, es hatte einen dicken Turm und sah etwas düster aus. Unweit davon, am Wiesenrand, lag ein kleines Haus, die Försterei. Alles war wie ausgestorben, nicht einmal ein Hund bellte, als sich die Buben dem Schlosse näherten. Michele führte seinen Freund nun um die grauen Mauern herum und zeigte ihm neben dem Turm ein Pförtlein, das fast ganz hinter Gebüsch verborgen war. »Da hinein geht’s,« sagte er, »und hier kannst du gleich in den Wald schlüpfen, und niemand sieht dich.«

Sie krochen beide durch das Gebüsch, und Michele drückte auf die rostige Klinke; sie gab nach, und da standen die beiden wirklich im Schloß. Ein schmaler, weißgetünchter Gang nahm sie auf, und Michele schritt ihn ganz keck entlang. Kasperle folgte etwas zaghaft, weil sich aber wirklich niemand und nichts im Schlosse regte, wurde er auch mutiger. Die beiden Freunde schlossen Tür um Türe auf, sie gingen durch alle Gänge, stiegen alle Treppen empor, und Michele war ganz empört, als Kasperle auf einmal sagte: »Im Grafenschloß war’s noch feiner.«

»Was Feineres gibt’s nicht,« rief Michele und riß eine Türe auf. Die führte in einen Saal hinein, der nicht, wie die andern Zimmer, etwas düster eingerichtet war, sondern hellen, heiteren Hausrat zeigte. Die Sofas und Stühle waren alle mit rosafarbener Seide überzogen, an den Wänden gab es in breiten goldenen Rahmen heitere Bilder, und Engel, die Rosenkränze trugen, schwebten oben an der Decke.

Da sagte auch Kasperle, dies sei feiner als im Grafenschloß, und Michele, der schon ganz wütend gewesen war, gab sich zufrieden. Kasperle war nun auch sehr vergnügt, daß er im Schlosse bleiben sollte, und als sie beide beim Herumwandern in ein sehr schönes Zimmer kamen, in dem ein breites goldenes Bett stand, sagte er, hier möchte er schlafen. »Ich glaube, das ist dem Herrn Herzog sein Zimmer,« flüsterte Michele etwas scheu. »Darin kannst du doch nicht schlafen!«

Aber plumps, da lag Kasperle schon in dem mit Seide überzogenen Bett und rief: »Hurra, hier schlafe ich: Das ist fein, fein, fein!«

Michele hätte sich am liebsten auch in das goldene Bett gelegt, aber er dachte an die armen Geißen, die er verlassen hatte. »Ich muß gehen,« sagte er betrübt, und flugs sprang Kasperle wieder aus dem Bette heraus und erklärte: »Ich geh’ mit.« Einträchtig verließen sie beide wieder das Schloß, kehrten zu den Geißen zurück, fanden die noch ruhig am alten Platz weiden, und sie setzten sich zu ihnen und berieten, wie sie es ferner zu halten gedächten. Michele wollte immer am Schloß vorbeiziehen und pfeifen, und sobald Kasperle dies hörte, sollte er ihm nachkommen; dann wollten sie zusammen spielen, Geißen hüten und ihr Brot verzehren. Beide freuten sich schon auf die Tage, die kommen würden, und einmal sagte Kasperle ängstlich: »Aber der Herzog, wenn der in sein Schloß kommt!«

»Ach, der kommt ja erst im Herbst!« Michele schnippte mit der Hand, als könnte er damit den Herzog davonweisen, und Kasperle war beruhigt. Mit seinem neuen Freund zusammen trieb er dann die Geißen an zum Heimgehen, und als das Schloß sichtbar wurde, trennten sich beide. Kasperle schlüpfte wieder durch das Gebüsch, öffnete die kleine Türe und stand dann allein in dem Schloß. Sein Schritt hallte laut auf dem Flur wider, und da begann sich der kleine Hasenfuß zu fürchten. Am liebsten wäre er wieder umgekehrt und dem Michele nachgelaufen, aber dann dachte er doch an das schöne seidene Bett, in dem er schlafen wollte, und er lief geschwind die Treppe hinauf und durch die Gänge, bis er das Zimmer erreichte. Dort schlüpfte er sehr eilig in das goldene Bett, zog sich die Decke über die Ohren und schlief wirklich nach fünf Minuten ein. Nichts störte ihn in dem einsamen Schlaf. Nur einmal hörte er ein fernes Blasen, aber so recht wachte er darüber nicht auf. Draußen auf der Waldwiese stand der Förster, den Michele den brummigen Matthias nannte, und blies auf seinem Hifthorn ein Abendlied. Feierlich tönte das durch den stillen Wald, und danach schwieg alles, nur die Bäume rauschten; sie erzählten sich, im einsamen Schloß sei ein wunderlicher kleiner Gast eingekehrt, von dem selbst der Förster nichts wisse.

Zwölftes Kapitel

Kasperle wird ein Gespenst

Als Kasperle im seidenen Bett wieder erwachte, schimmerte es ganz golden durch die herabgelassenen Vorhänge. Er sprang aus dem Bett heraus und lugte durch ein Ritzlein hinaus, obgleich Michele ihn sehr gewarnt hatte, dies zu tun. Draußen lag die Waldwiese im ersten Frühsonnenschein, und selbst in das verschlossene Zimmer hinein drang das Singen und Jubilieren der Vögel, die den neuen Tag grüßten. Wie lustig es klang! Kasperle erhob purzelvergnügt sein Stimmlein und sang mit. Es war schon gut, daß in dem einsamen Schloß ihn niemand singen hörte, denn vor dem Gesang konnte schon einer davonlaufen. Es klang, als quietschten zehn schlecht geölte Türen und drei verrostete Wetterfahnen dazu, doch Kasperle fand seinen Singsang schön, und singend lief er in dem Schlosse treppauf, treppab, und dabei kam er auch in die Küche. Und da merkte er, daß er schrecklich hungrig war, und das Singen verging ihm. Er begann neugierig in alle Töpfe und Schränke zu schauen, doch nirgends fand er etwas Eßbares. Er dachte seufzend an die gefüllten Speisekammern im Grafenschloß, und gerade wollte er die Küche wieder verlassen, als er in einer Ecke eine Türe entdeckte. Rasch schloß er sie auf, ein halbdunkler Raum gähnte ihm entgegen, in dem es merkwürdig gut roch. Kasperle schnupperte und schnupperte, sah sich um und sah auf einmal von der Decke herab lange Würste hängen; auch ein paar Schinken und Speckseiten waren dabei. Kasperle war in die Räucherkammer geraten, in der es noch Vorräte vom letzten Besuch des Herzogs her gab.

Potzwetter staunte da Kasperle! Und lange besann er sich nicht, ob er zugreifen dürfe oder nicht. Er sprang hoch, sprang, bis er eine Wurst erwischte; an der zerrte er, bis er sie in seinen Händen hielt. Dann verschloß er die Kammer wieder und lief vergnügt mit seiner Wurst bis zur kleinen Pforte, an der Michele pfeifen sollte. Das dauerte noch ein Weilchen, und Kasperle biß inzwischen herzhaft in die Wurst hinein, und als Michele kam, hatte er schon ein gutes Stück verschmaust.

Der Kamerad machte große Augen, als Kasperle ihm von der Wurstkammer erzählte. »Das darfst du nicht, die Würste aufessen,« sagte er bedrückt; »sie gehören doch dem Herzog!«

Doch Kasperle war ein leichtsinniger Strick. Der fand nichts Unrechtes am Wurstraub, sagte, die hätte der Herzog gewiß längst vergessen, und Michele glaubte ihm dies nur zu gern. So schmausten sie Wurst zu ihrem Brot, aßen tüchtig Himbeeren und verlebten mitsammen einen sehr vergnügten Tag. Die Geißen waren brav, die machten ihnen weiter keine Mühe, ja, als Kasperle dem Michele seine Gesichter vorschnitt, da stellten sie sich alle dazu und meckerten erstaunt; so etwas hatten sie doch noch nicht gesehen. Sie meckerten, und Michele lachte. Der streckte Arme und Beine von sich, so arg mußte er lachen. Zuletzt kriegte er Bauchweh vor Lachen, und er legte sich flink in die Sonne. Kasperle tat es ihm nach, und beide ließen sich von der Sonne halb braten, bis Kasperle wieder kaspern und Michele wieder lachen konnte.

So verging der Tag. Am Abend trieb Michele die Geißen heim, und Kasperle kehrte in das stille Schloß zurück. Er sah sich nicht mehr viel um, sondern kroch gleich in sein seidenes Bett. Darin schlief er, bis ihn wieder das goldene Scheinen hinter den Vorhängen weckte; da war wieder ein neuer heiterer Tag für ihn aufgegangen. Er lief wieder durch das Schloß, holte wieder ein Würstlein aus der Räucherkammer und stand schon an der kleinen Pforte, als Michele daherkam. Der sputete sich arg und rief schon von weitem dem Kasperle halblaut zu: »Verstecken, verstecken!«

Kasperle witschte flink in das Gebüsch, und als Michele herankam, tuschelte der ihm zu: »Der brummige Matthias steht vor seinem Hause, laß dich nicht sehen!«

Der Förster wunderte sich ein wenig darüber, daß der Geißenbub seine Herde so dicht am Schloß vorbeitrieb, aber Kasperle sah er nicht. Der flitzte unter die Geißen, lief auf allen vieren und war geschwinde im Walde verschwunden.

Und wieder verging den beiden Kameraden der Tag wie ein schöner Traum. Es wurde Abend, es wurde wieder Morgen, und so folgte ein Tag dem andern, alle waren sie sonnenreich und voll heiterer Lust.

Über eine Woche war so vergangen, da wachte Kasperle eines Morgens auf, und er wunderte sich, wie dunkel es war. Vielleicht ist’s noch Nacht, dachte er, aber dann vernahm er ein unablässiges Plätschern und Rauschen, und als er durch das Ritzchen im Vorhang hinausspähte, merkte er, es regnete. In wahren Bächen rann es vom Himmel herab, plitsch, platsch, immerzu. Düster, grau hingen die Wolken tief herab, der Wald sah aus, als schliefe er noch, nichts rührte und regte sich ringsum. Es kam auch kein Michele mit seinen Geißen. Der saß bei der Bäuerin und half Gemüse putzen, und er dachte dabei sehnsüchtig an seinen Freund Kasperle. Dessen Sehnsucht nach Michele war nicht minder groß. Er langweilte sich arg in dem einsamen Schloß, und weil er nicht wußte, was er anfangen sollte, begann er das Schloß von oben bis unten zu durchwandern. Er setzte sich auf alle Polsterstühle, räkelte sich auf allen Sofas herum, und zuletzt kam er wieder in des Herzogs Schlafzimmer. In dem hingen allerlei Bilder, darunter das einer Schäferin, die ein Lämmchen an einem himmelblauen Bande führte. Dies Bild gefiel Kasperle besonders gut. Um es besser zu sehen, rieb er ordentlich seine große Nase daran, ja er fing an, das Lämmchen zu streicheln. Dabei fühlte er an dessen Halsband eine kleine Erhöhung, und weil er wissen wollte, was dies bedeute, drückte er ordentlich fest darauf. Da rauschte es plötzlich sacht, das Bild wich von der Wand, und Kasperle sah erstaunt in einen kleinen Raum hinein; kühl und dumpf wehte es ihm daraus entgegen.

Erschrocken sprang Kasperle gleich in das goldene Bett hinein, er kroch unter die Decke, und da lag er eine Weile zitternd vor Angst. Aber alles blieb still. Nur draußen rauschte und rauschte unablässig der Regen. Kasperle steckte scheu den Kopf unter der Decke wieder hervor. Die geheimnisvolle Türe, die das Bild verdeckte, stand noch halb offen, und in dem Raum dahinter war es auch ganz still.

Kasperle seufzte schwer. Er hatte Angst, aber neugierig war er auch. Endlich siegte doch die Neugier, und er kletterte wieder aus dem Bett heraus und schaute hinter das Bild. Eine ganz enge, schmale Kammer war es, die sich vor ihm auftat; aus der führte ein Trepplein in die Tiefe. Die Kammer selbst war in ein grünliches Licht getaucht, und Kasperle sah, daß sie ein rundes Fensterloch hatte, vor dem der Efeu ganz dicht gewachsen war; man mochte wohl von draußen das runde Fenster gar nicht sehen hinter der dichten Efeuwand. In der kleinen Kammer selbst stand nur eine altmodische Kiste, in die Kasperle eiligst seine Nase steckte.

Potztausend, sah es darin aus! Ein paar silberne und goldene Becher und eine goldene Kette lagen drin und ein dicker Beutel voll Gold. Darüber war ein roter Samtvorhang gebreitet, der schon recht verblichen war. Kasperle nahm ihn sich um, hängte sich die goldene Kette an den Hals und spazierte so ein Weilchen hin und her. Doch dann erwachte wieder die Neugierde. Er warf alles in die Kiste zurück und begann das Trepplein hinabzusteigen, Stufe um Stufe. Etwas bänglich war ihm doch zumute, und als ihm von unten herauf eine feuchte Dunkelheit entgegengähnte, da kehrte er rasch um und schlüpfte wieder in das Schlafzimmer. Er zog das Bild wieder zurück, ganz leicht ging es nicht, aber plötzlich schnappte es ein, und von der geheimnisvollen Kammer war nichts mehr zu sehen.

Kasperle suchte nun wieder den Knopf am Halsband des Lammes, er fand ihn, drückte darauf, und wieder rauschte die Türe auf. Das muß Michele sehen, dachte Kasperle, als er die Türe wieder schloß. Er ging nun überall im Schloß herum und untersuchte alle Bilder, weil er dachte, hinter jedem Bild müßte eine geheime Türe sein. Doch soviel er den steifen Herren und Damen, deren Bilder die Wände schmückten, auch auf die Nasen, Münder, Augen und Bäuche drückte, keine Tür tat sich mehr auf. Darüber wurde es Abend, und Kasperle kroch wieder ins Bett. Er freute sich dabei auf den kommenden Tag, da würde doch sicher schönes Wetter sein.

Doch der Regen rann und rann. Am nächsten Morgen war es noch grauer; noch düsterer sah der Wald aus, und wieder blieb Michele mit seinen Geißen daheim. Kasperle langweilte sich und rumorte wieder im Schlosse herum. Das geheime Kämmerchen untersuchte er ganz genau, er ging auch ein paar Schritte die Treppe hinab, weit wagte er sich aber nicht. Er holte sich wieder eine Wurst aus der Räucherkammer; doch die wollte ihm gar nicht mehr so recht schmecken. Micheles Brot und die Himbeeren im Walde waren besser gewesen. Und draußen regnete es weiter. Immerzu, ohne Unterlaß rann es vom Himmel herab, und am nächsten Morgen war es wieder so. Da blieb Kasperle vor lauter Kummer im Bette liegen, bis auf einmal ein helles Licht das Zimmer erfüllte. Kasperle sprang auf und sah hinaus. Draußen war soeben die Sonne hervorgekommen, sie hatte endlich die Regenwolken besiegt. Hier und da schimmerte der Himmel tiefblau, und die grauen Wolken jagten davon, als hätten sie die allergrößte Angst, von Frau Sonne noch beim Schwänzlein genommen zu werden. Heisa, nun wurde morgen gewiß schönes Wetter!

Kasperle tanzte vergnügt im Zimmer herum. Dann rannte er wieder im Schloß treppauf, treppab, holte sich eine riesengroße Wurst, die er morgen mitzunehmen gedachte, und kroch dann vergnügt in sein seidenes Bett. Morgen, morgen würde er seinen Freund Michele wiedersehen.

In dieser Nacht kam auch der Mond zum Vorschein. Er war zwar noch blaß, und es fehlte ihm ein ganzes Stück am Rundsein, doch ging schon ein feiner, wunderbarer Glanz von ihm aus. Er stand gerade über der Waldwiese vor dem Schloß, als Kasperle einmal aufwachte und verschlafen dachte: Nun regnet es schon wieder. Er sah durch das Vorhangritzchen, da sah er den Mond glänzen, und das Rauschen, das er hörte, kam vom Wald herüber. Aber noch etwas anderes hörte er: Getrappel und dann Stimmen; vom Försterhaus herüber tönte es, und im klaren Licht des Mondes sah Kasperle einen Reiter vor dem Hause drüben halten. Es wurde ihm ganz unheimlich, und rasch kroch er wieder in sein Bett, tief unter die seidene Decke. Da schlief er denn auch bald ein.

Als Kasperle am Morgen aufwachte, dachte er erstaunt: Was ist denn das? Es rummelte, knarrte, klappte und klirrte laut im Schloß, es war gar nicht so still wie sonst. Ja, und auf einmal ertönte ein lautes Rufen: »Matthias, Matthias, jetzt wollen wir erst in dem Herzogszimmer scheuern!«

Mit einem Satz war Kasperle aus dem Bett heraus. Eine furchtbare Angst ergriff ihn. Menschen waren im Schloß! Wenn ihn die nun erwischten! Ein paar Augenblicke wußte er vor Entsetzen gar nicht, was er tun sollte; doch da fiel ihm die Kammer hinter dem Bilde ein. Flugs schlug er auf den Knopf, die Türe rauschte leise auf, Kasperle nahm seine Sachen und die Wurst und witschte in die Kammer. Es war die höchste Zeit, denn draußen dröhnten schon schwere Schritte über den Flur, und kaum hatte sich die Bildtüre geschlossen, als der Förster und seine Frau das Zimmer betraten. Kasperle vernahm einen lauten Schrei, die Försterin hatte das zerwühlte Bett erblickt. »Matthias, Matthias,« rief sie, »es ist wahrhaftig jemand im Schloß gewesen! O du meine Güte, und in des Herrn Herzogs Bett hat er gelegen! Wenn das unser gnädiger Herr wüßte!«

Der Förster brummte und knurrte, Kasperle hörte ihn sagen, es müßte gerade ein Gespenst gewesen sein, von einem lebendigen Menschen hätte er doch etwas merken müssen, auch seien ja alle Türen verschlossen gewesen. »Matthias, die kleine Pforte war ja auf!« schrie die Försterin. »Weißt du, von der der Schlüssel verloren gegangen ist. Jemine, jemine, wenn etwas gestohlen worden ist!«

Die Försterin weinte und klagte, der Förster knurrte und brummte, und Kasperle hörte ihn sagen, daß er die kleine Pforte verriegeln wolle.

»Nein, nein,« rief seine Frau, »unser großes Vorlegeschloß tu dran, das hält besser!«

Kasperle erschrak. Wenn der Förster die Türe mit einem Schloß verschloß, dann konnte er nicht hinaus und –. Da sagte die Försterin: »Und morgen kommt der Herr Herzog schon. Spute dich, Matthias, damit wir fertig werden!«

Alle guten Geister! Morgen wollte der Herzog kommen, und geschlossen sollte werden. Wie sollte er denn da zum Michele kommen? Kasperle dachte: Ich klettere in der Nacht unten zu einem Fenster hinaus und schlafe im Walde. Damit tröstete er sich über diesen Tag hinweg. Den mußte er freilich in dem Kämmerlein verbringen, denn der Förster und seine Frau wirtschafteten immerzu im Schloß herum, und er wagte es nicht, sein Versteck zu verlassen. Doch als es dunkelte, wurde es still im Schloß, er hörte noch Türen klappen, dann schwieg alles, und endlich wagte er es, die Bildtüre zu öffnen. Er nahm seine Wurst unter den Arm, die er schon halb aufgegessen hatte, und schlich sich leise durch des Herzogs Schlafzimmer, drückte an der Tür die Klinke nieder und – merkte, er war eingeschlossen.

Von außen war das Zimmer verschlossen, und als Kasperle versuchte, das Fenster zu öffnen, sah er erst, daß dies vergittert war. Er konnte nicht hinaus, er war gefangen. Kasperle stöhnte, seufzte und weinte und rannte verzweifelt im Zimmer hin und her; es half ihm alles nichts, er konnte nicht hinaus. Zuletzt kroch er wütend in des Herzogs Bett, das mit feinem schneeweißem Linnen überzogen war. Und heulend wühlte sich Kasperle in die Kissen, und er schlief in dieser Nacht nicht wie ein Säcklein, sondern wachte immer und immer wieder auf. Am Morgen vernahm er lauten Lärm: Hörnerblasen, Wagenrollen, Hufschlag und Stimmengewirr. Und als er erschrocken aufsprang und hinausspähte, sah er draußen einen ganzen Zug Reiter ankommen, ein paar Wagen dabei; der Herzog hatte die Fahrt zu seinem Jagdschloß in den frühesten Morgenstunden gemacht, weil es ein heißer Tag zu werden drohte.

Das war der Herzog, sein Feind. O jemine! Kasperle sah ihn aus dem Wagen steigen, und da entwischte er flink in sein Versteck. Er zitterte vor Angst, und ganz verdattert und bedrückt hockte er auf der Geldkiste nieder. Wie sollte er nun entfliehen?

Im Schloß wurde es laut. Kasperle vernahm Schritte, und dann hörte er auch, wie in des Herzogs Schlafzimmer die Türe aufgeschlossen wurde und ein lautes, erschrockenes Rufen ertönte. Himmel, das Bett! Daran hatte das dumme Kasperle gar nicht gedacht.

In seinem Versteck konnte er genau alle Stimmen unterscheiden. Jemand schalt heftig, das war der Herzog, und dann weinte jemand, das war die Försterin. Sie schwor, das Zimmer sei ganz in Ordnung und verschlossen gewesen; es müsse gerade ein Gespenst im Schlosse sein. Und sie beschrieb, wie gestern so viele Türen offen gestanden haben und auch das Bett zerwühlt gewesen sei. Nur ein Gespenst habe das anrichten können. Von den verschwundenen Würsten sagte sie nichts; das hatte noch niemand gemerkt, auch von dem offenen Pförtlein schwieg sie, weil sie ein schlechtes Gewissen hatte.

Als die Försterin immerzu rief: »Ein Gespenst, ein Gespenst muß im Schlosse sein!« bekam es Kasperle mit dem Lachen. Er hielt sich selbst die Hand vor den Mund, um nicht laut hinauszuplatzen. Weil er aber irgend etwas tun mußte, um seiner Lustigkeit Luft zu machen, schlenkerte er das linke Bein hin und her; er traf dabei einen der silbernen Becher, und der rasselte mit großem Getöse zu Boden.

Nebenan erhob sich ein lautes Geschrei. Der Herzog rief: »Was war das, was war das?« und die Försterin antwortete schluchzend: »Das Gespenst, das Gespenst!«

»Es muß alles genau untersucht werden,« befahl der Herzog. »Auch soll das Schloß ringsum bewacht werden. Schnell, schnell, sucht alle Räume ab!«

Dem Kasperle schlug das Herz. Er hörte, wie sich das laute Rufen weiter im Schlosse fortsetzte, und er hörte auch, wie nebenan jemand sagte, der Leibarzt müsse kommen, der Herzog sei vor Schreck krank geworden. O heiliger Bimbam! Wenn der Herzog krank war, legte er sich vielleicht ins Bett, und das Kasperle war noch mehr gefangen.

Und wirklich, der Herzog legte sich auch ins Bett. Er war nämlich an diesem Tag zu früh aufgestanden, das war seine schlimmste Krankheit. Während der Leibarzt kam und der Kammerdiener allerlei gute Dinge herbeibrachte für den Herzog, saß nebenan Kasperle trübselig auf der Geldkiste. Er kaute an der Wurst herum, die schmeckte ihm gar nicht mehr, denn er war durstig geworden und sehnte sich nach dem schönen Quellwasser, das er mit Michele zusammen getrunken hatte. Dazu wurde es allmählich dunkel in dem Kämmerchen, das winzige runde Fenster mit dem dichten Grün davor ließ wenig Licht ein. Auch ging draußen der Tag zu Ende, und zuletzt umgab Kasperle nachtschwarze Dunkelheit. Doch auf einmal kam ein feiner, schmaler Lichtstreif in die Kammer, und Kasperle sah zu seinem Erstaunen an der Wand ein rundes, helles Loch. Er rutschte vorsichtig von seiner Kiste herunter, tappte sich zu dem Loch hin und sah nun zu seinem großen Erstaunen durch die kleine Öffnung gerade in des Herzogs Schlafzimmer hinein. An der Stelle hing innen in des Herzogs Zimmer das Bild eines Urahnen. In seinem Schwertknauf war das kleine Guckloch, und es sah niemand im Zimmer Kasperles glitzernde Äuglein neugierig hereinspähen. Der Herzog lag im Bett, der Leibarzt saß daneben, dabei noch zwei Herren. In dem einen erkannte Kasperle gleich den Grafen, Rosemaries Vater. Sie sprachen von der seltsamen Unordnung, die in dem Schlosse geherrscht hatte; der Herzog erzählte davon dem Grafen, der erst später gekommen war. Kasperle spitzte arg seine Ohren, und dabei drückte er sich fester an die Wand. Da rief drinnen der Herzog: »Was raschelt da so?«

Kasperle fuhr erschrocken zurück, verlor dabei das Gleichgewicht und purzelte mit ungeheurem Getöse von der Kiste herab. O jemine, gab das wieder einen Aufstand! »Es ist nebenan,« rief der Herzog, »in dem Saal, schnell, schnell, man muß nachsehen!«

Da rannte und lief alles, was Beine hatte, in den großen Speisesaal, der an des Herzogs Zimmer grenzte. Die Wände des Schlosses waren ungeheuer dick, und es kam niemand auf den Gedanken, hinter den riesigen Schränken, die im Speisesaal standen, könnte die Mauer ganz dünn sein. Die Schränke wurden abgesucht, Geschirr stand darin, Wäsche lag in den Fächern, von einem raschelnden, purzelnden Gespenst war aber nichts zu sehen. Von der schmalen Kammer zwischen den Wänden ahnte niemand etwas.

Dem armen Herzog war es vor Schreck ganz übel geworden. Als Kasperle endlich wagte, wieder durch das Löchlein zu schauen, sah er den Herzog Kamillentee trinken. Und gerade hörte er den Kammerdiener sagen: »Wenn das Gespenst nur nicht das Kasperle ist!«

»Wer, was, das Kasperle? Wie kommst du darauf?« Der Herzog richtete sich erschrocken auf und machte solche böse Kulleraugen, daß Kasperle sich flink zusammenduckte.

»Ja,« sagte drüben der Diener, »ein Landjäger hat erzählt, sie hätten vor einiger Zeit das Kasperle beinahe in Waldrast gefangen, doch sei es da wieder auf unglaubliche Weise entwischt. Und nirgends ist das Kasperle seitdem gesehen worden. Waldrast ist nahe, da ist es doch möglich, daß sich der kleine Kobold hier versteckt hat.«

»Ja, ja,« rief der Graf aufgeregt, »so wird es sein! Sicher steckt dieser Unhold hier irgendwo im Schloß.«

Aber der Herzog meinte doch, dies sei nicht gut möglich, beinahe möchte er an ein Gespenst glauben.

»Mit Verlaub,« sagte da der Haushofmeister, der eben eingetreten war, »ein Gespenst frißt doch nicht die Räucherkammer beinahe leer! So etwas habe ich noch nie von einem Gespenst gehört.«

Da riefen alle, nein, das hätten sie auch noch nicht gehört, und so etwas wäre dem Kasperle schon eher zuzutrauen. Und als der Haushofmeister nun erzählte, wie viele Würste in der Räucherkammer fehlten, da befahl der Herzog streng: »Man muß suchen, auf dem Boden, in den Kellern, überall, auch in den Schornsteinen, und wer das Kasperle findet, dem gebe ich einen hohen Orden. Er wird auch Graf, wenn er das nämlich nicht schon ist. Das Kasperle, den Unhold, will ich aber streng bestrafen, wehe ihm!«

Sie redeten alle so viel durcheinander, wo wohl der kleine Unhold stecken könnte, daß niemand den tiefen Seufzer vernahm, den Kasperle ausstieß. Ach, es war schon schlimm! Er war gefangen, wurde verfolgt, und wer weiß, wie übel es ihm erging, wenn er entdeckt wurde! Als alle drinnen in des Herzogs Zimmer laut redeten, legte sich Kasperle müde auf den Fußboden nieder, vielleicht konnte er seine Angst verschlafen. Und Kasperle schlief wirklich ein, und im Schloß schliefen nach und nach auch alle ein. Sie hatten sich müde gesucht, und schließlich sagten sie: »Es ist sicher ein Gespenst, ja, und Gespenster findet man nicht.«

Selbst der Herzog war eingeschlafen in seinem schönen Bett, um das Kasperle ihn sehr beneidete. Der Kleine wachte aber mitten in der Nacht auf, der Mond schien ihm gerade auf das Gesicht. Ganz wunderlich war es. Hinter dem runden Fensterloch stand noch schief, aber glänzend der Mond und erleuchtete die winzige Kammer. Ach, dachte Kasperle, wäre ich doch jetzt auf der Waldwiese! Und weil er sich sehr arm und verlassen vorkam, seufzte er recht tief und vernehmlich.

»Johann,« schrie nebenan der Herzog, »hörst du, es hat geseufzt!«

»Jawohl, es hat geseufzt,« antwortete der Diener verschlafen. »Es ist doch ein Gespenst!«

Das kam Kasperle spaßig vor, daß er nun wieder ein Gespenst sein sollte. Er seufzte noch einmal und noch einmal, und da schrie drinnen der Herzog, man solle flink alles ableuchten, um zu sehen, was da seufze. Flugs schwieg Kasperle wieder, weil aufs neue das halbe Schloß lebendig wurde. Diener kamen, der Haushofmeister kam, Kammerherren rannten herbei, und alle lauschten auf das Seufzen. Aber Kasperle war muckstill, da wurde es auch drüben still, alle gingen wieder zu Bett.

Der Herzog war gerade wieder eingeschlafen, als das Geseufze wieder anfing. »Das Gespenst seufzt wieder!« Der Herzog schrie, der Diener schrie, und wieder rannten alle herbei, horchten und hörten doch nichts. Kasperle zappelte vor Vergnügen, und bums! klirrte und dröhnte die alte Kiste, an die er gestoßen war.

»Das Gespenst, das Gespenst!« Nebenan redeten viele Stimmen durcheinander, und Kasperle verhielt sich nun ganz still, denn auf einmal sagte jemand, man müsse die Wände morgen abklopfen; vielleicht sei einmal jemand eingemauert worden, und der geistere nun herum.

»Das ist recht,« antwortete der Herzog, »man soll morgen gleich den Hofbaumeister holen.«

O weh! Da verging dem Kasperle wieder der Übermut. Wenn der Hofbaumeister die Wände abklopfte, fand er sicher die geheime Türe, und man entdeckte ihn, das Kasperle. Er wurde muckstill, und nichts störte fortan den Herzog mehr. Dabei schlief Kasperle nicht einmal. Der dachte an die Flucht, und er beschloß, morgen doch die Treppe hinabzusteigen, vielleicht fand er da einen Ausgang.

Als die Sonne aufging und Licht durch das grüne Fensterloch in das Kämmerchen floß, rüstete sich Kasperle zur Flucht. Seinen letzten Wurstzipfel nahm er mit und den Geldsack aus der Truhe. Das raschelte und klirrte wieder, und der arme Herzog nebenan erwachte von dem Geräusch. Weil dann aber alles still blieb, dachte er, er habe geträumt. Er klingelte nach seiner Morgenschokolade. Das hörte Kasperle noch, als er das schmale Trepplein in die Tiefe hinabstieg. Ach lieber Himmel, er hätte auch lieber Schokolade getrunken, als in die Finsternis zu steigen! Er tastete sich den schmalen Gang entlang, in den die Treppe mündete; feucht und kühl war es, und ein paarmal huschte etwas vor dem erschrockenen Kasperle vorbei, es mochten Ratten sein. Kasperle ächzte vor Angst, dumpf dröhnte das Echo wieder, und in der Küche ließ just in dem Augenblick die Köchin des Herzogs die Morgenschokolade fallen. »O du meine Güte,« schrie sie, »nun geistert es hier auch, hört nur!«

Alle Küchenjungen und Küchenmägde hatten das Geächze vernommen, denn Kasperle war gerade unter der Küche hinweg gewandert. Endlos schien der Gang zu sein, er ging weiter und weiter, aber auf einmal sah Kasperle es in der Ferne hell werden. Nun rannte er, so schnell er mit dem Geldsäcklein vorwärts kam, plötzlich sah er dicht vor sich dichtes, dichtes Gebüsch. Er kroch hindurch, da stand er im Wald, und nicht weit davon lag das Schloß. Kasperle wollte weiterrennen, denn er dachte an die Wächter, die das Schloß bewachten, doch da hüpfte und sprang es um ihn herum, und neben ihm schrie Michele: »Endlich kommst du, endlich!«

Kasperle hielt nicht an. Er packte Micheles Hand und zog ihn mit fort, die Geißen folgten, und erst als alle weit drinnen im Walde waren, begann Kasperle seine Abenteuer zu erzählen. »Da,« sagte er stolz und hielt Michele den Geldbeutel hin, »den habe ich dir mitgebracht.«

Aber Michele griff nicht nach dem Beutel. Der sah den Freund tief erschrocken an. »Kasperle,« sagte er leise, »das Geld gehört dem Herzog; das – das – ist – gestohlen!«

»Nä!« Kasperle riß seine Augen weit auf. »Ich hab’s doch gefunden!«

»Aber das Schloß gehört dem Herzog, und alles, was drin ist, gehört dem Herzog!« Michele war blutarm, und er wäre himmelgern lieber ein Geigenspieler statt ein Knechtlein geworden, und doch rührte er den Beutel nicht an. »Du mußt das Geld zurücktragen,« sagte er, »es gehört dir nicht. Weißt du, schon die Würste zu nehmen war arg böse.« Und Kasperle mochte sagen, was er wollte, Michele blieb dabei.

Da schaute das Kasperle seinen Freund nachdenklich an und flüsterte leise: »Du bist gut.« Er ließ den Kopf hängen, denn er schämte sich, daß er nur ein unnützes Kasperle war; er wäre auch gern so ein braver kleiner Menschenjunge wie das Michele gewesen. Und so schrecklich es ihm war, noch einmal durch den langen, langen, finstern Gang zu gehen, er sagte doch, er wolle es tun.

»Gleich,« riet Michele, »ehe der Hofbaumeister die Türe findet.« Er kramte aus seiner Tasche ein Stückchen Licht und eine Schachtel Streichhölzer heraus; auf den Besitz war er sehr stolz, aber für den Freund gab er die Herrlichkeiten hin.

Und Kasperle kroch wirklich durch das Gebüsch in den unterirdischen Gang hinein. Innen zündete er das Lichtlein an, da war es gar nicht so schlimm, er kam bis zur Treppe, und da – wurde das Kasperle wieder unnütz. Er schleuderte nämlich den Geldsack heftig gegen die Türe, der Herzog sollte noch einmal tüchtig erschrecken. Doch was war das, – die Türe ging auf! Das schwere Säcklein hatte die geheime Feder getroffen.

Ein lautes Schreien erscholl, und Kasperle rannte Hals über Kopf die Treppe hinab, in den Gang hinein. Das Licht ging ihm aus, er wagte gar nicht, es wieder anzuzünden. Er rannte und rannte, endlich wurde es hell, er kroch durch das Gebüsch. Unweit davon weidete Michele seine Geißen. »Ausreißen!« rief Kasperle, »ausreißen!«

Michele ahnte, es war etwas Schlimmes geschehen. Er trieb seine Herde an, und die armen Geißen mußten wieder laufen, daß ihnen Hören und Sehen verging. Erst als sie an dem Ort angelangt waren, an dem die Freunde sich zuerst getroffen hatten, hielt Michele an. Kasperle sank ganz atemlos zu Boden, Michele brachte ihm Wasser, gab ihm Brot, und erst dann konnte der kleine Schelm erzählen, was geschehen war. Er blickte dabei Michele verlegen an. Was würde der sagen?

Doch Michele war eben auch ein Bube mit Freude an unnützen Streichen. Er lachte und meinte, der Herzog habe sich gewiß über das Geldsäcklein gefreut, und nun wüßten sie auf dem Schloß doch, wo die geheime Schatzkammer sei. »Aber nun hast du keinen Unterschlupf,« fügte er traurig hinzu. »Hier zwischen den Felsen ist zwar eine kleine Höhle, aber lange drin hausen kannst du nicht. Und – und« – Michele tat einen ganz tiefen Seufzer – »was machst du, wenn ich nicht mehr komme?«

Kasperle riß erschrocken seine Augen und seinen Mund weit auf. Michele wollte nicht mehr kommen! Ja warum denn nicht? Da erzählte ihm der Kamerad, in den nächsten Tagen zögen sie mit allen Rindern und Geißen aus dem Dorf für ein paar Wochen auf eine hochgelegene Bergwiese; da müsse er mit, um alle Tage die Milch hinabzufahren.

»Ich geh’ mit,« schrie Kasperle, denn das Hausen auf der Bergwiese schien ihm lustig zu sein.

Doch Michele schüttelte betrübt den Kopf. »Es geht nicht,« sagte er ernsthaft, »du mußt weiterwandern; hier finden sie dich. Bei uns ist auch schon ein Landjäger gewesen, um nach dir zu suchen.«

Kasperle ließ bedrückt den Kopf hängen. Ach, das Weiterwandern machte ihm keinen Spaß mehr, und am liebsten wäre er in das Waldhaus zurückgekehrt! Doch wo war das? Er wußte den Weg zurück nicht mehr, zuviel war er kreuz und quer gelaufen, und Michele wußte es auch nicht. Der gab aber verständigen Rat. Am letzten Tag wollte er Kasperle ein großes Brot herauftragen, der dafür seine Batzen gab, die die Schulmeisterin ihm geschenkt hatte. Dann sollte der Kleine immer oben auf dem Bergrücken weiterwandern und ein paar Tage alle Dörfer meiden, bis er in das Fürstentum S. gelangt sei. Dort, meinte Michele, könnte ihn der Herzog wohl nicht fangen lassen. »Wenn du an einen blaugelben Grenzpfahl kommst,« sagte Michele, »dann bist du an der Grenze.«

Kasperle versprach, sich alles zu merken, auch fortan sehr vernünftig zu sein. Er tat auch, wie Michele ihm geraten, kroch in die Felsenspalte, als der Freund mit seinen Geißen heimwärtszog, und drin schlief er die Nacht besser als im Gespensterkämmerlein.

Dreizehntes Kapitel

Der bunte Garten

Das Geldsäcklein, das Kasperle so heftig an die Türe geschleudert hatte, war dem Herzog gerade auf den Magen gefallen. Platsch, da lag es, platsch, da lag auch die Schokolade, und der Herzog schrie, als hätte er das vom Kasperle gelernt. »Das Gespenst, das Gespenst!« brüllte er, und wieder rannte, wer das Schreien hörte, herbei, und alle starrten in die schmale Kammer hinein, und keiner traute sich recht hineinzugehen. Vielleicht saß das boshafte Gespenst noch irgendwo in der Ecke. Endlich kamen etliche Kammerherren, auch Rosemaries Vater; die untersuchten das Kämmerlein, sahen die Schatzkiste, sahen auch die Treppe und stiegen in den dunklen Gang hinab. Auf dem Flur drängten sich die Küchenmägde zusammen und jammerten: »Das Gespenst wird uns alle totmachen!«

Der arme Herzog lag ganz käseweiß in seinem Bette, und der Leibarzt gab ihm Magentropfen und sagte, Kamillentee würde wieder helfen. Ehe der Herzog aber noch Kamillentee getrunken hatte, kamen die Kammerherren zurück; einer hielt einen Wurstzipfel in der Hand und sagte: »Den muß das Gespenst verloren haben. Und da Gespenster doch keine Würste essen, muß es schon jemand Lebendiges gewesen sein.«

»Das Kasperle war’s,« rief der Herzog. »Ich glaube auch, ich habe es gesehen, als die Türe aufging.«

Der Graf meinte auch, es könnte wohl Kasperle gewesen sein, denn ein Einbrecher hätte nicht mit dem Geldsack Fangeball gespielt, sondern den lieber mitgenommen.

»Die ganze Gegend muß abgesucht werden,« befahl der Herzog, »irgendwo muß doch der kleine Kobold zu finden sein!«

Als Michele an diesem Abend seine Herde heimtrieb, ging er dicht am Schloß vorbei. Er traf auch eine Küchenmagd, und als er die ein bißchen dies und das fragte, da erzählte ihm die flugs alles, was geschehen war. Dem Michele wurde das Herz schwer, und er konnte in der Nacht gar nicht ordentlich schlafen vor lauter Angst um Kasperle. Er trieb am andern Morgen seine Herde so früh aus, daß die Bauersfrauen schalten, es sei noch bald nachtschlafene Zeit. Als Michele am Schloß vorbeikam, sah das auch noch ganz verschlafen aus; an der Stelle aber, wo der geheime Gang in den Wald lief, stand ein Wächter. Der blickte grimmig drein und schrie Michele zu: »Nimm heute deine Geißen in acht, Bub, nachher wird der Wald von Jägern und Hunden abgesucht.«

Ei, da rannte das Michele, und die armen Geißen konnten nicht genug hopsen und springen. Michele trieb sie zu immer größerer Eile an, und der Wächter lachte hinter ihm her. Hätte der nur geahnt, zu wem das Michele eilte! Der fand Kasperle noch in seiner Felsspalte sitzen, und aufgeregt erzählte er ihm die neue Gefahr. »Bleib da drinnen,« sagte er, »ich pflanze flink einen Busch davor, da sieht dich niemand.«

Und Michele tat, wie er gesagt hatte. Er grub einen Busch aus, pflanzte den vor die kleine Höhle und machte das so geschickt, daß wirklich der Eingang verdeckt wurde. Kasperle saß innen, Michele außen. So schwätzten sie zusammen.

Die Mittagsstunde kam, es blieb ganz still im Walde, und gerade sagte Kasperle, nun wolle er ein bißchen herauskommen, als aus der Ferne her lautes Rufen und Hundegebell erklang. Da schlugen den beiden Kameraden die Herzen arg, denn näher und näher kam der Lärm. Und auf einmal trat der brummige Matthias mit zwei andern Jägern aus dem Walde heraus. Als der Förster Michele so ruhig seine Geißen weiden sah, rief er nur hinauf: »Ist hier jemand vorbeigekommen?«

»Nä, niemand!« schrie Michele, und er dachte mit heimlichem Lachen vergnügt bei sich: Nun sage ich es doch richtig; wer innen sitzt, ist doch nicht vorbeigegangen!

Die Jäger zogen weiter. Einer der Hunde freilich kam angesprungen, der roch am Boden des Kasperles Spur. Doch Michele fing jämmerlich an zu schreien: »Meine Geißen, meine Geißen!« Da lockte Matthias den Hund zu sich, und Kasperle blieb unangefochten in seiner Felsspalte sitzen.

Danach wurde die Ruhe nicht mehr gestört, und wieder zog Michele mit seinen Geißen heim, und Kasperle blieb einsam zurück. Er dachte voll Sehnsucht an des Herzogs seidenes Bett; da hatte er schon weicher drin gelegen!

Und wieder brach ein heller, schöner Tag an. Das war aber ein Abschiedstag. Michele kam mit dem Brot, zum letztenmal trieb er heute die Geißen aus. Ganz trübselig hockten die beiden Freunde zusammen, und als das Michele scheiden mußte, da fing Kasperle bitterlich zu weinen an.

Der Freund versuchte ihn zu trösten, aber Kasperle heulte wie ein kleiner Gießbach, und zuletzt heulte Michele mit. Das einsame, verlassene Kasperle tat ihm bitter leid, und am liebsten wäre er mit ihm in die weite Welt gelaufen. Zuletzt aber mußten sie doch scheiden. Kasperle blieb allein in seinem Felsenloch sitzen, und Michele trieb trübselig seine Geißen heim. Er ließ den Kopf hängen, rannte unterwegs beinahe etliche Bäume um und ebenso das Schloß, wenigstens stieß er fest mit der Nase daran, und ein Wächter rüffelte ihn grob darum. Der schrie auch: »He, hier treibt sich ja ein fremder Bube herum!« und es war gut, daß der brummige Matthias den kleinen Geißenhirten kannte. So entkam der und wurde nicht weiter nach dem Kasperle gefragt.

Kasperle hockte traurig in seiner Höhle. Schlafen mochte er gar nicht, und als der Mond aufging, der nun schon ziemlich voll und rund war, da rüstete sich Kasperle, weiter in die Welt hinein zu wandern. Er buckelte das Rucksäcklein auf, das Michele ihm noch von sich gegeben hatte, und in dem das Brot steckte, nahm einen Stock, den ihm der Freund geschnitten, und wanderte in die stille Nacht hinaus.

Der Mond goß helle silberne Lichtströme auf Kasperles Weg. Ganz einsam war der, nur einmal sah der kleine Schelm ein Dorf in der Ferne liegen. Da dachte er an Micheles gute Lehren und machte einen weiten Bogen darum herum. Als es Tag wurde, suchte er sich tief im Wald einen verborgenen Platz, da lag er und schlief, bis der Abend dämmerte, dann stand er auf und wanderte weiter.

Fünf Nächte lang wanderte das Kasperle so einsam dahin, und sein Brot hatte er bis auf ein Schnitzchen aufgegessen. Endlich erblickte er in der Morgenfrühe einen Grenzpfahl, und in der Ebene, unten im Tal, sah er eine größere Stadt liegen. Er schlief nur ein paar Stunden an diesem Tage, zur Mittagszeit aß er seinen letzten Brotschnitz, und dann stieg er ins Tal hinab. Doch die Stadt war ferner, als er gedacht hatte, und die Sonne hatte sich schon ihr schönes rotes Abendkleid angezogen, als Kasperle endlich an einem der Stadttore anlangte. Um die Stadt herum lief nämlich noch eine uralte Mauer. Die hatte Tore und Türme, und von den kleinen Turmfenstern herab hingen rote Hängenelken, und Geranium blühte daran.

Kasperle sah aber gar nicht, wie hübsch das war, der erblickte etwas viel viel Schöneres. An der Stadtmauer außen lag ein großer Garten, in dem tausendfältig bunte Sommerblumen blühten. Da säumten die schönen Malven die Wege, golden leuchteten Beete voll gelber Ringelblumen; Rittersporn und Eisenhut, Braut im Haar und Hiobstränen, alles blühte dicht nebeneinander. Gelbe Rosen, rote Nelken hingen von der alten Stadtmauer herab, und Kasperle staunte die bunte Pracht an und dachte, der Festsaal im Herzogsschloß sei nicht halb so schön als dieser Garten. Zwischen den Beeten ging ein alter, weißbärtiger Mann herum, der begoß sorgsam Pflanze um Pflanze. Er bückte sich, hob die Gießkanne auf, goß sie leer und füllte sie wieder an einem Brünnlein. Es sah aber so aus, als würde ihm dies alles recht schwer. Und wie er gerade wieder eine Gießkanne füllen wollte, stand auf einmal Kasperle neben ihm. Der nahm die Kanne, – schwipp, schwapp, begann er mit einem großen Geplantsche zu gießen. Dazu lachte er über das ganze Gesicht, und der alte Gärtner lachte mit. Dem gefiel der kleine Helfer, der einfach über den Zaun gestiegen war, ganz gut. Er setzte sich auf eine Bank, und Kasperle goß den Garten; er meinte, eine vergnüglichere Arbeit habe er noch nie getan. Es gefiel ihm sehr gut in dem bunten Garten, in dem ein kleines, ganz grün überwachsenes Haus stand. Und als Kasperle fertig war, setzte er sich auf die Bank neben den alten Gärtner, blinkerte den zutraulich an und fragte: »Darf ich bei dir bleiben?«

Der Alte lachte. »Du bist ja ein schnurriger Bube!« sagte er. »Wer bist du denn? Woher kommst du? Wie heißt du?«

Kasperle seufzte tief. Bei dem alten Mann ging es ihm wie beim Michele, er konnte seine Lügengeschichten nicht erzählen, er schämte sich. Betrübt ließ er den Kopf hängen, und der alte Gärtner fragte ernst, doch voll Güte: »Du bist wohl ausgerissen, Kleiner?«

Wieder seufzte Kasperle, aber sagen konnte er nicht, wer er war; er hatte zu große Angst vor den Menschen bekommen. Da nahm der Alte ihn sacht an der Hand, führte ihn in das kleine Haus und sagte freundlich: »Bleibe nur bei mir in meinem Garten! Morgen sagst du mir wohl, wer du bist.«

Und Kasperle blieb. Sie aßen zusammen Abendbrot, und der alte Gärtner erzählte von seinen Blumen, wie die wuchsen und blühten, und Kasperle wurde nicht müde zuzuhören. Inzwischen war die Sonne ganz untergegangen, und der Alte sagte zu Kasperle, er solle schlafen gehen; er zeigte ihm auch eine kleine Kammer, darin stand ein Bett. Das dünkte dem Kasperle herrlich weich nach den vielen Nächten, die er im Walde auf dem Boden geschlafen hatte. Durch das offene Fenster strömte der Duft der vielen, vielen Blumen in die Kammer, und wie Kasperle so lag, hub es auf einmal an zu klingen und zu tönen, eine wundersame Musik war es, und Kasperle wurde darüber hellwach. Er hatte noch nie etwas Schöneres gehört als diese feine, sanfte Musik. Ganz seltsam ergriff die ihn, und er mußte weinen. Dicke, dicke Tränen liefen dem Kasperle über das Gesicht, er dachte an seine Verlassenheit, und eine große Sehnsucht nach dem Waldhaus erfaßte ihn wieder. Immer lieblicher, zarter wurde das Klingen, und zuletzt schlief Kasperle darüber ein.

Er schlief sanft bis zum hellen Morgen, bis ihn der alte Gärtner weckte. »Komm,« sagte der, »jetzt wollen wir wieder in den Garten gehen und gießen, damit die Blumen am Tage nicht durstig werden; es wird ein heißer Tag heute werden.«

Kasperle sprang vergnügt auf, und vergnügt goß er die Blumen. Manche brauchten viel Wasser, manche hatten nur wenig Durst. Der alte Gärtner sagte ihm das alles, er nannte ihm auch die Blumen. Und dann mußte Kasperle Beeren pflücken, die reif an den Büschen hingen. Er durfte auch davon essen, die andern mußte er aber in kleine Körbe tun, die gar zierlich mit Blättern ausgelegt waren. Der Alte selbst pflückte Frühbirnen von einem Baum.

Beide waren sie noch eifrig bei der Arbeit, als etliche Frauen und Kinder kamen. Die kauften das Obst und wollten auch Blumen, sie verlangten Salat und allerlei Gemüse für die Küche. »Ei, Ihr habt Euch ja einen Lehrburschen zugelegt!« sagte die eine der Frauen, die Kasperle erblickte. Die Kinder aber starrten den kleinen Gärtnerburschen erstaunt an, und der, dem dies Angestaune gar nicht recht war, schnitt ihnen blitzschnell sein Räubergesicht.

Kreischend liefen die Kinder erst ein Stück weg, doch sie kamen gleich wieder und bettelten: »Mach’s noch mal!«

Da mußte Kasperle lachen und schnitt die lustigsten Gesichter. Die Kinder jauchzten laut, und der alte Gärtner und die Frauen sahen erstaunt hin. »Ihr habt aber einen putzigen Lehrburschen, Meister Helmer!« sagten die Frauen. »Wo habt Ihr denn den her?«

Der alte Gärtner schwieg. Kasperle kam ihm gar sonderbar vor, und als die Frauen und die Kinder endlich wieder gegangen waren, fragte er seinen kleinen Gast: »Ei du, was bist du denn für ein Schelm? Sage doch, wo hast du deine Grimassen gelernt?«

Da sah ihn Kasperle treuherzig an und erzählte ihm nun, wer er sei. Aber darüber wurde der Alte bitterböse: »Schäme dich,« rief er, »einem alten Mann solche Lügengeschichten zu erzählen! Ein Kasperle willst du sein? Ei, mein Lebtag habe ich noch nicht gehört, daß ein Kasperle etwas anderes als eine Holzpuppe ist! Pfui, ist das häßlich, so zu lügen!«

Kasperle stand ganz verdattert da, er wußte gar nicht, wie er es dem erzürnten Gärtner erklären sollte, daß er wirklich ein Kasperle sei.

Indem tat sich die Gartentüre auf, und ein feiner junger Mann trat herein. Der schaute verwundert den Alten an und sagte: »Was habt ihr denn, Meister Helmer? Ich habe Euch doch noch nie so schelten hören.«

»Ach, Sie sind’s, Herr Severin!« rief der Gärtner. »Nun hört einmal, was mir dieser Schelm, den ich gestern aus lauter Mitleid aufgenommen habe, für Lügengeschichten aufbindet!« Er erzählte ärgerlich, was Kasperle ihm eben gesagt hatte, und Herr Severin blickte dabei das Kasperle ernsthaft mit seinen schönen, dunklen Augen an. Dann schüttelte er sacht ein wenig den Kopf. »Er hat nicht gelogen, Meister Helmer,« sagte er, »es ist wirklich ein echtes, lebendiges Kasperle. Es gibt nur ganz wenige Kasperles in der Welt, und mein Lehrer, der ein hochweiser Herr war, hat mir einmal erzählt, irgendwo im Atlantischen Ozean liege eine winzige Insel, auf der die wunderschönsten Blumen blühen; dies sei die Heimat der Kasperles. Blieben sie dort, dann würden sie freilich sehr alt, aber sonst würden sie leben und sterben wie wir Menschen. Verließ aber ein Kasperle die Insel, dann könne er wohl Jahre schlafen, aber nicht sterben, er müsse immer ein kleines, törichtes Kasperle bleiben und jedes Kind müsse über ihn lachen.«

Als Kasperle diese Geschichte hörte, wurde es ihm plötzlich ganz wind und weh zumute. Er fing bitterlich an zu weinen. Wo seine Heimat lag, hatte er vergessen, er wußte gar nichts mehr; alles hatte er verschlafen, aber wie ein Traum war ihm der Gedanke an den blühenden Garten. Da sagte der fremde schöne Mann mitleidig: »Du armes verlaufenes kleines Kasperle, du!« Das klang beinahe wie gestern die Musik und tröstete Kasperle wundersam. Ganz leicht und froh wurde er wieder, als ihn der Fremde linde streichelte.

Meister Helmer schüttelte zwar noch immer den Kopf, die Kasperlegeschichte kam ihm zu sonderbar vor, aber sein kleiner Gast mußte noch einmal erzählen, was er alles erlebt hatte. Und Kasperle erzählte, und seine Zuhörer lachten und sahen mitleidig drein, und dann sagte Herr Severin: »In einiger Zeit reise ich fort, dann will ich suchen, das Waldhaus zu finden, denn das ist nun doch deine Heimat, kleines Kasperle.«

»Und bis dahin bleibst du bei mir,« sagte Meister Helmer. »Ich will wohl achtgeben, daß dir nichts geschieht.«

Da war Kasperle vergnügt wie zuvor, und als Meister Helmer sagte: »Geh, pflücke für Herrn Severin einen Strauß,« da lief er eilig im Garten hin und her und pflückte einen ganz kunterbunten lustigen Strauß. Der Gärtner und Herr Severin lachten, als sie ihn sahen, und Herr Severin sagte, dies sei ein so fröhlicher Strauß, wie er noch nie einen gehabt habe. Dann ging er. Er wohnte dicht an dem schönen Garten in einem der alten Stadtmauertürme, und Meister Helmer sagte zu Kasperle, Herr Severin sei ein gar großer Künstler. Wenn er ein Instrument spiele, bekomme es eine Seele. Und von weit her, aus fernen Landen, werde oft nach ihm geschickt, er solle kommen, damit etwa eine Orgel auch eine Seele bekäme.

Das verstand Kasperle nicht recht, aber er wußte nun, daß es Herr Severin gewesen war, der gestern Abend so schön gespielt hatte. Er freute sich schon darauf, die liebliche Musik wieder zu hören. Und wirklich schwebten am Abend die sanften Töne wieder über den blühenden Garten. Die Blumen dufteten, und Kasperle saß lange neben dem alten Gärtner vor dem Hause und hatte alle Angst verloren, es könne ihm jemand etwas Böses antun.

Am nächsten Morgen sagte Meister Helmer: »Kasperle, heute ist Sonnabend, da kommen viele Leute und kaufen Sonntagssträuße. Geh, binde welche, binde sie so bunt und lustig wie gestern den für Herrn Severin.«

Das war eine Lust! Kasperle fing eilends an Blumen zu schneiden, und er band sie so bunt überecks zusammen, daß Meister Helmer lachen mußte, als so Strauß neben Strauß im Brunnenbecken lag. Und wie der Gärtner lachten auch die Leute, die kamen, um Sonntagssträuße zu kaufen. Selbst eine ganz griesgrämige alte Muhme lachte über das ganze Gesicht, als ihr Meister Helmer einen Strauß gab. »So einen Strauß hab’ ich noch nie gesehen,« rief sie; »ei, da muß man ja lachen, ob man will oder nicht!«

Immer mehr Menschen kamen, alle wollten sie bunte Kasperlesträuße haben, und alle lachten sie über den drolligen Gärtnerburschen, der wie ein Hase im Garten herumhüpfte. Er band Sträuße um Sträuße, endlich sagte der Gärtner, nun sei es genug, sonst blieben keine Blumen mehr übrig. Aber staunend sah er, wie geschickt Kasperle die Blumen gepflückt hatte; es schien, als fehlten gar keine. Da lobte er seinen kleinen Helfer, und als am Abend Herr Severin kam, erzählte er ihm, wie brav Kasperle sei.

Ja, brav war das Kasperle schon, daneben aber doch ein unnützer Schelm! Ein Kasperle muß eben kaspern, und Kinder müssen lachen, wenn sie ein Kasperle sehen. Das ist einmal so! Die Kinder der Nachbarschaft hatten es bald heraus, was Kasperle für ein Schelm war. Die sagten es andern Kindern, und schon nach etlichen Tagen gab es ein großes Gelaufe zu Meister Helmers Garten. Die Kinder standen am Zaun und warteten, und wenn Kasperle in den Garten kam, ertönte gleich ein großes Jubelgeschrei. Dann schnitt Kasperle sein Räubergesicht, schaute wie ein dummer August drein oder machte gar eine Teufelsgrimasse. Meister Helmer mußte dann wohl auch lachen, aber als Herr Severin das einmal sah, warnte er: »Kasperle, Kasperle, du verrätst dich noch!«

Und schon am nächsten Tage wurde es dem Kasperle himmelangst. Ein paar Buben riefen, ihm nämlich zu: »Kasper, kommst du übermorgen mit auf den Jahrmarkt? Da ist ein Kasperlemann, der kann es sicher nicht so fein wie du!«

Kasperle vergaß vor Schreck alles Gesichterschneiden. Wenn das der Kasperlemann war, der ihn überall suchte! Ganz kläglich erzählte er Meister Helmer vom Jahrmarkt; da versprach der ihm, er wolle nachschauen gehen.

Am nächsten Tage gab es viel zu tun, und merkwürdigerweise kamen gar keine Kinder. Kasperle half fleißig, er hopste und sprang vom Garten ins Haus, war mal da, mal dort, und gerade war er wieder drin, als Herr Severin in den Garten kam. Der trug einen großen, schwarzen Kasten auf dem Rücken, ging rasch in das Haus hinein und rief Meister Helmer zu, er möchte ihm flink nachkommen. Innen im Hausflur erwischte er Kasperle, hielt den fest und zog ihn mit in die Stube. Dort setzte Herr Severin seinen Kasten hin, öffnete ihn und sagte: »Flink, flink, Kasperle, geh dahinein!«

Kasperle gehorchte, und klapp! schlug der Deckel hinter ihm zu, und Herr Severin setzte sich auf den Kasten und begann fein und lieblich auf seiner Geige zu spielen. Doch er kam nicht weit. Mit ungeheurem Geschrei rannten viele Kinder in das Haus hinein, ihnen folgte der Kasperlemann und ein paar Wächter, und alle brüllten sie: »Wo ist das Kasperle, wo ist das Kasperle. Wir wollen Kasperle fangen, der Herzog verlangt Kasperle. Wo ist es, wo ist es?«

Ein paar Buben aber tuschelten leise Meister Helmer zu: »Wir helfen ihm, daß er ausreißen kann.«

Meister Helmer schaute sich verdutzt um. »Kasperle war eben hier,« murmelte er, und Herr Severin nickte und sagte auch: »Er war eben hier.« Dabei spielte er aber ruhig weiter und erzählte: »Meister Helmer, ich verreise; da, ich habe schon meinen Koffer gepackt. Morgen ganz früh reise ich mit der ersten Post.«

»Das ist ja ganz gleichgültig, ob Sie reisen oder nicht,« schrie der Kasperlemann grob; »das Kasperle müssen wir finden, es muß hier sein!«

»Wir suchen das Haus ab,« riefen die Wächter streng und sahen Herrn Severin drohend an. Der nickte freundlich: »Ja, das tun Sie nur! Vergessen Sie aber den Garten nicht!«

»Zuletzt war er ja im Garten,« sagte Meister Helmer, der das wirklich glaubte. Bei sich dachte er: Hoffentlich hat er schon ausreißen können! Da rasten Kasperlemann, Wächter, Kinder, alle in den Garten. Herr Severin nahm seinen Kasten auf den Rücken, seine Geige unter den Arm und sagte, Meister Helmer solle ihn heute abend doch noch einmal besuchen; dann ging er leise singend aus dem Haus, durchschritt den Garten, und niemand hielt ihn auf.

Alle suchten und suchten, der Kasperlemann kletterte selbst auf die Stadtmauer und überzeugte sich, ob Kasperle wohl da hätte ausreißen können. Und dann liefen Kasperlemann, Wächter und Kinder in das Haus hinein, kein Winkel blieb undurchsucht. Sie schauten sogar ins Salzfaß, in Meister Helmers Kaffeetopf, Kasperle war nirgends zu sehen. Der Kasperlemann schrie und klagte: »Er ist uns entwischt, weil wir alle ins Haus gerannt sind. O wie dumm, dumm, dumm!«

»Wir werden ihn schon fangen!« trösteten die Wächter. »Ah bah, papperlapapp, ein Kasperle kriegen wir schon!«

Und dann fragten sie den guten Meister Helmer. Der mußte erzählen, wie Kasperle zu ihm gekommen war, und was er getan und gesagt hatte. Dazwischen schrie der Kasperlemann: »Entwischt, entwischt, dumm, dumm, dumm!« und die Wächter riefen: »Ah bah, papperlapapp, den fangen wir schon!« Ein paar Buben aber brüllten plötzlich laut: »Ausgerissen, hurra, ausgerissen, hurra!« Und dann rannten sie auf die Straße und erfüllten die mit ihrem Gelärme. Sie erzählten es jedem, der es hören wollte, der Kasperlemann habe seine Bude aufgestellt für den Jahrmarkt morgen, und dabei habe er ein Kasperle gezeigt, das ganz genau so ausgesehen habe wie der kleine Gärtnerjunge, und er habe dabei gefragt: »Habt ihr schon so einen flinken Kasper gesehen?« Da hätten sie gerufen: »Meister Helmers Lehrbursche sieht gerade so aus!« Ja, und so sei es gekommen. Und dann brüllten sie wieder die Straße entlang: »Ausgerissen, hurra! Fein, fein, fein, ausgerissen!«

Der Kasperlemann aber ärgerte sich schwefelgelb. Je mehr die Buben brüllten, desto zorniger wurde er. »Morgen hätte ich Graf sein können,« schrie er, »wenn dies blitzdumme, vermaledeite Kasperle nicht wieder ausgerissen wäre. Dumm, dumm, dumm!«

Die unterbrochene Geschichte

Ein wundervoller Morgen war es, an dem Kasperle auf dem Schiff erwachte. Ringsum das Meer, nur fern ein dunkelblauer Streifen, die Küste von Italien. »Da ungefähr liegt Rom,« sagte der Kapitän, als Kasperle ihm »Guten Morgen« sagte.

Was bedeutete Kasperle Rom!

Er machte einen Hopps, saß dem Kapitän auf den Knien und sagte: »In Rom sind Angela und Florizel.«

»Wer ist das?«

»Meine Freunde.«

»Mir scheint, Kasperle, du hast viele Freunde.« Kasperle nickte, auf einmal sah er ganz traurig drein. »Aber Mister Stopps ist nicht mein Freund.«

»Ich denke doch. Er hat dich lieb.«

»Nä, er lacht nur über mich.«

»Er kommt aber dich holen.«

»Ich geh nicht mit.«

»Doch, du mußt, Kasperle.«

»Nä, ich geh nicht! Er kann die Prinzessin nehmen, die ist auch wie’n Kasper. Sie macht doch Purzelbäume.«

»Aber Kasperle!«

An der Türe stand die Prinzessin und sah bitterböse drein. »Ich schlage keine Purzelbäume.«

»Doch, ich hab’s gesehen.«

Und Kasperle blieb dabei, so sehr sich die Prinzessin ärgerte, und selbst der Kapitän dachte, es wäre schon gut, wenn Mister Stopps das Kasperle holte, es machte doch gar zu viele Dummheiten.

Und gerade da sagte Kasperle zu Marlenchen: »Ich mache nun keine Streichlein mehr, weil du da bist.«

»Na, Kasperle!«

»Ganz gewiß.«

»Fall nur nicht ins Meer! Turn‘ da nicht so am Geländer herum, du fällst!«

»Ich falle nicht.«

»Er fällt,« rief die Prinzessin Gundolfine, und weg war Kasperle.

Diesmal war Kasperle nicht in etwas gefallen, sondern er hing ganz fest am Bordrand, hatte sich nur versteckt, um Marlenchen ein bißchen zu necken. Die Kleine war ganz blaß geworden, und ein alter Matrose, der dabei stand, brachte das Kasperle wieder zum Vorschein. Er beutelte es tüchtig und sagte: »Wart‘, du Schelm, wenn wir deiner Insel nahe kommen, werfe ich dich ins Wasser.«

»Das wäre recht,« sagte die Prinzessin, »aber das mit der Insel ist nur ein Märchen, das sich Kasperle ausgedacht hat.«

»Ist kein Märchen,« schrie Kasperle erbost und –

Es ist kaum zu sagen, was er tat! Die Prinzessin sagte, er hätte ihr die Zunge rausgestreckt.

Das wollte Marlenchen nicht glauben und sie bat: »Sag‘, Kasperle, du hast es nicht getan, nicht wahr, so etwas tust du nicht?«

Da senkte Kasperle die Nase und sah ganz aus wie ein kleiner Missetäter.

Oh, es war schlimm.

Und am schlimmsten war, daß Marlenchen gleich so entsetzlich traurig aussah, als wollte sie weinen.

Kasperle wurde es ganz wind und weh zumute, er vergaß darüber beinahe seine Insel, aber nur beinahe. Aus Heimweh und Herzeleid über Marlenchens Traurigkeit fing er so bitterlich an zu weinen, daß er selbst der Prinzessin ein bißchen leid tat. Aber eben nur ein bißchen.

»Warum weinst du denn so? Wenn dir das Zungenausstrecken so leid ist, dann tu es doch nicht wieder!« brummte der Matrose.

»Das ist mir nicht leid,« rief Kasperle schnell. »Nur – nur – Marlenchen soll nicht so traurig sein.«

»Ich werde wieder froh, wenn du artig bist.«

»Na, also!« Der Matrose wollte gehen, da fiel Kasperle die Insel ein, und er schrie so laut, daß die Prinzessin beinahe wieder einen Purzelbaum schoß: »Wo ist denn meine Insel?«

»Im Meer.«

»Aber wo denn da?«

»Die gibt’s ja gar nicht, das ist ein Märchen,« redete die Prinzessin dazwischen.

Aber der alte Matrose schüttelte mit dem Kopf. »Ein Märchen ist’s nicht. Die Insel gibt es schon.«

»Wo liegt sie?«

»Weit weit von hier im Ozean.«

»Kommen wir dran vorbei?«

»Davor behüte uns der Himmel. Es ist eine Koralleninsel, von der noch selten jemand lebendig weggekommen ist.«

»Erzählen, erzählen von der Insel,« bettelten Marlenchen und Kasperle.

Selbst die Prinzessin sagte gnädig zu dem Matrosen: »Erzählen Sie doch, was Sie wissen.«

»Viel ist’s eben nicht. Eine Insel liegt im Atlantischen Ozean, auf der es wunderliche Leute geben soll. Aber da die Insel ganz und gar mit Korallenriffen umgeben ist, hat noch nie ein Schiff dort anlegen können. Aber schön soll’s dort sein, wunderschön.«

»Ja,« sagte Kasperle selbstvergessen.

»Ich denke, du kennst die Insel nicht,« fuhr ihn die Prinzessin an.

»Ich war mal dort, aber das ist ewig lange her.« Kasperle sah ganz versonnen drein.

»Das kann schon stimmen, wenn’s ein echtes Kasperle ist!« meinte der Matrose.

»Aber sagen Sie doch, Mann, wie sieht es auf der Insel aus?«

»Ich war noch nicht dort,« brummte der Matrose unwirsch. Dann fiel ihm ein, die Fragerin sei eine Prinzessin, und er sagte höflicher: »Der alte Matrose, der mir vor dreißig Jahren die Geschichte erzählt hat, hatte einen Großonkel, dessen Schwager dort gewesen ist. Der hat ja nun reine Wunderdinge erzählt, alles ist kunterbunt.«

»Ja,« Kasperle nickte wieder ganz versonnen.

»Die Blumen, die Bäume und die Häuser. Auf den Wegen liegen rote, blaue, grüne und gelbe Steine und die Vögel sehen alle aus wie unsre Papageien. Der König, sie haben nämlich einen Kasperlekönig, hat alle Farben in seinem Kleid, die es nur gibt. Blumen gibt es überall. Jedes Dach ist ein großes Blumenbeet und kein Fenster gibt es in einem Haus, an dem nicht ein Blumenbrett wäre. So kommt es, daß die ganze Kasperlestadt einem riesengroßen Blumengarten gleicht und über ihr ein Duft liegt, der unbeschreiblich süß ist. So mögen die Rosen von Schiras duften.«

»Fein!« rief Marlenchen.

»Ist ja nicht wahr,« sagte die Prinzessin.

»Ist doch wahr!« Der alte Matrose ärgerte sich über den Widerspruch der Prinzessin, er wußte es doch von seinem alten Freund, der wußte es von seinem Großonkel und der von seinem Schwager, also mußte es doch wahr sein.

»Weiter,« drängte Marlenchen. Kasperle machte seine Augen so groß er konnte und sah drein, als sähe er einen Weihnachtsbaum.

»Was soll da weiter zu erzählen sein?« Die Prinzessin fand die Geschichte sehr langweilig, Kasperle aber fand die Prinzessin gräßlich und ihm fiel was ein. Was Gescheites nicht gerade. Er schrie plötzlich: »Hach, da kommt das Krokodil!«

Nun war die Prinzessin ohnehin eine etwas schreckhafte Dame, und Kasperle schrie auch so gewaltig und machte dazu so ein ängstliches Gesicht, daß die Prinzessin wirklich heftig erschrak. Bums, fiel sie um und war ohnmächtig.

Nein, erschrak aber Kasperle! Er wäre am liebsten auch in Ohnmacht gefallen, doch so etwas gelingt einem Kasperle schlecht. Daher fing er nur mörderisch zu schreien an, und alle Leute, die auf dem Schiff waren, kamen angerannt.

Und gerade wollte der alte Matrose die Prinzessin auf den Kopf stellen. Dies sei gut bei Ohnmachten, behauptete er.

Frau Liebetraut und die schöne Rosemarie aber sagten, das täte man nicht, und Kasperle war darüber ordentlich betrübt, er hätte es so schön gefunden, wenn die Prinzessin auf dem Kopf gestanden hätte.

Aber dann wurde Kasperle sehr verlegen. Der Kapitän wollte nämlich wissen, was geschehen war, und da mußte Kasperle doch die Wahrheit sagen. Der Kapitän sagte nur: »Kasperle!«

Da kroch Kasperle gleich unter eine Bank vor Schreck.

Nun erzählte Marlenchen, warum Kasperle so böse geworden war, und der Kapitän schüttelte den Kopf und sagte zu dem alten Matrosen, er könnte auch was besseres tun, als Märchen erzählen.

»Ist kein Märchen,« schrie Kasperle unter der Bank.

»Larifari, ist doch ein Märchen!«

»Nicht wahr, es ist ein Märchen?« rief die Prinzessin, die wieder aufgewacht war.

»Nä,« Kasperle strampelte vor Wut und in seinem Ärger sagte er: »Sie hat beinahe auf dem Kopf gestanden.«

»Ich?« Die Prinzessin war sprachlos, und da erzählte Kasperle auch noch geschwinde, was geschehen war.

Das Kasperle war schon ein rechter Schlingel.

Jetzt konnte selbst Marlenchen der Prinzessin nicht verdenken, daß sie böse war.

Und wie böse war sie!

Ei, du lieber Himmel!

Alle rissen aus. Am allerersten Kasperle.

Wutsch, war er weg.

Aber diesmal sorgte sich niemand um ihn und doch war er wieder nirgends zu finden. Die Prinzessin sagte, sie würde ihn in die Mehlkammer werfen, aber bloß muß man dazu jemand haben.

Und niemand fand Kasperle.

Marlenchen und das Prinzlein suchten das ganze Schiff ab; nirgends fanden sie Kasperle. Der Kapitän brummte: »Er findet sich schon.« Das sagten auch alle andern.

Zuletzt kam auch der alte Matrose, dem Marlenchen leid tat, und zeigte in die Höhe. Da oben im Mastkorb, wer saß da und grinste? – Kasperle.

»Heio, heio,« schrie er, »die Prinzessin soll raufkommen und mich fangen.«

Daran dachte die nun nicht.

Die lag im Bett und erholte sich von ihrer Ohnmacht.

Als Kasperle das hörte, stieg er wieder herunter und sagte zu dem alten Matrosen: »Nu erzähl‘ weiter von meiner Insel!«

Aber Piet, so hieß der alte Matrose, wollte nicht. Die drei Freunde mochten noch so viel zureden, er sagte: »Wenn meine Geschichten als Märchen gelten, denn man zu, dann erzähle ich nicht!«

»Wir glauben es aber doch!«

»Ja, ja, das weiß ich noch nicht.«

»Doch, wir glauben es!«

»Na, dann morgen, heute ist’s zu spät.«

Am nächsten Morgen hatte Piet so viel zu tun, und die drei Freunde konnten seiner nicht habhaft werden; erst als das Schiff schon Neapel ganz nahe war, konnte Piet wieder erzählen. »Also auf der Kasperle-Insel,« hub er an, da ertönte ein großes Geschrei: »Neapel, Neapel!«

»Ja, nun geht das nicht, nachher,« sagte Piet.

»Ach, nachher!« Kasperle maulte, er lief aber doch mit, um die Einfahrt in den Hafen von Neapel anzusehen. Von der Kasperle-Insel würde er schon hören.

Was in Neapel geschieht

Das Schiff Miramare fuhr in den Hafen von Neapel ein.

War das ein Lärm und Getöse. Viel, viel schlimmer als in Genua.

Kasperle riß Mund und Nase auf. Eine Unzahl kleiner Boote ruderte an die Miramare heran, und jeder Bootsführer wollte den andern überschreien, und jeder hatte etwas anderes zu verkaufen. Tücher und Feigen, Orangen und Schildpattkämme, Rosinen und Korallenketten, kleine Heiligenbilder, Gemmen, ausgegrabene Tanagrafiguren, weiße Brote, Kuchen, gebackene Fische, alles war zu haben.

Und Kasperle fand das so lustig, daß er laut lachte.

Ein vielstimmiges Echo erhob sich. Aus allen Booten zeigten sie mit den Fingern nach ihm, und alle schrien, der kleine, komische Mann solle nach Neapel kommen.

Ein Mann mit schönen Korallenketten kletterte wie eine Katze am Schiff empor, hielt Kasperle eine Kette vor die Nase und fragte: »Bitte, kaufen?«

»Ja,« rief Kasperle und langte sein Säcklein aus der Tasche, er dachte, die Kette schenke ich Marlenchen.

Da sagte gerade die Prinzessin: »Sieh doch, Marlenchen, der lange, komische Herr winkt immerzu.«

Der lange, komische Herr aber war – Mister Stopps.

Kasperle erschrak so, daß er die Kette und Marlenchen im Stich ließ und ausriß.

»Aber Kasperle.«

Da war er schon weg.

»Der kommt schon wieder,« sagte die Prinzessin.

»Sieh nur, jetzt kommt der komische Herr auf das Schiff.«

Marlenchen schwieg. Sie hätte ja sagen können, »das ist Mister Stopps,« sie sagte es aber nicht.

Und Mister Stopps kam auf das Schiff, ging schnurstracks auf die Prinzessin Gundolfine zu und fragte: »Uo sein Kahspärle?«

Nun hätte er die Prinzessin nicht mehr ärgern können, wenn er sie nach des Teufels Großmutter gefragt hätte. Sie sagte böse: »Ich bin doch nicht Kasperles Kindermädchen! Was fällt Ihnen ein, mich zu fragen? Ich bin eine Prinzessin.«

»Oh, das freuen mich. Sie sein etuas Merkuürdiges und ich liebe sehr uas Merkuürdiges.«

»Aber ich nicht.« Die Prinzessin war bitterböse und sie machte das Gesicht, das Kasperle von ihr gelernt hatte.

»Oh!« schrie Mister Stopps entzückt. »Sie sehen aus, uie mein Kahspärle.«

»Gehen Sie zum Teufel mit ihrem Kasperle!«

Teufel hatte Mister Stopps nicht verstanden, darum sagte er sehr höflich: »Uenn Sie mich uerden führen, ich uerde gehen.«

»Mein Herr, Sie sind frech!«

»Oh, Sie schreien uie Kahspärle!«

»Sie sind selbst ein altes Kasperle.«

Weil die Prinzessin so schrie, verstand Mister Stopps, sie wäre selbst ein Kasperle.

»Oh,« er verneigte sich, »das freuen mich sehr, ein zweites Kahspärle. Ein Kahspärle Frau, sie müssen mein Kahspärle heiraten.«

»Er ist toll!«

»Oh, mein Kahspärle sein nicht toll, ganz und gar nicht toll, sein ein gut Kahspärle, nur manchmal es reißen aus. Doch uo ist er, ich sah ihn doch?«

»Ausgerissen,« sagte Marlenchen.

»Uo rausgerissen?«

»Vielleicht in den Mastkorb. Wollen sie ihm nicht nachklettern?« spottete die Prinzessin.

Aber auf dem Mast war Kasperle nicht, er war überhaupt nirgends. Mister Stopps suchte sein Kasperle überall, Herr Severin und Frau Liebetraut, Michele und Rosemarie, alle halfen suchen und fanden ihn doch nicht.

»Er ist uieder ausgereißet,« rief Mister Stopps.

»Ausgerissen,« sagte die Prinzessin, die aus Langeweile sich zu Frau Liebetraut gesellt hatte.

»Rausgerissen, uohl, uohl, rausgerissen.«

Die Prinzessin ärgerte sich über das falsche Sprechen von Mister Stopps und sie brummte: »Ausgerissen, rausgerissen, Kasperle hin, Kasperle her, weg ist weg, ist nicht schade um ihn.«

»O doch, sehr schade. Mein Kahspärle hat zwei Millionen gekosten, es sein eine Merkuürdigkeit.«

»Meinetwegen zehn Merkwürdigkeiten!«

Die Prinzessin ging fort, und Mister Stopps sah ihr erstaunt nach. Er hatte verstanden, die Prinzessin hätte zehn Merkwürdigkeiten. Dazu war sie eine Prinzessin.

»Ich uerde Ihnen heiraten,« sagte er zu Marlenchen.

Aber Marlenchen lief lachend davon und rief: »Ich will nicht.«

Da merkte der gute Mister Stopps, daß man ihn mal wieder falsch verstanden hatte. Er schüttelte nachdenklich den Kopf und redete zu Piet, weil alle anderen fortgelaufen waren: »Ich uerde die Prinzessin doch heiraten.«

»Ich tät’s nicht.« Piet stand auch auf, »ich will mal Kasperle suchen.«

»Yes, ich uill auch Kahspärle suchen.«

Und dann suchten alle Kasperle und fanden ihn nicht.

Der Tag verging, kein Kasperle war zu erblicken. Zuletzt dachte selbst der Kapitän, das arme Kasperle wäre ins Meer gesprungen.

»Vor Angst,« sagte Marlenchen zu Mister Stopps.

»Vor uas?«

»Weil Sie ihm keine Ferien gegeben haben,« rief das Prinzlein vorwurfsvoll.

»Oh mein armes Kahspärle, er soll Ferien haben und Pudding alle Tage,« rief Mister Stopps, und weinte in sein großes himmelblaues Taschentuch hinein.

Aber davon kam Kasperle nicht wieder.

Eine Nacht kam und verging. Am anderen Morgen suchten wieder alle alles durch. Der Koch antwortete zehnmal, in die Mehlkammer wäre nichts gefallen.

»Aber in die Speisekammer, darin krabbelt es so.«

»Das ist der verflixte Küchenjunge. Na, ich werd‘ ihn!«

Der Sucher, das Prinzlein war es, ging aus der Küche; gleich darauf ertönte ein mörderisches Geschrei und die Matrosen sagten: »Der Koch haut schon wieder den Küchenjungen.«

Aber in Wahrheit saß der Küchenjunge auf dem Schrank und der Koch konnte ihn gar nicht hauen, nannte ihn einen Teufelskerl und drohte ihm. Und der Küchenjunge schrie nur, um dem Koch einen Schreck einzujagen.

»Oh,« sagte Mister Stopps, »ich meine immer, ich höre Kahspärle schreien.«

»Ich auch,« sagte die Prinzessin.

Da fing Mister Stopps wieder an zu suchen. Sah in jede Kabine, sah in jeden Schrank, und die Matrosen wurden schon böse über den neugierigen fremden Herrn. Der stocherte im Teerfaß herum, wäre am liebsten selbst auf den Mast geklettert und suchte sogar in den Matrosenschränken nach Kasperle.

Er war nicht zu finden.

Am dritten Tage standen Mister Stopps und Kasperles gute Freunde ganz traurig beisammen und sagten, nun würde Kasperle sicher nicht wiederkommen. Mister Stopps weinte laut in sein großes himmelblaues Tuch, als der dicke Koch daher kam.

Der sah tiefbetrübt aus, so betrübt, daß der Kapitän ihn mitleidig fragte, was denn los sei.

»Der neue Küchenjunge,« stöhnte der Koch.

»Der neue Küchenjunge?« fragte der Kapitän erstaunt.

»Ja, er ist ein großer Galgenstrick.«

»Woher habt ihr ihn denn?«

»Na, Ihr habt ihn mir doch in Neapel geschickt, Kapitän.«

»Ich?«

»Ja, Ihr. Er hat’s gesagt.«

»Und was macht denn der neue Junge?«

»Er macht nichts wie Dummheiten. Und allemal, wenn jemand kommt, reißt er aus und immer in die Speisekammer. Und vorhin hat er einen ganzen Pudding ge – –«

»Das ist Kasperle,« riefen alle wie aus einem Munde.

»Nein, er sagte, er wär’s nicht.« Der Koch war nicht sehr schlau, und der Kapitän rief lachend ein paar Matrosen herbei und gebot ihnen, den neuen Küchenjungen zu holen.

»Er sitzt in der Speisekammer auf dem Schrank, da sitzt er immer, wenn er Prügel haben soll,« klagte der Koch.

»Das ist Kasperle,« sagten wieder alle.

»Er sagt doch, er wär’s nicht.«

Und es war wirklich Kasperle.

Wie ein begossenes Pudelchen sah er aus, als ihn die Matrosen brachten. Das ganze Gesicht klebte voll Obstmus, denn Kasperle war mit seiner Nase in einen Kübel geraten, bei seiner Schlecklust hatte er natürlich tüchtig geschleckt.

»Es ist doch ein heilloser Wicht,« sagte der Kapitän.

»Ein Unhold ist’s,« rief die Prinzessin.

»Oh, Kahspärle, du sein schlimm, sehr schlimm!« Mister Stopps schüttelte den Kopf, alle waren sie über ihn entrüstet, Kasperle sah es wohl und ganz scheu blickte er Marlenchen an.

Was tat Marlenchen?

Marlenchen weinte.

Dicke, dicke Tränen rollten über ihre Backen, und Kasperle sah es mit Entsetzen.

Marlenchen weinte um ihn.

Weinte, weil er so unnütz war.

Das ging dem Kasperle ans Herz.

Er fing auch an zu weinen. Es war aber kein Kasperlesgebrüll wie sonst, wenn er schrie: »Ich stirbse.« Ein ganz stilles, leises Weinen war es, und allen, die es hörten, tat auf einmal das Kasperle erschrecklich leid.

Mister Stopps zog wieder sein großes, himmelblaues Taschentuch hervor und weinte, als wäre er in eine Dachtraufe verwandelt, und alle andern fingen auch an zu weinen. Da schrie das Kasperle: »Wenn alle weinen, dann – dann mache ich nie mehr Spaß.«

»Das wäre recht gut.« Die Prinzessin blinkerte mit den Augen, denn komisch, Kasperles Weinen tat ihr weh.

Mister Stopps aber sagte schluchzend:

»Mein gutes Kahspärle – upp – uenn du nicht aufhören – upp – zu ueinen, ich sterbe.«

»Stirbse!« rief Kasperle und schnitt ein Gesicht, als hätte Mister Stopps ihm Essig gegeben. Da mußten alle lachen, und selbst Marlenchen sagte: »Aber Kasperle, wie falsch du jetzt immer sprichst.«

»Das hab‘ ich von Mister Stopps gelernt.«

»O no, ich sprechen sehr gut.« Mister Stopps war sehr gekränkt und sagte: »Du sein doch ein schlimmes Kahspärle. Und ausgereißet bist du auch.«

»Weil du mir keine Ferien gegeben hast.«

»Was braucht so ein Popanz wie du Ferien!« Die Prinzessin mischte sich auch ins Gespräch, das ärgerte Kasperle gewaltig. Er schrie: »Mister Stopps, sie kann besser Purzelbaum schießen als ich.«

»Aber Kasperle!«

Da war er auf einmal wieder das unnütze Kasperle und beinahe wäre er über die Prinzessin hinweggepurzelbaumt, wenn ihn Marlenchen nicht gehalten hätte.

»Komm mit mir,« sagte Marlenchen. »Darf er, Mister Stopps?«

»Oh ja, er hat Ferien, solange uir aufs Schiff sind.«

So dumm aber war das Kasperle doch nicht.

Er streckte sich lang aus und rief: »Jetzt will ich keine Ferien. In den Ferien muß ich nach Torburg fahren. Jetzt kaspere ich. Aufgepaßt, jetzt mache ich ein Gesicht wie Mister Stopps, wenn er lügt.«

»Oh, ich luge nie.« Mister Stopps wußte doch, daß er das Kasperle mit den Briefen aus Torburg angeschwindelt hatte, und als das freche Kasperle sein Gesicht zu verziehen begann, rief er: »Du kannst spielen mit das Marlenchen ohne Ferien.«

So kam Kasperle doch zu seiner freien Zeit auch ohne Ferien. Und es ist nicht zu sagen, wie lustig die guten Freunde zusammen waren. Sie lachten so viel, daß Kasperle sein Bäuchlein weh tat und Marlenchen behauptete, sie hätte sich etwas ausgerenkt. Die Prinzessin hörte das Lachen und ärgerte sich. Sie ärgerte sich, daß Kasperle so vergnügt war und überhaupt da war. Sie ärgerte sich aber auch, daß Mister Stopps sich nicht um sie kümmerte. Der saß und las und ärgerte sich auch. Die Prinzessin hatte ihn nämlich angefahren. Das ließ er sich nicht gefallen. Sonst hätte er sich schon um die Prinzessin gekümmert. Denn eigentlich hätte er es auch ganz gern getan. Aber anfahren ließ er sich nicht. Und so saßen beide und ärgerten sich und Kasperle lachte. Und wenn Kasperle lachte, ärgerten sie sich noch mehr, und darüber verging ihnen die Zeit nicht so kurzweilig und schnell wie den drei guten Freunden.

Wie die Geschichte weitergeht

Das Schiff schwamm still auf dem blauen Meer dahin. Mister Stopps hatte gleich gesagt, eine lange Seereise wäre ihm recht, also konnte Kasperle viele Tage mit seinen guten Freunden zusammen sein. Auch ließ ihm Mister Stopps Freiheit genug, und die drei Kameraden freuten sich schon am Zusammenspielen.

Ja, wenn die Prinzessin nicht gewesen wäre!

Die ärgerte sich einmal wieder tüchtig über das Kasperle. Der kleine Schelm hatte seine liebe Not mit ihr. Sie wollte immer da sitzen, wo die drei Freunde gerade spielen wollten, und an allen Unfällen, die ihr zustießen, sollte immer Kasperle schuld sein. Wenn das Schiff gerade einen Hopser machte und der Braten der Prinzessin auf den Schoß fiel, dann war es Kasperle gewesen. Immer hatte Kasperle alles getan.

Der arme Schelm wurde ganz traurig darüber. Er kasperte Mister Stopps gar nichts mehr vor, machte keine Streichlein, und Mister Stopps verlernte das Lachen wieder, das ihm Kasperle so gut beigebracht hatte.

Die Sache aber war die: die Prinzessin wollte jetzt Mister Stopps heiraten. Aber Mister Stopps wollte nicht. Die Prinzessin aber dachte, er ist reich und einen reichen Mann kann ich gerade gut brauchen. Frau Stopps zu heißen ist ja kein Vergnügen, aber ich bin Prinzessin und bleibe Prinzessin und nenne mich Prinzessin Stopps und damit basta.

Aber Mister Stopps sagte nicht basta, er dachte, »oh no, ich mag sie nicht.«

Kasperle, Marlenchen und das Prinzlein saßen mit Piet zusammen, und der sollte nun endlich von der Kasperle-Insel erzählen, als die Prinzessin heranschwebte. »Kasperle, du sollst sogleich zu Mister Stopps kommen,« sagte sie.

Es war gar nicht wahr, sie mochte nur die drei nicht zusammensehen. Kasperle war wütend. Piet war wie eine eingerostete Tür mit seiner Erzählung. Ehe er dazu kam, anzufangen, dauerte es schrecklich lange und allemal kam jemand dazwischen, und das nächstemal murrte und knurrte Piet endlos, ehe er wieder anfing, und wer weiß, wer dann kam und wieder störte.

Kasperle war fuchswild, und unnütz rief er: »Es ist ja nicht wahr!«

»Doch, es ist wahr!«

»Du lügst!«

Das ging der Prinzessin über den Spaß. Gerade weil sie gelogen hatte, sollte das niemand sagen. Sie rief zornig: »Also du gehst auf der Stelle und kasperst Mister Stopps etwas vor. Er klagt, er könne nicht mehr lachen.«

Das stimmte ja nun, und Kasperle erhob sich seufzend. »Piet, behalte die Geschichte im Munde,« sagte er, »damit ich sie nachher hören kann.« Und eins – zwei – drei – purzelbaumte Kasperle über die Prinzessin hinweg und kam eher bei Mister Stopps an, als er selbst gedacht hatte.

Mister Stopps hatte schlechte Laune.

Er ärgerte sich über Kasperle, die Prinzessin, über seine Nase, weil er einen Schnupfen hatte, und über sonst etwas. Kasperle bekam ein bitterböses Gesicht zu sehen.

Aber Kasperle war unverzagt. Er rief: »Komm, Mister Stopps, Piet erzählt von meiner Insel.«

»Deiner Insel?«

»Ja, der Kasperle-Insel.«

Hei, da war Mister Stopps flink auf den Beinen. Das wollte er doch arg gern hören. Also kamen Mister Stopps und Kasperle gerade an, als Piet zur Prinzessin sagte: »Wenn Kasperle nicht zuhört, erzähle ich nicht. Kasperle ist die Hauptperson. Warum haben Sie ihn weggeschickt.«

»Mister Stopps hat doch Kasperle gerufen.«

Lügen haben kurze Beine. Der Prinzessin ihre Lüge hatte sogar ein Humpelbein. Mister Stopps hörte gerade das letzte Wort und er rief: »Ich habe Kahspärle nicht gerufen.«

»Dann hat sie gelogen.«

»Aber Kasperle!«

»Ist doch wahr.«

Alle sagten es. Es half der Prinzessin nichts, daß sie sagte sie hätte es so verstanden. Mister Stopps wurde erschrecklich böse. Obgleich er auch schon in seinem Leben gelogen hatte, sagte er doch, lügen wäre sehr schlimm, und er schimpfte die Prinzessin aus, als wäre sie ein kleines Schulmädel.

So furchtbar schimpfte Mister Stopps, daß selbst Kasperle Mitleid mit der Prinzessin hatte.

Aber komisch, das Geschimpfe tat der Prinzessin wohl. Sonst hatten alle Leute Angst vor ihr, aber dieser Mister Stopps nicht, und darum gefiel er ihr so gut, daß sie wieder dachte: den möchte ich heiraten.

Aber diesmal dachte sie gar nicht an das viele Geld, das Mister Stopps hatte, sondern nur an ihn selbst, und darüber wurde ihr Gesicht ganz mild und freundlich und Kasperle schrie auf einmal: »Jetzt sieht sie wie gutes Wetter aus.«

»Aber Kasperle!« Marlenchen zupfte ihren Liebling, aber die Prinzessin nahm es merkwürdigerweise nicht übel.

Mister Stopps kümmerte sich nicht im geringsten um das Gesicht der Prinzessin, er war fertig mit seiner Strafrede und sagte zu Piet: »So, nun uollen ich von der Kahspärle-Insel hören.«

Und Piet erzählte wirklich. Er erzählte, schon oft hätten Seefahrer versucht, auf der Insel einzudringen, doch es wäre keinem gelungen, die Kasperles hätten ein sonderbares Mittel, um die Feinde wehrlos zu machen, sie beschössen sie mit Lachpulver. Das gewönnen sie von der Lachpflanze, davon müßten die Leute so erschrecklich lachen, daß sie gar nichts machen könnten. Welches Schiff auch trotz der Korallenriffe der Insel schon nahe gekommen sei, habe wieder ohne Erfolg abfahren müssen, die Leute seien froh gewesen, vor Lachen wieder auf das Schiff zu kommen.

»Oh, das müssen schön sein,« rief Mister Stopps, »ich uill hin, da kann ich mir auslachen.«

»Sie haben ja Ihr Kasperle,« sagte die Prinzessin etwas spöttisch.

»Oh, es machen kein Spaß mehr, kein Streichlein und nichts.«

»Na, ich denke, dumme Streiche macht er doch gerade genug.« So ärgerlich sagte dies die Prinzessin, daß ihr Gutwettergesicht gleich weg war, und Kasperle dachte: Warte! Laut sagte er: »Mister Stopps, laß dir doch von der Prinzessin etwas vorkaspern, sie kann’s.«

»Das ist frech!«

»O können Sie, fangen Sie an,« rief Mister Stopps.

»Sie kann Purzelbaum schießen.«

»Unerhört.« Die Prinzessin konnte vor Entrüstung nicht sprechen, und nun rief auch noch Mister Stopps: »Oh, bitte schossen Sie!«

Das war zuviel für eine vornehme Dame. Sie stand auf und wollte gehen und Kasperle rief unbedacht: »Ei fein, dann erzählt Piet weiter.«

Aber Piet sagte nein, trotzdem die Prinzessin sitzen blieb und nicht wegging. Die Geschichte wäre nun wieder einmal hinuntergerutscht.

Das war schlimm.

Kasperle erkundigte sich zwar, ob sie nicht wieder heraufkäme, wenn Piet schluckte. So ginge es ihm manchmal mit großen Bissen. Aber Piet sagte, sie käme nicht herauf.

Die Prinzessin fand Kasperles Rede unanständig und Kasperle bekam eine lange Strafrede, und am Schluß rief Kasperle: »Deine war länger.«

»Was, länger?«

»Ja, die von Mister Stopps, weil du gelogen hast.«

»Aber Kasperle!«

Die Prinzessin wurde so verlegen, daß sie davonlief und Kasperle rief Piet zu: »Nun kannst du erzählen.«

»Sie steckt zu tief unten.«

»Uas steckt unten?« fragte Mister Stopps.

»Die Geschichte.«

»O uie merkwürdig.«

»Hol sie doch rauf,« rief Kasperle.

»Das geht nicht.«

»Dann schüttle, da fällt sie unten durch.«

Aber Piet meinte, das ginge auch nicht. So hörten denn die drei Freunde wieder nicht, was Piet noch vom Kasperlelande wußte.

Es war schon sehr schlimm.

Und immer war die Prinzessin daran schuld.

War’s da ein Wunder, wenn Kasperle auf ein Streichlein sann?

Es sann lange und ganz ernsthaft, und Marlenchen fragte ein paarmal: »Was hast du, Kasperle?«

»Nichts,« sagte Kasperle.

Es hatte auch nichts, denn ihm fiel nichts ein.

Da ertönte die Schiffsglocke, es war Mittagszeit, und da machte Kasperle einen Purzelbaum und weg war er.

Ihm war etwas eingefallen.

Die Prinzessin kam immer zuletzt in den Speisesaal, sie meinte, für eine Prinzessin schicke sich das. Und Kasperle kam sonst immer zuerst, aber heute blieb das Kasperle so lange aus, daß die Prinzessin ihm auf dem Fuße folgte und auf einmal purzelte das Kasperle und stand dann gleich wieder auf den Beinen.

Da rief Kasperle »aiho«, die hüpfende Prinzessin verlor plötzlich das Gleichgewicht, glitschte aus und pardauz, da lag sie.

»Sie hat einen Purzelbaum geschossen!«

»Ja, sie schoßte,« sagte Mister Stopps. Und dann knarrte und knurrte es – Mister Stopps lachte.

Er lachte so laut und mächtig, daß die Prinzessin ganz verlegen war.

So hatte sie noch niemand ausgelacht.

»Das ist unerhört!« rief sie.

»Oh, es sein merkuürdig, eine Prinzessin, die ein Purzelbaum schoßt. O bitte nochmal!«

Wer weiß, was die Prinzessin in ihrem Ärger nicht alles gesagt und getan hätte, aber da kam der Kellner mit der Suppe – und da lagen Kellner und Suppe, wo vorher die Prinzessin gelegen hatte.

»Oh!« Mister Stopps lachte immer mehr, und als der Kellner aufgestanden war, kam der Kapitän, der schalt heftig und – pardauz, da lag auch der Kapitän am Boden.

»Seife ist schuld, hier ist Seife,« rief der Kapitän. »Wer hat –«

Da saß Kasperle unter dem Tisch und fing ein erschreckliches Gebrüll an.

»Kasperle ist’s gewesen. Er hat Seife gestreut. Er muß Haue haben!« Der Kapitän sagte es, die Prinzessin schrie es, und der Kellner murmelte es. Kasperle hörte es von allen dreien. Und der Kapitän befahl einem Matrosen, er solle einen Stock holen.

Es war eine ganz schlimme Sache.

Marlenchen weinte laut, aber da sagte auf einmal der Matrose, es war Piet, »ich würd‘ ihn nicht hauen, weil’s doch vielleicht ein Prinz ist und wir der Insel so nahe sind.«

»Ein Prinz, was schwatzt du da?«

»Ja, meine Geschichte ist wieder raufgerutscht.«

»Was für eine Geschichte?«

»Die von der Kasperle-Insel. Mein Freund hat nämlich erzählt,« sagte Piet, ehe der Kapitän nochmal sagen konnte, daß er den Stock holen sollte, »einmal wäre ein Kasperle doch gestohlen worden von der Insel, das sei der Sohn vom Kasperlekönig gewesen, Prinz Bimlim. Der wäre dann an einen fürstlichen Hof gekommen und habe dort die allerschrecklichsten und unglaublichsten Streiche vollführt. Und ich denke, das ist unser Kasperle gewesen.«

»Die Streiche könnten schon stimmen, aber an einem Hof ist Kasperle wohl nie gewesen, dazu ist er zu ungebildet,« rief die Prinzessin.

»Doch, früher mal.« Kasperle sah ganz nachdenklich aus, »das war, ehe ich so lange geschlafen habe.«

»Wo war denn das?«

Ja, das wußte Kasperle nicht mehr.

Nichts wollte ihm einfallen. Da sagte die Prinzessin: »Dann kann er nach Tisch seine Haue haben.«

Na, das ist eine schöne Geschichte, wenn eins sagt, wenn du dich satt gegessen hast, wirst du gehauen.

Dem Kasperle gefiel’s nicht sonderlich. Er war aber ein Luftibus und dachte, solche Dinge, die man vorher sagt, gehen oft nicht in Erfüllung. Also ließ er sich’s gut schmecken. Die Seife war abgewischt, die zerbrochene Suppenschüssel weggeräumt, und alle saßen da und warteten auf das Essen. Es kam, und die Prinzessin wollte gerade zulangen, als Kasperle so laut er konnte, schrie: »Titus Max hat er geheißen!«

»Wer denn?«

Die Prinzessin hatte vor Schreck den Löffel in die Soße fallen lassen, ganz entgeistert sah sie das Kasperle an: »Was soll’s denn mit meinem Urgroßvater?«

»So hat der Fürst geheißen, bei dem ich mal war.«

»Mein Urgroßvater – ja doch,« rief die Prinzessin, »das kann schon stimmen, die Sage geht, er hätte einen pudelnärrischen Kerl am Hofe gehabt, bist du das gewesen?«

»Das weiß ich nicht.«

»Aber wenn du den Namen weißt, mußt du doch mehr wissen!«

Alle fragten jetzt, denn alle meinten, dem Kasperle wäre jetzt das Besinnen gekommen. So war’s aber nicht. Dem Kasperle ging nur manchmal ein Türlein auf, dann wutschte etwas heraus. So war es jetzt gewesen.

Aber alle konnten so viel vom Kasperle herausfragen, so viel sie wollten. Kasperle wußte nur den Namen. Er bekam aber einen gehörigen Schreck, als die Prinzessin sagte: »Kasperle, dann gehörst du eigentlich mir und nicht Mister Stopps.«

»O no, ich haben ihn gekaufen für zuei Millionen.«

Aber die Prinzessin blieb dabei, Kasperle gehöre ihr. Sie stritt sich mit Mister Stopps herum, und dem Kasperle wurde immer bänger um sein kleines Herz. Am liebsten wäre er wieder zum Koch gegangen und Küchenjunge geworden oder in den Mehlsack gefallen.

Marlenchen und das Prinzlein sahen die Angst ihres Gefährten und sie sagten beide: »Komm, wir verstecken dich.« Und gerade da rief der Kapitän: »Recht muß Recht bleiben, das Kasperle gehört der Prinzessin.«

»Nä,« schrie Kasperle entsetzt.

»O no, ich haben ihn gekaufen. Sie müssen mich die zwei Millionen uiedergeben.« Mister Stopps war auch in Angst um sein Kasperle.

»Ich gebe Ihnen nichts wieder. Aber Kasperle gehört mir.«

»Mich gehören er!«

»Mir!«

»Mich!«

Wer weiß, wie lange die beiden noch gemirt und gemicht hätten! Wäre nicht ein großer Lärm auf dem Schiff entstanden, sie hätten sich so drei Tage gestritten.

Aber die Türe flog auf, der erste Steuermann stürzte herein und schrie: »Wo ist der Kapitän?«

»Hier, was ist denn geschehen?«

»Herr Kapitän, wir bekommen Sturm!«

Und »Sturm, Sturm,« schrie es draußen.

»Was ist?« Die Prinzessin sah auf einmal totenbleich aus.

»Sturm gibt es, da können uir ertrinken,« antwortete Mister Stopps, »aber mich gehört Kahspärle, und jetzt komm, Kahspärle, ich nehme dir mit mich.«

»So ist’s recht.« Herr Severin faßte Marlenchens Hand und Frau Liebetraut nahm das Prinzlein, »ihr kommt zu uns.«

»Und ich soll wohl allein bleiben?« Die Prinzessin zitterte vor Angst. Und ehe Mister Stopps es sich versah, hatte sie ihn untergefaßt und rief: »Sie müssen mich beschützen.«

»Meinetuegen, aber Kahspärle gehört mich.«

»Mir!«

Hupp, das Schiff schaukelte und die Prinzessin tat einen Schrei.

»Mich!« Mister Stopps behielt das letzte Wort, denn die Prinzessin war nun wirklich vor Angst halbtot. Sie konnte endlich einmal nicht widersprechen.

Kasperle denkt weiter nach und liest einen Brief

Mister Stopps schlief. Er saß in einem hohen Lehnstuhl, schnarchte ganz gemütlich und hatte den Arm auf den Tisch gelegt. Unter dem Arm aber lag der Brief, den Kasperle gern haben wollte.

Eine große bläuliche Fliege wollte sich Mister Stopps gerade auf die Nase setzen, als Kasperle sie wegjagte.

Ja, Kasperle! Das tat das aber nicht aus Mitleid und Liebe, es wollte nur nicht, daß Mister Stopps aufwachen und ihn erblicken sollte.

»Rrrrrrrrrr« schnarchte Mister Stopps.

Kasperle ging um ihn herum wie die Katze um den heißen Brei. Seine Augen blinkerten, und wer das Kasperle jetzt ansah, konnte merken, daß es ein rechter Schelm war.

Da erblickte Kasperle den Brief unter dem Arm von Mister Stopps, und beinahe hätte es einen lauten Freudenruf ausgestoßen. Es versuchte den Brief wegzuziehen, aber es wollte und wollte nicht gelingen, weil der Arm von Mister Stopps gar zu schwer auf dem weißen Umschlag lag.

Was sollte Kasperle beginnen?

Feuer schreien, dachte es, dann springt Mister Stopps auf und rennt hinaus und dann –, dann war das Feuerlein nicht da, und jeder wußte gleich: Kasperle hat den Streich gespielt.

Mister Stopps würde sofort den Brief vermissen und dann –

Weiter mochte Kasperle gar nicht denken. Es fand ohnehin, es müßte sich an diesem Tag schrecklich quälen mit dem dummen Nachdenken.

Vor lauter Anstrengung steckte Kasperle das linke Bein in den Mund, da ging es mit dem Nachdenken gleich viel besser.

Auf einmal ließ es das Bein fahren und sprang mit solchem Getöse auf, daß Mister Stopps im Schlafe brummte: »Oh, Kahspärle, du sein böse.«

Wenn Mister Stopps nur gewußt hätte, was für einen schlimmen Gedanken das Kasperle hatte.

Das blieb vor Schreck wie angewurzelt stehen. – Ob Mister Stopps nicht aufwacht? dachte es.

Aber der wachte nicht auf.

Der schnarchte – risselrassel – weiter. Und Kasperle ging leise, leise zur Türe hinaus.

Nach ein paar Minuten war er wieder da und trug in der Hand – ein Schlänglein. Ein graues, unschuldiges Schlänglein, das keine Giftzähne hatte. Oh, aber Mister Stopps wäre doch furchtbar erschrocken, wenn er es gesehen hätte, denn Mister Stopps hatte eine ganz unbändige Angst vor Schlangen.

Und das schlimme Kasperle legte das Schlänglein gerade vor seinem Herrn nieder, kroch dann unter dessen Stuhl und zog eine große Nadel hervor.

Aber Kasperle!

Wirklich, das schlimme Kasperle stach zu und stach Mister Stopps in die Wade.

Ein gellender Schrei ertönte. Mister Stopps sprang auf, sah sich um und sah das Schlänglein zu seinen Füßen.

Das konnte jeder sehen, daß das ein harmloses Schlänglein war, aber Mister Stopps sah es nicht. Der begann furchtbar zu schreien und rannte eins – zwei – drei aus dem Zimmer. »Eine Schlange hat mir totgebeißen, ganz totgebeißen,« schrie Mister Stopps.

»Ih wo,« sagte Bob, der herzugelaufen kam und beinahe gesagt hätte: »Das wird Kasperle gewesen sein.« Denn Bob hatte Kasperle sehr im Verdacht, es würde an diesem Tag Mister Stopps noch ein Streichlein spielen. Doch kein Kasperle war zu sehen und unten lag ganz matt und dösig das Schlänglein. Kasperle hatte es vorher zu fest angepackt, das hatte das arme Tier nicht vertragen.

»Da sein sie!«

»Die beißt nicht,« sagte Bob.

»Doch, sie hat gebeißen, hier,« und Mister Stopps zeigte kläglich auf seine Wade. »Ich bin vergiften, ich uerde stirbsen.«

»Ih wo,« sagte Bob wieder. Etwas anderes fiel ihm nicht ein.

»Nicht ih uoh, ja,« rief Mister Stopps ärgerlich, »hol schnell einen Arzt!«

Bob sah ein, Widerspruch half hier nichts, also ging er hinaus, schickte draußen Eino nach dem Doktor und brachte seinem Herrn ein Brausepulver. »Das ist gut gegen Schlangenbiß,« sagte er.

Und Mister Stopps glaubte es und trank. »Es uird mich schon besser,« behauptete er dann.

Da kam der Doktor.

Einer, der viel wußte, war es nicht gerade. Als er den Nadelstich sah, dachte er, etwas hat gestochen, was es war, wußte er nicht, doch dem Schlänglein traute er die Untat auch nicht zu; aber es konnte gar wohl eine bitterböse giftige Fliege gewesen sein. Daher sagte er: »Mister Stopps muß ins Bett und Punsch trinken, viel Punsch.«

Beides tat Mister Stopps gern. Er legte sich daher sehr geschwind in sein Bett und Angela bereitete ihm Punsch, wovon Mister Stopps so viel trank, daß er den Brief ganz vergaß, aber Kasperle vergaß er nicht, denn er sagte zu Bob: »Sperre Kahspärle ein und bring mich das Schlüssel.«

Bob ging und Kasperle hörte ihn kommen. Aber Kasperle riß nicht aus, er ließ sich ganz geduldig einsperren; in seinem Hosensäcklein klapperte ja der Schlüssel zu dem geheimnisvollen Türchen.

Bob wunderte sich sehr. Sonst schrie Kasperle immer, daß es die ganze Nachbarschaft hören konnte und Corelli, Bollini und Vanini, die Nachbarn, sagten dann jedesmal: »Jetzt wird das arme, arme Kasperle vom bösen Mister Stopps eingesperrt.«

Heute war Kasperle mucksstill, einmal nur fragte es: »Stirbst Mister Stopps?«

»Bewahre,« rief Bob lachend. »Wer weiß, was den gestochen hat? Die Schlange sicher nicht.«

Da schoß Kasperle vergnügt einen Purzelbaum in sein Gefängnis hinein.

Weil nämlich Mister Stopps gar so sehr geschrien hatte, war Kasperle der Meinung, das Schlänglein hätte sich am Ende besonnen und wirklich gebissen.

Nun war er froh, und bettelte auch nicht wie sonst: »Bob, bleib bei mir!«

Bob wunderte sich, und noch mehr hätte er sich gewundert, wenn er gesehen hätte, was Kasperle tat, als Bob die Kammer verlassen hatte.

Kasperle kletterte hinauf zu dem vergitterten Fenster und las dort den Brief.

Potztausend war das ein Brief!

Vorwürfe gegen Mister Stopps standen darin, daß er sein Wort nicht gehalten und dem armen Kasperle keine Ferien gegeben hätte.

Und was stand noch drin?

Pardauz – fiel Kasperle von oben herunter und lag auf der Erde und heulte ganz schrecklich. Es war gut, daß Mister Stopps so viel Punsch getrunken hatte, daß er dachte, er träume das Geheule. Bob aber wußte, daß es kein Traum war, sondern daß Kasperle, sein armes Kasperle so sehr heulte.

Er lief zu ihm, Angela und Eino kamen auch herbei, der Nachbar Corelli kam angelaufen und alle umstanden das Kasperle und fragten, was ihm fehle. Aber Kasperle gab keine Antwort, sondern brüllte immer jämmerlicher, und der Doktor, der gerade kam, nach Mister Stopps zu sehen, sagte: »Er hat Leibschmerzen.«

»Nein, er hat Heimweh,« meinte Bob.

Nun sind Heimweh und Leibschmerzen zwei recht verschiedene Dinge, und der Doktor ärgerte sich über Bobs Widerspruch. »Er hat Leibschmerzen, ich weiß das besser,« sagte er und fragte: »Sag‘ Kasperle, was hast du gegessen?«

»Nur ’nen halben Kuchen.«

»Sehen Sie, Herr Bob, er hat Leibschmerzen.«

»Nä,« schrie Kasperle grimmig, »ich hab‘ keine.«

Der Doktor war etwas verdutzt über diese Antwort, dann erklärte er: »Ich bin kein Kasperle-Doktor« und ging davon.

Kasperle hörte auf einmal zu weinen auf, ihm war nämlich beim Anblick des Doktors Mister Stopps eingefallen, am Ende kam der, um nach ihm zu sehen.

Kasperle war so mucksstill, daß Angela sagte: »Nun stirbt er.«

»Nä, ich stirbse nicht, ich schlafe.«

Und – risselrassel – fing Kasperle so mächtig an zu schnarchen wie vorher Mister Stopps. Dabei glitzerten seine Äuglein und Bob sagte: »Kasperle, du bist ein Schelm.«

Das war Kasperle schon, aber kaum waren Bob, Angela und Eino hinausgegangen, da war Kasperle nicht mehr der Schelm, sondern das arme, traurige Kasperle. Er las zum zweitenmal den Brief, las zum zweitenmal, daß in acht Tagen Michele, Rosemarie, Herr Severin, Frau Liebetraut, das feine Marlenchen und das Prinzlein in Genua sein und mit dem Schiff »Miramare« nach Amerika reisen wollten.

Alle miteinander.

Und Mister Stopps sollte mit Kasperle nach Genua kommen, damit alle das Kasperle noch einmal sehen konnten.

Was sie alle in Amerika wollten, stand nicht in dem Brief. Kasperle dachte auch nicht weiter darüber nach. Nur der Gedanke, daß er alle wiedersehen sollte, beschäftigte ihn. Er wußte ganz genau, Mister Stopps würde nicht mit ihm nach Genua reisen, der hatte viel zu große Angst, das Kasperle könnte ihm genommen werden.

Das arme Kasperle mußte sich an diesem Tage wahrlich sehr mit Nachdenken anstrengen. Aber so viel er auch nachdachte, wie er nach Genua kommen könnte, es fiel ihm nichts ein.

Auf einmal ging es draußen – traratrara – die Post fuhr vorbei und diese gelbe Post fuhr bis Genua. Mister Plumpudding, der Freund von Mister Stopps, war vor einigen Wochen von Genua hergereist gekommen. Er wohnte jetzt auch in Lugano und war ein närrischer kleiner Mann, von dem Kasperle manchmal dachte, er wäre eigentlich ein halbes Kasperle.

Wenn nun Kasperle als Mister Plumpudding nach Genua reiste?

Das war ein Gedanke.

Aber zu einer Postfahrt gehört Geld.

Woher das nehmen?

Auf einmal fielen dem Kasperle seine goldenen Sparpfennige ein, mit denen er manchmal spielte. Mister Stopps hatte sie ihm geschenkt und dazugesagt: »Verlier‘ sie nicht, das ist viel Geld!«

Was viel Geld war, wußte Kasperle nicht. Aber Bob hatte einmal erzählt, eine Postfahrt koste viel Geld, also würden seine Goldstücke wohl reichen. Und wenn Kasperle Bobs guten Anzug anzog und die Hosen kurz umkrempelte und Bobs neuen Hut aufsetzte, konnte man ihn schon für Mister Plumpudding halten.

So dachte wenigstens das Kasperle. Es kroch nun ganz zusammen vor lauter Nachdenken, wie er es machen sollte, um unbemerkt zu entkommen. Als Bob nach einem Weilchen nachzusehen kam, lag das Kasperle wie ein Bündlein zusammengerollt und schlief. Und nach einer Stunde, als Bob ihm das Vesperbrot brachte, schlief er immer noch. Ja, lieber Himmel, was konnte Kasperle zusammenschlafen! Er erwachte auch nicht, als Bob ihn rief. »Er will nicht, der Eigensinn,« dachte Bob, »aber den Kuchen wird er schon essen.«

Er ließ alles stehen und ging wieder hinaus. Saß dann ein Weilchen bei Mister Stopps, bis der auf einmal sagte: »Da draußen sein Kahspärle gelaufen.«

Bob schüttelte den Kopf, er hatte nichts gesehen und Kasperle war doch eingesperrt. Mister Stopps hatte auch soviel Punsch getrunken. Bob ging wieder, um nach Kasperle zu schauen, aber Kasperle lag noch immer da und schlief. Bob kam und meldete dies seinem Herrn.

Doch Mister Stopps wollte das nicht glauben. Er behauptete: »Ich sah, uie Kahspärle laufte.«

»Sehen Sie selbst nach,« bat Bob.

Da stand Mister Stopps auf und sah nach und da lag das Kasperle und schlief. Es regte und rührte sich nicht. Ganz fest schlief es. Mister Stopps konnte rufen, so viel er wollte, kein Kasperle gab Antwort.

»Es sein eigensinnig,« sagte Mister Stopps, »es kriegen nichts zu essen.«

Das sagte er nur, weil er dachte, nun wird Kasperle aufspringen und sein Essen verlangen.

Das war doch sonderbar. Kasperle sprang nicht auf.

»Kahspärle, steh auf!«

Kein Kasperle stand auf.

Da erhob sich draußen ein lautes Wehgeschrei. Angela klagte: »Das hat Eino getan!«

»Was ist da draußen?« fragte Mister Stopps und lief geschwinde aus der Kammer, denn neugierig war er ziemlich. Draußen stand Angela und rang die Hände: »Mein gutes Tuch ist weg, mein allerbestes, das mit den Rosen! Eino hat es genommen.«

»Das ist nicht wahr!« rief Eino empört.

»Doch, es ist wahr!«

»Nein, Kasperle wird es genommen haben.«

»Kasperle ist eingesperrt.«

»Ich sah es vorhin im Garten.«

»Das kann nicht sein!«

»Doch, es war Kasperle, es trug ein großes Bündel.«

»Kahspärle, oh mein Kahspärle, es schlafen,« rief Mister Stopps.

Das glaubte Eino nicht und Bob mußte ihm erst das schlafende Kasperle zeigen. Da sagte Eino: »Ich werde ihm einen Rippenstoß geben, dann wird es munter.«

Bob sagte: »Laß das!« aber Eino tat es doch.

Pardauz – rollte das Kasperle ein Stück weg, es war aber kein Kasperle, es war Kasperles Kittel und Angelas Tuch.

Kasperle war nicht da!

Kasperle war ausgerissen!

Mister Stopps kam wehklagend herbei. »Kahspärle ist ausgereißt,« jammerte er. Angela kam und jammerte auch, und dabei dachte sie, vielleicht sitzt Kasperle in der Speisekammer.

Aber da saß er auch nicht.

Er saß nirgends, soviel auch alle suchten. Kasperle war verschwunden, von den Nachbarn hatte ihn auch niemand gesehen, und Mister Stopps war ganz verzweifelt. Er versprach dem viel Geld, der Kasperle zurückbringen würde, aber niemand fand Kasperle. Sogar zur Post ging Bob, ob Kasperle weggefahren wäre.

Nein, kein Kasperle war weggefahren.

Es war überhaupt kein Gast in Lugano in die Post gestiegen.

Wo war Kasperle? –

Die Reise nach Genua

Der Fuhrmann Pietro saß um dieselbe Nachmittagsstunde, als Bob meinte, Kasperle schlafe, vor seinem Hause und dachte darüber nach, wie arm er war. Schrecklich arm! Er hatte vor einem Jahr noch eine arme Frau geheiratet und wenn nichts und nichts zusammenkommen, gibt es kein Butterbrot. Und bei Pietro gab es an diesem Tage nicht einmal mehr trockenes Brot, nichts war im Hause.

Pietro dachte daran, daß er seine geliebten Pferde verkaufen müsse, um den Zins für das Häuschen zu bezahlen und um Brot zu kaufen. Das war schrecklich. Wenn Pietro seine Pferde verkaufte, war er kein Fuhrmann mehr, und Fuhrmann war er doch am liebsten auf der Welt.

Während Pietro so seinen traurigen Gedanken nachhing, kam auf einem mit Gras bedeckten Gartenweg ganz heimlich ein sonderbares Männlein daher. Das steckte in viel zu weiten Sachen. Die Hosen waren umgekrempelt, die Jacke schlotterte und der Hut war dem Männlein bis auf die Nase gerutscht.

Das Männlein sagte mit einer tiefen Brummstimme: »Ich sein Mister Plumpudding, ich uill auf der Straße reisen nach Genua.«

»Nach Genua?« fragte Pietro, dem das Männlein zu verwunderlich erschien.

»Ja, nach Genua. Und nicht lange gefragt, eins – zwei – drei einspannen; uenn Mister Plumpudding befiehlt, muß es schnell gehen.«

»Mit Verlaub. Ihr seht eher aus wie Mister Stopps‘ Kasperle als wie Mister Klumpeding.«

»Plumpudding,« schrie der kleine Mann, »so heiß‘ ich und der bin ich. Potztausend, ich bin kein Kasperle!« Und – pardauz hatte Pietro einen Nasenstüber weg, von dem er gar nicht wußte, wie er an seine Nase gekommen war. Denn, daß Mister Plumpudding zum Nasenstübern sein Bein genommen hatte, das konnte er doch nicht denken.

»Jawohl, Mister Klumpeding,« sagte er sich verbeugend.

»Plumpudding heiße ich, und bin kein Kasperle,« schrie der kleine Herr ganz so, wie Kasperle schrie.

Es ist doch Kasperle, er macht einen Streich, dachte Pietro und vorsichtig fragte er: »Habt Ihr auch Geld, Mister Klumpeding?«

»Da habt Ihr!« Der schnurrige Herr zog ein Säcklein heraus und gab Pietro eine Handvoll echter, guter Goldstücke.

Da staunte der Fuhrmann. »Für ein Kasperle seid Ihr erstaunlich reich, Mister Klumpeding,« sagte er.

»Plumpudding, Plumpudding, und ich bin kein Kasperle! Aber nun macht zu, sonst kommt Mister Stopps und –«

»Ihr seid doch dem Mister Stopps sein Kasperle, wenn Ihr auch Mister Klumpeding heißen wollt, junger Herr!«

Da sah Kasperle, daß es für ein Kasperle doch nicht leicht ist, unerkannt in die weite Welt zu reisen, selbst mit Bobs Hosen nicht. Er wußte sich gar nicht zu helfen und fing bitterlich an zu weinen.

Nun war Pietro ein sehr gutmütiger Mann. Ihm tat das Kasperle leid und er fragte: »Sag‘ mal, Kasperle, warum willst du denn als Mister Klumpeding in die weite Welt reisen?«

»Plumpudding,« schrie Kasperle verärgert.

»Meinetwegen Lumpending, nun sage aber mal die Wahrheit!«

Und Kasperle sagte alles. Pietro fand das auch nicht nett von Mister Stopps, daß er mit den Ferien nicht Wort gehalten hatte, und das Einsperren fand er schlimm. Trotzdem sagte er: »Ich kann dich nicht fahren,« als er dann aber das traurige Heimwehgesicht sah, das Kasperle machte, und an das viele Geld dachte, das Kasperle ihm geben wollte, redete er nur noch ein bißchen gegen die Fahrt. Schließlich sagte er, Kasperle solle nur einsteigen, er würde ihn nach Genua fahren.

Aber Pietro war nicht nur ein guter Mann, er war auch ein ehrlicher Mann. Als Kasperle schon im Wagen saß, schrie ihn Pietro an: »Woher hast du das Geld?«

Kasperle erzählte, und Pietro dachte, wenn einer so viel Geld hat, daß ein Kasperle damit spielen darf, kann ich das Geld auch nehmen. Und nun war er heilfroh, seine Frau mußte laufen und Eßwaren holen, mußte auch ein leeres Köfferlein in den Wagen stellen, damit Kasperle nicht ohne Gepäck reiste, das hätte doch zu komisch ausgesehen. Und dann fuhr Pietro – heidi – los.

Er fuhr an Mister Stopps Haus vorbei. Gerade dort fragte ihn jemand: »He, Pietro, wen fährst du denn?«

»Den Mister Lumpeding, einen vornehmen Engländer,« sagte Pietro stolz. Und es war gut, daß er den Namen so verdreht hatte, denn aus einem Gäßlein heraus trat Mister Plumpudding, und die Leute hätten sich doch gewundert, wenn der hätte im Wagen sitzen sollen.

»Trara« konnte Pietro nicht blasen, denn er hatte keine Trompete, aber er sang, und weil er wie Florizel etwas Dichter und Sänger war, machte er sich flink ein Verslein:

»Mister Lumpeding will ganz flink
Nach Genua kutschieren. Trallala, trallala!
Kann sein, es ist ein Kasperlein.
Wer kann das studieren? Trallala, trallala!«

Bei Kasperlein verschluckte sich Pietro allemal, und einer, der vorüberging, verstand »Hampelbein«. Der rief: »Aber Pietro, was singst du für ein Lied von deinem Fahrgast!« Da lachten Pietro auf dem Bock und Kasperle im Wagen, und Pietro sang immerzu: »Trallala, trallala.«

Das hörte Mister Stopps und fragte: »Uer singt denn da?«

»Pietro ist’s, er fährt einen reichen Engländer.«

Kasperle, »der reiche Engländer«, saß unterdessen verdattert im Wagen. Weil ihn Pietro gleich erkannt hatte, war es ihm gar nicht wohl zumute, denn Kasperle hatte Angst.

Wenn der Wagen an einem Haus, einem Menschen, einer Kuh oder an einem Hund vorbeifuhr, erschrak Kasperle. Einen Ochsenfuhrmann hielt er in seiner Angst für Mister Stopps und einen Bauer und seine Frau für Angela und Bob.

Es war schlimm für das Kasperle und war doch auch wieder gut für das Kasperle, denn sonst hätte er nur, wer weiß, was für Dummheiten unterwegs gemacht. So traute er sich nicht, ja er wagte im ersten Wirtshaus kaum zu reden.

Pietro sprach für ihn. Der sagte: »Ich fahre einen wunderlichen kleinen Engländer, der muß sehr vorsichtig behandelt werden, sonst wird er gleich böse.« Da schlichen alle Leute ängstlich um Kasperle herum und Kasperle benahm sich ordentlich wie ein Herr.

Es wäre auch alles gut gegangen, wenn nur Kasperle nicht doch ein Strick gewesen wäre. Als es zum Schlafengehen ging und Kasperle in ein schönes Zimmer mit einem großen Bett geführt wurde, purzelbaumte er wild in den Betten herum: Hoppla – hoppla – hopp!

Da war ein Spiegel und da waren Kasperles Beine.

»Klirrklirr« machte es, da war der Spiegel kaputt.

Man hörte den Lärm im ganzen Hause, und da Kasperle nicht zugeschlossen hatte, kamen auf einmal alle Dienstboten in das Zimmer, gerade als Kasperle erschrocken in sein Bett gekrochen war.

»Der komische Herr liegt mit allen Sachen im Bett!« schrie eine Magd.

»Und den Spiegel hat er zerbrochen!« schrie rasch eine andere.

»Das war ’ne Katze,« schrie Kasperle.

»I wo, ’ne Katze tut so was nicht.« Dem Wirt kam der kleine Herr sonderbar vor, er hätte beinahe die Polizei geholt, wenn Pietro nicht gewesen wäre. Pietro sagte, Herr Lumpeding wäre nun mal ein komischer Herr und würde alles bezahlen.

Da war der Wirt versöhnt, denn eben sagte unten in der Wirtsstube jemand: »In Lugano wohnt ein reicher Engländer, Stopps heißt er, der hat ein Kasperle, das sieht gerade so aus, wie dieser Herr Lumpeding. Ich wette, das ist Kasperle.«

»Und ich wette, das ist es nicht!« rief Pietro.

Der Wirt sagte: »Na, der muß es doch wissen.« Aber die Gäste meinten, man weiß doch nicht, der zerschlagene Spiegel ist doch sonderbar.

Pietro merkte wohl, was die Gäste dachten, deshalb spannte er vor Tau und Tag an, ließ dem Kasperle gar nicht Zeit zu frühstücken und fuhr ab. Nach einem Weilchen hielt er an und sagte streng: »Kasperle, wenn du noch einen dummen Streich machst, dann lasse ich dich mitten auf der Landstraße sitzen und du magst sehen, wie du nach Genua kommst.«

Da bekam Kasperle einen argen Schreck, er versprach himmelhoch gute Besserung. »Und jetzt heißt du Pfannkuchen und ich Stefano, sonst entdeckt uns Mister Stopps doch noch.«

Das wäre schlimm, dachte Kasperle und war seitdem mucksstill. Er machte kein Räubergesicht und kein Teufelsgesicht, nichts mehr, saß in den Wirtshäusern brav da und aß nicht gleich den ganzen Teller auf einmal leer, er war aus lauter Angst schrecklich artig.

Pietro wurde es ordentlich unheimlich, er dachte immer: »Es passiert doch noch was. Ein Kasperle ist eben ein Kasperle.«

Und in der Tat passierte auch noch etwas.

Kurz vor Genua hielt Pietro, der nun Stefano hieß, vor einem Wirtshaus, und er dachte: »Gut, daß es das letzte Mal ist.«

Die Wirtin kam herbeigelaufen und fragte, wen er denn brächte.

»Den Herrn von Pfannkuchen, einen kleinen, wunderlichen Mann, der nach Genua reist,« erwiderte Pietro-Stefano und machte, während er dies sagte, die Wagentür weit auf. »Bitte aussteigen, Herr von Pfannkuchen!« Aber kein Herr von Pfannkuchen stieg aus. Es saß überhaupt keiner im Wagen.

»Na nu,« rief Pietro, »wo ist er denn?«

»Herausgefallen oder ausgerissen!« rief die Wirtin. »Da seht, die Tür ist auf! Na, Ihr seid mir ein netter Fuhrmann, Ihr verlieret unterwegs Eure Reisenden!«

Pietro war ganz verdutzt. Er sah noch den ganzen Wagen durch, und da sich kein Kasperle fand, ging er endlich den Weg zurück, den er gekommen war. Ein Stück vom Wirtshaus entfernt sah er ein paar Männer stehen, die schrecklich schalten.

»Da ist sicher Kasperle,« dachte Pietro und lief hin.

Es war wirklich Kasperle. Der kleine Schelm war im Schlafe aus der Kutsche gefallen und von den Männern gefunden worden. Da hatte Kasperle, als er aufwachte und die fremden Gesichter sah, vor lauter Angst sein Teufelsgesicht gemacht.

»Das ist ein Teufel, ein richtiger kleiner Teufel!« schrien die Männer.

»Unsinn, das ist der Herr von Pfannkuchen!« rief Pietro, dem es um das Kasperle bange war. Er packte den Kleinen und rannte mit ihm seinem Wagen zu.

Das wollten sich die Männer aber nicht gefallen lassen, sie rannten hinterher und sie behaupteten steif und fest, Kasperle wäre ein kleiner Teufel, sie hätten ihn gefunden und ihnen gehöre er. Das arme Kasperle, das wieder einmal verkannt wurde, war so verdattert, daß ihm nichts einfiel, was ihm hätte helfen können, als Purzelbaumschießen.

Als die Männer immer näher kamen, riß er sich von Pietro los und purzelbaumte immer über Stock und Stein bis zum Wagen hin.

Da meinten die Männer erst recht, Kasperle wäre ein Teufel. Sie wollten ihn aus dem Wagen herauszerren und Kasperle kobolzte vor Schrecken auf den Kutscherbock, von da auf das rechte Pferd. Das nahm es aber übel.

Heida – rasten die Pferde los! Pietro, der gerade hatte einsteigen wollen, fiel in den Wagen, und fort ging es.

Hoppla – hopp.

Die Männer schrien: »Haltet den Teufel!« Aber keiner konnte die Pferde aufhalten. Durch das Dorf ging es Galopp, Galopp, und endlich, als niemand und nichts mehr zu sehen war, gelang es Pietro, auf den Bock zu klettern und die Zügel zu erfassen. Da standen die Pferde still.

»Nun fahren wir bis nach Genua,« rief Pietro, »mit dir kehre ich nicht mehr in ein Wirtshaus ein. Es war ein Glück, daß du so fein purzelbaumen konntest.«

»Gelt, ich kann’s?« Da war Kasperle vom Pferderücken runter und lag im Straßenstaub.

Er konnte das Purzelbaumen wirklich gut.

»Da liegt Genua,« sagte Pietro nach einem Weilchen.

»Wo?« rief Kasperle und fiel vor Eifer beinahe wieder auf die Straße.

»Da!«

In Genua

Ja, da lag es! Und da fuhren die beiden hinein, fuhren in einen Lärm und in ein Gebrause hinein, daß Kasperle dachte, es wäre Jahrmarkt. Es war aber kein Jahrmarkt, sondern Pietro sagte, in Genua wäre es alle Tage so.

Wieviele Menschen nur auf den Gassen waren! Dem Kasperle wurde es himmelangst. Wie sollte er da alle seine guten Freunde herausfinden! »Was mache ich nun?« jammerte er.

Aber Pietro wußte Rat. Ob es freilich ein guter Rat war, ist eine andere Frage. Er sagte zu dem Kasperle, das gerade losheulen wollte: »Das mußt du nicht tun, Kasperle. Ich fahre dich an den Hafen, da suchen wir das Schiff, und du fährst einfach ein Stück mit und kommst dann zu Mister Stopps zurück.«

»Ja,« sagte Kasperle kläglich. Wie es auf einem Schiffe war, davon hatte er nämlich keine Ahnung, auch nicht, wie er auf das Schiff kommen sollte. Auch Pietro dachte sich das Mitfahren leichter. Doch auf einmal fiel ihm ein, es könnte Geld kosten, er sagte daher: »Hast du auch noch Goldstücke, Kasperle?«

Ja, die hatte Kasperle noch und Pietro meinte, die würden langen. – Also fuhr Pietro zum Hafen.

Auf einmal schrie Kasperle: »Da liegt ein großes, blaues Tuch, das immer wackelt!«

Es war aber kein wackelndes blaues Tuch, es war das Meer.

»Darauf sollst du fahren, Kasperle.«

Das konnte sich Kasperle gar nicht vorstellen, und wenn ihm jemand gesagt hätte, er sollte mit dem Hosenbödle auf dem Meer herumrutschen, er hätte es getan.

Doch Pietro sagte so etwas nicht. Pietro benahm sich sehr verständig, er fragte einen Mann: »Wo liegt denn das Schiff ‚Miramare‘?«

»Dort.«

Wirklich sah Pietro an einem großen Schiff den Namen »Miramare« stehen.

»Wie kommt man denn darauf?« fragte Pietro.

»Man geht über das Wasser spazieren!« Der Mann lachte. »Du bist wohl noch nie auf dem Wasser gefahren?« fragte er.

»Doch, auf dem See von Lugano,« sagte Pietro stolz.

»Ist auch was Rechtes. Auf einem See kann man in einer Waschwanne spazierenfahren. Meer aber ist Meer.«

Diese kluge Versicherung glaubte Pietro schon, er hatte aber noch viel auf dem Herzen, und da der Mann gutmütig war, bekam Pietro Antwort und erfuhr, die »Miramare« ginge morgen früh in See, und wer mit wollte, müßte sich schon arg sputen.

»Mach doch flink!« schrie da das Kasperle aus dem Wagen.

»Na, wer ist denn das?«

»Kas – Herr von Pfannkuchen.« Beinahe hätte sich der gute Pietro versprochen.

»Kas von Pfannkuchen ist aber ein komischer Name.« Der Mann lachte, als stünde er vor einer Kasperbude, dann aber fragte er: »Hat er schon eine Fahrkarte?«

Nein, die hatte er nicht. Und weder Kasperle noch Pietro wußte, wie und wo man ein solches Ding erhielt. Dem Fremden kam das sehr verwunderlich vor, und er sagte: »Wißt ihr was, ich glaube, mit euch ist etwas nicht richtig, ich glaube, ihr seid ausgerissen.«

Jemine, erschraken die beiden. Und in ihrer Angst baten sie beide den Fremden, er möchte sie nicht verraten.

»An wen denn?« fragte der.

»An Mister Stopps,« schrie Kasperle.

Der Fremde lachte wieder. »Ausgerissen seid ihr und dumm seid ihr auch. Also ich werde euch nicht verraten. Der kleine Mann mag hier bei den Pferden bleiben, der große kommt mit und holt eine Fahrkarte, sonst kommt ihr im Leben nicht auf das Schiff.«

So wäre es wohl auch geworden ohne die fremde Hilfe. Aber Kasperle fürchtete sich ganz entsetzlich, allein im Wagen bleiben zu müssen. Er dachte, jeder Vorbeigehende müßte Mister Stopps sein, und als Pietro wiederkam, mußte er eine ganze Weile suchen, ehe er den Wächter unter dem Wagen fand.

»Na, du bist mir ein schöner Aufpasser!« sagte er, und der Fremde meinte: »Er hat wohl was arg Schlimmes angestellt!«

»Gar nichts hab‘ ich getan, ich armes Kasperle!«

»Was bist du?«

Da war es heraus, was der kleine Kerl war, und der Fremde wollte sich totlachen über die Geschichte. »Na,« sagte er, »wird das eine Überraschung auf dem Schiff geben! Ich bringe dich hinüber, sonst passiert noch etwas.«

Und das war gut, denn allein hätte kein Bootsmann das arme Kasperle übergesetzt. Auch auf dem Schiff mußte Herr Salviati, so hieß der freundliche Helfer, für Kasperle reden, denn der Kapitän hielt ihn für einen kleinen Jungen. »Er ist nur ein bißchen klein geblieben,« sagte Herr Salviati, »aber klug ist er und erschrecklich reich.«

»Na denn, meinetwegen, dann mag er die Kabine neben der Prinzessin Gundolfine kriegen, die auch mitfährt.«

»Jemine, wo ist denn Ihr Schützling hin?«

»Ins Boot gefallen,« stotterte Herr Salviati verdutzt, denn Kasperle war auf einmal weg. Er war aber nicht ins Boot, sondern in das Wasser gefallen, und es war gut, daß der fürsorgliche Pietro für Kasperles Goldstücke allerlei Sachen gekauft hatte, da konnte sich Kasperle nachher umziehen. Erst mußte er aber in seine Kabine.

Und Herr Salviati, dem es Pietro gesagt hatte, wer die Prinzessin Gundolfine sei, brachte das Kasperle auch glücklich hinein.

»So,« sagte er, »nun lege dich nur in dein Bett, es scheint, als passiere bei dir immer etwas.«

Ja, es schien nicht nur so, es passierte schon allerlei.

Das Zubettgehen behagte Kasperle aber gar nicht. Hunger hatte er, und es war gut, daß Pietro auch dafür gesorgt hatte. Herr Salviati stellte den Koffer in Kasperles Kabine und setzte sich dann hin, denn er wollte noch ein Weilchen bei dem kleinen Schelm bleiben. Da kasperte ihm der flink etwas vor, und wie sie beide so recht drin waren, Herr Salviati im Lachen, Kasperle im Faxenmachen, sagte draußen eine Stimme: »Na, wenn der Mister Stopps nicht bald aus Lugano kommt, dann müssen wir ohne ihn abfahren.«

Und ein feines liebes Stimmchen rief: »Mister Stopps soll kommen, ach bitte, bitte warten Sie, denn der bringt mein liebes Kasperle.«

»Heiho, Kasperle, was ist dir?« Herr Salviati sah ganz erstaunt auf Kasperle, dem dicke, dicke Tränen über das Gesichtchen liefen. Draußen hatte das feine Marlenchen gesprochen.

Darüber vergaß Kasperle seine ganzen Ängste, alles. Wenn das feine Marlenchen ihm nahe war, dann war alles gut. Herr Salviati sagte: »Schade, Kasperle, daß ich dich nicht mitnehmen kann, ich behielte dich zu gern. Jemine, Kasperle, was machst du für ein Gesicht! Willst du mich auffressen?«

Da mußte Kasperle lachen, seine Angst, mitgenommen zu werden, war vorbei und er nahm einen sehr zärtlichen Abschied von dem guten Herrn Salviati. Der versprach, Pietro noch zu grüßen und Kasperle versprach, Herrn Salviati zu besuchen. So versprachen sie sich eine ganze Weile allerlei und dann ging der freundliche Helfer fort.

Kasperle blieb allein.

Ganz allein auf dem großen Schiff.

Kasperle wollte heulen, so bange war ihm um sein kleines Kasperleherz, als draußen wieder die liebe Stimme ertönte: »Wenn doch Mister Stopps käme!«

»Lieber nicht,« dachte Kasperle. Aber Marlenchens Stimme gab ihm den verlorenen Mut zurück und vor Vergnügen purzelbaumte er einmal. Das gab Gepolter, und nebenan sagte eine schrille Stimme: »Das ist ja ein schrecklicher Lärm.« Eine andere antwortete nicht minder laut: »Da wohnt der Herr von Pfannkuchen.«

Himmel, die Prinzessin Gundolfine war doch seine Nachbarin, daß er das vergessen konnte! Kasperle blieb vor Schreck am Boden liegen und da hörte er ganz deutlich, was seine Nachbarinnen sprachen. Die Prinzessin sagte, sie möchte wissen, ob der Herr von Pfannkuchen wirklich so erschrecklich reich wäre, und wenn, dann könnte sie ihn doch heiraten.

Das war dem Kasperle doch zu toll, er schrie ganz laut: »Nä, nä!«

»Yes (ja) hat er gesagt. Weil er ein Engländer ist, redet er Englisch,« sagte die Prinzessin.

Aber Kasperle schrie noch einmal laut: »Nä, nä!«

Hätte Kasperle jetzt das Gesicht der Prinzessin sehen können, er hätte eine Himmelangst gekriegt. Aber Kasperle war ein Bruder Leichtsinn, der dachte schon wieder daran, daß er der Prinzessin einen Streich spielen wollte. Heiraten wollte er sie auf keinen Fall.

Dann aber vergaß Kasperle die Prinzessin, denn er hörte diese nebenan weggehen, und er war froh, daß er nun an Marlenchen, an Rosemarie und Michele, an Herrn Severin und Frau Liebetraut denken konnte.

Heio, mit denen war er auf einem Schiff; würden die Augen machen, wenn er morgen früh zum Vorschein kam!

Jemine, aber die Prinzessin Gundolfine!

»Hach,« stöhnte Kasperle, »wenn sie mich sieht!«

Das war doch eine schreckliche Geschichte, daß die Prinzessin auf dem Schiff war, die durfte ihn nicht sehen.

»Hach,« stöhnte Kasperle wieder.

»Wi-chii,« sagte etwas. Es war eine Ratte, die ganz gemütlich aus einem Winkel hervorkam. Wutsch! hatte Kasperle sie auch schon gefangen. Die Ratte wollte beißen, aber Kasperle wollte nicht gebissen werden, er wollte sie zur Tür hinauswerfen, denn Ratten im Zimmer liebte er nicht. Und darum hielt er die Ratte fest, machte die Tür ein Schlitzchen auf und warf sie hinaus. Wenn draußen nur nicht gerade die Prinzessin Gundolfine gestanden wäre! Die bekam die Ratte an den Kopf.

Ein Zetergeschrei erhob sich.

»Es hat mir jemand eine Ratte an den Kopf geworfen,« schrie die Prinzessin Gundolfine, »ich glaube, es war der Herr von Pfannkuchen.«

»Ich war’s nicht,« wollte Kasperle schreien, aber dann dachte er, »ich sage lieber gar nichts.« Er verhielt sich mäuschenstill und draußen ebbte allmählich der Lärm ab. Die Prinzessin zeterte noch eine Weile, schrie, sie wolle auf ein anderes Schiff, bis dann der Kapitän kam und sagte, er wäre froh, wenn er sie los wäre. Herr von Pfannkuchen hätte die Ratte nicht geworfen, das wäre ein feiner Mann.

Das unnütze Kasperlgesicht sah der Herr Kapitän freilich nicht, sonst hätte er wohl anders von dem Herrn von Pfannkuchen gedacht.

Da sagte eine sanfte Stimme: »Woher ist denn der Herr von Pfannkuchen?«

»Aus Lugano.«

»Aus Lugano, da kennt er vielleicht mein Kasperle,« rief Marlenchen.

»Ha, ich falle in Ohnmacht, wenn ich nur an das schlimme Kasperle denke,« schrie die Prinzessin.

Da wollte der Kapitän wissen, wer Kasperle wäre, und Marlenchen wollte erzählen. Die Prinzessin ließ sie aber gar nicht zu Worte kommen, so laut schrie sie, was für ein Erzschelm das Kasperle sei, Marlenchen hätte er ganz verdorben und das Prinzlein auch, und wenn sie gewußt hätte, Kasperles Freunde wären noch auf dem Schiff, dann wäre sie nicht mitgefahren.

»Wie sieht denn das Kasperle aus?« fragte auf einmal der Kapitän, der plötzlich seine eigenen Gedanken hatte.

Marlenchen wollte wieder berichten, aber die Prinzessin überschrie sie wieder. Sie beschrieb Kasperle so, daß der Kapitän sagte: »Also ein Scheusal.«

»Ja, ein Scheusal.«

Und damit war die Unterhaltung aus.

Der Kapitän wurde abgerufen, Marlenchen lief davon und Kasperle hörte die Prinzessin noch lange nebenan auf sich schimpfen.

Ach, wie in aller Welt sollte es das arme Kasperle anfangen, seine Freunde zu sehen, ohne von der bitterbösen Prinzessin gesehen zu werden! Und wenn Mister Stopps noch kam, dann wurde die Sache ganz schlimm.

Es war schwer für ein Kasperle, allein auf Reisen zu gehen.

Sehr schwer.